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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
16. Kapitel:
 
Krishna
 
Kṛṣṇa bezwingt die Schlange Kāliya


 

Als Śukadeva Gosvāmī die Geschichte vom Dhenukāsura-Dämonen erzählte, wurde Mahārāja Parīkṣit immer begieriger, von den Kindheitsspielen Kṛṣṇas zu hören. Er fragte Śukadeva Gosvāmī, auf welche Weise Kṛṣṇa die schwarze Schlange Kāliya bestrafte, die schon seit vielen Jahren in der Yamunā lebte. Tatsächlich begeisterte sich Mahārāja Parīkṣit immer mehr für die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas, und mit großem Eifer stellte er seine Fragen.

Śukadeva Gosvāmī erzählte daraufhin die Geschichte: Der Fluß Yamunā bildet an einer Stelle einen großen See, und in diesem See hatte sich Kāliya eingenistet. Von dem Gift der Schlange war die ganze Umgebung so verseucht, daß unablässig giftige Dämpfe aufstiegen. Flog zufällig ein Vogel über den See, stürzte er augenblicklich ins Wasser und verendete. Durch die giftigen Dämpfe der Yamunā waren alle Bäume und Gräser an den Flußufern abgestorben. Śrī Kṛṣṇa sah die Verheerung, die das Gift der großen Schlange angerichtet hatte: Der ganze Fluß vor Vṛndāvana war ein totes Gewässer. Kṛṣṇa, der erschienen war, um alle störenden Elemente auf der Welt zu beseitigen, kletterte daraufhin sofort auf einen großen kadamba-Baum, der am Ufer der Yamunā stand. Die kadamba ist eine runde, gelbe Blüte, die nur im Gebiet von Vṛndāvana zu finden ist. Nachdem Er die Krone des Baumes erklommen hatte, band Er Sein Gürteltuch fester, und während Er wie ein Ringkämpfer Seine Arme schwang, sprang Er weit in den giftigen See hinein. Der kadamba-Baum, von dem Kṛṣṇa sprang, war der einzige Baum, der nicht abgestorben war. Einige Kommentatoren der Veden sagen, der Baum sei auf der Stelle lebendig geworden, als er von den Lotosfüßen Kṛṣṇas berührt wurde; in manchen Purāṇas dagegen steht, daß Garuḍa, der ewige Träger Viṣṇus, wußte, daß Kṛṣṇa Kāliya töten würde, und daß er aus diesem Grunde etwas Nektar auf den Baum träufelte, um ihn am Leben zu erhalten.

Als Kṛṣṇa in das Wasser hineinsprang, trat der Fluß über seine Ufer, als wäre etwas sehr Großes und Schweres hineingefallen. Dieses Zeichen der Kraft Kṛṣṇas ist im Grunde nicht erstaunlich, denn Er ist ja die Quelle aller Kräfte.

Kṛṣṇa schwamm wie ein großer, starker Elefant im Fluß umher und verursachte dadurch ein gewaltiges Getöse, das bis an die Ohrlöcher der gewaltigen Kāliya-Schlange drang. Die aufgeschreckte Schlange wußte, daß der Lärm nur eines bedeuten konnte: Jemand wagte einen Angriff auf ihre Behausung. Weil sie die freche Störung nicht dulden konnte, zeigte sie sich augenblicklich vor Kṛṣṇa. Überrascht gewahrte Kāliya die überaus köstliche Schönheit Kṛṣṇas. - Seine Hautfarbe glich der Tönung einer Gewitterwolke, und Seine Beine waren wie Lotosstengel. Er war mit dem Śrīvatsa-Zeichen und mit Juwelen geschmückt und in ein gelbes Gewand gekleidet. Ein Lächeln spielte auf Seinem lieblichen Gesicht, während Er Sich mit kraftvoller Gewandtheit im Yamunā-Fluß bewegte. Doch trotz der wunderschönen Erscheinung Kṛṣṇas fühlte Kāliya grimmigen Ärger in seinem Herzen, und deshalb schnellte er auf Kṛṣṇa zu und packte Ihn mit seinen mächtigen Fängen. Die Kuhhirtenjungen und die anderen Bewohner Vṛndāvanas, die voller Liebe zu Kṛṣṇa waren, sahen das Unglaubliche - Krṣṇa in der tödlichen Umklammerung der Schlange -, und lähmendes Entsetzen überfiel sie. Alles, was sie besaßen, hatten sie Kṛṣṇa hingegeben - ihre Zuneigung, ihr Eigentum, ihre Handlungen, ihr ganzes Leben -, und als sie Ihn in dieser Lage sahen, sanken sie von Furcht überwältigt zu Boden. Die Kühe, die Stiere und die kleinen Kälber hielten voller Verzweiflung nach Kṛṣṇa Ausschau, doch sie konnten in ihrer Angst nur bitterlich weinen und standen bewegungslos am Ufer, unfähig, ihrem geliebten Kṛṣṇa zu helfen.

Während dieser Geschehnisse am Ufer der Yamunā waren unheilvolle Zeichen zu sehen. Die Erde bebte, Meteore fielen vom Himmel, und die Körper der Menschen erschauerten. All dies sind Anzeichen einer schrecklichen, unmittelbaren Gefahr. Als die Kuhhirten und auch Mahārāja Nanda und Mutter Yaśodā die düsteren Zeichen wahrnahmen, wurden sie von großer Besorgnis erfüllt, besonders da sie erfuhren, daß Kṛṣṇa ohne Seinen älteren Bruder Balarāma zu den Weidegründen gegangen war. Diese Nachricht steigerte ihre Angst nur noch mehr. In ihrer großen Zuneigung für Kṛṣṇa wurden sie, die sie sich über das Ausmaß der Energien Kṛṣṇas nicht bewußt waren, von Kummer und Besorgnis übermannt, denn nichts liebten sie mehr als Kṛṣṇa, und sie waren bereit, alles für Ihn zu geben - ihr Leben, ihren Besitz, ihre Zuneigung, ihre Gedanken und ihre Handlungen. Weil sie so sehr an Kṛṣṇa hingen, dachten sie, »heute ist Kṛṣṇa bestimmt etwas passiert!«, und gemeinsam verließen die Bewohner von Vṛndāvana das Dorf, um Kṛṣṇa zu suchen. Die Schar bestand aus Kindern, jungen und alten Männern, Frauen, Tieren und allen Arten von Lebewesen; sie wußten, daß Krṣṇa ihr einziger Beschützer war. Während dieser Vorgänge stand Balarāma, der Meister allen Wissens, ruhig lächelnd dabei. Er wußte, wie mächtig Sein jüngerer Bruder Kṛṣṇa war, und daß es keinen Grund zur Aufregung gab, wenn dieser mit einer gewöhnlichen Schlange der materiellen Welt kämpfte. Deshalb unternahm Er persönlich nicht das geringste. Aber die Bewohner Vṛndāvanas suchten um so verzweifelter nach Kṛṣṇa, indem sie Seinen Fußspuren auf dem weichen Boden folgten, die durch bestimmte Zeichen erkenntlich waren, und nach einiger Zeit erreichten sie schließlich das Flußufer, wo sie die Kühe und die Knaben weinen sahen, weil sie hilflos zusehen mußten, wie die schwarze Schlange Kṛṣṇa in ihrer Umklammerung zu erdrücken versuchte. Das steigerte die Angst der Bewohner Vṛndāvanas nur noch mehr. Während Balarāma lächelnd zusah, wie sie wehklagten, tauchten die Einwohner von Vrajabhūmi in ein Meer des Jammers ein, denn sie dachten, nun sei es um Kṛṣṇa geschehen. Obwohl die Einwohner von Vṛndāvana nicht viel über Kṛṣṇa wußten, kannte ihre Liebe zu Ihm keine Grenzen. Sobald sie Kṛṣṇa in der Umklammerung der Schlange Kāliya und die Jungen und Kühe am Ufer klagen sahen, konnten sie nur noch an Kṛṣṇas Freundschaft denken, an Sein lächelndes Gesicht, Seine süßen Worte und ihre Erlebnisse mit Ihm. Während sie sich so erinnerten und glaubten, Kṛṣṇa befinde Sich nun in der Gewalt Kāliyas, schienen ihnen die drei Welten öde und leer geworden zu sein. Auch Śrī Caitanya sagte später einmal, daß Ihm in Seiner Trennung von Kṛṣṇa alle drei Welten trostlos und leer erschienen. Das ist die höchste Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Fast alle Einwohner von Vṛndāvana hatten die höchste Ekstase, die Liebe zu Kṛṣṇa, erreicht.

Mutter Yaśodā wollte sich, als sie herbeigelaufen kam, sofort in den Yamunā-Fluß stürzen, und fiel in Ohnmacht, als man sie daran hinderte. Andere, die ebenso verzweifelt waren, weinten so sehr, daß ihnen die Tränen wie Regengüsse oder Wasserfälle aus den Augen strömten, aber um Mutter Yaśodā wieder zu Bewußtsein zu bringen, sprachen sie mit lauter Stimme über die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas. Mutter Yaśodā jedoch regte sich nicht, als sei sie tot, denn ihr ganzes Bewußtsein war auf das Gesicht Kṛṣṇas konzentriert. Nanda und die anderen Hirten, die alles, selbst ihre Leben, Kṛṣṇa hingegeben hatten, wollten sich ebenfalls in das Wasser der Yamunā begeben, doch Balarāma hinderte sie daran, denn Er besaß vollkommenes Wissen, und so wußte Er, daß keine Gefahr drohte.

Zwei Stunden lang blieb Kṛṣṇa im Griff der Würgearme Kāliyas und verhielt Sich wie ein gewöhnliches Kind, doch als Er sah, daß alle Einwohner von Vṛndāvana - Seine Mutter und Sein Vater, die gopīs, die Jungen und die Kühe - nahe daran waren, ihr Leben aufzugeben, und daß sie nichts anderes mehr vor dem unmittelbaren Tod bewahren konnte, befreite Er Sich augenblicklich. Er straffte Seinen Körper, und als die Schlange versuchte, Ihn festzuhalten, spürte sie einen starken Druck, der sie bald zwang, die Umklammerung zu lockern, so daß ihr schließlich keine andere Möglichkeit blieb, als den Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, aus ihrem Griff zu entlassen. Daraufhin geriet Kāliya in rasende Wut, und seine Hauben blähten sich auf. Giftige Dämpfe stieß er aus seinen Nüstern, seine Augen loderten wie Feuer, und Flammen züngelten aus seinem Schlund. Für kurze Zeit verhielt er und beobachtete Kṛṣṇa in unbeweglicher Haltung. Die Lippen mit gespaltenen Zungen leckend, beäugte die vielköpfige Schlange Kṛṣṇa mit giftigem Blick. Kṛṣṇa jedoch ging blitzschnell auf sie los, ähnlich wie Garuḍa, wenn er auf eine Schlange herabstößt. Kāliya suchte, als er so unversehens angegriffen wurde, nach einer Gelegenheit, Kṛṣṇa zu beißen, aber dieser schwamm in schnellen Kreisen um ihn herum, so daß Kāliya Ihn nicht fangen konnte. Während Kāliya Kṛṣṇa im Kreise jagte, ermüdete die Schlange allmählich, und es war zu bemerken, daß ihre Kraft beträchtlich nachließ. Kṛṣṇa drückte nun geschwind einen der Schlangenköpfe herunter und sprang auf ihn. Die Lotosfüße des Herrn wurden durch die Strahlen, die von den Juwelen auf den Schlangenhäuptern ausgingen, rot gefärbt. Dann begann Kṛṣṇa, der ursprüngliche Künstler aller schönen Künste, zu denen auch das Tanzen gehört, auf den Häuptern der Schlange zu tanzen, obwohl ihre vielen Köpfe sich ständig hin und her bewegten. Als die Halbgötter auf den höheren Planeten dies sahen, ließen sie Blumen vom Himmel regnen, schlugen ihre Trommeln, spielten auf vielerlei Flöten und sangen viele Lieder und Gebete. Auf diese Weise zeigten die Bewohner des Himmels wie die Gandharvas, Siddhas und andere Halbgötter ihre Freude.

Während Kṛṣṇa auf den Köpfen der Kāliya-Schlange tanzte, versuchte sie ständig, Ihn mit einem ihrer Köpfe herunter zu stoßen. Kāliya besaß zwar ungefähr einhundert Köpfe, aber Kṛṣṇa behielt sie alle unter Kontrolle. Er fing an, Kāliya mit Seinen Lotosfüßen zu treten, und das war mehr, als die Schlange ertragen konnte. Allmählich war Kāliya so weit, daß er nur noch um sein nacktes Leben kämpfte. Er spie üblen Geifer und stieß sengende Feuerflammen aus. Während er giftige Substanzen aus seinem Inneren hervorwürgte, verringerten sich die Reaktionen auf seine Sündenlast. Mit verzweifelter Wut kämpfte er um sein Leben, während er immer wieder versuchte, einen seiner Köpfe zu erheben, um den Herrn zu töten. Der Herr aber bemerkte sofort jeden Versuch und verhinderte ihn, indem Er beim Tanzen gegen den Kopf trat. Im Grunde glich die Szene mehr und mehr einer Verehrung des Höchsten Persönlichen Gottes Śrī Viṣṇu, und das Gift, das dem Rachen der Schlange entströmte, ähnelte einer Blumenopferung. Bald jedoch begann Kāliya, statt Gift Blut zu spenden; er war völlig erschöpft, und sein ganzer Körper schien von den Tritten des Herrn wie zerbrochen. In seinem Inneren aber begann er allmählich zu verstehen, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, und so ergab er sich Ihm schließlich. Kāliya erkannte, daß Kṛṣṇa, der Höchste Gott, der Meister aller Meister ist.

Als die Frauen Kāliyas, die Nāgapatnīs, sahen, daß ihr Mann durch die Fußtritte des Herrn, in dessen Körper das gesamte Universum ruht, bezwungen war, schickten sie sich an, den Herrn zu verehren, wobei ihnen in der Eile Kleidung, Haar und Schmuck durcheinandergerieten. Auch sie ergaben sich dem Höchsten Herrn und machten sich daran, Ihm ihre Gebete darzubringen. Sie erschienen vor Ihm, ihre Kinder vor sich herschiebend, und erwiesen Ihm mit Ehrfurcht ihre respektvollen Ehrerbietungen, indem sie am Ufer der Yamunā vor Ihm zu Boden fielen. Die Nāgapatnīs wußten, daß Kṛṣṇa die Zuflucht aller hingegebenen Seelen ist, und sie wollten ihren Mann vor der drohenden Gefahr einer harten Bestrafung bewahren, indem sie den Herrn mit ihren Gebeten erfreuten.

Die Nāgapatnīs sprachen: »O lieber Herr, Du bist jedem gleichgesinnt. Für Dich gibt es keinen Unterschied zwischen Söhnen, Freunden oder Feinden. Deshalb hast Du auch mit der Bestrafung, die Du Kāliya gütigerweise erteilt hast, völlig gerecht gehandelt. O Herr, Du bist mit der besonderen Absicht erschienen, alle störenden Elemente auf der Welt zu vernichten, und weil Du die Absolute Wahrheit bist, gibt es keinen Unterschied zwischen Deiner Barmherzigkeit und Deiner Strafe. Wir wissen daher, daß die Bestrafung Kāliyas im Grunde eine Segnung ist. Wir betrachten Deine Strafe als große Gnade für uns, denn man muß wissen, daß, wenn Du jemanden bestrafst, die Reaktionen auf seine sündigen Handlungen getilgt werden. Es ist uns völlig klar, daß das Geschöpf, das hier im Körper einer Schlange vor uns schwimmt, früher ungeheuer viele Sünden auf sich geladen haben muß; denn warum sonst mußte es den Körper einer Schlange annehmen? Durch das Tanzen auf seinen Köpfen hast Du alle Reaktionen auf sein sündhaftes Handeln vernichtet, zu denen er verleitet wurde, weil er den Körper einer Schlange besitzt. Es ist deshalb ein großes Glück, daß Du zornig geworden bist, und ihn auf diese Weise bestraft hast. Doch wundern wir uns sehr, daß Du so gütig zu Kāliya bist; er muß Dich wohl in seinen früheren Leben durch vielerlei religiöse Handlungen erfreut haben. Die Bußen und Entsagungen, die er auf sich nahm, müssen sogar so groß gewesen sein, daß jeder ihn dafür rühmte, und er muß wohltätige Werke zum Wohl aller Lebewesen vollbracht haben.«

Die Nāgapatnīs bestätigen hier, daß man nicht mit Kṛṣṇa in Verbindung kommen kann, ohne Ihm in seinen früheren Leben hingebungsvoll und fromm gedient zu haben.

Wie Śrī Caitanya in Seinen Śrī Śikṣāṣṭaka rät, muß man hingebungsvolles Dienen praktizieren, indem man demütig den Hare-Kṛṣṇa-mantra chantet, sich niedriger dünkend als das Stroh in der Gasse und niemals Ehre für sich selbst erwartend, doch immer bereit, allen anderen Ehre zu erweisen. Die Nāgapatnīs fragten sich, wie es möglich sein konnte, daß Kāliya einerseits als Folge schwerer sündiger Handlungen den Körper einer Schlange erhalten hatte und andererseits mit dem Herrn in Verbindung kommen konnte, ja sogar von den Lotosfüßen des Herrn berührt wurde. Zweifellos konnte es sich hierbei nicht um gewöhnliche Ergebnisse auf fromme Werke handeln. Diese beiden widersprüchlichen Tatsachen verwunderten sie also, und deshalb beteten sie: »O Herr, wir sind verwundert, daß Kāliya so vom Glück begünstigt ist, daß er den Staub Deiner Lotosfüße auf seinem Kopf tragen darf. Dieses Glück ersehnen sich große Heilige, und selbst die Göttin des Glücks nahm harte Entsagungen auf sich, um mit dem Staub Deiner Lotosfüße gesegnet zu werden. Wie kommt es also, daß Kāliya diesen Staub so leicht erhielt? Wir haben aus maßgeblicher Quelle gehört, daß jene, die mit dem Staub Deiner Lotosfüße gesegnet sind, nicht einmal die höchste Daseinsform innerhalb dieses Universums, das Leben als Brahmā, erstreben, und daß sie sich auch nicht nach der Herrschaft über die Erde sehnen. Solche Menschen begehren nicht, über die himmlischen Planeten zu herrschen, die sich über dieser Erde befinden, wie z. B. Siddhaloka, noch begehren sie mystische Kräfte, die man durch bestimmte yoga-Übungen erhält. Auch versuchen die reinen Gottgeweihten nicht, durch Befreiung eins mit Dir zu werden. Herr, obwohl Kāliya in einer Lebensform geboren wurde, die von den abscheulichsten Erscheinungsweisen der materiellen Natur bestimmt wird, begleitet von der Eigenschaft des Ärgers, hat dieser König der Schlangen etwas erreicht, was man nur äußerst selten erlangt. Die Lebewesen, die innerhalb des materiellen Universums von Planet zu Planet wandern und eine Lebensform nach der anderen annehmen, können allein durch Deine Barmherzigkeit sehr leicht die höchste aller Segnungen erhalten.«

Im Śrī Caitanya-caritāmṛta wird bestätigt, daß die Lebewesen im materiellen Universum von einer Lebensform zur anderen wandern, daß aber durch die Barmherzigkeit Kṛṣṇas und des geistigen Meisters der Same des hingebungsvollen Dienens in ihnen aufgehen und damit der Pfad zur Befreiung geebnet werden kann.

Die Nāgapatnīs fuhren fort: »Wir bringen Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar, lieber Herr, denn Du bist die Höchste Person, der Du als die Überseele in jedem Lebewesen wohnst; obwohl Du transzendental bist zur kosmischen Manifestation, ruht alles in Dir. Du bist die personifizierte, unüberwindliche ewige Zeit. Die gesamte Zeitenergie existiert in Dir, und daher bist Du der Beobachter und die Verkörperung der gesamten Zeit, die wahrgenommen wird in Form von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Monaten, Tagen, Stunden, Augenblicken. Mit andern Worten, o Herr, Du kannst in vollkommener Weise alle Ereignisse sehen, die sich in jeder Sekunde, in jeder Stunde, an jedem Tag, in jedem Jahr, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ereignen. Du Selbst bist die universale Form, und dennoch bist Du verschieden von diesem Universum. Du bist gleichzeitig eins mit und verschieden von ihm. Wir bringen Dir deshalb unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. Du Selbst bist das gesamte Universum und dennoch bist Du der Schöpfer des Universums. Du bist der Kontrollierende und der Erhalter des Universums, und Du bist seine ursprüngliche Ursache. Obwohl Du in diesem Universum durch Deine drei qualitativen Inkarnationen, Brahmā, Viṣṇu und Maheśvara, Śiva, gegenwärtig bist, bist Du dennoch transzendental zur materiellen Schöpfung. Obwohl Du die Ursache für das Erscheinen aller Arten von Lebewesen bist - samt ihrer Sinne, ihres Lebens, ihres Geistes und ihrer Intelligenz -, bist Du nur durch Deine innere Energie zu erkennen. Wir wollen Dir daher unsere respektvollen Ehrerbietungen darbringen, der Du unbegrenzt, feiner als das Feinste, das Zentrum der gesamten Schöpfung und der Allwissende bist. Viele verschiedene spekulierende Philosophen versuchen, Dich zu erreichen. Du bist das letzliche Ziel aller philosophischen Bemühungen, und im Grunde bist Du es, den alle Philosophien und die verschiedenen Lehren beschreiben. Wir wollen deshalb Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen erweisen, denn Du bist der Ursprung aller Schriften und die Quelle des Wissens. Du bist die Wurzel aller Beweise und Du bist die höchste Person, die uns das höchste Wissen geben kann. Du bist die Ursache aller Arten von Verlangen und Du bist die Ursache jeglicher Zufriedenstellung. Du bist die Veden in Person. Deshalb bringen wir Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. O lieber Herr, Du bist der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, und Du bist auch der höchste Genießer, der Du nun als der Sohn Vasudevas, einer Manifestation des reinen Zustandes der Güte, erschienen bist. Du bist die über den Geist und die Intelligenz herrschenden Gottheiten, Pradyumna und Aniruddha, und Du bist der Herr aller Vaiṣṇavas. Durch Deine Erweiterung als caturvyūha - als Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Aniruddha und Pradyumna - bist Du die Ursache für die Entwicklung von Geist und Intelligenz. Durch Deinen Willen wird ein Lebewesen von Vergessen bedeckt oder entdeckt seine wirkliche Identität, wie es in der Bhagavad-gītā im 15. Vers des Fünfzehnten Kapitels bestätigt wird: Der Herr weilt als die Überseele im Herzen eines jeden Lebewesens, und nur aufgrund Seiner Anwesenheit vergißt ein Lebewesen seine Identität oder belebt sein ursprüngliches Bewußtsein. Wir können bis zu einem gewissen Maße verstehen, daß Du Dich in unseren Herzen als der Zeuge aller unserer Handlungen aufhältst, aber es ist sehr schwierig, Deine Anwesenheit richtig zu würdigen, denn wir sind uns dessen nicht immer vollständig bewußt. Du bist der höchste Gebieter über die materielle und die spirituelle Energie. Deshalb bist Du, obwohl Du von der kosmischen Manifestation verschieden bist, der höchste Kontrollierende auch der Vorgänge in der materiellen Natur. Du bist der Schöpfer, der Beobachter und die Substanz der kosmischen Manifestation. Deshalb bringen wir Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. O Herr, mit der Schöpfung der materiellen Manifestation hast Du direkt nichts zu tun; vielmehr kannst Du einfach, indem Du verschiedene Energien -die Erscheinungsweise der Reinheit, die der Leidenschaft und die der Unwissenheit - erzeugst, die gesamte Manifestation erschaffen, erhalten und vernichten. Einfach durch Deinen Blick über die materielle Energie kannst Du, der Gebieter über die Zeit, die Universen erschaffen und die verschiedenen Kräfte der materiellen Natur ins Dasein rufen, die auf verschiedene Weise in den unterschiedlichen Wesen wirken. Niemand kann begreifen, auf welche Weise Dein Wille in dieser Welt geschieht. Lieber Herr, obwohl Du Dich in drei Haupt-Gottheiten des Universums erweiterst, nämlich in Brahmā zur Schöpfung, Viṣṇu zur Erhaltung und Śiva zur Zerstörung, ist Deine besondere Erscheinung als Viṣṇu für alle lebenden Geschöpfe die wirklich segenbringende. Denn es wird für diejenigen, die bereits voller Glück sind und die nach der höchsten Reinheit streben, die Verehrung Deiner gütigen Erscheinung als Śrī Viṣṇu empfohlen.

O Herr, demütig bringen wir Dir unsere Gebete dar. Du weißt, was es für uns bedeutet, daß diese arme Schlange nun ihren Körper aufgibt. Du weißt, daß wir Frauen von unseren Ehemännern abhängig sind; deshalb flehen wir Dich an, Kāliya, unserem Ehemann, gütigerweise zu verzeihen, denn wenn diese Schlange stirbt, geraten wir in große Schwierigkeiten. Um unseretwillen, bitte, vergib dem armseligen Frevler! O Herr, jedes lebende Geschöpf stammt von Dir ab, und Du erhältst es wie der Vater sein Kind. Ebenso ist es mit Kāliya, und deshalb wirst Du ihm gewiß vergeben, der Dich zweifellos nur so schwer beleidigte, weil er die absolute Natur Deiner Kräfte nicht kannte. Wir bitten Dich also, ihm für dieses eine Mal noch zu vergeben. O Herr, Du weißt, daß wir jeglichen Dienst, den Du von uns erwartest, mit Liebe für Dich tun werden, weil wir die ewigen Diener Deiner Herrlichkeit sind. Du kannst uns befehlen und von uns verlangen, was immer Dir beliebt. Ein Lebewesen kann von jeglicher Verzweiflung frei werden, wenn es bereit ist, stets Deinen Anweisungen zu folgen.«

Nachdem Śrī Kṛṣṇa lächelnd die Gebete der Nāgapatnīs angehört hatte, erlöste Er Kāliya von seiner Strafe. Kāliya war durch die Tritte des Herrn bewußtlos geworden, doch als die Strafe von ihm genommen war, erlangte er gleichzeitig mit seinem Bewußtsein seine volle Lebenskraft und die Lebendigkeit seiner Sinne zurück. Mit gefalteten Händen begann auch er, demütig zum Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa zu beten: »Mein lieber Herr, ich bin in einer solch abscheulichen Lebensform geboren worden, in der ich von Natur aus niederträchtig und bösartig bin, da ich mich in diesem Körper in finsterster Unwissenheit befinde. Du weißt sehr gut, o Höchster Herr, daß es sehr schwierig ist, die triebhaften Instinkte aufzugeben, obwohl das Lebewesen durch solche Triebe gezwungen ist, von einem Körper zum andern zu wandern.« Auch in der Bhagavad-gītā wird bestätigt, daß es äußerst schwierig ist, der Gewalt der materiellen Natur zu entkommen, daß aber die materielle Natur keine Macht mehr über den hat, der dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa hingegeben ist. Kāliya fuhr fort: »Lieber Herr, Du bist der Ursprung der Erscheinungsweisen der materiellen Natur, durch die dieses Universum geschaffen wird, und Du bist die letztliche Ursache für die verschiedenen Geisteshaltungen der Lebewesen, durch die sie ihre verschiedenen Körper erlangen. O Herr, ich bin als Schlange geboren worden, und deshalb bin ich aufgrund meiner niederen Instinkte von Natur aus bösartig. Wie sollte es mir also ohne Deine Barmherzigkeit möglich sein, diese Eigenschaften, die ich nun einmal habe, aufzugeben? Es ist sehr schwierig, der Gewalt māyās zu entkommen; denn da māyā Deine Energie ist, kann sie uns für Ewigkeiten gefesselt halten. Deshalb, lieber Herr, vergib mir bitte gütigerweise meine unvermeidbaren materiellen Neigungen. Nun kannst Du mich ganz nach Deinem Belieben bestrafen oder erlösen.«

Nachdem Er dieses Gebet gehört hatte, gab der Höchste Persönliche Gott in der Gestalt eines kleinen menschenähnlichen Kindes der Schlange folgenden Befehl: »Verlaß augenblicklich diesen Ort und begib dich zum Ozean. Alle deine Kinder, deine Frauen und deine Besitztümer kannst du mit dir nehmen, doch mußt du dich jetzt ohne Verzögerung auf den Weg machen. Vergifte in Zukunft nie mehr das Wasser der Yamunā, denn es soll für die Kühe und Kuhhirtenjungen ohne Gefahr zu trinken sein.« Der Herr sagte darauf, daß der Befehl, den Er der Kāliya-Schlange erteilt habe, von jedem gehört und weitergesagt werden solle, damit sich niemand mehr vor Kāliya zu fürchten brauche.

Jeder, der diese Erzählung von der Schlange Kāliya und ihrer Bestrafung vernimmt, wird nicht mehr die Bösartigkeiten der Schlangen zu fürchten brauchen. Der Herr erklärte auch: »Wenn jemand im Kāliya-See badet, wo einst Ich und Meine Kuhhirtenfreunde gebadet haben, oder wer, nachdem er für einen Tag gefastet hat, den Vorvätern von diesem Wasser opfert, wird von allen Reaktionen auf sündhaftes Tun frei.« Der Herr versicherte Kāliya außerdem: »Du kamst hierher, weil du dich vor Garuḍa fürchtetest, als er zu deinem paradiesischen Eiland im Ozean kam, um dich zu fressen. Wenn Garuḍa aber die Markierung sieht, die Ich mit Meinen Lotosfüßen auf deinem Kopf hinterlassen habe, wird er dich nicht länger behelligen.«

Und der Herr konnte mit Kāliya und seinen Frauen sehr zufrieden sein: Gleich nachdem sie Seinen Befehl vernommen hatten, begannen die Frauen Kāliyas, Ihn mit reichen Opfergaben wie schönen Gewändern, Blumengirlanden, Juwelen, Geschmeide, Sandelholzpasten, Lotosblüten und wohlschmeckenden Früchten zu verehren. Auf diese Weise verehrten sie den Herrn Garuḍas, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatten. Dann verließen sie dem Befehl Kṛṣṇas folgend die Yamunā.

Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 16. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:
»Kṛṣṇa bezwingt die Schlange Kāliya«.