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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
81. Kapitel:
 
Krishna
 
Śrī Kṛṣṇas und Balarāmas Wiedersehen mit den Bewohnern von Vṛndāvana


 

Eines Tages, während Śrī Kṛṣṇa und Balarāma Sich friedlich in ihrer großen Stadt Dvārakā aufhielten, fand das seltene Ereignis einer völligen Sonnenfinsternis statt, wie sie sich auch am Ende jedes kalpas oder Tages Brahmās ereignet. Am Ende jedes kalpas wird die Sonne von einer riesigen Wolke verdeckt, und unaufhörliche Regenfälle überfluten alle niedrigen Planetensysteme bis hinauf zum Svargaloka. Anhand astronomischer Berechnungen konnte man den Leuten die große Sonnenfinsternis ankündigen, worauf alle, Männer sowie Frauen, beschlossen, in Samanta-pañcana, einem heiligen Ort bei Kurukṣetra, zusammenzukommen.

Der Pilgerort Samanta-pañcana ist berühmt, weil Śrī Paraśurāma dort große Opfer darbrachte, nachdem Er einundzwanzigmal alle kṣatriyas der Welt besiegt hatte. Als Er alle kṣatriyas erschlagen hatte, vereinigte sich ihr Blut zu einem gewaltigen Strom, worauf Paraśurāma bei Samanta-pañcana fünf große Täler grub und sie mit dem Blut füllte.

Paraśurāma gehört zum Viṣṇu-tattva. In der Śrī Īśopaniṣad wird erklärt, daß das Viṣṇu-tattva niemals von Sünden befleckt wird. Dennoch, obwohl Śrī Paraśurāma stets völlige Macht und Unbeflecktheit bewahrt, führte Er, um das Beispiel eines vorbildlichen Charakters zu geben, bei Samanta-pañcana große Opferungen durch, um für Sein scheinbar sündiges Töten der kṣatriyas Buße zu tun. Durch Sein Beispiel machte Paraśurāma deutlich, daß Töten, obwohl manchmal nötig, nichts Gutes ist. Śrī Paraśurāma hielt Sich wegen der sündigen Tat, die die Tötung der kṣatriyas darstellte, für schuldbeladen; um wieviel schuldbeladener müssen dann erst wir sein, wenn wir solch abscheuliche, unzulässige Handlungen begehen? Das Töten von Lebewesen ist seit unvordenklichen Zeiten überall auf der Welt verboten.

Alle bedeutenden Persönlichkeiten der damaligen Zeit nahmen die Gelegenheit der Sonnenfinsternis wahr, den heiligen Pilgerort zu besuchen. Einige der Persönlichkeiten, die aufgezählt werden, sind folgende: Unter den Älteren befanden sich Akrūra, Vasudeva und Ugrasena und unter den Jüngeren Gada, Pradyumna, Sāmba und viele andere Angehörige der Yadu-Dynastie, die in der Absicht gekommen waren, ihre Sünden zu sühnen, die sie im Laufe der Zeit bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Pflichten auf sich geladen hatten. Weil fast alle Angehörigen der Yadu-Dynastie nach Kurukṣetra zogen, blieben einige bedeutende Persönlichkeiten, wie Aniruddha, der Sohn Pradyumnas, und Kṛtavarmā, der Oberbefehlshaber der Yadus, gemeinsam mit Sucandra, Śuka und Sāraṇa zum Schutz der Stadt in Dvārakā zurück. Alle Angehörigen der Yadu-Dynastie waren bereits von Natur aus von außergewöhnlicher Schönheit, doch als sie mit goldenen Halsketten und Blumengirlanden geschmückt, in kostbare Gewänder gekleidet und wohlversehen mit ihren persönlichen Waffen in Kurukṣetra eintrafen, schien ihre natürliche Schönheit und Würde hundertmal größer. Sie kamen in prächtig verzierten, den Luftfahrzeugen der Halbgötter ähnlichen Wagen, die von stattlichen, sich wie Meereswellen bewegenden Pferden gezogen wurden. Einige ritten auch auf mächtigen, starken Elefanten, die wie am Himmel ziehende Wolken einherschritten, und die Frauen wurden von schönen Männern, die dem Aussehen nach Vidyādharas glichen, in prächtigen Sänften getragen. Die ganze Gesellschaft bot ein so schönes Bild wie eine Versammlung der Halbgötter des Himmels.

Nachdem die Yadus in Kurukṣetra eingetroffen waren, nahmen sie ein rituelles Bad, mit aller Beherrschung der Sinne, wie die śāstras es vorschreiben, und fasteten für die ganze Dauer der Sonnenfinsternis, um die Reaktionen auf ihre Sünden zu tilgen. Da es vedischer Brauch ist, während einer Sonnenfinsternis so viele milde Gaben wie möglich zu verteilen, schenkten sie den brāhmaṇas Hunderte von Kühen, die reichlich mit schönen Decken und Gehängen geschmückt waren und als Besonderheit goldene Glöckchen an den Gelenken und um ihre Nacken Blumengirlanden trugen.

Sodann nahmen alle Angehörigen der Yadu-Dynastie noch einmal ein Bad in den von Parasurāma geschaffenen Seen und speisten anschließend die brāhmaṇas mit vorzüglich gekochten Speisen, die alle in Butter zubereitet waren. Nach vedischer Lebenskultur gibt es zwei Arten von Speisen; die einen bezeichnet man als Rohkost und die anderen als Gebackenes. Rohkost bedeutet nicht etwa nur rohes Gemüse oder rohes Getreide, sondern auch alles in Wasser Gekochte; Gebackenes dagegen sind Speisen, die mit Ghee (Butterfett) hergestellt werden. Capatis, dhal, Reis und gewöhnliches Gemüse bezeichnet man also, ebenso wie Früchte und Salate, als Rohkost, wohingegen purīs, kacuris, saṅgosas, »Sweetballs« und ähnliche Speisen zu Gebackenem zählen. Alle brāhmaṇas, die von den Angehörigen der Yadu-Dynastie zu der Festlichkeit geladen waren, erhielten in Ghee gebackene Speisen in reichlicher Fülle.

Die Zeremonien, die die Angehörigen der Yadu-Dynastie begingen, ähnelten oberflächlich betrachtet den Riten der karmīs. Wenn ein karmī Riten oder Zeremonien vollzieht, tut er dies zum Zwecke der Sinnenbefriedigung, d.h., er verspricht sich von solch frommen Handlungen eine gute Stellung, eine gute Frau, ein gutes Haus, gute Kinder oder viel Reichtum. Der Beweggrund der Angehörigen der Yadu-Dynastie war jedoch ein anderer. Sie wollten Kṛṣṇa ihr unerschütterliches Vertrauen und ihre ewigwährende Hingabe zeigen. Alle Angehörigen der Yadu-Dynastie waren große Gottgeweihte, die nach vielen Leben, während derer ihr karma durch fromme Taten bereichert worden war, die Gunst erhielten, mit Kṛṣṇa Zusammensein zu dürfen. Bei all ihren Tätigkeiten - während sie sich anschicken, an dem Pilgerort ihr Bad zu nehmen, während sie die bei einer Sonnenfinsternis empfohlenen Prinzipien befolgten und während sie die brāhmaṇas speisten - waren sie nur auf Hingabe an Kṛṣṇa bedacht. Ihr verehrter Höchster Herr war Kṛṣṇa, und niemand sonst.

Es ist Brauch, daß nach der Speisung der brāhmaṇas der Gastgeber mit deren Erlaubnis selbst prasāda zu sich nimmt, und so nahmen auch die Angehörigen der Yadu-Dynastie, nachdem die brāhmaṇas eingewilligt hatten, ihr Mahl ein. Alsdann suchten sie sich Ruheplätze unter großen schattigen Bäumen, und als sie ausgiebig gerastet hatten, schickten sie sich an, Besucher, wie Verwandte, Freunde und viele Könige und Herrscher unterworfener Länder, zu begrüßen. Unter diesen befanden sich die Herrscher der Provinzen Matsya, Kuru, Uśīara, Kośala, Vidharba, Sṛñjaya, Kāmboja, Kekaya und noch vieler anderer Bezirke und Länder. Einige der Herrscher gehörten zu den Gegnern, andere zu den Freunden der Yadus. Doch von allen waren die Besucher aus Vṛndāvana am wichtigsten. Die Bewohner von Vṛndāvana, deren Führer Nanda Mahārāja war, hatten, getrennt von Kṛṣṇa und Balarāma, in großer Verzweiflung gelebt. Nun nutzten sie das Ereignis der Sonnenfinsternis dazu, Kṛṣṇa und Balarāma, ihr Leben und ihre Seele, wiederzusehen.

Die Bewohner von Vṛndāvana waren der Yadu-Dynastie wohlgesinnt; einige waren sogar eng befreundet, und so war die Begegnung der beiden Gemeinschaften nach so langer Zeit der Trennung ein ergreifender Augenblick. Sowohl die Yadus als auch die Bewohner von Vṛndāvana empfanden solche Freude, daß die Begrüßung einem großen Schauspiel glich. Nun, da sie sich nach langer Trennung wiedersahen, erfüllte sie alle Jubel; ihre Herzen schlugen ihnen bis zum Halse, und ihre Gesichter glichen frisch erblühten Lotosblumen. Tränen standen ihnen in den Augen; ihre Körperhaare sträubten sich, und in ihrer großen Seligkeit waren sie für einige Zeit unfähig zu sprechen. Sie versanken in einem Meer des Glücks.

Das Willkommen der Frauen war wie das der Männer. Man umarmte sich überaus herzlich und glücklich lächelte man sich an. Bei der Umarmung übertrug sich das Safran des kuṅkuma-Puders auf den Brüsten der Frauen von einer zur anderen, und alle verspürten himmlisches Glück. Während die Tränen der Freude in Strömen flössen, brachten die jüngeren den Älteren ihre Ehrerbietungen dar, und die Älteren segneten die Jüngeren. So begrüßten sie einander und erkundigten sich nach dem gegenseitigen Wohlergehen. Schließlich hatten ihre Gespräche nur noch Kṛṣṇa zum Gegenstand. Alle Nachbarn und Verwandten waren auf irgendeine Weise mit Kṛṣṇas Spielen in dieser Welt verbunden, und deshalb war Kṛṣṇa der Mittelpunkt all ihres Tuns. Jede ihrer Tätigkeiten, ob gesellschaftlicher, politischer, religiöser oder traditioneller Art, war völlig transzendental.

Wirklicher Fortschritt im menschlichen Leben beruht auf Wissen und Entsagung. Wie im Śrīmad-Bhāgavatam im Ersten Canto erklärt wird, bringt hingebungsvoller Dienst für Kṛṣṇa ganz allein vollkommenes Wissen und Entsagung mit sich. Die Familienangehörigen der Yadu-Dynastie und die Kuhhirten aus Vṛndāvana richteten ihre Gedanken ständig auf Kṛṣṇa. Das ist das Zeichen wirklichen Wissens, und da sie in Gedanken stets bei Kṛṣṇa weilten, waren sie von allen materiellen Tätigkeiten frei. Diese Lebensstufe wird, wie Śrīla Rūpa Gosvāmī erklärt, yukta-vairāgya genannt. Wissen und Entsagung bedeuten daher nicht trockenes Spekulieren und Entsagungen aller Tätigkeiten. Vielmehr muß man beginnen, nur in Beziehung zu Kṛṣṇa zu handeln und zu sprechen.

Bei der Begegnung zu Kurukṣetra trafen sich auch Kuntīdevī und Vasudeva, die Geschwister waren, nach langer Zeit der Trennung wieder, und zwar gemeinsam mit ihren Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern, Frauen, Kindern und anderen Familienangehörigen. Als sie miteinander sprachen, vergaßen sie bald ihre vergangenen Nöte. Kuntīdevī sagte zu ihrem Bruder Vasudeva: »Mein lieber Bruder, auf mir ruht das Unglück, denn nicht ein einziger meiner Wünsche ist jemals in Erfüllung gegangen. Wie sonst wäre es auch möglich gewesen, daß du, obwohl ich in dir einen so frommen Bruder habe, der in jeder Hinsicht vollkommen ist, nicht danach fragtest, wie ich meine Tage in so großem Leid zubrachte.« Ganz offenbar erinnerte sich Kuntīdevī an die leidvolle Zeit, da sie durch die üblichen Pläne Dhṛtarāṣṭras und Dhuryodhanas mit ihren Söhnen in der Verbannung leben mußte. Sie sagte weiter:

»Mein lieber Bruder, ich weiß, daß selbst die engsten Verwandten jemanden vergessen, gegen den das Schicksal sich wendet. In einer solchen Lage wird man sogar von seinem Vater, seiner Mutter und den eigenen Kindern vergessen. Deshalb, mein lieber Bruder, mache ich dir keine Vorwürfe.«

Vasudeva entgegnete seiner Schwester: »Liebe Schwester, sei nicht traurig und tadele mich bitte nicht auf diese Weise. Wir sollten uns stets vergegenwärtigen, daß wir nur Spielzeuge in den Händen des Schicksals sind. Jeder steht unter der Macht des Höchsten Persönlichen Gottes. Ganz allein unter Seiner Aufsicht finden alle fruchtbringenden Tätigkeiten und ihre Reaktionen statt. Liebe Schwester, du weißt, daß uns König Kaṁsa arg plagte und wir durch seine Verfolgung überallhin vertrieben wurden. Wir waren ständig voller Ängste. Erst vor kurzer Zeit konnten wir durch Gottes Gnade zu unseren Wohnsitzen zurückkehren.«

Nach dieser Unterhaltung empfingen Vasudeva und Ugrasena die Könige, die gekommen waren, um sie zu treffen, und hießen sie gebührend willkommen. Als die Besucher sahen, daß auch Kṛṣṇa gekommen war, verspürten sie transzendentale Freude und wurden sehr friedvoll. Einige der bedeutendsten Besucher waren Bhīṣmadeva, Droṇācārya, Dhrtarāṣṭra, Duryodhana, Gāndhārī mit ihren Söhnen, König Yudhiṣṭhira mit seiner Frau, die anderen Pāṇḍavas und Kuntī, Sṛñjaya, Vidura, Kṛpācārya, Kuntibhoja, Virāṭa, König Nagnajit, Purujit, Drupada, Śalya, Dhṛṣṭaketu, der König von Kāśī, Damaghoṣa, der König von Mithilā, der König von Madras (früher als Madra bekannt), der König von Kekaya, Yudhāmanyu, Suśarmā, Bālīka mit seinen Söhnen und viele andere Herrscher, die König Yudhiṣṭhira Untertan waren.

Als sie Śrī Kṛṣṇa mit Seinen vielen tausend Königinnen sahen, erfüllte sie angesichts so vieler Schönheit und transzendentaler Fülle völlige Zufriedenheit. Sie alle begaben sich persönlich vor Balarāma und Kṛṣṇa, und nachdem der Herr sie gebührend begrüßt hatte, begannen sie die Abkömmlinge der Yadu-Dynastie, insbesondere Kṛṣṇa und Balarāma, zu preisen. Weil König Ugrasena der König der Bhoja-Dynastie war, galt er auch als der führende Yadu, und deshalb sagten die Besucher zu ihm: »Eure Majestät, Ugrasena, König der Bhojas, die Yadus sind wirklich die einzigen Menschen auf dieser Welt, die in jeder Hinsicht vollkommen sind. Ruhm über euch! Ruhm über euch! Die Besonderheit eurer Vollkommenheit besteht darin, daß ihr ständig Śrī Kṛṣṇa seht, nach dem viele yoga-Mystiker suchen, indem sie sich viele Jahre lang Entsagungen und Bußen unterziehen. Ihr alle seid in jedem Augenblick unmittelbar mit Kṛṣṇa verbunden.

Alle vedischen Hymnen preisen Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott. Das Gangeswasser gilt als heilig, weil es das Wasser ist, das dazu diente, Kṛṣṇas Lotosfüße zu waschen. Die vedischen Schriften sind nichts anderes als Śrī Kṛṣṇas Anweisungen. Das Ziel des Studiums der Veden ist es, Kṛṣṇa zu erkennen; daher haben Śrī Kṛṣṇas Worte und die Erzählungen von Seinen Spielen stets eine läuternde Wirkung. Durch den Einfluß von Zeit und Umständen waren alle Reichtümer dieser Welt fast vollständig aufgebraucht worden, doch mit Kṛṣṇas Erscheinen auf diesem Planeten sind durch die Berührung Seiner Lotosfüße alle glückverheißenden Zeichen wieder erschienen. Durch Seine Anwesenheit gehen nach und nach alle unsere Sehnsüchte und Wünsche in Erfüllung. Ihr, o Majestät, König von Bhoja, seid durch Heiraten und Blutsverwandschaft mit der Yadu-Dynastie verbunden. Infolgedessen seid ihr ständig mit Kṛṣṇa zusammen und könnt Ihn ohne weiteres jederzeit sehen. Śrī Kṛṣṇa bewegt Sich unter euch, spricht mit euch, sitzt mit euch, ruht mit euch und ißt mit euch. Die Yadus scheinen zwar weltlichen Tätigkeiten nachzugehen, die wie man sagt, auf königlichen Straßen zur Hölle führen, doch weil Śrī Kṛṣṇa, der ursprüngliche Höchste Persönliche Gott, der zur Kategorie Viṣṇus gehört und allwissend, allgegenwärtig und allmächtig ist, bei euch weilt, seid ihr alle von der materiellen Verunreinigung befreit und auf der transzendentalen Ebene der Befreiung und des Daseins im Brahman verankert.«

Die Einwohner von Vṛndāvana, deren Oberhaupt Mahārāja Nanda war, hatten beschlossen, nach Kurukṣetra zu fahren, als sie davon hörten, daß auch Kṛṣṇa Sich anläßlich der Sonnenfinsternis dort aufhalten werde, und somit waren nun nahezu alle Angehörigen der Yadu-Dynastie versammelt. König Nanda hatte mit seinen Kuhhirten alles nötige Gepäck auf Ochsenwagen geladen, und dann waren alle Bewohner Vṛndāvanas nach Kurukṣetra gezogen, um ihre geliebten Söhne Kṛṣṇa und Balarāma wiederzusehen. Als die Kuhhirten aus Vṛndāvana in Kurukṣetra eintrafen, waren die Yadus alle hocherfreut. Sobald sie die Einwohner von Vṛndāvana erblickten, erhoben sie sich, um sie willkommen zu heißen, und es schien, als seien sie zu neuem Leben erwacht. Beide Seiten hatten sich sehr nach einer Begegnung gesehnt, und als sie sich nun endlich gegenüberstanden, umarmten sie sich nach Herzenslust und hielten sich für lange Zeit umfangen.

Als Vasudeva Nanda Mahārāja gewahrte, machte er Luftsprünge und lief auf ihn zu um ihn liebevoll zu umarmen. Vasudeva erzählte, was sich zugetragen hatte, wie er nämlich von König Kaṁsa gefangen genommen wurde, wie seine neugeborenen Kinder getötet wurden, wie er Kṛṣṇa gleich nach der Geburt zum Haus Nanda Mahārājas brachte und wie Kṛṣṇa und Balarāma von Nanda und seiner Königin Yaśodā aufgezogen wurden, als seien sie deren eigene Kinder. Auch Balarāma und Kṛṣṇa umarmten König Nanda und Mutter Yaśodā und brachten ihren Lotosfüßen Ehrerbietungen dar, indem Sie Sich vor ihnen verneigten. Im Überschwang Ihrer liebevollen Gefühle für Nanda und Yaśodā, die denen von Kindern für ihre Eltern glichen, versagte Kṛṣṇa und Balarāma oft die Stimme, so daß Sie Augenblicke ganz stumm waren. Der glückliche König Nanda und Mutter Yaśodā nahmen ihre Söhne auf den Schoß und umarmten Sie innig. Die Trennung von Kṛṣṇa und Balarāma hatten sie beide lange Zeit stark empfunden, nun aber, da sie Sie wiedersahen und umarmten, schwand ihr Leid. Kṛṣṇas Mutter Devakī und Balarāmas Mutter Rohiṇī umarmten auch Mutter Yaśodā und sagten: »Liebe Königin Yaśodādevī, Du und Nanda Mahārāja, ihr seid uns stets gute Freunde gewesen, und sobald wir an euch denken, überkommt uns die Erinnerung an Eure Freundschaft. Wir stehen so tief in eurer Schuld, daß wir euch, selbst wenn wir eure Segnungen mit dem Reichtum des Himmelskönigs vergelten wollten, euer freundschaftliches Verhalten nicht danken könnten. Wir werden niemals eure Güte uns gegenüber vergessen. Kṛṣṇa und Balarāma wurden gleich nach Ihrer Geburt, noch bevor Sie Ihre wirkliche Eltern zu Gesicht bekamen, eurer Obhut anvertraut, und ihr habt Sie wie eure eigenen Kinder aufgezogen und Sie umhegt wie Vögel ihre Jungen im Nest. Ihr habt Sie ernährt, versorgt und geliebt und viele glückbringende Zeremonien zu Ihrem Wohl abgehalten.«

»Im Grunde sind diese beiden gar nicht unsere Söhne, sondern gehören euch. Nanda Mahārāja und du, ihr seid die eigentlichen Eltern Kṛṣṇas und Balarāmas. Solange Sie in eurer Obhut lebten, gab es für Sie nicht die geringste Schwierigkeit. Unter eurem Schutz gab es für Sie niemals Anlaß zur Furcht. Die überaus liebevolle Fürsorge, die ihr Ihnen habt zukommen lassen, entspricht ganz eurer hohen Stellung. Wirklich hochherzige Persönlichkeiten machen keinen Unterschied zwischen ihren eigenen Söhnen und den Söhnen anderer, und es kann keine hochherzigeren Persönlichkeiten geben als Nanda Mahārāja und dich.

Was nun die gopīs von Vṛndāvana betraf, so kannten sie von Anbeginn ihres Lebens nichts anderes als Kṛṣṇa. Kṛṣṇa und Balarāma waren ihr Leben und ihre Seele, und die gopīs hingen so sehr an Krṣṇa, daß es für sie sogar unerträglich war, Ihn für den Augenblick nicht zu sehen, wenn ihre Augenlider blinzelten und sie am Sehen hinderten. Sie verdammten Brahmā, den Schöpfer des Körpers, daß er so dumm gewesen sei, Augenlider zu machen, die blinzeln und sie davon abhielten, Kṛṣṇa zu sehen. Weil sie von Kṛṣṇa so viele Jahre getrennt gewesen waren, empfanden die gopīs, die mit Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā gekommen waren, höchste Verzückung, als sie Kṛṣṇa jetzt wiedersahen. Man kann sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie sehr die gopīs sich danach gesehnt hatten, Kṛṣṇa wiederzusehen. Als sie Ihn nun erblickten, nahmen sie Ihn durch die Augen in ihre Herzen auf und umarmten Ihn nach Herzenslust. Obwohl sie Kṛṣṇa nur in Gedanken in die Arme nahmen, wurden sie so sehr von Seligkeit und Freude überwältigt, daß sie alles um sich herum vergaßen. Die Verzückung, die die gopīs erfuhren, als sie Kṛṣṇa im Geist umarmten, können nicht einmal die großen yogis erreichen, die ständig in Meditation über den Höchsten Persönlichen Gott versunken sind. Kṛṣṇa verstand, daß die gopīs in Ekstase verfielen, als sie Ihn in Gedanken umarmten, und da Er im Herzen eines jeden anwesend ist, erwiderte Er ihre Umarmungen im Innern.

Kṛṣṇa saß bei Mutter Yaśodā und Seinen anderen Müttern Devakī und Rohiṇī, doch als sie sich angeregt unterhielten, nahm Er die Gelegenheit war und begab Sich an eine abgelegene Stelle, um Sich dort mit den gopīs zu treffen. Als Er den gopīs entgegenging, begann Er zu lächeln, und nachdem Er sie umarmt und Sich nach ihrem Wohlergehen erkundigt hatte, munterte Er sie auf, indem Er sagte: »Meine lieben Freundinnen, wie ihr wißt, verließen Balarāma und Ich Vṛndāvana nur, um Unseren Verwandten und Familienangehörigen eine Freude zu bereiten. Dann waren Wir lange davon in Anspruch genommen, mit Unseren Feinden zu kämpfen, weshalb Wir gezwungen waren, euch zu vergessen, die ihr mit so viel Liebe und Zuneigung an Mir hängt. Mir ist bewußt, daß Ich damit sehr undankbar gewesen bin, doch weiß Ich, daß ihr dennoch euren Glauben an Mich bewahrt habt. Darf ich euch fragen, ob ihr immer an Uns gedacht habt, obwohl Wir euch verlassen hatten? Oder, Meine lieben gopīs, mißfällt es euch, an Mich zu denken, weil ihr Mich für undankbar haltet? Nehmt ihr Mein schlechtes Betragen sehr ernst?

Doch wie es auch sein mag, ihr solltet wissen, daß es nicht Meine Absicht war, euch zu verlassen. Unsere Trennung war eine Fügung der Vorsehung, die ohnehin die höchste Kontrolle ausübt und tut, was ihr beliebt. Sie führt manche Menschen zusammen und trennt sie dann wieder, ganz wie es ihr gefällt. An einem wolkigen Tag kann man beobachten, wie winzige Staubteilchen und zerrissene Baumwollfasern sich im starken Wind miteinander verwirren und, sobald sich der Sturm gelegt hat, wieder voneinander trennen und in verschiedene Richtungen geweht werden. Der Höchste Herr nun ist der Schöpfer alles Bestehenden. Alle Dinge, die wir sehen, sind verschiedene Manifestationen Seiner Energie. Durch Seinen höchsten Willen werden wir manchmal vereint und manchmal voneinander getrennt. Daraus können wir schließen, daß wir letzten Endes völlig von Seinem Willen abhängig sind.

Ihr Glücklichen habt liebevolle Zuneigung zu Mir entwickelt, die das einzige ist, wodurch man die transzendentale Ebene der Gemeinschaft mit Mir erreichen kann. Jedes Lebewesen, das solch reine hingebungsvolle Zuneigung zu Mir entwickelt, geht ohne Zweifel am Ende zurück nach Hause, zurück zu Gott. Reines hingebungsvolles Dienen und Zuneigung zu Mir sind die Ursachen höchster Befreiung.

Meine lieben gopī-Freundinnen, wisset von Mir, daß es allein Meine Energien sind, die überall wirken. Nehmt zum Beispiel einen irdenen Krug: Er ist nichts weiter als eine Zusammensetzung aus Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther und besteht immer aus den gleichen chemischen Bestandteilen - sowohl am Anfang als auch während seines Bestehens, wie auch nach seiner Vernichtung. Wenn der irdene Krug hergestellt wird, wird er aus Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther gemacht; während er besteht, ist seine Zusammensetzung die gleiche, und wenn er zerbrochen und vergangen ist, bleiben seine Bestandteile in verschiedenen Formen der materiellen Energie existent. In ähnlicher Weise ist bei der Schöpfung der kosmischen Manifestation, während ihrer Erhaltung und nach ihrer Auflösung alles Bestehende nur eine bestimmte Offenbarung Meiner Energie. Und da Meine Energie nicht von Mir getrennt ist, muß man wissen, daß Ich in allem vorhanden bin.

Ebenso ist der Körper des Lebewesens nichts weiter als eine Zusammensetzung aus diesen fünf Elementen, und das Lebewesen, das sich in materieller Form verkörpert hat, ist ebenfalls ein Teil Meinerselbst. Das Lebewesen ist nur deshalb in der materiellen Bedingtheit gefangen, weil es die falsche Vorstellung hat, selbst der höchste Genießer zu sein. Diese falsche Ich-Vorstellung des Lebewesens ist die Ursache seiner Gefangenschaft im materiellen Dasein. Als die Höchste Absolute Wahrheit bin Ich transzendental zu den Lebewesen und ihren materiellen Verkörperungen. Die beiden Energien, nämlich die materielle und die spirituelle, wirken unter Meiner höchsten Aufsicht. Meine lieben gopīs, Ich bitte euch alles in philosophischer Haltung hinzunehmen, anstatt bekümmert zu sein. Dann werdet ihr nämlich verstehen, daß ihr immer bei Mir seid, und daß kein Grund zur Klage über eine Trennung von Mir besteht.«

Diese wichtigen Unterweisung, die Śrī Kṛṣṇa den gopīs gab, kann von allen Gottgeweihten, die sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigen, genutzt werden. Die ganze Philosophie beruht auf dem unvorstellbaren gleichzeitigen Eins- und Verschiedensein des Herrn. In der Bhagavad-gītā sagt Kṛṣṇa, daß Er überall in Seinem unpersönlichen Aspekt anwesend ist. Alles ist in Ihm, aber zugleich ist Er nicht persönlich überall gegenwärtig. Die kosmische Manifestation ist nichts weiter als eine Entfaltung von Kṛṣṇas Energie, und weil die Energie vom Energieursprung nicht verschieden ist, unterscheidet sich nichts von Kṛṣṇa. Wenn es uns an diesem absoluten Bewußtsein, dem Kṛṣṇa-Bewußtsein, fehlt, sind wir von Kṛṣṇa getrennt; wenn wir jedoch so glücklich sind, Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt zu haben, sind wir von Kṛṣṇa nicht getrennt. Der Vorgang des hingebungsvollen Dienens besteht in der Wiedererweckung des Kṛṣṇa-Bewußtseins, und wenn der Gottgeweihte in der glücklichen Lage ist zu verstehen, daß materielle Energie nicht von Kṛṣṇa getrennt ist, vermag er die materielle Energie und ihre Schöpfungen im Dienst des Herrn zu verwenden. Wenn es ihm jedoch an Kṛṣṇa-Bewußtsein mangelt, beansprucht das vergeßliche Lebewesen, obwohl es eigentlich ein Teil Kṛṣṇas ist, zu Unrecht die Stellung des Genießers der materiellen Welt, und da es hierdurch ins Materielle verstrickt wird, zwingt die materielle Energie es, im materiellen Dasein zu bleiben. Dies wird auch in der Bhagavad-gītā bestätigt: Obwohl das Lebewesen von der materiellen Energie zum Handeln gezwungen wird, bildet es sich fälschlich ein, selbst das ein und alles und der höchste Genießer zu sein.

Wenn der Gottgeweihte wirklich begreift, daß die arcā-vigraha, die transzendentale Bildgestalt Śrī Kṛṣṇas im Tempel, genau die gleiche sac-cid-ānanda-vigraha ist wie Kṛṣṇa Selbst, wird sein Dienst für die transzendentale Bildgestalt im Tempel zu einem direkten Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott. Ebenso wie die Bildgestalt, sind auch der Tempel, die Tempeleinrichtung und die Speisen, die der Bildgestalt geopfert werden, nicht von Kṛṣṇa getrennt. Man muß den Regeln und Vorschriften der ācāryas folgen, und kann so unter höherer Führung Kṛṣṇa schon im materiellen Dasein vollständig erkennen.

Nachdem die gopīs von Kṛṣṇa in der Philosophie des gleichzeitigen Eins- und Verschiedenseins unterwiesen worden waren, blieben sie für immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein und wurden so von aller materiellen Verunreinigung befreit. Das Bewußtsein eines Lebewesens, das sich fälschlich zum Genießer der materiellen Welt erklärt, wird jīva-kośa genannt, was soviel wie »Gefangensein durch das falsche Ich« bedeutet. Nicht nur die gopīs, sondern jeder, der den besagten Anweisungen Kṛṣṇas folgt, wird sogleich aus der jīva-kośa-Gefangenschaft befreit. Ein Mensch im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist stets frei von falscher Selbstsucht; er verwendet alles in Kṛṣṇas Dienst und ist niemals von Kṛṣṇa getrennt.

Die gopīs beteten daher zu Kṛṣṇa: »Lieber Kṛṣṇa, aus Deinem Nabel wuchs die ursprüngliche Lotosblume, der Geburtsort Brahmās, des Schöpfers. Niemand kann Deine Herrlichkeit und Deine Füllen ermessen, weshalb sie selbst den nachdenklichsten Menschen, den Meistern aller yoga-Kräfte, immer ein Geheimnis bleiben. Die bedingte Seele, die in den dunklen Brunnen des materiellen Daseins gefallen ist, kann jedoch sehr leicht Schutz bei Deinen Lotosfüßen suchen. Tut sie das, ist ihre Befreiung sicher.« Die gopīs fuhren fort: »Lieber Kṛṣṇa, wir sind ständig mit unseren Familienpflichten beschäftigt. Deshalb bitten wir Dich, wie die aufgehende Sonne in unseren Herzen zu bleiben! Das wäre für uns die allergrößte Segnung.«

Die gopīs sind ewig befreite Seelen, denn sie sind völlig Kṛṣṇa-bewußt. Sie gaben nur vor, in Vṛndāvana in Haushaltspflichten gefangen zu sein. Trotz ihrer langen Trennung von Kṛṣṇa begehrten die Einwohner von Vṛndāvana, die gopīs, nicht, dem Herrn in Seine Hauptstadt Dvārakā zu begleiten. Sie wollten weiterhin in Vṛndāvana bleiben und Seine Anwesenheit dort in jedem Augenblick ihres Lebens erfahren. Daher luden sie Śrī Kṛṣṇa ein, nach Vṛndāvana zurückzukommen. Das transzendentale Gefühlsleben der gopīs bildet die Grundlage der Lehre Śrī Caitanyas. Das Ratha-yātrā-Fest, das Śrī Caitanya veranstaltete, stellt das Gefühlserlebnis der gopīs dar, als sie Kṛṣṇa nach Vṛndāvana zurückzuholen versuchten. Śrīmatī Rādhārāṇī lehnte es ab, mit Kṛṣṇa nach Dvārakā zu gehen und sich dort, in einer Umgebung königlichen Reichtums Seiner Gesellschaft zu erfreuen, denn Sie wollte Seine Gesellschaft in der ursprünglichen Umgebung Vṛndāvanas genießen. Śrī Kṛṣṇa verläßt, weil Er so sehr an den gopīs hängt, Vṛndāvana niemals, und deshalb verbleiben die gopīs und die anderen Bewohner Vṛndāvanas ewig völlig zufrieden im Kṛṣṇa-Bewußtsein.

Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 81. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Śrī Kṛṣṇas und Balarāmas Wiedersehen mit den Bewohnern von Vṛndāvana«.