Es wird berichtet, daß der Liebesgott, der tatsächlich ein Teil und Stück Vāsudevas ist und einst durch Śivas Zorn zu Asche verbrannt wurde, von Kṛṣṇa gezeugt und von Rukmiṇī geboren wurde. Dieser Liebesgott ist Kāmadeva, ein Halbgott der himmlischen Planeten, und hat die besondere Fähigkeit, lüsterne Verlangen zu wecken. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, hat viele Arten von Teilen; Seine vierfache Erweiterung als Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha gehört direkt zur Kategorie Viṣṇus. Kāma, der Liebesgott, der später in Rukmiṇīs Schoß geboren wurde, erhielt zwar auch den Namen Pradyumna, doch kann er nicht der Pradyumna der Viṣṇu-Kategorie sein. Er gehört vielmehr zur Kategorie des jīva-tattva. Doch weil er als Liebesgott eine bestimmte Macht besitzt, ist er ein Teilchen der erhabenen Macht Pradyumnas. Das ist die Erklärung der Gosvāmīs. Als also der Liebesgott einmal durch Śivas Zorn zu Asche verbrannt wurde, ging er in Vāsudevas Körper ein, und damit er wieder seinen Körper erhielt, wurde er von Kṛṣṇa Selbst gezeugt. Er ging direkt von Kṛṣṇas Körper in Rukmiṇīs Körper ein, und so wurde er als Kṛṣṇas Sohn, der als Pradyumna berühmt ist, geboren. Da er direkt von Kṛṣṇa gezeugt wurde, waren seine Eigenschaften denen Kṛṣṇas sehr ähnlich.
Zu jener Zeit lebte auch ein Dämon namens Śambara, dem es bestimmt war, von dem besagten Pradyumna getötet zu werden. Der Dämon Śambara wußte von seinem Schicksal, und sobald er daher erfuhr, daß Pradyumna geboren war, nahm er die Gestalt einer Frau an und raubte das Kind der Mutter, als es noch nicht einmal zehn Tage alt war. Der Dämon warf das Kind gleich ins Meer. Es ist jedoch so, wie man sagt: »Wen Kṛṣṇa beschützt, kann niemand töten, und wem es bestimmt ist, von Kṛṣṇa getötet zu werden, den kann niemand beschützen.«
Als der Dämon Pradyumna ins Meer schleuderte, kam sogleich ein großer Fisch und verschlang ihn. Später wurde dieser Fisch im Netz eines Fischers gefangen und dem Dämon Śambara verkauft. In der Küche des Dämons war eine Dienerin mit Namen Māyāvatī angestellt. Diese Frau war einst die Gattin des Liebesgottes gewesen und hatte zu der Zeit Rati geheißen. Als der Fisch also Śambara gebracht wurde, gab er ihn an seinen Koch weiter, der daraus ein schmackhaftes Gericht zubereiten sollte. Die Dämonen und Rākṣasas essen gewöhnlich Fleisch, Fisch und andere nichtvegetarische Nahrung. So pflegten auch andere Dämonen, wie Rāvaṇa, Kaṁsa und Hiraṇyakaśipu, ohne zu unterscheiden, Fleisch zu essen, obgleich sie von brāhmaṇas und kṣatriyas abstammten. Dies wissen in Indien auch heute noch die meisten, und daher bezeichnet man dort die Fleisch- und Fischesser im allgemeinen als Dämonen und Rākṣasas.
Als nun der Koch den Fisch aufschnitt, fand er in seinem Bauch einen hübschen Säugling, den er sogleich der Obhut seiner Küchenmagd Māyāvatī übergab. Diese war maßlos erstaunt und fragte sich, wie solch ein schönes Baby im Bauch eines Fisches hatte am Leben bleiben können. Da erschien der große Weise Nārada Muni und erklärte ihr alles über Pradyumna und dessen Geburt: wie das Kind von Śambara geraubt und ins Meer geworfen wurde usw. So wurde Māyāvatī oder Rati, der einstigen Frau des Liebesgottes, alles über Pradyumna mitgeteilt. Māyāvatī wußte, daß sie einst die Gemahlin des Liebesgottes gewesen war, und seitdem ihr Gatte durch Śivas Zorn zu Asche verbrannt wurde, hatte sie immer gehofft, daß er eines Tages wieder in seiner materiellen Gestalt zurückkommen werde.
Māyāvatīs Aufgabe in der Küche war es, Reis und dahl zu kochen, doch als ihr das hübsche Kind gegeben wurde und sie erfuhr, daß es der Liebesgott, ihr Gemahl war, nahm sie sich natürlich sogleich des Kindes an und badete es als erstes. Wie durch ein Wunder wuchs das Kind außerordentlich schnell heran und wurde schon nach kurzer Zeit zu einem überaus schönen Jüngling. Seine Augen glichen den Blütenblättern der Lotosblume, seine Arme waren sehr lang und reichten ihm bis an die Knie, und jede Frau, die ihn erblickte, wurde von seiner körperlichen Schönheit bezaubert.
Māyāvatī war sich bewußt, daß ihr ehemaliger Gatte, der Liebesgott, als Pradyumna wiedergeboren und nun zu einem wunderschönen Jüngling herangewachsen war, und so wurde auch sie allmählich von seiner Schönheit betört und empfand lüsternes Verlangen nach ihm. Sie lächelte ihn auf weiblich anziehende Art an und gab ihm so ihren Wunsch nach einer geschlechtlichen Vereinigung zu verstehen. Pradyumna fragte sie daher: »Wie ist es nur möglich, daß du, obwohl du mir anfangs wie eine Mutter zugetan warst, nun alle Merkmale einer lustvollen Frau zeigst? Wie kommt es, daß du dich so geändert hast?« Rati erwiderte ihm darauf: »Lieber Herr, du bist der Sohn Śrī Kṛṣṇas. Als du noch nicht einmal zehn Tage alt warst, wurdest du von dem Dämon Śambara geraubt und ins Meer geworfen, wo dich ein Fisch verschlang. So bist du in meine Obhut gelangt, doch eigentlich war ich in deinem vorherigen Leben als Liebesgott deine Frau. Deshalb ist es nichts Unrechtes, wenn sich nun Anzeichen von Verlangen nach dir bei mir zeigen. Śambara wollte dich töten, und er verfügt über vielerlei mystische Kräfte. Bevor er deshalb erneut versucht, dich umzubringen, töte ihn bitte am besten gleich mit deiner göttlichen Macht. Seit du von Śambara geraubt wurdest, trauert deine Mutter Rukmiṇī wie ein Kuckucksweibchen, das seine Jungen verloren hat. Sie liebt dich über alles, und seitdem du ihr weggenommen wurdest, lebt sie wie eine Kuh, die über den Verlust ihres Kalbes trauert.«
Māyāvatī besaß mystisches Wissen und übernatürliche Kräfte. Übernatürliche Kräfte werden im allgemeinen als māyā bezeichnet, und mit mahāmāyā, einer anderen mystischen Kraft, kann man ihnen entgegenwirken. Māyāvatī nun beherrschte eine mystische mahāmāyā-Kraft, und sie verlieh Pradyumna diese besondere Kraftenergie, damit er den Dämon Śambara und dessen mystischen Kräfte würde bezwingen können. Mit diesen mystischen Kräften seiner Frau trat Pradyumna unverzüglich vor Śambara und forderte ihn zum Kampf heraus. Pradyumna beschimpfte den Dämon, um ihn wütend zu machen und zum Kampf zu reizen. Śambara, getroffen durch Pradyumnas Worte, fühlte sich wie eine Schlange, die mit dem Fuß gestoßen wird. Eine Schlange kann es nicht ertragen, von einem andern Tier oder einem Menschen getreten zu werden, und beißt jeden, der dies wagt.
Śambara empfand die Worte Pradyumnas wie Tritte. Sogleich nahm er seine Keule und lief auf Pradyumna zu. Mit unbändiger Wut begann er auf Pradyumna einzuschlagen - jeder Schlag einem Blitz ähnlich, der in einen Berg einschlägt. Dabei knurrte der Dämon und machte einen Lärm wie eine donnernde Wolke. Pradyumna wehrte die Schläge mit seiner Keule ab und konnte ihm schließlich einen schweren Hieb versetzen. So begannen Pradyumna und Śambara, sich einen erbitterten Kampf zu liefern.
Doch Śambarāsura beherrschte auch mystische Kräfte, und so konnte er sich in die Lüfte erheben und vom Weltraum aus kämpfen. Es gibt nämlich einen Dämon mit Namen Maya, von dem Śambarāsura sämtliche mystischen Fähigkeiten erlernt hatte. Er stieg also hoch in den Himmel und begann von dort aus, auf Pradyumna die verschiedenartigsten Nuklearwaffen zu feuern. Da erinnerte sich Pradyumna einer mystischen Kraft, die als mahāvidyā bekannt ist und sich von der schwarzen Magie unterscheidet; mit ihr wollte er sich gegen Śambarāsuras mystische Kräfte helfen. Die mahāvidyā-Kraft gründet sich in der Erscheinungsweise der Reinheit. Da Śambara erkannte, daß er es mit einem furchtbaren Gegner zu tun hatte, brachte er die verschiedensten mystischen Dämonenkräfte, wie die der Guhyakas, der Gandharvas, der Piśācas, der Schlangen und der Rākṣasas, zur Anwendung. Doch obwohl der Dämon all seine mystischen Kräfte entfaltete und auch bei übernatürlicher Stärke Zuflucht suchte, gelang es Pradyumna stets, seinen Kräften und seiner Macht durch die überlegene Macht der mahāvidyā zu begegnen. Als Śambasura schließlich völlig geschlagen war, zog Pradyumna sein scharfes Schwert und schlug ihm damit ohne Zögern den mit einem Helm und kostbaren Edelsteinen geschmückten Kopf ab. Als Pradyumna so den Dämon tötete, ließen die Halbgötter von den höheren Planetensystemen einen wahren Blumenregen auf ihn niedergehen.
Pradyumnas Frau Māyāvatī konnte ebenfalls durch den Weltraum reisen, und so reisten sie durch die Lüfte nach Dvārakā, der Hauptstadt seines Vaters. Als sie sich über Śrī Kṛṣṇas Palast befanden, schwebten sie hernieder wie eine Wolke, die sich mit Blitzen auf den Erdboden sinken läßt. Den inneren Bereich eines Palastes bezeichnet man als antaḥpura oder »Privatgemächer«. Pradyumna und Māyāvatī sahen im antaḥpura viele Frauen, und sie setzten sich einfach zu ihnen. Als die Frauen Pradyumna erblickten, der in blaue Gewänder gekleidet war, mit langen Armen, lockigem Haar, schönen Augen, einem lächelnden, rötlichen Gesicht und Schmuck aus Edelsteinen und Geschmeiden, konnten sie ihn nicht als Pradyumna erkennen, eine Persönlichkeit verschieden von Kṛṣṇa. Sie alle fühlen sich durch die unverhoffte Anwesenheit Kṛṣṇas gesegnet und wollten sich schnell in einem anderen Teil des Palastes verstecken. Als die Frauen indessen nach einiger Zeit bemerkten, daß Pradyumna nicht alle Merkmale Kṛṣṇas besaß, kamen sie aus Neugier zurück, um ihn und seine Frau Māhāvatī näher zu betrachten. Weil er so außergewöhnlich schön war, rätselten sie alle, wer er wohl sein mochte. Unter den Frauen war auch Rukmiṇī-devī, die mit ihren lotosähnlichen Augen ebenso schön war wie er. Als sie Pradyumna sah, mußte sie natürlicherweise an ihren Sohn denken, und aus mütterlicher Zuneigung begann Milch aus ihren Brüsten zu fließen. Sie fragte sich verwundert: »Wer ist nur dieser blühende Jüngling? Seine Schönheit findet nicht ihresgleichen. Wer ist die glückliche junge Frau, die ihn aus ihrem Schoß gebären und seine Mutter werden durfte? Und wer ist die junge Frau, die ihn begleitet? Wie haben sie sich getroffen? Wenn ich mich an meinen eigenen Sohn erinnere, der aus dem Mutterhaus entführt wurde, kann ich nur vermuten, daß er, wenn er noch irgendwo lebt, inzwischen wie dieser Jüngling hier aussehen muß.« Durch Eingebung ahnte Rukmiṇī, daß Pradyumna ihr eigener verlorener Sohn sei. Sie bemerkte auch, daß Pradyumna Kṛṣṇa in jeder Hinsicht ähnelte, und daher fragte sie sich voller Verwunderung, wie er zu all diesen Merkmalen Kṛṣṇas gelangt sei. Insgeheim dachte sie schließlich, der Jüngling müsse ihr eigener erwachsener Sohn sein, denn sie verspürte große Zuneigung zu ihm, und ihr linker Arm zitterte, was ein glückverheißendes Zeichen ist.
Gerade in diesem Augenblick erschien Śrī Kṛṣṇa gemeinsam mit Seinem Vater Vasudeva und Seiner Mutter Devakī. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, wußte natürlich alles, doch in diesem Fall schwieg Er. Dafür erschien durch Seinen Willen der große Weise Nārada im Palast und offenbarte alles, was mit Pradyumna geschehen war: wie er aus dem Mutterhaus geraubt wurde, wie er aufwuchs und wie er schließlich seine Frau, Māyāvatī, fand, die bereits früher, als Rati, die Frau des Liebesgottes gewesen war. Als die Anwesenden alles über Pradyumnas rätselhaftes Verschwinden und sein Heranwachsen erfahren hatten, waren sie ganz überwältigt; sie hatten ihren totgeglaubten Sohn wiederbekommen, als sie bereits fast alle Hoffnung auf seine Rückkehr aufgegeben hatten. Sowie sie erfuhren, daß es Pradyumna war, der vor ihnen stand, hießen sie ihn mit großer Freude willkommen. Alle Mitglieder der Familie - Devakī, Vasudeva, Śrī Kṛṣṇa, Balarāma, Rukmiṇī und alle anderen Frauen der Familie - umarmten eines nach dem anderen Pradyumna und seine Frau Māyāvatī. Als dann die Nachricht von Pradyumnas Rückkehr in ganz Dvārakā bekannt wurde, kamen die erstaunten Bürger eilig herbei, um den verlorengeglaubten Pradyumna zu sehen. Sie sagten: »Der totgeglaubte Sohn ist zurückgekommen, was könnte es Schöneres geben?«
Śrīla Śukadeva Gosvāmī hat erklärt, daß die Palastbewohner, die alle Mütter oder Stiefmütter Pradyumnas waren, ihn zuerst für Kṛṣṇa hielten und später in Verlegenheit gerieten, da sie von dem Verlangen nach ehelicher Liebe ergriffen wurden. Dies erklärt sich dadurch, daß Pradyumna von gleichem Aussehen war wie Kṛṣṇa und überdies der Liebesgott in Person. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, daß die Mütter Pradyumnas wie auch andere Frauen ihn mit dem Herrn verwechselten. Aus Śukadeva Gosvāmīs Erklärung wird deutlich, daß Pradyumnas körperliche Erscheinung der Kṛṣṇas so sehr glich, daß ihn sogar seine Mutter für Kṛṣṇa hielt.