Photo Gallery

Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
61. Kapitel:
 
Krishna
 
Die Begegnung Uṣās mit Aniruddha


 

Die Begegnung Uṣās mit Aniruddha, die die Ursache für einen schweren Kampf zwischen Śrī Kṛṣṇa und Śiva war, ist sehr geheimnisvoll und fesselnd. Mahārāja Parīkṣit war gespannt, von Śukadeva Gosvāmī die ganze Geschichte zu erfahren, und so erzählte Śukadeva sie. »Mein lieber König«, sagte er, »sicherlich hast du schon einmal von König Bali gehört. König Bali war ein großer Gottgeweihter, der alles, was er besaß, nämlich die ganze Welt, Vāmana gab, der Inkarnation Viṣṇus als brāhmaṇa von Zwerggestalt. König Bali hatte hundert Söhne, und der älteste von ihnen war Bāṇāsura.

Der große Held Bāṇāsura, der als Sohn Mahārāja Balis geboren wurde, war ein großer Geweihter Śivas und stets bereit, ihm zu dienen. Wegen seiner Hingabe erlangte er eine hohe Stellung in der Gesellschaft und wurde in jeder Hinsicht geehrt. Im Grund war er überaus intelligent und freigiebig, und all seine Taten sind rühmenswert, denn niemals brach er sein Versprechen oder sein Ehrenwort; er war sehr ehrlich und hielt sich strikt an seine Gelübde. Zu jener Zeit herrschte er über die Stadt Śonitapura. Durch Śivas Gnade hatte Bāṇāsura tausend Arme und wurde so mächtig, daß ihm selbst Halbgötter wie Indra als gehorsame Diener ergeben waren.

Als Śiva vor langer Zeit seinen berühmten Tanz, den tāṇḍava-nṛtya, vollführte, für den er auch als Naṭarāja bekannt ist, begleitete Bāṇāsura ihn im Rhythmus dazu mit vielen Trommeln, auf denen er mit seinen tausend Händen spielte. Śiva wird auch Āśutoṣa genannt, was soviel bedeutet wie »sehr schnell zufrieden«, und tatsächlich ist er seinen Geweihten sehr zugetan. Diejenigen, die bei ihm Zuflucht suchen, werden fürsorglich von ihm beschützt, und er ist der Meister aller Lebewesen in der materiellen Welt. Weil er damals mit Bāṇāsura sehr zufrieden war, versprach er ihm: ›Du kannst von mir haben, was immer du begehrst, denn ich bin überaus zufrieden mit dir.‹ Bāṇāsura entgegnete: ›Mein lieber Herr, wenn es dir gefällt, bleibe bitte in meiner Stadt und beschütze mich vor meinen Feinden.‹

Eines Tages kam Bāṇāsura zu Śiva, um ihm seine Achtung zu erweisen. Er berührte mit dem Helm, der wie die Sonne glänzte, Śivas Lotosfüße, und während er ihm seine Ehrerbietungen darbrachte, sagte er: ›Mein lieber Herr, jeder, dessen Wünsche noch unerfüllt geblieben sind, kann ihre Erfüllung finden, wenn er Zuflucht bei deinen Lotosfüßen sucht, die wie die Wunschbäume sind, von denen man sich alles nehmen kann, was man begehrt. Lieber Herr, du hast mir eintausend Arme gegeben, doch nun weiß ich nicht, was ich mit ihnen anfangen soll. Bitte verzeih mir, aber nie kann ich sie in einem richtigen Kampf einsetzen. Es ist mir unmöglich, jemanden zu finden, der imstande wäre, mit mir zu kämpfen, außer dir, dem ursprünglichen Vater der materiellen Welt. Manchmal verspüre ich ein starkes Verlangen danach, mit meinen Armen zu kämpfen, und dann suche ich nach einem mir ebenbürtigen Krieger. Doch leider flieht jeder vor mir, weil er meine außerordentliche Stärke kennt. Da es mir nicht gelingt, einen Gegner zu finden, befriedige ich das Verlangen meiner Arme dadurch, daß ich auf die Berge einschlage. Auf diese Weise habe ich schon viele Berge zerschmettert.‹

Śiva erkannte, daß seine Segnung Bāṇāsura Sorge bereitete, und so sprach er: ›Du Schurke! Es gelüstet dich danach zu kämpfen, und weil du keinen Gegner hast, bist du sehr bekümmert. Du denkst zwar, es gebe niemanden außer mir auf der Welt, der sich mit dir messen könne, doch ich sage dir, daß du zu gegebener Zeit einen geeigneten Gegner finden wirst. Dann sind deine Tage gezählt, und du wirst erleben, wie dein falscher Geltungsdrang in Grund und Boden geschmettert wird!‹

Nachdem Bāṇāsura Śivas Worte vernommen hatte, wurde er erst recht seiner Macht wegen eingebildet. Es begeisterte ihn, daß er jemanden treffen würde, der imstande war, ihn in Grund und Boden zu schmettern. Freudig kehrte er in seinen Palast zurück und sah nur noch dem Tag entgegen, an dem sein ebenbürtiger Gegner kommen und seine Stärke niederringen würde. Ein solch törichter Dämon war er. Dies bestätigt, daß törichte dämonische Menschen, wenn sie durch materielle Güter übermäßig mächtig werden, ihre Füllen zur Schau stellen wollen und, wenn diese Güter sich erschöpfen, Befriedigung darüber empfinden. Der Grund hierfür ist stets, daß sie nicht wissen, wie sie ihre Energie richtig verwenden sollen, da sie nicht den Nutzen des Kṛṣṇa-Bewußtseins kennen. Im Grunde gibt es nur zwei Arten von Menschen: die einen sind Kṛṣṇa-bewußt, und die anderen sind nicht Kṛṣṇa-bewußt. Die nicht Kṛṣṇa-bewußten Menschen sind für gewöhnlich den Halbgöttern ergeben, wohingegen die Kṛṣṇa-bewußten Menschen dem Höchsten Persönlichen Gott hingegeben sind. Kṛṣṇa-bewußte Menschen verwenden alles im Dienst des Herrn. Die nicht Kṛṣṇa-bewußten Menschen dagegen verwenden alles für die Befriedigung der Sinne, und Bāṇāsura ist ein vollkommenes Beispiel für eine solche Person. Er begehrte sehr danach, seine außerordentliche Kampfkraft zu seiner eigenen Befriedigung zu gebrauchen. Und weil er keinen Gegner finden konnte, schlug er mit seinen mächtigen Fäusten gegen die Berge und schmetterte sie so in Stücke. Im Gegensatz zu ihm verwendete Arjuna, der ebenfalls ungewöhnlich stark war, seine Kräfte ausschließlich für Kṛṣṇa.

Bāṇāsura hatte eine überaus schöne Tochter mit Namen Uṣā. Als diese ins heiratsfähige Alter kam, träumte ihr eines Nachts, als sie mit ihren vielen Freundinnen im Schlaf lag, Aniruddha sei an ihrer Seite und sie erfreue sich mit ihm einer ehelichen Beziehung, und das, obwohl sie ihn niemals zuvor gesehen, noch von ihm gehört hatte. Sie erwachte aus ihrem Traum, indem sie laut ausrief: ›Mein Liebster, wo bist du?‹ Auf diese Weise vor ihren Freundinnen bloßgestellt, fühlte sie sich ein wenig beschämt. Eine von Uṣās Freundinnen war Citralekhā, die Tochter des ersten Ministers in Bāṇāsuras Reich. Die beiden Mädchen waren enge Freundinnen, und so fragte Citralekhā Uṣā aus großer Neugier: ›Meine liebe, schöne Prinzessin, bis jetzt bist du noch nicht verheiratet, noch hast du jemals einen Jüngling zu Gesicht bekommen; daher wundert es mich, daß du so etwas rufen konntest. Nach wem sehnst du dich? Wer ist dein Auserwählter?‹ Uṣā erwiderte auf Citralekhās Fragen: ›Meine liebe Freundin, ich sah im Traum einen stattlichen Jüngling, der sehr, sehr schön war. Seine Hautfarbe ist blauschwarz; seine Augen gleichen Lotosblüten, und er trägt gelbe Gewänder. Seine Arme sind sehr lang, und sein ganzes Äußeres ist so wunderbar, daß sich jedes junge Mädchen zu ihm hingezogen fühlen würde. Es macht mich sehr stolz, sagen zu können, daß dieser wunderschöne Jüngling mich küßte, und ich genoß selig den Nektar seiner Küsse. Doch ich muß dir leider berichten, daß er kurz darauf wieder verschwand, und daß ich nun in den Strudel der Enttäuschung geworfen bin. Meine liebe Freundin, mich verlangt es sehr danach, den wunderbaren Jüngling, den ersehnten Herrn meines Herzens, wiederzusehen.‹

Nachdem Citralekhā Uṣās Worte gehört hatte, sprach sie sogleich: ›Ich kann deinen Kummer verstehen, und ich versichere dir, wenn es diesen Jungen irgendwo in den drei Welten, auf den oberen, mittleren oder niederen Planetensystemen gibt, werde ich ihn finden, um dich zufriedenzustellen. Wenn du ihn nur von deinem Traum her wiedererkennen kannst, werde ich dir inneren Frieden geben. Doch nun will ich einige Bilder malen, die du genau studieren sollst, und sowie du darunter das Bild deines ersehnten Gatten findest, sage es mir bitte. Wo er auch sein mag, ich kenne die Kunst, ihn hierher zu bringen. Sowie du ihn wiedererkennst, werde ich für alles weitere sorgen.‹

Noch während Citralekhā sprach, begann sie viele Bilder von den Halbgöttern, die die höheren Planetensysteme bewohnen, zu malen. Dann zeichnete sie Bilder von Gandharvas, Siddhas, Cāraṇas, Pannagas, Daityas, Vidyādharas und Yakṣas wie auch von vielen Menschen. [* Die Aussagen des Śrīmad-Bhāgavatam und anderer vedischer Schriften beweisen eindeutig, daß es auf jedem einzelnen Planeten Lebewesen in vielfältigen Lebensformen gibt. Deshalb ist es unsinnig zu behaupten, es existierten keine anderen Lebewesen als die auf der Erde.*] So stellte Citralekhā also viele Bilder her, und als sie zu den Menschen kam, malte sie schließlich auch die Angehörigen der Vṛṣṇi-Dynastie wie Kṛṣṇas Vater, Vasudeva, Kṛṣṇas Großvater, Śūrasena, Śrī Balarāmajī, Śrī Kṛṣṇa und viele andere. Als Uṣā das Bild Pradyumnas sah, wurde sie ein wenig verlegen, doch als sie dann das Bild Aniruddhas erblickte, wurde sie so verlegen, daß sie den Kopf senkte und lächelte, da sie den Mann ihrer Sehnsucht gefunden hatte. Sie sagte Citralekhā, daß sie den Jüngling auf dem Bild als den Mann wiedererkenne, der ihr Herz gestohlen habe. Citralekhā war eine große Mystik-yoginī, und sowie Uṣā den Jüngling auf dem Bild wiedererkannte, wußte sie sofort, daß es sich um Aniruddha, einen Enkel Kṛṣṇas, handelte, obwohl keine von beiden ihn bis dahin gesehen oder seinen Namen gekannt hatte. Noch in der gleichen Nacht reiste Citralekhā durch den Weltraum und erreichte nach kurzer Zeit die Stadt Dvārakā, die unter Kṛṣṇas fürsorglichem Schutz stand. Sie betrat den Palast und fand Aniruddha schließlich in seinem Schlafgemach auf einem prunkvollen Bett ruhen. Durch ihre mystische Kraft brachte sie Aniruddha in seinem schlafenden Zustand unverzüglich nach Śonitapura, damit Uṣā ihren ersehnten Gemahl sehen könne. Uṣā blühte vor Glück auf, als sie Aniruddha sah, und erfreute sich selig seiner Gesellschaft.

Der Palast, in dem Uṣā und Citralekhā lebten, war so gut befestigt, daß es keinem männlichen Wesen möglich war, einzudringen oder hineinzusehen. In diesem Palast lebte Uṣā zusammen mit Aniruddha, und von Tag zu Tag wuchs Uṣās Liebe zu Aniruddha um ein sechzehnfaches an. Uṣā machte Aniruddha mit ihren Kleidern, Blumen, Girlanden, Duftölen und Räucherkerzen viel Freude. Neben seinem Sitzbett standen vielerlei angenehme Dinge, köstliche Getränke wie Milch und Fruchtnektar und wohlschmeckende Zubereitungen zum Kauen oder Schlucken. Darüber hinaus erfreute Uṣā ihn mit süßen Worten und zuvorkommenden Diensten.

Aniruddha wurde von Uṣā verehrt, als sei er der Höchste Persönliche Gott. Durch ihren vorzüglichen Dienst ließ sie Aniruddha alles andere vergessen, und es gelang ihr, seine Aufmerksamkeit und Liebe ohne Abweichung auf sich zu ziehen. In dieser Stimmung der Liebe und des Umsorgtwerdens vergaß sich Aniruddha nahezu und konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Tage er schon von seinem eigentlichen Zuhause entfernt war.

Nach einiger Zeit zeigte Uṣās Körper Merkmale, an denen man sehen konnte, daß sie mit einem männlichen Wesen verkehrte. Diese Merkmale waren so eindeutig, daß ihr Geheimnis niemandem mehr verborgen bleiben konnte. Uṣā war in Aniruddhas Gesellschaft immer ausgelassen, und sie kannte nicht die Grenzen ihres Glücks. Der Hofmeister und die Wächter des Palastes konnten ohne Mühe erkennen, daß Uṣā ein Verhältnis mit einem Mann hatte, und ohne weitere Entwicklung abzuwarten, benachrichtigten sie ihren Meister, Bāṇāsura. Wenn ein unverheiratetes Mädchen Verkehr mit einem Mann hat, ist dies nach vedischer Kultur die größte Schande für die Familie, und deshalb berichteten die Wächter ihrem Meister gewissenhaft, daß Uṣā Merkmale zeige, die eindeutig darauf schließen ließen, daß sie eine entehrende Beziehung unterhalte. Die Diener versicherten ihrem Herrn, daß sie sich bei der Bewachung des Palastes nicht die kleinste Nachlässigkeit erlaubt, sondern Tag und Nacht genau achtgegeben hätten, daß kein Jüngling eindringe. Sie seien so vorsichtig gewesen, daß ein Mann nicht einmal habe sehen können, was im Palast vor sich ging, und so wunderte es sie sehr, daß Uṣā verunreinigt sei. Weil sie den Grund dafür nicht hätten ermitteln können, berichteten sie nun die ganze Angelegenheit ihrem Herrn.

Bāṇāsura war außer sich, als er erfuhr, daß seine Tochter Uṣā keine Jungfrau mehr war. Die Neuigkeit ging ihm schwer zu Herzen, und unverzüglich eilte er zu Uṣās Gemach. Dort sah er Uṣā und Aniruddha beisammensitzen und sich unterhalten. Sie sahen zusammen sehr schön aus, da Aniruddha der Sohn Pradyumnas, des Liebesgottes, war. Obwohl auch Bāṇāsura bemerkte, daß Uṣā und Aniruddha ein wunderbares Paar ergaben, war er ganz und gar gegen ihre Verbindung, denn er dachte an seine Familienehre. Er wußte zwar nicht, wer der Junge war, aber er gestand sich, daß Uṣā niemanden innerhalb der drei Welten hätte wählen können, der schöner gewesen wäre. Aniruddhas Haut war strahlend und schwarzblau; er trug gelbe Gewänder und hatte Augen wie Lotosblüten. Seine Arme waren sehr lang, und sein Haupt zierten hübsche, fast blaue Locken. Die hellen Strahlen von seinen funkelnden Ohrringen und das schöne Lächeln auf seinen Lippen waren ohne Zweifel betörend. Trotz allem war Bāṇāsura zornig.

Als Bāṇāsura Aniruddha erblickte, spielte dieser gerade mit Uṣā. Aniruddha war prächtig gekleidet, und Uṣā hatte ihn mit einer Girlande aus vielen schönen Blumen umkränzt. Rotes kuṅkuma-Puder, das sich die Frauen auf ihre Brüste tun, war in vielen Tupfern auf Aniruddhas Blumengirlande zu sehen, was verriet, daß Uṣā ihn umarmt hatte. Bāṇāsura konnte es nicht fassen, daß Aniruddha trotz seiner Gegenwart gelassen vor Uṣā sitzen blieb. Doch Aniruddha wußte durchaus, daß sein vermutlicher Schwiegervater überhaupt nicht erfreut war und aus dem ganzen Palast Soldaten zusammenrief, um ihn anzugreifen. Weil er keine andere Waffe finden konnte, ergriff er eine mächtige Eisenstange und stellte sich vor Bāṇāsura und seine Soldaten. Er nahm eine entschlossene Haltung an, durch die er andeutete, daß er, wenn man ihn angriffe, alle Soldaten mit der Eisenstange zu Boden schlagen würde. Bāṇāsura und sein Soldatengefolge sahen den Jungen wie den Herrn des Todes mit seinem unbezwingbaren Stab vor sich stehen. Auf Bāṇāsuras Befehl hin versuchten die Soldaten von allen Seiten, ihn zu packen und gefangenzunehmen; doch sowie sie es wagten, Aniruddha nahe zu kommen, schlug dieser mit der Stange auf sie ein und brach ihnen Köpfe, Beine, Arme und Schenkel, so daß sie einer nach dem anderen zu Boden stürzten. Er tötete sie wie der Führer eines Falkenschwarms bellende Hunde tötet. Auf diese Weise gelang es Aniruddha, aus dem Palast zu entkommen.

Bāṇāsura kannte jedoch viele Kampfkünste, und durch eine Segnung Śivas wußte er auch, wie man den Gegner mit einer nāgapāśa, einer Schlangenfalle, bestehend aus einer Schlinge, fangen kann. Daher wurde Aniruddha, als er aus dem Palast trat, mit dieser Falle gefangen. Als Uṣā erfuhr, daß ihr Vater Aniruddha ergriffen habe, wurde sie von Kummer und Bestürzung überwältigt. Tränen schossen ihr in die Augen, und außerstande, sich zu beherrschen, begann sie laut zu weinen.

Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 61. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Die Begegnung Uṣās mit Aniruddha«.