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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
89. Kapitel:
 
Krishna
 
Die unvergleichliche Macht Śrī Kṛṣṇas


 

Vor langer, langer Zeit fand einmal am Ufer des Flusses Sarasvatī eine Zusammenkunft großer Weisen statt, die dort ein gewaltiges Opfer, Satrayajña genannt, vollzogen. Bei solchen Versammlungen erörtern die Weisen für gewöhnlich vedisches Wissen und philosophische Fragen. Bei diesem Treffen nun erhob sich folgende Frage: Jeder der drei über die materielle Welt herrschenden Gottheiten - Brahmā, Viṣṇu und Śiva - lenkt die Geschehnisse im Kosmos. Wer von ihnen aber ist der Höchste? Nach langer Erörterung wurde der große Weise Bhṛgu, der Sohn Brahmās, beauftragt, alle drei herrschenden Gottheiten auf die Probe zu stellen und der Versammlung dann zu berichten, wer von ihnen der Größte sei.

Mit diesem Auftrag begab sich der große Weise Bhṛgu als erstes zur Residenz seines Vaters auf Brahmaloka. Die drei genannten Gottheiten sind die Beherrscher der drei materiellen Erscheinungsweisen Unwissenheit, Leidenschaft und Tugend. Der Plan, den die Weisen Bhṛgumuni dargelegt hatten, sah vor, daß Bhṛgumuni feststellen sollte, welche der drei herrschenden Gottheiten die Eigenschaft der Güte oder Tugend in Vollkommenheit besitzt. Als Bhṛgumuni vor seinen Vater Brahmā trat, unterließ er es daher absichtlich, ihm Achtung zu erweisen, indem er ihm weder Ehrerbietungen noch Gebete darbrachte; er wollte so prüfen, ob sein Vater die Eigenschaft der Güte besitze. Ein Sohn oder Schüler hat die Pflicht, wenn er sich seinem Vater oder spirituellen Meister nähert, diesem Ehrerbietungen zu erweisen und Gebete zu sprechen. Bhṛgumuni jedoch unterließ es absichtlich, Brahmā seine Ehrerbietung zu bezeigen, weil er sehen wollte, wie Brahmā auf seine Nachlässigkeit reagieren würde. Brahmā wurde der Unverschämtheit seines Sohnes wegen sehr zornig, wie einige Merkmale es deutlich anzeigten. Er war sogar schon im Begriff, Bhṛgu zu verwünschen, doch weil dieser sein Sohn war, zügelte er klug seinen Zorn. Das zeigt, daß Brahmā, obwohl in ihm die Eigenschaft der Leidenschaft vorherrschte, die Macht hatte, über sie zu gebieten. Brahmās Zorn und das Zügeln seines Zorns werden mit Wasser und Feuer verglichen. Wasser wird vom Feuer erzeugt, doch zugleich kann Feuer mit Wasser gelöscht werden. In ähnlicher Weise wurde Brahmā aufgrund seiner leidenschaftlichen Natur sehr zornig, doch konnte er immer noch seine Leidenschaft beherrschen, weil Bhṛgumuni sein Sohn war.

Nachdem Bhṛgumuni Brahmā geprüft hatte, begab er sich unverzüglich zu dem Planeten Kailāsa, auf dem Śiva lebt. Bhṛgumuni war Śivas Bruder, daher freute sich Śiva sehr, als er ihn kommen sah und stand auf, um ihn zu umarmen. Doch als Śiva auf Bhṛgumuni zukam, wich dieser seiner Umarmung aus. »Mein lieber Bruder«, sagte er, »du bist immer sehr unrein. Weil du deinen Körper mit Asche einreibst, bist du nicht sehr sauber. Bitte berühre mich nicht.« Als Bhṛgumuni es ablehnte, seinen Bruder zu umarmen und sagte, Śiva sei unrein, wurde dieser sehr zornig auf ihn. Es heißt, daß ein Vergehen entweder mit dem Körper, in Gedanken oder durch Worte begangen werden kann. Bhṛgumunis Vergehen gegen Brahmā war ein Vergehen durch Gedanken. Sein zweites Vergehen, das er sich gegen Śiva zuschulden kommen ließ, indem er ihm in verletzender Weise unsaubere Gewohnheiten vorwarf, war ein Vergehen mit Worten. Weil in Śiva die Erscheinungsweise der Unwissenheit überwiegt, liefen ihm sofort, als er Bhṛgus Schmähung vernahm, vor Zorn die Augen rot an. In unbezähmbarer Wut hob er seinen Dreizack und schickte sich an, Bhṛgumuni zu töten, doch war gerade Śivas Frau Pārvatī zugegen. Ihre Persönlichkeit ist eine Mischung der drei Erscheinungsweisen, weshalb sie Triguṇamayī genannt wird. In diesem Fall rettete sie die Situation, indem sie in Śiva die Eigenschaft der Güte weckte. Sie fiel ihrem Gatten zu Füßen und brachte ihn mit sanfter Worten von dem Vorsatz ab, Bhṛgumuni zu töten.

Nachdem Bhṛgumuni vor Śivas Zorn gerettet worden war, begab er sich geradenwegs zu dem Planeten Śvetadvīpa, wo Śrī Viṣṇu auf einem Bett aus Blumen lag, während Seine Gemahlin, die Glücksgöttin, Ihm mit Hingabe die Lotosfüße massierte. Als Bhṛgumuni dort ankam, beging er in voller Absicht die größte Sünde, indem er Śrī Viṣṇu durch eine körperliche Tat schmähte. Das erste Vergehen hatte Bhṛgumuni mit dem Geist begangen, das zweite mit Worten und das dritte mit dem Körper. Diese Vergehen nahmen jedesmal an Stärke zu. Ein Vergehen, das mit dem Geist verübt wird, bezeichnet man als einfaches Vergehen; wenn das gleiche Vergehen mit Worten begangen wird, ist es schon schwerwiegender, und wenn es mit dem Körper verübt wird, ist es am schlimmsten. Bhṛgumuni beging somit das größte Vergehen, indem er in Anwesenheit der Glücksgöttin die Brust des Herrn mit dem Fuß berührte. Doch wie man weiß, ist Śrī Viṣṇu allgnadenvoll. Er wurde deshalb nicht zornig auf Bhṛgumuni, denn Bhṛgumuni war ein ehrenwerter brāhmaṇa. Einem brāhmaṇa muß verziehen werden, wenn er sich einmal ein Vergehen zuschulden kommen läßt, und Viṣṇu gab durch Sein körperliches Beispiel das Vorbild. Man sagt jedoch, daß die Glücksgöttin Lakṣmī seit jenem Vorfall den brāhmaṇas nicht sehr wohlgesinnt sei, und weil Lakṣmī somit den brāhmaṇas ihre Segnungen versagt, sind diese für gewöhnlich sehr arm. Als Bhṛgumuni Śrī Viṣṇus Brust mit dem Fuß berührte, lud er zweifellos ein großes Vergehen auf sich; doch Viṣṇu ist so großmütig, daß Er es ihm nicht übelnahm. Die vorgeblichen brāhmaṇas des Kali-yuga bilden sich manchmal viel darauf ein, daß sie die Brust Viṣṇus mit ihren Füßen berühren dürfen; doch als Bhṛgumuni Viṣṇus Brust mit dem Fuß berührte, war es etwas ganz anderes, denn obwohl dies das größte Vergehen war, nahm es Viṣṇu in Seiner Gnade nicht sehr ernst.

Statt zornig zu werden oder Bhṛgumuni zu verfluchen, erhob Sich Śrī Viṣṇu sogleich zusammen mit Seiner Frau, der Glücksgöttin, von Seiner Bettstatt und brachte dem brāhmaṇa achtungsvolle Ehrerbietungen entgegen. Dann sprach er zu Bhṛgumuni: »Mein lieber brāhmaṇa, es tut Mir leid, daß Ich dich nicht gleich bei deiner Ankunft richtig empfangen konnte. Dieses Versäumnis war ein großes Vergehen Meinerseits, und Ich bitte dich, Mir zu vergeben. Du bist so rein und erhaben, daß das Wasser, mit dem deine Füße gewaschen wurden, selbst Pilgerorte noch läutern kann. Ich möchte dich daher bitten, auch diesen Vaikuṇṭha-Planeten zu läutern, auf dem Ich mit Meinen Gefährten lebe. Mein lieber Vater, o großer Weiser, Ich weiß, daß deine Füße sanft wie Lotosblüten sind und Meine Brust dagegen hart wie ein Blitzschlag. Ich befürchte, es könnte dir Schmerz bereitet haben, Meine Brust mit deinen Füßen zu berühren. Erlaube Mir deshalb, deine Füße zu berühren, um deine Schmerzen zu lindern.« Alsdann begann Śrī Viṣṇu, Bhṛgumunis Füße zu massieren. Der Herr sagte weiter zu Bhṛgumuni: »Mein lieber Herr, Meine Brust ist nun durch die Berührung deiner Füße geheiligt worden, und so bin ich Mir sicher, daß die Glücksgöttin Lakṣmī mit Freuden für immer an ihr bleiben wird.« Ein anderer Name Lakṣmīs ist Cañcalā, was bedeutet, daß sie nie lange an einem Ort verweilt. Deshalb geschieht es oft, daß die Familie eines reichen Mannes nach einigen Generationen plötzlich arm wird und die Familie eines Armen unvermittelt zu Reichtum gelangt. Lakṣmī, die Glücksgöttin, ist in der materiellen Welt Cañcalā; doch auf den Vaikuṇṭha-Planeten weilt sie ewig bei den Lotosfüßen des Herrn. Weil also Lakṣmī als Cañcalā bekannt sei, so deutete Nārāyaṇa an, sei sie normalerweise vielleicht nicht für immer an Seiner Brust geblieben, doch nun, da Seine Brust durch die Berührung von Bhṛgumunis Füßen geheiligt worden sei, sei nicht mehr daran zu denken, daß sie Ihn jemals verlassen werde. Bhṛgumuni aber kannte sehr wohl seine eigene Stellung und die des Herrn, und deshalb war seine Verwunderung über das Verhalten des Höchsten Persönlichen Gottes grenzenlos. Vor Beschämung über solchen Großmut versagte ihm die Stimme, und er war außerstande, dem Herrn etwas zu erwidern. Seine Augen standen in Tränen, und er konnte kein Wort hervorbringen. Er verharrte ganz einfach stumm vor dem Herrn. Als Bhṛgumuni also Brahmā, Śiva und Śrī Viṣṇu geprüft hatte, kehrte er zur Versammlung der großen Weisen am Ufer der Sarasvatī zurück und berichtete über seine Erlebnisse. Die Weisen gelangten, nachdem sie ihn mit großer Aufmerksamkeit angehört hatten, zu dem Schluß, daß Viṣṇu Sich von allen herrschenden Gottheiten im höchsten Maße in der Erscheinungsweise der Güte befinde. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden die großen Weisen als brahma-vādinām bezeichnet. Brahma-vādinām bezieht sich auf diejenigen, die zwar über die Absolute Wahrheit sprechen, jedoch noch nicht zu einer Schlußfolgerung gelangt sind. Für gewöhnlich wird das Wort brahma-vādi für die Unpersönlichkeitsphilosophen oder die Studierenden der Veden gebraucht. Die versammelten Weisen waren also allesamt ernsthaft Studierende der vedischen Schriften, doch hatten sie noch nicht völlig erkannt, wer der Höchste Absolute Persönliche Gott ist. Nachdem die Weisen aber von Bhṛgumunis Erlebnissen bei seinen Begegnungen mit den drei herrschenden Gottheiten Brahmā, Śiva und Viṣṇu erfahren hatten, kamen sie zu dem Schluß, daß Viṣṇu die Höchste Wahrheit, der Persönliche Gott, ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es, daß die Weisen, als sie von Bhṛgumuni alle Einzelheiten vernahmen, sehr darüber staunten, daß Viṣṇu, im Gegensatz zu Brahmā und Śiva, die sogleich zornig wurden, nicht die geringste Erregung zeigte, obwohl Bhṛgumuni Seine Brust mit dem Fuß berührte. Hier paßt das Beispiel, daß kleine Lampen schon beim geringsten Luftzug zu flackern beginnen, wohingegen der größte aller Leuchtkörper, die Sonne, sich nicht einmal beim schwersten Sturm bewegt. Die Größe einer Person ist daran zu messen, inwieweit diese fähig ist, Herausforderungen zu ertragen. Die Weisen, die sich am Ufer der Sarasvatī versammelt hatten, kamen zu dem Schluß, daß jeder, der wahren Frieden und wahre Freiheit von aller Furcht ersehnt, am besten bei Śrī Viṣṇus Lotosfüßen Zuflucht sucht. Wenn Brahmā und Śiva schon bei einer geringfügigen Kränkung ihren Gleichmut verloren, wie könnten sie dann ihren Geweihten bleibenden Frieden oder beständige Ausgeglichenheit geben? Was jedoch Viṣṇu betrifft, so erklärt die Bhagavad-gītā, daß jeder, der Viṣṇu oder Kṛṣṇa als den höchsten Freund anerkennt, die höchste Vollkommenheit friedvollen Lebens erreicht.

Die Weisen gelangten also zu der Erkenntnis, daß man wahrhaft vollkommen werden kann, wenn man den Prinzipien des vaiṣṇava-dharma folgt. Wenn man aber allen religiösen Prinzipien einer Glaubensrichtung nachkommt und dabei keine Fortschritte in der Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes Viṣṇu macht, sind all solche Anstrengungen vergebliche Liebesmüh. Religiöse Prinzipien zu befolgen bedeutet, zur Ebene vollkommenen Wissens zu gelangen. Wenn man die Ebene vollkommenen Wissens erreicht hat, verliert man jedes Interesse an materiellen Angelegenheiten. Vollkommenes Wissen bedeutet, sowohl sich selbst als auch das Höchste Selbst zu kennen. Das Höchste Selbst und das individuelle Selbst sind, obwohl der Qualität nach eins, quantitativ voneinander verschieden. Dieses analytische Verständnis von Wissen ist vollkommen. Nur zu verstehen »ich bin nicht Materie; ich bin von spiritueller Natur«, ist noch kein vollkommenes Wissen. Das wahre religiöse Prinzip ist hingebungsvolles Dienen oder bhakti. Dies wird in der Bhagavad-gītā (18.66) bestätigt, in der Śrī Kṛṣṇa sagt: »Gib alle anderen religiösen Prinzipien auf und gib dich einfach Mir hin.« Daher gilt der Begriff dharma nur für den vaiṣṇava-dharma oder bhagavat-dharma, durch dessen Befolgung man alle guten Eigenschaften und Errungenschaften, die man im Leben erlangen kann, wie von selbst erhält.

Das höchste und vollkommene Wissen besteht darin, den Höchsten Herrn zu kennen. Der Herr kann durch keinen anderen religiösen Vorgang erkannt werden als durch hingebungsvolles Dienen. Somit ist also vollkommenes Wissen das unmittelbare Ergebnis des hingebungsvollen Dienstes. Wenn man solches Wissen erlangt hat, verliert man all sein Interesse an der materiellen Welt. Dies geschieht jedoch nicht etwa durch trockene philosophische Spekulation. Die Gottgeweihten verlieren ihr Interesse an der materiellen Welt nicht durch rein theoretische Erkenntnis, sondern durch praktische Erfahrung. Wenn der Gottgeweihte die Wirkung des Zusammenseins mit dem Höchsten Herrn erfährt, verabscheut er naturgemäß den Umgang mit sogenannter Gesellschaft, Freundschaft und Liebe. Seine Loslösung von diesen Dingen ist nicht trocken, sondern beruht vielmehr darauf, daß er durch den Genuß transzendentaler Freuden eine höhere Lebensebene erreicht hat. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird weiter erklärt, daß man nach der Erlangung solchen Wissens und der Loslösung von materieller Sinnenbefriedigung ohne zusätzliche Anstrengungen Fortschritte in der Entwicklung der acht Kräfte macht, die man sonst nur durch die Übung mystischen yogas erwirbt, wie die animā-siddhi, laghimā-siddhi und prāpti-siddhi. Das vollkommene Beispiel ist Mahārāja Ambarīṣa. Er war kein yoga-Mystiker, sondern ein großer Gottgeweihter; doch als der mächtige yogi Durvāsā einen Streit mit ihm begann, geriet er durch Mahārāja Ambarīṣas Gotteshingabe ins Hintertreffen. Ein Gottgeweihter braucht sich also nicht im mystischen yoga zu üben, um zu Macht zu kommen. Die Macht steht ihm durch Kṛṣṇas Gnade bereits zur Verfügung, ebenso wie ein kleines Kind, das seinem mächtigen Vater gehorsam ist, die ganze Macht des Vaters hinter sich hat.

Wenn jemand als Geweihter des Herrn berühmt wird, vergeht sein Ruhm niemals. Śrī Caitanya stellte einst in einem Gespräch mit Rāmānanda Rāya die Frage: »Welcher ist der größte Ruhm? Rāmānanda Rāya erwiderte, daß der vollkommene Ruhm darin bestehe, als reiner Geweihter Śrī Kṛṣṇas bekannt zu sein. Hieraus kann man schließen, daß der Viṣṇu-dharma oder die Religion des hingebungsvollen Dienstes für den Höchsten Persönlichen Gott für gedankenvolle Menschen bestimmt ist. Durch die richtige Nutzung seiner Besinnlichkeit gelangt man zu der Stufe, auf der man an den Höchsten Persönlichen Gott denkt. Und wenn man an den Höchsten Persönlichen Gott denkt, wird man von der unreinen und schädlichen Verbindung mit der materiellen Welt frei und somit von Frieden erfüllt. Die Welt befindet sich nur deshalb in einem Zustand der Unruhe, weil es der menschlichen Gesellschaft an solch friedvollen Gottgeweihten fehlt. Solange man kein Gottgeweihter ist, kann man nicht allen Lebewesen gleichgesinnt sein. In den Augen eines Gottgeweihten sind Tiere, Menschen und alle anderen Lebewesen gleich, denn er sieht ein jedes als ewiges Teil des Höchsten Herrn. In der Śrī Īśopaniṣad wird deutlich erklärt, daß jemand, der auf die Stufe gelangt ist, auf der er alle Lebewesen als gleich ansieht, niemanden verabscheut oder bevorzugt. Der Gottgeweihte strebt auch nicht nach mehr Besitz als er benötigt. Deshalb werden die Gottgeweihten akiñcana genannt, was bedeutet, daß sie in jeder Lebenslage zufrieden sind. Es heißt, daß ein Gottgeweihter immer Gleichmut wahrt, ganz gleich ob er sich im Himmel oder in der Hölle befindet. Einem Gottgeweihten ist alles, das nichts mit seinem hingebungsvollen Dienst zu tun hat, gleichgültig. Diese Art zu leben ist die Stufe der höchsten Vollkommenheit, von der aus man in die spirituelle Welt, zurück nach Hause, zurück zu Gott, gelangen kann. Die Geweihten des Höchsten Persönlichen Gottes fühlen sich besonders zur höchsten materiellen Eigenschaft, zur Erscheinungsweise der Tugend hingezogen, und ein fähiger brāhmaṇa ist die symbolische Verkörperung dieser Tugend. Deshalb hält sich der Gottgeweihte an die brahmanische Lebensstufe. Er befaßt sich nicht gern mit Leidenschaft oder Unwissenheit, wenngleich auch diese Erscheinungsweisen vom Höchsten Herrn, Viṣṇu, ausgehen. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden die Gottgeweihten als nipuṇa-buddhayaḥ beschrieben, was bedeutet, daß sie die Intelligentesten unter den Menschen sind. Unbeeinflußt von Anhaftung oder Haß lebt der Gottgeweihte voller Frieden und wird nicht durch Leidenschaft oder Unwissenheit beirrt.

Es mag die Frage aufkommen, warum sich ein Gottgeweihter zur Erscheinungsweise der Tugend hingezogen fühlen sollte, wenn er doch transzendental zu allen materiellen Erscheinungsweisen ist. Die Antwort lautet, daß die Menschen in den verschiedenen Erscheinungsweisen von verschiedener Art sind. Diejenigen, die sich in der Erscheinungsweise der Unwissenheit befinden, bezeichnet man als rākṣasas, jene in der Erscheinungsweise der Leidenschaft als asuras und solche in der Erscheinungsweise der Tugend als suras oder Halbgötter. Diese drei Arten von Menschen werden unter der Aufsicht des Höchsten Herrn von der materiellen Natur geschaffen, doch diejenigen, die sich in der Erscheinungsweise der Tugend befinden, haben am ehesten die Möglichkeit, in die spirituelle Welt erhoben zu werden und zurück nach Hause, zurück zu Gott zu gelangen.

So wurden alle Weisen, die sich am Ufer des Flußes Sarasvatī versammelt hatten, um herauszufinden, wer die höchste herrschende Gottheit sei, von allen Zweifeln an der Verehrung Viṣṇus befreit. Sie alle wandten sich danach dem hingebungsvollen Dienst zu, erreichten somit das Ziel ihrer Wünsche und kehrten zu Gott zurück.

Wer den ernsthaften Wunsch hat, von aller materiellen Verstrickung befreit zu werden, tut gut daran, ohne Zögern Śukadeva Gosvāmīs Schlußfolgerung anzunehmen, die er uns am Anfang des Śrīmad-Bhāgavatam mitteilt. Es heißt an dieser Stelle, daß das Hören des Śrīmad-Bhāgavatam auf dem Weg zur Befreiung außerordentlich hilfreich ist, da dieses Werk von Śukadeva Gosvāmī gesprochen wurde. Das gleiche wurde später von Sūta Gosvāmī bestätigt, der sagte: »Wenn jemand, der hilflos in der materiellen Welt umherirrt, bereit ist, den nektargleichen Worten Śukadeva Gosvāmīs zuzuhören, wird er mit Sicherheit zur richtigen Schlußfolgerung gelangen und ganz einfach durch hingebungsvolles Dienen für den Höchsten Persönlichen Gott der ermüdenden Wanderung von Körper zu Körper ein für allemal ein Ende bereiten. Dies bedeutet, mit anderen Worten, daß man durch richtiges Hören im liebevollen Dienst Śrī Viṣṇus gefestigt und dadurch von der Reise durch das materielle Dasein erlöst werden kann. Der Vorgang ist sehr einfach: man muß den köstlichen Worten Gehör schenken, die von Śukadeva Gosvāmī in der Form des Śrīmad-Bhāgavatam gesprochen wurden.

Wichtig ist auch, daß man niemals denken sollte, Halbgötter wie Brahmā und Śiva befänden sich auf der gleichen Ebene wie Śrī Viṣṇu. Tun wir dies nämlich, werden wir, wie das Padma Purāṇa erklärt, auf der Stelle zu Atheisten. Im Harivaṁśa, einer anderen vedischen Schrift, wird gesagt, daß ganz allein der Höchste Persönliche Gott, Viṣṇu, verehrt werden soll. Deshalb muß man ständig den Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantra oder einen anderen Viṣṇu-mantra chanten. Im Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam sagt Brahmā: »Śiva und ich selbst sind vom Höchsten Persönlichen Gott mit verschiedenen Aufgaben betraut worden und handeln bei ihrer Erfüllung unter Seiner Führung.« Auch im Caitanya-caritāmṛta wird bestätigt, daß Kṛṣṇa der einzige Meister ist und alle anderen Lebewesen in den verschiedenen Arten des Lebens Kṛṣṇas Diener sind.

In der Bhagavad-gītā (7.7) erklärt der Herr, daß es keine Wahrheit über Ihm, Kṛṣṇa, gibt. Weil auch Śukadeva auf die Tatsache aufmerksam machen wollte, daß von allen Viṣṇu-tattvas Kṛṣṇa zu 100% der Höchste Persönliche Gott ist, erzählte er von einer Begebenheit, die sich ereignete, als Kṛṣṇa auf Erden war.

Es begab sich einst, daß die Frau eines brāhmaṇa ein Kind zur Welt brachte. Unglücklicherweise jedoch starb das Kind, kurz nachdem es bei der Geburt den Boden berührt hatte. Der brāhmaṇa-Vater nahm sogleich das tote Kind und ging auf direktem Wege nach Dvāraka zum Palast des Königs. Er war sehr bestürzt über den frühen Tod seines Kindes in Anwesenheit seiner jungen Eltern, und so erregte der Vorfall sein Gemüt. Früher, d. h. bis zur Zeit des Erscheinens Śrī Kṛṣṇas am Ende des Dvāpara-yuga, als es noch Könige gab, die Verantwortung trugen, konnten dem Herrscher sogar für den frühzeitigen Tod eines Kindes, das im Beisein seiner Eltern starb, Vorwürfe gemacht werden. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Verantwortlichkeit des Königs während der Regierungszeit Rāmacandras. Wie wir im Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam erklärt haben, war der König in solchem Maße für das Wohlergehen der Bürger verantwortlich, daß er sogar dafür sorgen mußte, daß in seinem Königreich keine ungewöhnliche Hitze oder Kälte herrschte. Obwohl den König in diesem Fall keine Schuld traf, begab sich der brāhmaṇa, der so früh sein Kind verloren hatte, auf der Stelle zum Tor des Palastes und klagte den König mit folgenden Worten an: »Der gegenwärtige König, Ugrasena, ist den brāhmaṇas übelgesinnt.« Das genaue Wort, das er gebrauchte, war brāhma-dviṣaḥ. Jemand, der gegen die Veden, einen befähigten brāhmaṇa oder die brāhmaṇa-Kaste Mißgunst hegt, wird als brahma-dvit bezeichnet. Dem König wurde also vorgeworfen, ein brahma-dvit zu sein. Auch wurde er bezichtigt, śaṭha-dhī, nicht wirklich intelligent zu sein. Der Führer eines Staates muß sehr intelligent sein, um für das Wohl seiner Bürger sorgen zu können. Nach der Ansicht des brāhmaṇa verfügte König Ugrasena nicht über die geringste Intelligenz, obwohl er auf dem Königsthron saß. Deshalb bezeichnete er ihn auch als lubdha, gierig. Ein König oder Staatsführer, der gierig oder selbstsüchtig ist, sollte nicht das hohe Amt der Präsidentschaft oder Königswürde ausüben. Es ist nur natürlich, daß ein Staatsführer selbstsüchtig wird, wenn er an materiellem Genuß hängt. Deshalb gebrauchte der brāhmaṇa auch das Wort viṣayātmanaḥ. Weiterhin zieh er den König, ein kṣatra-bandhu zu sein, womit ein Mensch gemeint ist, der zwar in einer kṣatriya-Familie oder in einem Königsgeschlecht geboren wurde, aber nicht die Eigenschaft eines Edelmannes besitzt. Ein König muß die brahmanische Kultur schützen und über das Wohl seiner Untertanen wachen; er sollte niemals aus Anhaftung an materiellem Genuß gierig werden. Wenn sich jemand als kṣatriya oder Angehöriger des königlichen Standes ausgibt, ohne die Eigenschaften eines solchen zu besitzen, ist er kein kṣatriya, sondern ein kṣatra-bandhu. In ähnlicher Weise wird jemand, der zwar als Sohn eines brāhmaṇa geboren wurde, jedoch keine brahmanischen Fähigkeiten besitzt, als brahma-bandhu oder dvija-bandhu bezeichnet. Das bedeutet, daß man nicht allein seiner Herkunft wegen als brāhmaṇa oder kṣatriya gilt. Vielmehr muß man sich für die betreffende Stellung eignen; nur dann kann man als brāhmaṇa oder kṣatriya anerkannt werden.

Der brāhmaṇa warf dem König also vor, sein Neugeborenes sei durch dessen Unfähigkeit gestorben. Der brāhmaṇa hielt den König dafür verantwortlich, weil ihm das Ganze höchst unnatürlich erschien. Es sind aus der vedischen Geschichte auch Beispiele von kṣatriya-Königen bekannt, die, weil sie unverantwortlich handelten, durch einen Zusammenschluß beratender brāhmaṇas, die der Adel unterhielt, entthront wurden. An all dem wird deutlich, daß das Königsamt zur Zeit der vedischen Zivilisation ein hohes Maß an Verantwortung mit sich brachte.

Der brāhmaṇa sagte deshalb: »Niemand sollte einem König, der nur Mißgunst im Sinn hat, Achtung erweisen oder ihn verehren. Ein solcher König verbringt seine Zeit damit, entweder Tiere im Wald zu jagen und umzubringen oder Untertanen für ihre Verbrechen zu töten. Er kennt keine Selbstbeherrschung und hat einen üblen Charakter. Wenn die Bürger einen solchen König verehren oder respektieren, werden sie niemals glücklich sein. Sie werden immer in Armut leben, voller Ängste und Kümmernisse und stets unglücklich.«

Obgleich die Politik der Gegenwart das Königsamt abgeschafft hat, wird der Präsident nicht für das Wohl der Bürger verantwortlich gemacht. Im Zeitalter des Kali ist es üblich, daß sich jemand auf diese oder jene Weise seine Stimmenmehrheit verschafft und so zur hohen Stellung des Staatsführers gelangt. Das Leben der Bürger aber bleibt, wie zuvor, voller Ängste, Leid, Kummer und Unzufriedenheit.

Auch das zweite Kind des brāhmaṇas kam tot zur Welt und ebenso das dritte. Der brāhmaṇa hatte insgesamt neun Kinder, und jedes von ihnen wurde tot geboren. Jedesmal kam er zum Palasttor und klagte den König an. Als der brāhmaṇa zum neunten Mal kam, um dem König von Dvārakā Vorwürfe zu machen, waren auch Arjuna und Kṛṣṇa zugegen. Als Arjuna hörte, wie der brāhmaṇa den König beschuldigte, ihn nicht gebührend zu beschützen, wurde er neugierig und fragte: »Mein lieber brāhmaṇa, wie kommst du dazu zu sagen, es gebe keine echten kṣatriyas, die die Bürger deines Landes beschützen? Ist nicht einmal jemand da, der vorgeben kann, kṣatriya zu sein, und Bogen und Pfeile zu tragen vermag, um wenigstens so zu tun, als könne er jemanden beschützen? Denkst du vielleicht, alle Männer aus königlichem Geschlecht in diesem Land brächten ihre Zeit nur damit zu, mit den brāhmaṇas Opfer auszuführen, doch besäßen sie weder Tapferkeit noch Kraft?« Mit diesen Worten wies Arjuna darauf hin, daß sich kṣatriyas nicht gemütlich zur Ruhe setzen dürfen, um sich nur noch der Ausführung vedischer Rituale zu widmen. Vielmehr müssen sie mit aller Tapferkeit die Bürger beschützen. Da die brāhmaṇas spirituellen Tätigkeiten nachgehen, darf man von ihnen nichts erwarten, das körperlicher Anstrengung bedarf. Sie müssen deshalb von den kṣatriyas beschützt werden, so daß sie bei ihren höheren Pflichten und Tätigkeiten nicht gestört werden.

Arjuna sagte weiter: »Wenn die brāhmaṇas wider Willen von ihren Frauen oder Kindern getrennt werden und die kṣatriya-Könige ihnen nicht helfen, sind solche kṣatriyas nicht höher einzuschätzen als Schauspieler.« In einem Schauspiel auf der Bühne kann ein Darsteller zwar die Rolle eines Königs spielen, doch niemand erwartet von einem solchen vorgeblichen König wirklichen Nutzen. Ebenso muß ein König oder Staatsführer, der den Kopf des gesellschaftlichen Körpers nicht zu schützen vermag, als Schwindler angesehen werden. Solche Führer denken, während sie die hohen Ämter von Staatsoberhäuptern bekleiden, nur an ihr eigenes Auskommen.

»Mein lieber Herr«, fuhr Arjuna fort, »ich verspreche dir, daß ich deine künftigen Kinder beschützen werde, und sollte mir dies nicht gelingen, werde ich mich in ein lodernes Feuer stürzen, damit die sündige Unreinheit, die über mich gekommen ist, getilgt wird.«

Als der brāhmaṇa diese Worte Arjunas vernahm, entgegnete er: »Mein lieber Arjuna, Śrī Balarāma lebt hier, doch Selbst Er konnte meine Kinder nicht beschützen, und auch Śrī Kṛṣṇa weilt unter uns und konnte ihnen keinen Schutz bieten. Es sind hier noch viele andere Helden, wie Pradyumna und Aniruddha, die mit Bogen und Pfeilen umzugehen wissen, doch keiner von ihnen war imstande, meine Kinder zu beschützen.« Der brāhmaṇa gab Arjuna somit deutlich zu verstehen, daß dieser nicht etwas vollbringen könne, was für den Höchsten Persönlichen Gott unmöglich gewesen sei. Er hatte das Gefühl, Arjuna verspreche etwas, das jenseits seiner Möglichkeiten liege. Der brāhmaṇa sagte: »In meinen Augen gleicht dein Versprechen dem eines unerfahrenen Kindes. Ich kann deine Worte nicht ernst nehmen.«

Arjuna erkannte, daß der brāhmaṇa alles Vertrauen in die kṣatriya-Könige verloren hatte. Um ihm daher wieder Zuversicht zu geben, sprach Arjuna in solcher Weise zu ihm, daß es schien, als tadele er sogar seinen Freund Śrī Kṛṣṇa. Während Kṛṣṇa und einige andere ihm zuhörten, wandte er sich vor allem gegen Kṛṣṇa, indem er sagte: »Mein lieber brāhmaṇa, ich bin weder Saṅkarṣaṇa noch Kṛṣṇa, noch einer von Kṛṣṇas Söhnen wie Pradyumna und Aniruddha. Mein Name ist Arjuna, und ich trage den bekannten Gāṇḍīva-Bogen. Zu Unrecht schmähst du mich, denn ich zog selbst Śivas Wohlgefallen durch meine Kühnheit auf mich, als wir beide im Wald jagten. Ich kämpfte damals mit Śiva, der als Jäger vor mir erschienen war, und als ich ihn schließlich durch meine Kühnheit erfreute, gab er mir die Waffe, die als paśupatāstra berühmt ist. Zweifle also nicht an meiner Tapferkeit. Ich werde dir deine Söhne zurückbringen - selbst wenn ich mit dem Tod in Person kämpfen muß.« Der brāhmaṇa war, als Arjuna ihm mit solch stolzen Worten Zuversicht einflößte, mit einem Mal überzeugt und kehrte also nach Hause zurück.

Als die Frau des brāhmaṇa wieder ein Kind zur Welt bringen sollte, chantete der brāhmaṇa: »Mein lieber Arjuna, bitte komme schnell und rette mein Kind!« Als Arjuna sein Gebet vernahm, machte er sich bereit, indem er Weihwasser berührte und heilige mantras sprach, um Bogen und Pfeile vor Gefahr zu schützen. Er achtete besonders darauf, den Pfeil mitzunehmen, den Śiva ihm geschenkt hatte. Auf dem Weg dachte er an Śiva und dessen große Gunst, und so erschien er mit seinem Bogen Gāṇdīva und mancherlei anderen Waffen vor dem Haus des brāhmaṇa.

Offensichtlich hatte Arjuna die ganze Zeit über Dvārakā nicht verlassen, da er sein Versprechen an den brāhmaṇa erfüllen mußte. Es war Nacht, als er gerufen wurde, weil die Frau des brāhmaṇa ihr Kind gebären sollte. Während Arjuna zum Haus des brāhmaṇa ging, um bei der Geburt zugegen zu sein, gedachte er Śivas, und nicht seines Freundes Kṛṣṇa, Er hielt es für klüger, bei Śiva Zuflucht zu suchen, weil, wie er meinte, Kṛṣṇa dem brāhmaṇa nicht hatte helfen können. Dies ist ein Beispiel eines Menschen, der Zuflucht bei den Halbgöttern sucht. In der Bhagavad-gītā (7.20) wird dies wie folgt erklärt: kāmais tais tair hṛta jñānāḥ. »Ein Mensch, der aufgrund von Gier und Lust seine Intelligenz verliert, vergißt den Höchsten Persönlichen Gott und sucht Zuflucht bei den Halbgöttern.« Arjuna war natürlich kein gewöhnliches Lebewesen, doch weil er mit Kṛṣṇa freundschaftlichen Umgang pflegte, glaubte er, der Herr sei nicht imstande, die brāhmaṇas zu beschützen, und er täte daher besser daran, sich an Śiva zu erinnern. Wie sich später herausstellen sollte, hatte Arjuna nicht den geringsten Erfolg damit, daß er bei Śiva statt bei Kṛṣṇa Zuflucht suchte. Jedoch gab sich Arjuna größte Mühe, indem er vielerlei mantras chantete und seinen Bogen bereithielt, um das Haus des brāhmaṇa von allen Seiten zu schützen.

Die Frau des brāhmaṇa gebar ein männliches Kind, das sogleich, wie es natürlich ist, zu schreien begann. Doch plötzlich, innerhalb weniger Minuten, verschwanden sowohl das Kind als auch Arjunas Pfeile in der Luft. Es war nämlich so, daß das Haus des brāhmaṇa in der Nähe von Kṛṣṇas Residenz lag, und daß Śrī Kṛṣṇa - scheinbar Seiner Macht zum Hohne - an allem, was geschah, Seine Freude hatte. Er war es auch, der den Streich gespielt hatte, das Kind des brāhmaṇa und die Pfeile Arjunas - auch den Śivas, der Arjunas ganzer Stolz gewesen war - verschwinden zu lassen. Tad bhavaty-alpa-medhasām: Weniger Intelligente suchen aus Verwirrung Zuflucht bei den Halbgöttern und sind mit den Segnungen zufrieden, die diese ihnen gewähren.

Der brāhmaṇa begann sogleich in Gegenwart Kṛṣṇas und anderer, Arjuna anzuklagen: »Ein jeder sehe meine Dummheit! Ich habe den Worten Arjunas vertraut, der ein Schwächling ist und sich auf nichts versteht, außer auf falsche Versprechungen. Er versprach, mein Kind zu beschützen, obwohl selbst Pradyumna, Aniruddha, Śrī Balarāma und Śrī Kṛṣṇa dies nicht vermochten. Wenn schon diese großen Persönlichkeiten meine Kinder nicht zu retten vermochten, wer könnte es dann noch tun? Verwünscht sei daher Arjuna wegen seines falschen Versprechens, verwünscht sei sein berühmter Bogen Gāṇḍīva und seine Unverschämtheit, mit der er behauptete, er sei mächtiger als Śrī Balarāma, Śrī Kṛṣṇa, Pradyumna und Aniruddha. Niemand vermag mein Kind zu retten, denn es ist bereits auf einem anderen Planeten gebracht worden. Aus reiner Dummheit nur dachte Arjuna, er könne mein Kind von einem anderen Planeten zurückholen.«

Als Arjuna so von dem brāhmaṇa verdammt worden war, stattete er sich mit einer mystischen yoga-Kraft aus, die es ihm ermöglichte, zu jedem beliebigen Planeten zu reisen, denn er wollte versuchen, das Kind des brāhmaṇa zu finden. Wie es scheint beherrschte Arjuna die mystische Kraft, vermittels derer die yogīs auf Wunsch zu jedem Planeten reisen können. Als erstes begab er sich zu dem Planeten Yamaloka, auf dem Yamarāja, der Oberaufseher des Todes, lebt. Er konnte jedoch das Kind trotz allen Suchens nicht finden. Darauf begab er sich zu dem Planeten, auf dem Indra, der König des Himmels herrscht. Als er auch dort das Kind nicht entdecken konnte, reiste er zu den Planeten des Feuergottes, Nairṛti, und von dort zum Mond. Auf Vāyuloka und Varuṇloka setzte er seine Suche fort, und als auch dort das Kind nicht aufzufinden war, fuhr er hinab zu den Rasātala-Planeten, dem niedrigsten Planetensystem im Universum. Nachdem er all diese Planeten bereist hatte, begab er sich schließlich nach Brahmaloka, wohin nicht einmal die mystischen yogīs gehen können. Durch Kṛṣṇas Gnade besaß Arjuna auch dazu die Macht, und so reiste er hoch über die himmlischen Planeten hinaus nach Brahmaloka. Zu guter Letzt, als er das Kind nicht finden konnte, obwohl er auf allen nur denkbaren Planeten geforscht hatte, wollte sich Arjuna ins Feuer stürzen, wie er es dem brāhmaṇa für den Fall versprochen hatte, daß es ihm nicht gelingen sollte, das Kind zurückzubringen. Śrī Kṛṣṇa jedoch war Arjuna sehr wohlgesinnt, denn Arjuna war der engste Freund des Herrn. Er redete Arjuna zu, nicht der Schande wegen ins Feuer zu gehen, und wies ihn darauf hin, daß Arjuna Ihm, da er Sein Freund sei, indirekt schaden werde, wenn er eine solche Verzweiflungstat begehe. Indem Er Arjuna noch versicherte, daß Er das Kind schon finden werde, hielt Er ihn davon ab, sich das Leben zu nehmen. Er sagte zu Arjuna: »Begehe nicht aus Torheit Selbstmord.« Nachdem Kṛṣṇa so zu Arjuna gesprochen hatte, rief Er Seinen transzendentalen Streitwagen herbei, bestieg ihn mit Arjuna und lenkte ihn nach Norden. Śrī Kṛṣṇa, der allmächtige Höchste Persönliche Gott, hätte das Kind natürlich ohne weiteres zurückbringen können, doch müssen wir stets bedenken, daß Er die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte. Weil ein Mensch eine Anstrengung unternehmen muß, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, verließ Kṛṣṇa Dvārakā wie ein gewöhnlicher Sterblicher oder wie Sein Freund Arjuna, um das Kind des brāhmaṇas zurückzuholen. Als Kṛṣṇa einem Menschen ähnlich unter den Menschen erschien und Seine transzendentalen Spiele entfaltete, zeigte Er deutlich, daß keine Persönlichkeit größer ist als Er. »Gott ist groß«, so lautet die Definition für den Höchsten Persönlichen Gott. Kṛṣṇa bewies also zumindest, als Er in der materiellen Welt gegenwärtig war, daß es im ganzen Universum keine größere Persönlichkeit gibt als Ihn.

Kṛṣṇa fuhr mit Arjuna nordwärts und ließ viele Planetensysteme hinter sich. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden diese Planetensysteme als sapta-dvīpa bezeichnet. Dvīpa bedeutet »Insel«. Alle Planeten werden in den vedischen Schriften als dvīpas beschrieben. Der Planet zum Beispiel, auf dem wir leben, heißt Jambūdvīpa. Der Weltraum wird als großer Ozean aus Luft betrachtet, in dem sich viele Inseln befinden, nämlich die Planeten. Auch auf jedem der Planeten gibt es Ozeane. Einige bestehen aus Salzwasser, andere aus Milch, wieder andere aus alkoholartigen Flüssigkeiten, und auf manchen Planeten gibt es Ozeane aus Butterfett oder Öl. Die Gebirge auf den einzelnen Planeten sind ebenfalls von unterschiedlichster Art, und so sind es auch die Atmosphären, die sie umgeben.

Kṛṣṇa ließ all diese Planeten hinter sich und erreichte die Umhüllung des Universums. Diese Umhüllung wird im Śrīmad-Bhāgavatam als »große Dunkelheit« beschrieben. Die ganze materielle Welt ist, wie dort erklärt wird, dunkel. Der offene Weltraum wird zwar von den Strahlen der Sonne erhellt, doch in der Umhüllung ist es völlig dunkel, weil dort kein Sonnenlicht hingelangt. Als Kṛṣṇa auf die Umhüllung des Universums zufuhr, schienen die vier Pferde, die Seinen Wagen zogen - Śaibya, Sugrīva, Meghapuṣpa und Balāhaka - vor der Dunkelheit zurückzuschrecken. Dieses Scheuen von Kṛṣṇas Pferden ist ein Teil der transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas, denn Seine Pferde sind nicht von gewöhnlicher Art. Gewöhnliche Pferde könnten niemals durch das ganze Universum laufen und dann in die umhüllenden Schichten eindringen. Ebenso wie Kṛṣṇa transzendental ist, sind auch Seine Streitwagen, Seine Pferde und alles sonst noch mit Ihm Verbundene transzendental, d. h. jenseits der Erscheinungsweisen der materiellen Welt. Wir müssen stets bedenken, daß Kṛṣṇa die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte, und ebenso spielten auch seine Pferde, ganz nach Seinem Willen, die Rollen gewöhnlicher Pferde, als sie zögerten, in die Dunkelheit zu laufen.

Wie im letzten Teil der Bhagavad-gītā steht, ist Kṛṣṇa als Yogeśvara bekannt. Es heißt dort »yogeśvara hari«, was bedeutet, daß alle mystischen Kräfte von Ihm beherrscht werden. Auch heute gibt es viele Menschen, die mystische yoga-Kräfte beherrschen und zuweilen eindrucksvolle Wundertaten vollbringen; Kṛṣṇa aber ist der Meister aller mystischen Kräfte. Als solcher schleuderte Er, als Er saḥ, daß Seine Pferde vor der Dunkelheit scheuten, Sein Feuerrad, den berühmten Sudarśana-cakra, der den Raum um ein Tausendfaches heller erleuchtete als es das Licht der Sonne vermocht hätte. Die Dunkelheit der Umhüllung des Universums ist ebenfalls eine Schöpfung Kṛṣṇas, und der Sudarśana-cakra ist Kṛṣṇas ständiger Begleiter. Der Herr durchdrang die Finsternis, indem Er den Sudarśana-cakra vor Sich herfliegen ließ. Das Śrīmad-Bhāgavatam erklärt an dieser Stelle, daß der Sudarśana-cakra die Dunkelheit ebenso durchdrang wie ein Pfeil von Rāmacandras Śārṅga-Bogen das Heer Rāvaṇas. Su bedeutet »sehr gut« und darśana bedeutet »Sicht«; dank Śrī Kṛṣṇas Feuerrad Sudarśana war alles sehr gut zu sehen, und nichts blieb in der Dunkelheit. So durchquerten Kṛṣṇa und Arjuna den weiten Bereich der Dunkelheit, die das Universum bedeckt.

Nach einiger Zeit gewahrte Arjuna das strahlende Licht des brahmajyoti. Das brahmajyoti liegt außerhalb der Bedeckung des Universums, und da wir es mit unseren gegenwärtigen Augen nicht sehen können, wird es auch als avyakta bezeichnet. Diese spirituelle Ausstrahlung ist das endgültige Ziel der Unpersönlichkeitsanhänger oder Vedāntis. Das brahmajyoti wird auch als ananta-pāram, als unbegrenzt und unergründlich beschrieben. Als Kṛṣṇa und Arjuna den Bereich des brahmajyoti erreichten, mußte Arjuna die Augen schließen, weil er das gleißende Licht nicht ertragen konnte. Auf welche Weise Kṛṣṇa und Arjuna das brahmajyoti erreichten, wird im Harivaṁśa geschildert. In diesem Teil der vedischen Schriften teilt Kṛṣṇa Arjuna mit: »Mein lieber Arjuna, die gleißenden Strahlen des transzendentalen Lichts, das du siehst, sind die Ausstrahlungen Meines Körpers. O Oberhaupt der Nachkommen Bharatas, Ich Selbst bin das brahmajyoti.« So wie der Sonnenplanet und das Sonnenlicht nicht voneinander zu trennen sind, sind auch Kṛṣṇa und die Strahlen Seines Körpers, das brahmajyoti, nicht voneinander zu trennen. Daher sagt Kṛṣṇa, Er Selbst sei das brahmajyoti. Dies wird im Harivamśa deutlich zum Ausdruck gebracht, als Kṛṣṇa sagt: ahaṁ saḥ. Das brahmajyoti setzt sich aus winzigen Teilchen zusammen, den spirituellen Funken oder Lebewesen, die man auch als citkana bezeichnet. Der vedische Ausspruch so'ham, »Ich bin das brahmajyoti«, kann auch auf die Lebewesen bezogen werden, die sich ebenfalls als zum brahmajyoti gehörend bezeichnen können. Kṛṣṇa erklärte weiter im Harivaṁśa: »Das brahmajyoti ist eine Erweiterung Meiner spirituellen Energie.«

Kṛṣṇa sagte zu Arjuna: »Das brahmajyoti liegt jenseits des Bereichs Meiner äußeren Energie, māyā śakti.« Wenn man sich in der materiellen Welt befindet, kann man die Brahman-Ausstrahlung nicht wahrnehmen. Diese Ausstrahlung ist also in der materiellen Welt nicht manifestiert, sondern nur in der spirituellen. Das ist die Erklärung des Begriffs vyakta-avyakta. In der Bhagavad-gītā (8.20) heißt es avyakto'vyaktāt sanātanaḥ: »Beide Energien sind ewig manifestiert.«

Als nächstes begaben sich Śrī Kṛṣṇa und Arjuna in ein riesiges spirituelles Gewässer. Dieses spirituelle Gewässer wird der Kāraṇārṇava-Ozean oder Virajā genannt, was bedeutet, daß dieser Ozean der Schöpfungsursprung der materiellen Welt ist. Im Mṛtyuñjaya-tantra, einer vedischen Schrift, findet sich eine ausführliche Beschreibung des Kāraṇa-Ozeans oder Virajā. Es heißt dort, daß das höchste Planetensystem in der materiellen Welt Satyaloka oder Brahmaloka ist, daß jedoch weit entfernt davon Rudraloka und Mahā-Viṣṇuloka liegen. Von Mahā-Viṣṇuloka wird in der Brahma-saṁhitā gesagt: yaḥ kāraṇārnava-jale bhajati sma yoga: »Śrī Mahā Viṣṇu liegt auf dem Kāraṇa-Ozean.« Wenn Er ausatmet, treten unzählige Universen ins Dasein, und wenn Er einatmet, gehen sie wieder in Ihn ein.« Auf diese Weise wird die materielle Schöpfung hervorgebracht und wieder zurückgezogen. Als Kṛṣṇa und Arjuna in das Wasser eingingen, schien dort ein heftiger Sturm transzendentaler Ausstrahlung in der Luft zu liegen, denn das Wasser des Kāraṇa-Ozeans war sehr aufgewühlt. Durch die Gnade Kṛṣṇas hatte Arjuna so das einzigartige Erlebnis, den herrlichen Kāraṇa-Ozean zu sehen.

Gemeinsam mit Kṛṣṇa sah Arjuna einen gewaltigen Palast im Wasser. Er wurde von Tausenden von Pfeilern und Säulen aus kostbaren Edelsteinen getragen, deren leuchtendes Funkeln so überaus schön anzusehen war, daß Arjuna ganz bezaubert wurde. Im Innern des Palastes sahen Kṛṣṇa und Arjuna die gigantische Gestalt Anantadevas, der auch als Śeṣa bekannt ist. Śrī Anantadeva oder Śeṣanāga hatte die Gestalt einer großen Schlange mit Tausenden von Köpfen, von denen jeder einzelne mit köstlich strahlenden Juwelen geschmückt war, die wunderbar funkelten. Aus jedem Kopf Anantadevas schauten zwei grimmige Augen; Sein Körper war weiß wie der Berggipfel von Kailāsa, der immer von Schnee bedeckt ist, und Sein Hals hatte, genau wie seine Zungen, eine blaue Tönung. Arjuna sah nicht nur die Gestalt Śeṣanāgas, sondern er gewahrte auch, daß Śrī Mahā-Viṣṇu in bequemer Haltung auf dem sanften, weißen Körper Śesanāgas ruhte. Man sah Ihm an, daß Er alldurchdringend und überaus mächtig war, und so verstand Arjuna, warum der Höchste Persönliche Gott in der vor ihm gegenwärtigen Gestalt als Puruṣottama bekannt ist. Man nennt Ihn deshalb Puruṣottama oder den Besten, den Höchsten Persönlichen Gott, weil aus Ihm eine weitere Gestalt Viṣṇus hervorgeht, die in der materiellen Welt als Garbhodakaśāyī Viṣṇu bekannt ist. Puruṣottama, die Gestalt des Höchsten Herrn als Mahā-Viṣṇu, befindet Sich jenseits der materiellen Welt. Daher nennt man Ihn Uttama. Tama bedeutet Dunkelheit, und ut bedeutet »über« oder »transzendental«. Uttama bedeutet also »über der materiellen Welt, dem dunkelsten Bereich, stehend.« Arjuna sah auch, daß die Körpertönung Puruṣottamas, Mahā-Viṣṇus, dunkel war wie eine frische Wolke zur Regenzeit; Er war in herrliche, gelbe Gewänder gekleidet; auf Seinem Antlitz lag stets ein bezauberndes Lächeln, und Seine Augen, die Lotosblüten glichen, waren von zauberhafter Schönheit. Mahā-Viṣṇus Helm war reich mit kostbaren Edelsteinen verziert, und Seine köstlichen Ohrringe hoben die Schönheit Seines lockigen Haares noch mehr hervor. Śrī Mahā-Viṣṇu hatte acht Arme, die alle sehr lang waren und Ihm deshalb bis an die Knie reichten; Seinen Hals schmückte das Kaustubha-Juwel, und auf Seiner Brust war das śrīvatsa-Zeichen zu sehen, das den Aufenthaltsort der Glücksgöttin kennzeichnet. Dazu trug der Herr eine Girlande aus Lotosblüten, die Ihm bis an die Knie reichte. Diese lange Girlande ist als vaijayantī bekannt.

In nächster Nähe des Herrn standen Seine vertrauten Gefährten Nanda und Sunanda und der Sudarśana-cakra in Person. Wie in den Veden erklärt wird, besitzt der Herr unzählige Energien, und diese standen ebenfalls als Personen bei Ihm. Die bedeutendsten waren: puṣṭi, die Energie der Ernährung, śrī, die Energie der Schönheit, kīrti, die Energie des Ruhms, und ajā, die Energie der materiellen Schöpfung. All diese Energien sind den Verwaltern der materiellen Welt Brahmā, Śiva und Viṣṇu und den Königen der himmlischen Planeten Indra, Candra, Varuṇa und dem Sonnengott verliehen worden. Die Halbgötter, die also vom Herrn durch bestimmte Energien mit Macht versehen sind, stehen alle im transzendentalen liebevollen Dienst des Höchsten Persönlichen Gottes. Die Gestalt Mahā-Viṣṇu ist eine Erweiterung von Kṛṣṇas Körper. Auch in der Brahma-saṁhitā wird bestätigt, daß Mahā-Viṣṇu ein Teil einer vollständigen Erweiterung Kṛṣṇas ist. All diese Erweiterungen sind zwar nicht vom Persönlichen Gott verschieden, weil aber Kṛṣṇa in die materielle Welt kam, um Seine Spiele zu entfalten, bei denen Er wie ein Mensch erscheinen wollte, brachten Er und Arjuna Mahā-Viṣṇu sogleich ihre Ehrerbietungen dar, indem sie sich vor Ihm verneigten. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird tatsächlich berichtet, daß Śrī Kṛṣṇa Mahā-Viṣṇu Ehrerbietungen darbrachte; hierbei ist zu verstehen, daß Er Mahā-Viṣṇu Ehrerbietungen erwies, weil dieser nicht von Ihm verschieden ist. Kṛṣṇas Ehrfurcht vor Mahā-Viṣṇu hat jedoch nichts mit der Art der Verehrung zu tun, die als ahaṅgraha-upāsanā bekannt ist und Menschen empfohlen wird, die versuchen, durch das Opfer des Wissens die spirituelle Welt zu erreichen. In der Bhagavad-gītā (9.15) heißt es in diesem Zusammenhang: jñāna-yajñena cāpy anye yajanto mām upāsate.

Obwohl Kṛṣṇa an sich nicht verpflichtet war, Mahā-Viṣṇu Seine Ehrerbietungen darzubringen, zeigte Er Arjuna, als höchster Lehrer, daß man Mahā-Viṣṇu Achtung erweisen muß. Arjuna jedoch wurde sehr ängstlich, als Er die gigantische Form alles Existierenden sah, die sich mit keiner Form im materiellen Bereich vergleichen läßt. Als er sah, wie Kṛṣṇa Mahā-Viṣṇu Ehrerbietungen darbrachte, folgte er sogleich Seinem Beispiel und stellte sich sodann mit gefalteten Händen vor den Herrn. Mahā-Viṣṇu war sehr erfreut, und mit wohlwollendem Lächeln sagte Er in Seiner gigantischen Gestalt: »Mein lieber Kṛṣṇa und Mein lieber Arjuna, Ich sehnte Mich sehr danach, euch beide zu sehen, und deshalb entführte Ich die Kinder des brāhmaṇa und behielt sie hier. Ich erwartete, daß ihr beide daraufhin zu Meinem Palast kommen würdet. Ihr seid als Meine Inkarnation in der materiellen Welt erschienen, um die Macht der Dämonen zu verringern, die die Welt plagten. Da Ihr nun diese unerwünschten Dämonen alle getötet habt, kommt bitte bald wieder zu Mir zurück. Ihr beide seid Inkarnationen des großen Weisen Nara-Nārāyaṇa. Um die Gottgeweihten zu schützen und die Dämonen zu vernichten und vor allem, um die religiösen Prinzipien zu erneuern, damit in Zukunft Frieden und Ordnung herrschen können, lehrt ihr, obwohl ihr in euch selbst vollkommen seid, die grundlegenden Prinzipien wahrer Religion, so daß die Menschen der Welt eurem Vorbild folgen und dadurch friedvoll und glücklich werden können.«

Schließlich erwiesen Śrī Kṛṣṇa und Arjuna Mahā-Viṣṇu noch einmal ihre Ehrerbietungen, nahmen die Kinder des brāhmaṇa mit sich und kehrten auf dem gleichen Wege, auf dem sie in die spirituelle Welt gekommen waren, nach Dvārakā zurück. Die Kinder, die mittlerweile aufgewachsen waren, übergaben Kṛṣṇa und Arjuna, nachdem sie in Dvārakā eingetroffen waren, dem brāhmaṇa.

Arjuna dachte stets voller Verwunderung an seinen Besuch der transzendentalen Welt durch die Gnade Śrī Kṛṣṇas. Durch Kṛṣṇas Gnade begriff er, daß alles Wunderbare, das es in der materiellen Welt geben mag, vom Herrn kommt. Jeglicher Wohlstand, den jemand in der materiellen Welt besitzen mag, ist Kṛṣṇas Gnade zu verdanken. Somit sollte man sich Kṛṣṇas immer voller Dankbarkeit bewußt sein, denn alles, was man besitzt, ist nichts anderes als Seine Barmherzigkeit.

Arjunas wundervolles Erlebnis, das ihm durch Kṛṣṇas Gnade widerfuhr, war eines von vielen tausend Spielen, die Kṛṣṇa während Seines Aufenthaltes in der materiellen Welt offenbarte. Seine Spiele waren alle einzigartig und finden in der Weltgeschichte nicht ihresgleichen. Obwohl sie eindeutig beweisen, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, verhielt Er Sich, als Er in der materiellen Welt weilte, wie ein gewöhnlicher Mensch, der vielen weltlichen Pflichten nachkommen muß. Er spielte die Rolle eines vorbildlichen Haushälters, und obwohl Er mehr als 16000 Frauen, 16000 Paläste und 160000 Kinder hatte, brachte Er viele Opfer dar, um den königlichen Stand zu lehren, wie man in der materiellen Welt zum Wohl der Menschheit leben muß. Als die vorbildliche, höchste Persönlichkeit erfüllte Er die Wünsche eines jeden, angefangen mit den brāhmaṇas, den vortrefflichsten Persönlichkeiten der Gesellschaft, bis hinunter zu den gewöhnlichen Lebewesen, zu denen auch die Niedrigsten der Menschen zählen. So wie es König Indra obliegt, Regen über die ganze Welt zu verteilen, um jeden in angemessener Weise zufriedenzustellen, so erfreut Śrī Kṛṣṇa jeden, indem Er Seine grundlose Gnade ausschüttet. Seine Mission bestand darin, die Gottgeweihten zu beschützen und die dämonischen Könige zu vernichten, weshalb Er Tausende von Dämonen tötete. Einige tötete Er persönlich; andere wurden von Arjuna getötet, den Er dazu beauftragte. Gleichzeitig überantwortete Er vielen frommen Königen, wie beispielsweise Yudhiṣṭhira, die Regelung des Weltgeschehens. Durch Seinen göttlichen Willen schuf Er die gute Regierung König Yudhiṣṭhiras und ließ daraufhin Frieden und Ruhe folgen.

Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 89. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Die unvergleichliche Macht Śrī Kṛṣṇas«.