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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas

Von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott
Originale Version 1. Auflage 1974
1. Kapitel:
 
Krishna
 
Die Ankunft Śrī Kṛṣṇas


 

Es gab eine Zeit, da war die Welt durch die übermäßig angewachsenen Streitmächte verschiedener Fürsten bedroht, die in Wirklichkeit Dämonen waren, sich aber wie Könige gebärdeten. Da alle Bewohner in großer Angst lebten, machte sich die herrschende Göttin der Erde, Bhūmi, auf, um Brahmā, dem obersten Halbgott im Universum, von der bedrohlichen Situation zu berichten. Bhūmi nahm die Gestalt einer Kuh an und erschien mit Tränen in den Augen vor Brahmā. Sie weinte, um das Mitleid des Halbgottes zu erwecken, und erzählte von den fürchterlichen Zuständen auf der Erde. Als Brahmā ihre Schilderung hörte, war er sehr betroffen und verfiel in tiefes Nachdenken. Schließlich beschloß er, Viṣṇu, den Erhalter des Universums, um Hilfe zu bitten, und begab sich, begleitet von allen Halbgöttern, die von Śiva angeführt wurden, nach Śvetadvīpa, zum Milchozean, wo Viṣṇu residiert. Bhūmi folgte ihnen. Als sie am Ufer des Milchozeans angekommen waren, begann Brahmā Viṣṇu lobzupreisen, der schon früher einmal, in der transzendentalen Gestalt eines Ebers, den Erdplaneten vor dem Untergang gerettet hatte.

Lord Brahma mit den Halbgöttern beten zu Lord VishnuIn den vedischen mantras gibt es ein besonderes Gebet, Puruṣa-sūkta genannt, das die Halbgötter chanten, um Viṣṇu, dem Höchsten Persönlichen Gott, ihre Ehrerbietungen darzubringen. Man muß in diesem Zusammenhang verstehen, daß sich die herrschende Gottheit jedes Planeten an den höchsten Halbgott des Universums, Brahmā, wenden kann, wenn Störungen auf dem jeweiligen Planeten auftreten. Brahmā wiederum kann sich dem Höchsten Gott, Viṣṇu, nähern, jedoch nicht direkt, sondern vom Ufer des Milchozeans aus. Es gibt im Universum einen Planeten, Śvetadvīpa genannt, auf dem sich der Milchozean befindet. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß es auch auf anderen Planeten verschiedene Arten von Ozeanen gibt, ähnlich wie auf unserem Planeten einen Ozean aus Salzwasser. Auf Śvetadvīpa existiert ein Ozean aus Milch, anderswo befindet sich ein Ozean aus Öl, und irgendwo gibt es auch einen Ozean, der aus Alkohol besteht, usw.

Puruṣa-sūkta heißt das Gebet, das die Halbgötter sprechen, um dem Höchsten Persönlichen Gott, Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu, ihre Ehre zu erweisen. Weil Er auf dem Milchozean ruht, wird Er Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu genannt. Er ist der Höchste Persönliche Gott, von dem alle Inkarnationen im Universum ausgehen.

Alle Halbgötter brachten also das Puruṣa-sukta-Gebet dar, erhielten jedoch offenbar keine Antwort. Daraufhin versank Brahmā persönlich in Meditation und empfing eine Botschaft von Viṣṇu, die er an die Halbgötter weitergab. Das ist das System, vedisches Wissen zu empfangen. Wie zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam gesagt wird (tene brahmā hṛdā) offenbarte der Höchste Persönliche Gott dem ersten Lebewesen im Universum, Brahmā, das transzendentale Wissen der Veden im Herzen. Ebenso konnte auch in diesem Fall nur Brahmā die Botschaft verstehen, die von Viṣṇu übermittelt wurde, und er gab sie an die Halbgötter weiter, damit diese sofort dementsprechend handeln konnten. Die Botschaft lautete: Der Höchste Persönliche Gott wird zusammen mit Seinen überaus mächtigen Kräften sehr bald auf der Erde erscheinen, und solange Er auf dem Erdplaneten bleibt, um Sein Vorhaben, die Vernichtung der Dämonen und die Errettung der Geweihten, zu erfüllen, sollen auch die Halbgötter dort sein, um Ihn zu unterstützen. Sie alle sollen sich sofort darauf vorbereiten, in der Yadu-Dynastie geboren zu werden, in der auch der Herr sehr bald erscheinen wird.

Der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, erschien als der Sohn Vāsudevas. Bevor Er erschien, kamen alle Halbgötter mit ihren Frauen in verschiedenen frommen Familien auf die Erde, um den Herrn bei der Ausführung Seines Vorhabens zu unterstützen. Das genaue Wort, das hier gebraucht wird, lautet »tatpriyārtham«; es bedeutet, daß die Halbgötter auf der Erde erscheinen sollen, um den Herrn zu erfreuen. Mit anderen Worten: Jedes Lebewesen, das sein Leben nutzt, um den Höchsten zufriedenzustellen, ist ein Halbgott.

Die Halbgötter wurden außerdem darüber informiert, daß eine vollständige Erweiterung Kṛṣṇas, Ananta, der die Planeten des Universums mit Seinen Millionen von Köpfen in der Schwebe hält, ebenfalls vor der Ankunft Śrī Kṛṣṇas auf der Erde erscheinen werde. Auch die äußere Energie Viṣṇus (māyā), die alle bedingten Seelen bezaubert, werde erscheinen, um dem Höchsten Persönlichen Gott behilflich zu sein. Nachdem Brahmā allen Halbgöttern, auch Bhūmi, diese Botschaft mitgeteilt und sie mit freundlichen Worten beruhigt hatte, kehrte er, der Vater aller prajāpatis (der Vorfahren aller Lebewesen im Universum), zu seinem Aufenthaltsort auf dem höchsten materiellen Planeten zurück, der Brahmaloka genannt wird.

Der Führer der Yadu-Dynastie, König Śūrasena, regierte über das Land Mathurā und über den Bezirk, der als Śūrasena bekannt ist. Während der Herrschaft König Śūrasenas wurde Mathurā die Hauptstadt aller Könige der Yadus. Mathurā wurde zur Hauptstadt gewählt, weil die Yadus eine sehr fromme Familie waren und wußten, daß Mathurā der Ort ist, an dem Śṛī Kṛṣṇa, genau wie in Dvārakā, ewig lebt.

Eines Tages fuhr Vāsudeva, der Sohn Śūrasenas, zusammen mit seiner jungen Braut Devakī, als die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber waren, in der Kutsche nach Hause. Der Vater Devakīs, Devaka, der seine Tochter sehr liebte, hatte eine beträchtliche Mitgift beigesteuert, worunter sich unter anderem Hunderte von Kutschen befanden, die vollkommen mit Gold beschlagen waren. Kaṁsa, der Sohn Ugrasenas, hatte sich, um seine Schwester Devakī zu erfreuen, angeboten, das Brautpaar nach Hause zu fahren. Nach vedischem Brauch bringt, wenn ein Mädchen heiratet, der Bruder die Schwester und den Schwager zu ihrem neuen Heim. Weil das frischverheiratete Mädchen unter der Trennung von der Familie ihres Vaters leiden könnte, begleitet sie ihr Bruder bis zum Hause des Schwiegervaters.

Die von Devaka beigesteuerte Mitgift bestand aus insgesamt vierhundert mit goldenen Girlanden geschmückten Elefanten, fünfzehntausend geschmückten Pferden und achtzehnhundert Kutschen. Außerdem waren zweihundert wunderschöne Mädchen ausgesucht worden, die seine Tochter begleiten sollten. Das kṣatriya-System der Heirat, das in Indien noch heute Gültigkeit hat, schreibt vor, daß zusammen mit der Braut einige Dutzend ihrer Freundinnen zum Hause des Brautvaters gehen. Die Begleiterinnen der Königin-Braut werden zwar Dienerinnen genannt, doch sind sie in Wirklichkeit ihre Freundinnen. Dieses System ist seit unvordenklichen Zeiten Brauch und läßt sich mindestens bis zur Zeit vor der Ankunft Śrī Kṛṣṇas vor fünftausend Jahren zurückverfolgen. Vāsudeva brachte also zusammen mit seiner Frau noch zweihundert schöne Mädchen mit nach Hause.

Während Braut und Bräutigam in der Kutsche dahinfuhren, wurden die verschiedensten Instrumente gespielt, um das besondere Ereignis anzuzeigen. Es ertönten Muschelhörner, Trompeten, Trommeln und Pauken, die sich zu einem wohlklingenden Konzert vereinigten. Die Hochzeitsgesellschaft war in freudiger Stimmung, als plötzlich eine orakelhafte Stimme vom Himmel ertönte, die besonders an Kaṁsa gerichtet war: »Kaṁsa, du Narr, du lenkst die Kutsche deiner Schwester und deines Schwagers und weißt nicht, daß das achte Kind deiner Schwester dich töten wird!«

Kamsa will seine Schwester Devaki tötenKaṁsa, der Sohn Ugrasenas, gehörte zur Bhoja-Dynastie, und es wird gesagt, daß er der dämonischste aller Könige der Bhoja-Dynastie war. Sowie er die Prophezeiung vom Himmel hörte, packte er Devakī bei den Haaren und zückte sein Schwert, um sie zu töten. Vāsudeva war von Kaṁsas Verhalten sehr überrascht, und um den grausamen, schamlosen Schwager zu besänftigen, begann er mit großer Vernunft und Klarheit wie folgt zu sprechen: »Mein lieber Kaṁsa, du bist der berühmteste König der Bhoja-Dynastie, und jeder weiß, daß du ein tapferer Krieger und ein großer König bist. Wie kommt es, daß du dermaßen in Wut gerätst, daß du sogar bereit bist, eine Frau, die noch dazu deine Schwester ist, an ihrem Hochzeitstag zu töten? Warum solltest du dich vor dem Tode fürchten? Dein Tod wurde schon bei deiner Geburt mit dir geboren. Seitdem du geboren bist, stirbst du. Du bist jetzt vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt; das bedeutet, daß du schon fünfundzwanzig Jahre lang gestorben bist. In jedem Moment, in jeder Sekunde stirbst du, warum solltest du also Angst vor dem Tode haben? Der Tod ist unvermeidbar. Du magst heute oder in hundert Jahren sterben - dem Tod kannst du nicht entrinnen. Warum solltest du dich also fürchten? In Wirklichkeit bedeutet der Tod lediglich die Vernichtung des Körpers. Sobald der Körper seine Tätigkeit einstellt und sich mit den fünf Elementen der materiellen Natur vereinigt, nimmt das Lebewesen, das sich im Körper befunden hat, je nach seinen früheren Taten, einen anderen Körper an. Es ist wie mit einem Mann, der auf der Straße geht: Er setzt einen Fuß vor, und wenn er sicher ist, daß dieser auf festem Grund steht, hebt er den anderen. In ähnlicher Weise wandert die Seele von einem Körper zum anderen. Sieh nur, wie die Raupe vorsichtig von einem Zweig zum anderen wechselt! Ähnlich wechselt das Lebewesen seinen Körper, sobald höhere Autoritäten über den nächsten entschieden haben. Solange ein Lebewesen in der materiellen Welt gefangen ist, muß es immer wieder, Geburt auf Geburt, einen materiellen Körper annehmen. Der nächste Körper, den man erhält, wird durch die Gesetze der Natur entsprechend den Handlungen und den daraus resultierenden Reaktionen des vorherigen Lebens bestimmt. Unser gegenwärtiger Körper gleicht einem der Körper, die wir in unseren Träumen annehmen. Während des Schlafes schaffen wir im Traum die verschiedensten Körper und erleben phantastische Dinge. Wir kennen z. B. Gold und haben einmal einen Berg gesehen, und so schaffen wir im Traum durch die Verbindung dieser beiden Vorstellungen einen goldenen Berg. Manchmal träumen wir, fliegen zu können oder ein König zu sein, während wir unseren eigentlichen Körper, der auf dem Bett liegt, vergessen. Ebenso wechseln wir unsere materiellen Körper. Wenn du einen neuen Körper annimmst, vergißt du den alten. Während eines Traumes z. B. mögen wir viele verschiedene Körper schaffen, doch wenn wir erwachen, vergessen wir sie alle wieder. Und tatsächlich sind auch unsere groben materiellen Körper nichts anderes als Schöpfungen unseres Geistes - nur können wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt an unsere vergangenen Körper nicht mehr erinnern.

Der Geist ist von Natur aus unstet. Manchmal nimmt er etwas an, und dann lehnt er es kurze Zeit später wieder ab. Annehmen und Ablehnen sind die Tätigkeiten des Geistes in Verbindung mit den fünf Objekten der Sinne: Form, Geschmack, Geruch, Klang und Berührung. Wenn der ruhelose, ständig umherwandernde Geist mit den Sinnenobjekten in Berührung kommt, entwickelt das Lebewesen nach und nach den Wunsch nach einem bestimmten Körper, der ihm dann von der materiellen Natur zur Verfügung gestellt wird.

Das Lebewesen kommt in die materielle Welt und nimmt einen Körper an, um dann entsprechend der Beschaffenheit des Körpers zu genießen und zu leiden. Ohne Körper können wir, trotz unserer Neigungen, die wir im vorherigen Leben entwickelt haben, weder genießen noch leiden. Der Körper, den man annimmt, wird von dem Bewußtsein bestimmt, in dem man sich zur Stunde des Todes befindet. Leuchtende Planeten wie die Sonne, der Mond oder die Sterne spiegeln sich zum Beispiel in Wasser, Öl oder Butterfett. Die Spiegelung des Mondes ruht auf dem Wasser, und wenn sich das Wasser bewegt, scheint sich auch der Mond zu bewegen, obwohl er sich in Wirklichkeit nicht bewegt. In ähnlicher Weise nimmt das Lebewesen durch seine geistige Tätigkeit verschiedene Arten von Körpern an, obwohl es in Wirklichkeit mit solchen Körpern nichts zu tun hat. Doch weil sich das Lebewesen in Illusion befindet, bezaubert von māyā, glaubt es, zu einem bestimmten Körper zu gehören. Von dieser Vorstellung wird das Leben der bedingten Seele bestimmt. Wenn sich ein Lebewesen beispielsweise in einem menschlichen Körper befindet, glaubt es, es gehöre zur menschlichen Gesellschaft oder zu einem bestimmten Land oder zu einem bestimmten Ort. Es identifiziert sich mit all diesen Dingen und bereitet somit einen weiteren Körper vor, den es im Grunde nicht benötigt. Solche Neigungen und Gedanken sind die Ursachen der verschiedenen Körper. Der illusionierende Einfluß der materiellen Natur ist so stark, daß das Lebewesen in jedem Körper, den es erhält, zufrieden ist und sich gern mit ihm identifiziert. Daher bitte ich dich - laß dich nicht vom Diktat deines Geistes und deines Körpers überwältigen!«

Mit diesen Worten bat Vāsudeva Kaṁsa, seiner neugetrauten Schwester nichts anzutun. Man soll niemandem Leid zufügen, denn die Folgen solcher Handlungen sind sowohl in dieser als auch in der nächsten Welt, wenn man vor Yamarāja (dem Todesgott) steht, die Ursache großer Ängste. Vāsudeva wandte sich im Namen Devakīs an Kaṁsa und hielt ihm vor Augen, daß sie seine jüngere Schwester sei. Er erinnerte ihn auch daran, daß heute ein besonderer Tag sei. Eine jüngere Schwester oder ein jüngerer Bruder sollten im allgemeinen wie die eigenen Kinder beschützt werden. »Überdies wäre eine solche Tat sehr riskant«, warnte Vāsudeva seinen Schwager, »denn wenn du sie tötest, wirst du deinen guten Ruf verlieren.« Vāsudeva versuchte Kaṁsa sowohl durch gute Worte als auch durch philosophische Argumente zu beschwichtigen, doch Kaṁsa konnte nicht besänftigt werden, denn er war dem Wesen nach ein Dämon, obwohl er in einer sehr hohen, königlichen Familie geboren war. Ein Dämon kümmert sich niemals um gute Worte; es ist wie mit einem geborenen Dieb: moralische Belehrungen bleiben fruchtlos. Wer von Natur aus dämonisch oder atheistisch ist, wird schwerlich eine gute Belehrung annehmen, ganz gleich, wie begründet sie auch sein mag. Darin unterscheidet sich ein Halbgott von einem Dämonen. Diejenigen, die gute Ratschläge bereitwillig annehmen und versuchen, danach zu handeln, werden Halbgötter genannt, wohingegen jene, die unfähig sind, solche Belehrungen anzunehmen, als Dämonen bezeichnet werden.

Nachdem der Versuch, Kaṁsa zu beruhigen, gescheitert war, fragte sich Vāsudeva, wie er seine Frau Devakī schützen könne. Wenn Gefahr droht, sollte ein intelligenter Mensch versuchen, die gefährliche Situation zu verhindern. Wenn es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelingt, die Gefahr abzuwenden, liegt die Schuld nicht bei ihm.

Vāsudeva dachte bei sich: »Erst einmal will ich das Leben Devakīs retten, und später, wenn die Kinder da sind, werde ich sehen, wie ich auch sie retten kann.« Er dachte weiter: »Wenn in der Zukunft ein Kind geboren wird, das imstande ist, Kaṁsa zu töten, so wie Kaṁsa glaubt, dann werden sowohl Devakī als auch das Kind in Sicherheit sein, denn die Vorsehung waltet oft auf unbegreifliche Weise. Doch jetzt will ich vorerst einmal versuchen, das Leben Devakīs zu retten.«

Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, auf welche Weise ein Lebewesen mit einem bestimmten Körper in Kontakt kommt, ähnlich wie es keine Gewißheit gibt, auf welche Weise das lodernde Feuer bei einem Waldbrand mit einem bestimmten Baum in Berührung kommt. Es ist beobachtet worden, daß die Funken durch den Wind manchmal einen Baum überspringen und einen anderen erfassen. Ebenso mag ein Lebewesen sehr sorgfältig und gewissenhaft seinen Pflichten nachkommen, doch es ist immer noch sehr schwierig, mit Bestimmtheit vorauszusagen, welche Art von Körper es im nächsten Leben erhalten wird. Mahārāja Bhārata z. B. erfüllte in vorbildlicher Weise die Pflichten, die zur Selbstverwirklichung vorgeschrieben sind, doch zufällig hatte er eine vorübergehende Zuneigung zu einem Reh entwickelt und mußte daher in seinem nächsten Leben den Körper eines Rehs annehmen.

Nachdem Vāsudeva überlegt hatte, wie er seine Frau retten könne, begann er, Kaṁsa mit großen Respekt anzusprechen, obwohl Kaṁsa der sündigste aller Sünder war. Manchmal ist es notwendig, daß ein so vortrefflicher Mensch wie Vāsudeva einem lasterhaften Schurken wie Kaṁsa schmeicheln muß. Ein Verhalten dieser Art ist bei allen diplomatischen Verhandlungen üblich. Obwohl Vāsudeva recht verzweifelt war, zeigte Er sich also nach außen hin zuversichtlich und sagte zu dem gewissenlosen Kaṁsa: »Mein lieber Schwager, bitte bedenke, daß dir von deiner Schwester keinerlei Gefahr droht. Du fürchtest dich, weil du eine prophetische Stimme vom Himmel gehört hast; aber die Gefahr soll von den Söhnen deiner Schwester kommen, die doch noch gar nicht geboren sind. Und wer weiß, ob sie überhaupt jemals geboren werden? Wenn du all dies berücksichtigst, wirst du zugeben müssen, daß du zur Zeit in Sicherheit bist. Von deiner Schwester hast du ohnehin nichts zu befürchten. Und falls sie tatsächlich männlichen Kindern das Leben schenken sollte, so verspreche ich dir, jedes einzelne vor dich zu bringen, so daß du tun kannst, was dir notwendig scheint.«

Kaṁsa kannte den Wert von Vāsudevas Ehrenwort, und da er außerdem durch dessen Argumente überzeugt war, beschloß er, seine Schwester vorerst nicht zu töten. Vāsudeva war über die Entscheidung seines Schwagers sehr glücklich und kehrte zufrieden nach Hause zurück.

Mit der Zeit wurden Vāsudeva und Devakī acht männliche Kinder und eine Tochter geboren. Vāsudeva hielt sein Ehrenwort, und erschien, gleich nachdem der erste Sohn geboren war, vor Kaṁsa. Vāsudeva war für sein Ehrenwort berühmt, und er wollte diesen Ruhm bewahren, obwohl es für ihn sehr schmerzlich war, das neugeborene Kind Kaṁsa zu übergeben. Dieser war sehr zufrieden mit ihm, empfand jedoch ein wenig Mitleid, als er Vāsudeva so unglücklich sah.

Diese Szene ist beispielhaft: Für eine große Seele wie Vāsudeva gibt es bei der Erfüllung der Pflicht nichts, was als zu schmerzhaft zu betrachten wäre. Ein gelehrter Mensch wie Vāsudeva führt seine Pflicht ohne Zögern aus. Auf der anderen Seite schreckt ein Dämon wie Kaṁsa vor keiner noch so abscheulichen Tat zurück. Es wird daher gesagt, daß ein Heiliger alle Arten von Unbequemlichkeiten auf sich nehmen, ein Gelehrter seine Pflicht, ohne etwas dafür zu erwarten, erfüllen, ein verabscheuungswürdiger Mensch wie Kaṁsa jede Sünde begehen und ein Gottgeweihter alles opfern kann, um den Höchsten Persönlichen Gott zu erfreuen.

Kaṁsa war mit Vāsudeva zufrieden, doch zur gleichen Zeit war er so überrascht, daß dieser sein Versprechen gehalten hatte. Mitleidig und erfreut zugleich begann er wie folgt zu sprechen: »Mein lieber Vāsudeva, du brauchst mir dieses Kind nicht zu übergeben, denn es bedeutet keine Gefahr für mich. Ich habe gehört, daß erst das achte Kind, das von dir und Devakī gezeugt wird, mich töten wird. Warum sollte ich also dieses Kind unnötig umbringen? Du kannst es wieder zurücknehmen.«

Als Vāsudeva mit seinem erstgeborenen Kind nach Hause zurückkehrte, konnte er, obwohl ihn Kaṁsas Nachsicht freute, seinen Worten keinen Glauben schenken, denn er wußte, daß Kaṁsa unberechenbar war. Ein atheistischer Mensch kann nicht zu seinem Ehrenwort stehen. Wer seine Sinne nicht beherrschen kann, wankt in seinen Entschlüssen. Der große Politiker Cāṇakya Paṇdita sagte einmal: »Traue niemals einem Diplomaten oder einer Frau.« Wer der uneingeschränkten Sinnenfreude verfallen ist, kann niemals wahrhaftig sein, noch kann man ihm jemals trauen.

Zu jener Zeit kam auch der große Weise Nārada zu Kaṁsa. Ihm war berichtet worden, daß Kaṁsa Mitleid mit Vāsudeva bekommen und ihm sein erstgeborenes Kind zurückgegeben habe. Nārada war bestrebt, die Ankunft Śrī Kṛṣṇas so weit wie möglich zu beschleunigen, und so teilte er Kaṁsa mit, daß sich Nanda Mahārāja, alle Kuhhirten und deren Frauen in Gokula, Vāsudeva, dessen Vater Śūrasena und alle, die in der Familie Vṛṣnis aus der Yadu-Dynastie geboren waren, auf das Erscheinen des Herrn vorbereiteten. Nārada warnte Kaṁsa vor den Freunden, Gönnern und all den Halbgöttern, die in diesen Familien geboren worden seien. Sowohl Kaṁsa als auch seine Freunde und Berater waren Dämonen, und Dämonen fürchten sich im allgemeinen vor Halbgöttern. Kaṁsa wurde sehr wachsam, nachdem er von Nārada über das Erscheinen der Halbgötter in den verschiedenen Familien unterrichtet worden war. Er verstand, das Viṣṇu bald kommen müsse, und so ließ er seinen Schwager Vāsudeva und seine Schwester Devakī festnehmen und ins Gefängnis werfen.

Krishna erscheint Vasudeva und Devaki im GefängnisIm Gefängnis, in eiserne Ketten gelegt, wurde von Vāsudeva und Devakī Jahr für Jahr ein männliches Kind geboren, und Kaṁsa, der in jedem der Neugeborenen die Inkarnation Viṣṇus sah, tötete eines nach dem anderen. Er fürchtete sich zwar besonders vor dem achten Kind, doch nach dem Besuch Nāradas war er zu dem Schluß gekommen, daß jedes Kind Kṛṣṇa sein könnte. Daher hielt er es für besser, alle Kinder zu töten, die von Devakī und Vāsudeva geboren wurden.

Das Verhalten Kaṁsas ist nicht schwer zu verstehen. In der Geschichte der Welt gibt es viele Beispiele von Menschen königlichen Geschlechts, die den eigenen Vater, Bruder oder sogar die ganze Familie und alle Freunde aus selbstsüchtigen Motiven ermordeten. Dies ist nichts Erstaunliches, denn ein dämonischer Mensch ist ohne weiteres bereit, andere aus skrupellosem Ehrgeiz zu töten.

Durch die Gnade Nāradas war es Kaṁsa vergönnt, etwas über sein vorheriges Leben zu erfahren. Er hörte, daß er in seinem letzten Leben ein Dämon mit Namen Kālanemi gewesen und von Viṣṇu getötet worden war. Nachdem er dieses Mal in der Bhoja-Familie geboren worden war, beschloß er, ein Todfeind der Yadu-Dynastie zu werden. Kṛṣṇa sollte ebenfalls in der Familie der Yadus geboren werden, und Kaṁsa fürchtete sehr, daß er auch diesmal von Kṛṣṇa getötet werden würde, so wie es ihm schon in seinem letzten Leben geschehen war.

Als nächstes sperrte er seinen Vater Ugrasena ein, da dieser der führende König unter den Königen der Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien war, und besetzte dann das Königreich Śūrasenas, des Vaters von Vāsudeva. Daraufhin erklärte er sich selbst zum König aller ihrer Länder.

Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 1. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Vorbereitung auf die Ankunft Śrī Kṛṣṇas«.