Photo Gallery

Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
79. Kapitel:
 
Krishna
 
Der brāhmaṇa Sudāmā besucht Śrī Kṛṣṇa


 

König Parīkṣit hörte die Berichte über die Spiele Śrī Kṛṣṇas und Balarāmas aus dem Mund Śukadeva Gosvāmīs. Über diese Spiele zu hören bereitet transzendentale Freude, und so sagte Mahārāja Parīkṣit zu Śukadeva Gosvāmī: »Mein lieber Herr, der Höchste Persönliche Gott gewährt sowohl Befreiung als auch Liebe zu Gott. Jeder, der ein Geweihter des Herrn wird, erlangt die Befreiung, ohne dafür eine besondere Anstrengung machen zu müssen. Der Herr ist unbegrenzt, und deshalb sind auch Seine transzendentalen Spiele und Handlungen hinsichtlich der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der kosmischen Manifestation unbegrenzt. Ich möchte auch von Seinen anderen Spielen hören, von denen Du mir noch nicht erzählt hast. Mein lieber Meister, die bedingten Seelen in der materiellen Welt werden bei ihren Versuchen, aus der Befriedigung ihrer Sinne Freude zu gewinnen, ständig enttäuscht, und dennoch durchbohren die Wünsche nach materiellem Genuß weiter ihre Herzen. Indes erfahre ich nun tatsächlich, daß man durch das Hören über die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas davor bewahrt werden kann, materiellem Bestreben nach Befriedigung der Sinne anheimzufallen. Meiner Meinung nach kann kein intelligentes Wesen die Methode ablehnen, immer wieder über die transzendentalen Spiele des Herrn zu hören. Nur durch dieses Hören kann man ständig in transzendentale Freude vertieft bleiben und fühlt sich nicht länger zu materieller Sinnenfreude hingezogen.«

In seiner Erklärung gebrauchte Mahārāja Parīkṣit zwei sehr wichtige Wörter, nämlich viṣaṇṇaḥ und viśeṣajñaḥ. Viṣaṇṇaḥ bedeutet »verdrießlich«. Die Materialisten erfinden ständig neue Mittel und Wege, um völlige Zufriedenheit zu erlangen, doch bleiben sie weiter stets verdrießlich. An dieser Stelle könnte man einwenden, daß manchmal auch die Transzendentalisten verdrießlich bleiben; doch Parīkṣit Mahārāja gebrauchte auch das Wort viśeṣajñaḥ. Es gibt nämlich zwei Arten von Transzendentalisten - die Unpersönlichkeitsvertreter und die Persönlichkeitsvertreter. Viśeṣajñaḥ bezieht sich auf die Vertreter der Persönlichkeitslehre, denen an transzendentaler Vielfalt gelegen ist. Diese Gottgeweihten erfahren Freude, wenn sie die Schilderungen der Taten des Persönlichen Gottes hören, wohingegen die Philosophen, die mehr zum unpersönlichen Aspekt des Höchsten Herrn neigen, sich nur oberflächlich zu den persönlichen Spielen des Herrn hingezogen fühlen. Obwohl sie mit den transzendentalen Spielen des Herrn in Berührung kommen, erfahren die Unpersönlichkeitsanhänger daher nicht den vollen Nutzen und bleiben so ihrer fruchtbringenden Handlungen wegen, ebenso verdrießlich wie die Materialisten.

König Parīkṣit fuhr fort: »Die Fähigkeit zu sprechen kann nur vervollkommnet werden, wenn man mit ihrer Hilfe die transzendentalen Eigenschaften des Herrn beschreibt. Die Fähigkeit, mit den Händen zu arbeiten, kann man zur Vollkommenheit bringen, wenn man die Hände im Dienst des Herrn gebraucht. Ebenso kann der Geist nur dann friedvoll sein, wenn er ständig in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein an Kṛṣṇa denkt. Das bedeutet jedoch nicht, daß man sehr tiefsinnig sein muß; man muß nur verstehen, daß Kṛṣṇa, die Absolute Wahrheit, durch Seinen örtlichen Aspekt als Paramātmā alldurchdringend ist. Wenn man nur daran zu denken vermag, daß Kṛṣṇa als Paramātmā überall, selbst in den Atomen, gegenwärtig ist, kann man das Denken, Fühlen und Wollen seines Geistes zur Vollkommenheit bringen. Der vollkommene Gottgeweihte sieht die materielle Welt nicht wie sie materiellen Augen erscheint, sondern nimmt überall die Anwesenheit seines verehrenswerten Herrn in dessen Paramātmā-Aspekt wahr.«

Mahārāja Parīkṣit sagte weiter, daß die Tätigkeit des Ohres vervollkommnet werden könne, wenn man das Ohr dazu gebraucht, über die transzendentalen Taten des Herrn zu hören. Er erklärte auch, daß die Funktion des Kopfes vollständig genutzt sei, wenn man ihn vor dem Herrn und Seinem Vertreter neige. Daß der Herr in den Herzen aller gegenwärtig ist, ist eine Tatsache, und deshalb bezeigt der wirklich fortgeschrittene Gottgeweihte jedem Lebewesen seine Achtung, da er den Körper als Tempel des Herrn betrachtet. Es ist jedoch nicht allen Menschen möglich, sofort auf diese Lebensstufe zu gelangen, denn sie ist dem Gottgeweihten ersten Ranges vorbehalten. Der Gottgeweihte zweiten Ranges ist imstande, die Vaiṣṇavas, die Geweihten des Herrn, als Vertreter Kṛṣṇas zu sehen, und der Gottgeweihte, der noch am Anfang steht, der Neuling oder drittrangige Gottgeweihte, ist immerhin bereits so weit, daß er sich vor der Bildgestalt Gottes im Tempel und vor dem geistigen Meister, der direkten Manifestation des Höchsten Persönlichen Gottes, verneigt. Auf der Anfänger- wie auch auf der mittleren Stufe und auf der wirklich fortgeschrittenen Stufe kann man die Tätigkeit des Kopfes zur Vollkommenheit bringen, indem man sich vor dem Herrn oder Seinem Vertreter verneigt. In ähnlicher Weise kann man die Tätigkeit seiner Augen vollkommen machen, indem man den Herrn und Seinen Vertreter ansieht. Jeder kann die Tätigkeiten seiner verschiedenen Körperteile zur höchsten Stufe der Vollkommenheit führen, indem er sie einfach in den Dienst des Herrn oder Seines Vertreters stellt. Wenn man keine besonderen Fähigkeiten besitzt, reicht es aus, sich vor dem Herrn und Seinem Vertreter zu verneigen und caraṇāmṛta zu trinken, das Wasser mit dem die Lotosfüße des Herrn oder Seines Geweihten gewaschen wurden.

Als Śukadeva Gosvāmī diese Erklärungen Mahārāja Parīkṣits vernahm, wurde er durch König Parīkṣits tiefes Verstehen der Vaiṣṇava-Philosophie von ekstatischer Gottesliebe ergriffen. Śukadeva Gosvāmī hatte bereits viele Geschichten vom Herrn berichtet, und als Ihn Mahārāja Parīkṣit bat, weiter zu erzählen, fuhr er voller Freude fort, das Śrīmad-Bhāgavatam vorzutragen.

Es war einmal ein brāhmaṇa, der ein sehr guter Freund Śrī Kṛṣṇas war. Als vollkommener brāhmaṇa war er in transzendentalem Wissen wohlbewandert, und durch seine fortgeschrittene Erkenntnis fühlte er sich in keiner Weise zu materiellen Genüssen hingezogen. Er war daher sehr friedvoll und beherrschte seine Sinne vollkommen. Das bedeutet, daß der brāhmaṇa ein vollkommener Gottgeweihter war; denn ohne ein vollkommener Gottgeweihter zu sein, kann man die höchste Stufe der Erkenntnis nicht erreichen. In der Bhagavad-gītā heißt es, daß sich jemand, der zu Vollkommenheit des Wissens gelangt ist, dem Höchsten Persönlichen Gott hingibt. Jeder also, der sein Leben dem Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott geweiht hat, hat die Stufe des vollkommenen Wissens erreicht. Das Ergebnis vollkommenen Wissens ist, daß man nicht mehr an der materialistischen Lebensweise hängt. Diese Nichtanhaftung bedeutet völlige Beherrschung der Sinne, die stets von materiellen Freuden verlockt werden. Die Sinne des Gottgeweihten werden gereinigt, und auf dieser Stufe sind die Sinne ständig im Dienst des Herrn beschäftigt. Das ist das ganze Feld des Gott-geweihten Dienens.

Obgleich der brāhmaṇa-Freund Kṛṣṇas ein Haushälter war, bemühte er sich nicht darum, Reichtum für ein bequemes Leben zu horten. Er war mit dem zufrieden, was er durch sein bereits bestimmtes Schicksal ohne Zutun erhielt. Das ist ein Zeichen vollkommenen Wissens. Wer über vollkommenes Wissen verfügt, weiß, daß man nicht glücklicher werden kann als es einem bestimmt ist. In der materiellen Welt ist es jedem vorbestimmt, ein gewisses Maß an Leid zu ertragen und ein gewisses Maß an Freude zu genießen. Niemand kann sein Glück im materialistischen Leben steigern oder vermindern. Aus diesem Grunde unternahm der brāhmaṇa keine Anstrengungen für mehr materielles Glück, sondern nutzte seine Zeit, im Kṛṣṇa-Bewußtsein vorwärtszukommen. Nach außen hin schien er sehr arm zu sein, da er weder selbst gut gekleidet war noch seiner Frau ein kostbares Gewand geben konnte. Auch waren seine Frau und er sehr mager, weil sie materiell so dürftig lebten, daß sie nicht einmal genug zu essen hatten. Die Frau des brāhmaṇa dachte nicht viel an ihr eigenes Wohlergehen, doch machte sie sich Sorgen um ihren Mann, der ein so frommer brāhmaṇa war. Sie zitterte vor Körperschwäche, als sie, obwohl sie ihrem Mann eigentlich keine Vorschriften machen wollte, eines Tages zu ihm sprach: »Mein lieber Gatte, ich weiß, daß Śrī Kṛṣṇa, der Gemahl der Glücksgöttin, Dein persönlicher Freund ist. Du bist Sein Geweihter, und Er ist immer bereit, Seinen Geweihten zu helfen. Selbst wenn Du glaubst, daß du Ihm nicht den kleinsten hingebungsvollen Dienst erweist, bist Du Ihm doch hingegeben, und der Herr ist der Beschützer der Ihm hingegebenen Seelen. Nicht nur das, ich weiß auch, daß Śrī Kṛṣṇa das Vorbild der vedischen Kultur darstellt. Er ist ein großer Freund der brahmanischen Kultur und den qualifizierten bṛāhmaṇas sehr geneigt. Und du Glücklicher hast den Höchsten Persönlichen Gott zum Freund. Śrī Kṛṣṇa ist die einzige Zuflucht für Persönlichkeiten wie du, der du Ihm völlig ergeben bist. Du bist heilig, weise und beherrschst völlig deine Sinne. Weil dem so ist, ist Kṛṣṇa deine einzige Zuflucht. Bitte gehe doch einmal zu Ihm. Ich bin sicher, daß Er Sich sofort daran erinnern wird, in welcher Armut du lebst. Auch bist du ein Haushälter und deshalb in Not, wenn du kein Geld hast. Sowie Krṣṇa sieht, wie es um dich bestellt ist, wird Er dir sicher so viel schenken, daß du gut leben kannst. Śrī Kṛṣṇa ist nun der König der Bhoja-, Vṛṣṇi- und Andhaka-Dynastie, und wie ich gehört habe, verläßt Er nie Seine Hauptstadt Dvārakā. Er lebt dort, ohne außerhalb der Stadt etwas zu tun zu haben. Er ist so gütig und großzügig, daß Er jedem, der sich Ihm hingegeben hat, sofort alles gibt - sogar Sich Selbst. Wenn Er sogar bereit ist, Seinen Geweihten Sich Selbst zu schenken, ist es nichts Außerordentliches, wenn Er einige materielle Dinge verschenkt. Natürlich gewährt Er Seinem Geweihten, wenn dieser nicht sehr gefestigt ist, nicht viel materiellen Wohlstand, aber was dich betrifft, so glaube ich, daß Er wohl weiß, wie stetig du im hingebungsvollen Dienst bist. Deshalb wird Er nicht zögern, dich mit einigen materiellen Gaben zu segnen, zumindest mit dem zum Leben Notwendigen.« In solcher Weise bat die Frau des brāhmaṇa ihren Mann immer wieder mit großer Demut und Ergebenheit, zu Kṛṣṇa zu gehen. Der brāhmaṇa hielt es zwar nicht für notwendig, Śrī Kṛṣṇa um eine materielle Gunst zu bitten, aber schließlich wurde er durch das wiederholte Bitten seiner Frau doch dazu bewegt, sich auf den Weg zu machen. Außerdem dachte er bei sich: »Wenn ich nach Dvārakā gehe, werde ich den Herrn persönlich sehen können. Das wird ein großes Erlebnis für mich sein, selbst wenn ich Ihn gar nicht um materielle Dinge bitte.« Als er sich also entschlossen hatte, Kṛṣṇa zu besuchen, fragte er seine Frau, ob sie etwas im Hause habe, was er Kṛṣṇa anbieten könne, da er seinem Freund ein Geschenk mitbringen müsse. Die Frau ging sogleich zur befreundeten Nachbarin und brachte durch deren Gaben vier Hände voll Bruchreis zusammen, die sie in einen kleinen, etwa taschentuchgroßen Lappen schnürte und ihrem Ehemann als Geschenk für Kṛṣṇa mitgab. Der brāhmaṇa nahm den Beutel und machte sich unverzüglich auf den Weg nach Dvārakā, um seinen Herrn zu sehen. Während der Wanderung war er völlig in den Gedanken vertieft, daß er Kṛṣṇa bald sehen würde. Er dachte im Herzen an nichts anderes als an Kṛṣṇa.

Natürlich war es nicht leicht, in die Paläste der Yadu-Könige zu gelangen, doch den brāhmaṇas war es erlaubt, sie zu besuchen. Als Kṛṣṇas Freund, der brāhmaṇa Sudāmā, dorthin kam, mußte er mit anderen brāhmaṇas drei Wachbefestigungen passieren. In jedem Festungsring waren riesige Tore, durch die er hindurchschritt. Hinter den Befestigungen standen 16108 gewaltige Paläste - die Residenzen der 16108 Königinnen Śrī Kṛṣṇas. Der brāhmaṇa ging auf ein besonders prächtig ausgestattetes Gebäude zu, und als er den herrlichen Palast betrat war ihm, als schwimme er in einem Ozean transzendentaler Freude, in dem er immer wieder unterging und auftauchte.

Währenddessen saß Śrī Kṛṣṇa gerade auf Königin Rukmiṇīs Bettstatt. Schon von weitem hatte Er den brāhmaṇa kommen sehen und ihn als Seinen Freund erkannt. Gleich bei Sudāmās Ankunft erhob Er Sich und ging Seinem Freund entgegen, um ihn zu begrüßen; als Er den brāhmaṇa erreichte, schloß Er ihn in Seine Arme. Kṛṣṇa ist die Quelle aller transzendentaler Freude, und dennoch freute Er Sich sehr, als Er den armen brāhmaṇa umarmte, weil Er Seinen lieben Freund wiedersah. Śrī Kṛṣṇa hieß den brāhmaṇa alsdann auf Seiner Bettstatt Platz nehmen und bot ihm allerlei Früchte und Getränke an, wie es beim Empfang eines ehrwürdigen Gastes angebracht ist. Śrī Kṛṣṇa ist der höchste Reine, doch weil Er die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte, wusch Er dem brāhmaṇa die Füße und sprengte Sich das Wasser zu Seiner eigenen Läuterung über das Haupt. Dann bestrich Er den Körper des brāhmaṇa mit allerlei duftenden Pasten wie solchen aus Sandelholz, aguru und Safran; Er entzündete verschiedene Arten von Räucherwerk und brachte ihm, wie es Brauch ist, mit brennenden Lampen eine ārātrika dar. Nachdem Er so dem brāhmaṇa einen würdigen Empfang bereitet und dieser gespeist und getrunken hatte, sagte Śrī Kṛṣṇa zu ihm: »Mein lieber Freund, es ist ein großes Glück für Mich, daß du gekommen bist.«

Wegen seiner Armut war der brāhmaṇa nur dürftig gekleidet; sein Gewand war zerrissen und verfärbt, und sein Körper war dürr und ausgemergelt. Er schien auch nicht sehr sauber zu sein, und an seinem abgezehrten Körper traten die Knochen deutlich hervor. Die Glücksgöttin Rukmiṇīdevī begann persönlich, ihm mit dem cāmara Kühlung zuzufächeln; doch die anderen Frauen im Palast erstaunte es sehr, daß Kṛṣṇa den brāhmaṇa in dieser Weise empfing. Sie wunderten sich, daß Er gerade diesen brāhmaṇa so herzlich begrüßte, und fragten sich, wie Śrī Kṛṣṇa persönlich einen brāhmaṇa empfangen konnte, der arm, ungepflegt und nur elend gekleidet war; zugleich konnten sie sich aber auch denken, daß dieser brāhmaṇa kein gewöhnliches Lebewesen sein konnte. Sie wußten, daß er viele fromme Werke vollbracht haben mußte, denn warum würde Śrī Kṛṣṇa, der Gemahl der Glücksgöttin, Sich wohl sonst so sehr um ihn bemühen. Sehr überrascht waren sie auch, daß der brāhmaṇa auf Śrī Kṛṣṇa Bettstatt sitzen durfte. Vor allem aber staunten sie, als Śrī Kṛṣṇa ihn genau wie seinen älteren Bruder Balarāmajī umarmte; Kṛṣṇa pflegte nämlich sonst nur Rukmiṇī und Balarāma zu umarmen, und niemand anderen.

Nachdem Kṛṣṇa den brāhmaṇa herzlich empfangen hatte und dieser nun auf der gepolsterten Bettstatt des Herrn saß, sagte Er: »Mein lieber Freund und brāhmaṇa, du bist eine überaus intelligente Persönlichkeit und bist mit den Prinzipien des religiösen Lebens wohlvertraut. Ich nehme an, daß du, nachdem du Deine Ausbildung im Hause unseres Lehrers abgeschlossen und diesen gebührend belohnt hattest, nach Hause zurückgekehrt bist und eine geeignete Frau geheiratet hast. Wie ich sehr wohl weiß, fühltest du dich von Anfang an nicht im geringsten zum materiellen Leben hingezogen, noch begehrtest du, in materieller Hinsicht sehr begütert zu sein, und deshalb mangelt es dir an Geld. In der materiellen Welt sind Personen, die nicht an materiellen Gütern hängen, sehr selten. Solche Menschen ohne Anhaftung hegen nicht das geringste Verlangen, Reichtümer und Güter zu ihrer eigenen Sinnenbefriedigung zusammenzutragen; doch manchmal sieht man auch, daß sie Geld erwerben, um ein beispielhaftes Leben als Haushälter zu führen. Sie zeigen dann, wie man durch die richtige Verteilung seines Reichtums ein vorbildlicher Haushälter und zugleich ein großer Gottgeweihter sein kann. Solche vorbildliche Haushälter folgen, wie man verstehen sollte, Meinem Beispiel. Ich hoffe, Mein lieber Freund und brāhmaṇa, daß du dich noch an die Tage unserer Schulzeit erinnerst, als wir beide im āśrama unseres Lehrers lebten. Im Grunde erwarben wir alles Wissen, das wir in unserem Leben empfingen, während dieser Zeit als Schüler.

Wenn jemand unter der Anleitung eines guten Lehrers während seiner Schulzeit eine gute Erziehung genießt, wird sein Leben später erfolgreich; er kann dann sehr leicht den Ozean der Unwissenheit überqueren und ist nicht mehr dem Einfluß der illusionierenden Energie ausgeliefert. Lieber Freund, jeder sollte seinen Vater als seinen ersten Lehrer betrachten, denn durch die Gnade des Vaters bekommt man den Körper. Der Vater ist deshalb der natürliche geistige Meister. Unser nächster geistiger Meister ist der, der uns in das transzendentale Wissen einweiht, und er muß in gleichem Maße verehrt werden wie Ich Selbst. Man kann mehr als nur einen geistigen Meister haben. Der geistige Meister, der den Schüler in spirituellen Dingen unterweist, wird śikṣa-guru genannt, und den geistigen Meister, der ihn einweiht, nennt man dīksā-guru. Sie sind beide Meine Vertreter. Es kann viele geistige Meister geben, die unterweisen, doch es gibt immer nur einen einweihenden geistigen Meister. Ein Mensch, der sich an diese geistigen Meister wendet und, da er wirkliches Wissen von ihnen empfängt, den Ozean des materiellen Daseins überquert, hat die menschliche Form des Lebens richtig genutzt. Er hat das Wissen verwirklicht, welches das endgültige Ziel des Lebens ist, und das man nur in der menschlichen Form erreichen kann. Es besteht darin, die spirituelle Vollkommenheit zu erlangen und nach Hause zurückzukehren, zurück zu Gott.

»Mein lieber Freund, Ich bin Paramātmā, die Überseele im Herzen jedes Lebewesens, und es ist Meine direkte Anweisung, daß die menschliche Gesellschaft den Prinzipien des varṇa und āśrama folgen muß. Wie Ich in der Bhagavad-gītā erklärt habe, soll die menschliche Gesellschaft entsprechend den Eigenschaften und Tätigkeiten der Menschen in vier varṇas eingeteilt werden. Ebenso soll man sich auch sein Leben in vier Abschnitte einteilen. Den ersten Teil des Lebens sollte man dazu nutzen, ein guter Schüler zu werden, wobei man ausreichend Wissen empfangen und das Gelübde des brahmacāri einhalten sollte, so daß man sein Leben vollständig dem Dienst für den geistigen Meister widmen kann, ohne der Befriedigung der Sinne nachzugehen. Ein brahmacārī muß ein Leben der Entsagungen und der Buße führen. Der Haushälter darf ein Leben regulierter Sinnenbefriedigung führen, doch sollte niemand auch in seinem dritten Lebensabschnitt Haushälter bleiben. Im dritten Lebensabschnitt muß man wieder zu Entsagungen und Bußen zurückkehren, wie man sie früher als brahmacārī auf sich genommen hat, und sich so von der Anhaftung an das Haushälterleben lösen. Wenn man dann von allen Anhaftungen an die materialistische Lebensweise frei ist, kann man in den sannyāsa-Stand eintreten.

»Als die Überseele der Lebewesen weile Ich im Herzen eines jeden und beobachte seine Handlungen in jedem Lebensstadium und Lebensstand. Wenn Ich sehe, daß jemand ernsthaft und gewissenhaft die Pflichten erfüllt, die ihm sein geistiger Meister aufgetragen hat, und sein Leben dem Dienst des geistigen Meister weiht, wird ein solcher Mensch Mir sehr lieb, ganz gleich, auf welcher Stufe er sich befindet. Was nun das Leben im brahmacarya-Stand betrifft, so ist es sehr zu begrüßen, wenn man immer das Leben eines brahmacārī unter der Anleitung eines geistigen Meisters führen kann. Wenn man jedoch während des brahmacāri-Lebens den Wunsch nach geschlechtlicher Betätigung verspürt, sollte man von seinem guru Abschied nehmen, ihn zuvor aber ganz nach dessen Wünschen zufriedenstellen. Nach vedischem Prinzip macht man dem geistigen Meister ein Geschenk, die guru-dakṣiṇā; dann sollte der Schüler in den Lebensstand des Haushälters treten, indem er gemäß der religiösen Riten heiratet.«

Die Anweisungen, die Śrī Kṛṣṇa während des Gesprächs mit Seinem Freund, dem gelehrten brāhmaṇa, gab, eignen sich sehr gut als Anleitung für die menschliche Gesellschaft. Eine Zivilisation, die nicht das System des varṇa und āśrama fördert, ist nichts anderes als eine polierte tierische Gesellschaft. Verkehr zwischen unverheirateten Männern und Frauen ist in der menschlichen Gesellschaft nicht zulässig. Ein Mann soll entweder strikt den Prinzipien des brahmacārī-Lebens folgen oder mit Erlaubnis des geistigen Meisters heiraten. Unverehelicht zu bleiben und sich dennoch dem Geschlechtsleben hinzugeben bedeutet, ein tierisches Leben zu führen. Für Tiere gibt es keine Heirat.

Die heutige Gesellschaft strebt nicht danach, der Bestimmung des menschlichen Lebens gerecht zu werden. Die Bestimmung des menschlichen Lebens ist es, nach Hause, zu Gott, zurückzukehren. Um dieses Ziel zu erreichen, muß man dem System des varṇa und āśrama folgen. Wenn dieses System genau und gewissenhaft befolgt wird, verhilft es zur Erfüllung der Bestimmung des Lebens; wenn es jedoch unrichtig und ohne die Führung einer höheren Autorität befolgt wird, richtet es nur Schaden in der menschlichen Gesellschaft an, für die es dann weder Frieden noch Wohlstand gibt.

Kṛṣṇa sagte weiter zu Seinem Freund, dem brāhmaṇa: »Lieber Freund, Ich vermute, du erinnerst dich noch an unsere Erlebnisse während der Zeit, als wir als Schüler lebten. Sicherlich weißt du noch, wie wir einmal auf Anweisung der Frau unseres guru in den Wald gingen, um Brennholz zu sammeln. Als wir dann trockene Holzscheite zusammensuchten, gerieten wir unmerklich tief ins Walddickicht und verliefen uns. Unversehens zog ein Sandsturm auf, dem finstere Wolken, Blitze und krachende Donnerschläge folgten. Bald darauf ging die Sonne unter, und wir irrten mitten im dunklen Dschungel umher. Dann setzte heftiger Wolkenbruch ein, so daß der Boden mit Wasser überflutet wurde und es uns unmöglich war, den Weg zum āśrama unseres guru zurückzufinden. Gewiß erinnerst du dich noch an den furchtbaren Regen; doch eigentlich war es kein richtiger Regen, sondern mehr eine Art Sintflut. Wir litten sehr unter dem Sandsturm und dem heftigen Regen, und wohin wir uns auch wandten, wir fanden uns nicht zurecht. Wir faßten uns in der Not bei der Hand und versuchten, irgendwie zurückzufinden. Auf diese Weise verbrachten wir die ganze Nacht, bis unser gurudeva früh am Morgen von unserem Fortbleiben erfuhr und seine anderen Schüler aussandte, uns zu suchen. Er ging sogar persönlich mit ihnen, und als sie uns schließlich im Dschungel fanden, sahen sie, daß wir völlig erschöpft waren.

Unser gurudeva sagte damals voller Mitleid: »Meine lieben Jungen, es ist ganz bemerkenswert, daß ihr so viele Schwierigkeiten für mich durchgestanden habt. Gewöhnlich neigt jeder dazu, zu allererst an seinen Körper zu denken, doch ihr seid mir, eurem guru, so angetan und ergeben, daß ihr so viele Beschwerlichkeiten für mich in Kauf genommen habt, ohne euch um euer körperliches Wohl zu kümmern. Es freut mich zu sehen, daß fähige Schüler wie ihr bereit sind, jedwede Unannehmlichkeit zur Zufriedenstellung des geistigen Meisters auf sich zu nehmen. Nur so kann ein Schüler seine Schuldigkeit gegenüber dem geistigen Meister abtragen. Es ist die Pflicht des Schülers, sein Leben dem Dienst für den geistigen Meister zu widmen. Meine lieben Besten der Zweimalgeborenen, Ich freue Mich sehr über euch und möchte euch segnen: »Mögen alle eure Wünsche und Neigungen ihre Erfüllung finden, und möge euer Verständnis von den Veden, das ihr von Mir erworben habt, immer in eurem Gedächtnis bleiben, so daß ihr euch zu jeder Zeit an die Lehren der Veden erinnern und ihre Anweisungen mühelos zitieren könnt. Dadurch werdet ihr weder in diesem noch im nächsten Leben Enttäuschungen erfahren.«

Kṛṣṇa fuhr fort: »Lieber Freund, wie du weißt erlebten wir viele solche Begebenheiten, als wir im āśrama unseres geistigen Meisters lebten. Wir können jetzt verstehen, daß ohne den Segen des geistigen Meisters niemand glücklich sein kann. Durch die Barmherzigkeit des geistigen Meisters und durch seine Segnungen kann man Frieden und Wohlstand erlangen und befähigt werden, die Mission des menschlichen Lebens zu erfüllen.«

Nachdem der gelehrte brāhmaṇa Kṛṣṇas Worte vernommen hatte, erwiderte er: »Mein lieber Kṛṣṇa, Du bist der Höchste Herr und der höchste geistige Meister eines jeden, und weil ich das Glück hatte, mit Dir im Hause unseres guru zu leben, glaube ich, daß ich nichts mehr mit den in den Veden vorgeschriebenen Pflichten zu schaffen habe. Mein lieber Herr, die verschiedenen Hymnen, die rituellen Zeremonien, die religiösen Werke und alle anderen Notwendigkeiten, die das menschliche Leben vollkommen machen, wie wirtschaftliche Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung entspringen alle einem Ursprung, nämlich Deiner höchsten Persönlichkeit. Alle verschiedenen Lebenswege sollen letztlich dazu verhelfen, Deine Person zu verstehen. Sie sind, mit anderen Worten, also verschiedene Teile Deiner transzendentalen Gestalt, und dennoch spieltest Du die Rolle eines Schülers und lebtest mit uns im Hause unseres guru. Das bedeutet, daß Du Deine Spiele einzig zu Deiner Freude vollführst, denn Du hast es nicht nötig, die Rolle eines gewöhnlichen Menschen zu spielen.«

Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 79. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Der brāhmaṇa Sudāmā besucht Śrī Kṛṣṇa«.