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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
29. Kapitel:
 
Krishna
 
Erklärungen zum rāsa-Tanz


 

Aus dem Śrīmad-Bhāgavatam ist zu ersehen, daß der rāsa-Tanz in der Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit stattfand. Die Govardhana-pūjā wurde, wie bereits erwähnt, gleich nach der mondlosen Nacht des Monats Kārttika vollzogen, und am zweiten Tag nach Neumond fand die Bhrātṛdvitīya-Zeremonie (ein traditioneller Festtag) statt. Danach ließ Indra mit Regengüssen und Hagelstürmen seine Wut an Vṛndāvana aus, worauf Śrī Kṛṣṇa sieben Tage lang, bis der neunte Tag nach Neumond verstrichen war, den Govardhana-Hügel trug. Am zehnten Tag sprachen die Einwohner Vṛndāvanas über die wundervollen Taten Kṛṣṇas, und am nächsten Tag war Ekādaśī, weshalb Nanda Mahārāja fastete. Am darauffolgenden Morgen, dem Dvādaśī-Tag, ging Nanda Mahārāja zur Yamunā hinunter, um ein Bad zu nehmen, und wurde von den Dienern Varuṇas gefangengenommen; doch Kṛṣṇa befreite ihn wieder, und schließlich zeigte Er Nanda Mahārāja und den anderen Kuhhirten den spirituellen Himmel.

Damit ging die Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit zu Ende, die man als śārad-pūrṇimā bezeichnet, und die im Monat Āśvina liegt. Kṛṣṇa mußte also ein Jahr lang auf die nächste Mondnacht dieser Art warten, bevor Er mit den gopīs tanzte, und folglich fand der rāsa-Tanz* [* Wenn ein junger Mann, z. B. ein Ballettänzer, mit vielen Mädchen tanzt, nennt man dies »rāsa-Tanz«] während Seines achten Lebensjahres statt.

Als Kṛṣṇa nach einem Jahr sah, daß sich die Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit ankündigte, schmückte Er Sich mit farbenprächtigen Blumen, vor allem mit der wohlriechenden mallikā. Er erinnerte Sich nämlich daran, daß die gopīs vor einem Jahr zur Göttin Kātyāyanī gebetet hatten, Ihn als Ehemann zu bekommen. »Ich will ihren Wunsch in der Vollmondnacht des śarat erfüllen«, dachte Er damals, »denn diese Nacht eignet sich ganz besonders zum Tanzen.« Ihr Wunsch, Kṛṣṇa als Gemahl zu haben, würde dann in Erfüllung gehen.

An dieser Stelle werden im Śrīmad-Bhāgavatam die Worte »bhagavān api« gebraucht, die darauf hindeuten, daß Kṛṣṇa, obwohl Er der Höchste Persönliche Gott ist, keinerlei Verlangen hegt, da Er durch die sechs unermeßlichen Füllen in Sich Selbst vollkommen ist. — Dennoch wollte Er Sich der Gemeinschaft der gopīs erfreuen. Die Worte »bhagavān api« weisen in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, daß der rāsa-Tanz keinesfalls mit einem gewöhnlichen Tanz in der materiellen Welt zu vergleichen ist. Zur näheren Erläuterung werden im Śrīmad-Bhāgavatam die Worte »yoga-māyām upāśritaḥ« gebraucht, was bedeutet, daß der Tanz mit den gopīs auf der Ebene der yoga-māyā stattfand, und nicht auf der der mahā-māyā, wie es bei Jungen und Mädchen in der materiellen Welt der Fall ist. Der Unterschied zwischen yoga-māyā und mahā-māyā wird im Śrī Caitanya-caritāmṛta mit dem Unterschied zwischen Gold und Eisen verglichen. In gewisser Hinsicht besteht zwischen Gold und Eisen kein Unterschied, denn beide sind Metalle, doch an Qualität sind sie voneinander völlig verschieden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem rāsa-Tanz. Auf den ersten Blick erscheint Kṛṣṇas Tanz mit den gopīs wie der gewöhnliche Austausch zwischen Jungen und Mädchen; aber in Wirklichkeit besteht, von der Qualität her, ein gewaltiger Unterschied. Diesen Unterschied können jedoch nur die großen Vaiṣṇavas wahrnehmen, die den Unterschied zwischen Liebe zu Kṛṣṇa und Sinneslust erkennen. Auf der Ebene der mahā-māyā haben Tänze das Ziel, die eigenen Sinne zu befriedigen. Als aber die gopīs zu der Stelle liefen, an der Kṛṣṇa auf Seiner Flöte spielte, um sie zum rāsa-Tanz zu rufen, hatten sie nur den einen, transzendentalen Wunsch - Kṛṣṇas Sinne zu erfreuen. Wie Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī im Śrī Caitanya-caritāmṛta erklärt, bedeutet Lust Sinnenfreude, und auch Liebe bedeutet Sinnenfreude - aber für Kṛṣṇa. Alles Tun, auf der materiellen wie auf der spirituellen Ebene, beruht auf dem Prinzip der Sinnenfreude, doch auf der spirituellen Ebene werden ausschließlich die Sinne Kṛṣṇas erfreut, wohingegen auf der materiellen Ebene jeder versucht, seine eigenen Sinne zu befriedigen. Ein Diener auf der materiellen Ebene versucht z. B. nicht, die Sinne des Meisters zufriedenzustellen, sondern vielmehr die eigenen, denn er würde den Dienst verweigern, bekäme er kein Geld mehr. Auf der spirituellen Ebene hingegen dient der Gottgeweihte dem Herrn ohne Bezahlung, und er versieht seinen Dienst unter allen Umständen. Das ist der Unterschied zwischen Kṛṣṇa-Bewußtsein und materiellem Bewußtsein.

Kṛṣṇa war acht Jahre alt, als Er Sich mit den gopīs im rāsa-Tanz vergnügte, und zu der Zeit waren die meisten der gopīs bereits verheiratet, denn in Indien werden die Mädchen, besonders in jenen Tagen, schon sehr früh in die Obhut eines Mannes gegeben. Es wird sogar von Mädchen berichtet, die schon im Alter von zwölf Jahren ein Kind zur Welt brachten. Doch obgleich die gopīs bereits verheiratet waren, hegten sie im stillen immer noch die Hoffnung, Kṛṣṇa eines Tages als Gemahl zu umarmen. Sie sehnten sich also nach Kṛṣṇa wie nach einem Geliebten. Diese Beziehung zu Kṛṣṇa wird parakīya-rasa genannt. Unter parakīya-rasa versteht man das Begehren eines bzw. einer Verheirateten nach einem anderen Partner.

Tatsächlich ist Kṛṣṇa der Gemahl eines jeden, denn Er ist der höchste Genießende. Die gopīs wünschten sich Kṛṣṇa als ihren Gemahl, doch weil Kṛṣṇa nicht alle gopīs heiraten konnte, sie aber die natürliche Neigung hatten, Ihn als Gemahl zu lieben, wird die Beziehung der gopīs zu Kṛṣṇa parakīya-rasa genannt. Diese Beziehung besteht in der spirituellen Welt auf Goloka Vṛndāvana in reiner Form, frei von allen Unreinheiten, die für den parakīya-rasa in der materiellen Welt kennzeichnend sind. In der materiellen Welt ist der parakīya-rasa verabscheuenswert, wohingegen der Austausch zwischen Kṛṣṇa und den gopīs von erhabener Vollkommenheit ist. Von allen Beziehungen zu Kṛṣṇa, der Beziehung als Diener, als Freund, als Vater oder Mutter oder als Geliebte, ist der parakīya-rasa, die Beziehung als Geliebte, die vortrefflichste.

Die materielle Welt ist eine verzerrte Spiegelung der spirituellen Welt. Ähnlich wie ein Baum am Ufer eines Sees mit der Krone, dem obersten Teil, nach unten widergespiegelt wird, so wird der parakīya-rasa, die höchste Beziehung in der spirituellen Welt, zur niedrigsten und verabscheuenswertesten Beziehung, wenn er sich in der materiellen Welt reflektiert. Es ist nicht möglich, den transzendentalen parakīya-rasa in der materiellen Welt zu genießen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird deshalb wiederholt darauf hingewiesen, daß man diese gänzlich spirituelle Liebesbeziehung nicht einmal im Traum oder in Gedanken nachahmen soll. Wer es dennoch tut, trinkt das tödlichste Gift.

Noch im selben Moment, da Śrī Kṛṣṇa, der höchste Genießende, in jener Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit mit den gopīs tanzen wollte, zeigte sich der Mond, der Herr aller Sterne, in seiner ganzen Pracht. Die Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit gilt als die schönste im ganzen Jahr und wird deshalb auch heute noch bewundert. In dieser Nacht besuchen viele Touristen das Taj Mahal, ein weltbekanntes Grabmal in Agra, Indien, das ganz aus feinstem Marmor gebaut ist, um das Schauspiel der sich spiegelnden Mondstrahlen zu sehen, die die Wasserfläche auf die schneeweiße Kuppel wirft.

Als der Vollmond im Osten aufging, tauchte sein Licht alles in einen sanften, rötlichen Schimmer, und er färbte, wie ein Ehemann, der nach langer Reise zurückkehrt und das Gesicht seiner Frau mit rotem kuṅkuma bemalt, den östlichen Himmel mit seinem rötlichen Licht.

Das Erscheinen des Mondes steigerte Kṛṣṇas Wunsch, mit den gopīs zu tanzen, nur noch mehr. Der Wald war erfüllt vom Duft der verschiedensten Blumen, und die Atmosphäre war wohltuend kühl und festlich. Als Kṛṣṇa Seine Flöte zu spielen begann, hielten die gopīs in Vṛndāvana wie verzaubert in ihren Bewegungen inne. Der aufgehende Mond, der rötliche Horizont, die kühle und stille Atmosphäre und die überall aufblühenden Blumen verstärkten die Anziehungskraft der Flötenklänge tausendfach, und so wurden die gopīs, die sich ohnehin sehr zu Kṛṣṇas Schönheit hingezogen fühlten, überaus begierig, die Sinne Kṛṣṇas zu erfreuen.

Als sie den Klang der Flöte hörten, ließen sie daher alles stehen und liegen und eilten mit hin- und herschwingenden Ohrringen so schnell sie konnten zum vamśīvaṭa-Baum. Einige melkten gerade die Kühe; doch sie ließen die Eimer einfach stehen und liefen zu Kṛṣṇa. Andere hatten die frisch gemolkene Milch schon zum Kochen auf den Ofen gestellt, doch sowie sie Kṛṣṇas Flöte hörten, verließen sie das Haus, ohne sich darum zu kümmern, daß die Milch überkochen würde. Wieder andere säugten gerade ihre Babys oder saßen mit ihrer Familie zu Tisch, doch sie unterbrachen ihre jeweiligen Tätigkeiten und machten sich unverzüglich auf zu Kṛṣṇa. Manche wollten sich noch mit Kosmetika verschönern und sich für Kṛṣṇa anziehend kleiden, aber leider konnten sie sich weder fertig schminken, noch konnten sie sich richtig kleiden, denn ihr Verlangen, Kṛṣṇa zu sehen, war zu stark. So liefen sie denn mit halb geschminkten Gesichtern hinaus, und manche hatten in der Eile sogar die Oberteile ihrer Kleider mit den Unterteilen verwechselt und die Unterteile mit den Oberteilen.

Als die gopīs eilig ihre Häuser verließen, fragten ihre Verwandten verwundert, wohin sie gehen wollten; schließlich waren sie junge Mädchen und mußten von ihren Ehemännern, Vätern und älteren Brüdern sorgfältig behütet werden. Diese verbaten ihnen dann auch strikt, zu Kṛṣṇa zu gehen, doch die gopīs ließen sich durch nichts zurückhalten. Wenn sich jemand so wie sie zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt und völlig Kṛṣṇa-bewußt ist, kümmert er sich nicht länger um weltliche Pflichten - auch wenn diese noch so dringlich erscheinen: Dieses Beispiel zeigt, daß Kṛṣṇa-Bewußtsein so mächtig ist, daß es jedes Lebewesen von allen materiellen Bindungen befreien kann. Śrīla Rūpa Gosvāmī verfaßte einmal einen sehr schönen Vers, in dem eine gopī ihrer Gefährtin rät: »Liebe Freundin, wenn du immer noch an materieller Gesellschaft, Freundschaft und Liebe hängst, dann geh lieber nicht zu dem lächelnden Jüngling Govinda, der am Ufer der Yamunā auf Seiner Flöte spielt und dessen Lippen dabei von den Strahlen des Vollmondes beschienen werden.« Śrīla Rūpa Gosvāmī will damit sagen, daß jeder, der von dem wunderbaren, lächelnden Gesicht Kṛṣṇas bezaubert wird, jegliche Anziehung zu materiellen Freuden verliert. Wie fortgeschritten man im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist, kann man daran sehen, inwieweit man das Interesse an materiellen Tätigkeiten und eigener Sinnenbefriedigung verliert.

Einige der gopīs wurden von ihren Ehemännern mit Gewalt daran gehindert, zu Kṛṣṇa zu gehen, und in ihre Zimmer eingesperrt. Da sie nicht mit Ihm persönlich zusammensein durften, schlossen sie die Augen und begannen, über Seine transzendentale Gestalt zu meditieren; auf diese Weise konnten sie wenigstens in Gedanken mit Ihm zusammen sein. Die Meditation der gopīs bestätigt, daß sie in spiritueller Hinsicht weit fortgeschritten waren, denn wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, ist ein Mensch, der ständig mit Glauben und Liebe an Kṛṣṇa in Seinem Herzen denkt, der größte yogī. Jeder wahre yogī richtet seinen Geist auf die transzendentale Gestalt Viṣṇus, und weil Kṛṣṇa der Ursprung aller Viṣṇu-tattvas ist, sind gopīs, die in ihren Zimmern über Kṛṣṇa meditierten, als vollkommene Transzendentalisten anzusehen.

Im bedingten Zustand erhält das Lebewesen durch sein fruchtbringendes Handeln zwei Arten von Ergebnissen: Geht es sündigen Tätigkeiten nach, muß es leiden, handelt es dagegen fromm, erhält es als Lohn materiellen Genuß. In jedem Fall aber - beim Leiden wie beim Genießen - wird es durch die materielle Natur bedingt.

Die gopīs, die sich nun zu dem Ort begaben, an dem Kṛṣṇa auf Seiner Flöte spielte, waren von zweierlei Art. Die meisten waren ewige Gefährtinnen des Herrn, die überall dort erscheinen, wo Kṛṣṇa erscheint. In der Brahma-saṁhitā wird erklärt: ānanda-cin-maya-rasa pratibhāvitābhiḥ. »Śrī Kṛṣṇas Gespielinnen in der spirituellen Welt, besonders die gopīs, sind Manifestationen der Freuden-Energie des Herrn, d. h. Erweiterungen von Śrīmatī Rādhārāṇī.« Wenn Kṛṣṇa allerdings Seine transzendentalen Spiele in den Universen der materiellen Welt entfaltet, nehmen nicht nur Seine ewigen Gefährtinnen daran teil, sondern auch gopīs, die aus der materiellen Welt kommen und zu dieser Stufe erhoben wurden. Das bedeutet also, daß die gopīs, die sich Kṛṣṇas Spielen in der materiellen Welt anschlossen, in ihrem letzten Leben gewöhnliche Menschen gewesen waren. Und wenn einige doch noch nicht ganz frei waren von allen fruchtbringenden Handlungen, so hatte dies keine nachteiligen Folgen für sie, denn die fortwährende Meditation über Kṛṣṇa befreite sie von allen Reaktionen des karma. Das sehnsüchtige Verlangen nach Kṛṣṇa, das sie peinigte, da es ihnen in jener Nacht nicht vergönnt war, mit dem Herrn zusammenzusein, befreite sie von allen Reaktionen auf frühere Sünden, und die Ekstase, die sie während Seiner Abwesenheit ergriff, war transzendental zu allen Reaktionen auf fromme Tätigkeiten. Die bedingten Seelen werden durch frommes oder sündiges Handeln an den sich wiederholenden Kreislauf von Geburt und Tod gebunden, doch die gopīs, die über Kṛṣṇa zu meditieren begannen, wurden transzendental zur materiellen Natur. Ihre Meditation läuterte sie so sehr, daß sie auf die gleiche Ebene erhoben wurden wie die gopīs, die bereits Erweiterungen der ewigen Freuden-Energie Kṛṣṇas waren; einige gaben sogar ihren Körper auf, den sie unter dem Einfluß der drei materiellen Erscheinungsweisen entwickelt hatten.

Als Mahārāja Parīkṣit hörte, daß einige der gopīs vom Kreislauf der Geburten und Tode frei geworden waren, indem sie ständig an Kṛṣṇa als ihren Geliebten dachten, unterbrach er Śukadeva Gosvāmī und sagte: »Erkläre mir diesen Punkt bitte etwas ausführlicher. Wie konnten die gopīs durch Meditation über Kṛṣṇa vom materiellen Dasein befreit werden, wenn sie sich nicht einmal darüber bewußt waren, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, sondern Ihn statt dessen nur für einen wunderbaren Jüngling hielten, in den sie sich verliebt hatten?« Man muß wissen, daß die Lebewesen Teile Kṛṣṇas sind und sich daher qualitätsmäßig nicht von Ihm unterscheiden. Sie sind wie Kṛṣṇa Brahman, von spiritueller Natur, doch ist Kṛṣṇa Parabrahman, das Höchste Brahman, das Höchste Spirituelle Wesen. Mahārāja Parīkṣit fragte also mit anderen Worten: Wenn es für die Gottgeweihten möglich ist, durch ständiges Denken an Kṛṣṇa aus der materiellen Gefangenschaft befreit zu werden, warum gelangen dann nicht auch Menschen zur Befreiung, die fortwährend an irgendjemanden in der materiellen Welt denken? Wenn alle Lebewesen Brahman sind, warum wird dann nicht auch jemand, der an seine Frau, seinen Sohn usw. denkt, von der materiellen Bedingtheit erlöst? Dies ist eine sehr wichtige Frage, da es immer Atheisten geben wird, die Kṛṣṇa nachahmen. Besonders in der heutigen Zeit, dem Kali-yuga, gibt es viele Betrüger, die sich für ebenso bedeutend halten wie Kṛṣṇa und anderen Menschen weismachen wollen, man könne ebensogut an sie denken wie an Kṛṣṇa. Weil Mahārāja Parīkṣit voraussah, in welcher Gefahr sich die blinden Anhänger solcher dämonischen Heuchler befinden würden, stellte er diese Frage. Glücklicherweise ist die Antwort im Śrīmad-Bhāgavatam festgehalten, so daß unschuldige Menschen erkennen können, daß es keinesfalls das gleiche ist, wenn man statt an Kṛṣṇa an einen gewöhnlichen Menschen denkt.

Nicht einmal die Meditation über einen Halbgott läßt sich mit der Meditation über Kṛṣṇa vergleichen. In diesem Zusammenhang wird im Vaiṣṇava Tantra darauf hingewiesen, daß ein Mensch, der Viṣṇu, Nārāyaṇa oder Kṛṣṇa auf die Stufe der Halbgötter stellt, als pāsaṇḍa, als »Schurke« zu bezeichnen ist.

Als Mahārāja Parīkṣits geistiger Meister beantwortete Śukadeva Gosvāmī natürlich die Frage seines Schülers, doch tadelte er den König auch, da dieser die gleiche Frage schon einmal gestellt hatte. »Die Antwort habe ich dir bereits gegeben«, sagte er; »warum bist du nur so vergeßlich?« Der geistige Meister befindet sich immer in einer höheren Position als der Schüler und hat deshalb auch das Recht, ihn zurechtzuweisen. Śukadeva war sich jedoch zur gleichen Zeit auch darüber bewußt, daß Mahārāja Parīkṣit diese Frage nicht für sich selbst stellte, sondern zum Wohl der unschuldigen Menschen in der Zukunft, die denken könnten, gewöhnliche Sterbliche seien Kṛṣṇa ebenbürtig.

Er erinnerte deshalb Mahārāja Parīkṣit an die Erlösung Śiśupālas. Śiśupāla war auf Kṛṣṇa immer neidisch gewesen, bis dieser ihn schließlich tötete; doch weil Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist und Śiśupāla Ihn von Angesicht zu Angesicht sah, wurde er befreit. Wenn selbst Kṛṣṇas Feinde von der materiellen Verunreinigung befreit und eins mit dem Höchsten wurden, weil sie einmal ihre Gedanken auf Ihn richteten oder Ihn sahen, kann man sich vorstellen, was die gopīs erwartete, die Kṛṣṇa sehr lieb waren und die ständig an Ihn dachten.

»Außerdem«, so erklärte Śukadeva Gosvāmī, »ist Kṛṣṇa Hṛṣīkeśa, die Überseele, wohingegen der gewöhnliche Mensch eine bedingte, von einem materiellen Körper bedeckte Seele ist.« Kṛṣṇa und Sein Körper sind identisch, weil Er, wie die Bhagavad-gītā bestätigt, Hṛṣīkeśa ist. Jeder, der zwischen Kṛṣṇa und dem Körper Kṛṣṇas einen Unterschied macht, ist der größte Dummkopf. Kṛṣṇa ist Hṛṣīkeśa und Adhokṣaja. Diese beiden Namen nannte auch Mahārāja Parīkṣit in seiner Frage. Hṛṣīkeśa ist die Überseele, und Adhokṣaja ist der Höchste Persönliche Gott, der transzendentalen ist zur materiellen Natur. In Seiner grundlosen Gnade erscheint Er zum Wohl der bedingten Seelen, wie Er ist, in Seiner ursprünglichen transzendentalen Gestalt. Unglücklicherweise halten Ihn törichte Menschen für einen der ihren und verfallen somit der Hölle. Śukadeva Gosvāmī betonte deshalb noch einmal, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, unzerstörbar, unvergänglich und frei von aller materiellen Verunreinigung.

Er fuhr sodann fort, Mahārāja Parīkṣit zu erklären, daß Kṛṣṇa keine gewöhnliche Person ist. Er ist der Höchste Persönliche Gott, voller spiritueller Eigenschaften. Er erscheint in der materiellen Welt aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit, und wann immer Er kommt, erscheint Er wie Er ist, ohne Sich zu wandeln. Dies wird ebenfalls in der Bhagavad-gītā bestätigt, wo der Herr sagt, daß Er in Seiner ganzen spirituellen Energie erscheint. Er erscheint nicht unter dem Zwang der materiellen Energie. Die materielle Energie steht unter Seiner Kontrolle. Wie Er Selbst in der Bhagavad-gītā feststellt, ist die materielle Energie unter Seiner Oberaufsicht aktiv. In der Brahma-saṁhitā wird hierzu erklärt, daß die materielle Energie, Durgā, wie ein Schatten ist, der sich mit der Substanz bewegt. Daraus ist zu schließen, daß jeder, der auf irgendeine Weise eine Anhaftung an Kṛṣṇa gewinnt oder sich zu Ihm hingezogen fühlt - entweder wegen Seiner Schönheit, Seines Charakters, Seines Reichtums, Seiner Berühmtheit, Seiner Kraft oder Seines Wissens oder gar aus Lust, Ärger oder Furcht -, von der materiellen Verunreinigung befreit wird.

Im Achtzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā erklärt der Herr, daß Ihm jeder, der Kṛṣṇa-Bewußtsein predigt, d. h. verbreitet, sehr lieb ist. Ein Prediger muß bei seinem Versuch, reines Kṛṣṇa-Bewußtsein zu verkünden, oft mit vielen Schwierigkeiten kämpfen, und manchmal geschieht es sogar, daß er leiblichen Schaden nimmt oder gar das Leben einbüßt. All dies nimmt er freiwillig als Opfer für Kṛṣṇa auf sich, und deshalb, so sagt Kṛṣṇa Selbst, ist Ihm ein solcher Prediger sehr, sehr teuer. Wenn schon Kṛṣṇas Feinde befreit werden, da sie ständig an den Herrn denken, was erwartet dann erst Gottgeweihte, die Kṛṣṇa so lieb sind? Solchen Gottgeweihten, die Kṛṣṇa-Bewußtsein auf der ganzen Welt predigen, ist die Erlösung sicher. Andererseits ist es ihnen ganz gleich, ob sie Erlösung erlangen, denn wer sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein befindet, d. h. im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, ist bereits befreit. Śukadeva Gosvāmī gab Mahārāja Parīkṣit deshalb den Rat, sich ständig daran zu erinnern, daß jeder, der sich zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt, von der materiellen Bedingtheit befreit wird, da Kṛṣṇa der transzendentale Meister aller mystischen Kräfte ist.

Als sich die gopīs vor Kṛṣṇa einfanden, hieß Er sie erfreut willkommen, doch verstand Er es, Seine Worte so geschickt zu wählen, daß Er sie zur gleichen Zeit entmutigte. Kṛṣṇa ist der vollkommenste Redner. Er verkündete die Bhagavad-gītā, und Er kann über alle möglichen Themen, wie Philosophie, Politik und Ökonomie, in wundervollster Weise sprechen. Kṛṣṇa wollte die gopīs, die Ihm über alle Maßen lieb waren, durch Wortspielereien bezaubern, und so sagte Er zu ihnen: »O ihr Damen von Vṛndāvana, Ich freue Mich sehr, euch hier zu sehen und hoffe, daß daheim alles in bester Ordnung ist. Ich stehe ganz zu eurer Verfügung. Laßt Mich also bitte wissen, was Ich für euch tun kann. Nehmt doch bitte Platz und sagt Mir vor allem, was euch mitten in der Nacht hierherführt.« Die gopīs hatten Vṛndāvana verlassen, um mit Kṛṣṇa zusammenzusein: sie wollten mit Ihm tanzen, Ihn umarmen und küssen, und deshalb wunderten sie sich sehr, daß der Herr sie mit derart förmlichen Worten nach allen Regeln der Etikette empfing - ganz so, wie man gewöhnlich die Damen der Gesellschaft begrüßt. Sie lächelten sich also erstaunt an und lauschten gespannt Seinen weiteren Worten. Als Kṛṣṇa sah, daß Ihn die gopīs anlächelten, sagte Er: »Meine lieben Freundinnen, wißt ihr nicht, daß es bereits späte Nacht ist, und daß es sehr gefährlich ist, um diese Zeit in den Wald zu gehen? Überall lauern wilde Tiere wie Tiger, Bären, Schakale und Wölfe; jeden Augenblick könnt ihr auf eines dieser Raubtiere treffen, die auf der Suche nach Beute umherstreifen. Seid ihr nicht auch der Ansicht, daß ihr in großer Gefahr schwebt, wenn ihr zu dieser späten Stunde hier verweilt. Ich möchte euch deshalb bitten, unverzüglich nach Vṛndāvana zurückzukehren; dort seid ihr in Sicherheit.«

Als Kṛṣṇa die gopīs auf die Gefahren des nächtlichen Waldes aufmerksam machte, wollte Er ihnen zu verstehen geben, daß sie noch nicht alt genug seien, um allein auf sich achtzugeben. »Ihr müßtet eigentlich ständig behütet werden«, hielt Er ihnen entgegen, »und daher war es nicht sonderlich klug von euch, mitten in der Nacht zu Mir zu kommen.« Als Kṛṣṇa sah, daß die gopīs immer noch lächelten, fuhr Er fort: »Ich muß gestehen, daß ihr wirklich überaus hübsch seid mit euren zierlichen Taillen.« Die gopīs, die sich um Kṛṣṇa versammelt hatten, waren tatsächlich außergewöhnlich schön, und daher werden sie im Śrīmad-Bhāgavatam mit dem Wort »sumadhyamā« beschrieben. Eine Frau wird als sumadhyamā bezeichnet, wenn ihre Taille sehr schmal ist. Kṛṣṇa deutete an, daß Er und die Hirtenmädchen doch noch recht jung waren. »Es schickt sich nicht, daß Mädchen und Jungen in unserem Alter mitten in der dunklen Nacht zusammenkommen«, hielt Er ihnen vor. Doch als Kṛṣṇa auf dieses Thema zu sprechen kam, machten die gopīs keine glücklichen Gesichter, und so erklärte Er diesen Punkt noch von einem anderen Gesichtspunkt aus. »Meine lieben Freundinnen«, sagte Kṛṣṇa, »Ich weiß, daß ihr eure Familien ohne Erlaubnis verlassen habt; eure Mütter, Väter, eure älteren Brüder und selbst eure kleinen Söhne, ganz zu schweigen natürlich von euren Ehemännern, werden deshalb sehr in Sorge sein. Während ihr hier bei Mir sitzt, suchen sie gewiß schon voller Unruhe nach euch. Haltet euch also nicht länger auf, sondern kehrt zu ihnen zurück, so daß sie sich nicht länger zu ängstigen brauchen.«

Als die gopīs solche Worte hörten, schienen sie ein wenig verwirrt und gekränkt zu sein, und so ließen sie ihre Blicke verlegen über die Schönheit des Waldes schweifen. Die Bäume waren in jener Nacht vom hellen Mondschein überflutet; der Wind strich sanft über die blühenden Blumen, und die grünen Blätter der Bäume bewegten sich säuselnd in der leichten Brise. Kṛṣṇa nutzte die Gelegenheit und sagte zu den gopīs: »Vermutlich seid ihr nur hierher gekommen, um den wunderschönen Wald von Vṛndāvana zu betrachten. Doch einmal müßt ihr euch zufriedengeben; kehrt also eilends nach Hause zurück. Ich weiß, daß ihr alle sehr sittsam seid, und deshalb möchte Ich euch bitten - da ihr ja nun die herrliche Atmosphäre des Vṛndāvana-Waldes reichlich genossen habt -, zu euren Familien zurückzukehren und euren Ehemännern treu zu dienen. Einige von euch müssen trotz ihrer Jugend bereits Kinder haben. Ihr werdet sie zu Hause zurückgelassen haben, so daß sie jetzt hungrig sein und schreien werden. Geht daher bitte unverzüglich nach Hause zurück und stillt sie mit eurer Milch. Ich weiß auch, daß ihr sehr viel Zuneigung für Mich empfindet, und daß ihr, als ihr Mein Flötenspiel hörtet, aus dieser transzendentalen Zuneigung heraus hierher geeilt seid. Eure Gefühle der Liebe und Zuneigung zu Mir sind durchaus natürlich, denn Ich bin der Höchste Persönliche Gott. Alle Lebewesen sind Meine Teile, und daher ist es nur natürlich, daß sie sich zu Mir hingezogen fühlen. Diese Zuneigung ist also etwas Erfreuliches, und Ich beglückwünsche euch hierzu. Nun könnt ihr nach Hause zurückkehren. Ein weiterer Punkt, den Ich euch erklären muß, ist folgender: Für eine keusche Frau ist es das wichtigste religiöse Prinzip, ihrem Mann ohne Falschheit zu dienen. Eine Frau sollte jedoch nicht nur keusch sein und ihrem Mann treu dienen; sie sollte auch den Freunden ihres Mannes gegenüber freundlich sein, dem Vater und der Mutter ihres Gatten gehorchen und die jüngeren Brüder ihres Mannes liebevoll behandeln. Vor allem aber muß die Frau sich um die Kinder kümmern.«

In dieser Weise erklärte Kṛṣṇa die Pflichten einer Frau. Ganz besonders hob Er dabei hervor, daß die Frau ihrem Mann treu dienen muß: »Auch wenn er keinen guten Charakter hat, oder wenn er nicht sehr wohlhabend oder erfolgreich ist, und auch wenn er durch fortwährende Krankheit alt und gebrechlich ist - ganz gleich, in welcher Lage sich der Ehemann befindet -, eine Frau sollte sich niemals von ihrem Mann trennen, wenn sie tatsächlich nach Verlassen des Körpers zu den himmlischen Planeten erhoben werden will. Abgesehen davon wird eine Frau, die ihrem Gatten untreu ist und sich einen anderen Mann sucht, als äußerst verabscheuungswürdig angesehen. Durch ihr lasterhaftes Verhalten verliert sie die Möglichkeit, zu den himmlischen Planeten erhoben zu werden, und die Folgen ihres Tuns sind äußerst entwürdigend. Eine verheiratete Frau sollte sich keinen Liebhaber halten, denn dies wird von den vedischen Lebensprinzipien nicht gebilligt. Ich kann verstehen, daß ihr sehr an Mir hängt und mit Mir zusammensein wollt, doch möchte Ich euch raten, nicht zu versuchen, Mich persönlich zu genießen. Es ist besser für euch, wenn ihr nach Hause geht und einfach über Mich sprecht und an Mich denkt. Wenn ihr euch auf diese Weise ständig an Mich erinnert und Meinen Namen chantet, werdet ihr gewiß auf die spirituelle Ebene erhoben. Es ist nicht nötig, in Meiner Nähe zu stehen.«

Die Anweisungen, die der Höchste Persönliche Gott den gopīs gab, waren durchaus nicht sarkastisch gemeint. Sie sollten von allen ehrbaren Frauen sehr ernst genommen werden. Besonders die Keuschheit der Frau wird vom Höchsten Herrn betont. Deshalb sollte dieses Prinzip von jeder ernsthaften Frau, die auf eine höhere Lebensstufe erhoben werden will, befolgt werden. Kṛṣṇa ist das Zentrum aller Zuneigung für alle Lebewesen. Wenn diese Zuneigung für Kṛṣṇa entwickelt wird, erhebt man sich über alle vedischen Vorschriften, d, h., man transzendiert sie. Dies war den gopīs möglich, weil sie Kṛṣṇa von Angesicht zu Angesicht sahen. Es ist nicht möglich für eine Frau im bedingten Zustand. Unglücklicherweise nimmt manchmal ein Halunke, der die Philosophie des Monismus oder Einsseins vertritt, die Position Kṛṣṇas ein, indem er das Verhalten Kṛṣṇas gegenüber den gopīs nachahmt, und verführt, unverantwortlich wie er ist, leichtgläubige Frauen unter dem Deckmantel spiritueller Erkenntnis. Als Warnung weist Śrī Kṛṣṇa an dieser Stelle darauf hin, daß das, was für die gopīs möglich war, nicht für gewöhnliche Frauen möglich ist. Eine Frau kann zwar durch fortgeschrittenes Kṛṣṇa-Bewußtsein auf diese Stufe erhoben werden, doch muß sie stets auf der Hut vor Betrügern sein, die sich für Kṛṣṇa ausgeben. Wie Kṛṣṇa Selbst rät, sollte sie ihre Hingabe durch Chanten und Meditieren auf Kṛṣṇa richten. Sie sollte nicht auf Männer hereinfallen, die man sahajiyā nennt, sogenannte Gottgeweihte, die alles sehr leicht nehmen.

Als Kṛṣṇa solche entmutigenden Worte sprach, wurden die gopīs sehr traurig, denn sie befürchteten, ihr Wunsch, mit Kṛṣṇa den rāsa-Tanz zu genießen, ginge nicht in Erfüllung. In ihrer Traurigkeit begannen sie schwer zu atmen, und statt Kṛṣṇa anzuschauen, senkten sie betrübt den Blick zu Boden und zeichneten mit den Zehen allerlei Linien in den Sand. Dabei weinten sie so heftig, daß die Kosmetika von ihren Gesichtern gewaschen wurden; die Tränen vermischten sich mit dem kuṅkuma auf ihren Brüsten und fielen schließlich zu Boden. Sie konnten nichts sagen, sondern standen schweigend da, und durch ihr Schweigen gaben sie Ihm zu verstehen, daß sie in ihren Herzen zutiefst verwundet waren.

Die gopīs waren keine gewöhnlichen Frauen. Im wesentlichen befanden sie sich auf der gleichen Ebene wie Kṛṣṇa. Sie sind Seine ewigen Gefährtinnen. Wie in der Brahma-saṁhitā bestätigt wird, sind sie Erweiterungen der Freuden-Energie Kṛṣṇas, und als Seine Energie sind sie nicht verschieden von Ihm. Obschon Seine Worte sie niedergeschlagen machten, wollten sie Ihm nicht in kränkendem Ton antworten. Dennoch wollten sie Ihn für Seine unfreundlichen Worte tadeln, und so begannen sie mit bebenden Stimmen zu sprechen. Sie mochten keine groben Worte gegen Kṛṣṇa gebrauchen, da Er ihr Liebstes war, ihr Herz und ihre Seele. Die gopīs hatten nur Kṛṣṇa in ihren Herzen. Sie waren Ihm gänzlich hingegebene und geweihte Seelen. Als sie Seine herzlosen Worte vernahmen, versuchten sie natürlich etwas zu entgegnen, doch sowie sie nur den Mund öffneten, traten ihnen wieder Tränen in die Augen. Schließlich gelang es ihnen, trotzdem zu sprechen.

»Kṛṣṇa«, sagten sie, »Du bist sehr gefühllos! Du sollst nicht so reden. Wir sind Dir ganz und gar hingegebene Seelen. Bitte nimm uns an, und sprich nicht solch grausame Worte. Natürlich, Du bist der Höchste Persönliche Gott, und Du kannst tun, was Dir beliebt, doch es ist Deiner nicht würdig, zu uns so unbarmherzig zu sein. Wir sind zu Dir gekommen, indem wir alles hinter uns ließen, um Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen zu suchen. Wir wissen, daß Du völlig unabhängig bist, und daß Du tun kannst, was Dir beliebt; wir flehen Dich an, bitte, weise uns nicht von Dir. Wir sind Deine Geweihten. Du solltest uns annehmen, ebenso wie Śrī Nārāyaṇa Seine Geweihten annimmt. Viele weihen sich Nārāyaṇa und verehren Ihn, um Befreiung zu erlangen, und Er gewährt sie ihnen. Wie kannst Du uns also zurückweisen, die wir keine andere Zuflucht kennen als Deine Lotosfüße?«

»O lieber Kṛṣṇa«, fuhren die gopīs fort, »Du bist der höchste Lehrer; darüber besteht kein Zweifel. Deine Anweisungen für die Frauen, nämlich den Männern treu zu bleiben, zu den Kindern gütig zu sein, sich um den Haushalt zu kümmern und die älteren Familienangehörigen zu ehren, stimmen zweifellos mit allen Grundsätzen der śāstras überein, doch wissen wir auch, daß all diese Anweisungen in vollkommener Weise erfüllt werden, wenn man bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht sucht. Unsere Ehemänner, Freunde, Kinder und übrigen Familienangehörigen sind uns nur deshalb so lieb, weil Du in ihnen anwesend bist, denn Du bist die Überseele in allen Geschöpfen. Ohne Deine Gegenwart ist man wertlos. Wenn Du den Körper verläßt, stirbt dieser sogleich, und nach den Anordnungen der śāstra muß ein toter Körper so bald wie möglich in den Fluß geworfen oder verbrannt werden. Deshalb bist letzten Endes Du die liebenswerteste Persönlichkeit in dieser Welt. Wenn wir unseren Glauben und unsere Liebe auf Dich richten, werden wir niemals unserer Ehemänner, Söhne oder Töchter beraubt sein. Nimmt eine Frau Dich als den höchsten Gemahl an, wird sie niemals ihren Gatten verlieren, wie es im materiellen Leben der Fall ist. Wenn wir Dich als unseren endgültigen Gatten annehmen, gibt es keine Frage von Trennung, Scheidung oder Witwenschaft. Du bist der ewige Gatte, der ewige Sohn, der ewige Freund und der ewige Meister, und wer eine der Beziehungen zu Dir aufnimmt, ist für immer glücklich.

Da Du der Lehrer aller religiösen Prinzipien bist, müssen Deine Lotosfüße verehrt werden. In den śāstras heißt es daher: ācārya-upāsanā ›Deine Lotosfüße zu verehren ist das erste Prinzip.‹ Dazu kommt noch, daß Du, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, der einzige Genießende bist, der einzige Besitzer und der einzige Freund. Deshalb sind wir zu Dir gekommen und haben sogenannte Freunde, Gesellschaft und Liebe verlassen. Nun bist Du unser Genießer geworden. Mögen wir für immer von Dir genossen werden. Sei unser Besitzer, denn darauf hast Du ganz natürlich Anspruch; sei unser höchster Freund, denn auch das bist Du von Natur aus. Laß uns Dich also als den höchsten Geliebten umarmen.«

Weiter sagten die gopīs zu dem lotosäugigen Kṛṣṇa: »Bitte verurteile nicht unser langgehegtes Verlangen, Dich als unseren Gemahl zu haben. Jeder intelligente Mensch, der sich über sein eigentliches Selbstinteresse Gedanken macht, wird all seine Liebe auf Dich richten. Nur Menschen, die von der äußeren Energie irregeführt sind, und die sich deshalb mit falschen Vorstellungen zufriedengeben, versuchen getrennt von Dir zu genießen. Die sogenannten Gatten, Freunde, Söhne, Töchter oder auch Väter und Mütter sind im Grunde nur Quellen materiellen Leids. Niemand wird in der materiellen Welt glücklich, nur weil er einen Vater, eine Mutter, einen Ehepartner, einen Sohn, eine Tochter und Freunde hat. Obwohl vom Vater und von der Mutter erwartet wird, daß sie für die Kinder sorgen, gibt es viele Kinder, die darunter leiden, daß sie nicht genügend zu essen bekommen und nicht richtig behütet werden. Es gibt viele gute Ärzte, doch wenn ein Patient stirbt, kann ihn kein Arzt wieder zum Leben erwecken. Es gibt viele Mittel, sich zu schützen, doch wenn einem etwas bestimmt ist, kann keine Schutzmaßnahme helfen, und ohne Deinen Schutz werden alle sogenannten Schutzmittel zu Ursachen fortgesetzten Leids. Wir flehen Dich daher an, o Herr aller Herren, bitte zerstöre nicht unser langgehegtes Verlangen, Dich als unseren höchsten Gemahl zu haben.

Lieber Kṛṣṇa, als Frauen sind wir gewiß zufrieden, wenn unsere Herzen familiären Angelegenheiten gewidmet sind, doch hast Du bereits unsere Herzen gestohlen, und wir können sie nicht länger mit Familienangelegenheiten beschäftigen. Auch bittest Du uns immer wieder, nach Hause zurückzukehren, und diese Anweisung ist durchaus angemessen, aber leider sind wir wie gelähmt. Unsere Beine haben nicht die Kraft, sich auch nur einen Schritt von Deinen Lotosfüßen zu entfernen. Aber auch wenn wir auf Deine Bitte hin nach Hause gingen, was sollten wir dort tun? Wir haben jegliche Fähigkeit verloren, ohne Dich zu handeln. Statt unsere Herzen, wie es sich für Frauen gehört, familiären Dingen zu widmen, haben wir eine andere Art von Lust entwickelt, die wie Feuer in unseren Herzen brennt. Nun möchten wir Dich bitten, lieber Kṛṣṇa, dieses Feuer mit Deinem liebevollen Lächeln und der transzendentalen Klangschwingung, die von Deinen Lippen ausgeht, zu löschen. Wenn Du nicht bereit bist, uns diese Gunst zu erweisen, werden wir gewiß im Feuer der Trennung verbrennen. Dabei werden wir an Dich und Deine Schönheit denken, während wir unsere Körper aufgeben. Auf diese Weise, so hoffen wir, wird es uns möglich sein, wenigstens im nächsten Leben einen Platz bei Deinen Lotosfüßen zu erhalten. Lieber Kṛṣṇa, falls Du nun sagst, unsere Ehemänner würden, wenn wir nach Hause gingen, die lustvolle Flamme unseres Verlangens löschen, so können wir nur sagen, daß dies nicht länger möglich ist. Du hast uns Hoffnung gegeben, im Wald von Dir genossen zu werden, und vor einiger Zeit berührtest Du sogar unsere Brüste, was wir damals als Segnung auffaßten, wie es auch die Glücksgöttinnen taten, die von Dir auf den Vaikuṇṭhas genossen werden. Seitdem wir diesen transzendentalen Genuß gekostet haben, sind wir nicht länger daran interessiert, zur Erfüllung unserer Lust zu irgend jemand anderem zu gehen als zu Dir. Lieber Kṛṣṇa, die Lotosfüße der Glücksgöttin werden von den Halbgöttern stets verehrt, obwohl die Göttin des Glücks auf den Vaikuṇṭha-Planeten ständig an Deiner Brust ruht. Sie nahm große Opfer und Bußen auf sich, um sich zumindest ein wenig im Schutz Deiner Lotosfüße aufhalten zu dürfen, die immer von tulasī-Blättern bedeckt sind. Deine Lotosfüße sind die geeignete Zuflucht für Deine Diener, und die Glücksgöttin kommt, statt an Deiner Brust zu verweilen, manchmal herunter und verehrt Deine Lotosfüße. Wir haben uns nun unter den Staub Deiner Füße geflüchtet; bitte weise uns nicht von Dir, denn wir sind Dir ganz und gar hingegebene Seelen.

Lieber Kṛṣṇa, Du bist als Hari bekannt. Du zerstörst alle Leiden aller Lebewesen, besonders derjenigen, die die Anhaftung an Heim und Familie aufgegeben und sich gänzlich Dir anvertraut haben. Wir haben unsere Familien in der Hoffnung verlassen, daß wir unsere Leben Deinem Dienst voll und ganz hingeben und weihen können. Wir bitten nur darum, als Deine Dienerinnen beschäftigt zu werden. Wir möchten Dich gar nicht bitten, uns als Deine Frauen anzunehmen. Nimm uns einfach nur als Deine Dienerinnen an. Da Du der Höchste Persönliche Gott bist und es liebst, den parakīya-rasa zu genießen, und da Du als transzendentaler Frauenliebhaber berühmt bist, sind wir gekommen, um Deine transzendentalen Verlangen zu befriedigen. Es geht uns natürlich auch um unsere eigene Befriedigung, denn als wir nur Dein lächelndes Gesicht anschauten, wurden wir von Lust erfüllt. Wir sind in unseren schönsten Kleidern und unserem wunderbarsten Schmuck zu Dir gekommen, doch solange Du uns nicht in Deine Arme schließt, bleiben all unsere Kleider und unser schönes Äußeres unvollständig. Du bist die Höchste Person, und wenn Du unseren Versuch, uns schön herzurichten, als der puruṣa-bhūṣaṇa, als »das männliche Schmuckstück«, vervollständigst, werden alle unsere Wünsche erfüllt, und unsere körperliche Schmückung wird vollkommen sein.

Lieber Kṛṣṇa, wir sind einfach von Dir bezaubert worden, als wir Dich mit tilaka und Ohrringen sahen, und als wir Dein wunderschönes von einzelnen Haarsträhnen verziertes Gesicht und Dein außergewöhnliches Lächeln sahen. Nicht nur das, wir fühlen uns auch zu Deinen Armen hingezogen, die den hingegebenen Seelen stets Geborgenheit geben. Und obwohl es uns auch Deine Brust angetan hat, die immer von der Glücksgöttin umfangen wird, hegen wir nicht das Verlangen, den Platz Lakṣmīs einzunehmen. Wir sind schon zufrieden, wenn wir Deine Dienerinnen sein dürfen.

Solltest Du uns jedoch vorwerfen, wir würden zur Prostitution ermuntern, können wir nur fragen: Wo in den drei Welten ist die Frau zu finden, die nicht von Deiner Schönheit und den rhythmischen Melodien Deiner Flöte betört wird? Innerhalb der drei Welten gibt es in Beziehung zu Dir keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, denn Männer wie Frauen gehören zur mittleren Energie oder prakṛti. In Wirklichkeit ist niemand Genießer oder männlich; vielmehr ist jeder dazu bestimmt, von Dir genossen zu werden. Es gibt keine Frau innerhalb der drei Welten, die es vermeiden könnte, vom Pfad der Keuschheit abzuweichen, wenn sie sich einmal zu Dir hingezogen fühlt, denn Deine Schönheit ist so erhaben, daß nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Kühe, Vögel, Tiere und selbst Bäume, Früchte und Blumen - kurz alles und jedes - bezaubert werden, ganz zu schweigen von uns. Es steht jedoch ebenfalls fest, daß Du, so wie Śrī Viṣṇu stets eingreift, um die Halbgötter vor Angriffen der Dämonen zu schützen, in Vṛndāvana erschienen bist, um die Einwohner vor allen Nöten zu bewahren. O lieber Freund der Leidenden, sei so gütig und lege Deine Hände auf unsere heißen Brüste und auf unsere Köpfe, denn wir haben uns Dir als Deine ewigen Dienerinnen hingegeben. Solltest Du jedoch befürchten, daß Deine lotosgleichen Handflächen zu Asche verbrannt würden, wenn Du sie auf unsere glühenden Brüste legtest, laß uns Dir versichern, daß Deine Handflächen Freude statt Schmerz empfinden werden, ebenso wie die Lotosblumen, obwohl sie sehr zart und sanft sind, die sengende Hitze der Sonne genießen.

Als der Höchste Persönliche Gott das sehnsüchtige Bitten der gopīs hörte, lächelte Er, und da Er den gopīs sehr gütig gesinnt war, begann Er, obwohl Er völlig in Sich Selbst zufrieden ist, sie zu umarmen und zu küssen, ganz wie sie es sich wünschten. Als Kṛṣṇa lächelnd die gopīs ansah, vergrößerte sich die Schönheit ihrer Gesichter um ein Hundertfaches, und als Er Sich in ihrer Mitte mit ihnen vergnügte, sah Er aus wie der Vollmond, der von Millionen funkelnder Sterne umringt wird. Somit begann der Höchste Persönliche Gott, umgeben von Hunderten von gopīs und bekränzt mit einer farbenprächtigen Blumengirlande, durch den Wald von Vṛndāvana zu ziehen, wobei Er manchmal allein und manchmal zusammen mit den gopīs sang. Auf diese Weise erreichten der Herr und die gopīs das kühle, sandige Ufer der Yamunā, wo viele Lilien und Lotosblumen standen. In dieser transzendentalen Atmosphäre begannen sich die gopīs und Kṛṣṇa aneinander zu erfreuen. Während sie am Ufer der Yamunā entlangschlenderten, legte Kṛṣṇa zuweilen den Arm um den Kopf, die Brüste oder die Hüfte einer gopī, oder sie kniffen sich, scherzten miteinander und sahen sich in die Augen. Wenn Kṛṣṇa die Körper der gopīs berührte, nahm ihre Lust, Ihn zu umarmen, noch mehr zu. Sie alle genossen diese Spiele. Die gopīs waren vom Höchsten Persönlichen Gott mit aller Barmherzigkeit gesegnet worden, da sie sich Seiner Gemeinschaft ohne eine Spur weltlicher Sexualität erfreuten.

Indessen begannen sie sich schon nach kurzer Zeit sehr stolz zu fühlen und hielten sich für die glücklichsten Frauen im Universum, da sie das Glück hatten, mit Kṛṣṇa zusammenzusein. Kṛṣṇa jedoch, der auch als Keśava bekannt ist, erkannte sogleich ihren Stolz, der entstanden war, weil sie die Gelegenheit erhalten hatten, Ihn persönlich zu genießen, und so verschwand Er von dem Schauplatz - in der Absicht, ihnen Seine grundlose Barmherzigkeit zu erweisen und ihnen den falschen Stolz zu nehmen. Damit zeigte Er zugleich Seine transzendentale Fülle der Entsagung. Der Höchste Persönliche Gott birgt stets sechs unermeßliche Füllen in Sich, und bei dieser Begebenheit offenbarte Er Seine Fülle der Entsagung. Diese Entsagung bestätigt Kṛṣṇas völlige Freiheit von aller Anhaftung. Er ist immer in Sich Selbst zufrieden und somit von nichts abhängig. Das ist die Ebene, auf der die transzendentalen Spiele stattfinden.

Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 29. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Erklärungen zum rāsa-Tanz.«