Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott 2. Teil Eine Zusammenfassung des Zehnten Cantos von Śrīla Vyāsadevas Śrīmad-Bhāgavatam von HIS DIVINE GRACE A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda Gründer-Ācārya der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein Titel der Originalausgabe: Kṛṣṇa The Supreme Personality of Godhead Für die Übersetzung aus dem Englischen verantwortlich: Vedavyāsa dāsa brahmacārī (Christian Jansen) Śacīnandana dāsa brahmacārī (Thorsten Pettersson) 1. Auflage 1.-10. Tausend Copyright © THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST 1974 Alle Rechte vorbehalten Herausgeber: Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V. 6241 Schloß Rettershof/i.Ts. Tel.: 06174/21357 Für seine unersetzliche Hilfe bei der Herausgabe dieses Werkes gilt unser besonderer Dank Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay, Associate Professor Emeritus of German and Linguistics at the University of Southern California Die Übersetzer Für meinen Vater, Gour Mohon De (1849-1930), einen reinen Geweihten Kṛṣṇas, der mich von klein auf als Kṛṣṇa-bewußtes Kind erzog. In meinen Jugendjahren lehrte er mich die mṛdaṅga spielen. Er schenkte mir Rādhā-Kṛṣṇa vigraha zur Verehrung, und er gab mir Jagannātha-Ratha, damit ich schon, als eines meiner Kindheitsspiele, das Jagannātha-Fest (Ratha-yatra) feiern konnte. Er war sehr gütig zu mir, und ich empfing von ihm die Prinzipien, die später von meinem geistigen Meister, meinem ewigen Vater, bestätigt wurden. A. C. Bhaktivedanta Swami Words From Apple - Einleitende Worte von George Harrison Jeder sucht nach Kṛṣṇa. Manche wissen es vielleicht nicht, doch sie tun es. Kṛṣṇa ist Gott, der Ursprung alles Existierenden, die Ursache all dessen was ist, war und zukünftig sein wird. Da Gott unbegrenzt ist, hat Er viele Namen: Allah, Buddha, Jehova, Rāma. Alle sind Kṛṣṇa, alle sind eins. Gott ist nicht abstrakt, sondern in Seinem endgültigen Aspekt eine Person - die Höchste Person -, die ewig, voller Glückseligkeit und voller Wissen ist. Wie ein Tropfen Wasser die gleichen Eigenschaften wie der Ozean besitzt, so hat unser Bewußtsein die gleichen Eigenschaften wie das Bewußtsein Gottes. Doch durch unsere Identifizierung und Verhaftung mit der materiellen Energie (dem physischen Körper, den Sinnenfreuden, materiellem Besitz, Ichgefühl, usw.) ist unser wahres, transzendentales Bewußtsein verunreinigt worden und kann daher, gleich einem staubigen Spiegel, kein klares Bild mehr reflektieren. Im Laufe vieler Leben hat sich unsere Verbindung mit dem Vergänglichen gefestigt. Den unbeständigen Körper, eine Handvoll Knochen und Fleisch, mißverstehen wir als unser wahres Selbst und halten daher den gegenwärtigen, zeitweiligen Zustand für natürlich und endgültig. Zu allen Zeiten waren Heilige der lebendige Beweis dafür, daß der nicht­zeitweilige, beständige Zustand des Gottesbewußtseins in allen lebendigen Seelen wiedererweckt werden kann. Jede Seele ist ihrem Wesen nach göttlich. Kṛṣṇa sagt in der Bhagavad-gītā: »Stetig im Selbst und befreit von aller materiellen Verunreinigung, erlangt der yogi die Stufe vollkommenen Glücks.« (Bg. 6.28) Yoga (eine wissenschaftliche Methode zur Gottes-[Selbst-]verwirklichung) ist der Vorgang, durch den wir unser Bewußtsein reinigen, weitere Verschmutzung verhindern und auf die Stufe der Vollkommenheit – voller Wissen und Glückseligkeit – gelangen können. »Wenn es einen Gott gibt, möchte ich Ihn sehen«, mögen viele sagen, und das ist richtig, denn es ist nicht gut, blind an etwas zu glauben. Kṛṣṇa-Bewußtsein oder vielmehr die Meditation im bhakti-yoga ist eine Methode, mit der man Gott tatsächlich wahrnehmen kann. Man kann Gott tatsächlich sehen, Ihn hören und mit Ihm spielen. Es mag verrückt klingen, aber Er ist wirklich da, wirklich bei dir. Es gibt viele Pfade des yoga – rājā, jñāna, haṭha, kriyā, karma, bhakti usw. – , die alle von den jeweiligen Meistern mit Überzeugung praktiziert werden. A. C. Bhaktivedanta Swami ist, wie Sein Name bereits sagt, ein bhakti-yogī, der dem Pfad der Hingabe folgt. Indem der Gottgeweihte Kṛṣṇa mit jedem Gedanken, jedem Wort und jeder Tat dient und Seinen heiligen Namen chantet [* chanten – singen, sprechen *], entwickelt er sehr schnell Gottesbewußtsein. Durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma , Rāma Rāma, Hare Hare« wird man mit Sicherheit allmählich die Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins erreichen (mach die Probe und Du wirst es erleben). Ich möchte Dich bitten, Deinen Nutzen aus diesem Buch »Kṛṣṇa« zu ziehen und in sein Verständnis einzudringen. Auch möchte ich Dich bitten, Dich zu entschließen, durch den Selbstbefreiungsvorgang des bhakti-yoga, d. h. durch das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras Gott jetzt zu verwirklichen - Give Peace A Chance. ALL YOU NEED IS LOVE (KRISHNA) George Harrison 31/3/70 Apple Corps Ltd 3 Savile Row, London WI Gerrard 2772/3993 Telex Apcore London 35. KAPITEL Kaṁsa schickt Akrūra nach Vṛndāvana Die Gedanken der Einwohner von Vṛndāvana weilten stets bei Kṛṣṇa. Jeder erinnerte sich an Seine transzendentalen Spiele und war daher ständig in den Ozean der transzendentalen Glückseligkeit getaucht. Doch die materielle Welt ist so unrein, daß die asuras, die Dämonen, selbst in Vṛndāvana versuchten, den Frieden zu stören. Eines Tages kam ein Dämon namens Ariṣṭāsura in der Gestalt eines Stiers mit gigantischem Körper und riesigen Hörnern in das Dorf gestürmt, wobei er mit seinen Hufen das Erdreich aufwarf. Als der Stier in das Gebiet von Vṛndāvana eindrang, schien das ganze Land wie bei einem Erdbeben zu erzittern. Er brüllte furchterregend, und nachdem er die Erde am Fluß durchpflügt hatte, rannte er in das eigentliche Dorf hinein. Das fürchterliche Gebrüll des Stiers war so durchdringend, daß einige der trächtigen Kühe und schwangeren Frauen Fehlgeburten erlitten. Sein Körper war so riesig und stark, daß Staubwolken ihn umschwebten wie Wolken einen Berg. Ariṣṭāsura sah, als er in das Dorf stürmte, so furchterregend aus, daß schon beim bloßen Anblick des Dämons alle Männer und Frauen in Angst und Schrecken gerieten und die Tiere, einschließlich der Kühe, die Flucht ergriffen. Die Lage schien äußerst bedrohlich, und so riefen die Einwohner von Vṛndāvana laut um Hilfe: »Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, bitte rette uns!« Kṛṣṇa, der bereits bemerkt hatte, daß alle Kühe fortliefen, antwortete ihnen: »Habt keine Angst!« Dann stellte Er Sich dem Dämon entgegen und rief: »Du bist das niedrigste Geschöpf unter der Sonne. Warum erschreckst du die Einwohner von Gokula? Was versprichst du dir davon? Wenn du gekommen bist, um Meine Autorität herauszufordern, so bin Ich zum Kampf bereit.« Mit diesen Worten sprach Kṛṣṇa dem Dämon Seine Herausforderung aus, die Ariṣṭāsura bis aufs Blut reizte. Die ganze Zeit stand Kṛṣṇa vor dem Stier – mit einer Hand auf der Schulter Seines Freundes. Sowie Er zu Ende gesprochen hatte, stürzte der Dämon wutentbrannt auf Ihn zu. Dabei wirbelte Ariṣṭāsura die Erde wild mit seinen Hufen auf und hob den mächtigen Schwanz in die Luft, über dem Wolken zu schweben schienen. Seine blutunterlaufenen Augen rollten grimmig hin und her, als er mit gesenkten Hörnern wie ein von Indra gesandter Blitz auf Kṛṣṇa zuschoß. Doch Kṛṣṇa packte ihn geschwind bei den Hörnern und schleuderte ihn von Sich wie ein gewaltiger Elefant, der einen kleinen feindlichen Elefanten zurückdrängt. Der Dämon schien hart getroffen, doch obgleich ihm der Schweiß aus den Poren brach, nahm er noch einmal seinen ganzen Mut zusammen und erhob sich vom Boden. Aufs neue griff er Kṛṣṇa voller Ingrimm mit ungeheurer Gewalt an, doch ging sein Atem, während er auf Kṛṣṇa zustürzte, äußerst schwer. Auch diesmal ergriff Ihn Kṛṣṇa bei den Hörnern und warf ihn zu Boden, wobei Er die Hörner des Dämons abbrach. Darauf begann der Herr gegen seinen Körper zu treten, so wie man auf ein nasses Tuch am Boden tritt, um es auszuwringen. Ariṣṭāsura rollte dabei, mit den Beinen heftig um sich schlagend, hilflos hin und her. Blutend und Kot und Urin ausscheidend verschied er, wobei ihm die Augen aus den Höhlen traten. Die Halbgötter auf den himmlischen Planeten ließen daraufhin Blumen auf Kṛṣṇa herabregnen, um Ihn zu Seinem wunderbaren Sieg zu beglückwünschen. Kṛṣṇa war bereits das Leben und die Seele der Einwohner von Vṛndāvana, doch nachdem er Ariṣṭāsura, den Dämon in Stiergestalt, erschlagen hatte, wurde Er zum Juwel ihrer Augen. Unter den lauten Jubelrufen der Bewohner von Vṛndāvana zog Er zusammen mit Balarāma im Triumph in das Dorf von Vṛndāvana ein. Wenn man eine wundervolle Tat vollbringt, ist es ganz natürlich, daß die Verwandten, Bekannten und Freunde voll Jubel sind. Nach diesem Vorfall enthüllte der große Weise Nārada das Geheimnis der Geburt Kṛṣṇas. Nārada Muni ist als devardarśana bekannt, was bedeutet, daß er nur von Halbgöttern oder Lebewesen, die sich auf der gleichen Ebene wie Halbgötter befinden, gesehen werden kann. Trotzdem besuchte Nārada Kaṁsa, der sich nicht im geringsten mit einem Halbgott vergleichen ließ, und war ihm sichtbar. Natürlich konnte Kaṁsa auch Kṛṣṇa sehen, ganz zu schweigen also von Nārada Muni, doch im allgemeinen muß man gereinigte Augen haben, um den Herrn und Seine Geweihten sehen zu können. Durch das Zusammensein mit einem reinen Gottgeweihten kann man unmerklichen Nutzen (ajñatasukṛti) erfahren, d. h., man mag zwar nicht wahrnehmen, auf welche Weise man Fortschritte macht, doch man kommt voran, wenn man den Geweihten des Herrn sieht. Es war Nārada Munis Aufgabe, die Ereignisse einem raschen Ende zuzuführen, denn Kṛṣṇa war erschienen, um die Dämonen zu töten, und Kaṁsa war ihr Anführer. Weil Nārada also den Ablauf der Dinge beschleunigen wollte, begab er sich eines Tages zu Kaṁsa, um ihm die ganze Wahrheit über Kṛṣṇas Geburt mitzuteilen. Er sagte zu dem König: »Dir ist es vorherbestimmt, von dem achten Sohn Vasudevas getötet zu werden. Dieser achte Sohn ist Kṛṣṇa. Vasudeva täuschte dich, damit du glauben solltest, sein achtes Kind sei ein Mädchen, doch in Wirklichkeit wurde Vasudevas angebliche Tochter von Yaśodā, der Frau Nanda Mahārājas, zur Welt gebracht. Vasudeva vertauschte seinen Sohn mit dieser Tochter und führte dich so hinters Licht. Kṛṣṇa ist also, genau wie Balarāma, ein Sohn Vasudevas. Weil Vasudeva wegen dir und deinem grausamen Wesen um die beiden fürchtete, hielt er Sie wohlweislich in Vṛndāvana versteckt.« Nārada enthüllte Kaṁsa noch mehr. »Alle deine Freunde, die asuras, die von Dir nach Vṛndāvana geschickt wurden, um dort Kinder zu morden, wurden von Kṛṣṇa und Balarāma, die bis jetzt unerkannt in der Obhut Nanda Mahārājas leben, getötet.« Sowie Kaṁsa diese Information von Nārada Muni erhielt, zog er sein scharfes Schwert und wollte sofort zu Vasudeva gehen, um ihn für seinen Betrug umzubringen. Nārada konnte ihn gerade noch beschwichtigen: »Du sollst doch nicht von Vasudeva getötet werden«, hielt er ihm entgegen, »warum willst du ihn also ermorden? Es ist viel klüger, Kṛṣṇa und Balarāma zu töten.« Doch um wenigstens seine Wut zu stillen, nahm Kaṁsa Vasudeva und Devakī erneut gefangen und ließ sie in eiserne Ketten legen. Die neue Lage veranlaßte ihn zu sofortigem Handeln, und so ließ Kaṁsa gleich den Dämonen Keśī herbeirufen und trug ihm auf, nach Vṛndāvana zu gehen, um sich Balarāma und Kṛṣṇa zu holen. In Wirklichkeit hieß dies für Keśī, daß er nach Vṛndāvana geschickt wurde, um von Kṛṣṇa und Balarāma getötet zu werden und auf diese Weise Befreiung zu erlangen. Dann befahl Kaṁsa die erfahrenen Elefantenbändiger Cāṇūra, Muṣṭika, Śala, Tośala und andere zu sich und sagte zu ihnen: »Meine lieben Freunde, hört mir bitte aufmerksam zu! In Nanda Mahārājas Haus in Vṛndāvana leben die beiden Brüder Kṛṣṇa und Balarāma, die eigentlich Söhne Vasudevas sind. Wie ihr wißt, soll es mein Schicksal sein, von Kṛṣṇa getötet zu werden, da es eine deutliche Prophezeiung gibt, die dies besagt. Aus diesem Grunde will ich, daß ihr einen großen Ringkampf vorbereitet, zu dem Menschen aus allen Teilen des Landes kommen sollen. Ich werde dafür sorgen, daß die beiden hierhergebracht werden, und ihr werdet versuchen, Sie in der Kampfarena zu töten!« Ringkampfspiele erfreuen sich heute noch bei den Einheimischen Nordindiens großer Beliebtheit, und aus dem Śrīmad-Bhāgavatam geht, wie man sieht, hervor, daß schon vor 5000 Jahren Ringkämpfe sehr geschätzt wurden. Deshalb war Kaṁsa auf die Idee gekommen, einen solchen Kampf zu veranstalten und viele Leute dazu einzuladen. Zuletzt befahl er seinen Elefantenbändigern: »Bringt vor allen Dingen den Elefanten Kuvalayāpīḍa zur Arena und postiert ihn direkt am Tor des Kampfplatzes. Dort müßt ihr dann versuchen, Kṛṣṇa und Balarāma gleich bei Ihrer Ankunft abzufangen und umzubringen.« Kaṁsa riet außerdem all seinen Freunden, den mächtigen Halbgott Śiva zu verehren. Zu diesem Zweck sollten sie Tieropfer und den Dhanur-yajña durchführen, wie auch das Caturdaśī-Opfer, das am vierzehnten Tag nach Neu- und Vollmond vollzogen wird. Dieses Datum fällt auf den dritten Tag nach Ekādaśī und ist eigens für die Verehrung Śivas vorgesehen. Śiva besitzt eine vollständige Erweiterung, die als Kālabhairava bekannt ist. Kālabhairava wird von den Dämonen verehrt, die enthäutete Tiere vor ihm opfern. Dieser Opfervorgang wird heute noch in Vaidyanātha-dhāma in Indien durchgeführt, wo die Dämonen der Bildgestalt Kālabhairavas Tieropfer darbringen. Auch Kaṁsa gehörte zu dieser Art von Dämonen. Da er ein geschickter Diplomat war, fiel es ihm nicht schwer, sehr schnell seine Freunde dafür zu gewinnen, alles zu versuchen, um Kṛṣṇa und Balarāma zu töten. Schließlich ließ er Akrūra zu sich kommen. Akrūra war ein Angehöriger der Yadu-Dynastie, in der auch Kṛṣṇa als Sohn Vasudevas und Devakīs erschienen war. Als Akrūra vor ihn trat, schüttelte Kaṁsa ihm mit aller Herzlichkeit die Hand und sagte: »Lieber Akrūra, es gibt für mich wohl in der Bhoja- und in der Yadu-Dynastie keinen besseren Freund als dich. Du bist der großmütigste Mensch, den ich kenne, und daher bitte ich dich als Freund um einen kleinen Gefallen. Genau wie Indra, der Viṣṇu völlig ergeben ist, so suche auch ich vollständig bei dir Zuflucht. Ich wünsche, daß du sofort nach Vṛndāvana aufbrichst und dort die beiden Jungen mit Namen Kṛṣṇa und Balarāma ausfindig machst, es sind Söhne Nanda Mahārājas. Eine hervorragende Kutsche, die eigens für die beiden Jungen gebaut wurde, steht bereit, so daß du Sie unverzüglich nach Mathurā holen kannst. Das ist meine Bitte an dich. Ich habe nämlich vor, diese beiden Jungen zu beseitigen. Sobald Sie durch das Tor des Kampflagers treten, werden Sie von dem gigantischen Elefanten Kuvalayāpīḍa in Empfang genommen, der Sie höchstwahrscheinlich auf der Stelle zerstampfen wird. Doch selbst, wenn es Ihnen gelingen sollte, ihm irgendwie zu entkommen, werden Sie als nächstes auf die Ringer treffen, die Sie ganz sicher umbringen werden. Und wenn die beiden Jungen tot sind, werde ich auch Vasudeva und Nanda, die Gönner der Vṛṣṇi- und der Bhoja-Dynastie, beseitigen. Auch meinen Vater Ugrasena und dessen Bruder Devaka werde ich töten, denn sie sind im Grunde meine Gegner und deshalb Hindernisse für meine Pläne und meine Politik. Auf diese Weise werde ich alle meine Feinde aus dem Weg räumen. Zum Glück ist der mächtige Jarāsandha mein Schwiegervater, und außerdem habe ich noch den Riesenaffen Dvivida zum Freund. Mit ihrer Hilfe wird es mir ein leichtes sein, alle Könige, die auf Seiten der Halbgötter stehen, von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Das sind meine Pläne. Nach ihrer Durchführung werde ich keine Gegner mehr zu fürchten haben, und dann kann ich endlich völlig unbeschwert über die Welt herrschen. Du solltest auch wissen, daß Śambara, Narakāsura und Bāṇāsura meine engen Freunde sind, und wenn ich den Krieg gegen die Könige beginne, die die Halbgötter unterstützen, werden sie mir eine bedeutende Hilfe sein. Ohne Zweifel werde ich alle meine Feinde beseitigen können. Geh also bitte unverzüglich nach Vṛndāvana und lade die Jungen ein hierherzukommen; sage Ihnen, Sie sollten sich einmal die schöne Stadt Mathurā anschauen, und es sei ein Ringkampf geplant, an dem Sie Ihre Freude haben würden.« Nachdem Akrūra den Plan Kaṁsas vernommen hatte, erwiderte er: »Lieber König, dein Plan ist vorzüglich geeignet, alle Hindernisse für deine Politik aus dem Wege zu räumen. Doch du solltest deine Absichten besser geheimhalten, da sie anderenfalls fehlschlagen könnten. Denn sei es, wie es will: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Wir mögen vielleicht große Pläne schmieden, aber solange sie nicht von der höchsten Autorität gebilligt werden, sind sie zum Scheitern verurteilt. Jeder in der materiellen Welt weiß, daß die übernatürliche Macht letztlich alles entscheidet. Man mag zwar in seinem findigen Hirn viele große Pläne entwerfen, doch sollte man stets dabei bedenken, daß man am Ende gezwungen ist, die Früchte, nämlich Leid und Glück, zu ernten. Aber ich habe nichts gegen deinen Vorschlag einzuwenden. Als dein Freund werde ich deinen Auftrag selbstverständlich erfüllen und Kṛṣṇa und Balarāma nach Mathurā holen, wie du es wünschst.« Nachdem Kaṁsa seinem Freund noch verschiedene andere Unterweisungen gegeben hatte, zog er sich in seine Gemächer zurück, und Akrūra machte sich auf den Weg nach Vṛndāvana. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 35. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kaṁsa schickt Akrūra nach Vrndāvana«. 36. KAPITEL Kṛṣṇa tötet die Dämonen Keśi und Vyomāsura Nachdem der Keśī-Dämon von Kaṁsa unterwiesen worden war, nahm er die Gestalt eines gräßlichen Pferdes an. Mit wehender Mähne und mit seinen Hufen die Erde hinter sich aufwerfend, galoppierte er auf Vṛndāvana zu. Dabei gab er ein schreckliches Wiehern von sich, als wolle er damit die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzen. Kṛṣṇa sah, daß der Dämon mit seinem furchterregenden Wiehern und seinem Schwanz, der wie eine große Wolke am Himmel kreiste, die Einwohner von Vṛndāvana entsetzte, und Ihm war klar, daß der Keśī-Dämon gekommen war, um Ihn zum Kampf herauszufordern. Er nahm also die Herausforderung an und trat direkt vor das Ungeheuer. Sowie Er das Pferd aufforderte, sich mit Ihm zu messen, stürzte es sogleich auf Ihn zu und gab dabei ein schreckliches Brüllen von sich, das dem eines Löwen glich. Keśī stürmte in rasendem Lauf auf den Herrn zu, denn er beabsichtigte, Ihn mit seinen Beinen, die stark und hart wie Stein waren, zu zertreten. Kṛṣṇa jedoch bekam die Beine des Dämons ohne weiteres zu fassen, der sich plötzlich völlig übertölpelt sah. Und da Kṛṣṇa inzwischen etwas ärgerlich geworden war, wirbelte Er das Pferd mit einer eleganten Bewegung in der Luft herum und warf es nach ein paar Runden hundert Meter weit von Sich, ähnlich wie Garuḍa eine große Schlange von sich schleudert. Bei dem Aufprall verlor Keśī augenblicklich das Bewußtsein, aber schon nach wenigen Augenblicken kam er wieder zu sich und rannte erneut mit Wut und großem Ungestüm auf Kṛṣṇa zu – das Maul diesmal weit aufgerissen. Gerade als das Pferd Kṛṣṇa erreichte, stieß der Herr ihm Seine Faust in den geöffneten Rachen. Sogleich verspürte der Dämon einen unerträglichen Schmerz, denn Kṛṣṇas Faust schien ihm so heiß wie ein glühender Eisenklumpen, und seine ausgeschlagenen Zähne fielen ihm aus dem Maul, in dem sich Kṛṣṇas Hand ausdehnte und ihm die Kehle verschloß. Daraufhin fing der Dämon an zu röcheln, sein ganzer Körper war von Schweiß überströmt, und er schlug nach allen Seiten aus. Bei seinem letzten Atemzug schließlich quollen ihm seine Augen in den Höhlen über, und er gab gleichzeitig Kot und Urin von sich. So hauchte der Dämon Keśī seine Lebenskraft aus. Die Kiefer des Ungeheuers lockerten sich bei seinem Tod, so daß Kṛṣṇa Seine Hand ohne Schwierigkeiten herausziehen konnte. Der Herr war nicht im geringsten überrascht, wie spielerisch Er den Keśī-Dämon hatte töten können, doch die Halbgötter waren von Erstaunen überwältigt, und mit großer Bewunderung gratulierten sie Kṛṣṇa, indem sie einen wahren Blumenregen vom Himmel schütteten. Nach diesem Vorfall suchte Nārada Muni, der größte aller Gottgeweihten, Kṛṣṇa an einem einsamen Ort auf und richtete folgende Worte an Ihn: »Lieber Herr, Śrī Kṛṣṇa, Du bist die unbegrenzte alldurchdringende Überseele, der höchste Gebieter aller mystischen Kräfte, der Herr des ganzen Universums und der allgegenwärtige Höchste Persönliche Gott. In Dir ruht die gesamte kosmische Manifestation. Du bist der Meister aller Gottgeweihten und der Herr aller Lebewesen. Mein lieber Herr, als die Überseele in jedem bist Du in den Herzen aller Wesen verborgen wie das Feuer im Holz. Du bist der Zeuge aller Handlungen, die die Lebewesen begehen, und Du bist der Höchste Herrscher in ihren Herzen. Du bist in Dir Selbst zufrieden; Du existiertest schon vor der Schöpfung, und Du erschufst durch Deine unvorstellbare Energie das gesamte materielle Universum. Nach Deinem vollkommenen Plan wurde die materielle Welt durch die Wechselwirkungen der drei Erscheinungsweisen der Natur hervorgebracht, und von Dir wird sie erhalten und schließlich vernichtet. Obgleich Du nicht von diesen Vorgängen berührt wirst, bist Du immerwährend der Höchste Kontrollierende. Mein lieber Herr, Du bist auf der Welt erschienen, um alle Dämonen, die sich als Könige ausgeben, zu töten. Diese Schreckgespenster sind Betrüger in Fürstengewändern. Du bist erschienen, um Dein Versprechen einzuhalten, die religiösen Prinzipien zu schützen und die unerwünschten Schurken zu vernichten. Lieber Herr, ich bin mir daher sicher, daß Du übermorgen die Dämonen Cāṇūra und Muṣṭika wie auch alle anderen Ringkämpfer samt ihren Elefanten und sogar Kaṁsa töten wirst. Dies werde ich mit eigenen Augen sehen dürfen. Danach, so hoffe ich, werde ich dabei sein dürfen, wenn Du andere Dämonen, wie Śaṅkha, Yavana, Mura und Narakāsura, vernichtest. Außerdem werde ich sehen, wie Du die pārijāta-Blüte aus dem himmlischen Königreich raubst und den König des Himmels persönlich besiegst.« Nārada Muni sagte weiter: »Lieber Herr, schon in naher Zukunft werde ich sehen können, wie Du viele Prinzessinnen – alle Töchter von edlen Königen – heiraten wirst, indem Du ihren Preis mit der Stärke des kṣatriya bezahlst.« Immer wenn ein kṣatriya eine sehr schöne und tugendhafte Tochter eines großen Königs heiraten möchte, muß er mit seinen Rivalen kämpfen und sie besiegen. Dann wird ihm die Hand seiner Auserwählten als Siegespreis übergeben. »Ich werde weiterhin sehen können, wie Du König Nṛga von einem höllischen Dasein erlösen wirst. Diese Tat wirst Du in Dvārakā vollbringen. Anschließend wirst Du das Syamantaka-Juwel geschenkt bekommen und den Sohn eines brāhmaṇa wieder ins Leben zurückrufen, nachdem dieser schon auf einen anderen Planeten gebracht worden war. Danach werde ich mitansehen können, wie Du den Dämon Pauṇḍraka tötest und das Königreich Kāśī in Schutt und Asche legst. Ich werde erleben können, wie Du in mehreren großen Schlachten, in denen Du für Mahārāja Yudiṣṭhira kämpfen wirst, den König von Cedi und Dantavakra tötest. Dazu werde ich viele andere Deiner ritterlichen Taten bewundern können, die Du während Deines Aufenthaltes in Dvārakā vollbringen wirst. All diese wundervollen Taten, die Du aus Deiner Gnade ausführst, werden zu allen Zeiten von den großen Dichtern gepriesen werden. An der Schlacht von Kurukṣetra wirst Du als Wagenlenker Deines Freundes Arjuna teilnehmen, und als die unüberwindliche Todesinkarnation, nämlich die ewige Zeit, alle anwesenden Krieger vernichten. Dabei werden riesige Streitheere fallen. Mein lieber Herr, bitte erlaube mir, Deinen Lotosfüßen meine respektvollen Ehrerbietungen darzubringen. Du befindest Dich ewig in Deiner transzendentalen Stellung – in vollkommenem Wissen und vollkommener Glückseligkeit. Du bist in Dir Selbst vollkommen und über alle Wünsche erhaben. Durch die Anwendung Deiner inneren Energie hast Du den Bannkreis māyās errichtet. Deine unbegrenzten Kräfte kann niemand ermessen. Du bist der höchste Beherrschende. Du stehst unter dem Einfluß Deiner eigenen inneren Kraft, und es ist völlig unsinnig zu glauben, Du seiest von irgendeiner Deiner Schöpfungen abhängig. Du bist in der Yadu- oder Vṛṣṇi-Dynastie erschienen, und Dein Aufenthalt auf der Erde, in Deiner ursprünglichen Gestalt, die von ewigem glückseligen Wissen erfüllt ist, ist eines Deiner transzendentalen Spiele. Du bist von nichts und niemandem als Dir Selbst abhängig, und so bringe ich Deinen Lotosfüßen meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar.« Mit diesem Gebet wollte Nārada Muni die Menschheit lehren, daß Kṛṣṇa völlig unabhängig ist. Seine Aktivitäten, wie z. B. Sein Erscheinen in der Yadu-Dynastie und Seine Freundschaft mit Arjuna, verpflichten Ihn nicht, zu handeln, um Sich der Ergebnisse zu erfreuen. Für Ihn sind sie alle nur Spiele, an denen Er sich unbeschwert vergnügt. Für uns jedoch sind sie handfeste, greifbare Tatsachen. Nachdem Nārada Muni Śrī Kṛṣṇa seine demütigen Ehrerbietungen dargebracht hatte, bat er Kṛṣṇa, sich verabschieden zu dürfen, und entfernte sich. Nachdem Er Keśī getötet hatte, kehrte Kṛṣṇa zu Seinen Freunden zurück, um weiter im Wald die Kühe zu hüten, als sei nichts geschehen. So ist Kṛṣṇa ewig in Vṛndāvana mit Seinen Freunden, den Kuhhirtenjungen und den gopīs, in Seine transzendentalen Spiele vertieft; doch manchmal zeigt Er auch die außerordentliche Stärke des Höchsten Persönlichen Gottes, indem Er verschiedene Dämonen vernichtet. An diesem Morgen ging Kṛṣṇa mit Seinen Hirtenfreunden etwas später auf den Govardhana-Hügel, um dort »Räuber und Gendarm« zu spielen. Einige der Jungen spielten die Rechtshüter, andere Diebe und wieder andere übernahmen die Rolle von Lämmern. Während die Jungen sich so an ihren kindlichen Spielen erfreuten, mischte sich der Dämon Vyomāsura, genannt »der Dämon, der in der Luft fliegt«, unter sie. Er war der Sohn eines anderen großen Dämons mit Namen Maya und beherrschte, genau wie sein Vater, wundervolle magische Kräfte. Vyomāsura verhielt sich also wie ein Kuhhirtenjunge, der einen Dieb nachahmt, und stahl viele der Jungen, die die Rollen von Lämmern spielten. Fast alle Jungen raubte er, einen nach dem anderen, und brachte sie in Berghöhlen, die er sorgfältig mit Felsbrocken verschloß. Doch Kṛṣṇa durchschaute seine List; deshalb packte Er ihn mit einem Mal ganz unerwartet – so wie ein Löwe, der sich ein Lamm fängt. Sogleich versuchte Vyomāsura, sich so groß wie ein Hügel zu machen, um der Umklammerung zu entkommen. Doch Kṛṣṇa ließ ihn nicht aus Seinem Griff. Er warf den Dämon mit ungeheurer Gewalt zu Boden und tötete ihn wie ein Tier auf der Schlachtbank. Dann befreite Kṛṣṇa Seine Freunde aus den Berghöhlen, worauf sie und die Halbgötter erneut Seine wundervollen Taten priesen. Am Abend schließlich kehrte der Höchste Persönliche Gott mit all Seinen Freunden und Kühen wieder nach Vṛndāvana zurück. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 36. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa tötet die Dämonen Keśī und Vyomāsura«. 37. KAPITEL Akrūras Ankunft in Vṛndāvana Nārada hatte in seinen Gebeten nichts davon erwähnt, daß der Herr Vyomāsura töten würde. Das bedeutet, daß Vyomāsura am gleichen Tag wie der Keśī-Dämon vernichtet wurde. Der Keśī-Dämon wurde am frühen Morgen vernichtet, dann gingen die Jungen zum Hüten ihrer Kühe auf den Govardhana-Hügel, und dort wurde etwas später Vyomāsura getötet. Beide Dämonen ließen also am gleichen Morgen ihr Leben. Akrūra war von Kaṁsa gebeten worden zu versuchen, noch am Abend des nächsten Tages Vṛndāvana zu erreichen. Er machte sich also, nachdem Kaṁsa ihn unterwiesen hatte, gleich am nächsten Morgen mit der Kutsche auf den Weg nach Vṛndāvana. Da er ein großer Gottgeweihter war, pries er Kṛṣṇa während der ganzen Fahrt. Die Gottgeweihten sind ständig in Gedanken an Kṛṣṇa vertieft, und so meditierte auch Akrūra ständig über die Lotosaugen Kṛṣṇas. Er konnte sich nicht vorstellen, was für fromme Werke er verrichtet haben mußte, daß er jetzt die Gelegenheit erhielt, Śrī Kṛṣṇa zu sehen. Akrūra dachte: »Wenn Kṛṣṇa es will, werde ich imstande sein, Ihn zu sehen«, und er betrachtete sich als den glücklichsten Menschen, da er schon sehr bald Kṛṣṇa sehen würde, den zu sehen sich alle yoga-Mystiker wünschen. Er war sich sicher, daß an jenem Tag alle sündigen Reaktionen aus seinem vorangegangenem Leben von ihm genommen und sein menschliches Leben zur Vollkommenheit gebracht werden würde. Akrūra sah es als eine große Gunst Kaṁsas an, ihn nach Vṛndāvana zu schicken, um Kṛṣṇa und Balarāma zu holen, da er ihm so die Möglichkeit gab, den Herrn zu sehen. Akrūra dachte weiter daran, daß in früheren Zeiten große Weise und Heilige einfach dadurch von der materiellen Welt befreit wurden, daß sie die strahlenden Nägel der Lotosfüße Kṛṣṇas sahen. »Nun ist der Höchste Persönliche Gott in einer Gestalt erschienen, die der eines gewöhnlichen Menschen gleicht, und ich bin wirklich glücklich zu nennen, daß ich Ihn noch heute von Angesicht zu Angesicht sehen werde«, dachte Akrūra. Er war ganz aufgeregt, da er es kaum erwarten konnte, die gleichen Lotosfüße sehen zu dürfen, die von großen Halbgöttern, wie Brahmā, Nārada und Śiva, verehrt werden, die über den Boden von Vṛndāvana schreiten, und die die Brüste der gopīs berühren, die vom kuṅkuma leicht gerötet sind. »Ich bin wirklich vom Glück gesegnet, daß ich fähig sein werde, noch heute diese Lotosfüße zu sehen, und gewiß werde ich auch das liebliche Antlitz Kṛṣṇas betrachten dürfen, das an Stirn und Nase mit tilaka gezeichnet ist. Auch Sein Lächeln und Sein lockiges schwarzes Haar werde ich erblicken. Ich kann sicher sein, daß sich mir diese Gelegenheit bieten wird, denn heute ziehen die Rehe an meiner Rechten vorbei. Heute werde ich endlich die Schönheit des spirituellen Königreichs Viṣṇuloka erblicken, denn Kṛṣṇa ist der Höchste Viṣṇu, und Er ist aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit erschienen. Er ist der Inbegriff aller Schönheit; deswegen werden meine Augen heute ganz und gar von Seiner Schönheit erfüllt sein.« Akrūra wußte, daß Śrī Kṛṣṇa ohne Zweifel der Höchste Viṣṇu ist. Die kosmische Manifestation wird einfach dadurch ins Leben gerufen, daß Śrī Viṣṇu über die materielle Energie blickt, doch obgleich Śrī Viṣṇu der Schöpfer der materiellen Welt ist, wird Er kraft Seiner persönlichen Energie nicht von ihr beeinflußt. Durch diese innere Kraft kann Er die Dunkelheit der materiellen Energie durchdringen, und mit ihr schuf Er, der ursprüngliche Viṣṇu, auch die Bewohner von Vṛndāvana. In der Brahma-saṁhitā wird bestätigt, daß Śrī Kṛṣṇas Reich und alles, was sonst noch mit Ihm verbunden ist, Erweiterungen Seiner inneren Kraft sind. Diese innere Kraft ist auf der Erde als Vṛndāvana manifestiert, wo Sich Kṛṣṇa zusammen mit Seinen Eltern und Seinen Freunden, den Hirtenjungen und -mädchen, an Seinen göttlichen Spielen erfreut. Aus den Worten Akrūras wird deutlich, daß die Bewohner von Vṛndāvana, die dem Herrn in liebevoller Hingabe dienen, da Kṛṣṇa transzendental zu den Erscheinungsweisen der materiellen Natur ist, ebenfalls transzendental sind. Akrūra dachte auch an die Bedeutsamkeit der transzendentalen Spiele des Herrn. Er war sich bewußt, daß die transzendentalen Taten, Unterweisungen, Eigenschaften und Spiele des Höchsten für alle ein Segen sind. Man kann stets Kṛṣṇa-bewußt bleiben, wenn man ständig über die transzendentale Gestalt, die Eigenschaften, die Spiele des Herrn und alles, was sonst noch mit Ihm verbunden ist, spricht. Im Grunde kann so das ganze Universum ein glückliches Leben führen und friedlich Fortschritte machen. Doch ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein bedeutet die Zivilisation nichts anderes als die Schmückung eines toten Körpers. Ein toter Körper mag zwar sehr prächtig geschmückt sein, doch wo kein Bewußtsein ist, sind alle Schmückungen sinnlos. Ebenso ist die menschliche Gesellschaft ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein sinnlos und leblos. Akrūra dachte: »Nun ist der Höchste Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa, als einer der Abkömmlinge der Yadu-Dynastie erschienen. Die religiösen Prinzipien sind die von Ihm verfügten Gesetze. Halbgötter sind diejenigen, die diese Gesetze befolgen, und diejenigen, die sich ihnen widersetzen, sind Dämonen. Er ist gekommen, um die Halbgötter, die Seinen Gesetzen gehorsam sind, zu beschützen. Mit Freude folgen die Halbgötter und die Geweihten Kṛṣṇas Seinen Gesetzen, und Kṛṣṇa findet Seinerseits Freude daran, ihnen allen Schutz zu gewähren. Wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, ist es für die Menschen immer segensreich, wenn sie davon hören und sprechen, wie Kṛṣṇa Seine Geweihten beschützt und die Dämonen vernichtet. Die glorreichen Taten des Herrn werden von den Gottgeweihten und Halbgöttern in ewig zunehmendem Maße gepriesen. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ist der geistige Meister aller geistigen Meister. Er ist der Befreier aller gefallenen Seelen und der Besitzer der drei Welten. Jeder, dessen Augen mit Liebe zu Gott gesalbt sind, kann Ihn sehen. Heute werde ich den Höchsten anschauen dürfen, der durch Seine transzendentale Schönheit die Göttin des Glücks dazu gebracht hat, für immer mit Ihm zusammenzuleben. Sowie ich in Vṛndāvana ankomme, werde ich vom Kutschbock springen und mich langausgestreckt zu Boden werfen, um dem Höchsten Herrn, dem Meister über die materielle Natur und alle Lebewesen, meine Ehrerbietungen zu erweisen. Die Lotosfüße Kṛṣṇas werden ständig von den großen yogīs und Mystikern verehrt, und auch ich werde heute abend seine Lotosfüße verehren und, wie die Kuhhirtenjungen, einer Seiner Freunde in Vṛndāvana werden. Wenn ich dem Herrn zu Füßen falle, wird Er mir sicherlich Seine schützende Lotoshand auf den Kopf legen. Er reicht Seine Hand allen bedingten Seelen, die Zuflucht bei Seinen Lotosfüßen suchen. Kṛṣṇa ist das endgültige Lebensziel aller Menschen, die sich vor der materiellen Existenz fürchten, und so wird Er sicherlich auch mir Zuflucht unter Seinen Lotosfüßen gewähren. Ich sehne mich danach, daß Er meinen Kopf mit Seinen lotosgleichen Händen berührt.« Akrūra erwartete also, von Kṛṣṇas Lotoshand gesegnet zu werden. Er wußte, daß Indra, der Himmelskönig und Herrscher über alle drei Welten, d. h. die oberen, mittleren und niederen Planetensysteme, einst vom Herrn gesegnet worden war, weil er Ihm ein wenig Wasser geopfert hatte, das der Herr dann auch annahm. Früher einmal hatte Bali Mahārāja Vāmanadeva, einer Erweiterung Kṛṣṇas, nur drei Schritte Land, und dazu ein wenig Wasser, geopfert und wurde dadurch mit der gleichen Gunst gesegnet wie Indra. Von den gopīs ist bekannt, daß Kṛṣṇa ihnen, als sie einmal während des rāsa-Tanzes Müdigkeit verspürten, mit Seiner Hand, die wie die Lotosblume duftet, über die perlenähnlichen Schweißtropfen auf ihren Gesichtern strich, was sie augenblicklich erfrischte. Auch Akrūra erhoffte also den Segen dieser erhabenen Hand Kṛṣṇas. Kṛṣṇas Hand kann jedem Menschen, der sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet, alle Segnungen erteilen. Ob man nun materiell reich sein möchte wie der König des Himmels, ob man von den Qualen der materiellen Existenz befreit werden will, oder ob man in reiner transzendentaler Liebe mit Kṛṣṇa Zusammensein und Seinen transzendentalen Körper berühren möchte – man kann jegliche Segnung von Kṛṣṇas Lotoshand bekommen. Akrūra fürchtete sich jedoch auch ein wenig, weil er als Bote von Kaṁsa, dem Feind Kṛṣṇas, nach Vṛndāvana kam. Aber zugleich sagte er sich: »Kṛṣṇa weilt als Überseele in jedem Herzen; Er muß also mein Herz kennen.« Obgleich Akrūra das Vertrauen von Kṛṣṇas Feind besaß, hatte er ein reines Herz. Er war ein reiner Gottgeweihter. Er war sogar bereit, Kaṁsas Zorn auf sich zu laden, nur um Kṛṣṇa zu treffen. Akrūra war sich sicher, daß Kṛṣṇa ihn nicht wie einen Feind empfangen würde, obgleich er als Vertreter Kaṁsas zu Ihm kam. Er dachte: »Obwohl der Auftrag, den ich auszuführen habe, sündig ist, da ich von Kaṁsa geschickt bin, werde ich mich dennoch in aller Demut mit gefalteten Händen dem Höchsten Persönlichen Gott nähern. Er wird Sich bestimmt über meine Hingabe freuen und mir vielleicht sogar ein Lächeln schenken und mich ansehen, so daß ich von allen Sünden befreit werde. Dann habe ich die Ebene des transzendentalen Wissens und der transzendentalen Glückseligkeit erreicht. Weil Kṛṣṇa mich im Innersten meines Herzen kennt, wird Er mich gewiß umarmen, wenn ich vor Ihn trete. Ich bin nämlich nicht nur ein Abkömmling der Yadu-Dynastie, sondern auch ein reiner Gottgeweihter. Durch Seine gütige Umarmung werden mein Körper, mein Herz und meine Seele gänzlich von den Nachwirkungen meiner Handlungen im vergangenen Leben gereinigt werden. Wenn sich dann unsere Körper berühren, werde ich nur noch mit gefalteten Händen demütig dastehen können. Bestimmt werden mich Kṛṣṇa und Balarāma »Onkel Akrūra« nennen, und das wird die Krönung meines Lebens sein. Solange man nicht vom Höchsten Persönlichen Gott anerkannt wird, kann man sein Leben nicht als erfolgreich betrachten.« Hier wird deutlich gesagt, daß man sich bemühen sollte, durch Dienen und Hingabe die Anerkennung des Höchsten Persönlichen Gottes zu erlangen. Ein Mensch, der diese Bemühung nicht unternimmt, hat die Möglichkeit, die das menschliche Leben bietet, verspielt. In der Bhagavad-gītā wird in diesem Zusammenhang gesagt, daß der Höchste Herr, der Persönliche Gott, jedem Lebewesen gleichgesinnt ist; für Ihn gibt es weder Freunde noch Feinde. Doch einem Gottgeweihten, der Ihm in hingebungsvoller Liebe dient, ist Er besonders zugetan. In der Bhagavad-gītā heißt es auch, daß der Herr das hingebungsvolle Dienen Seiner Geweihten erwidert. Akrūra verglich Kṛṣṇa mit dem Wunschbaum der himmlischen Planeten, der jede Frucht gibt, die man von ihm begehrt. Der Höchste Persönliche Gott ist auch die Quelle aller Dinge. Der Gottgeweihte muß erkennen, wie er Ihm dienen kann, um Seine Anerkennung zu finden. Im Śrī Caitanya caritāmṛita wird dazu erklärt, man solle gleichzeitig dem geistigen Meister und Kṛṣṇa dienen, um Fortschritte im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu machen. Wenn man sich unter der Führung des geistigen Meisters in Kṛṣṇas Dienst beschäftigt, dient man dem Höchsten wirklich, denn der geistige Meister ist der Repräsentant und die Manifestation Kṛṣṇas. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura erklärt in seinem Śrī-Śrī-Gurv-Aṣṭaka, daß man, indem man den geistigen Meister zufriedenstellt, auch den Höchsten Herrn erfreut. Dies läßt sich mit dem Dienst in einer Regierungsstelle vergleichen, wo man unter der Aufsicht des Abteilungsleiters arbeiten muß. Wenn der Abteilungsleiter dann mit dem Dienst der Angestellten zufrieden ist, werden auch Beförderung und Gehaltserhöhung nicht ausbleiben. Akrūra malte sich weiterhin aus: »Wenn Sich Kṛṣṇa und Balarāma über meine Gebete freuen, werden Sie mich gewiß bei der Hand nehmen und mich zu Sich nach Hause führen, um mich dort mit großer Gastlichkeit zu empfangen, und Sie werden Sich wohl auch nach den Unternehmungen Kaṁsas und seiner Freunde erkundigen.« Auf diese Weise meditierte Akrūra, der Sohn Śvaphalkas, auf seiner Reise von Mathurā über Kṛṣṇa. Bei Tagesende erreichte er schließlich Vṛndāvana. Da er auf seiner Reise jedes Zeitgefühl verloren hatte, wußte er nicht, wie lange er unterwegs gewesen war. Doch als er vor Vṛndāvana angelangte, merkte er, daß die Sonne schon nahe dem Untergang war. Sowie Akrūra das Land von Vṛndāvana erreichte, sah er die Hufspuren der Kühe am Boden und dann die Fußabdrücke Kṛṣṇas, die durch die Zeichen auf Seinen Fußsohlen erkenntlich waren, wie Flagge, Elefantendorn, Blitz und Lotosblüte, und voll Ehrfurcht sprang er augenblicklich vom Kutschbock. Er wurde von allen Anzeichen der Ekstase überwältigt; er weinte, und ein Zittern erfaßte seinen Körper. In seinem unendlichen Jubel, den Staub zu sehen, der von Kṛṣṇas Lotosfüßen berührt worden war, warf sich Akrūra flach aufs Gesicht und begann sich am Boden zu wälzen. Akrūras Reise nach Vṛndāvana ist beispielhaft. Jeder, der Vṛndāvana besuchen möchte, sollte seinem idealen Beispiel folgen und ständig an die Spiele und Taten des Herrn denken. Sowie man dann das Gebiet von Vṛndāvana erreicht, sollte man ohne Rücksicht auf materielle Stellung oder Geltungsbewußtsein seinen Körper mit dem heiligen Staub einreiben. Narottama dāsa Ṭhākura sang in seinem berühmten Lied »Gaurāṅga balite habe«: viṣaya chāriyā kave, śuddha have mana – »wenn mein Geist rein geworden ist, nachdem ich die Unreinheit des materiellen Sinnengenusses überwunden habe, werde ich fähig sein, Vṛndāvana zu besuchen.« Man kann also nicht nach Vṛndāvana gelangen, indem man sich nur eine Fahrkarte dorthin kauft. Den Vorgang, wie man nach Vṛndāvana kommt, zeigt Akrūra durch sein Beispiel. Als Akrūra im Dorf eintraf, sah er, wie Kṛṣṇa und Balarāma gerade das Melken der Kühe beaufsichtigten. Kṛṣṇa war in gelbe Gewänder gekleidet und Balarāma in blaue. Akrūra bemerkte auch, daß Kṛṣṇas Augen den schönen frischen Blüten des herbstlichen Lotos glichen. Beide waren im blühenden Alter der Jugend, und obwohl sich Ihre Körper sehr glichen, hatte Kṛṣṇa eine schwärzliche Hautfarbe, wohingegen Balarāmas Körper weiß war. Beide sind Sie die Zuflucht der Glücksgöttin. Ihre Körper waren wohlgeformt. Sie hatten schöne Hände, hübsche Gesichter und waren stark wie Elefanten. Akrūra war schon über Ihre Fußabdrücke in Ekstase geraten, doch nun sah er Kṛṣṇa und Balarāma wirklich vor sich. Obwohl Sie die beiden einflußreichsten Persönlichkeiten waren, blickten Sie mit lächelnden Gesichtern zu ihm auf. Akrūra erkannte, daß Kṛṣṇa und Balarāma gerade aus dem Wald zurückgekehrt waren, wo Sie Ihre Kühe gehütet hatten. Sie waren bereits gebadet, in saubere Gewänder gekleidet und trugen Blumengirlanden und Halsketten aus kostbaren Juwelen; auch waren Ihre Körper mit Sandelholzpaste eingerieben. Akrūra fühlte sich beseelt durch den Duft von frischen Blumen und Sandelholz und Ihre körperliche Gegenwart. Er schätzte sich sehr glücklich, Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, und Seine vollständige Erweiterung, Balarāma, von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen, denn er wußte, daß Sie die beiden ursprünglichen persönlichen Schöpfer sind. Wie in der Brahmā-saṁhitā erklärt wird, ist Kṛṣṇa der urerste Persönliche Gott und der Ursprung aller Ursprünge. Akrūra wußte, daß der Höchste Persönliche Gott zum Wohl Seiner Schöpfung erschienen war, um die Prinzipien der Religion wieder festzusetzen und die Dämonen zu vernichten. Zwei Bergen aus Saphir und Silber gleich, vertrieben die beiden Brüder mit Ihrer körperlichen Ausstrahlung die ganze Dunkelheit der Welt. Bei Ihrem Anblick sprang Akrūra unverzüglich vom Wagen und fiel wie ein Stock der Länge nach vor Ihnen zu Boden. Als er die Lotosfüße des Höchsten Persönlichen Gottes berührte, wurde er von transzendentaler Glückseligkeit überwältigt; seine Stimme versagte ihm, so daß er kein Wort mehr herausbringen konnte. Die transzendentale Gegenwart Kṛṣṇas ließ ihm Ströme von Tränen aus den Augen fließen. In seiner Ekstase war er wie erstarrt, als hätte er die Fähigkeit zu sehen und zu sprechen gänzlich verloren. Doch Śrī Kṛṣṇa, der sehr gütig zu Seinen Geweihten ist, half Akrūra vom Boden auf und umarmte ihn. Er schien Sich sehr über Seinen Onkel zu freuen, und auch Balarāma schloß ihn in Seine Arme. Dann nahmen Sie Akrūra bei der Hand und führten ihn in Ihr Wohngemach, wo Sie ihm einen bequemen Sitz und Wasser zum Waschen der Füße boten. Dann überreichten sie ihm hübsche Geschenke wie Honig und andere natürliche Dinge und schließlich eine Kuh. Sie brachten ihm auch köstliche Speisen herbei, die Akrūra mit Behagen verzehrte. Nach beendetem Mahl gab Balarāma Seinem Onkel Betelnüsse, Gewürzsamen und Sandelholzpaste, um es ihm an keiner Annehmlichkeit fehlen zu lassen. Kṛṣṇa hielt Sich somit genau an die vedischen Bräuche, um alle zu lehren, wie man einen Gast bei sich empfangen soll. Es gibt eine vedische Anweisung, die vorschreibt, daß, selbst wenn der Gast ein Feind ist, er so zuvorkommend aufgenommen werden soll, daß er keine Gefahr von seiten des Gastgebers zu befürchten hat. Wenn der Gastgeber arm ist, soll er seinem Gast zumindest eine Strohmatte als Sitz und ein Glas Wasser zum Trinken anbieten. Kṛṣṇa und Balarāma empfingen Akrūra in einer Weise, die seiner würdigen Stellung angemessen war. Nachdem Akrūra also gebührend begrüßt worden war und bequem saß, begann Nanda Mahārāja, Kṛṣṇas Pflegevater, sich mit ihm zu unterhalten. Er sagte: »Lieber Akrūra, ich brauche dich wohl nicht zu fragen. Ich weiß, daß du unter dem Schutz Kaṁsas stehst, der sehr grausam und dämonisch ist. Sein sogenannter Schutz ist mit dem »Schutz« eines Schlachthausbesitzers zu vergleichen, der die Tiere behütet, um sie später zu töten. Kaṁsa ist so skrupellos selbstsüchtig, daß er nicht davor zurückschreckte, die Söhne seiner eigenen Schwester zu töten. Wer würde daher noch ernsthaft glauben, er beschütze die Einwohner von Mathurā?« Nanda Mahārāja macht hiermit auf einen sehr wichtigen Punkt aufmerksam: Wenn die Regierungsoberhäupter nur ihre Selbstinteressen im Auge haben, können sie niemals für das Wohlergehen ihrer Untertanen sorgen. Während Nanda Mahārāja sich freundlich mit Akrūra unterhielt, erholte sich dieser allmählich von den Anstrengungen seiner Reise nach Vṛndāvana. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 37. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Akrūras Ankunft in Vṛndāvana«. 38. KAPITEL Akrūras Rückreise und sein Besuch auf Viṣṇuloka in der Yamunā Nachdem Kṛṣṇa und Nanda Mahārāja Akrūra einen herzlichen Empfang bereitet und ihn dann in sein Nachtquartier begleitet hatten, gingen Kṛṣṇa und Balarāma zum abendlichen Mahl. Akrūra setzte sich auf sein Bett nieder und dachte darüber nach, wie all seine Hoffnungen, die er sich auf dem Weg von Mathurā nach Vṛndāvana gemacht hatte, in Erfüllung gegangen waren. Śrī Kṛṣṇa, der Gemahl der Glücksgöttin, erfüllt Seinem reinen Gottgeweihten, mit dem Er sehr zufrieden ist, jeden Wunsch. Doch ein reiner Gottgeweihter bittet Kṛṣṇa niemals um etwas für sich selbst. Nach dem Nachtmahl gingen Kṛṣṇa und Balarāma noch einmal zu Akrūra, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Kṛṣṇa erkundigte Sich bei dieser Gelegenheit nach Seinem Onkel Kaṁsa. Er fragte Akrūra, wie Kaṁsas gegenwärtiges Verhältnis zu seinen Freunden sei und wie die Zukunftspläne des Königs aussähen. Auch erkundigte Er Sich danach, ob Seine Verwandten und Freunde alle wohlauf seien, oder ob Kaṁsa ihnen Schwierigkeiten bereite. Nachdem der Höchste Persönliche Gott Akrūra nochmals versichert hatte, wie sehr Ihm sein Besuch willkommen sei, erklärte Er, daß es Ihn besorgt stimme, Seinen Onkel Kaṁsa auf dem Herrscherthron des Königreiches zu wissen. Kṛṣṇa sagte, Kaṁsa stelle den größten Anachronismus im ganzen Regierungssystem dar. Solange er herrsche, sei nicht zu erwarten, daß es den Bürgern gut gehe. Kṛṣṇa schloß mit den Worten: »Mein Vater muß viel Leid ertragen, weil Ich sein Sohn bin. Er verlor um Meinetwillen sogar seine vielen anderen Söhne. Nun aber macht es Mich glücklich, daß Du, Mein Freund und Verwandter, hierhergekommen bist. Akrūra, Mein lieber Freund, bitte sage Mir den Grund deines Kommens!« Daraufhin berichtete Akrūra, der wie Kṛṣṇa der Yadu-Dynastie angehörte, von den Geschehnissen in Mathurā, einschließlich Kaṁsas Versuch, Vasudeva, den Vater Kṛṣṇas, zu töten. Er erzählte dem Herrn alles, was geschehen war, nachdem Nārada Kaṁsa enthüllt hatte, daß Kṛṣṇa der Sohn Vasudevas sei. Da Akrūra nun im Hause Nanda Maharajas saß, sagte er Kṛṣṇa offen alles, was sonst noch mit Kaṁsa zusammenhing. Er erzählte, wie Nārada sich mit Kaṁsa getroffen hatte, und wie er selbst nach Vṛndāvana geschickt worden war. Auch berichtete er, daß Kaṁsa von Nārada darüber aufgeklärt worden war, daß der Herr gleich nach Seiner Geburt nach Vṛndāvana gebracht wurde, und daß Er alle von Kaṁsa ausgesandten Dämonen tötete. Schließlich teilte Akrūra Kṛṣṇa den eigentlichen Zweck seines Kommens mit: Er sollte Ihn nach Mathurā bringen. Als Kṛṣṇa und Balarāma, die beide sehr erfahren darin sind, Ihre Feinde zu töten, von dieser und den anderen Maßnahmen Kaṁsas erfuhren, lachten Sie nur leicht über dessen Pläne. Sie baten Nanda Mahārāja, alle Kuhhirtenjungen einzuladen, mit nach Mathurā zu ziehen und dort der Dhanur-yajña-Zeremonie beizuwohnen, da Kaṁsa wünsche, daß alle zu der Feier kämen. Auf Kṛṣṇas Bitte hin rief Nanda Mahārāja sofort alle Hirten zusammen und trug ihnen auf, allerlei Arten Milchgerichte und frische Milch als Opfergabe für die Zeremonie herbeizuschaffen. Den Polizeikommandanten von Vṛndāvana wies er an, allen Bewohnern von Kaṁsas großem Dhanur-yajña zu berichten und sie einzuladen, daran teilzunehmen. Außerdem teilte er den Kuhhirtenjungen mit, daß sie alle am nächsten Morgen aufbrechen würden, woraufhin diese die Kühe und Stiere herrichteten, die sie nach Mathurā bringen sollten. Als die gopīs erfuhren, daß Akrūra gekommen war, um Kṛṣṇa und Balarāma nach Mathurā zu holen, wurden sie von Betrübnis überwältigt. Einige von ihnen wurden so bekümmert, daß ihre Gesichter sich schwarz färbten; ihr Atem ging schwer, und ihre Herzen begannen wie rasend zu klopfen. Sie bemerkten, wie sich ihr Haar öffnete und ihre Kleidung in Unordnung geriet. Einige der gopīs, die gerade im Haushalt tätig waren, ließen, als sie hörten, daß Kṛṣṇa und Balarāma nach Mathurā fahren sollten, ihre Arbeit stehen und liegen, als hätten sie alles um sich herum vergessen; sie glichen dabei einem Menschen, der merkt, daß es ans Sterben geht und daß er in wenigen Augenblicken die Welt verlassen muß. Andere wurden in ihrem Trennungsschmerz sofort ohnmächtig. Tiefster Schmerz ergriff die gopīs, wenn sie sich an Kṛṣṇas bezauberndes Lächeln und an ihre Gespräche mit Ihm erinnerten. Sie dachten an die charakteristischen Merkmale des Höchsten Persönlichen Gottes, wie Er durch das Land von Vṛndāvana gezogen war und wie Er mit Seinen scherzenden Worten ihre Herzen an Sich gezogen hatte. In Gedanken an Kṛṣṇa und ihre bevorstehende Trennung versammelten sich die gopīs mit klopfenden Herzen, und die Tränen strömten aus den Augen der Mädchen, die tief in Gedanken bei Kṛṣṇa waren. So begannen sie zu sprechen: »O Vorsehung, du bist so grausam! Barmherzigkeit scheinst du gar nicht zu kennen. Durch deinen Willen lernen sich Freunde kennen, doch du trennst sie, ohne ihre Wünsche zu erfüllen. Dein Verhalten gleicht dem Spiel von Kindern, das ohne Sinn ist. Es ist sehr abscheulich von dir, uns erst den schönen Kṛṣṇa zu zeigen, dessen bläulich-lockiges Haar eine breite Stirn und eine edle Nase verschönern, und der stets lächelt, um allen Streit in der materiellen Welt zu schlichten, und Ihn dann wieder von uns zu nehmen. O Vorsehung, du bist so grausam! Doch erstaunlich ist es, daß du uns nun als »Akrūra« erscheinst, ein Name, der »nicht grausam« bedeutet. Anfangs schätzten wir deine Kunstfertigkeit, uns diese Augen zu verleihen, mit denen wir das liebliche Antlitz Kṛṣṇas betrachten können, doch nun versuchst du, wie ein närrisches Geschöpf, uns unsere Augen zu nehmen und uns Ihn nie wieder sehen zu lassen. Kṛṣṇa, der Sohn Nanda Mahārājas ist ebenfalls sehr grausam! Ständig muß Er neue Freunde haben; Er liebt es überhaupt nicht, mit jemandem längere Freundschaft zu halten. Wir gopīs von Vṛndāvana haben unser Zuhause, unsere Freunde und Verwandten zurückgelassen und sind Kṛṣṇas Dienerinnen geworden, doch Er kümmert Sich nicht darum, sondern verschmäht uns und geht einfach fort. Er sieht uns nicht einmal an, obgleich wir Ihm völlig hingegeben sind. Nun werden all die jungen Mädchen von Mathurā die Gelegenheit haben, mit Kṛṣṇa zusammenzusein. Sie erwarten bestimmt schon Seine Ankunft und werden mit Freuden den süßen Honig Seines lächelnden Antlitzes trinken. Wir wissen zwar, daß Kṛṣṇa sehr standhaft und entschlossen ist, doch befürchten wir, daß Er Sich völlig vergessen wird, sobald Er die hübschen Gesichter der jungen Mädchen von Mathurā erblickt. Wir befürchten, daß Er von ihnen abhängig werden und uns, die wir nur einfache Dorfmädchen sind, völlig vergessen wird. Nicht länger mehr wird Er uns Seine Gunst erweisen. Und so glauben wir nicht, daß Kṛṣṇa jemals wieder nach Vṛndāvana zurückkehren wird. Er wird die Gesellschaft der Mädchen von Mathurā nicht mehr verlassen.« Die gopīs malten sich dann die großartigen Festlichkeiten aus, die in Mathurā stattfinden würden. Kṛṣṇa würde durch die Straßen spazieren, und die Damen und jungen Mädchen von Mathurā würden Ihn von den Balkonen ihrer Häuser aus erblicken. Mathurā wurde damals von verschiedenen Geschlechtern bewohnt, die als Daśārha, Bhoja, Andhaka und Sātvata bekannt waren. Diese Geschlechter waren alle verschiedene Zweige derselben Familie, in der auch Śrī Kṛṣṇa erschienen war, nämlich der Yadu-Dynastie. Alle ihre Angehörigen erwarteten bereits die Ankunft Kṛṣṇas. Es stand nämlich fest, daß Kṛṣṇa, der die Zuflucht der Glücksgöttin und die Quelle aller Freude und transzendentalen Eigenschaften ist, die Stadt Mathurā besuchen würde. Daraufhin begannen die gopīs, Akrūra wegen seines Verhaltens anzuklagen. Sie riefen: »Akrūra nimmt uns Kṛṣṇa, den wir mehr lieben als alles, und der die Freude unserer Augen ist, einfach von uns, ohne ein Wort des Trostes. Akrūra sollte nicht so gnadenlos sein; er sollte doch wenigstens eine Spur von Mitleid zeigen. Was uns am meisten verwundert ist aber, daß Sich Kṛṣṇa, der Sohn Nandas, bereits auf die Kutsche gesetzt hat, ohne an unseren Kummer zu denken. Daran kann man sehen, daß Kṛṣṇa nicht sehr intelligent ist. Doch selbst wenn Er sehr intelligent sein sollte, so weiß Er Sich zumindest nicht zu benehmen. Aber nicht nur Kṛṣṇa, auch die anderen Hirten sind so hartherzig, denn sie sind schon dabei, die Stiere und Kälber zur Reise nach Mathurā einzujochen. Selbst die älteren Leute von Vṛndāvana haben alles Mitgefühl verloren. Sie beachten nicht im mindesten, wie sehr wir leiden, und halten Kṛṣṇa nicht davon ab, nach Mathurā zu reisen. Sogar die Halbgötter sind gegen uns, da sie Kṛṣṇa nicht daran hindern, nach Mathurā zu ziehen.« Die gopīs flehten die Halbgötter an, ein Unwetter, eine Windhose, einen heftigen Sturm oder starke Regengüsse herbeizuschicken, so daß Kṛṣṇa am Fahren verhindert würde. Als auch dies nichts half, sagten sie: »Wir werden trotz der Gegenwart unserer Eltern und Behüter Kṛṣṇa persönlich davon abhalten, nach Mathurā zu fahren. Uns bleibt keine andere Möglichkeit als dieser direkte Schritt, denn alle haben sich gegen uns gewandt, um uns Kṛṣṇa zu nehmen. Ohne Ihn können wir nicht einen Augenblick lang leben. Die gopīs beschlossen darauf, Kṛṣṇa an einer Stelle, die Sein Wagen passieren mußte, den Weg zu verstellen. Sie sprachen zueinander: »Wir haben mit Kṛṣṇa eine sehr lange Nacht im rāsa-Tanz verbracht, die uns jedoch so kurz wie ein Augenblick erschien. Wir sahen Sein zauberhaftes Lächeln, umarmten Ihn und sprachen mit Ihm. Wie könnten wir also auch nur eine Stunde länger leben, wenn Er uns verließe? Am Ende des Tages, wenn der Abend dämmerte, kehrte Kṛṣṇa gewöhnlich mit Seinem älteren Bruder Balarāma und Seinen Freunden nach Hause zurück. Sein Gesicht war mit dem Staub bedeckt, der von den Hufen der Kühe aufgewirbelt wurde, und lächelnd und auf Seiner Flöte spielend, sah Er uns so freundlich an. Wie könnten wir Ihn also jemals wieder vergessen? Wie könnten wir Kṛṣṇa, der unser Leben und unsere Seele ist, aus unseren Gedanken verbannen? Er stahl während unserer gemeinsamen Tage und Nächte auf so vielfache Weise unsere Herzen. Wenn Er nun einfach von uns geht, können wir unmöglich weiterleben.« Je länger die gopīs miteinander solche Gedanken austauschten, desto bekümmerter wurden sie darüber, daß Kṛṣṇa Vṛndāvana verlassen wollte. Sie waren nicht länger Herr über ihre Gefühle und fingen an, laut zu weinen, wobei sie die verschiedenen Namen Kṛṣṇas ausriefen: »O liebster Dāmodara! Liebster Mādhava!« Die gopīs weinten die ganze Nacht vor Kṛṣṇas Abreise. Als dann die Sonne aufging, bestieg Akrūra, nachdem er sein morgendliches Bad genommen hatte, den Wagen, und machte sich gemeinsam mit Kṛṣṇa und Balarāma auf den Weg nach Mathurā. Nanda Mahārāja und die Kuhhirten bestiegen ihre Ochsenkarren, die sie mit großen irdenen Töpfen beladen hatten, die voller Milch und Milchspeisen wie Yoghurt und Butterfett waren, und nahmen den gleichen Weg wie Kṛṣṇa und Balarāmas Wagen. Die gopīs versammelten sich alle trotz der Bitte Kṛṣṇas, Ihm den Weg nicht zu versperren, um die Kutsche und sahen Ihn mit flehenden Augen an. Kṛṣṇa war sehr gerührt über den traurigen Anblick der gopīs, doch war es Seine Pflicht, nach Mathurā zu fahren, da dies von Nārada vorausgesagt worden war. Er tröstete die gopīs also, indem Er zu ihnen sagte: »Bitte seid nicht traurig. Sowie Ich Meine Angelegenheiten in Mathurā erledigt habe, werde Ich zurückkehren.« Doch die gopīs ließen sich nicht dazu bewegen, den Weg freizugeben. Der Wagen machte schließlich kehrt und fuhr in westlicher Richtung davon, und die gopīs konnten dem sich weiter und weiter entfernenden Wagen nur noch mit ihren Gedanken folgen. Sie sahen der Flagge von Kṛṣṇas Kutsche nach, solange sie sie mit den Augen wahrnehmen konnten; schließlich war in der Ferne nur noch eine Staubwolke zu erkennen. Die gopīs rührten sich nicht von der Stelle, sondern blieben solange stehen, bis von Kṛṣṇas Wagen nichts mehr zu sehen war. Lange Zeit verharrten sie so in unbeweglicher Haltung und glichen Figuren auf einem Gemälde. Alle waren sich darin einig, daß Kṛṣṇa nicht so bald zurückkommen würde, und mit tiefer Enttäuschung im Herzen gingen sie nach Hause. Zutiefst betrübt über die Abwesenheit Kṛṣṇas konnten sie Tag und Nacht an nichts anderes denken als an Seine transzendentalen Spiele, was ihnen ein wenig Trost gab. Der Herr fuhr die Kutsche, begleitet von Akrūra und Balarāma, mit großer Geschwindigkeit dem Ufer der Yamunā entgegen. Jeder, der ein Bad in der Yamunā nimmt, kann die Reaktionen auf seine Sünden verringern. Sowohl Kṛṣṇa als auch Balarāma badeten in dem heiligen Fluß und wuschen Ihre Gesichter, um so allen Menschen ein Beispiel zu geben. Nachdem Sie noch etwas von dem kristallklaren Wasser getrunken hatten, kehrten Sie zur Kutsche zurück, die im Schatten eines hohen Baumes stand, und setzten Sich wieder auf Ihre Plätze. Darauf ging Akrūra, mit der Erlaubnis der beiden Brüder, gleichfalls zur Yamunā hinunter, um ein Bad zu nehmen. Es gibt ein vedisches Ritual, das vorschreibt, nach dem Bad in einem Fluß wenigstens bis zum Bauch im Wasser stehend den Gāyatrī-mantra zu murmeln. Während Akrūra also im Fluß stand, sah er ganz unvermittelt Kṛṣṇa und Balarāma vor sich im Wasser. Natürlich wunderte er sich sehr, Sie im Fluß zu erblicken, denn er war sich ganz sicher, Sie auf dem Wagen sitzen gesehen zu haben. Deshalb verließ er augenblicklich das Wasser, um sich Gewißheit zu verschaffen, wo Sich die beiden Jungen tatsächlich befanden. Zu seiner Überraschung sah er Sie noch immer auf der Kutsche sitzen, und daher fragte er sich, ob er Sie auch wirklich im Wasser gesehen habe. Um sich davon zu überzeugen, ging er also noch einmal in den Fluß zurück. Dieses Mal sah er dort nicht nur Balarāma und Kṛṣṇa, sondern auch viele Halbgötter, einschließlich aller Siddhas, Cāraṇas und Gandharvas, die vor dem Herrn standen, der in liegender Haltung vor ihnen anwesend war. Akrūra erkannte auch Śeṣa Nāga mit Seinen Tausenden von Köpfen. Śeṣa Nāga trug bläuliche Gewänder, und Seine vielen Hälse waren alle weiß, so daß sie schneebedeckten Bergen glichen. Auf Śeṣa Nāgas geschwungenem Körper sah Akrūra Kṛṣṇa sehr erhaben in Seiner vierarmigen Gestalt ruhen, und Seine Augen waren wie die rötlichen Blütenblätter der Lotosblume. Mit anderen Worten: Als Akrūra in die Yamunā zurückkehrte, gewahrte er Balarāma in Gestalt der Śeṣa Nāga und Kṛṣṇa als Mahā-Viṣṇu. Er sah den vierarmigen Höchsten Persönlichen Gott mit einem strahlenden Lächeln auf dem Antlitz. Mahā-Viṣṇu war anziehend für alle, und Er blickte jeden an. Mit Seiner freien Nase, der hohen Stirn, den markanten Ohren und den purpurnen Lippen sah Er unvergleichlich schön aus. Seine Arme, die bis an die Knie reichten, waren sehr stark; Seine Schultern waren hoch, Seine Brust gewölbt wie ein Muschelhorn; Sein Nabel war sehr tief, und Seinen Bauch zeichneten drei Linien. Seine Taille war breit und groß, und ähnelte den Hüften einer Frau; Seine Schenkel waren stark wie Elefantenrüssel. Die Unterschenkel Seiner Beine, die Gelenke und die Füße waren formvollendet; die Nägel Seiner Füße funkelten, und Seine Zehen waren schön wie die Blütenblätter der Lotosblume. Der Helm, den Er trug, war mit kostbaren Edelsteinen besetzt; die Taille umschlang ein hübscher Gürtel, und um die mächtige Brust trug Er die heilige Schnur. An Seinen Handgelenken und Oberarmen waren Armreifen, und an Seinen Fußgelenken trug Er Glöckchen. Mahā-Viṣṇu war von strahlender Schönheit, und Seine Handflächen waren wie Lotosblüten. Seine Schönheit erhöhte sich noch durch die Zeichen des Viṣṇu-mūrti, das Muschelhorn, die Keule, das Feuerrad und die Lotosblüte, die Er in Seinen vier Händen trug. Seine Brust zeichneten die besonderen Merkmale Viṣṇus, und frische Blumengirlanden umkränzten Seinen Hals. Der ganze Anblick war prachtvoll. Akrūra sah auch, daß Seine Herrlichkeit von Seinen Vertrauten, wie den vier Kumāras – Sanaka, Sanātana, Sananda und Sanatkumāra –, anderen Beigesellten, wie Sunanda und Nanda, und Halbgöttern, wie Brahmā und Śiva, umringt war. Dazu waren die neun großen Weisen anwesend, und Gottgeweihte, wie Prahlāda Mahārāja und Nārada, waren darin vertieft, dem Herrn mit lauterem Herzen und reinen Worten Gebete darzubringen. Bei dem Anblick der transzendentalen Persönlichkeit Gottes ergriff Akrūra das Gefühl großer Hingabe, und seinen ganzen Körper durchlief ein transzendentales Zittern. Obwohl er zuerst ganz verwirrt war, erlangte er doch schnell sein klares Bewußtsein wieder. Er neigte sein Haupt vor dem Höchsten Herrn und brachte dem Herrn mit gefalteten Händen und bebender Stimme seine Gebete dar. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 38. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Akrūras Rückreise und sein Besuch auf Viṣṇuloka in der Yamunā«. 39. KAPITEL Die Gebete Akrūras Akrūra brachte folgende Gebete dar: »Lieber Herr, ich erweise Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen, da Du die höchste Ursache aller Ursachen und die urerste unerschöpfliche Persönlichkeit Nārāyaṇa bist. Aus Deinem Nabel wächst eine Lotosblume, und auf diesem Lotos wird Brahmā, der Schöpfer des Universums, geboren. Und weil Brahmā der Ursprung des Universums ist, bist Du die Ursache aller Ursachen. Alle Elemente der kosmischen Manifestation, nämlich Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, falsches Ich und die gesamte materielle Energie, wie auch die Natur, die mittlere Energie, die Lebewesen, der Geist, die Sinne, die Sinnenobjekte und die Halbgötter, die die Geschehnisse im Kosmos regeln, gehen aus Deinem Körper hervor. Du bist die Überseele in allem Existierenden, doch niemand kennt Deine transzendentale Gestalt. Jeder in der materiellen Welt wird von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur gelenkt. Selbst Halbgötter wie Brahmā haben, da sie unter dem Einfluß der materiellen Natur stehen, keine genaue Kenntnis von Deiner transzendentalen Existenz jenseits der kosmischen Manifestation der drei materiellen Erscheinungsweisen. Große Weise und Mystiker verehren Dich als den Höchsten Persönlichen Gott, die ursprüngliche Ursache aller Lebewesen, der ganzen kosmischen Manifestation und aller Halbgötter. Sie verehren Dich als den Allesumfassenden. Auch viele der gelehrten brāhmaṇas verehren Dich, indem sie die rituellen Zeremonien, die im Ṛg-veda vorgeschrieben sind, durchführen. Sie bringen im Namen der Halbgötter verschiedenartige Opfer dar. Andere wiederum fühlen sich mehr dazu hingezogen, transzendentales Wissen zu verehren. Sie sind sehr friedvoll und wollen alle materielle Aktivität aufgeben. So befassen sie sich mit der philosophischen Suche nach Dir, was jñāna-yoga genannt wird. Es gibt aber auch Gottgeweihte, Sie werden Bhāgavatas genannt, die Dich als den Höchsten Persönlichen Gott verehren. Nachdem sie ordnungsgemäß in den Vorgang des Pañcarātra eingeweiht worden sind, pflegen sie ihre Körper mit tilaka zu schmücken und Deine verschiedene Viṣṇu-mūrti-Formen zu verehren. Wieder andere, die Śivaiten, Schüler verschiedener ācāryas, verehren Dich in der Form Śivas.« In der Bhagavad-gītā wird zwar erklärt, daß die Verehrung der Halbgötter eine indirekte Verehrung des Höchsten ist, doch ist eine solche Form der Verehrung dem Aufrichtigen nicht zu raten, denn der zu verehrende Herr ist der Höchste Persönliche Gott, Nārāyaṇa. Halbgötter wie Brahmā und Śiva sind Inkarnationen der materiellen Eigenschaften, die vom Körper Nārāyaṇas ausgehen. Vor der Schöpfung existierte also niemand außer Nārāyaṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott. Die Verehrung der Halbgötter kommt daher nicht der Verehrung Nārāyaṇas gleich. Akrūra sagte: »Obgleich die Verehrer der Halbgötter geistig auf einen bestimmten Halbgott fixiert sind, erreicht ihre Verehrung dennoch indirekt Dich, weil Du die Überseele in allen Lebewesen, auch in den Halbgöttern, bist. So wie einige der kleinen Flüsse, die während der Regenzeit von den Bergen fließen, ins Meer gelangen, und einige nicht, so können Dich manche Verehrer der Halbgötter erreichen, und manche auch nicht. Für ihren Erfolg gibt es keine Gewähr. Er ist ganz allein von der Stärke ihrer Verehrung abhängig.« Die vedischen Prinzipien schreiben den Verehrern der Halbgötter vor, bei der Verehrung des betreffenden Halbgottes gleichzeitig auch Rituale für Nārāyaṇa, der Yajñeśvara [* Yajñeśvara – der letztliche Empfänger aller Opfer.*] genannt wird, durchzuführen, denn wie in der Bhagavad-gītā erwähnt wird, können die Halbgötter nicht ohne die Einwilligung Nārāyaṇas oder Kṛṣṇas die Wünsche ihrer Anhänger erfüllen. Die genauen Worte, die die Bhagavad-gītā in diesem Zusammenhang gebraucht, lauten: »mayaiva vihitān hi tān«, was bedeutet, daß die Halbgötter nur Segnungen gewähren können, wenn der Höchste Herr sie dazu ermächtigt hat. Wenn der Verehrer der Halbgötter dann möglicherweise zur Vernunft gekommen ist, sagt er sich: »Die Halbgötter können mich nur dann segnen, wenn sie vom Höchsten Herrn dazu befähigt worden sind; ist es also nicht besser, den Höchsten Herrn direkt zu verehren?« Einige Verehrer der Halbgötter mögen zwar zum Höchsten Persönlichen Gott gelangen, doch diejenigen, die einen Halbgott für das ein und alles halten, können nicht das höchste Ziel erreichen. Akrūra betete dann: »Lieber Herr, die ganze Welt ist von den drei materiellen Erscheinungsweisen der Natur – Güte, Leidenschaft und Unwissenheit – erfüllt. Jedes Lebewesen in der materiellen Welt, angefangen mit Brahmā, bis hinunter zu den bewegungslosen Pflanzen und Bäumen, ist von diesen Erscheinungsweisen bedeckt. Doch Du, lieber Herr, bist frei vom Einfluß der drei Erscheinungsweisen, und deshalb bringe ich Dir meine respektvollen Ehrerbietungen dar. Außer Dir ist jeder ein Spielball für die Wellen dieser Erscheinungsweisen der Natur. Mein lieber Herr, Feuer ist Dein Mund, die Erde bildet Deine Füße, die Sonne ist Dein Auge, der Himmel Dein Nabel, und die Richtungen sind Deine Ohren. Der Weltraum ist Dein Haupt, die Halbgötter sind Deine Arme, die Ozeane und Meere sind Dein Leib, die Luft und die Winde sind Deine Kraft und Lebensstärke. Die Pflanzen und Kräuter sind die Haare auf Deinem Körper; die Wolken sind Dein Haupthaar; die Berge sind Deine Knochen und Nägel, und die Tage und Nächte sind das Zwinkern Deiner Augenlider; Prajāpati, der Erzeuger, ist Dein Genital, und der Regen ist Dein Samen. Mein lieber Herr, alle Lebewesen, einschließlich der Halbgötter, Könige und anderer Herrscher, ruhen in Dir. Weil jeder nur ein winziges Bestandteil des großen Ganzen ist, kann Dich unmöglich jemand durch experimentelles Wissen verstehen. Man kann Deine transzendentale Existenz mit einem großen Ozean vergleichen, in dem sich vielerlei Arten von Lebewesen befinden, oder mit der kadamba-Frucht, aus der viele kleine Moskitos kriechen. Mein lieber Herr, alle Deine ewigen Formen und Inkarnationen, die Du annimmst, erscheinen in der materiellen Welt, um die Lebewesen von ihrer Unwissenheit, ihren Illusionen und ihren Klagen zu befreien. Alle Menschen sollten daher Deine Inkarnationen und transzendentalen Spiele zu würdigen wissen und in Ewigkeit Deine Taten preisen. Niemand kann die Vielzahl Deiner Formen und Inkarnationen ermessen, noch kennt jemand die Anzahl der Universen, die in Dir existieren. Deshalb will ich als erstes meine achtungsvollen Ehrerbietungen Deiner Inkarnation als Fisch erweisen, in der Du zur Zeit der Vernichtung erschienst, obwohl Du, o Herr, die Ursache aller Ursachen bist. Ich bringe Deiner Hayagrīva-Inkarnation meine respektvollen Ehrerbietungen dar, die die beiden Dämonen Madhu und Kaiṭabha tötete. Ich erweise Dir meine respektvollen Ehrerbietungen, der Du die gigantische Schildkröteninkarnation annahmst und den großen Mandara-Berg auf dem Rücken trugst, und der Du als Eberinkarnation erschienst, um den Erdplaneten aus dem Wasser des Garbhodaka-Ozeans zu retten. Ich bringe Deiner Herrlichkeit meine respektvollen Ehrerbietungen dar, der Du als Nṛsiṁhadeva erschienst und viele Gottgeweihte vor den Greueltaten der Atheisten rettetest. Ich bringe Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar, der Du als Vāmanadeva erschienst und die drei Welten mit Deinen Lotosfüßen berührtest. Ich erweise Dir meine respektvollen Ehrerbietungen, der Du als der Herr der Bhṛgus erschienst, um die gottlosen Herrscher der Welt zu töten. Und ich bringe Dir meine demütigen Ehrerbietungen dar, der Du als Rāma kamst, um Dämonen wie Rāvaṇa zu vernichten. Von allen Gottgeweihten wirst Du als Śrī Rāmacandra, der Führer der Raghu-Dynastie, verehrt. Ich will Dir meine respektvollen Ehrerbietungen darbringen, der Du Dich als Śrī Vāsudeva, Śrī Saṅkarṣaṇa, Śrī Pradyumna und Śrī Aniruddha manifestiertest. Laß mich auch Deiner Inkarnation als Buddha meine respektvollen Ehrerbietungen erweisen, die erschien, um die Atheisten und Dämonen zu verwirren und laß mich Deiner Inkarnation als Kalki meine respektvollen Ehrerbietungen darbringen, die erschien, um den sogenannten königlichen Stand zu bestrafen, dessen Angehörige zu verabscheuungswürdigen mlecchas degeneriert waren, die zu niedrig sind, als daß es für sie regulierende vedische Prinzipien gäbe. Lieber Herr, jeder in der materiellen Welt wird durch Deine illusionierende Energie bedingt. Mit Lebensauffassungen unter dem Einfluß der falschen Identifizierung mit dem Körper und falscher Besitzansprüche wandern die Lebewesen auf dem Pfad des gewinnbringenden Handelns und seiner Rückwirkungen von einem Körper zum anderen. Mein lieber Herr, auch ich bilde als bedingte Seele keine Ausnahme. Ich mache mir fälschlich vor, mit Frau und Kindern, mit meinem Zuhause, dem Staat, meinem Besitz und was sonst noch dazugehört glücklich zu sein. Daher handle ich wie ein Träumer, denn keines dieser Dinge ist von Dauer. Ich bin ein Narr, stets in Gedanken an diese Dinge zu leben und sie für dauerhaft und wahr zu halten. Lieber Herr, durch meine falsche Identifizierung halte ich alles Unbeständige für wirklich, wie z. B. meinen materiellen Körper, der nicht-spirituell ist und die Ursache aller Arten von Leiden darstellt. Verwirrt durch solche falschen Lebensauffassungen hänge ich ständig Gedanken der Dualität nach, und so habe ich Dich völlig vergessen, der Du die Quelle aller transzendentalen Freude bist. Ich bin ohne Deine transzendentale Gegenwart gewesen und gleiche einer verblendeten Kreatur, die die mit wassergenährtem Gemüse bewachsene Wasserstelle verläßt und in der Wüste nach Wasser sucht. Die bedingten Seelen wollen zwar ihren Durst stillen, doch wissen sie nicht, wo Wasser zu finden ist. Sie verlassen den Ort, an dem sich die Wasserstelle befindet, und laufen in die Wüste hinaus, wo es kein Wasser gibt. Lieber Herr, ich bin völlig außerstande, meinen Geist zu beherrschen, der von den zügellosen Sinnen getrieben wird und an gewinnbringenden Tätigkeiten und ihren Ergebnissen haftet. Deine Lotosfüße können von niemandem im bedingten materiellen Dasein richtig gewürdigt werden, doch trotzdem bin ich irgendwie Deinen Lotosfüßen nahe gekommen, und sehe darin Deine große Barmherzigkeit, die Du mir erwiesen hast. Du kannst Dich verhalten, wie es Dir beliebt, denn Du bist der höchste Kontrollierende. Daher ist mir klar, daß jemand, der die Voraussetzung besitzt, von den sich wiederholenden Geburten und Toden befreit zu werden, nur durch Deine grundlose Gnade weitere Fortschritte machen kann, so daß er eine Neigung zum grundlos hingebungsvollen Dienen für Dich gewinnt.« Akrūra fiel vor dem Herrn nieder und betete: »Mein lieber Herr, Deine transzendentale ewige Gestalt ist voller Wissen. Wenn man seinen Geist nur einfach auf Deine transzendentale Gestalt richtet, kann man in vollkommenem Wissen alle Dinge verstehen, denn Du bist der Ursprung allen Wissens. Du bist der höchste Mächtige und Du besitzt alle verschiedenen Energien. Du bist das Höchste Brahman und die Höchste Person, der höchste Kontrollierende und Meister der materiellen Energien. Ich erweise Dir meine respektvollen Ehrerbietungen, denn Du bist Vāsudeva, der Ruheort der gesamten Schöpfung. Du bist der allesdurchdringende Höchste Persönliche Gott, und Du bist auch die Höchste Seele, die im Herzen eines jeden weilt und jedem Lebewesen Anweisungen zum Handeln gibt. Nun, o Herr, bin ich Dir völlig hingegeben. Bitte gewähre mir Deinen Schutz.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 39. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Gebete Akrūras«. 40. KAPITEL Kṛṣṇa kommt nach Mathūra Während Akrūra dem Höchsten Persönlichen Gott seine Gebete darbrachte, verschwand der Herr aus dem Wasser – wie ein geschickter Schauspieler, der seine Kleidung wechselt und wieder sein ursprüngliches Aussehen annimmt. Nachdem der Viṣṇu-mūrti verschwunden war, stieg Akrūra aus dem Fluß. Er beendete Seine Verehrungsrituale und ging, noch immer von Erstaunen überwältigt, zu der Kutsche mit Balarāma und Kṛṣṇa zurück. Kṛṣṇa fragte Seinen Onkel, ob er etwas Wunderbares im Wasser oder am Himmel gesehen habe, worauf Akrūra antwortete: »Lieber Herr, alle wundervollen Dinge, die in dieser Welt geschehen, ob in der Luft, im Wasser oder auf dem Land, finden in Deiner universalen Form statt. Wenn ich also Dich gesehen habe, welche wundervollen Dinge habe ich nicht gesehen?« Diese Erklärung bestätigt die Aussagen der vedischen Schriften, in denen es heißt, daß jemand, der Kṛṣṇa kennt, alles kennt, und daß jemand, der Kṛṣṇa gesehen hat, alles gesehen hat – wie wunderbar es auch sein mag. »Lieber Herr«, fuhr Akrūra fort, »es kann nichts Wundervolleres geben als Deine transzendentale Gestalt. Wenn ich also diese transzendentale Form gesehen habe, was bleibt mir dann noch zu sehen?« Nach diesen Worten ließ Akrūra den Wagen anfahren. Gegen Abend schließlich hatten sie fast die Gegend von Mathurā erreicht. Alle Reisenden, die Kṛṣṇa und Balarāma auf Ihrer Fahrt nach Mathurā begegneten, konnten nicht anders als die beiden anschauen. Unterdessen hatten die Einwohner von Vṛndāvana, angeführt von Nanda und Upananda, Mathurā bereits erreicht, weil sie ihren Weg durch Wälder und Flüsse genommen hatten, und warteten auf Kṛṣṇa und Balarāmas Ankunft. Als die Brüder schließlich vor das Stadttor von Mathurā gelangten, sprangen Sie von Akrūras Wagen und reichten ihm zum Abschied die Hand. Kṛṣṇa sagte zu Akrūra: »Du kannst nun nach Hause gehen, und Wir werden Uns zusammen mit Unseren Gefährten in die Stadt begeben.« Doch Akrūra erwiderte: »O lieber Herr, ich kann unmöglich allein Mathurā betreten, und Dich hier verlassen. Ich bin Dein ergebener Diener; versuche bitte nicht, mich zu meiden, sondern komm gemeinsam mit Deinem älteren Bruder Balarāma und den Kuhhirten von Vṛndāvana mit mir zu meinem Haus und heilige es durch Deine Anwesenheit. Mein lieber Herr, wenn Du mich besuchst, wird mein Haus von dem Staub Deiner Lotosfüße geheiligt. Das Wasser, das wie Schweiß von Deinen Lotosfüßen kommt, nämlich der Ganges, kann jeden reinigen – einschließlich der Vorväter, des Feuergottes und aller anderen Halbgötter. König Bali Mahārāja wurde berühmt, weil er Deine Lotosfüße wusch, und alle seine Verwandten erreichten, weil er das Gangeswasser berührt hatte, die himmlischen Planeten. Bali Mahārāja selbst erfreute sich aller materiellen Reichtümer und wurde später zur höchsten Stufe der Befreiung erhoben. Das Gangeswasser heiligt nicht nur die drei Welten, sondern es wird auch von Śiva auf dem Kopf getragen. O Höchster Herr aller Herren! O Meister des Universums! Ich bringe Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar.« Als Kṛṣṇa dieses angehört hatte, erwiderte Er: »Akrūra, Ich verspreche dir, dich mit Meinem älteren Bruder Balarāma zu Hause zu besuchen, aber erst wenn Ich alle Dämonen getötet habe, die der Yadu-Dynastie übel gesonnen sind. Dadurch werde Ich alle Meine Verwandten erfreuen können.« Akrūra enttäuschten diese Worte des Höchsten Persönlichen Gottes zwar ein wenig, doch konnte er Seine Anweisung nicht mißachten. Er fuhr also allein in die Stadt und informierte Kaṁsa über Kṛṣṇas Ankunft. Anschließend ging er nach Hause. Nach dem Abschied Akrūras betraten Kṛṣṇa und Balarāma zusammen mit den Kuhhirtenjungen Mathurā, um Sich die Stadt anzusehen. Sie bemerkten, daß das äußerst kunstvoll gebaute Stadttor aus feinstem Marmor gefertigt war und die kleinen Türen darin aus purem Gold. Überall im Stadtinnern waren großartig angelegte Gärten zu sehen, und die ganze Stadt war mit Geschützen umgeben, so daß es einem Feind fast unmöglich war, in sie einzudringen. Die Straßenkreuzungen waren mit Gold verschönert, und die vielen Häuser reicher Bürger waren symmetrisch gebaut, als wären sie alle vom gleichen Architekten entworfen. Die Häuser hatte man mit kostbaren Edelsteinen verziert, und zu jedem Gebäude gehörte ein schönes Grundstück mit Obstbäumen und Blumen. Die Gärten, Veranden und Vorräume der Häuser waren mit seidenen Tüchern und Zierwerk aus Juwelen und Perlen geschmückt. Vor den Balkonfenstern stolzierten gurrende Tauben und Pfauen umher. Die Getreidehandlungen der Stadt gaben durch verschiedenartige Blumengirlanden, frisches Gras und blühende Rosen ein prächtiges Bild. An den Hauptportalen der Gebäude hingen mit Wasser gefüllte Töpfe, und eine Mischung aus Yoghurt und Wasser war überall versprengt worden. Über den Türen waren brennende Lampen von unterschiedlicher Größe angebracht, die mit Blumen besteckt waren, und die Eingänge hatte man mit Gewinden aus frischen Mangoblättern und seidenen Tüchern umrahmt. Sowie sich die Nachricht verbreitet hatte, daß Kṛṣṇa, Balarāma und die Kuhhirtenjungen sich in Mathurā befanden, liefen alle Einwohner herbei, und die Frauen und Mädchen eilten auf die Dächer ihrer Häuser, um sie zu sehen. Die Frauen hatten die Ankunft von Kṛṣṇa und Balarāma sehnsüchtig erwartet, und in ihrer Begierde, die beiden transzendentalen Brüder zu sehen, nahmen sie sich nicht einmal die Zeit, sich ordentlich zu kleiden. Einige verwechselten sogar ihre Kleidungsstücke. Manche schminkten nur ein Auge, und wieder andere trugen nur an einem Bein Fußglöckchen oder nur einen Ohrring. So begaben sie sich in großer Hast und nicht einmal gebührend hergerichtet auf die Dächer, um Kṛṣṇa zu sehen. Manche waren gerade beim Essen gewesen, doch sowie sie hörten, daß Kṛṣṇa und Balarāma in der Stadt eingetroffen waren, ließen sie ihre Mahlzeit stehen und liefen auf die Dächer. Andere badeten gerade, doch auch sie liefen, ohne ihr Bad richtig zu beenden, sofort aus den Häusern, um Kṛṣṇa und Balarāma zu sehen. Als Kṛṣṇa dann lächelnd und ganz langsam vorbeiging, stahl Er augenblicklich ihre Herzen. Er, der Gemahl der Glücksgöttin, zog wie ein Elefant durch die Straßen von Mathurā. Die Frauen der Stadt hatten schon lange vorher von Kṛṣṇa und Balarāma und Ihren außergewöhnlichen Eigenschaften und Ihrem besonderen Wesen gehört; sie fühlten sich daher bereits sehr zu Ihnen hingezogen und waren sehr begierig, Sie zu sehen. Als Kṛṣṇa und Balarāma nun persönlich an ihnen vorbeigingen und sie Ihr betörendes Lächeln sahen, erreichte die Seligkeit der Frauen den Punkt der Ekstase. Mit eigenen Augen sahen sie Kṛṣṇa und Balarāma und schlossen Sie sofort in ihre Herzen, um Sie dort nach Herzenslust zu umarmen. Dabei sträubten sich ihnen die Haare vor Ekstase. Obwohl sie schon viel von Kṛṣṇa gehört hatten, war es ihnen nie vergönnt gewesen, Ihn wirklich zu sehen, doch nun endlich war ihr Sehnen erfüllt. Von den Palastdächern Mathurās schütteten die Frauen einen wahren Blumenregen über Kṛṣṇa und Balarāma. Während die Brüder durch die Straßen spazierten, kamen auch die brāhmaṇas aus den Nachbarhäusern herbei und hießen sie mit Sandelholz und Blumen achtungsvoll in Mathurā willkommen. Alle Einwohner Mathurās sprachen über die vortrefflichen und frommen Taten, die die Bewohner von Vṛndāvana vollbracht haben mußten. Sie fragten sich, welch rechtschaffene Werke die Kuhhirten in ihren vorangegangenen Leben wohl getan hatten, um Kṛṣṇa und Balarāma täglich als Kuhhirtenjungen sehen zu können. Auf Ihrem Weg durch die Straßen sahen Kṛṣṇa und Balarāma einen Wäscher und Tuchfärber. Kṛṣṇa gefiel es, ihn um ein schönes Kleidungsstück zu bitten. Er versprach dem Wäscher eine glückliche Zukunft, wenn er Ihm das prächtigste Tuch schenke. Weder war Kṛṣṇa ein Bettler noch benötigte Er Kleidung. Er wollte durch Seine Bitte lediglich darauf hinweisen, daß jeder dazu bereit sein solle, dem Herrn alles zu geben, was Er verlangt. Das ist die Bedeutung des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Unglücklicherweise aber war der Wäscher ein Diener Kaṁsas und wußte daher den Wunsch Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes, nicht zu würdigen. Das ist die Folge schlechten Umgangs. Er hätte dem Höchsten, der ihm alles Glück der Welt versprach, augenblicklich das Tuch geben können, doch weil er in Kaṁsas Diensten stand, hatte der sündvolle Dämon keine Achtung vor Kṛṣṇas Angebot. Statt sich zu freuen, wurde er sehr aufgebracht und schlug dem Herrn die Bitte ab, indem er Ihn anfuhr: »Wie kannst Du es wagen, mich um Kleidung zu bitten, die für den König bestimmt ist?« Der Wäscher gab Kṛṣṇa und Balarāma den Rat: »Meine lieben Jungen, seid in Zukunft nicht noch einmal so unverschämt, um Dinge zu betteln, die dem König gehören. Andernfalls werden euch die Ordnungshüter strafen müssen. Sie werden Euch gefangennehmen, und dann geht es Euch schlecht. Dies habe ich schon bereits am eigenen Leib erfahren können. Jeder, der unrechtmäßig über das Eigentum des Königs verfügen will, wird schwer bestraft.« Als Kṛṣṇa, der Sohn Devakīs, diese Antwort vernahm, wurde Er sehr zornig auf den Wäscher, und Er versetzte ihm mit der Handkante einen Schlag, der den Kopf des Wäschers von dessen Schultern trennte, so daß der Mann tot zu Boden stürzte. Diese Handlung Śrī Kṛṣṇas bestätigt die Aussage in der Brahma-saṁhitā, daß Kṛṣṇa mit jedem Teil Seines Körpers tun kann, was immer Er will. In diesem Fall also schlug Er dem Wäscher ohne ein Schwert, nur mit der bloßen Hand, den Kopf ab, was zeigt, daß der Höchste Herr allmächtig ist. Wenn Er etwas tun möchte, kann Er es ohne jede Hilfe tun. Nach diesem gräßlichen Zwischenfall ergriffen die Angestellten des Wäschers entsetzt die Flucht; die Tücher ließen sie zurück. Kṛṣṇa und Balarāma nahmen sie sogleich in Ihren Besitz, und wählten Sich einige davon aus, um Sich neu zu kleiden. Den Rest verteilten Sie an die Hirtenjungen, die die Tücher ebenfalls nach Belieben verwendeten. Was sie nicht gebrauchen konnten, ließen sie einfach liegen; dann gingen sie weiter. Ein Gottgeweihter, der Schneider war, nahm die Gelegenheit wahr, Kṛṣṇa und Balarāma einen Dienst zu erweisen, und fertigte den Brüdern von den Tüchern einige sehr hübsche Kleidungsstücke. In Ihren neuen Kleidern sahen Kṛṣṇa und Balarāma aus wie zwei in farbenprächtige Tücher gekleidete Elefanten am Vollmondtag des dunklen Mondes. Kṛṣṇa freute Sich sehr über den Schneider und segnete ihn mit der sārūpya-mukti, was bedeutete, daß er nach dem Verlassen seines Körpers befreit sein und, gleich dem vierarmigen Nārāyaṇa auf den Vaikuṇṭha-Planeten, einen spirituellen Körper erhalten würde. Er versicherte ihm auch, daß er für den Rest seines Lebens genügend Reichtum erwerben würde, um die Sinnenfreuden genießen zu können. Damit zeigte Kṛṣṇa, daß es den Kṛṣṇa-bewußten Gottgeweihten nicht an materiellem Genuß oder Sinnenbefriedigung fehlt. Sie bekommen ausreichend Gelegenheit, solche Dinge zu genießen, und nachdem sie ihr Leben in der materiellen Welt beendet haben, dürfen sie zu den spirituellen Planeten, den Vaikuṇṭhalokas, oder nach Kṛṣṇaloka, bekannt als Goloka Vṛndāvana, gehen. Nach diesem Erlebnis kamen Kṛṣṇa und Balarāma zu einem Blumenhändler mit Namen Sudāmā. Sowie Sie in die Nähe seines Hauses gelangten, lief Ihnen der Blumenhändler entgegen und warf sich voll Hingabe vor Ihnen flach auf den Boden, um Ihnen seine respektvollen Ehrerbietungen zu erweisen. Dann bot er Kṛṣṇa und Balarāma einen bequemen Sitz an und befahl seinem Gehilfen, Blumen und mit candana-Paste bestrichene Betelnüsse herbeizuholen. Der Empfang, den Ihm der Blumenhändler bereitete, gefiel dem Herrn sehr. Sehr demütig und bescheiden brachte der Blumenhändler dem Herrn seine Gebete dar, indem er sagte: »Mein lieber Herr, ich glaube, daß all meine Vorfahren und ehrenwerten Vorgesetzten durch Deinen Besuch in meiner Wohnstätte mit Freude erfüllt und befreit worden sind. Du bist die höchste Ursache aller Ursachen der kosmischen Manifestation, und Du bist zum Wohl der Bewohner dieses Erdplaneten zusammen mit Deiner vollständigen Erweiterung erschienen, um Deine Geweihten zu beschützen und die Dämonen zu vernichten. Als Freund aller bist Du jedem gleichgesinnt; Du bist die Überseele in allen Wesen und machst keine Unterschiede zwischen Freund und Feind; dennoch gefällt es Dir, Deine Geweihten mit dem besonderen Ergebnis ihres hingebungsvollen Dienens zu beschenken. O Herr, ich bitte Dich, mir zu sagen, was ich für Dich tun kann, denn ich bin Dein ewiger Diener. Wenn Du mir gestattetest, Dir einen Dienst zu erweisen, so wäre das eine große Gunst für mich.« Der Blumenhändler Sudāmā war aus ganzem Herzen froh, Kṛṣṇa und Balarāma bei sich sehen zu dürfen, und so fertigte er aus seinem sehnlichsten Wunsch heraus zwei herrliche Girlanden aus den erlesensten Blüten, die er dann dem Herrn zum Geschenk gab. Kṛṣṇa wie auch Balarāma freuten Sich sehr über den aufrichtigen Dienst des Blumenhändlers, und so lobte Kṛṣṇa ihn und gab ihm Seinen Segen, den Er immer für die Ihm hingegebenen Seelen bereithält. Als dem Blumenhändler eine Segnung angeboten wurde, bat er den Herrn darum, für immer als Sein Diener beschäftigt sein zu dürfen und durch sein hingebungsvolles Dienen Gutes für alle Lebewesen tun zu können. Daran wird deutlich, daß sich ein Geweihter des Herrn nicht mit seinem eigenen Fortschritt im hingebungsvollen Dienen, d. h. im Kṛṣṇa-Bewußtsein zufriedengeben sollte; er muß vielmehr bereit sein, sich um das Wohl aller zu bemühen. Auch die sechs Gosvāmīs von Vṛndāvana folgten diesem Prinzip. Dies wird in dem an sie gerichteten Gebet bestätigt: lokānāṁ hitakāriṇau – »Vaiṣṇavas oder Gottgeweihte sind nicht selbstsüchtig.« Sie wollen jede Segnung, die sie vom Höchsten Herrn aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit erhalten, sofort an alle anderen Wesen weitergeben. Das ist die wertvollste aller humanitären Tätigkeiten. Weil Kṛṣṇa so zufrieden mit Sudāmā war, gewährte Er ihm nicht nur die Erfüllung all seiner Wünsche, sondern bot ihm dazu noch alle nur erdenklichen materiellen Gaben an, wie z. B. Familienglück, eine lange Lebensdauer und was sein Herz sonst noch in der materiellen Welt begehrte. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 40. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa kommt nach Mathurā«. 41. KAPITEL Kṛṣṇa zerbricht den Bogen in der Opferarena Kurz nachdem Kṛṣṇa und Balarāma das Haus des Blumenhändlers verlassen hatten, begegneten Sie einer buckligen jungen Frau auf der Straße, die eine Schüssel mit Sandelholzpaste im Arm trug. Da Kṛṣṇa die Quelle aller Freude ist, wollte Er Seine Spielgefährten erheitern, indem Er Sich einen Spaß mit der buckligen Frau erlaubte. Mit dieser Absicht sprach Er sie wie folgt an: »O hochgewachsene junge Frau, wer seid ihr nur? Und sagt Mir, für wen ist die Sandelholzpaste in euren Händen bestimmt? Ich denke, ihr solltet sie Mir geben; wenn ihr dies tut, kann Ich euch versichern, daß ihr sehr glücklich werdet.« Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott, und daher wußte Er bereits alles über das bucklige Mädchen. Durch Seine Fragen wollte Er darauf hinweisen, daß es keinen Sinn hat, einen Dämon zu verehren; man sollte besser Kṛṣṇa und Balarāma dienen und sich von allen Sünden befreien. Die Frau entgegnete Kṛṣṇa: »Mein lieber Śyāmasundara, lieber schöner schwarzer Jüngling, Du mußt wissen, daß ich eine Dienerin Kaṁsas bin. Ich bringe ihm täglich diese köstliche Sandelholzpaste, und daher ist der König sehr mit mir zufrieden; doch nun sehe ich, daß es niemanden gibt, der es wert ist, mit der Paste verehrt zu werden, außer Euch beiden.« Weil die bucklige Frau von dem wunderschönen Aussehen Kṛṣṇas und Balarāmas, der Art, wie Sie redeten, Ihrem Lächeln, Ihren Blicken und Ihrem ganzen Gebaren bezaubert war, begann sie mit großer Zufriedenheit und Hingabe die Sandelholzpaste über die Körper der beiden zu streichen. Die zwei transzendentalen Bettler Kṛṣṇa und Balarāma waren tatsächlich sehr schön; Sie hatten beide von Natur aus eine schöne Hautfarbe und waren in farbenprächtige Gewänder gekleidet. Ihre Oberkörper sahen bereits sehr anziehend aus, doch als die bucklige Frau sie mit der Sandelholzpaste bestrich, wurden sie noch schöner. Kṛṣṇa freute Sich sehr über ihren Dienst und überlegte, wie Er sie belohnen könne. Um die Aufmerksamkeit des Herrn auf sich zu richten, muß der Kṛṣṇa-bewußte Gottgeweihte Ihm also mit viel Liebe und Hingabe dienen. Kṛṣṇa kann durch nichts anderes als durch transzendentales liebevolles Dienen erfreut werden. Mit diesem Gedanken drückte Kṛṣṇa Seine Zehen auf die Füße der Buckligen, und indem Er sie mit Seinen Fingern an den Wangen festhielt, gab Er ihr einen Ruck, um sie wieder aufzurichten. Augenblicklich wandelte sich die ehemals bucklige Frau in ein wunderschönes, gut gewachsenes Mädchen mit breiten Hüften, schmaler Taille und wohlgeformten Brüsten. Weil Kṛṣṇa mit der Buckligen sehr zufrieden und sie von Seinen Händen berührt worden war, wurde sie das schönste aller Mädchen. Diese Begebenheit zeigt uns, daß ein Gottgeweihter, weil er Kṛṣṇa dient, zur höchsten Stufe erhoben wird. Hingebungsvolles Dienen ist in jeder Hinsicht so mächtig, daß jeder, der sich ihm widmet, alle göttlichen Eigenschaften erwirbt. Kṛṣṇa war der buckligen Frau nicht wegen ihres Aussehens, sondern wegen ihres Dienstes geneigt, und sowie sie Ihm diente, wurde sie zum schönsten Mädchen. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch braucht nicht begabt oder schön zu sein; wenn er Kṛṣṇa-bewußt geworden ist und Kṛṣṇa dient, wird er ganz von selbst schön und voll guter Eigenschaften. Als die Bucklige durch Kṛṣṇas Barmherzigkeit in ein bezauberndes junges Mädchen verwandelt worden war, fühlte sie sich Kṛṣṇa natürlich sehr zu Dank verpflichtet, und da sie zudem auch überaus von Seiner Schönheit betört war, ergriff sie ohne Scheu den hinteren Teil Seines Gewandes und zog Ihn an sich. Dabei lächelte sie verführerisch und gestand, daß sie von lüsternen Verlangen ergriffen sei. Das Mädchen vergaß, daß sie sich auf der Straße befand und daß Kṛṣṇas älterer Bruder Balarāma und Seine Freunde dabei waren. Sie schlug Kṛṣṇa ganz unverblümt vor: »Mein liebster Held, ich kann Dich jetzt unmöglich allein lassen. Bitte komm zu mir nach Hause. Ich fühle mich stark zu Deiner Schönheit hingezogen und möchte Dich sehr gern bei mir empfangen, denn Du bist der beste aller Männer. Und auch Du mußt sehr lieb zu mir sein.« Sie lud also, deutlich gesagt, Kṛṣṇa ein, zu ihr nach Hause zu kommen und ihre wollüstigen Wünsche zu erfüllen. Kṛṣṇa fühlte Sich natürlich etwas verlegen vor Seinem älteren Bruder Balarāma, doch Er wußte, daß das Mädchen einfach war und sich lediglich zu Ihm hingezogen fühlte. Deshalb lächelte Er, als Er ihre Worte hörte, und während Er zu Seinen Kuhhirtenfreunden hinüberblickte, erwiderte Er ihr: »Mein liebes schönes Mädchen, Ich freue Mich sehr über deine Einladung, und Ich werde bestimmt zu dir kommen, sobald Ich Meine Angelegenheiten hier erledigt habe. Solch ein schönes Mädchen wie du ist das einzige, was jemanden wie Mich trösten kann, denn Ich bin weit von zu Hause und bin nicht verheiratet. Gewiß kann eine geeignete Freundin wie du uns von aller Rastlosigkeit befreien.« Nachdem Kṛṣṇa das Mädchen mit süßen Worten zufriedengestellt hatte, verließ Er sie und nahm den Weg in Richtung Marktplatz, wo sich die Bürger versammelt hatten, um Ihn mit verschiedenen Geschenken, vor allem Betelnüsse, Blumen und Sandelholz, zu empfangen. Mit großem Respekt verehrten die Markthändler Kṛṣṇa und Balarāma. Als die Brüder dann weiter die Straße entlanggingen, kamen alle Frauen aus den umliegenden Häusern gelaufen, um Kṛṣṇa zu sehen, und einige der jüngeren Mädchen fielen, überwältigt von Seiner Schönheit, fast in Ohnmacht; ihr Haar und ihre ordentlichen Kleider gerieten durcheinander, und sie vergaßen völlig, wo sie waren. Schließlich erkundigte Sich Kṛṣṇa bei den Bürgern, wo in der Stadt sich die Opferstätte für die angekündigte Opferungszeremonie befinde. Kaṁsa hatte nämlich inzwischen den Dhanur-yajña vorbereitet, und als Wahrzeichen für dieses besondere Opfer hatte er neben dem Opferaltar einen großen Bogen aufstellen lassen. Der Bogen war riesig und wunderbar in seiner Art und glich einem Regenbogen am Himmel. In der Opferungsarena wurde der Bogen von vielen Wächtern, die unter König Kaṁsas Befehl standen, bewacht. Als Sich Kṛṣṇa und Balarāma dem Bogen näherten, wurden Sie gemahnt, nicht weiterzugehen, doch Kṛṣṇa ließ die Warnung unbeachtet. Gewaltsam verschaffte Er Sich Durchlaß und nahm den gewaltigen Bogen blitzschnell in die linke Hand. Nachdem Er ihn vor den Augen der Menge gespannt hatte, zog Er an der Sehne und zerbrach ihn in zwei Teile, wie ein Elefant, der Zuckerrohr im Feld zerkleinert. Alle Anwesenden bewunderten Kṛṣṇas Kraft. Das laute Krachen des brechenden Bogens erfüllte Himmel und Land und drang auch an Kaṁsas Ohren. Als Kaṁsa erfuhr, was geschehen war, begann er um sein Leben zu fürchten. Den Wächter des Bogens, der alles mit angesehen hatte, überkam fürchterliche Wut. Er befahl seinen Männern, sofort zu den Waffen zu greifen, und stürzte auf Kṛṣṇa zu, indem er laut ausrief: »Nehmt Ihn gefangen! Tötet Ihn!« Schnell wurden Kṛṣṇa und Balarāma umzingelt. Als Sie die drohenden Gesten der Wächter sahen, wurden Sie zornig, und mit den beiden zerbrochenen Bogenhälften, die Sie vom Boden aufnahmen, schlugen Sie ihre Gegner in die Flucht. Im größten Tumult griff eine von Kaṁsa geschickte kleine Abteilung Soldaten ein, die den Wächtern zu Hilfe kommen sollten, doch Kṛṣṇa und Balarāma kämpften auch mit ihnen und töteten sie allesamt. Danach ging Kṛṣṇa nicht weiter durch die Opferungsarena, sondern verließ sie durch das Tor und begab Sich zu Ihrem Lager. Unterwegs besuchte Er verschiedene Sehenswürdigkeiten Mathurās, die Ihn sehr begeisterten. Als die Einwohner der Stadt Kṛṣṇas und Balarāmas Taten und außergewöhnliche Stärke sahen, begannen sie zu glauben, die Brüder seien Halbgötter, die nach Mathurā gekommen seien, und sie betrachteten Sie mit ehrfürchtigem Staunen. Die beiden Brüder Ihrerseits schlenderten sorglos weiter durch die Straßen, ohne Sich im geringsten um Kaṁsas Gesetz und Recht zu kümmern. Mit Einbruch des Abends schließlich gelangten Kṛṣṇa, Balarāma und Ihre Hirtenfreunde vor die Stadttore, wo die Ochsenwagen ein Lager gebildet hatten. Mit Ihren Taten machten Kṛṣṇa und Balarāma Kaṁsa warnend auf Ihre Ankunft in Mathurā aufmerksam, so daß der König ahnen konnte, was ihn am nächsten Tag in der Opferungsarena erwartete. Als Kṛṣṇa und Balarāma von Vṛndāvana nach Mathurā reisten, hatten sich die Bewohner von Vṛndāvana bereits das Glück der Bürger von Mathurā ausgemalt, da sie die außerordentliche Schönheit Kṛṣṇas würden sehen dürfen, der von Seinen reinen Geweihten sowie der Glücksgöttin verehrt wird. Die Erwartungen der Einwohner von Vṛndāvana hatten sich nun tatsächlich erfüllt, denn die Bürger Mathurās fühlten glückliche Zufriedenheit, als sie Kṛṣṇa sahen. Sobald Kṛṣṇa zu Seinem Lager zurückkehrte, kümmerten sich Diener um Ihn, die Seine Lotosfüße wuschen, Ihm einen bequemen Sitzplatz zurechtmachten und Ihm Milch und andere wohlschmeckende Speisen darbrachten. Nachdem Kṛṣṇa dann Sein Abendmahl eingenommen und Sich den Ablauf des nächsten Tages überlegt hatte, legte Er Sich friedlich zur Ruhe und verbrachte so die Nacht im Lager. Ganz anders ging es Kaṁsa. Nachdem er erfahren hatte, daß Kṛṣṇa seinen wunderbaren Bogen zerbrochen und seine Wächter und Soldaten getötet hatte, konnte er sich eine geringe Vorstellung von der unfaßbaren Macht des Höchsten Persönlichen Gottes machen. Ihm wurde klar, daß nun, da der achte Sohn Devakīs erschienen war, sein Tod unmittelbar bevorstand. Weil er immer an sein bevorstehendes Ende denken mußte, konnte er die ganze Nacht kein Auge zutun. Er hatte viele unheilvolle Visionen, und er begriff, daß Kṛṣṇa und Balarāma, die bereits die Tore seiner Stadt erreicht hatten, die Todesboten für ihn waren. Kaṁsa begann sowohl im Wachen wie auch im Träumen verschiedene unglückverheißende Zeichen zu sehen. Wenn er z. B. in den Spiegel blickte, konnte er seinen Kopf nicht mehr sehen, obwohl dieser noch immer da war. Er sah die Sterne am Himmel doppelt, obgleich es sie nur einmal gab. Dazu glaubte er, Löcher in seinem Schatten zu erkennen und ein hohes sirrendes Geräusch in seinen Ohren zu vernehmen. Alle Bäume, die er erblickte, schienen ihm aus Gold zu bestehen, und er konnte nicht länger seine Fußspuren im Staub oder Schlamm wahrnehmen. Im Traum erschienen ihm verschiedene Geister, die in einer von Eseln gezogenen Kutsche saßen. Dazu träumte er, daß ihm jemand einen Becher voll Gift reiche, den er austrank. In einem anderen Traum sah er sich nackt mit einer Blumengirlande umhergehen und seinen ganzen Körper mit Öl einreiben. Als Kaṁsa diese Todesvorzeichen sowohl im Wachzustand als auch im Schlafzustand wahrnahm, erkannte er, daß ihm der Tod sicher war, und vor Angst konnte er die Nacht nicht schlafen. Gleich als es hell wurde, stürzte sich Kaṁsa deshalb in Vorbereitungen für den Ringkampf. Die Kampfarena wurde gründlich gesäubert und mit Fähnchen, Girlanden und Blumen geschmückt; kurz darauf ertönte das Dröhnen der Kesselpauken, das den Wettkampf ankündigte. Der Kampfplatz selbst sah durch die vielen Wimpel und Flaggen, die ihn zierten, prächtig aus. Für die ehrwürdigen Persönlichkeiten, wie die Könige, die brāhmaṇas und die kṣatriyas, waren mehrere Tribünen errichtet worden; für die Könige hatte man Throne reserviert, und auch für einige Ehrengäste waren besondere Sitze vorgesehen. Schließlich traf Kaṁsa in Begleitung seiner Minister und Sekretäre ein und setzte sich auf ein etwas erhöhtes Podium, das extra für ihn bestimmt war. Doch obwohl er inmitten all seiner Regierungsbeamten saß, zitterte sein Herz vor Todesangst. Der grausame Tod schreckt offensichtlich nicht einmal vor einem so mächtigen Menschen wie Kaṁsa zurück. Wenn der Tod kommt, ist es ihm gleichgültig, wie hoch die Stellung seines Opfers ist. Als alles zum Kampf bereit war, marschierten die Ringer, die ihr Können vor der Menge zeigen sollten, in die Arena ein. Sie waren mit hellem Geschmeide und leuchtenden Gewändern geschmückt. Die berühmtesten von ihnen waren Cāṇūra, Muṣṭika, Śala, Kūṭa und Tośala. Angefeuert durch die erhebende Musik, schritten sie höchst zuversichtlich durch die Arena. Auch die ehrwürdigen Kuhhirten, die, angeführt von Nanda Mahārāja, von Vṛndāvana gekommen waren, wurden von Kaṁsa willkommen geheißen. Nachdem die Kuhhirten Kaṁsa ihrerseits die mitgebrachten Milchgerichte überreicht hatten, nahmen auch sie ihre Plätze auf einer für sie vorgesehenen Tribüne zur Seite des Königs ein. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 41. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa zerbricht den Bogen in der Opferarena«. 42. KAPITEL Kṛṣṇa tötet den Elefanten Kuvalayāpiḍa Nachdem Kṛṣṇa und Balarāma Ihr Bad genommen und auch alle anderen morgendlichen Pflichten beendet hatten, vernahmen Sie das Dröhnen der Kesselpauken, das vom Ringkampflager herüberdrang. Sie trafen sogleich Anstalten, zum Kampfplatz zu gehen, um den Spaß mitanzusehen. Als die Brüder vor das Tor der Ringkampfarena gelangten, erblickten Sie dort den gewaltigen Elefanten Kuvalayāpīḍa, der von einem Wärter betreut wurde. Der Wärter versperrte Ihnen absichtlich den Weg, indem er den Elefanten vor das Tor trieb. Kṛṣṇa konnte Sich denken, was der Wächter im Sinn hatte, und so machte Er Sich zum Kampf mit dem Elefanten bereit, indem Er Sein Gewand fester gürtete. Mit drohender Stimme, gleich dem grollenden Donner einer Wolke, sprach Er den Wächter an: »Du Schurke von einem Tierwärter, gib den Weg frei, und laß Mich durch das Tor gehen. Wenn du noch länger den Eingang versperrst, werde Ich dich und deinen Elefanten augenblicklich ins Haus des Todes persönlich senden.« Der Wärter wurde, als er in dieser Weise herausgefordert wurde, furchtbar zornig, und um sich an Kṛṣṇa zu rächen, stachelte er, ganz wie es geplant war, den Elefanten zum Angriff an. Darauf bewegte sich das Monstrum auf Kṛṣṇa zu wie der unvermeidliche Tod. Während der Elefant auf den Herrn zustürzte, versuchte er Ihn mit dem Rüssel zu packen. Kṛṣṇa aber lief sehr behende hinter Seinen Gegner, und weil Kuvalayāpīḍa nicht weiter als bis an sein Rüsselende sehen konnte, konnte er auch nicht wahrnehmen, wo Sich Kṛṣṇa hinter seinen Hinterbeinen verbarg, obwohl er versuchte, Ihn mit seinem Rüssel zu ergreifen. Aber Kṛṣṇa entwischte ihm auch diesmal, lief wieder zurück und ergriff den Elefanten beim Schwanz. Am Schwanz ziehend schleifte Kṛṣṇa ihn mit unglaublicher Stärke ein gutes Stück Weges hinter Sich her, so wie Garuḍa eine unbedeutende Schlange durch den Staub zerrt. Kṛṣṇa zog den Elefanten von rechts nach links und von links nach rechts, so wie Er als Kind manchmal ein Kalb am Schwanz gezogen hatte. Anschließend ging der Herr wieder vor den Elefanten und versetzte ihm einen starken Schlag, um dann abermals den Augen seines Gegners zu entschwinden, indem Er wieder hinter ihn lief. Dann ließ Sich Kṛṣṇa vor den Vorderbeinen des Elefanten zu Boden fallen und brachte ihn dadurch zum Stolpern, so daß er niederstürzte. Kṛṣṇa sprang sofort wieder auf die Beine, doch der Elefant, der glaubte, der Herr liege immer noch auf dem Boden, versuchte Ihn mit einem Stoßzahn zu durchbohren, den er mit aller Kraft in den Boden rammte. Obgleich Kuvalayāpīḍa abgekämpft und zornig war, bemühte sich der Abrichter, der auf ihm ritt, ihn weiter anzustacheln. Der Elefant stürzte sich deshalb noch einmal wie rasend auf Kṛṣṇa, doch sowie er in Kṛṣṇas Reichweite kam, packte dieser seinen Rüssel und riß ihn zu Boden. Als Kuvalayāpīḍa mitsamt dem Wärter zu Boden stürzte, sprang Kṛṣṇa auf den Rücken des Elefanten, zerschmetterte ihm das Rückgrat und erschlug auch den Wärter. Nach dieser Tat nahm der Herr einen der beiden Elfenbeinzähne auf Seine Schulter. Geschmückt mit Schweißtropfen und besprengt mit dem Blut des Elefanten, fühlte Er Sich überaus glücklich, und so schritt Er auf den Kampfplatz zu. Balarāma nahm den anderen Stoßzahn des Elefanten auf Seine Schulter, und begleitet von Ihren Freunden, den Kuhhirtenjungen, betraten Sie die Arena. Als Kṛṣṇa mit Seinen Freunden und Balarāma in die Kampfarena schritt, sahen Ihn die einzelnen Anwesenden, entsprechend ihren verschiedenen Beziehungen (rasa) zu Ihm, jeder auf seine Weise. Kṛṣṇa ist der Ursprung aller Freuden und aller Arten von rasa, sowohl der voller Zuneigung als auch der voller Feindlichkeit. Den Ringern erschien Er wie ein Blitz; die gewöhnlichen Menschen sahen Ihn als das schönste Wesen; die Frauen sahen in Ihm den anziehendsten Mann, den Liebesgott in Person, der ihr lustvolles Begehren erweckte; die Kuhhirten betrachteten Kṛṣṇa als ihren Verwandten aus ihrem Heimatdorf; den kṣatriya-Königen erschien Er als der stärkste Gebieter; für Seine Eltern, Nanda und Yaśodā, war Er das lieblichste Kind; Kaṁsa, dem König der Bhoja-Dynastie, erschien der Herr wie der persönliche Tod; die Unintelligenten hielten Ihn für einen unvollkommenen Menschen; die anwesenden yogīs sahen Ihn als die Überseele; und die Edlen der Vṛṣṇi-Dynastie sahen Ihn als ihren berühmtesten Abkömmling. Von den verschiedenen Personen auf diese Weise verschieden gesehen, zog Kṛṣṇa zusammen mit Balarāma und Seinen Hirtenfreunden in die Kampfarena ein. Für Kaṁsa, der bereits erfahren hatte, daß Kṛṣṇa den Elefanten Kuvalayāpīda getötet hatte, stand fest, daß Kṛṣṇa gewaltig war. Daher wurde er nunmehr von panischer Angst ergriffen. Kṛṣṇa und Balarāma hatten lange Hände; auch waren Sie sehr schön gekleidet, und alle Menschen, die dort versammelt waren, fühlten sich zu Ihnen hingezogen. Sie waren gekleidet als gingen Sie zu einem Bühnenauftritt, und so zogen Sie die Aufmerksamkeit aller auf Sich. Als die Bürger von Mathurā Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, sahen, überkam sie große Freude, und sie begannen mit unersättlichen Blicken Sein Gesicht zu betrachten, als tränken sie vom Himmelsnektar. Kṛṣṇa zu sehen bereitete ihnen solche Seligkeit, daß es nicht nur schien, als schlürften sie den Nektar Seines Antlitzes, sondern auch, als atmeten sie den Duft Seines Körpers und kosteten den Geschmack Seiner Glieder und schlössen Ihn und Balarāma in die Arme. Alle begannen sie über die beiden transzendentalen Brüder zu sprechen. Schon oft hatten die Einwohner Mathurās von Kṛṣṇas und Balarāmas Schönheit und Ihren Taten gehört, doch nun sahen sie die beiden persönlich, von Angesicht zu Angesicht. Sie dachten, Kṛṣṇa und Balarāma seien zwei vollständige Inkarnationen des Höchsten Persönlichen Gottes Nārāyaṇa, die in Vṛndāvana erschienen seien. Die Bürger von Mathurā erzählten sich auch von Kṛṣṇas Spielen, Seiner Geburt als Sohn Vasudevas, Seiner Zeit in der Obhut Nanda Mahārājas und Mutter Yaśodās in Gokula und den Ereignissen, die dazu geführt hatten, daß Er nach Mathurā kam. Sie unterhielten sich darüber, wie Er die Dämonen Pūtanā und Tṛṇāvarta, der in Form eines Wirbelwindes versucht hatte, Ihn zu rauben, getötet hatte, und sie erinnerten sich an die Befreiung der Zwillingsbrüder aus den yamala-arjuna-Bäumen. Die Bürger von Mathurā erzählten einander: »Saṅkhacūḍa, Keśī, Dhenukāsura und noch viele andere Dämonen wurden von Kṛṣṇa und Balarāma in Vṛndāvana getötet. Kṛṣṇa rettete Seine Freunde auch vor dem verheerenden Waldbrand. Er bestrafte die Kāliya-Schlange im Wasser der Yamunā und bezwang den falschen Stolz des Himmelskönigs Indra. Kṛṣṇa hielt mit einer Hand sieben Tage lang den riesigen Govardhana-Hügel hoch und rettete so alle Bewohner Gokulas vor den unablässigen Regenfällen, den Orkanen und den Wirbelstürmen.« Immer mehr der ergötzlichen Spiele des Herrn kamen ihnen in den Sinn: »Die Mädchen von Vṛndāvana waren so selig, wenn sie Kṛṣṇas Schönheit sahen und an Seinen Spielen teilnahmen, daß sie den Zweck ihres materiellen Daseins vergaßen. Indem sie Kṛṣṇa sahen und ständig an Ihn dachten, vergaßen sie alle Arten materieller Sorgen.« Die Einwohner von Mathurā sprachen auch über die Yadu-Dynastie und waren sich einig, daß sie für alle Zeit die berühmteste Familie im Universum bleiben werde, da Kṛṣṇa in ihr erschienen war. Während sie so über Kṛṣṇa und Balarāmas herrliche Taten redeten, erklang plötzlich die Musik der Kapellen, die den Beginn der Ringkampfspiele ankündigte. Daraufhin sprach Cāṇūra, der berühmte Ringer, Kṛṣṇa und Balarāma an: »Mein lieber Kṛṣṇa«, sagte er, »mein lieber Balarāma, wir haben einiges von Euren Taten gehört. Ihr seid wirklich große Helden, und das ist der Grund, weshalb der König Euch zu sich rufen ließ. Auch ist uns zu Ohren gekommen, daß Ihr für die außerordentliche Stärke Eurer Arme bekannt sein sollt. Der König und alle Anwesenden hier sind begierig, Eure Fähigkeiten als Ringer zu sehen. Ein Bürger muß immer gehorsam sein und den herrschenden König erfreuen; wenn er sich danach richtet, ist ihm aller Wohlstand sicher. Wehe dem aber, der nicht gehorchen will, denn er zieht den Zorn des Königs auf sich. Ihr seid Hirtenjungen, und soviel ich weiß, liebt Ihr es, beim Hüten Eurer Kühe im Wald Ringkämpfe untereinander auszutragen. Wir möchten daher, daß Ihr zur Freude aller Anwesenden und des Königs Eure Kräfte mit den unsrigen meßt. Kṛṣṇa durchschaute natürlich sogleich die wahren Absichten Cāṇūras und nahm Sich bereits vor, mit Ihm zu kämpfen. Doch weil Zeit und Umstände noch nicht reif waren, sagte Er: »Du bist ein Untertan des Königs der Bhoja-Dynastie, und du lebst im Dschungel. Auch Wir sind indirekt seine Untertanen und versuchen soweit wie möglich, ihn zufriedenzustellen. Er erweist Uns mit seinem Angebot, mit euch ringen zu dürfen, zweifellos eine große Gunst, doch bedenke, daß Wir nur kleine Jungen sind, die manchmal im Wald von Vṛndāvana mit ihren gleichaltrigen Freunden spielen. Wir halten es für das beste, nur mit Gleichaltrigen und Gleichstarken zu kämpfen, denn es würde die Zuschauer lediglich abstoßen, wenn Wir Uns mit so großen überragenden Ringern wie euch messen müßten. Ein solch ungleicher Kampf stünde im Widerspruch zu ihren religiösen Prinzipien.« Kṛṣṇa wies somit darauf hin, daß es von den starken, gefeierten Ringern nicht richtig war, Ihn und Balarāma zum Kampf herauszufordern. Darauf erwiderte Cāṇūra: »Mein lieber Kṛṣṇa, wir wissen, daß man Dich weder als Kind noch als jungen Mann bezeichnen kann. Du bist, genau wie Dein großer Bruder Balarāma, transzendental zu allen Wesen. Außerdem hast Du sogar den Elefanten Kuvalayāpīḍa getötet, der so stark war, daß er viele andere Elefanten im Kampf bezwingen konnte. Du hast ihn auf wunderbare Weise besiegt, und weil Du so stark bist, steht es Dir durchaus zu, mit den besten Ringern von uns zu kämpfen. Ich selbst möchte daher mit Dir ringen, und Dein älterer Bruder Balarāma mag Sich mit Muṣṭika messen.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 42. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa tötet den Elefanten Kuvalayāpīḍa«. 43. KAPITEL Kaṁsas Tod Nachdem Kaṁsas Ringer ihre Kampfentschlossenheit zum Ausdruck gebracht hatten, stellte Sich der Höchste Persönliche Gott, der Vernichter des Madhu-Dämonen, vor Cāṇūra, und Balarāma, der Sohn Rohiṇīs, trat Muṣṭika entgegen. Kṛṣṇa und Cāṇūra und auch Balarāma und Muṣṭika umklammerten einander mit Händen und Beinen, und jeder begann den anderen zu drängen und zu stoßen, um ihn irgendwie zu Fall zu bringen. Hand an Hand, Kopf an Kopf, Brust an Brust und Wade an Wade bedrängten sie sich und begannen aufeinander einzuschlagen. Der Kampf steigerte sich, als sie einander durch die Arena stießen. Einer packte den anderen und warf ihn zu Boden oder lief von hinten vor seinen Gegner und versuchte ihn in den Griff zu bekommen. Der Kampf wurde Schritt für Schritt wilder. Sie hoben einander vom Boden hoch, zerrten und stießen sich, dann wieder umklammerten sie einander mit Händen und Füßen. Beide Seiten zeigten alle Künste des Ringkampfes in vollendeter Form, während jeder sein Bestes versuchte, den Gegner zu bezwingen. Die Zuschauer in der Arena waren indessen nicht sehr zufrieden, denn die Kämpfer schienen ihnen nicht ebenbürtig. Im Vergleich zu den beiden Ringern, die gewaltige Männer und wuchtig wie Felsen waren, hielten sie Kṛṣṇa und Balarāma nur für kleine Jungen. Viele protestierten aus Mitleid und Sympathie für die beiden Brüder. »Liebe Freunde«, sagte einer, »hier droht Gefahr.« Ein anderer empörte sich: »Dieser ungleiche Kampf wird auch noch vor dem König ausgetragen.« Die Zuschauer hatten ihre Freude an dem Ringkampf verloren. Sie konnten unmöglich den Kampf eines Stärkeren mit einem eindeutig schwächeren Gegner gutheißen: »Muṣṭika und Cāṇūra sind wie Donnerschläge, wie gewaltige Berge. Kṛṣṇa und Balarāma dagegen sind nur zwei zierliche Knaben von zartem Alter. Recht und Gerechtigkeit haben bereits diese Versammlung verlassen. Menschen, die noch ein wenig Sinn für die zivilisierten Prinzipien der Gerechtigkeit besitzen, werden hier nicht bleiben und diesen ungleichen Kampf weiter mitansehen. Und diejenigen, die dennoch diesem Ringkampf beiwohnen, können nicht sehr erleuchtet sein. Denn ob sie etwas dagegen sagen oder ruhig bleiben, sie werden in jedem Fall die Reaktionen auf sündiges Verhalten erleiden müssen.« »Aber meine lieben Freunde,« machte einer der Zuschauer aufmerksam, »seht nur einmal Kṛṣṇas Gesicht! Es ist mit Schweißperlen bedeckt, weil Er Seinem Gegner so stark zusetzt. Sein Antlitz gleicht nun einer Lotosblüte, die mit Wassertropfen benetzt ist. Und seht nur, welch besondere Schönheit sich auf Balarāmas Gesicht zeigt? Seine weiße Gesichtsfarbe hat einen Hauch von Rot bekommen, denn er ringt sehr angestrengt mit Muṣṭika.« Auch die Damen sprachen zueinander: »Liebe Freundinnen, stellt euch vor, wie gesegnet das Land von Vṛndāvana ist, wo Sich der stets mit Blumengirlanden bekränzte Höchste Persönliche Gott aufhält und gemeinsam mit Seinem älteren Bruder Balarāma die Kühe hütet. Er wird ständig von Seinen Hirtenfreunden begleitet, und Er spielt auf Seiner transzendentalen Flöte. Die Einwohner von Vṛndāvana sind in der glücklichen Lage, immer die Lotosfüße Kṛṣṇas und Balarāmas sehen zu können, die von so großen Halbgöttern wie Brahmā, Śiva und der Glücksgöttin verehrt werden. Wir können gar nicht ermessen, wie viele fromme Handlungen die Mädchen von Vrajabhūmi getan haben müssen, daß sie sich mit dem Höchsten Persönlichen Gott erfreuen und die unvergleichliche Schönheit Seines transzendentalen Körpers sehen durften. Die Schönheit des Herrn ist einzigartig. Vor allem die Schönheit Seiner Hautfarbe und Seiner körperlichen Ausstrahlung kann niemand übertreffen oder Ihm auch nur annähernd darin gleichkommen. Kṛṣṇa und Balarāma sind die Quelle aller verschiedenen Füllen – Reichtum, Kraft, Schönheit, Wissen, Ruhm und Entsagung. Die gopīs sind wirklich vom Glück gesegnet, denn sie können vierundzwanzig Stunden am Tag Kṛṣṇa sehen und an Ihn denken – angefangen mit dem morgendlichen Melken der Kühe, dem Reisschälen oder dem Butter kirnen. Während sie in ihren Häusern saubermachen und die Fußböden wischen, sind sie ständig mit ihren Gedanken bei Kṛṣṇa.« Die gopīs geben uns ein vollkommenes Beispiel, wie man Kṛṣṇa-Bewußtsein selbst dann verwirklichen kann, wenn man verschiedene materielle Tätigkeiten verrichten muß. Wenn man unablässig in Gedanken an Kṛṣṇa vertieft ist, kann man nicht von der Unreinheit materieller Tätigkeiten berührt werden. Die gopīs befinden sich deshalb ständig in völliger Trance, im samādhi, der höchsten Stufe aller mystischen Vollkommenheit. In der Bhagavad-gītā wird erklärt, daß jemand, der ständig an Kṛṣṇa denkt, der größte aller yogīs ist. »Meine lieben Freundinnen,« sagte eine der Damen, »das Verhalten der gopīs muß die höchste Form der Frömmigkeit bedeuten, denn wie sonst wohl hätten sie die Gelegenheit bekommen, Kṛṣṇa zu sehen, wenn Er am Morgen zusammen mit Seinen Kühen und Hirtenfreunden zu den Weidegründen zieht, und wenn Er am Abend zurückkehrt? Oft sehen sie Ihn auf Seiner Flöte spielen und strahlend lächeln.« Als Śrī Kṛṣṇa, die Überseele in allen Lebewesen, erkannte, daß sich die Frauen in der Arena um Ihn sorgten, beschloß Er, den Ringkampf nicht weiter fortzuführen, sondern die Ringer auf der Stelle zu töten. Die Eltern Kṛṣṇas und Balarāmas, Nanda Mahārāja und Yaśodā wie auch Vasudeva und Devakī, standen ebenfalls große Ängste aus, denn sie kannten nicht die unbegrenzte Kraft ihrer Kinder. Śrī Balarāma kämpfte mit Muṣṭika in gleicher Weise wie Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, mit Cāṇūra. Śrī Kṛṣṇa schien plötzlich sehr brutal zu werden und versetzte Cāṇūra unvermittelt drei kraftvolle Schläge mit der Faust. Zum Erstaunen der Zuschauer geriet der große Ringer ins Wanken. Doch Cāṇūra unternahm noch einmal einen letzten Versuch und fiel Kṛṣṇa an wie ein Falke, der auf seinen Gegner herabstößt. Er fing an, mit zusammengefalteten Händen auf Kṛṣṇas Brust einzuschlagen, was dem Herrn aber nicht mehr ausmachte, als es einem Elefanten ausmacht, mit einer Blumengirlande geschlagen zu werden. Vielmehr ergriff Er unvermittelt die beiden Hände Seines Gegners und wirbelte ihn im Kreis herum; allein dadurch verlor Cāṇūra sein Leben. Als Kṛṣṇa ihn dann zu Boden schmetterte, glich der niederstürzende Cāṇūra der wehenden Flagge Indras, und seine vielen hübschen Schmuckstücke flogen in alle Richtungen. Nicht weit davon versetzte Muṣṭika plötzlich Balarāma einen starken Hieb, doch der ältere Bruder Kṛṣṇas erwiderte seinen Schlag mit noch größerer Gewalt. Stark getroffen begann Muṣṭika am ganzen Körper zu zittern, während aus seinem Mund Blut und Erbrochenes quollen. Unter Todesqualen gab er sein Leben auf und stürzte wie ein vom Sturm gefällter Baum zu Boden. Nachdem die beiden Ringer getötet waren, ging ein weiterer Kämpfer mit Namen Kūṭa auf Sie los. Balarāma ergriff ihn geschwind mit der linken Hand und tötete ihn mit lässiger Gebärde. Darauf erschien der Ringer Śala vor den beiden Brüdern, doch Kṛṣṇa zertrümmerte ihm gleich mit einem Tritt den Schädel. Der nächste, der hervortrat, war Tośala; er fand auf gleiche Weise sein Ende. So wurden alle großen Ringer von Kṛṣṇa und Balarāma vernichtet, und die restlichen Kämpfer flohen, als sie das Schicksal ihrer Gefährten sahen, aus Furcht um ihr Leben aus der Arena. All die Kuhhirtenfreunde Kṛṣṇas und Balarāmas kamen begeistert gelaufen und gratulierten den beiden mit großer Freude; und während die Trommeln erdröhnten und die Jungen über den Sieg sprachen, klingelten die Glöckchen an Kṛṣṇas und Balarāmas Lotosfüßen. Alle Leute, die in der Ringkampfarena versammelt waren, klatschten begeistert Beifall. Ihre Freude kannte keine Grenzen und die anwesenden brāhmaṇas begannen Kṛṣṇa ekstatisch zu preisen. Nur Kaṁsa war verdrießlich. Weder klatschte er in die Hände noch gab er Kṛṣṇa seinen Segen. Es ärgerte ihn, daß die Trommeln zu Ehren Kṛṣṇas geschlagen wurden, und es tat ihm sehr leid, daß seine Ringer entweder tot oder aus der Arena geflohen waren. Daher gebot er dem Trommeln Einhalt und sprach zu seinen Freunden: »Ich befehle, daß man die beiden Söhne Vasudevas augenblicklich aus Mathurā jagt. Die Kuhhirtenjungen, die mit Ihnen gekommen sind, sollen ausgeplündert und aller Reichtümer beraubt werden. Nanda Mahārāja nehmt sofort für seine Hinterlist gefangen und tötet ihn, und bringt auch den Schurken Vasudeva ohne Verzögerung um. Mein Vater, der hinter meinem Rücken ständig meine Feinde unterstützt, soll ebenfalls beseitigt werden.« Als Kaṁsa das sagte, wurde Kṛṣṇa sehr zornig und sprang in Sekundenschnelle über die großen Leibwächter, die König Kaṁsa umgaben. Kaṁsa war auf Kṛṣṇas Angriff vorbereitet, denn er wußte ja von Anfang an, daß dieser die Ursache seines Todes werden sollte, und so zog er augenblicklich sein Schwert und schickte sich an, den Angriff Kṛṣṇas mit Waffe und Schild zu begegnen. Doch obgleich Kaṁsa wild mit dem Schwert um sich schlug, packte ihn Śrī Kṛṣṇa, der mächtigste Herr, mit großer Kraft. Der Höchste Persönliche Gott, der die Zuflucht der gesamten Schöpfung ist, und aus dessen Lotosnabel die Schöpfung hervorgeht, schlug Kaṁsa sogleich die Krone vom Kopf, griff in sein langes Haar und zog den König vom Thron zum Kampfplatz herunter, wo Er ihn zu Boden warf. Geschwind setzte sich Kṛṣṇa rittlings auf die Brust des dämonischen Königs und schlug immer wieder mit der bloßen Faust auf ihn ein. Durch diese Faustschläge verließ Kaṁsa alle Lebenskraft. Um Seinen Eltern zu zeigen, daß Kaṁsa auch wirklich tot war, schleifte Kṛṣṇa ihn durch die Arena wie ein Löwe, der einen erlegten Elefanten wegschleppt. Bei diesem Anblick ging ein Tosen durch die Menge, denn einige der Anwesenden jubelten laut, während andere in lautes Wehklagen ausbrachen. Von dem Tag an, an dem Kaṁsa erfahren hatte, daß er von dem achten Sohn Devakīs getötet werden würde, hatte er ohne Unterbrechung vierundzwanzig Stunden am Tag an Kṛṣṇa gedacht – wenn er aß, wenn er ging und bei jedem Atemzug –, und deshalb wurde er natürlich mit Befreiung gesegnet. In der Bhagavad-gītā wird erklärt: sadā tad bhāva bhāvitaḥ [* Bg.8.6 *] – entsprechend den Gedanken, mit denen man sich ständig beschäftigt, erhält man den nächsten Körper. Kaṁsa nun dachte an Kṛṣṇa in der Form, in der Er ein Feuerrad trägt, das heißt an Nārāyaṇa, der in Seinen vier Händen ein Feuerrad, ein Muschelhorn, eine Lotosblüte und eine Keule hält. Nach Meinung der Autoritäten erhielt Kaṁsa nach seinem Tod die sārūpya-mukti, was bedeutet, daß er die gleiche Gestalt wie Nārāyaṇa annahm. Auf den Vaikuṇṭha-Planeten haben alle Einwohner die gleichen körperlichen Merkmale wie Nārāyaṇa. Nach seinem Tod also wurde Kaṁsa befreit und auf einen der Vaikuṇṭha-Planeten erhoben. An seinem Beispiel können wir sehen, daß selbst ein Mensch, der an den Höchsten Persönlichen Gott als Feind denkt, befreit wird und einen der Vaikuṇṭha-Planeten erreicht. Was also muß erst die reinen Gottgeweihten erwarten, die ständig in liebevolle Gedanken an Kṛṣṇa vertieft sind. Selbst ein Feind Kṛṣṇas erreicht die Befreiung, wenn er von Ihm getötet wird, und geht gewöhnlich in das unpersönliche brahmajyoti ein. Weil Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ganz und gar gut ist, wird jeder, der an Ihn denkt – ob als Freund oder als Feind –, von der materiellen Existenz befreit. Doch die Befreiung des Geweihten und die Befreiung eines Feindes Gottes unterscheiden sich. Ein Feind Kṛṣṇas erhält im allgemeinen die sāyujya- und nur manchmal die sārūpya-Befreiung. Kaṁsa hatte acht Brüder, die von Kaṅka angeführt wurden. Sie alle waren jünger als Kaṁsa, und als sie erfuhren, daß ihr ältester Bruder getötet worden war, schlossen sie sich zusammen und stürzten mit großer Wut auf Kṛṣṇa zu, um Ihn zu töten. Kaṁsa und seine Brüder waren Kṛṣṇas Onkel, da sie die Brüder von Kṛṣṇas Mutter Devakī waren. Als Kṛṣṇa Kaṁsa das Leben nahm, tötete er daher den Bruder seiner Mutter, was gegen die Vorschriften der Veden verstößt. Obgleich der Herr unabhängig von allen vedischen Anweisungen ist, verletzt Er sie nur dann, wenn es sich nicht vermeiden läßt. Weil Kaṁsa von niemandem außer Kṛṣṇa vernichtet werden konnte, sah Kṛṣṇa es als Seine Pflicht an, ihn zu töten; was nun aber Kaṁsas acht Brüder betraf, so nahm Sich Balarāma ihrer an. Balarāmas Mutter Rohiṇī war zwar auch mit Vasudeva verheiratet, doch sie war keine Schwester Kaṁsas; deshalb übernahm Balarāma es, alle acht Brüder Kaṁsas zu töten. Er ergriff die nächstbeste Waffe – höchstwahrscheinlich den Elefantenstoßzahn, den Er bei Sich trug – und erschlug die acht Brüder einen nach dem anderen, wie ein Löwe, der in ein Rudel Rehe einfällt. Kṛṣṇa und Balarāma machten so die Verkündung wahr, daß der Höchste Persönliche Gott erscheint, um die Frommen zu beschützen und die gottlosen Dämonen, die Feinde der Halbgötter, zu vernichten. Die Halbgötter ließen daraufhin von den höheren Planetensystemen Blumen regnen, um Kṛṣṇa und Balarāma zu beglückwünschen. Unter den Halbgöttern waren so mächtige Persönlichkeiten wie Brahmā und Śiva, und sie alle kamen zusammen, um ihren Jubel über Kaṁsas Tod zu zeigen. Von den himmlischen Planetensystemen ertönten Trommeln, Blumengüsse fielen herab, und die Frauen der Halbgötter begannen in Ekstase zu tanzen. Die Frauen Kaṁsas und seiner acht Brüder waren über den unvermittelten Tod ihrer Gatten tief erschüttert. Sie schlugen sich verzweifelt gegen die Stirn und vergossen Ströme von Tränen. Sie weinten überlaut und umarmten immer wieder die Körper ihrer Männer. Jammernd sprachen sie zu den toten Körpern: »Liebste Gatten, ihr seid so gütig und die Beschützer eurer Schutzbefohlenen. Mit eurem Tod sind auch wir zusammen mit unserem Zuhause und unseren Kindern gestorben. Wir sehen nun nicht mehr glücklich aus. Weil ihr nun tot seid, sind all die geplanten Zeremonien, wie z. B. das Opfer des Bogens, vereitelt. Liebste Gatten, ihr habt Menschen, die ohne Fehl waren, schändlich behandelt, und dafür mußtet ihr sterben. Euer Tod war unvermeidlich, denn jeder, der einem Unschuldigen Leid zufügt, muß durch die Gesetze der Natur bestraft werden. Wir wissen, daß Śrī Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist. Er ist der Höchste Meister über alles und der Höchste Genießer aller Dinge. Daher kann jemand, der Seine höchste Autorität mißachtet, niemals glücklich werden und wird schließlich, wie ihr es selbst erfahren habt, vom Tod gerichtet.« Weil Kṛṣṇa Mitleid mit Seinen Tanten hatte und sie liebte, tröstete Er sie so gut es ging. Die rituellen Todeszeremonien wurden unter der persönlichen Aufsicht Kṛṣṇas durchgeführt, weil Er der Neffe der toten Fürsten war. Nach Erledigung Seiner Pflicht befreiten Kṛṣṇa und Balarāma Ihren Vater Vasudeva und Ihre Mutter Devakī, die von Kaṁsa eingekerkert worden waren. Als Kṛṣṇa und Balarāma Ihre Eltern sahen, fielen Sie ihnen zu Füßen und brachten ihnen Gebete dar. Vasudeva und Devakī hatten so vieles erleiden müssen, weil Kṛṣṇa ihr Sohn war. Kṛṣṇas wegen nur hatte Kaṁsa ihnen ständig Schwierigkeiten bereitet. Devakī und Vasudeva waren sich völlig der Erhabenheit Kṛṣṇas als des Höchsten Persönlichen Gottes bewußt. Obgleich Kṛṣṇa ihre Füße berührte und ihnen Seine Ehrerbietungen und Gebete darbrachte, umarmten sie Ihn daher nicht, sondern standen statt dessen einfach auf, um den Worten des Höchsten Persönlichen Gott zu lauschen. Vasudeva und Devakī waren sich stets der Stellung Kṛṣṇas bewußt, obwohl Er als ihr Sohn geboren worden war. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 43. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kaṁsas Tod«. 44. KAPITEL Kṛṣṇa bringt Seinem Lehrer den Sohn zurück Als Śrī Kṛṣṇa sah, daß Vasudeva und Devakī in ihrer ehrerbietigen Haltung stehenblieben, ließ Er sogleich den Einfluß der yoga-māyā, Seiner inneren Energie, wirksam werden, damit Seine Eltern Ihn und Balarāma wie ihre Kinder behandeln konnten. Ähnlich wie bei den verschiedenen Lebewesen in der materiellen Welt durch den Einfluß der illusionierenden Energie die Beziehung von Vater, Mutter und Kindern ermöglicht wird, so kann der Gottgeweihte durch den Einfluß der yoga-māyā eine Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott aufnehmen, in der der Herr sein Kind ist. Als Kṛṣṇa mit Seiner yoga-māyā diese Situation geschaffen hatte, sprachen Er und Balarāma, die berühmtesten Söhne der Sātvata-Dynastie, Vasudeva und Devakī sehr ergeben und respektvoll an: »Lieber Vater und liebe Mutter«, sagten Sie, »obgleich ihr euch stets bemüht habt, Unser Leben zu behüten, wurde euch nicht die Freude zuteil, Uns zu euren Säuglingen, heranwachsenden Kindern oder großen Söhnen zu haben.« Kṛṣṇa pries damit indirekt die Beziehung Nanda Mahārājas als Vater und die Yaśodās als Mutter als überaus herrlich, denn obwohl Er und Balarāma nicht ihre leiblichen Söhne waren, waren es Nanda und Yaśodā, die sich an Ihren Kindheitsspielen erfreuten. Die Natur hat es so eingerichtet, daß sich die Eltern einer verkörperten Seele am meisten an der Kindheit ihrer Nachkommen freuen. Selbst im Tierreich bringen die Eltern ihren Jungen sehr viel Zuneigung entgegen. Weil sie vom Verhalten ihrer Sprößlinge fasziniert sind, sind sie sehr um ihr Wohlergehen bemüht. Auch Vasudeva und Devakī dachten ständig an das Wohl Kṛṣṇas und Balarāmas. Deshalb war Kṛṣṇa z. B. gleich nach Seinem Erscheinen von Vasudeva nach Vṛndāvana gebracht worden. Balarāma war aus Devakīs Leib in den Leib Rohiṇīs versetzt worden. Vasudeva und Devakī machten sich ständig große Sorgen um Kṛṣṇas und Balarāmas Schutz und konnten sich nicht an den Kindheitsspielen der beiden Brüder erfreuen. Kṛṣṇa erklärte ihnen dies so: »Durch die Fügung des Schicksals konnten Wir leider nicht von Unseren eigenen Eltern aufgezogen werden und zu Hause Unsere Kindheit genießen. Lieber Vater und liebe Mutter, man steht immer in der Schuld seiner Eltern, von denen man den Körper bekommen hat, der einem alle Freuden des materiellen Daseins zugänglich machen kann. Die Veden lehren, daß sich einem mit der menschlichen Form des Lebens die Gelegenheit bietet, alle möglichen religiösen Werke zu tun, sich alle Arten von Wünschen zu erfüllen und allen erdenklichen Reichtum zu erwerben. Und nur die menschliche Form bietet einem jede Möglichkeit, von der materiellen Existenz freizukommen. Der Körper wird durch die gemeinsamen Bemühungen des Vaters und der Mutter erzeugt. Jeder Mensch sollte seinen Eltern dankbar sein und einsehen, daß er immer in ihrer Schuld stehen wird. Wenn der erwachsene Sohn nicht versucht, seine Eltern durch seine Handlungen oder den Erwerb materieller Güter zu erfreuen, wird er ganz sicher nach seinem Tod vom Herrn des Todes bestraft, und muß sein eigenes Fleisch essen. Wenn jemand für seine betagten Eltern, die Kinder, den geistigen Meister, die brāhmaṇas und andere Hilfsbedürftige sorgen oder ihnen Schutz gewähren kann, es jedoch unterläßt, ist er so gut wie tot, obgleich er noch atmet. Mein lieber Vater und meine liebe Mutter, ihr habt euch stets sehr um Unsere Sicherheit gesorgt, doch unglücklicherweise konnten Wir euch nicht den kleinsten Gegendienst erweisen. Bis heute haben Wir daher lediglich Unsere Zeit verschwendet. Aus Gründen, die sich Unserer Einflußnahme entziehen, konnten Wir euch nicht dienen. Mutter und Vater, bitte vergebt Uns diese Sünde.« Als der Höchste Persönliche Gott wie ein unschuldiges Kind mit süßen Worten zu Vasudeva und Devakī sprach, wurden diese von elterlicher Zuneigung überwältigt und umarmten Ihn voll Freude. Sie waren verwirrt und konnten nichts auf Kṛṣṇas Worte entgegnen, noch irgendetwas sagen. So umarmten sie Kṛṣṇa einfach still und voller Zuneigung, wobei ihnen die Tränen unablässig aus den Augen strömten. Nachdem Er Seine Eltern getröstet hatte, ging der Höchste Persönliche Gott, der als geliebter Sohn Devakīs erschienen war, zu Seinem Großvater Ugrasena, und verkündete, daß Ugrasena von nun an König über das Reich der Yadus sein solle. Kaṁsa hatte trotz der Gegenwart seines Vaters, den er gefangenhielt, gewaltsam über das Königreich der Yadus geherrscht. Nach Kaṁsas Tod nun wurde sein Vater Ugrasena befreit und zum König über die Yadus ernannt. Soviel man weiß, gab es damals im Westen Indiens viele kleine Königreiche, die von den Dynastien der Yādavas, Andhakas, Vṛṣṇis, und Bhojas beherrscht wurden. Mahārāja Ugrasena gehörte der Bhoja-Dynastie an, und als Kṛṣṇa ihn auf den Thron setzte, bestimmte Er damit indirekt, daß der König der Bhoja-Dynastie der Herrscher über die anderen Königreiche sein solle. Er bat Mahārāja Ugrasena in vollster Absicht, über Ihn Selbst und Balarāma zu herrschen, denn Sie waren beide Ugrasenas Untertanen. Das Wort prajā bedeutet sowohl »Nachkommenschaft« als auch »Bürger«. Kṛṣṇa zählte aus zwei Gründen zu den prajās: Er war zum einen ein Enkel Mahārāja Ugrasenas und zum anderen ein Nachkomme der Yadu-Dynastie. Der Herr erkannte freiwillig die Herrschaft Mahārāja Ugrasenas an, und so teilte Er diesem mit: »Weil die Könige der Yadu-Dynastie von Yayāti verflucht worden sind, werden sie sich niemals gegen deine Herrschaft erheben. Uns selbst wird es eine Freude sein, dir als deine Untergebenen zu dienen. Unsere enge Zusammenarbeit wird deine Position noch mehr verbessern und stärken, so daß die Könige der anderen Dynastien nicht zögern werden, dir ihre jeweiligen Tribute zu leisten. Von Uns beschützt wirst du sogar von den Halbgöttern auf den himmlischen Planeten verehrt werden. Mein lieber Großvater, alle Könige der Yadu-, Vṛṣṇi-, Andhaka-, Madhu-, Daśārha-, und Kukura-Dynastie waren aus Furcht vor Meinem ehemaligen Onkel Kaṁsa mißtrauisch und verängstigt. Doch nun kannst du sie beruhigen und ihnen versichern, daß sie nichts mehr zu befürchten haben. Das gesamte Königreich wird wieder friedlich werden.« Alle Könige der Nachbargebiete hatten ihre Paläste aus Furcht vor Kaṁsa verlassen und sich in abgelegenen Teilen des Landes verborgen gehalten. Nach Kaṁsas Tod und der Wiedereinsetzung Ugrasenas als König wurden ihnen viele Geschenke gemacht und alle möglichen Annehmlichkeiten bereitet, worauf sie wieder in ihre Paläste zurückkehrten. Als die politischen Verhältnisse auf diese Weise zufriedenstellend geregelt waren, freuten sich die Einwohner von Mathurā sehr, beschützt von den starken Armen Kṛṣṇas und Balarāmas in ihrer Stadt zu leben. Unter der guten Regierungsform in Anwesenheit von Kṛṣṇa und Balarāma waren die Einwohner von Mathurā völlig glücklich und zufrieden, denn es war für all ihre materiellen Wünsche und Bedürfnisse gesorgt, und weil sie Kṛṣṇa und Balarāma täglich mit eigenen Augen sahen, vergaßen sie schon bald alle materiellen Leiden. Sowie sie Kṛṣṇa und Balarāma, die sehr hübsch gekleidet waren, auf die Straße treten sahen, lächelnd und Sich nach allen Seiten umschauend, wurden sie von liebender Ekstase ergriffen, da Mukunda persönlich vor ihnen stand. »Mukunda« bedeutet »einer, der Befreiung und transzendentale Glückseligkeit gewährt«. Kṛṣṇas Anwesenheit wirkte wie ein belebendes Elixier, so daß nicht nur die Jungen, sondern auch die alten Leute von Mathurā mit jugendlicher Energie und Kraft erfüllt wurden, weil sie Ihn regelmäßig sahen. Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā blieben ebenfalls in Mathurā, da Kṛṣṇa und Balarāma dort waren, doch nach einiger Zeit wollten sie wieder nach Vṛndāvana zurückkehren. Bevor sie aufbrachen, gingen Kṛṣṇa und Balarāma noch einmal zu ihnen, und nachdem Sie Nanda und Yaśodā zärtlich umarmt hatten, sprach Kṛṣṇa: »Lieber Vater und liebe Mutter, obgleich Ich als Sohn von Vasudeva und Devakī geboren wurde, seid ihr Unsere wirklichen Eltern gewesen, denn ihr habt Uns von Geburt an mit sehr viel Zuneigung und Liebe aufgezogen. Eure Zuneigung zu Uns war stärker als die Liebe, die Eltern ihren Kindern gewöhnlich entgegenbringen. Ihr seid wirklich Unsere Eltern, weil ihr Uns zu einer Zeit, da Wir eigentlich Waisen waren, wie eure eigenen Kinder aufgezogen habt. Wir wurden von Unseren Eltern weggegeben, und ihr habt Uns behütet. Lieber Vater und liebe Mutter, Ich weiß, daß euch die Trennung von Uns schmerzen wird, wenn ihr nach Vṛndāvana fahrt, und Uns hier zurücklaßt, doch glaubt Mir bitte, daß Ich euch nach Vṛndāvana folgen werde, wenn Ich Meine leiblichen Eltern Vasudeva und Devakī, Meinen Großvater und Meine anderen Verwandten hier zufriedengestellt habe.« Kṛṣṇa und Balarāma trösteten Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā mit vielen süßen Worten und Geschenken wie allerlei Kleider, Schmuck und kunstvoll gearbeitete Gebrauchsgegenstände. Die beiden Brüder erfreuten Ihre Eltern und all Ihre Freunde und Nachbarn, die sie von Vṛndāvana nach Mathurā begleitet hatten, so gut es ging. Aus seiner großen Liebe zu Kṛṣṇa und Balarāma füllten sich Nanda Mahārājas Augen mit Tränen. Ein letztes Mal umarmte er die beiden Brüder und machte sich dann zusammen mit den anderen Kuhhirten auf den Weg nach Vṛndāvana. Bald darauf ließ Vasudeva seine Söhne in das Chanten mit der heiligen Schnur einweihen. Die heilige Schnur ist das Zeichen der »zweiten Geburt«, die für die höheren Klassen der menschlichen Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Vasudeva ließ zu diesem Zweck seinen Familienpriester und viele gelehrte brāhmaṇas kommen, die die Einweihungszeremonie für Kṛṣṇa und Balarāma vorschriftsmäßig durchführten. Während dieser Zeremonie spendete Vasudeva den brāhmaṇas vielerlei Schmuck und beschenkte sie mit Kühen, die seidene Tücher und goldenes Geschmeide trugen. Vasudeva hatte den brāhmaṇas eigentlich schon bei Kṛṣṇas und Balarāmas Geburt Kühe spenden wollen, doch weil er damals von Kaṁsa eingesperrt war, hatte er dies nur in Gedanken tun können. Nach Kaṁsas Tod nun spendete er den brāhmaṇas wirklich die Kühe. Anschließend wurden Balarāma und Kṛṣṇa eingeweiht, indem Ihnen die heilige Schnur übergeben wurde und Sie den vorgechanteten Gāyatrī-mantra wiederholten. Der Gāyatrī-mantra wird den Schülern nach der Schnur-Zeremonie anvertraut, und Balarāma und Kṛṣṇa befolgten aufs genaueste alle Regeln für das Chanten des mantras. Jeder, der den Gāyatrī-mantra chantet, muß bestimmte Prinzipien und Gelübde einhalten, und obwohl Kṛṣṇa und Balarāma transzendentale Persönlichkeiten sind, befolgten auch Sie strikt die Vorschriften. Beide wurden von Ihrem Familienpriester Gargācārya, dem ācārya der Yadu-Dynastie, auch als Gargamuni bekannt, eingeweiht. Nach den Regeln der vedischen Kultur muß jeder achtbare Mensch einen ācārya oder Geisteslehrer haben. Man kann nicht als wirklich gebildet gelten, ohne von einem ācārya eingeweiht und geschult worden zu sein. Aus diesem Grund wird auch gesagt, daß erst jemand, der einen ācārya angenommen hat, vollkommenes Wissen besitzen kann. Śrī Kṛṣṇa und Balarāma sind der Höchste Persönliche Gott, die Meister aller Erziehung und allen Wissens. Sie hatten es daher nicht nötig, einen ācārya oder geistigen Meister anzunehmen, doch um den gewöhnlichen Menschen ein Beispiel zu geben, nahmen auch Sie einen geistigen Meister an, »um im spirituellen Wissen Fortschritte zu machen.« Es ist Brauch, daß ein Schüler, nachdem er in das Chanten des Gāyatrī-mantras eingeweiht worden ist, für eine gewisse Zeit getrennt von zu Hause in der Obhut des ācāryas lebt, um von ihm im spirituellen Leben geschult zu werden. Während dieser Zeit muß er nach den Anweisungen des geistigen Meisters wie ein ganz gewöhnlicher Diener Arbeiten verrichten. Es gibt viele Regeln und Vorschriften für einen brahmacārī, der unter der Aufsicht eines ācārya lebt, und sowohl Śrī Kṛṣṇa als auch Balarāma folgten strikt diesen Prinzipien, als Sie unter der Aufsicht Ihres geistigen Meisters Sāndīpani Muni in einem āśrama im nördlichen Teil Indiens lebten. Nach den Anweisungen der Schriften muß der geistige Meister ebenso geehrt und gewürdigt werden wie der Höchste Persönliche Gott. Kṛṣṇa und Balarāma folgten diesen Prinzipien mit großer Hingabe und unterzogen Sich allen Regulierungen des brahmacarya. Dadurch erfreuten Sie Ihren geistigen Meister, der Sie im vedischen Wissen unterwies. Höchst zufrieden mit Ihnen lehrte Sāndīpani Muni Sie alle Einzelheiten der vedischen Weisheiten und der ergänzenden Schriften wie der Upaniṣaden. Da Kṛṣṇa und Balarāma kṣatriyas waren, wurde bei Ihrer Schulung besonderes Schwergewicht auf Kriegskunst, Politik und Mathematik gelegt. In der Politik gibt es insgesamt sechs Wissensgebiete, nämlich 1) die Kunst, Frieden zu schließen, 2) die Kunst zu kämpfen, 3) Beschwichtigung, 4) Aufteilung, 5) Herrschen und 6) Schützen. All diese Themen wurden Kṛṣṇa und Balarāma vollständig erklärt und beigebracht. Der Ozean ist der Ursprung des Wassers im Fluß. Wenn nämlich das Wasser des Ozeans verdunstet, entsteht eine Wolke, die dieses Wasser in Form von Regen über die Erdoberfläche verteilt; dort sammelt es sich in Flüssen und kehrt so wieder zum Ozean zurück. In ähnlicher Weise sind Kṛṣṇa und Balarāma, der Höchste Persönliche Gott, der Ursprung aller Arten von Wissen, doch weil Sie die Rolle gewöhnlicher Menschenkinder spielten, verhielten Sie Sich beispielhaft, damit jeder wie Sie das Wissen von der richtigen Quelle empfangen möge. Aus diesem Grund waren Sie daher bereit, Wissen von einem geistigen Meister entgegenzunehmen. Nach einmaligem Hören jeder Unterweisung Ihres Lehrers beherrschten Kṛṣṇa und Balarāma alle Künste und Wissenschaften. In vierundsechzig Tagen und vierundsechzig Nächten erlernten Sie alles Wissen, das in der menschlichen Gesellschaft anwendbar ist. Tagsüber ließen Sie Sich von Sāndīpani Muni in einem bestimmten Wissensgebiet unterrichten, und am Abend waren Sie Fachleute auf diesem Wissensgebiet. Als erstes lernten Sie, wie man singt, Lieder komponiert und die verschiedenen Tonarten erkennt. Sie erlernten die günstigen und die ungünstigen Betonungen und Akzente; Sie lernten, allerlei Rhythmen und Melodien zu singen und diese mit verschiedenen Trommeln zu begleiten. Dazu lernten Sie, nach bestimmten Rhythmen, Melodien und Liedern zu tanzen. Als nächstes wurden Sie darin unterrichtet, Theaterstücke zu schreiben; sodann wurden Sie in verschiedensten Arten des Malens unterrichtet, angefangen mit einfachen ländlichen Themen, bis hin zur Stufe höchster Perfektion. Sāndīpani Muni zeigte Ihnen, wie man tilaka auf die Stirn malt und Stirn und Wangen mit verschiedenartigen Punkten verziert. Danach lernten Sie, wie man mit flüssigen Pasten aus Reis oder Mehl Bilder auf den Boden malt. Solche Gemälde sind bei Festen in der Familie oder im Tempel sehr beliebt. Die beiden Brüder lernten, aus Blumen ein Ruhebett herzustellen, Tücher und Blätter mit farbenprächtigen Bemalungen zu verzieren und kostbare Edelsteine in Schmuckstücke einzusetzen. Außerdem brachte Ihnen Ihr geistiger Meister die Kunst bei, auf Wassertöpfen zu musizieren. Dazu werden Wassertöpfe mit bestimmten Wassermengen gefüllt, so daß, wenn man auf sie schlägt, verschiedene Töne erzeugt werden, die gemeinsam wohlklingende Melodien ergeben. Sie lernten auch, wie man sich in Flüssen oder Seen mit Wasser bespritzt, wenn man mit Freunden ein Bad nimmt. Dann wurde Ihnen gezeigt, wie man aus Blumen Dekorationen anfertigt. Diese Kunst – phulabāḍi genannt – kann man auch heute noch im Sommer in einigen Tempeln von Vṛndāvana bewundern. Dabei werden der Altar und der Thron der Bildgestalten Gottes, die Wände und die Decke des Tempels mit Blumen geschmückt, und in der Tempelmitte errichtet man eine duftende Blumensäule. Diese Blumenzierde schenkt den von der Sommerhitze erschöpften Menschen Erfrischung. Kṛṣṇa und Balarāma lernten die Kunst, das Haar zu allen möglichen Frisuren zu formen und einen Helm auf verschiedenste Weise aufzusetzen. Sie wurden auch in der Schauspielkunst unterrichtet, lernten, Schauspieler mit Blumengebilden über dem Ohr zu schmücken, und erfuhren, wie man Sandelholzpaste und Wasser versprengt, so daß sie einen angenehmen Duft verbreiteten. Dann lernten Sie magische Kunststücke. In der Magie gibt es eine Kunst, bahurūpī genannt, mit deren Hilfe man sich so verkleiden kann, daß einen nicht einmal der beste Freund erkennt. Sie lernten das Zubereiten von Getränken, wie sie bei verschiedenen Gelegenheiten gereicht werden, und studierten Siruparten wie auch Geschmäcker und die Wirkung von Rauschmitteln. Sie lernten es, Marionetten an dünnen Fäden tanzen zu lassen, und die Kunst, Saiten auf Instrumente, wie vīṇā, sitar und tampura, zu ziehen, um mit ihnen wohltönende Klänge zu erzeugen. Dann lernten Sie, wie man Rätsel erfindet und sie löst. Sie erlernten die Kunst, Bücher zu schreiben, anhand derer selbst der dümmste Schüler sehr schnell Lesen und Schreiben lernen kann. Sie lernten, Theaterstücke einzustudieren und aufzuführen, und Sie lernten die Kunst, Kreuzworträtsel zu lösen, bei denen zwischen den Wörtern Buchstaben eingesetzt werden, die die Wörter vervollständigen. Kṛṣṇa und Balarāma lernten dann, in Bilderschrift zu schreiben. In einigen Ländern der Welt ist die Bilderschrift auch heute noch im Gebrauch. Mit dieser Schrift kann man eine Geschichte in Bildern darstellen, so daß beispielsweise ein Mann und ein Haus einen Mann darstellen, der nach Hause geht. Die Brüder studierten auch die Kunst des Häuserbauens. Sie wurden auch darin geschult, wertvolle Edelsteine anhand ihres Feuers und ihrer Farben zu erkennen, und erlernten die Kunst, Edelsteine in Gold und Silber einzufassen. Auch lernten Sie, wie man den Boden nach Mineralien absucht. Dieses Bodenstudium ist heute zu einer sehr spezialisierten Wissenschaft geworden, doch früher gehörte es zum Allgemeinwissen selbst des einfachen Menschen. Śrī Kṛṣṇa und Balarāma lernten Kräuter und Pflanzen zu unterscheiden und aus ihnen Medikamente zu gewinnen, und bei Ihrem Studium der Pflanzenarten lernten Sie auch, wie man sie miteinander kreuzt und verschiedene Früchte züchtet. Sie lernten, wie man Hähne und Lämmer für Wettspiele zum Kampf abrichtet und Papageien das Sprechen beibringt, so daß sie auf Fragen von Menschen antworten. Śrī Kṛṣṇa und Balarāma wurden auch in praktischer Psychologie unterrichtet, das heißt, Sie lernten, wie man den Geist eines anderen beeinflussen und ihn so dazu bewegen kann, so zu handeln, wie man es selbst will. Manchmal wird diese Kunst auch Hypnose genannt. Sie lernten, wie man sein Haar wäscht, es in verschiedenen Farben tönt und es auf vielerlei Art in Locken legt. Sie erlernten die Kunst, den Inhalt eines Buches zu erfahren, ohne es Sich anzusehen. Ebenso lernten Sie auch zu erkennen, was in der geschlossenen Faust eines anderen verborgen ist. Kleine Kinder versuchen sich manchmal auch in dieser Kunst, doch ihre Angaben sind nie sehr genau. Bei diesem Spiel hält ein Kind irgend etwas in seiner Faust und fragt einen Freund: »Kannst du mir sagen, was in meiner Hand ist?« Der Freund denkt sich dann irgend etwas aus, obgleich er es im Grunde nicht weiß. Doch es gibt eine Kunst, mit der man ganz genau sagen kann, was der andere in der Faust hält. Kṛṣṇa und Balarāma wurden auch in den Sprachen verschiedener Länder unterrichtet, so daß Sie sie sprechen und verstehen konnten. Doch nicht nur die menschlichen Sprachen lernten Sie. Kṛṣṇa konnte sogar mit den Tieren und Vögeln reden, wie in den Schriften der Gosvāmīs bestätigt wird. Danach lernten Sie, Kutschen und Luftfahrzeuge aus Blumen zu bauen. Im Rāmāyaṇa wird berichtet, daß Rāmacandra nach Seinem Sieg über Rāvaṇa in einem Luftgefährt aus Blumen, dem puṣpa-ratha, von Laṅkā nach Bhāratavarṣa geflogen wurde. Kṛṣṇa erlernte danach die Kunst, anhand von Vorzeichen zukünftige Ereignisse vorauszusagen. Es gibt ein Buch, das Khanār-vacana, in dem die verschiedenen Vorzeichen und Omen erläutert werden. Wenn man z. B. aus dem Hause geht und einem Menschen begegnet, der einen mit Wasser gefüllten Eimer trägt, ist dies ein gutes Vorzeichen. Doch wenn man jemanden mit einem leeren Eimer sieht, ist dies kein gutes Zeichen. Und auch wenn man die Milch einer Kuh mit ihrem Kalb zusammen sieht, ist dies ein gutes Omen. Wer all diese Zeichen zu deuten weiß, ist imstande, die Zukunft vorherzusagen, und Kṛṣṇa lernte auch diese Wissenschaft. Dann erlernte Kṛṣṇa die Kunst, mātṛkās zu bilden. Ein mātṛkā ist der Bestandteil eines Kreuzworträtsels, bei dem drei Buchstaben nebeneinander in einer Reihe stehen – zusammengezählt ergeben sich also jeweils neun Buchstaben. Es gibt die verschiedenartigsten mātrkās für die unterschiedlichsten Zwecke. Kṛṣṇa erlernte die Kunst, wertvolle Steine, wie Diamanten, zu schleifen, und die Kunst, mit aus dem Stegreif im Geist verfaßten Gedichten Fragen zu stellen oder zu antworten. Er wurde in der Wissenschaft von Aktion und Reaktion der physikalischen Verbindungen und Vorgänge unterrichtet und erlangte das Wissen eines Psychiaters, der verstehen kann, was sich in der Psyche eines anderen abspielt. Schließlich lernte Er, wie man Wünsche erfüllt. Wünsche können nur sehr schwer zufriedengestellt werden; es gibt aber eine Kunst, mit der man selbst unvernünftige Wünsche, die niemals erfüllt werden können, bezwingen kann. Durch diese Fähigkeit kann man auch sexuelles Verlangen, das manchmal auch im brahmacārī-Leben auftritt, überwinden. Wer diese Kunst beherrscht, kann sogar einen Feind zu seinem Freund machen und die Wirkung eines physikalischen Prozesses in eine andere Richtung lenken. Śrī Kṛṣṇa und Balarāma, die Quelle aller Künste und Wissenschaften, zeigten Ihr vollkommenes Wissen, als Sie Ihrem Lehrer Ihre Dienste anboten, indem Sie versprachen, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Dieses Angebot des Schülers an seinen Lehrer oder geistigen Meister wird guru-dakṣiṇā genannt. Es ist sehr wichtig, daß der Schüler seinem Lehrer aus Dankbarkeit für die Lehren, die er empfangen hat, seien sie materieller oder spiritueller Natur, eine besondere Freude bereitet. Als Kṛṣṇa und Balarāma Ihrem Lehrer Sāndīpani Muni Ihre Dienste anboten, hielt dieser es für weise, Sie um etwas ganz Außergewöhnliches zu bitten, etwas, das kein gewöhnlicher Schüler geben konnte. Er beriet sich daher mit seiner Frau, worum man die beiden wohl am besten bitten sollte. Sie waren sich schon oft der außergewöhnlichen Kräfte Kṛṣṇas und Balarāmas bewußt geworden und erkannten daher in den beiden Jungen den Höchsten Persönlichen Gott. Sie entschlossen sich schließlich, Kṛṣṇa und Balarāma um die Rückkehr ihres Sohnes zu bitten, der am Prabhāsakṣetra-Strand im Ozean ertrunken war. Sowie Kṛṣṇa und Balarāma von Ihrem Lehrer hörten, daß sein Sohn am Prabhāsakṣetra-Strand sein Leben verloren hatte, machten Sie Sich mit Ihrer Kutsche auf den Weg zum Ozean. Gleich nach Ihrer Ankunft am Strand baten Sie die über das Meer gebietende Gottheit, Ihnen den Sohn Ihres Lehrers wiederzugeben. Der Halbgott des Ozeans erschien auch sogleich vor dem Herrn und brachte Ihm mit aller Demut seine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Der Herr sagte: »Vor einiger Zeit hast du den Sohn Unseres Lehrers ertrinken lassen. Ich befehle dir, ihn wieder herauszugeben.« Doch der Halbgott des Meeres entgegnete: »Der Junge wurde nicht von mir gefangen, sondern von einem Dämon mit Namen Pañcajana. Dieser große Dämon haust tief im Wasser in der Gestalt einer Muschel. Vermutlich wurde der Sohn Eures Lehrers von ihm verschlungen und liegt nun in seinem Magen.« Als Kṛṣṇa dies erfuhr, tauchte Er tief in das Wasser hinein, fand den Dämon Pañcajana und tötete ihn auf der Stelle. Doch Er konnte in seinem Leib den Sohn Seines Lehrers nicht finden. Daher nahm Er den toten Körper des Dämons, das Muschelhorn nämlich, an Sich und kehrte zu Seiner Kutsche am Strand des Prabhāsakṣestra zurück. Von dort fuhr Er sogleich nach Saṁyamanī, dem Wohnort Yamarājas, des Herrn über den Tod. Begleitet von Seinem älteren Bruder Balarāma, der auch als Halāyudha bekannt ist, traf Kṛṣṇa dort ein und blies in Sein Muschelhorn. Als Yamarāja das Tönen des Muschelhorns vernahm, erschien er sogleich vor Śrī Kṛṣṇa und empfing Ihn mit achtungsvollen Ehrerbietungen. Yamarāja wußte, wer Kṛṣṇa und Balarāma waren, und so bot er dem Herrn sofort seine bescheidenen Dienste an. Kṛṣṇa und Balarāma waren zwar scheinbar als gewöhnliche Menschen auf der Erde erschienen, doch in Wirklichkeit sind Sie die Überseele im Herzen eines jeden Lebewesens. Obgleich Sie Viṣṇu Selbst sind, spielten Sie die Rolle zweier gewöhnlicher Menschenkinder. Als Yamarāja dem Herrn seine Dienste anbot, bat ihn Kṛṣṇa, Ihm den Sohn Seines Lehrers zurückzugeben, der infolge seines Handelns zu Yamarāja gekommen war. Kṛṣṇa sagte: »Angesichts der Tatsache, daß Ich der Höchste Persönliche Gott bin, solltest Du Mir unverzüglich den Sohn Meines Lehrers übergeben.« Yamarāja übergab dem Höchsten Persönlichen Gott daraufhin den Jungen, und Kṛṣṇa und Balarāma brachten diesen sogleich zu seinem Vater zurück. Sodann fragten die beiden Brüder Ihren Lehrer, ob er noch einen weiteren Wunsch habe, doch Sāndīpani Muni antwortete: »Meine lieben Söhne, Ihr habt genug für mich getan. Ich bin völlig zufrieden, denn was kann sich ein Mensch noch wünschen, der zwei Schüler hat wie Euch? Ihr könnt nun nach Hause gehen. Eure ruhmvollen Taten werden für alle Zeiten überall auf der Welt bekannt sein. Ihr steht zwar über jeglicher Segnung, doch ist es meine Pflicht, Euch zu segnen. Daher gebe ich Euch den Segen, daß alles, was Ihr jemals sprechen werdet, ewig frisch bleiben wird wie die Anweisungen der Veden. Eure Lehren werden nicht nur innerhalb dieses einen Universums oder nur in diesem Zeitalter geehrt werden, sondern an allen Orten und zu allen Zeiten. Sie werden in immer stärkerem Maße neu und bedeutsam bleiben. Wegen dieser Segnung ist Śrī Kṛṣṇas Bhagavad-gītā immer wieder frisch, und sie ist nicht nur in diesem Universum, sondern auch in allen anderen berühmt. Auf die Anweisung Ihres Lehrers hin kehrten Kṛṣṇa und Balarāma unverzüglich in Ihrer Kutsche nach Mathurā zurück. Sie reisten mit der rasenden Geschwindigkeit des Windes und verursachten dabei einen Lärm wie zusammenstoßende Wolken. Die Einwohner von Mathurā, die Kṛṣṇa und Balarāma schon seit langer Zeit vermißt hatten, waren außer sich vor Freude, Sie wiederzusehen. Sie fühlten sich so glücklich wie Menschen, die ihren verlorenen Besitz wiedererlangt hatten. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 44. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa bringt Seinem Lehrer den Sohn zurück«. 45. KAPITEL Uddhava besucht Vṛndavāna Nanda Mahārāja kehrte also ohne Kṛṣṇa und Balarāma, nur von den Hirten und Hirtenjungen begleitet, nach Vṛndāvana zurück. Für die gopīs, Mutter Yaśodā, Śrīmatī Rādhārāṇī und alle anderen Bewohner von Vṛndāvana muß dies eine sehr traurige Szene gewesen sein. Viele Gottgeweihte haben versucht klarzustellen, wie es zu verstehen ist, daß Kṛṣṇa Vṛndāvana fern war, denn nach Ansicht der fortgeschrittenen Gottgeweihten verläßt Kṛṣṇa Vṛndāvana niemals auch nur mit einem Schritt. Er bleibt immer dort. Die Erklärung der erfahrenen Gottgeweihten ist, daß Kṛṣṇa in Wirklichkeit nicht Vṛndāvana fern blieb; Er kehrte, wie versprochen, mit Nanda Mahārāja zurück. Als Kṛṣṇa von Akrūra nach Mathurā gefahren wurde und die gopīs sich Ihm in den Weg stellten, versprach Er ihnen, sofort zu ihnen zurückzukehren, wenn Seine Aufgabe in Mathurā erfüllt sei. Er bat die Mädchen, nicht bekümmert zu sein, und konnte sie auf diese Weise beschwichtigen. Da Er aber nicht mit Nanda Mahārāja nach Vṛndāvana zurückkehrte, will es scheinen, als habe Er entweder die gopīs betrügen wollen oder Sein Versprechen nicht einlösen können. Erfahrene Gottgeweihte indessen haben entschieden, daß Kṛṣṇa weder betrügt noch Sein Versprechen bricht. Kṛṣṇa kehrte in Seiner ursprünglichen Form mit Nanda Mahārāja nach Vṛndāvana zurück und blieb in Seiner bhava-Erweiterung mit den gopīs und Mutter Yaśodā zusammen. Er und Balarāma blieben daher nicht in Ihren ursprünglichen Formen in Mathurā, sondern in Ihren Erweiterungen als Vasudeva und Saṅkarṣaṇa. Der wirkliche Kṛṣṇa und der wirkliche Balarāma waren in Ihrer bhava-Manifestation in Vṛndāvana, während Sie in Mathurā in Ihren prabhava- und vaibhava-Erweiterungen zu sehen waren. Dies ist die kundige Auskunft, die wir von den fortgeschrittenen Gottgeweihten erhalten. Doch als Nanda sich zur Rückreise nach Vṛndāvana anschickte, gab es zwischen ihm, Kṛṣṇa und Balarāma eine Unterredung darüber, ob die Jungen getrennt von Mahārāja Nanda würden leben können. Ihr Entschluß, sich dann doch zu trennen, wurde im gegenseitigen Einverständnis gefaßt. Vasudeva und Devakī waren nun einmal Kṛṣṇas und Balarāmas wirkliche Eltern, und daher wollten sie ihre Söhne nun, da Kaṁsa tot war, bei sich behalten. Solange Kaṁsa lebte, wurden Sie unter dem Schutz Nanda Mahārājas in Vṛndāvana belassen. Doch nun wollten Vasudeva und Devakī, der Vater und die Mutter Kṛṣṇas und Balarāmas, natürlich mit ihren Kindern zusammenbleiben, zudem sie die beiden in der Reinigungszeremonie oder der Zeremonie der heiligen Schnur einweihen lassen wollten. Außerdem wollten sie ihren Söhnen eine angemessene Erziehung zukommen lassen, denn dies ist die Pflicht eines jeden Vaters. Eine weitere Überlegung Kṛṣṇas war es, daß alle Freunde Kaṁsas außerhalb Mathurās planten, Mathurā anzugreifen. Aus diesem Grunde war Kṛṣṇas Anwesenheit dort erforderlich. Kṛṣṇa wollte nämlich nicht, daß Vṛndāvana von Feinden wie Dantavakra und Jarāsandha heimgesucht würde. Doch wenn Er nach Vṛndāvana ginge, würden sie nicht nur Mathurā angreifen, sondern auch Vṛndāvana, und die Dorfbewohner in ihrem Frieden stören. Kṛṣṇa beschloß daher, in Mathurā zu bleiben, und so kehrte Nanda Mahārāja allein nach Vṛndāvana zurück. Aber obwohl sich die Dorfbewohner vom Herrn getrennt fühlten, war Er ständig durch Seine līlā oder Seine Spiele bei ihnen, und dies erfüllte sie mit ekstatischer Freude. Seit Kṛṣṇa nach Mathurā gefahren war, dachten die Einwohner von Vṛndāvana, ganz besonders natürlich Mutter Yaśodā, Nanda Mahārāja, Śrīmatī Rādhārāṇī, die gopīs und die Hirtenjungen, bei jedem Schritt an Ihn. Sie erinnerten sich, wie Kṛṣṇa gespielt hatte, wie Er auf Seiner Flöte geblasen und mit ihnen gescherzt oder sie umarmt hatte. Dieses Erinnern wird līlā-smaraṇa genannt und wird von großen Gottgeweihten als Vorgang, mit Kṛṣṇa zusammenzusein, sehr empfohlen. Selbst Śrī Kṛṣṇa Caitanya erfreute Sich dieses līlā-smaraṇa-Zusammenseins mit Kṛṣṇa, als Er Sich in Purī aufhielt. Diejenigen, die die höchste Stufe des hingebungsvollen Dienens und der Ekstase erreicht haben, können ständig mit Kṛṣṇa leben, indem sie sich immer an Seine transzendentalen Spiele erinnern. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura hinterließ uns eine transzendentale Schrift, den Kṛṣṇa-bhāvanāmṛta, der voller Geschichten über Kṛṣṇas Spiele ist. Die Gottgeweihten können immer in Gedanken bei Kṛṣṇa sein, indem sie solche Bücher lesen. Jedes Buch, das von Kṛṣṇas līlā handelt – auch das vorliegende Buch »Kṛṣṇa« und unser Buch »Die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas« –, ist ein wirklicher Trost für alle Gottgeweihten, die die Trennung von Kṛṣṇa empfinden. Dazu, daß Kṛṣṇa und Balarāma nicht nach Vṛndāvana zurückkehrten, muß folgendes klargestellt werden: Sie brachen weder Ihr Versprechen, nach Vṛndāvana zurückzukehren, noch waren Sie jemals von Vṛndāvana fort. Vielmehr war Ihre Anwesenheit in Mathurā notwendig. In der Zwischenzeit wurde Kṛṣṇa von Uddhava, Seinem Vetter aus Dvārakā, besucht. Uddhava war der Sohn von Vasudevas Bruder, und er befand sich ungefähr im gleichen Alter wie Kṛṣṇa. Auch seine äußere Erscheinung glich fast aufs Haar der Kṛṣṇas. Kṛṣṇa war gerade erst aus dem āśrama Seines Lehrers zurückgekommen, und Er freute Sich natürlich sehr, Uddhava, Seinen liebsten Freund, zu sehen. Ihm kam der Gedanke, Seinen Freund mit einer Botschaft nach Vṛndāvana zu schicken, um den Trennungsschmerz der Einwohner zu lindern. In der Bhagavad-gītā steht: ye yathā māṁ prapadyante – »Kṛṣṇa neigt sehr dazu, die Ihm entgegengebrachte Hingabe zu erwidern.« Er kommt den Gottgeweihten in dem Maße entgegen, wie sie im hingebungsvollen Dienen fortgeschritten sind. Die gopīs dachten vierundzwanzig Stunden am Tag an Kṛṣṇa und die Trennung von Ihm, und auch Kṛṣṇa dachte an die gopīs, an Mutter Yaśodā, Nanda Mahārāja und die übrigen Einwohner von Vṛndāvana, obwohl Er ihnen fern zu sein schien. Er konnte verstehen, wie groß ihr transzendentaler Kummer war, und daher wollte Er sogleich Uddhava nach Vṛndāvana schicken, um sie mit einer Botschaft zu trösten. Uddhava, der Kṛṣṇa in vieler Hinsicht gleicht, wird als die höchstgestellte Persönlichkeit der Vṛṣṇi-Dynastie beschrieben. Er war ein großer Freund des Herrn, und weil er ein enger Schüler Bṛhaspatis, des Lehrers und Priesters der himmlischen Planeten, war, besaß er eine hohe Intelligenz und vorzügliche Entschlußkraft. Was seine geistigen Fähigkeiten betraf, so war er also hochbegabt. Kṛṣṇa wollte Uddhava, weil er Sein geliebter Freund war, nach Vṛndāvana schicken, um ihm so Gelegenheit zu geben, das hochentwickelte ekstatische hingebungsvolle Dienen der dortigen Gottgeweihten zu studieren. Selbst jemand, der eine vorzügliche materielle Bildung besitzt, selbst jemand, der ein Schüler Bṛhaspatis ist, muß von den gopīs und den anderen Bewohnern Vṛndāvanas lernen, wie man Kṛṣṇa in höchstem Maße lieben kann. Als Kṛṣṇa Uddhava daher mit der Botschaft nach Vmdāvana schickte, um die Einwohner des Dorfes zu trösten, erwies Er Seinem Freund damit eine besondere Gunst. Ein Name Śrī Kṛṣṇas ist »Hari«, was soviel bedeutet wie »jemand, der alle Leiden von den Ihm hingegebenen Seelen nimmt«. Śrī Kṛṣṇa Caitanya sagte einmal, daß niemand eine ebenso vortreffliche Qualität der Verehrung erreichen kann wie die gopīs. Weil Sich der Herr also große Sorgen um die betrübten gopīs machte, bat Er Uddhava höflich, nach Vṛndāvana zu gehen. Er schüttelte Uddhava die Hand und sagte zu ihm: »Lieber, gütiger Freund, bitte begib dich unverzüglich nach Vṛndāvana, und versuche, Meinen Vater Nanda Mahārāja und Meine Mutter Yaśodādevī zu beruhigen. Sie sind sehr bekümmert, als litten sie sehr unter der Trennung. Geh also bitte zu ihnen, und überbringe ihnen diese Botschaft. Ich hoffe, daß ihr Trennungsschmerz dadurch ein wenig gelindert werden kann. Die gopīs sind ständig in Gedanken an Mich vertieft. Sie haben Mir ihre Körper, ihre Wünsche, ihr Leben und ihre Seelen geweiht. Ich bemühe Mich nicht nur um die gopīs, sondern um jeden, der Gesellschaft, Freundschaft, Liebe und persönliche Annehmlichkeiten für Mich opfert. Es ist meine Pflicht, solche hervorragenden Gottgeweihten zu beschützen. Die gopīs sind Mir am liebsten, weil sie ständig so sehr an Mich denken, daß sie getrennt von Mir vor Sehnsucht fast sterben. Sie halten sich nur noch durch die Hoffnung am Leben, daß Ich bald zu ihnen zurückkehren werde. Als Uddhava Kṛṣṇas Bitte vernommen hatte, bestieg er unverzüglich seinen Wagen und verließ Mathurā, um Kṛṣṇas Botschaft nach Gokula zu bringen. Er erreichte Vṛndāvana bei Sonnenuntergang, als die Kühe gerade von den Weidegründen heimkehrten. Uddhava und sein Wagen wurden von dem Staub bedeckt, den die Kühe mit ihren Hufen aufwirbelten. Er sah Stiere Kühen zur Paarung nachlaufen; andere Kühe liefen mit prallen Eutern hinter ihren Kälbern her, um sie mit Milch zu tränken. Uddhava sah, daß das ganze Land von Vṛndāvana von weißen Kühen und ihren Kälbern wimmelte; überall in Gokula liefen Kühe umher. Dazu war das Geräusch des Melkens zu hören. Jedes Haus in Vṛndāvana war zur Verehrung des Sonnengottes und des Feuergottes und für den Empfang von Gästen, Kühen, brāhmaṇas und Halbgöttern geschmückt. In jedem Haus brannte Licht, und Räucherwerk war zur Weihung der Atmosphäre entzündet worden. Überall hingen hübsche Blumengirlanden, hüpften Vögel umher und summten Bienen. Die Seen waren mit Lotosblüten übersät, zwischen denen Enten und Schwäne umherschwammen. Im Dorf angekommen, betrat Uddhava sogleich das Haus Nanda Mahārājas und seiner Frau, die ihn als Vertreter Vasudevas empfingen. Nanda Mahārāja bot seinem Gast einen Platz an und setzte sich zu ihm, um Neues von Kṛṣṇa, Balarāma und den anderen Verwandten zu erfahren. Er wußte, daß Uddhava ein enger Freund Śrī Kṛṣṇas war und daher mit guten Nachrichten gekommen sein mußte. Er fragte Uddhava: »Mein lieber Uddhava, genießt mein Freund Vasudeva das Leben? Er wurde doch aus Kaṁsas Gefängnis befreit und ist nun wieder mit seinen Freunden und seinen Kindern, Kṛṣṇa und Balarāma, zusammen. Bestimmt ist er deshalb sehr glücklich. Bitte erzähle mir etwas über ihn, und wie es ihm geht! Wir freuen uns auch darüber, daß Kaṁsa, der sündigste Dämon, der jemals lebte, nun endlich sein Ende gefunden hat. Er beneidete die Yadu-Familie, seine Freunde und Verwandten, ständig. Nun mußte er zusammen mit seinen Brüdern für die begangenen Sünden mit dem Leben büßen. Bitte verrate uns, ob Sich Kṛṣṇa noch manchmal an Seinen Vater und Seine Mutter und Seine Spielgefährten und Freunde in Vṛndāvana erinnert. Denkt Er zuweilen noch an Seine Kühe, Seine gopīs, Seinen Govardhana-Hügel und Seine Weidegründe in Vṛndāvana – oder hat Er sie alle schon vergessen? Besteht irgendeine Möglichkeit, daß Er noch einmal zu Seinen Freunden und Verwandten zurückkommt, so daß wir wieder Sein schönes Gesicht mit der edlen Nase und den lotosgleichen Augen sehen können? Wir denken oft daran, wie Er uns vor dem Waldbrand, der großen Schlange Kāliya im Yamunā und vor so vielen anderen Dämonen rettete. Wir alle müssen Ihm so dankbar dafür sein, daß Er uns bei all den zahllosen Gefahren schützend zur Seite stand. Mein lieber Uddhava, wenn wir an Kṛṣṇas schönes Gesicht, Seine Augen und die vielen Taten denken, die Er hier in Vṛndāvana vollbrachte, übermannt uns die Erinnerung so stark, daß wir regungslos verharren. Wir denken einfach an Kṛṣṇa, wie Er lächelte, wie Er uns ansah. Wenn wir zum Ufer der Yamunā gehen oder zu den Seen von Vṛndāvana, zum Govardhana-Hügel oder zu den Weidegründen, sehen wir immer noch die Abdrücke von Kṛṣṇas Lotosfüßen auf dem Boden. Wir erinnern uns dann, wie Er an diesen Orten spielte, die Er so oft besuchte. Sobald Er in unserem Geist auftaucht, versinken wir augenblicklich in Gedanken an Ihn. »Wir vermuten daher, daß Kṛṣṇa und Balarāma führende Halbgötter von den himmlischen Planeten sind, die wie gewöhnliche Jungen unter uns erschienen, um besondere Pflichten auf der Erde zu erfüllen. Dies wurde auch von Gargamuni prophezeit, als er Kṛṣṇas Horoskop erstellte. Wenn Kṛṣṇa keine große Persönlichkeit wäre, wie hätte Er dann Kaṁsa töten können, der die Kraft von zehntausend Elefanten besaß? Kaṁsa wurde dazu noch von starken Ringern und einem gigantischen Elefanten unterstützt. Doch Kṛṣṇa tötete sie alle, wie ein Löwe, der seine Beute reißt. Ist es nicht ein großes Wunder, daß Kṛṣṇa mit nur einer Hand den großen Bogen nahm, der aus drei zusammengebundenen Palmenbäumen bestand und ihn dann ohne weiteres zerbrach? Wie wunderbar ist es, daß Er sieben Tage lang den Govardhana-Hügel auf einem Finger trug! Und wie wunderbar ist es, daß Er all die Dämonen, wie Pralambhāsura, Dhenukāsura, Ariṣṭāsura, Tṛṇāvarta und Bakāsura, vernichtete! Sie alle waren so stark, daß sich selbst die Halbgötter auf den himmlischen Planeten vor ihnen fürchteten, doch Kṛṣṇa tötete sie mit spielerischer Leichtigkeit.« Während Nanda Mahārāja von den außerordentlichen Taten Śrī Kṛṣṇas erzählte, wurde er mehr und mehr von Gefühlen der Trennung überwältigt, bis er schließlich nicht mehr imstande war, weiterzusprechen. Mutter Yaśodā saß die ganze Zeit neben ihrem Mann und hörte den Schilderungen der Spiele Kṛṣṇas wortlos zu. Sie weinte ununterbrochen, wobei Milch aus ihren Brüsten floß. Als Uddhava sah, wie stark Mahārāja Nanda und Yaśodā von Gedanken an Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, bewegt wurden und wie groß ihre Zuneigung zu Ihm war, wurde auch er ergriffen und sagte: »Liebe Mutter Yaśodā und lieber Nanda Mahārāja, ihr seid die ehrwürdigsten Menschen, die es gibt, denn niemand außer euch kann in solch transzendentaler Ekstase über Kṛṣṇa meditieren.« Balarāma und Kṛṣṇa sind beide die ursprünglichen Persönlichkeiten Gottes, und von Ihnen geht die kosmische Manifestation aus. Von allen Persönlichkeiten sind Sie die Führer. Beide sind die aktive Ursache der materiellen Schöpfung. Die materielle Natur wird von den puruṣa-Inkarnationen gelenkt, die ihrerseits unter der Aufsicht Kṛṣṇas und Balarāmas stehen. In Ihrer Teil-Repräsentation gehen Sie in die Herzen aller Lebewesen ein. Wie im Fünfzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt wird, sind Sie der Ursprung allen Wissens und allen Vergessens: »Ich weile im Herzen jedes Lebewesens, und von Mir kommen Erinnerung, Wissen und Vergessen. Das Ziel aller Veden ist es, Mich zu erkennen; wahrlich, Ich bin der Verfasser des Vedānta und Ich bin der Kenner der Veden.« (Bg. 15.15) Wenn ein Mensch zur Zeit des Todes imstande ist, seinen geläuterten Geist, und wenn auch nur für einen Moment, auf Kṛṣṇa zu richten, kann er den materiellen Körper aufgeben und in seinem ursprünglichen, spirituellen Körper erscheinen, wie die Sonne, die am Morgen mit strahlendem Glanz aufgeht. Wer auf diese Weise aus dem Leben scheidet, gelangt augenblicklich in das spirituelle Königreich, Vaikuṇṭha. Das ist das Ergebnis der Tätigkeiten im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Wenn wir in unserem gegenwärtigen Körper Kṛṣṇa-Bewußtsein praktizieren, solange wir uns noch bei guter Gesundheit befinden und einen gesunden Geist haben, wird es uns einfach durch das Chanten des heiligen mahā-mantras »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma, Rāma, Hare Hare« durchaus möglich sein, unsere Gedanken zur Zeit des Todes auf Kṛṣṇa zu richten. Gelingt uns dies, so wird unser Leben ohne Zweifel erfolgreich sein. Bleibt unser Geist jedoch mit Bemühungen um materiellen Genuß beschäftigt, werden wir natürlich auch zur Zeit des Todes an solche Dinge denken und gezwungen sein, wieder in einen materiellen, bedingten Körper einzugehen und weiterhin die dreifachen Leiden des materiellen Daseins zu ertragen. Deshalb sind uns die Einwohner von Vṛndāvana, die immer im Kṛṣṇa-Bewußtsein versunken sind, wie dies an Nanda Mahārāja, Mutter Yaśodā und den gopīs deutlich wird, das beste Beispiel. Schon, wenn wir ihnen in geringem Maße folgen können, wird unserem Leben Erfolg beschieden sein, und wir gehen in das spirituelle Reich, Vaikuṇṭha, ein. »Liebe Mutter Yasodā und lieber Nanda Mahārāja«, fuhr Uddhava fort, »ihr habt euren Geist völlig und einzig auf den Höchsten Persönlichen Gott, Nārāyaṇa, in Seiner transzendentalen Gestalt gerichtet, der die Ursache des unpersönlichen Brahman ist. Das Brahman ist nichts anderes als die Ausstrahlung, die von Nārāyaṇas Körper ausgeht. Da ihr ständig in ekstatische Gedanken an Kṛṣṇa und Balarāma vertieft seid, kann es keine Pflicht geben, die ihr noch verrichten müßtet. Ich habe euch eine Botschaft Kṛṣṇas mitzuteilen. Er wird bald nach Vṛndāvana zurückkehren und euch beide durch Seine persönliche Anwesenheit erfreuen. Kṛṣṇa versprach, sofort hierherzukommen, wenn Er Seine Aufgaben in Mathurā erfüllt hat. Ganz bestimmt wird Er dieses Versprechen halten. Ich möchte euch daher bitten, die ihr so sehr vom Glück begünstigt seid, nicht länger über Kṛṣṇas Abwesenheit bekümmert zu sein. Ihr nehmt zwar schon vierundzwanzig Stunden am Tag Seine Gegenwart wahr, aber Er wird dennoch bald nach Vṛndāvana kommen und dann wieder mit euch zusammen sein. Eigentlich weilt Er im Herzen jedes Lebewesens, wie das Feuer im Holz, und ist allgegenwärtig. Da Kṛṣṇa die Überseele ist, ist niemand Sein Feind, noch Sein Freund, niemand kommt Ihm gleich, und niemand ist niedriger oder höher als Er. In Wirklichkeit hat Er weder Vater noch Mutter, noch Bruder, noch irgendwelche anderen Verwandten, noch braucht Er Gesellschaft, Freundschaft und Liebe. Er hat keinen materiellen Körper. Er wird auch nicht als gewöhnlicher Mensch geboren. Er erscheint nicht in höheren oder niederen Lebensformen, wie es gewöhnliche Lebewesen tun, die ihrer früheren Handlungen wegen zur Geburt gezwungen sind. Vielmehr erscheint der Herr durch Seine innere Energie, um Seine Geweihten zu beschützen. Er wird niemals von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur berührt, obwohl Er Sich, wenn Er in die materielle Welt herabkommt, scheinbar wie ein gewöhnliches Lebewesen verhält, das unter dem Einfluß der materiellen Erscheinungsweisen steht. In Wirklichkeit gebietet Er über die gesamte materielle Schöpfung und kann daher gar nicht von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur berührt werden. Er schafft, erhält und zerstört die gesamte kosmische Manifestation. Wir aber hielten Kṛṣṇa und Balarāma fälschlich für gewöhnliche menschliche Wesen. Wir sind wie Menschen, die unter Schwindelanfällen leiden, und in deren Augen sich deshalb die ganze Welt um sie dreht. Der Persönliche Gott ist niemandes Sohn; Er ist Vater, Mutter und der Höchste Kontrollierende eines jeden. Daran besteht kein Zweifel. Alles, was wir wahrnehmen, alles, was bereits existiert, alles, was nicht mehr existiert, und alles, was noch in Zukunft existieren wird, sowohl das Kleinste als auch das Größte – nichts kann ohne den Höchsten Persönlichen Gott bestehen. Alles ruht in Ihm, und doch wird Er von keinem der Dinge berührt, die Er hervorbringt.« – Nanda und Uddhava sprachen noch die ganze Nacht über Kṛṣṇa. Am nächsten Morgen bereiteten die gopīs in Vṛndāvana wie gewöhnlich die maṅgala-ārātrika-Zeremonie vor, indem sie Lampen ansteckten und mit Yoghurt vermischte Butter versprengten. Nach der Zeremonie begannen sie dann damit, frischen Yoghurt zu Butter zu kirnen. Während sie so beschäftigt waren, wurde der Schein der Lampen, der sich auf den Schmuckstücken der gopīs spiegelte, noch heller. Das Butterfaß, die Arme, Ohrringe, Armreifen und Brüste der Mädchen – alles war in Bewegung. Und das kuṅkuma-Puder verlieh ihren Gesichtern ein safranfarbenes Leuchten, das der aufgehenden Sonne glich. Beim Buttern sangen die Mädchen von der Herrlichkeit Kṛṣṇas. Ihre Stimmen und die Geräusche beim Buttern vereinigten sich, stiegen zum Himmel auf und heiligten die ganze Atmosphäre. Nach Sonnenaufgang gingen die gopīs, wie jeden Tag, zu Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā, um ihnen ihre Ehrerbietungen zu erweisen. Die gopīs wußten noch nichts von Uddhavas Ankunft, und als sie daher seinen goldenen Wagen vor der Tür stehen sahen, fragten sie sich sofort nach seiner Herkunft und seinem Besitzer. Einige dachten, daß Akrūra, der Kṛṣṇa abgeholt hatte, wieder zurückgekehrt sei. Sie mochten Akrūra nicht, weil er Kṛṣṇa in Kaṁsas Diensten nach Mathurā gefahren hatte. Alle gopīs begannen zu argwöhnen, daß Akrūra wiedergekommen sein könnte, um einen anderen grausamen Plan auszuführen. Doch gleichzeitig dachten sie auch: »Wir sind nur noch tote Körper ohne unseren höchsten Meister, Kṛṣṇa. Was könnte Akrūra diesen toten Körpern noch zufügen?« Während sie derartige Dinge zueinander sprachen, beendete Uddhava seine morgendlichen Waschungen, Gebete und sein Chanten und begab sich dann zu ihnen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 45. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Uddhava besucht Vṛndāvana«. 46. KAPITEL Kṛṣṇas Botschaft an die gopīs Als die gopīs Uddhava sahen, bemerkten sie, daß er fast genauso aussah wie Kṛṣṇa, und daran erkannten sie, daß er ein großer Geweihter Kṛṣṇas sein müsse. Seine Hände waren ungewöhnlich lang, und seine Arme glichen den Blütenblättern der Lotosblume. Er war in gelbe Gewänder gekleidet und trug eine Girlande aus Lotosblüten. Sein Antlitz war wunderschön. Uddhava ähnelte Kṛṣṇa so stark, ja, er besaß fast die gleichen körperlichen Merkmale wie der Herr, weil er die sārūpya-Befreiung erlangt hatte. In Kṛṣṇas Abwesenheit hatten es sich die gopīs zur Pflicht gemacht, frühmorgens Mutter Yaśodā einen Besuch abzustatten. Sie wußten, daß Nanda Mahārāja und seine Frau sehr bekümmert waren, und daher sahen sie es als ihre Pflicht an, den beiden ehrwürdigsten Persönlichkeiten von Vṛndāvana jeden Tag ihre Achtung zu erweisen. Wenn Nanda und Yaśodā Kṛṣṇas Freundinnen sahen, wurden Sie an Kṛṣṇa Selbst erinnert und dadurch ein wenig getröstet, und auch die gopīs freuten sich jedesmal sehr, wenn sie Nanda Mahārāja und Mutter Yaśoda sahen. Als die gopīs also bemerkten, daß Uddhava Kṛṣṇa sogar in Seinem Äußeren glich, dachten sie, daß er eine dem Höchsten Herrn völlig hingegebene Seele sein müsse. Sie fragten sich daher: »Wer ist dieser Jüngling nur, der so aussieht wie Kṛṣṇa? Er hat die gleichen Augen, die Lotosblüten ähneln, die gleiche edle Nase und das gleiche schöne Antlitz, und er lächelt auch ebenso wie Kṛṣṇa. Er gleicht in jeder Beziehung Śyāmasundara, dem schönen dunklen Jüngling. Er ist sogar genau wie Kṛṣṇa gekleidet. Woher kommt er nur? Wer ist die Glückliche, die ihn zum Gemahl hat?« So sprachen sie zueinander. Die gopīs waren sehr begierig, etwas über Uddhava zu erfahren, und weil sie einfache Dorfmädchen waren, versammelten sie sich einfach um ihn. Die gopīs freuten sich sehr, als sie hörten, daß Uddhava eine Botschaft von Kṛṣṇa bringe, und so führten sie ihn an einen ruhigen Ort, um sich mit ihm niederzusetzen. Sie wollten völlig ungestört mit Uddhava sprechen, ohne sich vor fremden Zuhörern schämen zu müssen. Sie hießen ihn also mit höflichen Worten und in großer Ergebenheit willkommen: »Uns ist bekannt, daß du ein enger Vertrauter Śrī Kṛṣṇas bist, und daß Er dich nach Vṛndāvana schickte, um Seinen Vater und Seine Mutter zu trösten. Das bestätigt, daß die Zuneigung von Verwandten derselben Familie füreinander sehr stark ist. Selbst große Weise, die in den Lebensstand der Entsagung getreten sind, können nicht ihre Angehörigen aufgeben. Sicherlich hat Kṛṣṇa dich aus diesem Grund zu Seinem Vater und Seiner Mutter geschickt, denn ansonsten ist Ihm an nichts mehr in Vṛndāvana gelegen. Nun, wo Er in der Stadt lebt, können Ihm das Dorf und das Weideland der Kühe gleichgültig sein. Diese Dinge haben für Kṛṣṇa keinerlei Wert mehr, denn Er ist ein Stadtbewohner geworden. Bestimmt macht Er Sich nichts aus denjenigen, die nicht zu Seinen Familienangehörigen zählen. Warum sollte man sich auch um Menschen kümmern, die außerhalb der Familie stehen, erst recht, wenn es sich dabei um verheiratete Frauen handelt? Kṛṣṇa interessiert Sich so lange für sie, wie sie Ihn erfreuen. Er ist wie die Biene, die nur so lange auf einer Blume sitzt, bis sie allen Nektar eingesammelt hat. Und es ist nur natürlich und psychologisch leicht zu erklären, daß eine Dirne ihren Liebhaber nicht länger beachtet, wenn er kein Geld mehr hat. Ebenso ist es mit den Bürgern, die ihr Land verlassen, wenn sie sehen, daß die Regierung nicht fähig ist, sie ausreichend zu beschützen. Ein Schüler bricht seine Beziehung zu Lehrern und Schule ab, sobald seine Ausbildung abgeschlossen ist. Wenn ein reicher Mann von seinen Verehrern Geld bekommen hat, läßt er sie einfach fallen. Wenn die Reifezeit der Früchte vorüber ist, haben die Vögel kein Interesse mehr an den Bäumen. Der Gast gibt, nachdem er im Wirtshaus gegessen hat, seine Beziehung zum Wirt auf. Wenn nach einem Waldbrand kein frisches Gras mehr zu finden ist, verlassen die Rehe und die anderen Tiere den Wald. Ebenso löst auch ein Mann, nachdem er sich mit seiner Freundin vergnügt hat, die Verbindung mit ihr.« Mit diesen Beispielen wollten die gopīs Kṛṣṇa für Sein Verhalten ihnen gegenüber anklagen. Uddhava verstand, daß die gopīs von Vṛndāvana völlig in Gedanken an Kṛṣṇa und Seine Kindheitsabenteuer vertieft waren. Während sie mit Uddhava über Kṛṣṇa sprachen, vergaßen sie all ihre Haushaltspflichten. Sie vergaßen sogar sich selbst, weil ihre Sehnsucht nach Kṛṣṇa immer stärker wurde. Eine der gopīs – Sie hieß Śrīmatī Rādhārāṇī – war durch Ihre vertraute persönliche Beziehung zu Kṛṣṇa so tief in Gedanken an Ihn versunken, daß Sie tatsächlich mit einer Hummel zu sprechen begann, die in Ihrer Nähe umherflog, und die versuchte, Ihre Lotosfüße zu berühren. Während sich die anderen gopīs mit Kṛṣṇas Gesandtem Uddhava unterhielten, hielt Śrīmatī Rādhārāṇī jene Hummel für einen Sendboten Kṛṣṇas, und so begann Sie folgendermaßen zu ihr zu sprechen: »Hummel, du trinkst gern den Nektar aus den Blüten, und daher hat es dir gefallen, Kṛṣṇas Bote zu sein, der von gleichem Wesen ist wie du. Ich habe an deinem Bart die Spuren von dem roten kuṅkuma-Puder entdeckt, mit dem die Blumengirlande Kṛṣṇas bestäubt wurde, als Er die Brust eines anderen Mädchens, die Meine Rivalin ist, an Sich drückte. Du bist bestimmt sehr stolz darauf, daß du die Blume berühren durftest, und daß sich dein Bart von dem kuṅkuma-Puder rötlich gefärbt hat. Du kommst mit einer Botschaft für Mich hierher, und du bist sehr begierig, Meine Füße zu berühren. Aber, Meine liebe Hummel, laß Mich dich warnen: Rühr Mich nicht an! Ich möchte keine Botschaften von deinem flatterhaften Meister. Du bist der flatterhafte Diener eines flatterhaften Herrn.« Es ist gut möglich, daß Śrīmatī Rādhārāṇī die Hummel absichtlich mit sarkastischen Worten anredete, um Kṛṣṇas Boten Uddhava zu tadeln. Indirekt betrachtete Sie Uddhava nicht nur als jemanden, der die gleichen körperlichen Merkmale wie Śrī Kṛṣṇa besitzt, sondern sogar als jemand, der Kṛṣṇa Selbst gleicht. So deutete Sie an, daß Uddhava genauso unzuverlässig sei wie Kṛṣṇa Selbst. Śrīmatī Rādhārāṇī wollte jedoch auch die genauen Gründe für Ihre Unzufriedenheit mit Kṛṣṇa und Seinem Boten zu verstehen geben. Sie sprach also weiter zur Hummel: »Dein Meister Kṛṣṇa hat genau das gleiche Wesen wie du. Du setzt dich auf eine Blume, nimmst ein wenig Nektar von ihr und fliegst gleich zur nächsten Blume, um von ihrem Nektar zu kosten. Du bist genau wie dein Meister Kṛṣṇa. Er ließ uns die Berührung Seiner Lippen kosten und verließ uns dann einfach wieder. Ich weiß auch, daß die Glücksgöttin Lakṣmī, die in einem Wald von Lotosblumen lebt, sich ständig in Kṛṣṇas Dienst beschäftigt. Ich kann jedoch nicht verstehen, warum sie von Kṛṣṇa so betört worden ist. Sie hängt nämlich an Ihm, obwohl sie Seinen wahren Charakter kennt. Dagegen sind wir viel klüger, denn wir lassen uns nicht noch einmal von Kṛṣṇa oder Seinen Boten betrügen.« Nach der Ansicht der fortgeschrittenen Gottgeweihten ist die Glücksgöttin Lakṣmī eine untergeordnete Erweiterung Śrīmatī Rādhārāṇīs. So wie Kṛṣṇa unzählige Erweiterungen, die Viṣṇu-mūrtis, besitzt, so hat Seine Freuden-Energie Rādhārāṇī in den Glücksgöttinnen zahllose Erweiterungen. Daher sehnt sich die Glücksgöttin, Lakṣmījī, immer danach, die Stufe der gopīs zu erreichen. Śrīmatī Rādhārāṇī fuhr fort: »Törichte Hummel, du versuchst Meine Gunst zu erlangen und eine Belohnung zu bekommen, indem du von Kṛṣṇas Herrlichkeit singst, doch du bemühst dich vergeblich. Wir besitzen nichts mehr und sind getrennt von unserem Zuhause und unseren Familien. Außerdem kennen wir Kṛṣṇa sehr gut, sogar noch besser als du. Was immer du also über Ihn erzählen magst, sind alte Geschichten für uns. Kṛṣṇa hält Sich nun in der Stadt auf, wo man Ihn besser als Arjunas Freund kennt. Er hat viele neue Freundinnen, die gewiß sehr glücklich in Seiner Gesellschaft sind. Sie sind glücklich, weil Er das lüstern brennende Gefühl in ihren Brüsten gestillt hat. Wenn du zu ihnen gehst und Kṛṣṇa preist, wirst du bestimmt mehr Erfolg haben als bei Mir, und sie werden dich belohnen. Du versuchst Mich durch Schmeicheln zu besänftigen, und deshalb hast du deinen Kopf unter Meine Füße gelegt. Aber Ich durchschaue deinen Trick. Ich weiß doch, daß du von Kṛṣṇa, dem größten Gaukler, geschickt bist. Deshalb verlaß Mich bitte. Ich kann Mir denken, daß du sehr geschickt darin bist, zwei Streitende miteinander zu versöhnen, doch du solltest wissen, daß Ich weder dir noch deinem Meister, Kṛṣṇa, vertrauen kann. Wir haben unsere Familien, Ehemänner, Kinder und alle Verwandten nur wegen Kṛṣṇa verlassen, aber Er fühlt Sich uns gegenüber nicht im geringsten verpflichtet und hat uns unserem Schicksal überlassen. Denkst du also, daß wir Ihm jemals wieder Vertrauen schenken könnten? Wir wissen, daß Kṛṣṇa nicht lange ohne die Gesellschaft junger Frauen leben kann. Das ist Sein Wesen. Er dürfte jedoch in Mathurā auf einige Schwierigkeiten stoßen, denn Er ist jetzt nicht mehr im Dorf unter unschuldigen Hirtenmädchen. Er verkehrt nun in aristokratischen Kreisen, und daher fällt es Ihm sicherlich nicht leicht, Freundschaften mit den jungen Mädchen zu schließen. Vielleicht bist du daher nach Vṛndāvana gekommen, um wieder für Ihn zu freien oder um uns nach Mathurā zu holen. Doch warum sollte Kṛṣṇa hoffen, daß wir nach Mathurā kommen? Er ist in der Lage, nicht nur die Mädchen von Vṛndāvana oder Mathurā, sondern alle Frauen im Universum, zu betören. Sein wundervolles Lächeln ist so bezaubernd und die Bewegung Seiner Augenbrauen so schön, daß Er jede Frau von den himmlischen, den mittleren oder den niederen Planeten zu Sich rufen kann. Mahā-Lakṣmī, die hervorragendste aller Glücksgöttinnen, sehnt sich ständig danach, Ihm einen kleinen Dienst erweisen zu dürfen. Wer sind wir schon im Vergleich zu all diesen Frauen des Universums? Wir sind wirklich unbedeutend. Kṛṣṇa stellt Sich Selbst als sehr großherzig dar, und Er wird auch von großen Heiligen für diese Eigenschaft gepriesen. Seine hohen Qualitäten könnten sicherlich ihre Vollendung erfahren, wenn Er uns Barmherzigkeit erweisen würde, denn wir sind von Ihm mit Füßen getreten und vernachlässigt worden. Du armer Bote, du bist nur ein Diener ohne Intelligenz. Du weißt nicht viel von Kṛṣṇa – wie undankbar und hartherzig Er gewesen ist – nicht nur in diesem, sondern auch in Seinem früheren Leben. Wir haben von unserer Großmutter Paurṇamāsī von Kṛṣṇas Grausamkeit gehört. Sie hat uns verraten, daß Kṛṣṇa, vor Seiner jetzigen Geburt, als Rāmacandra in einer kṣatriya-Familie erschien. Damals tötete Er Vāli, den Feind Seines Freundes, wie ein Jäger, statt ihn wie ein kṣatriya zu besiegen. Der Jäger sucht sich ein sicheres Versteck und erlegt von dort aus ein Tier, ohne ihm gegenüberzutreten. Rāmacandra hätte wie ein richtiger kṣatriya Mann gegen Mann mit Vāli kämpfen sollen, doch auf den Rat Seines Freundes hin tötete Er Seinen Gegner aus dem Hinterhalt. Somit verletzte Er die religiösen Prinzipien der kṣatriyas. Außerdem war Er so sehr von der Schönheit einer Frau namens Sītā betört, daß Er Śūrpaṇakhā, die Schwester Rāvaṇas, verunstaltete, indem Er ihre Nase und Ohren abschnitt. Śūrpaṇakhā hatte Ihm nämlich einen Antrag gemacht, und als kṣatriya hätte Er ihren Wunsch erfüllen müssen. Doch Er war so selbstsüchtig, daß Er, weil Er Sītādevī nicht vergessen konnte, Śūrpaṇakhā entstellte. Vor Seinem Leben als kṣatriya war Er als Brahmanenknabe mit Namen Vāmanadeva geboren worden. In dieser Inkarnation bat Er Bali Mahārāja um eine kleine Gabe. Der König war so großzügig, Ihm alles zu geben, was er besaß, doch Kṛṣṇa nahm ihn, undankbar wie Er ist, wie eine Krähe gefangen und stieß ihn in das Pātāla-Reich hinab. Wir kennen Kṛṣṇa sehr gut und wissen ganz genau, wie undankbar Er ist. Doch hier beginnt unsere Schwierigkeit: Obwohl Er so grausam und hartherzig ist, fällt es uns sehr schwer, nicht mehr über Ihn zu sprechen. Nicht nur wir können nicht aufhören über Ihn zu sprechen – selbst die großen Weisen und Heiligen sprechen ständig über Ihn. Wir gopīs aus Vṛndāvana wollen nichts mehr mit diesem blauschwarzen Jüngling zu tun haben, doch wissen wir nicht, wie es uns jemals gelingen soll aufzuhören, uns an Seine Taten zu erinnern und über Ihn zu sprechen.« Weil Kṛṣṇa absolut ist, ist es genauso schön, von Seinen sogenannten unbarmherzigen Taten zu hören wie von den barmherzigen. Heilige und große Gottgeweihte wie die gopīs können sich niemals von Kṛṣṇa abwenden. Auch Śrī Caitanya sagt in Seinem Gebet: »Es steht Dir völlig frei, alles zu tun, was Dir beliebt; Du magst Mich umarmen oder unter Deinen Füßen zertreten. Du magst Mir das Herz brechen, indem Du Dich Mir in Meinem ganzen Leben nicht zeigst; dennoch bleibst Du das einzige Ziel Meiner Liebe.« Śrīmatī Rādhārāṇī fuhr fort: »Meiner Meinung nach sollte man am besten gar nicht erst von Kṛṣṇa hören, denn sowie ein Nektartropfen von Seinen transzendentalen Spielen in das Ohr dringt, wird man augenblicklich über die Ebene von Dualität, von Zuneigung und Widerwillen, erhoben und gibt die Anhaftung an die materielle Welt auf, an Familie, Zuhause, Frau, Kinder und alles, was jedem Menschen materiell lieb ist. Wenn man dann ohne alle materiellen Werte dasteht, macht man seine Verwandten und sich selbst unglücklich. In diesem Zustand sucht man dann als Mensch oder in anderen Lebensformen, selbst als Vogel, ständig nach Kṛṣṇa. Es ist sehr schwierig, Kṛṣṇa, Seinen Namen, Seine Eigenschaften, Seine Gestalt, Seine Spiele, Seine Umgebung und alles, was sonst noch mit Ihm verbunden ist, wirklich zu verstehen.« Schließlich sagte Śrīmatī Rādhārāṇī zu dem schwarzen Boten Kṛṣṇas: »Bitte sprich nicht mehr von Kṛṣṇa. Es ist besser, über etwas anderes zu reden. Wir gopīs sind bereits verloren, wie die schwarz-gefleckten Rehe im Wald, die von den süßen Melodien des Jägers betört sind. Wir sind nämlich von den süßen Worten Kṛṣṇas bezaubert worden und müssen immer wieder an das Glänzen Seiner Zehennägel denken. Mehr und mehr verlangt es uns nach Seiner Gesellschaft; deshalb bitte Ich dich: Sprich nicht mehr von Kṛṣṇa.« Rādhārāṇīs Gespräch mit der Hummel, Ihre Klagen gegen Kṛṣṇa und, auf der anderen Seite, Ihre Unfähigkeit mit dem Sprechen über Ihn aufzuhören, sind Anzeichen höchster transzendentaler Ekstase, mahā-bhāva. Dieser ekstatische mahā-bhāva kann sich nur in Rādhārāṇī und Ihren Gefährtinnen manifestieren. Große ācāryas, wie Śrīla Rūpa Gosvāmī und Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura, haben diese mahā-bhāva-Reden Śrīmatī Rādhārāṇīs analysiert und die verschiedenen Merkmale Rādhārāṇīs beschrieben, wie z. B. udghūrṇā, Verwirrung, und jalpapratijalpa, das Sprechen in Widersprüchen. In Rādhārāṇīs Wesen ist ujjala, das strahlendste Juwel der Liebe zu Gott, zu finden. Als Sie so zu der Hummel redete, entschwand diese plötzlich Ihren Augen. In Ihrer Trennung von Kṛṣṇa war Rādhārāṇī sehr traurig gewesen, und daher empfand Sie, als Sie mit der Hummel sprechen konnte, große Ekstase. Als die Hummel dann aber plötzlich verschwand, wurde Sie fast verrückt, denn Sie befürchtete, die Hummel könne zu Kṛṣṇa zurückkehren und Ihm alles, was Sie gegen Ihn gesagt hatte, erzählen. Sie dachte: »Kṛṣṇa muß sehr traurig sein, Mein Klagen zu hören.« Bei diesem Gedanken wurde Sie sofort von einer anderen Art der Ekstase überwältigt. Unterdessen erschien die Hummel, die nur ein wenig umhergeflogen war, wieder vor Ihr. Rādhārāṇī sagte Sich sogleich: »Kṛṣṇa ist Mir nicht böse. Obwohl Sein Bote Meine verletzenden Worte überbracht hat, war Er so gütig, die Hummel wieder zu Mir zu schicken, um Mich von ihr zu Ihm bringen zu lassen.« Diesmal war Śrīmatī Rādhārāṇī sehr darauf bedacht, nichts gegen Kṛṣṇa zu sagen. »Meine liebe Freundin, sei Mir willkommen«, sprach Sie. »Es war sehr gütig von Kṛṣṇa, dich wieder hierherzuschicken. Kṛṣṇa ist so freundlich und zuneigungsvoll zu Mir, daß Er dich wieder hierher sandte, obgleich du Ihm Meine widrigen Worte übermittelt hast. Meine liebe Freundin, Du kannst Mich um alles bitten, was du haben möchtest. Ich werde dir alles geben, weil du so gut zu Mir bist. Du bist gekommen, um Mich zu Kṛṣṇa zu bringen, denn Er kann Selbst nicht hierherkommen. Er kann nämlich nicht die Gesellschaft Seiner neuen Freundinnen in Mathurā verlassen. Aber Du bist ja nur eine kleine Hummel. Wie könntest du Mich also zu Ihm bringen? Wie wirst du Mir helfen, Kṛṣṇa zu treffen, der nun neben der Glücksgöttin liegt und sie an Seine Brust drückt? Aber mach dir nichts daraus. Laß uns einfach vergessen, daß Ich dort hinreisen möchte oder dich schicken will. Sage Mir vielmehr bitte, wie es Kṛṣṇa in Mathurā geht. Erinnert Er Sich noch an Seinen Pflegevater Nanda Mahārāja und Seine zärtliche Mutter Yaśodā, und denkt Er manchmal auch an Seine Hirtenfreunde und an uns, die gopīs? Sicherlich denkt Er hin und wieder an uns, denn wir dienten Ihm wie Mägde, ohne Bezahlung. Sag mir, besteht nicht die geringste Möglichkeit, daß Kṛṣṇa wieder zurückkommt und uns in Seine Arme nimmt? Seine Glieder duften immer nach dem aguru-Aroma! Bitte stelle Kṛṣṇa all diese Fragen, wenn du Ihn wiedersiehst.« Uddhava stand in der Nähe und hörte Rādhārāṇī zu, während Sie so sprach, als sei Sie fast verrückt geworden nach Kṛṣṇa. Es erstaunte Ihn außerordentlich, wie die gopīs fortwährend in der höchsten Ekstase der mahā-bhāva-Liebe über Kṛṣṇa meditierten. Er hatte eine handgeschriebene Botschaft Kṛṣṇas bei sich und hielt es nun für angebracht, sie den gopīs vorzutragen, um sie etwas zu beruhigen. Er sagte daher: »Liebe gopīs, für euch ist die Bestimmung des menschlichen Lebens erfüllt, denn ihr seid alle vortreffliche Geweihte des Höchsten Persönlichen Gottes; deshalb seid ihr es wert, von allen Menschen verehrt zu werden. Überall in den drei Welten sollte man euch verehren, denn ihr seid wunderbarerweise in Gedanken an den Höchsten Persönlichen Gott Vāsudeva vertieft. Er ist das Ziel aller Rituale und frommen Handlungen wie die Ausübung von Mildtätigkeit, das Aufsichnehmen von Härten, Gelübden und Bußen und das Darbringen von Opfern im Opferfeuer. Er ist das Ziel aller mantras, des Studiums der Veden, der Beherrschung der Sinne und der Sammlung des Geistes in Meditation. Dies sind einige der Vorgänge, die zur Selbstverwirklichung und zur Vollkommenheit des Lebens führen sollen. Im Grunde genommen aber sind sie nur dazu bestimmt, einen Menschen dahin zu bringen, Kṛṣṇa zu erkennen und sich dem transzendentalen liebevollen Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott zu weihen. Dies besagt auch die letzte Anweisung der Bhagavad-gītā; obwohl Kṛṣṇa noch viele andere Vorgänge zur Selbstverwirklichung beschreibt, empfiehlt Er am Ende, alles aufzugeben und sich einfach Ihm hinzugeben. Alle die anderen Vorgänge sind dazu bestimmt, den Menschen zu lehren, wie er sich letztlich den Lotosfüßen Kṛṣṇas hingeben kann. Die Bhagavad-gītā erklärt weiterhin, daß der Vorgang der Hingabe von einem aufrichtigen Menschen zur Vollkommenheit gebracht werden kann, nachdem er viele Leben hindurch die Vorgänge zur Selbstverwirklichung in Weisheit und Entsagung befolgt hat. Da die Vollkommenheit solcher Vorgänge und Entsagungen im Leben der gopīs vollständig ihren Ausdruck findet, fühlte sich Uddhava glücklich, als er die transzendentale Position der gopīs erkannte. Er sagte deshalb: »Meine lieben gopīs, die Gefühle, die ihr für Kṛṣṇa entwickelt habt, sind selbst für die großen Weisen und Heiligen sehr schwer zu erlangen. Ihr habt die höchste Stufe des Lebens erreicht. Es ist ein großer Segen für euch, daß ihr euren Geist auf Kṛṣṇa gerichtet und euch entschlossen habt, mit Kṛṣṇa allein zufrieden zu sein, weshalb ihr Familie, Verwandte und Kinder aufgegeben habt. Weil euer Geist nun völlig mit Kṛṣṇa, der Höchsten Seele, beschäftigt ist, hat sich von allein allumfassende Liebe in euch gebildet. Ich schätze mich sehr glücklich, daß es mir durch eure Gnade vergönnt ist, euch in dieser transzendentalen Stellung zu sehen.« Als Uddhava sagte, er überbringe eine Botschaft von Kṛṣṇa, war den gopīs viel mehr daran gelegen, den Inhalt zu erfahren, als von ihrer eigenen hohen Stellung zu hören. Sie liebten es nicht sonderlich, selbst gepriesen zu werden, sondern zeigten sich vielmehr sehr begierig, Kṛṣṇas Botschaft zu hören. Uddhava sagte also: »Meine lieben gopīs, ich bin beauftragt worden, euch diese Botschaft zu überbringen, die ihr so erleuchtete und große Gottgeweihte seid. Kṛṣṇa schickt mich hierher, weil ich Sein vertrautester Diener bin.« Uddhava übergab den gopīs jedoch nicht einfach die Botschaft Kṛṣṇas, sondern las sie ihnen persönlich vor. Die Botschaft war sehr ernst geschrieben, weil sie nicht nur den gopīs, sondern auch allen empirischen Philosophen klarmachen sollte, daß die reine Liebe zu Gott alle Energien des Herrn in sich vereinigt. Aus den vedischen Schriften geht hervor, daß der Herr mannigfache Energien besitzt: parāsya śaktir vividhaiva śrūyate. Die gopīs waren so innige persönliche Freunde Kṛṣṇas, daß Er beim Schreiben der Botschaft sehr bewegt war und nicht deutlich schreiben konnte. Uddhava verfügte als Schüler Bṛhaspatis über eine scharfe Intelligenz, und daher hielt er es für klüger, den gopīs persönlich den Brief Kṛṣṇas vorzulesen und zu erklären, als ihn einfach nur abzugeben. Uddhava sagte also: »Dies sind die Worte des Höchsten Persönlichen Gottes: ›Meine lieben gopīs, Meine lieben Freundinnen, bitte wisset, daß es zu jeder Zeit, überall und unter allen Umständen unmöglich ist, daß wir getrennt voneinander sind, denn Ich bin alldurchdringend.‹ « Dieser alldurchdringende Aspekt Kṛṣṇas wird sowohl im Neunten als auch im Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā erklärt. Es heißt dort, daß Kṛṣṇa in Seinem unpersönlichen Aspekt alldurchdringend ist. Obgleich alles in Ihm ruht, ist Er nicht überall persönlich anwesend. Wie im Siebten Kapitel gesagt wird, bilden die fünf grobstofflichen Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther zusammen mit den feinstofflichen Elementen Geist, Intelligenz und falsches Ich Kṛṣṇas niedere Energien. Es gibt jedoch noch eine andere, höhere, spirituelle Energie – die Lebewesen. Die Lebewesen sind ebenfalls Bestandteile Kṛṣṇas, und daher ist der Herr der Ursprung sowohl der materiellen als auch der spirituellen Energie. Als Ursache und Wirkung ist Er immer an allem beteiligt. Nicht nur die gopīs, sondern alle Lebewesen sind ewig und unter allen Umständen untrennbar mit Kṛṣṇa verbunden. Die gopīs jedoch handeln in ihrer wesenseigenen Beziehung zu Kṛṣṇa und in völliger Übereinstimmung mit Ihm, wohingegen die Lebewesen unter dem Einfluß māyās Kṛṣṇa vergessen haben. Sie glauben, von Ihm getrennt zu sein und keine Beziehung zu Ihm zu besitzen. Liebe zu Kṛṣṇa oder Kṛṣṇa-Bewußtsein ist daher die vollkommene Ebene wirklichen Wissens, auf der man die Dinge sieht, wie sie sind. Unser Geist kann niemals leer sein, sondern ist ständig mit Gedanken beschäftigt, die nichts außerhalb der acht Elemente von Kṛṣṇas Energie zum Inhalt haben. Jemand, der diesen philosophischen Aspekt aller Gedanken versteht, ist ein wirklicher Weiser, und er gibt sich Kṛṣṇa hin. Die gopīs sind echte Beispiele für diese vollkommene Stufe der Erkenntnis. Man kann sie also keinesfalls mit intellektuellen Spekulierern vergleichen; ihr Geist ist immer in Kṛṣṇa vertieft. Der Geist ist nichts anderes als eine Energie Kṛṣṇas. Deshalb kann im Grunde niemand, der denken, fühlen, handeln und wollen kann, von Kṛṣṇa getrennt sein. Verstehen kann man seine ewige Beziehung zum Herrn jedoch nur auf der Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Der krankhafte Zustand, in dem man nicht seine ewige Beziehung zu Kṛṣṇa verstehen kann, wird die Stufe der Verunreinigung oder māyā genannt. Weil sich die gopīs auf der Ebene reinen transzendentalen Wissens befinden, ist ihr Geist immer von Kṛṣṇa-Bewußtsein erfüllt. So wie z. B. Feuer und Luft nicht voneinander getrennt sind, so gibt es auch zwischen Kṛṣṇa und den Lebewesen niemals Trennung. Wenn die Lebewesen Kṛṣṇa vergessen haben, befinden sie sich nicht in ihrem natürlichen Zustand. Die gopīs hingegen befinden sich ständig auf der absoluten Ebene des vollkommenen Wissens, da sie unablässig an Kṛṣṇa denken. Die sogenannten empirischen Philosophen denken zuweilen, der Pfad der bhakti sei für die weniger Intelligenten bestimmt, doch das Wissen eines sogenannten weisen Mannes muß unrein und unvollkommen bleiben, solange er nicht die Ebene der bhakti erreicht. Die wahre Vollendung seiner ewigen Beziehung zu Kṛṣṇa erreicht man mit der Liebe in Trennungsgefühlen. Doch die Trennung von Kṛṣṇa an sich ist eine Illusion, weil man niemals von Ihm getrennt sein kann. Die gopīs waren niemals von Kṛṣṇa getrennt. Selbst im philosophischen Sinne gab es keine Trennung. Auch die kosmische Manifestation ist nicht von Kṛṣṇa getrennt. Der Herr sagt Selbst: »Nichts ist getrennt von Mir; die gesamte kosmische Manifestation ruht auf Mir, sie ist nicht getrennt von Mir. Vor der Schöpfung existierte nur Ich.« Diese Aussage wird von den vedischen Schriften bestätigt: Vor der Schöpfung gab es nur Nārāyaṇa. Es gab keinen Brahmā und keinen Śiva als Helfer. Die gesamte kosmische Manifestation wird von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur bewegt. Brahmā ist eine Inkarnation der Erscheinungsweise der Leidenschaft. Man sagt zwar, er habe das Universum erschaffen, doch in Wirklichkeit ist er nur der sekundäre Schöpfer; der ursprüngliche Schöpfer ist Nārāyaṇa. Nārāyaṇas Erhabenheit wird auch von Śaṅkarācārya bestätigt: nārāyaṇaḥ paro 'vyaktāt. »Nārāyaṇa ist völlig transzendental und weilt jenseits der kosmischen Schöpfung.« Kṛṣṇa erschafft, erhält und vernichtet die gesamte kosmische Manifestation durch verschiedene Inkarnationen, in die Er Sich erweitert. Alles ist Kṛṣṇa, und alles ist von Ihm abhängig, doch kann man Ihn in der materiellen Energie nicht wahrnehmen. Die materielle Energie wird als māyā oder Illusion bezeichnet. In der spirituellen Energie jedoch ist Kṛṣṇa auf Schritt und Tritt, unter allen Umständen, wahrnehmbar. Diese vollkommene Sicht findet man bei den gopīs. So wie Kṛṣṇa stets über der kosmischen Manifestation steht, obwohl sie gänzlich von Ihm abhängig ist, steht auch das Lebewesen völlig über seinem materiellen bedingten Leben. Der materielle Körper hat sich auf der Grundlage der spirituellen Existenz entwickelt. In der Bhagavad-gītā wird die ganze materielle Manifestation als die Mutter der Lebewesen bezeichnet und Kṛṣṇa als der Vater. Wie der Vater die Mutter befruchtet, indem er das Lebewesen in ihren Schoß eingibt, so gibt Kṛṣṇa die Lebewesen in den Schoß der materiellen Natur, aus dem sie entsprechend ihren früheren gewinnbringenden Handlungen in unterschiedlichen Körpern hervorkommen. Unter allen Umständen aber steht das Lebewesen über dem bedingten materiellen Leben. Schon wenn wir unseren eigenen Körper studieren, können wir feststellen, daß das Lebewesen über der Gefangenschaft im Körper steht. Jede Bewegung des Körpers wird durch die Wechselwirkung der drei Erscheinungsweisen hervorgerufen. Wir können jeden Augenblick beobachten, wie sich in unserem Körper viele Veränderungen vollziehen, doch wir, die Seele, stehen über diesen Wandlungen. Wir selbst können weder schaffen noch etwas vernichten, noch uns in die Geschehnisse der materiellen Natur einmischen. Das Lebewesen ist also im materiellen Körper gefangen, und zwar in drei Zuständen der Bedingtheit – Wachbewußtsein, Schlaf und Bewußtlosigkeit. In allen diesen Zuständen ist der Geist aktiv. Im Schlaf oder Traum hält das Lebewesen manchmal etwas für Wirklichkeit, was es, wenn es wach ist, als unwirklich erkennt. Daran wird deutlich, daß es unter bestimmten Umständen etwas als wirklich wahrnimmt, was es unter anderen Umständen als unwirklich ansieht. Diese Dinge werden von den empirischen Philosophen und sāṅkhya-yogīs studiert. Um zu den richtigen Schlußfolgerungen zu gelangen, nehmen die sāṅkhya-yogīs große Opfer und Strengen auf sich. So bemühen sie sich, die Sinne zu beherrschen und Entsagung zu üben. Die verschiedenen Wege, das endgültige Ziel des Lebens zu erkennen, gleichen Flüssen, und Kṛṣṇa ist wie der Ozean. Gleich den Flüssen, die dem Ozean entgegenfließen, führen alle Versuche, Wissen zu erlangen, zu Kṛṣṇa. Wenn man sich durch viele Leben hindurch bemüht hat und schließlich zu Kṛṣṇa kommt, erreicht man die Vollkommenheit. Kṛṣṇa Selbst sagt in der Bhagavad-gītā: »Alle bemühen sich auf dem Pfad der Erkenntnis, um letztlich Mich zu erkennen, doch diejenigen, die Vorgängen ohne bhakti folgen, stoßen bei ihren Bemühungen nur auf Schwierigkeiten.« Weiter heißt es in der Gītā: kleśo' dhikataras teṣām – »Kṛṣṇa kann nicht ohne bhakti verstanden werden.« In der Gītā werden drei Pfade gewiesen: karma-yoga, jñāna-yoga und bhakti-yoga. Menschen, die zu sehr an gewinnbringenden Tätigkeiten (karma) haften, wird empfohlen, Handlungen zu vollbringen, die sie zu bhakti führen. Denen, die an der empirischen Philosophie, einem anderen Hindernis, hängen, wird ebenfalls angeraten, bhakti zu verwirklichen. Karma-yoga unterscheidet sich von gewöhnlichem karma, und auch jñāna-yoga ist von jñāna verschieden. Im Grunde kann Kṛṣṇa, wie der Herr in der Bhagavad-gītā Selbst erklärt, nur durch hingebungsvolles Dienen verstanden werden: bhaktyā māṁ abhijānāti. Die gopīs hatten die Vollkommenheit des hingebungsvollen Dienens erreicht, denn sie wollten von nichts mehr wissen, außer von Kṛṣṇa. In den Veden heißt es in diesem Zusammenhang: yasmin eva vijñāte sarvam eva vijñātam bhavanti. »Wenn man Kṛṣṇa erkennt, erlangt man alles andere Wissen ohne weiteres.« Weiter hieß es in Kṛṣṇas Brief: »Transzendentales Wissen vom Absoluten ist nicht mehr notwendig für euch, denn ihr habt Mich schon von Anbeginn eures Lebens geliebt.« Wissen von der Absoluten Wahrheit ist für die Menschen wichtig, die vom materiellen Dasein frei werden wollen. Doch jemand, der Liebe zu Kṛṣṇa erlangt hat, befindet sich bereits auf der Ebene des Befreitseins. In der Bhagavad-gītā steht, daß jeder, der sich im unverfälschten hingebungsvollen Dienen beschäftigt, auf der transzendentalen Ebene der Befreiung verankert ist. Die gopīs litten keine Qualen, wie man sie im materiellen Dasein erfährt, sondern sie fühlten sich von Kṛṣṇa getrennt. Kṛṣṇa erklärte ihnen deshalb: »Liebe gopīs, Ich habe euch absichtlich verlassen, um eure unübertreffliche Liebe zu Mir zu steigern. Ich tat dies, damit ihr in ständiger Meditation über Mich verweilt.« Die gopīs befinden sich auf der vollkommenen Stufe der Meditation. Yogīs fühlen sich im allgemeinen mehr zur Meditation hingezogen als zum hingebungsvollen Dienen für den Herrn, doch leider wissen sie nicht, daß man mit der höchsten Stufe der Hingabe die Vollkommenheit des yoga-Systems erreicht. Die fortwährende Meditation der gopīs über Kṛṣṇa wird auch in der Bhagavad-gītā die höchste Form des yoga genannt. Kṛṣṇa kannte sehr gut die Psyche der Frau. Wenn ihr Geliebter nicht bei ihr ist, meditiert sie ständig über ihn und ist auf diese Weise mit ihm zusammen. Kṛṣṇa wollte uns durch das Verhalten der gopīs lehren. Wer sich wie die gopīs immerzu in Trance befindet, erreicht mit Sicherheit die Lotosfüße Kṛṣṇas. Śrī Caitanya lehrte die Menschheit den vipralambha-Vorgang, der darin besteht, dem Höchsten Persönlichen Gott im Gefühl der Trennung zu dienen. Und auch die sechs Gosvāmīs lehrten die Verehrung des Herrn im Gefühl der Trennung, wie es die gopīs empfanden. In den Gebeten Śrīnivāsācāryas zu den sechs Gosvāmīs wird dieser Punkt näher erklärt. Es heißt dort, daß die Gosvāmīs ständig, wie die gopīs, im Ozean der transzendentalen Empfindungen versunken waren. Als die sechs Gosvāmīs in Vṛndāvana lebten, liefen sie nach Kṛṣṇa suchend umher, wobei sie laut riefen: »Wo ist Kṛṣṇa? Wo sind die gopīs? Und wo bist Du, Śrīmatī Rādhārāṇī?« Sie sagten niemals: »Wir haben Rādhā und Kṛṣṇa gesehen, unsere Mission ist nun erfüllt!« Nein, ihre Mission blieb immer unerfüllt; sie trafen Rādhā und Kṛṣṇa niemals. Als der rāsa-Tanz stattfand, gaben die gopīs, die nicht daran teilnehmen konnten, ihre Körper auf, weil sie nur noch an Kṛṣṇa dachten. Sich durch das Gefühl der Trennung von Kṛṣṇa ins Kṛṣṇa-Bewußtsein zu vertiefen, ist also der schnellste Weg, die Lotosfüße Kṛṣṇas zu erreichen. Durch Kṛṣṇas persönliche Erklärung wurden die gopīs von der Macht der Trennungsgefühle überzeugt. Sie hatten im Grunde wirkliche Erfahrung von dieser übernatürlichen Verehrungsmethode, und als sie sich nun dessen bewußt wurden, waren sie sehr froh und erleichtert. Sie begannen wie folgt zu sprechen: »Wir haben gehört, daß Kaṁsa, der der Yadu-Dynastie ständig Schwierigkeiten bereitete, nun endlich getötet worden ist. Das ist eine gute Nachricht, und wir hoffen, daß die Angehörigen der Yadu-Dynastie sehr glücklich sind, mit Kṛṣṇa zusammenzusein, der alle Wünsche Seiner Geweihten erfüllt. Lieber Uddhava, bitte sage uns, ob Kṛṣṇa noch manchmal an uns denkt, während Er Sich inmitten erleuchteter Gesellschaftsmädchen in Mathurā vergnügt. Uns ist bekannt, daß die Damen und Mädchen von Mathurā keine einfachen Dorffrauen sind. Sie sind alle sehr gebildet und zudem von unvergleichlicher Schönheit. Ihre scheuen lächelnden Blicke und ihre anderen weiblichen Reize müssen Kṛṣṇa sehr gefallen. Wir wissen nur zu gut, daß Kṛṣṇa eine Vorliebe für schöne Frauen hat. Sicherlich haben Ihn die Frauen von Mathurā in der Zwischenzeit betört. Lieber Uddhava, bitte verrate uns, ob sich Kṛṣṇa, umgeben von anderen Frauen, noch manchmal an uns erinnert.« Eine andere gopī fragte: »Erinnert Er Sich noch an jene Mondnacht inmitten der kumadini-Blumen, als Vṛndāvana so unsagbar schön wurde? Kṛṣṇa tanzte mit uns, und die Luft war von dem Klingeln der Flußglöckchen erfüllt. Wir tauschten zärtliche Worte aus. Erinnert Er Sich noch an jene Nacht? Wir jedenfalls denken oft an sie, und dann überkommen uns Gefühle der Trennung von Ihm. Der Trennungsschmerz bewegt uns so sehr, daß uns ist, als brenne Feuer in unseren Körpern. Er wollte nach Vṛndāvana zurückkommen, um dieses Feuer zu löschen, wie eine Wolke am Himmel aufzieht, um mit ihrem niederströmenden Regen einen Waldbrand zu löschen.« Eine andere gopī sagte: »Kṛṣṇa hat Kaṁsa, Seinen Feind, besiegt und so das Königreich gewonnen. Vielleicht ist Er inzwischen schon mit einer Königstochter verheiratet und lebt vergnügt umgeben von Verwandten und Freunden. Was könnte Ihn also noch zu unserem Dorf Vṛndāvana ziehen?« Eine andere gopī sagte: »Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott, der Gemahl der Glücksgöttin, und Er ist in Sich Selbst zufrieden. Er hat weder mit uns, den Mädchen im Vṛndāvana-Wald, noch mit den Mädchen in der Stadt Mathurā etwas zu schaffen. Er ist die erhabene Überseele, und Er hat mit niemandem von uns etwas zu tun – seien wir von hier oder von dort.« Wieder eine andere gopī sagte: »Es ist eine unsinnige Hoffnung zu erwarten, daß Kṛṣṇa jemals nach Vṛndāvana zurückkehrt. Wir sollten statt dessen versuchen, in unserer Enttäuschung glücklich zu sein. Selbst die bekannte Dirne Piṅgāla sagte einmal, Enttäuschung sei die höchste Freude. Doch obwohl wir all diese Dinge wissen, fällt es uns sehr schwer, die Hoffnung aufzugeben, Kṛṣṇa komme wieder zu uns zurück. Wer könnte auch jemals ein vertrauliches Gespräch mit Kṛṣṇa vergessen, an dessen Brust die Glücksgöttin immer bleibt, obgleich Kṛṣṇa nicht nach ihr begehrt? Mein lieber Uddhava, Vṛndāvana ist das Land der Flüsse, Wälder und Kühe. Hier ist die Schwingung der Flöte zu hören, und hier erfreute Sich Kṛṣṇa mit Seinem älteren Bruder Balarāma in unserer Gemeinschaft an der Landschaft. Daher erinnert uns das Land von Vṛndāvana ständig an Kṛṣṇa und Balarāma. Die Abdrücke Seiner Füße sind auf dem Land, das der Wohnort der Glücksgöttin ist, noch zu sehen, doch auch diese Spuren können uns nicht helfen, Kṛṣṇa wiederzubekommen.« Die gopīs erklärten weiter, daß Vṛndāvana immer noch voll Wohlstand und Glück sei; was materielle Notwendigkeiten angeht, so bestand kein Mangel oder Bedarf in Vṛndāvana, doch trotz dieses Wohlstandes konnten sie Kṛṣṇa und Balarāma nicht vergessen. »Wir denken ständig an die vielen zauberhaften Merkmale Kṛṣṇas, wie zum Beispiel Seine Art zu gehen, Sein Lächeln und Seine scherzenden Worte. Wir beten stets zu Ihm, indem wir rufen: ›Lieber Herr, lieber Gemahl der Glücksgöttin, lieber Herr von Vṛndāvana und Erlöser Deiner leidenden Geweihten! Wir sind in einen Ozean des Leids gefallen und darin versunken. Bitte komm deshalb nach Vṛndāvana und rette uns aus dieser bemitleidenswerten Lage.‹ « Uddhava studierte eingehend den transzendentalen, außerordentlichen Zustand der gopīs in ihrer Trennung von Kṛṣṇa, und so hielt er es für das beste, ihnen immer wieder von den transzendentalen Spielen Śrī Kṛṣṇas zu erzählen. Die Materialisten brennen ständig im lodernden Feuer der materiellen Leiden. Die gopīs brannten auch – doch in einem transzendentalen lodernden Feuer, das durch die Trennung von Kṛṣṇa entfacht worden war. Das lodernde Feuer, das den gopīs zusetzte, ist verschieden vom Feuer der materiellen Welt, denn die gopīs sehnten sich ständig nach Kṛṣṇa, wohingegen der Materialist materielle Annehmlichkeiten genießen will. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura erklärt, daß Kṛṣṇa einst Seine Hirtenfreunde innerhalb einer Sekunde vor einem lodernden Waldbrand rettete, während diese ihre Augen geschlossen hielten. So gab auch Uddhava den gopīs den Rat, einfach die Augen zu schließen und über die Spiele Kṛṣṇas, die sie gesehen hatten, seit sie mit Ihm zusammen waren, zu meditieren, um aus dem Feuer der Trennung gerettet zu werden. Von außen konnten die gopīs sich Kṛṣṇas Spiele vergegenwärtigen, indem sie Uddhavas Erzählungen zuhörten, und innerlich, indem sie sich an diese Spiele erinnerten. Den Erklärungen Uddhavas konnten die gopīs entnehmen, daß Kṛṣṇa nicht von ihnen getrennt war. Und so wie sie fortwährend an Kṛṣṇa dachten, dachte auch Kṛṣṇa in Mathurā ständig an sie. Uddhavas Botschaft und Unterweisungen retteten die gopīs vor dem unmittelbaren Tod, und sie wußten diese Segnung Uddhavas zu schätzen. Uddhava handelte praktisch als unterweisender geistiger Meister der gopīs, und dafür verehrten sie Ihn wie Kṛṣṇa. In den maßgeblichen Schriften wird empfohlen, den geistigen Meister in gleicher Weise wie den Höchsten Persönlichen Gott zu verehren, denn er ist der vertrauliche Diener des Herrn, und von großen Autoritäten wird bestätigt, daß der geistige Meister die äußere Manifestation Kṛṣṇas ist. Die gopīs wurden durch die Erkenntnis, daß Kṛṣṇa immer bei ihnen war, von ihrem transzendentalen Brennen erlöst. Innerlich erinnerten sie sich in ihren Herzen an die Zeit, als sie mit Kṛṣṇa zusammengewesen waren, und von außen half ihnen Uddhava durch seine abschließenden Unterweisungen, Kṛṣṇa wahrzunehmen. Der Höchste Persönliche Gott wird in den vedischen Schriften als adhokṣaja beschrieben, was bedeutet, daß Er für materielle Sinne nicht wahrnehmbar ist. Doch obwohl Er Sich jenseits der materiellen Sinneswahrnehmung befindet, weilt Er im Herzen jedes Lebewesens, und gleichzeitig ist Er auch durch Seinen alldurchdringenden Aspekt als Brahman allgegenwärtig. Wie im Śrimad-Bhāgavatam dargelegt wird, kann man alle drei Aspekte der Absoluten Wahrheit erkennen, nämlich Bhagavān, den Höchsten Persönlichen Gott, Paramātma, die lokalisierte Überseele und das alldurchdringende Brahman, indem man einfach das Verhalten der gopīs bei ihrer Begegnung mit Uddhava studiert. Śrīnivāsa Ācārya erklärt, daß die sechs Gosvāmīs ständig in Gedanken an das Tun der gopīs vertieft waren. Auch Śrī Caitanya Mahāprabhu empfahl die Art und Weise, wie die gopīs den Höchsten Persönlichen Gott verehren, als vortrefflich. Und Śrīla Śukadeva Gosvāmī versicherte, daß jeder, der von der richtigen Quelle über die Beziehung der gopīs zu Kṛṣṇa hört und die Unterweisungen befolgt, die in diesem Zusammenhang gegeben werden, zur höchsten Stufe des hingebungsvollen Dienens erhoben werden und die Lust nach materiellem Genießen aufgeben kann. Die gopīs wurden durch Uddhavas Unterweisungen getröstet, und sie baten ihn, noch einige Tage länger in Vṛndāvana zu bleiben. Uddhava nahm ihre Bitte an und blieb nicht nur für ein paar Tage, sondern einige Monate lang bei ihnen. Er ließ sie ständig an die transzendentale Botschaft des Herrn und Seine Spiele denken, und die gopīs hatten das Gefühl, direkt mit Kṛṣṇa zusammenzusein. Während Uddhavas Aufenthalt in Vṛndāvana freuten sich alle Einwohner an seiner Anwesenheit. Die Tage, die sie damit zubrachten, über Kṛṣṇas transzendentale Taten zu sprechen, verstrichen ihnen wie Augenblicke. Vṛndāvanas natürliche Umgebung, die Nähe des Flusses Yamunā, die hübschen Obstgärten, in denen Bäume mit allerlei Früchten wuchsen, der Govardhana-Hügel, die Höhlen und die blühenden Blumen – all dies regte Uddhava dazu an, von Kṛṣṇas transzendentalen Spielen zu erzählen. Und die Bewohner von Vṛndāvana genossen Uddhavas Anwesenheit so wie sonst die Gesellschaft Kṛṣṇas. Uddhava war von der Gesinnung der gopīs sehr beeindruckt, die ganz und gar an Kṛṣṇa hafteten, und auch er war von ihrer Sehnsucht nach Kṛṣṇa inspiriert. Er pflegte ihnen seine achtungsvollen Ehrerbietungen darzubringen und verfaßte Lieder, die ihre transzendentalen Eigenschaften priesen. Eines dieser Lieder lautete: »Von allen Wesen, die die menschliche Form des Lebens angenommen haben, haben die gopīs in einzigartiger Vollkommenheit die Bestimmung des Lebens erfüllt; ihre Gedanken sind gänzlich bei den Lotosfüßen Śrī Kṛṣṇas. Auch die großen Weisen und Heiligen versuchen, sich in Meditation über die Lotosfüße Kṛṣṇas zu versenken, der auch Mukunda genannt wird, derjenige, der Befreiung gewährt, doch die gopīs, die den Herrn lieben, meditieren ganz selbstverständlich über Ihn, ohne auf irgendeinen yoga-Vorgang angewiesen zu sein. Folgerichtig braucht jemand, der die Stufe der gopīs erreicht hat, nicht mehr als Brahmā oder in einer brāhmaṇa-Familie geboren oder als brāhmaṇa eingeweiht zu werden.« Śrī Uddhava bestätigte damit Kṛṣṇas Aussage in der Bhagavad-gītā: »Jeder, der mit dem richtigen Vorsatz bei Mir Zuflucht sucht, wird das höchste Ziel des Lebens erreichen – selbst wenn er nur ein śūdra oder von noch niedrigerer Herkunft ist.« Die gopīs geben der ganzen Welt das vollkommene Beispiel der Hingabe. Wenn man ihrem Vorbild folgt, indem man ständig an Kṛṣṇa denkt, kann man die höchste Stufe des spirituellen Lebens erreichen. Die gopīs wurden nicht in vornehmen Familien geboren – im Gegenteil, sie waren Töchter von Kuhhirten; aber dennoch entwickelten sie die höchste Liebe zu Kṛṣṇa. Zur Selbstverwirklichung oder zur Gotterkenntnis ist es also nicht notwendig, in einer hohen Familie geboren zu sein. Die einzige Notwendigkeit ist die ekstatische Entwicklung von Liebe zu Gott. Um die Vollkommenheit im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erlangen, bedarf es keiner anderen Qualifizierung, als ständig in Kṛṣṇas liebevollem Dienst tätig zu sein. Kṛṣṇa ist der höchste Nektar, die Quelle aller Freude. Wenn man sich daher dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet, ist es so, als trinke man Nektar: es wirkt, ob man davon weiß oder nicht. Das aktive Prinzip des Kṛṣṇa-Bewußtseins wird sich überall manifestieren, gleichgültig, wie und wo man Geburt genommen hat. Kṛṣṇa wird ohne Zweifel jedem, der sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zugewandt hat, Seine Segnungen erteilen. Die gopīs z. B. erhielten, obwohl sie nur in Familien von Kuhhirten geboren waren, die höchste Segnung, wie sie selbst die Glücksgöttin niemals erlangen konnte, ganz zu schweigen von den Bewohnern des Himmels, die lotosgleiche Körper haben. Das Glück der gopīs war so groß, daß Kṛṣṇa sie persönlich während des rāsa-Tanzes umarmte und sie küßte – Angesicht zu Angesicht. Solch etwas zu erlangen ist mit Sicherheit keinen anderen Frauen innerhalb der drei Welten möglich. Uddhava wußte die hohe Stufe der gopīs zu würdigen und wünschte, vor ihnen niederzufallen und sich den Staub von ihren Lotosfüßen über sein Haupt zu streuen. Er wagte jedoch nicht, die gopīs um den Staub von ihren Füßen zu bitten, denn er befürchtete, daß ihnen dies möglicherweise nicht angenehm sei. Vielmehr beschloß er, seinen Kopf ohne das Wissen der gopīs mit dem Staub von ihren Füßen einzureiben, und daher wünschte sich Uddhava, ein unbedeutender Grashalm oder irgendein Kraut im Land von Vṛndāvana zu werden. Die gopīs fühlten sich so sehr zu Kṛṣṇa hingezogen, daß sie, wenn sie den Klang Seiner Flöte vernahmen, augenblicklich ihre Familien und Kinder verließen, und sogar Ehre und weibliche Befangenheit vergaßen, um sofort zu der Stelle zu eilen, an der Kṛṣṇa wartete. Sie achteten nicht einmal darauf, ob sie auf dem Fußweg oder durch den Dschungel liefen. Unbemerkt wurden dabei die kleinen Gräser und Sträucher von Vṛndāvana mit dem Staub von ihren Füßen gesegnet. Weil Uddhava sich nicht traute, sich den Staub von den Füßen der gopīs auf den Kopf zu streuen, sehnte er sich danach, später einmal im Körper eines Grashalms oder Strauches in Vṛndāvana geboren zu werden. Dann, so hoffte er, würde er den Staub von den Füßen der gopīs erlangen können. Uddhava wußte das außerordentliche Glück der gopīs zu schätzen, welche sich von allen materiellen Verunreinigungen befreit hatten, indem sie die Lotosfüße Kṛṣṇas auf ihre hohen, schönen Brüste setzten; diese Lotosfüße werden nicht nur von der Glücksgöttin, sondern auch von solch hochgestellten Persönlichkeiten wie Brahmā und Śiva verehrt. Uddhava nun wünschte sich, fortwährend darum beten zu können, mit dem Staub von den Lotosfüßen der gopīs gesegnet zu werden. Die Gesänge und Gespräche der gopīs über die transzendentalen Taten Śrī Kṛṣṇas sind überall in den drei Welten berühmt geworden. Nachdem Uddhava eine Zeitlang in Vṛndāvana verbracht hatte, begehrte er, wieder zu Kṛṣṇa zurückzukehren, und so bat er Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā um Erlaubnis, sie zu verlassen. Anschließend traf er sich noch einmal mit den gopīs, und nachdem er auch sie um ihr Einverständnis gebeten hatte, bestieg er seinen Wagen, um nach Mathurā zu fahren. Gerade, als Uddhava abfahren wollte, erschienen noch einmal alle Bewohner von Vṛndāvana, allen voran Mahārāja Nanda und Yaśodā, um ihm Lebewohl zu sagen, und sie beschenkten ihn mit verschiedenen Kostbarkeiten, wie man sie nur in Vṛndāvana findet. In ihrer tiefen Zuneigung für Kṛṣṇa standen ihnen Tränen in den Augen, während sie ihre Gefühle zum Ausdruck brachten. Sie alle baten Uddhava um seinen Segen. Sie wollten sich immer an die glorreichen Taten Kṛṣṇas erinnern können; sie wünschten sich, daß ihr Geist immer auf die Lotosfüße Kṛṣṇas gerichtet sein möge, daß ihre Worte immer damit beschäftigt sein mögen, Kṛṣṇa zu preisen, und daß ihre Körper sich immer wieder vor Ihm niederbeugen möchten. Vor allem aber wollten sie ständig in Erinnerungen an Ihn vertieft sein. So zu beten wie die Bewohner von Vṛndāvana stellt die vortrefflichste Art der Selbstverwirklichung dar. Die Methode ist sehr einfach: den Geist ständig auf Kṛṣṇas Lotosfüße zu richten, ständig über Kṛṣṇa zu sprechen, ohne auf ein anderes Thema abzuschweifen und den Körper ständig in Kṛṣṇas Dienst zu beschäftigen. Besonders in der menschlichen Form soll man sein ganzes Leben, seine Kräfte, Seine Worte und Seine Intelligenz in den Dienst des Herrn stellen. Nur auf diese Weise kann der Mensch zur höchsten Ebene der Vollkommenheit erhoben werden, was von allen Autoritäten bestätigt wird. Die Bewohner von Vṛndāvana sagten: »Es kümmert uns nicht, wo wir durch den Willen der höchsten Autorität und gemäß unseren Taten künftig geboren werden. Das einzige, wofür wir beten, ist nur noch im Kṛṣṇa-Bewußtsein tätig sein zu dürfen. Ein reiner Gottgeweihter begehrt nie, zu den himmlischen Planeten zu gelangen; nicht einmal nach Vaikuṇṭha oder Goloka Vṛndāvana wünscht er sich zu kommen, denn er hat kein Verlangen nach eigener Zufriedenstellung. Ein reiner Gottgeweihter sieht keinen Unterschied zwischen Himmel und Hölle. Ohne Kṛṣṇa ist der Himmel die Hölle, und mit Kṛṣṇa ist die Hölle der Himmel. Nachdem Uddhava also die Verehrung Kṛṣṇas an den reinen Gottgeweihten ausgiebig bewundert hatte, kehrte er zurück nach Mathurā, zu seinem Meister, Kṛṣṇa. Bei seiner Ankunft brachte er Śrī Kṛṣṇa und Balarāma als erstes seine achtungsvollen Ehrerbietungen dar, indem er sich vor Ihnen verbeugte, und erzählte dann von der wundervollen Hingabe der Bewohner Vṛndāvanas. Anschließend überreichte er Vasudeva, dem Vater, und Ugrasena, dem Großvater Kṛṣṇas, die Geschenke der Bewohner von Vṛndāvana. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 46. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇas Botschaft an die gopīs«. 47. KAPITEL Kṛṣṇa erfreut Seine Geweihten Kṛṣṇa hörte Uddhava tagelang zu, wie dieser Ihm in allen Einzelheiten von seinem Besuch in Vṛndāvana erzählte und Ihm schilderte, wie es Seinem Vater, Seiner Mutter, den gopīs und den Kuhhirtenjungen ging. Er war wirklich froh, daß es Uddhava gelungen war, sie mit Seinen Unterweisungen und Seiner Botschaft zu trösten. Alsdann beschloß Kṛṣṇa, Kubjā zu besuchen, die ehemals Bucklige, die Ihn, als Er zum ersten Mal durch Mathurā gegangen war, mit ein wenig Sandelholz erfreut hatte. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, ist Kṛṣṇa stets darum bemüht, Seine Geweihten zu erfreuen, und die Gottgeweihten wiederum versuchen, Kṛṣṇa zu erfreuen. So wie die Gottgeweihten ständig in ihrem Herzen an Kṛṣṇa denken, denkt auch Kṛṣṇa im Innern stets an Seine Geweihten. Als Kubjā in ein bezauberndes Gesellschaftsmädchen umgewandelt war, wünschte sie sich, daß Kṛṣṇa sie einmal in ihrem Haus besuche, damit sie Ihn auf ihre Art empfangen und verehren könne. Gewöhnlich bemühen sich Gesellschaftsmädchen, ihre Besucher zu befriedigen, indem sie ihnen ihre Körper zum Genuß bieten. Kubjā nun war selbst voll Begierde danach, ihre Sinne mit Kṛṣṇa zufriedenzustellen. Kṛṣṇa hatte, als Er zu Kubjās Haus gehen wollte, zweifellos kein Verlangen nach Sinnenbefriedigung. Kubjā hatte Seine Sinne bereits zufriedengestellt, als sie Ihm die Sandelholzpaste verehrte. Er beschloß, zu ihr zu gehen - scheinbar, um ihre Sinnenlust zu stillen; in Wirklichkeit aber kam Er nicht der Sinnenbefriedigung wegen, sondern um das Mädchen zu einer reinen Gottgeweihten zu machen. Kṛṣṇa wird stets von Tausenden von Glücksgöttinnen verehrt, und daher braucht Er nicht um der Sinnenlust willen zu einem Gesellschaftsmädchen zu gehen. Nur weil Er der gütige Freund aller Lebewesen ist, beschloß er, Kubjā aufzusuchen. Man sagt, der Mond scheine sogar auf den Hof eines Halunken. Ebenso wird Kṛṣṇas transzendentale Barmherzigkeit niemandem vorenthalten, ob man Ihm aus Lust, Ärger, Furcht oder in reiner Liebe dient. Im Śrī Caitanya-caritāmṛta heißt es: »Wenn jemand Kṛṣṇa dienen, aber zugleich sein eigenes lüsternes Wünschen erfüllen möchte, richtet Kṛṣṇa es so ein, daß der Gottgeweihte seine aus Lust entstandenen Wünsche vergißt, völlig gereinigt wird und sich gänzlich im Dienst des Herrn beschäftigt.« Um Sein Versprechen zu erfüllen, begab Sich Kṛṣṇa also zusammen mit Uddhava zum Hause Kubjās. Als Er dort ankam, sah Er, daß die ganze Einrichtung des Hauses auf die Erweckung lüsternen männlichen Verlangens abgestimmt war. Es hingen viele Aktbilder an den Wänden, die mit Perlenschnüren bestickte Baldachine und Fähnchen schmückten, und überall standen bequeme Liegen und gepolsterte Stühle. Die Räume waren mit Blumengirlanden geschmückt und mit dem Duft von Räucherkerzen erfüllt; überall war parfümiertes Wasser versprengt worden, und die Zimmer waren von hübschen Lampen hell erleuchtet. Als Kubjā sah, daß Śrī Kṛṣṇa zu ihr gekommen war, um sie wie versprochen zu besuchen, erhob sie sich sogleich aus ihrem Sessel, um Ihn zu empfangen. Umgeben von ihren vielen Freundinnen, begann sie, sich mit großer Ehrerbietigkeit mit Ihm zu unterhalten. Nachdem Kubjā Ihm einen bequemen Platz zum Sitzen angeboten hatte, verehrte sie Śrī Kṛṣṇa, wie es ihrer Stellung entsprach. Uddhava wurde von Kubjā und ihren Freundinnen in gleicher Weise empfangen, doch da er sich nicht auf der gleichen Stufe wie Kṛṣṇa befand, ließ er sich einfach auf dem Boden nieder. Ohne viel Zeit zu verschwenden, wie es sonst bei solchen Anlässen üblich ist, begab Sich Kṛṣṇa sogleich in das Schlafgemach Kubjās. Unterdessen nahm Kubjā ein Bad und rieb ihren Körper mit Sandelholzsalbe ein. Sie legte ihre schönsten Gewänder an und schmückte sich mit kostbaren Edelsteinen, mit Geschmeide und Blumenketten. Nachdem sie sich noch mit Duftöl eingesprüht hatte, erschien sie schließlich, Betelnüsse und andere Anregungsmittel kauend, vor Kṛṣṇa. Ihr lieblicher Blick und ihre unsteten Augen waren voll weiblicher Scheu, als sie anmutig vor Śrī Kṛṣṇa stand, der auch als Mādhava, der Gemahl der Glücksgöttin, bekannt ist. Als Kṛṣṇa sah, daß Kubjā zögerte, zu Ihm zu kommen, ergriff Er sie bei ihrer reich mit Armreifen geschmückten Hand und zog sie mit großer Zuneigung zu Sich heran, so daß sie sich neben Ihn setzen mußte. Einfach, weil Kubjā dem Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, einmal Sandelholzpaste angeboten hatte, wurde sie von allen sündhaften Reaktionen befreit und erhielt nun die Möglichkeit, Seine Gegenwart zu genießen. Sie nahm Kṛṣṇas Lotosfüße und setzte sie auf ihre Brüste, die im lodernden Feuer der Lust brannten, und als sie den Duft von Kṛṣṇas Lotosfüßen atmete, wurde sie sofort von allen lüsternen Wünschen befreit. Es war ihr auch noch vergönnt, Kṛṣṇa in die Arme zu schließen, und so ging ihr langgehegter Wunsch, Kṛṣṇa als Besucher in ihrem Haus zu empfangen, in Erfüllung. In der Bhagavad-gītā wird erklärt, daß man nicht im transzendentalen hingebungsvollen Dienst für den Herrn tätig sein kann, ohne von allen materiellen, sündigen Reaktionen befreit zu sein. Nur weil Kubjā Kṛṣṇa einmal Sandelholzpaste geschenkt hatte, wurde sie so hoch belohnt. Sie wußte Kṛṣṇa nicht auf andere Weise zu verehren, und deshalb wollte sie Ihm durch ihren Beruf dienen. In der Bhagavad-gītā wird dazu erklärt, daß man den Herrn auch mit seinem Beruf verehren kann, wenn dies ernsthaft und zu Seiner Freude getan wird. Schließlich sagte Kubjā zu Kṛṣṇa: »Lieber Freund, bitte bleib zumindest noch ein paar Tage bei mir. Vergnügt euch mit mir, Du und Dein lotosäugiger Freund. Du kannst mich unmöglich jetzt gleich wieder verlassen. Ich bitte Dich, erfülle mir diesen Wunsch.« Wie die vedischen Schriften sagen, besitzt der Höchste Persönliche Gott unzählige Energien. Nach der Aussage maßgeblicher Persönlichkeiten repräsentiert Kubjā, ähnlich wie Śrīmatī Rādhārāṇī die cit-śakti-Kraft repräsentiert, die puruṣa-śakti-Kraft. Obwohl Kubjā Kṛṣṇa inständig bat, noch einige Tage mit ihr zusammenzubleiben, machte der Herr ihr sehr behutsam klar, daß es Ihm nicht möglich sei, ihre Einladung anzunehmen. Kṛṣṇa besucht diese materielle Welt nur gelegentlich, doch Seine Verbundenheit mit der spirituellen Welt ist ewig. Dort ist Er immer anwesend – entweder auf den Vaikuṇṭha-Planeten oder auf dem Planeten Goloka Vṛndāvana. Die Bezeichnung für Seine Anwesenheit in der spirituellen Welt lautet prakaṭa-līlā. Nachdem Kṛṣṇa Kubjā mit süßen Worten zufriedengestellt hatte, kehrte Er mit Uddhava zu Seiner Residenz zurück. Im Śrimad-Bhāgavatam wird warnend darauf hingewiesen, daß es nicht sehr leicht ist, Kṛṣṇa zu verehren, denn Er ist der Höchste Persönliche Gott, das Oberhaupt der Viṣṇu-tattvas. Kṛṣṇa zu verehren oder sich in Seiner Gesellschaft aufzuhalten ist keine einfache Sache. Ganz besonders für Gottgeweihte, die sich durch eine innige Liebesbeziehung zu Kṛṣṇa hingezogen fühlen, gilt diese Warnung; sie sollten sich niemals Befriedigung der Sinne durch direkte Gesellschaft mit Kṛṣṇa wünschen. Handlungen zur Befriedigung der Sinne sind materieller Art. In der spirituellen Welt gibt es zwar auch Küsse und Umarmungen, doch es gibt dort keine Sinnenbefriedigung, wie sie in der materiellen Welt besteht. Diese Warnung gilt ganz besonders für die sahajiyās, die bedenkenlos voraussetzen, Kṛṣṇa sei ein gewöhnliches menschliches Wesen. Sie wollen auf abartige Weise Sexualität mit Ihm genießen. In einer spirituellen Beziehung zu Kṛṣṇa ist die eigene Sinnenbefriedigung völlig unwichtig. Jeder, der eine Beziehung unnatürlicher Sinnenbefriedigung mit Kṛṣṇa aufnehmen will, muß als sehr unintelligent gelten. Seine Einstellung bedarf einer grundlegenden Wandlung. Nach einiger Zeit beschloß Kṛṣṇa auch, Sein Versprechen an Akrūra zu erfüllen und ihn bei sich zu Hause zu besuchen. Akrūras Beziehung zu Kṛṣṇa war die eines Dieners, und deshalb wollte Sich Kṛṣṇa ein wenig von ihm bedienen lassen. Mit dieser Absicht ging Er gemeinsam mit Balarāma und Uddhava zu Seinem Onkel. Als die drei zu Akrūras Haus gelangten, kam Akrūra ihnen schon entgegen, umarmte Uddhava und brachte Śrī Kṛṣṇa und Balarāma seine respektvollen Ehrerbietungen dar, indem er sich vor Ihnen verneigte. Nachdem Kṛṣṇa, Balarāma und Uddhava seine Ehrerbietungen erwidert hatten, bot Akrūra ihnen bequeme Sitzplätze an. Als seine Gäste saßen, wusch Akrūra ihre Füße und sprengte sich das Wasser über den Kopf. Dann opferte er ihnen Blumen und Sandelholzpaste, wobei er sie wie vorgeschrieben verehrte. Alle drei waren mit Akrūra sehr zufrieden, der sich dann nochmals vor Kṛṣṇa verneigte, wobei er den Boden mit dem Kopf berührte. Dann nahm er Kṛṣṇas Lotosfüße auf den Schoß und begann sie sanft zu massieren. Als Akrūra so in Kṛṣṇas und Balarāmas Gegenwart völlig selig war, füllten sich seine Augen mit Tränen der Liebe zu Kṛṣṇa, und er brachte Kṛṣṇa folgende Gebete dar: »Lieber Herr, es war sehr gütig von Dir, Kaṁsa und seine Helfer zu töten. Du hast damit die ganze Familie der Yadu-Dynastie aus größter Not befreit. Das wird sie Dir nie vergessen. Mein lieber Kṛṣṇa und Balarāma, Ihr seid die ursprüngliche Persönlichkeit, von der alles ausgegangen ist. Ihr seid die Ursache aller Ursachen. Ihr habt unvorstellbare Energien und Ihr seid alldurchdringend. Für Euch aber gibt es keine andere Ursache oder Wirkung, weder im Groben noch im Feinen. Ihr seid das Höchste Brahman, das durch das Studium der Veden erkannt wird. Durch Eure unvorstellbare Macht seid Ihr uns nun tatsächlich sichtbar. Ihr erschafft die kosmische Manifestation durch Eure Kräfte und begebt Euch dann Selbst in sie hinein. Wie sich die fünf materiellen Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Himmel in allem Manifestierten, in den verschiedenen Formen von Körpern, zeigen, so geht auch Ihr in die verschiedenen Körper ein, die Ihr durch Eure Energie geschaffen habt. Ihr geht in die Körper sowohl als individuelle Seele wie auch als unabhängige Überseele ein. Die Lebewesen, die individuellen Seelen, sind Eure Teile, und die Überseele ist Eure örtliche Erweiterung. Somit machen der materielle Körper, die lebende winzige Seele und die Überseele zusammen das individuelle Lebewesen aus, und all diese Faktoren sind verschiedene Energien des einen Höchsten Herrn. Ihr erschafft, erhaltet und vernichtet die ganze materielle Manifestation durch die Wechselwirkung der drei materiellen Erscheinungsweisen Güte, Leidenschaft und Unwissenheit. Doch Ihr werdet niemals in die Wirkungen dieser materiellen Eigenschaften verwickelt, weil Euer erhabenes Wissen niemals verdeckt wird, wie es bei den individuellen Lebewesen der Fall ist.« So wie der Höchste Herr in die materielle Schöpfung eingeht und als Folge Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung auf ihre Weise stattfinden, so geht auch das winzig kleine Lebewesen in die materiellen Elemente ein und läßt sich einen materiellen Körper schaffen. Der Unterschied zwischen dem Lebewesen und dem Herrn besteht darin, daß das Lebewesen ein winziges Teilchen des Höchsten ist und leicht von den Wirkungen der materiellen Erscheinungsweisen überwältigt werden kann, wohingegen Kṛṣṇa, der als Parambrahman, das Höchste Brahman, ständig in vollkommenem Wissen verankert ist, niemals von solchen Einflüssen berührt wird. Aus diesem Grund lautet ein Name Kṛṣṇas »Acyuta«, was soviel bedeutet wie »derjenige, der niemals fällt«. Kṛṣṇas Wissen von Seiner spirituellen Identität wird niemals durch materielle Einflüsse verdeckt, wohingegen die Identität des winzigen Teilchens, des Lebewesens, Gefahr läuft, von materiellen Einflüssen verdeckt zu werden. Die individuellen Lebewesen sind auf ewig Teile Gottes. Als winzige Funken des ursprünglichen »Feuers«, Kṛṣṇas, können sie »ausgelöscht« werden. Akrūra fuhr fort: »Die weniger intelligenten Menschen glauben fälschlich, Deine transzendentale Gestalt bestehe ebenfalls aus materieller Energie. Doch diese Vorstellung trifft in keiner Weise auf Dich zu. Du bist völlig spirituell, und es besteht kein Unterschied zwischen Dir Selbst und Deinem Körper. Daher kann man bei Dir weder von bedingtem noch von befreitem Zustand sprechen. Du bist unter allen Umständen ewig gänzlich frei. In der Bhagavad-gītā sagst Du: ›Nur die Dummköpfe und Schurken halten Mich für einen gewöhnlichen Menschen.‹ Dich, o Herr, als einen von uns, die wir von der materiellen Natur bedingt sind, anzusehen, ist ein Fehler, der auf unvollkommenes Wissen zurückzuführen ist. Wenn die Menschen sich von dem ursprünglichen Wissen der Veden abwenden, glauben sie, das gewöhnliche Lebewesen sei mit Dir, o Herr, identisch. Du bist nun in Deiner ursprünglichen Gestalt auf der Erde erschienen, um das wahre Wissen wieder zu verkünden, daß die Lebewesen weder eins mit dem Höchsten Gott noch Ihm gleich sind. Lieber Herr, Du bist ewig in reiner Güte, śuddha-sattva, verankert. Dein Erscheinen ist notwendig, damit das wirkliche vedische Wissen wiedereingeführt wird, das sich grundlegend von der atheistischen Philosophie unterscheidet, die behauptet, Gott und die Lebewesen seien ein und dasselbe. Lieber Herr, diesmal bist Du zusammen mit Deiner vollständigen Erweiterung Śrī Balarāma im Hause Vasudevas als dessen Sohn erschienen. Es ist Deine Mission, alle atheistischen Königsfamilien und ihre gewaltigen Streitheere zu vernichten. Du bist erschienen, um die Welt von ihrer Last zu befreien, und um diese Mission zu erfüllen, hast Du die Yadu-Dynastie geheiligt. Ich selbst bin zum glücklichsten Menschen der Welt geworden. Der Höchste Persönliche Gott, der es wert ist, von allen Halbgöttern, den Pitṛs, den gewöhnlichen Lebewesen und den Königen und Kaisern verehrt zu werden, und der die Überseele in allem ist, ist nun in mein Haus gekommen. Das Wasser von Seinen Lotosfüßen reinigt die drei Welten, und nun besucht Er mich in Seiner Güte persönlich. Gibt es unter den wirklich wissenden Menschen innerhalb der drei Welten auch nur einen, der nicht bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht suchen und sich Dir hingeben wollte? Wie könnte jemand, der weiß, daß niemand so liebevoll sein kann, wie Du es zu Deinen Geweihten bist, so töricht sein, es abzulehnen, Dein Geweihter zu werden? Überall in den vedischen Schriften wird erklärt, daß Du der beste Freund jedes Lebewesen bist. Auch in der Bhagavad-gītā wird dies bestätigt. Es heißt dort: suhṛdaṁ sarva-bhūtānām. Du, der Höchste Persönliche Gott, kannst ohne weiteres alle Wünsche Deiner Geweihten erfüllen. Du bist der wirkliche Freund eines jeden, und obwohl Du Dich Selbst Deinen Geweihten gibst, verlierst Du niemals von Deiner ursprünglichen Macht. Deine Macht verringert sich nie, noch nimmt sie an Umfang zu. Mein lieber Herr, es fällt selbst den großen yoga-Mystikern und Halbgöttern sehr schwer, Dein Wirken zu ermessen. Obgleich sie sich Dir niemals nähern können, hast Du Dich gütigerweise dazu herabgelassen, mein Haus zu besuchen. Dies ist zweifellos der glücklichste Augenblick auf meiner Reise durch das materielle Dasein. Nur durch Deine Gnade kann ich endlich verstehen, daß mein Zuhause, meine Frau, meine Kinder und all mein weltlicher Besitz nichts als Ketten sind, die mich an die materielle Existenz schmieden. Bitte durchtrenne den Knoten dieser Verbindungen und rette mich aus der Verstrickung mit falscher Gesellschaft, Freundschaft und Liebe.« Śrī Kṛṣṇa freute Sich sehr über Akrūras Gebete, und Sein Lächeln bezauberte Akrūra immer mehr. Schließlich sprach der Herr folgende Worte: »Mein lieber Akrūra, trotz deiner Ergebenheit betrachte Ich dich, der du dich auf der gleichen Ebene wie Mein Vater und Mein Lehrer befindest, und der du Mein wohlwollender Freund bist, als einen Höherstehenden als Mich. Dir gebührt es daher, von Mir verehrt zu werden, und da du Mein Onkel bist, muß Ich immer auf deinen Schutz vertrauen können. Ich möchte, daß du für Mich sorgst, denn Ich bin gewissermaßen eines deiner Kinder. Selbst wenn man von deiner elterlichen Beziehung zu Mir absieht, gebührt es dir, immer verehrt zu werden. Jeder, der glücklich sein will, muß Persönlichkeiten wie dir seine achtungsvollen Ehrerbietungen darbringen, denn du befindest dich auf einer noch viel höheren Stufe als die Halbgötter. Die Menschen verehren die Halbgötter, wenn sie nach Befriedigung der Sinne trachten, und die Halbgötter können ihren Geweihten nur dann Segnungen zukommen lassen, wenn sie von ihnen verehrt worden sind. Aber ein Gottgeweihter wie du, Akrūra, ist immer bereit, den Menschen die größte Segnung zu gewähren. Ein Heiliger oder Gottgeweihter hat die Freiheit, jeden zu segnen, wohingegen die Halbgötter nur dann eine Gunst erteilen können, wenn sie zuvor verehrt worden sind, ebenso wie man nur dann Nutzen von einem Pilgerort erfahren kann, wenn man ihn besucht. Wenn man einen Halbgott verehrt, um eine bestimmte Segnung von ihm zu erhalten, dauert es eine lange Zeit, bis man seinen Wunsch erfüllt bekommt, doch Heilige wie du, mein lieber Akrūra, können sofort alle Wünsche der Gottgeweihten erfüllen. Du bist immer Unser Freund und Gönner. Du bist immer bereit, für Unser Wohlergehen zu handeln. Sei daher bitte so gütig und geh nach Hastināpura, und erkundige dich dort, was man mit den Pāṇḍavas vorhat.« Kṛṣṇa war sehr daran gelegen, etwas über das Schicksal der Söhne Pāṇḍus zu erfahren, denn diese hatten schon sehr früh ihren Vater verloren. Da Kṛṣṇa zu Seinen Geweihten sehr gütig ist, verlangte Ihn danach zu erfahren, wie es ihnen ging, und so beauftragte Er Akrūra, nach Hastināpura zu gehen und sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Kṛṣṇa sagte weiter: »Ich habe gehört, daß Yudhiṣṭira, Bhīma, Arjuna, Nakula und Sahadeva, die jungen Söhne Pāṇḍus, zusammen mit ihrer verwitweten Mutter nach dem Tod des Königs der Obhut ihres Onkels Dhṛtarāṣṭra anvertraut wurden, der über ihr Wohlergehen wachen soll. Doch leider ist Mir auch zu Ohren gekommen, daß Dhṛtarāṣṭra nicht nur körperlich, sondern auch in seiner Zuneigung zu seinem grausamen Sohn Duryodhana blind ist. Die fünf Pāṇḍavas sind zwar die Söhne König Pāṇḍus, des Bruders von Dhrtarāṣtra, doch Dhṛtarāṣṭra ist ihnen wegen seiner eigenen Pläne und Vorstellungen übelgesinnt. Bitte begib dich gütigerweise nach Hastināpura und beobachte, wie sich Dhṛtarāṣṭra gegenüber den Pāṇḍavas verhält. Wenn Ich dann deinen Bericht erhalten habe, werde Ich Mir überlegen, was Ich für die Pāṇḍavas tun kann.« Mit diesen Worten befahl der Höchste Persönliche Gott Kṛṣṇa Akrūra, nach Hastināpura zu fahren. Danach kehrte Er mit Balarāma und Uddhava nach Hause zurück. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 47. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa erfreut Seine Geweihten«. 48. KAPITEL Der heimtückische Dhṛtarāṣṭra Auf Befehl des Höchsten Persönlichen Gottes Ṣrī Kṛṣṇa reiste Akrūra also nach Hastināpura. Man sagt, daß Hastināpura dort lag, wo sich heute Neu-Delhi befindet. Viele sind sich darin einig, daß der Teil von Neu-Delhi, der heute als Indraprastha bekannt ist, ehemals die Hauptstadt der Pāṇḍavas war. Der Name Hastināpura deutet an, daß es dort viele hastīs, d. h. Elefanten, gab. Weil sich die Pāṇḍavas viele Elefanten in ihrer Hauptstadt hielten, nannte man diese also Hastināpura. Elefanten zu halten ist eine sehr kostspielige Angelegenheit, und daher muß ein Königreich, das viele Elefanten besitzt, sehr reich sein. Hastināpura nun war voller Elefanten, Pferde, Kutschen und anderer Schätze. Auch Akrūra fiel der außerordentliche Reichtum der Hauptstadt auf, als er dort eintraf. Die Könige von Hastināpura galten als die Herrscher über die ganze Welt. Ihr Ruhm war überall im Königreich verbreitet, und sie regierten mit Hilfe der Beratung erfahrener brāhmaṇas. Nachdem sich Akrūra die wohlhabende Stadt angesehen hatte, besuchte er König Dhṛtarāṣṭra, bei dem er auch Großvater Bhīṣma traf. Dann besuchte er Vidura und suchte daraufhin Viduras Schwester Kuntī auf und traf sich anschließend mit dem Sohn Somadattas, mit dem König von Bhālīka, mit Dronācārya, Kṛpācārya, Karṇa und Suyodhana, der auch Duryodhana genannt wird. Er besuchte sodann die fünf Pāṇḍava-Brüder und andere Freunde und Verwandte, die in der Stadt lebten. Akrūra war als Sohn der Gāndī bekannt, und daher war jeder, den er aufsuchte, sehr erfreut, ihn bei sich empfangen zu dürfen. Jedesmal wurde ihm zum Empfang ein bequemer Sitzplatz angeboten, worauf er sich eingehend nach dem Wohlergehen seiner Verwandten und anderen Angelegenheiten erkundigte. Da Akrūra von Śrī Kṛṣṇa beauftragt worden war, nach Hastināpura zu gehen, muß er viel Geschick in diplomatischen Missionen besessen haben. In diesem Fall hatte Dhṛtarāṣṭra nach dem Tod König Pāṇḍus, trotz der Gegenwart der eigentlichen Thronerben, nämlich der Söhne Pāṇḍus, unrechtmäßig den Thron besetzt. Akrūra nun wollte noch eine Zeitlang in Hastināpura verweilen, um die Lage eingehend zu erkunden. Er erkannte deutlich, daß der falsche Dhṛtarāṣṭra nur die Vorteile seiner eigenen Söhne im Sinn hatte. Dhṛtarāṣṭra hatte bereits das Königreich an sich gerissen, und nun plante und intrigierte er, um die fünf Pāṇḍava-Brüder aus dem Weg zu räumen. Akrūra wußte auch, daß die Söhne Dhṛtarāṣṭras, die von Duryodhana angeführt wurden, allesamt hartgesottene Politiker waren. Dhṛtarāṣṭra hielt sich nicht an die guten Anweisungen Bhīṣmas und Viduras, sondern ließ sich von den üblen Ratschlägen Karṇas, Śakunis und anderer Leute des gleichen Schlages führen. Akrūra beschloß somit, für einige Monate in Hastināpura zu bleiben, um die ganze politische Situation zu durchleuchten. Nach und nach erfuhr er von Kuntī und Vidura, daß Dhṛtarāṣṭra die fünf Pāṇḍava-Brüder sehr ungnädig behandelte, da er ihnen ihre außergewöhnliche Begabung in der Kriegskunst und ihre großen körperlichen Kräfte mißgönnte. Die Pāṇḍavas handelten wie kühne Helden, zeigten alle guten Eigenschaften der kṣatriyas und waren verantwortungsbewußte Prinzen, die immer an das Wohl der Bürger dachten. Akrūra kam auch zu Ohren, daß der neidische Dhṛtarāṣṭra im Einverständnis mit seinen unbesonnenen Söhnen versucht hatte, die Pāṇḍavas durch Gift umzubringen. Akrūra war ein Vetter Kuntīs, und als sie sich nun wiedersahen, fragte sie ihn daher nach ihren nahen Verwandten. Sie mußte dabei an ihren Heimatort denken und begann zu weinen. Sie fragte Akrūra, ob sich ihr Vater, ihre Mutter und ihre Brüder, Schwestern und andere Freunde daheim immer noch an sie erinnerten; ganz besonders aber erkundigte sie sich nach Kṛṣṇa und Balarāma, ihren wunderbaren Neffen: »Erinnert Sich Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, der Seinen Geweihten sehr zugetan ist, noch an meine Söhne? Denkt auch Balarāma manchmal an uns?« Insgeheim fühlte sich Kuntī wie ein Reh in der Gesellschaft von Tigern, und das zu recht. Nach dem Tode ihres Gatten Pāṇḍu mußte sie allein für ihre fünf Kinder sorgen, doch dies war sehr schwierig, denn Dhṛtarāṣṭra versuchte ständig, sie zu töten. Sie lebte tatsächlich wie ein armes unschuldiges Tier inmitten von Tigern. Doch als Gottgeweihte dachte sie immerzu an Kṛṣṇa und hoffte, Kṛṣṇa werde eines Tages kommen und sie aus ihrer gefährlichen Lage erretten. Daher fragte sie Akrūra, ob Kṛṣṇa beabsichtige, nach Hastināpura zu kommen, um den vaterlosen Pāṇḍavas zu sagen, wie sie sich vor den Machenschaften Dhṛtarāṣṭras und seiner Söhne schützen könnten. Während Kuntī mit Akrūra über diese Dinge sprach, wurde sie sich ihrer ganzen Hilflosigkeit bewußt, und so rief sie aus: »Lieber Kṛṣṇa, mein lieber Kṛṣṇa, Du bist der Höchste Mystiker, die Überseele des Universums, Du bist der wirkliche Freund und Gönner des ganzen Universums. Mein lieber Govinda, Du bist zwar zur Zeit weit von mir entfernt, dennoch bete ich zu Dir, mich Deinen Lotosfüßen hingeben zu dürfen. Im Augenblick mache ich mir um meine fünf vaterlosen Söhne große Sorgen. Ich weiß sehr wohl, daß es außer Deinen Lotosfüßen keine Zuflucht und keinen Schutz gibt. Deine Lotosfüße können alle leidenden Seelen erlösen, denn Du bist der Höchste Persönliche Gott. Nur durch Deine Barmherzigkeit kann man der Gewalt der sich ständig wiederholenden Geburten und Tode entkommen und in sicherem Schutz verbleiben. Lieber Kṛṣṇa, Du bist der Höchste Reine, die Überseele und der Meister aller yogīs. Doch was kann ich schon sagen? Ich kann Dir einfach nur meine achtungsvollen Ehrerbietungen darbringen. Bitte nimm mich als Deine Dir völlig ergebene Geweihte an.« Obwohl Kṛṣṇa nicht unmittelbar vor Kuntī stand, brachte sie Ihm ihre Gebete dar, als stehe Er direkt, Angesicht zu Angesicht, vor ihr. Dies ist jedem möglich, der dem Beispiel Kuntīs folgt. Kṛṣṇa braucht nicht überall physisch gegenwärtig zu sein. Im Grunde ist Er bereits durch Seine spirituelle Kraft überall anwesend, und man braucht sich Ihm nur aufrichtig hinzugeben. Als Kuntī in dieser Weise Kṛṣṇa voll Inbrunst ihre Gebete darbrachte, konnte sie sich nicht mehr beherrschen und begann vor Akrūra laut zu weinen. Auch Vidura war zugegen, und beide empfanden sie viel Mitgefühl für die Mutter der Pāṇḍavas. Sie trösteten Kuntī daher, indem sie ihre Söhne Yudhiṣṭhira, Bhīma und Arjuna rühmten, und deren außerordentliche Stärke hervorhoben; sie baten Kuntī, sich keine Sorgen um ihre Söhne zu machen, da sie von großen Halbgöttern, wie Yamarāja, Indra und Vāyu, abstammten. Schließlich beschloß Akrūra, nach Mathurā zurückzufahren und Kṛṣṇa zu berichten, in welch außergewöhnlichen Umständen er Kuntī und ihre fünf Söhne angetroffen hatte. Zuvor jedoch wollte er Dhṛtarāṣtra, der seine eigenen Söhne so sehr bevorzugte und die Pāṇdavas betrog, einen guten Rat erteilen. In Anwesenheit von Dhṛtarāṣtras Freunden und Verwandten und Königin Kuntī begann er zu dem König zu sprechen, indem er ihn mit »Vārcitravīrya« anredete. »Vārcitravīrya« bedeutet »der Sohn Vicitravīryas«. Vicitravīrya war der Name von Dhṛtarāṣṭras Vater, doch Dhṛtarāṣṭra war nicht von Vicitravīrya gezeugt worden, sondern von Vyāsadeva. Wenn nämlich in früheren Zeiten ein Mann nicht selbst ein Kind zeugen konnte, war es üblich, daß sein Bruder mit seiner Frau ein Kind zeugte. Im gegenwärtigen Zeitalter des Kali ist dieser Brauch verboten. Akrūra nannte Dhṛtarāṣṭra also spöttisch »Vārcitravīrya«, denn Dhṛtarāṣṭra wurde in Wirklichkeit nicht von seinem Vater gezeugt. Er war der Sohn Vyāsadevas. Wenn eine Frau von dem Bruder ihres Gatten ein Kind gebar, betrachtete der Ehemann es als sein eigenes, was aber natürlich nichts daran änderte, daß das Kind nicht vom Ehemann stammte. Akrūras spöttische Bemerkung sollte darauf hinweisen, daß Dhṛtarāṣṭra vom erbrechtlichen Standpunkt aus gesehen, den Thron unrechtmäßig für sich beanspruchte. In Wirklichkeit war der älteste Sohn Pāṇḍus der rechtmäßige König, und deshalb hätte Dhṛtarāṣṭra in Anwesenheit der Pāṇḍavas den Thron nicht einnehmen dürfen. Akrūra sagte also: »Mein lieber Sohn Vicitravīryas, du hast zu Unrecht den Thron der Pāṇḍavas bestiegen. Doch sei es, wie es will, irgendwie bist du nun an die Macht gekommen. Ich möchte dir deshalb den Rat geben, doch bitte das Königreich nach moralischen und ethischen Prinzipien zu regieren. Wenn du auf mich hörst und versuchst, deinen Untertanen in diesem Sinne ein Vorbild zu sein, werden dein Name und Ruhm unsterblich werden.« Akrūra wies also darauf hin, daß, obwohl Dhṛtarāṣṭra seine Neffen ungnädig behandelte, diese doch immerhin seine Untertanen waren. Er sagte: »Selbst wenn du sie nicht als die Throninhaber, sondern als deine Untertanen betrachtest, solltest du dich doch unparteiisch um ihr Wohlergehen kümmern, als seien sie deine eigenen Söhne. Solltest du dich jedoch nicht nach diesen Grundsätzen richten, sondern das Gegenteil tun, wirst du dich bei deinen Untertanen unbeliebt machen und dein nächstes Leben unter höllischen Bedingungen verbringen müssen. Ich hoffe daher, daß du deine Söhne und die Söhne Pāṇḍus gleich behandeln wirst.« Akrūra wies auch darauf hin, daß es zwischen den beiden Parteien von Vettern sicherlich zum Kampf kommen werde, wenn Dhṛtarāṣṭra die Pāṇḍavas nicht besser behandelte. Und weil die Pāṇḍavas im Recht waren, würden sie, so sagte er, aus diesem Kampf siegreich hervorgehen, wohingegen seine Söhne fallen müßten. Dies war Akrūras eindeutige Prophezeihung. Akrūra fuhr fort: »In der materiellen Welt kann niemand für immer mit jemand zusammenbleiben. Durch Zufall nur finden wir uns in Familien, Gesellschaften, Gemeinschaften und Nationen zusammen, und weil jeder von uns letztlich seinen Körper aufgeben muß, sind wir gezwungen, uns wieder voneinander zu trennen. Man sollte daher nicht übermäßig stark an seinen Angehörigen hängen.« Dhṛtarāṣṭras Zuneigung war darüber hinaus ungesetzlich und entbehrte jeglicher Intelligenz. Akrūra wies ihn deshalb mit einfachen Worten darauf hin, daß seine übertriebene Anhaftung an seine Familie lediglich auf grobe Unwissenheit zurückzuführen sei. Obwohl es scheint, als seien wir in Familien, Gesellschaften und Nationen miteinander verbunden, folgt jeder einzelne seinem eigenen individuellen Schicksal. Jedes Lebewesen wird entsprechend seinem früheren Tun unter bestimmten Umständen geboren; deshalb muß jeder für sich die Reaktionen seines karma genießen oder erleiden. Es ist auch nicht möglich, sein Schicksal durch ein gemeinschaftliches Zusammenleben zu verbessern. Zuweilen kommt es z. B. vor, daß ein Familienvater durch ungesetzliche Mittel zu Reichtum kommt und der Sohn dann sein Geld stiehlt, obgleich der Vater es unter großen Anstrengungen erworben hat. Es ist wie mit einem kleinen Fisch im Ozean, der den materiellen Körper eines großen, alten Fisches frißt. Letzten Endes kann man also nicht auf illegale Weise Reichtum zur Zufriedenstellung von Familie, Gesellschaft, Gemeinschaft oder Nation anhäufen. Die Tatsache, daß viele große Königreiche der Vergangenheit nicht mehr bestehen, weil ihr Wohlstand von den Nachkommen verschwendet wurde, bestätigt deutlich dieses Prinzip. Wer dieses tiefgründige Gesetz der gewinnbringenden Handlungen nicht kennt und daher die moralischen und ethischen Prinzipien mißachtet, nimmt nur die Reaktionen auf sein sündiges Tun mit sich. Sein schändlich erworbener Besitz wird ihm weggenommen werden, und er wird in die dunkelsten Bereiche des höllischen Daseins geraten. Man sollte daher nicht mehr Besitz anhäufen, als einem vom Schicksal zugeteilt ist; andernfalls wird man blind für sein eigentliches Interesse. Statt seinem Selbstinteresse gerecht zu werden, handelt man dann so, daß man das Gegenteil, nämlich seinen Ruin, herbeiführt.« Akrūra fuhr fort: »Mein lieber Dhṛtarāṣtra, laß mich dir den Rat geben, gegenüber der Wirklichkeit dieses materiellen Daseins nicht so blind zu sein. Das materielle, bedingte Leben ist sowohl in Leid als auch in Glück als Traum anzusehen. Man sollte versuchen, seinen Geist und seine Sinne zu beherrschen und friedlich im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu leben, um spirituelle Fortschritte zu machen.« Im Śrī Caitanya-caritāmṛta wird gesagt, daß außer den Gottgeweihten, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert sind, jeder ständig verstört und voller Ängste ist. Selbst diejenigen, die nach Befreiung streben und mit der unpersönlichen Brahman-Ausstrahlung verschmelzen wollen, ja selbst die yogīs, die versuchen, die Vollendung im Beherrschen mystischer Kräfte zu erlangen, können keinen inneren Frieden finden. Die reinen Gottgeweihten dagegen stellen keine Forderungen an Kṛṣṇa. Sie sind es zufrieden, Ihm zu dienen. Wahrer Frieden und geistige Ausgeglichenheit können nur im vollkommenen Kṛṣṇa-Bewußtsein erlangt werden.« Nachdem Dhṛtarāṣṭra diese moralischen Anweisungen von Akrūra vernommen hatte, erwiderte er: »Lieber Akrūra, du bist sehr großzügig darin, mir gute Ratschläge zu erteilen, doch leider kann ich sie nicht annehmen. Ein Mensch, der zum Sterben verurteilt ist, trinkt keinen Nektar mehr, auch wenn man ihm solchen anbietet. Ich weiß, daß deine Anweisungen höchst wertvoll sind, aber unglücklicherweise bleiben sie nicht in meinem flatterhaften Geist haften, wie die leuchtenden Blitze am Himmel sich nicht an eine bestimmte Wolke halten. Ich begreife lediglich, daß niemand den höchsten Willen in Seinem Vorwärtsstreben aufhalten kann. Ich weiß, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, in der Yadu-Dynastie erschienen ist, um die unerträgliche Last, die die Erde zu tragen hat, zu verringern.« Dhṛtarāṣṭra machte Akrūra somit deutlich, daß er völliges Vertrauen in Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, habe. Doch gleichzeitig haftete er auch sehr stark an seinen Familienangehörigen. Er wußte nicht, daß Kṛṣṇa schon in sehr naher Zukunft alle seine Angehörigen vernichten, und er, Dhṛtarāṣṭra, dann in seiner hilflosen Lage Zuflucht bei den Lotosfüßen des Herrn suchen würde. Wenn Kṛṣṇa einem Gottgeweihten besondere Barmherzigkeit erweisen will, nimmt Er ihm gewöhnlich alle Objekte seiner materiellen Anhaftung fort. Auf diese Weise macht Er den Geweihten in materieller Hinsicht hilflos, so daß ihm keine andere Möglichkeit bleibt, als sich Kṛṣṇas Lotosfüßen zuzuwenden. Dies geschah auch nach der Schlacht von Kurukṣetra mit Dhṛtarāṣṭra. Dhṛtarāṣṭra konnte in seinem Innern zwei sich widersprechende Faktoren erkennen: Auf der einen Seite wußte er, daß Kṛṣṇa erschienen war, um die Welt von aller beschwerlichen Last zu befreien. Seine Söhne stellten solch eine unnötige Belastung dar, und daher ahnte er, daß sie getötet werden würden. Doch gleichzeitig konnte er sich nicht von seiner unzulässigen Anhaftung an seine Söhne lösen. Als ihm diese beiden Gegensätzlichkeiten bewußt wurden, begann er, dem Höchsten Persönlichen Gott seine achtungsvollen Ehrerbietungen zu erweisen. Er sprach: »Die widersprüchlichen Wege im materiellen Dasein sind sehr schwer zu begreifen; man kann sie nur als Teile des unvorstellbaren Plans des Höchsten verstehen, der durch Seine unfaßbare Energie die gesamte materielle Welt schafft, in sie eingeht und sie durch die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur in Bewegung setzt. Wenn dann alles erschaffen worden ist, geht er in jedes Lebewesen und jedes kleinste Atom ein. Niemand kann die unbegreiflichen Pläne des Höchsten Herrn verstehen.« Als Akrūra Dhṛtarāṣṭras Worte hörte, war ihm klar, daß dieser nicht beabsichtigte, sein Verhalten gegenüber den Pāṇḍavas zu ändern, sondern sie weiter zugunsten seiner eigenen Söhne benachteiligen werde. Akrūra verabschiedete sich unverzüglich von seinen Freunden in Hastināpura und kehrte in seine Heimatstadt im Königreich der Yadus zurück. Nach seiner Ankunft in Mathurā berichtete er Kṛṣṇa und Balarāma ausführlich von dem Stand der Dinge in Hastināpura und den Absichten Dhṛtarāṣṭras. Akrūra war von Kṛṣṇa nach Hastināpura geschickt worden, um die politischen Verhältnisse zu erkunden. Durch die Gnade des Herrn konnte er seine Aufgabe erfolgreich durchführen und Kṛṣṇa über die Sachlage unterrichten. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 48. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Der heimtückische Dhṛtarāṣṭra«. 49. KAPITEL Kṛṣṇa errichtet die Festung Dvārakā Mit Kaṁsas Tod waren seine beiden Frauen Witwen geworden. Nach den Regeln der vedischen Zivilisation kann eine Frau niemals unabhängig sein. Es gibt in ihrem Leben drei Stufen: Als Kind sollte sie in der Obhut ihres Vaters leben; als junge Frau sollte sie unter dem Schutz ihres Ehemannes stehen, und wenn ihr Gatte gestorben ist, sollte sie entweder unter dem Schutz ihrer erwachsenen Kinder leben, oder, wenn sie keine erwachsenen Kinder hat, zu ihrem Vater zurückkehren und als Witwe unter seinem Schutz leben. König Kaṁsa scheint keine erwachsenen Söhne gehabt zu haben, und als seine Frauen Witwen waren, kehrten sie daher wieder in die Obhut ihres Vaters zurück. Kaṁsa hatte zwei Frauen: Die eine Königin hieß Asti und die andere Prāpti, und beide waren Töchter König Jarāsandhas, des Herrschers über die Provinz Magadharāja, die heute als Behar bekannt ist. Zuhause angekommen setzten sie ihrem Vater ihre mißliche Lage auseinander, in die sie durch Kaṁsas Tod geraten waren. Der König von Magadha, Jarāsandha, war sehr erbittert, als er von der traurigen Lage seiner beiden Töchter und dem elenden Tod ihres Mannes erfuhr. Als ihm von Kaṁsas Tod berichtet wurde, beschloß er auf der Stelle, die Welt von allen Abkömmlingen der Yadu-Dynastie zu säubern. Für die Tötung Kaṁsas durch Kṛṣṇa sollte die ganze Dynastie der Yadus vom Erdboden verschwinden. Jarāsandha begann also, Vorkehrungen zu treffen, um das Königreich von Mathurā mit seinen zahllosen Streitheeren anzugreifen, die aus vielen Tausenden von Kampfwagen, Pferden, Elefanten und Fußsoldaten bestanden. Jarāsandha stellte, um Kaṁsas Tod zu rächen, insgesamt dreizehn solcher Streitheere auf. Dann führte er seine gewaltige Armee zum Angriff auf Mathurā, die Hauptstadt der Yadu-Könige, und ließ sie diese von allen Seiten belagern. Śrī Kṛṣṇa, der wie ein gewöhnlicher Mensch erschien, sah die ungeheure Streitmacht Jarāsandhas, die einem Ozean glich, der jeden Augenblick den Strand zu überfluten drohte. Auch bemerkte Er, daß die Bewohner von Mathurā von Furcht ergriffen wurden, und so begann Er, über Seine Mission als Inkarnation nachzudenken, und überlegte, wie Er der gegenwärtigen Situation am besten begegnen könne. Kṛṣṇas Mission war es, den zur Last gewordenen Teil der Bevölkerung zu vernichten. Deshalb nahm Er die Gelegenheit wahr, all die Männer, Wagen, Elefanten und Pferde zu beseitigen. Nun, da Ihm die Streitmacht Jarāsandhas entgegentrat, beschloß Er, das gesamte Heer des Königs zu vernichten, so daß es sich nach dem Rückzug nicht wieder in alter Stärke zu einem neuen Angriff würde sammeln können. Während Śrī Kṛṣṇa so überlegte, kamen zwei Streitwagen aus dem Weltall herbei, die mit Wagenlenkern, Waffen, Flaggen und anderem Zubehör versehen waren. Als Kṛṣṇa die beiden Wagen vor Sich sah, sprach Er sogleich zu Seinem Bruder Balarāma, der auch als Saṅkarṣaṇa bekannt ist: »Mein lieber älterer Bruder, Du bist der beste unter den Āryans, Du bist der Herr des Universums, und vor allem bist Du der Beschützer der Yadu-Dynastie. Jetzt schweben die Abkömmlinge der Yadu-Dynastie in Gefahr, weil sie von den Soldaten Jarāsandhas bedroht werden, und sie stehen große Ängste aus. Bitte beschütze sie. Dein mit Waffen beladener Streitwagen ist bereits hier eingetroffen. Ich bitte Dich, ihn zu besteigen und alle Soldaten des Feindes zu vernichten. Schließlich sind Wir auf die Erde herabgekommen, um solche überflüssigen Streitmächte zu beseitigen und die frommen Gottgeweihten zu beschützen. Nun bietet sich Uns eine gute Gelegenheit, Unserer Mission gerecht zu werden. Laß Uns sie nutzen.« Somit beschlossen Kṛṣṇa und Balarāma, die Nachkommen Daśārhas, des Königs von Gadha, und alle dreizehn Kampfheere Jarāsandhas zu vernichten. Kṛṣṇa bestieg Seinen Wagen, der von Dāruka gelenkt wurde, und stürmte mit einer kleinen Armee, begleitet vom Dröhnen der Muschelhörner, aus Mathurā hervor. Obgleich die Gegner zahlenmäßig weit überlegen waren, zitterten ihnen seltsamerweise die Herzen, als sie den Klang von Kṛṣṇas Muschelhorn vernahmen. Als Jarāsandha Kṛṣṇa und Balarāma erblickte, tat es ihm ein wenig leid um Sie, beide waren als seine Enkel mit ihm verwandt. Er sprach als erstes Kṛṣṇa an, den er »Puruṣādhama« nannte, was bedeutet »der Niedrigste unter den Menschen«, obwohl Kṛṣṇa eigentlich in allen vedischen Schriften als »Puruṣottama«, »der Höchste unter den Menschen« bekannt ist. Jarāsandha wollte Kṛṣṇa zwar nicht als »Puruṣottama« ansprechen, doch große Gelehrte haben die wahre Bedeutung des Wortes »Puruṣādhama« definiert, und zwar als »der, neben dem alle anderen Persönlichkeiten als niedrig erscheinen«. Niemand kann dem Höchsten Persönlichen Gott gleichkommen oder Ihn überragen. Jarāsandha sagte: »Es wird eine große Schande für mich sein, mit kleinen Jungen wie Kṛṣṇa und Balarāma zu kämpfen.« Weil Kṛṣṇa Kaṁsa getötet hatte, sprach Jarāsandha Ihn weiter ausdrücklich als »Mörder der eigenen Verwandten« an. Daß Kaṁsa selbst viele seiner eigenen Neffen umgebracht hatte, ließ Jarāsandha wohlweislich unerwähnt; daß aber Kṛṣṇa Seinen Onkel mütterlicherseits getötet hatte, nahm er zum Anlaß, den Herrn zu tadeln. Dies ist ein Beispiel dämonisches Verhalten: Dämonen versuchen niemals, ihre eigenen Fehler zu erkennen, sondern bemühen sich ständig, Fehler an ihren Freunden zu finden. Jarāsandha bezichtigte Kṛṣṇa außerdem, nicht einmal ein kṣatriya zu sein. Weil Kṛṣṇa nämlich von Mahārāja Nanda aufgezogen war, war Er kein kṣatriya, sondern ein vaiśya. Das Wort gupta ist gewöhnlich eine andere Bezeichnung für vaiśya, doch kann das Wort gupta auch im Sinne von »versteckt« gebraucht werden. Beides traf auf Kṛṣṇa zu: Er war sowohl versteckt gehalten als auch von Nanda Mahārāja, einem vaiśya, aufgezogen worden. Jarāsandha warf Kṛṣṇa somit drei Fehler vor: 1) Seinen eigenen Onkel getötet zu haben, 2) in Seiner Kindheit versteckt worden zu sein und 3) kein kṣatriya zu sein. Aus diesen Gründen, so sagte Jarāsandha, müsse er sich schämen, mit Kṛṣṇa zu kämpfen. Dann wandte er sich an Balarāma und rief Ihm zu: »Du, Balarāma! Wenn Du willst, kannst Du ja Seite an Seite mit Ihm kämpfen. Wenn Du ein wenig Geduld hast, warte nur darauf, bis Du von meinen Pfeilen durchbohrt wirst. Dadurch kannst Du nämlich zu den himmlischen Planeten befördert werden.« In der Bhagavad-gītā wird in diesem Zusammenhang erklärt, daß ein kṣatriya auf zweierlei Art aus dem Kampf Vorteil ziehen kann: Wenn er siegt, kann er sich am Ergebnis seines Erfolges erfreuen, und wenn er im Kampf sein Leben läßt, wird er zum himmlischen Königreich erhoben. Nachdem Kṛṣṇa Jarāsandha solche Dinge hatte sagen hören, entgegnete Er: »Mein lieber König Jarāsandha, Helden machen keine großen Worte. Statt dessen zeigen sie ihre Stärke. Da du soviel redest, scheinst du schon sicher zu sein, daß du in dieser Schlacht sterben wirst. Wir sind es leid, dir länger zuzuhören, denn es ist sinnlos, den Worten eines Menschen Gehör zu schenken, der kurz vor dem Tode steht oder aber sehr verzweifelt ist.« Daraufhin gab Jarāsandha das Zeichen zum Kampf und umzingelte Kṛṣṇa von allen Seiten mit gewaltigen Kampftruppen, wobei die trübe Luft und der aufgewirbelte Staub die Sonne zu verdecken schienen. Ebenso wurde auch Kṛṣṇa, die höchste Sonne, von Jarāsandhas Heer verdeckt. Kṛṣṇas und Balarāmas Streitwagen waren mit Bildern von Garuḍa und mit Palmen bemalt. Alle Frauen von Mathurā standen auf den Dächern ihrer Häuser und Paläste oder auf den Stadttoren, um den wunderbaren Kampf zu beobachten. Doch als sie nun sahen, daß Kṛṣṇas Wagen von Jarāsandhas Streitheer umzingelt wurde, überkam sie solche Angst, daß manche in Ohnmacht fielen. Kṛṣṇa sah, wie Ihn die militärische Übermacht Jarāsandhas zu erdrücken drohte. Seine kleine Schar Soldaten geriet bereits in schwere Bedrängnis, und so nahm Er kurzentschlossen Seinen Bogen Śārṅga in die Hand. Er zog Seine Pfeile aus dem Köcher, legte sie einen nach dem anderen an die Sehne und schoß sie auf den Feind ab. Die Pfeile waren so treffsicher, daß die Elefanten, Pferde und Fußsoldaten Jarāsandhas im Nu ihr Leben ließen. Der unablässige Pfeilhagel war wie ein lodernder Feuersturm, der die gesamte Streitmacht des feindlichen Heeres austilgte. Als Kṛṣṇa immer neue Pfeile abschoß, stürzten nach und nach alle Elefanten mit abgetrennten Köpfen zu Boden. Auf gleiche Weise fielen auch die Pferde mit zerbrochenen Streitwagen und zerschossenen Flaggen. Auch die Wagenkämpfer und Wagenlenker mußten auf diese Weise ihr Leben lassen, und fast alles Fußvolk fiel mit abgetrennten Köpfen, Händen und Beinen auf dem Schlachtfeld. Viele Tausende von Elefanten und Pferden wurden getötet, und ihr Blut floß wie die Wellen eines Flusses. In diesem Strom sahen die abgetrennten Arme der Männer wie Schlangen aus, ihre Köpfe glichen Schildkröten, die toten Körper der Elefanten waren wie kleine Inseln, und die toten Pferdeleiber trieben darin wie Haie im Meer. Durch den höchsten Willen war auf diese Weise ein riesiger Blutstrom mit allerlei Treibgut entstanden. Die Hände und Beine der Infantriesoldaten trieben wie Seetang an der Oberfläche, und die Bogen der Soldaten waren wie Wellen. Die Juwelen von den Körpern der Soldaten und Kommandanten glichen Kieselsteinen, die vom Blutstrom mitgerissen wurden. Balarāma, der auch als Saṅkarṣaṇa bekannt ist, kämpfte mit Seiner Keule derartig heldenhaft, daß der Blutstrom, den Kṛṣṇa geschaffen hatte, überschäumte. Die Feiglinge unter den Soldaten wurden von panischer Angst ergriffen, als sie die fürchterliche, grausige Szene sahen, und die Helden unter ihnen begannen begeistert den Heldenmut der beiden Brüder zu preisen. Obgleich Jarāsandha über eine Streitmacht gewaltig wie ein Ozean verfügte, verwandelten Śrī Kṛṣṇa und Balarāma mit Ihrer Kampfweise die ganze Schlacht in eine grauenvolle Szene, die nicht im geringsten mit einem gewöhnlichen Kampf zu vergleichen war. Menschen mit gewöhnlicher Intelligenz können sich natürlich nicht vorstellen, wie dies alles möglich war, doch wenn man diese Taten als transzendentale Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes versteht, unter dessen Willen nichts unmöglich ist, wird man an solchen Erzählungen nichts Unglaubwürdiges finden. Der Höchste Persönliche Gott erschafft, erhält und zerstört die kosmische Manifestation allein durch Seinen Willen. Daher ist es nichts Außerordentliches für Ihn, im Kampf mit Seinem Feind eine derartige Vernichtungsszene zu verursachen. Dennoch erschien diese Begebenheit allen außerordentlich wunderbar, weil Kṛṣṇa und Balarāma wie gewöhnliche Menschen mit Jarāsandha kämpften. Alle Soldaten in Jarāsandhas Heer wurden in dem Kampf getötet; er selbst war der einzige Überlebende, was ihn in höchste Verzweiflung versetzte. Śrī Balarāma nahm ihn ohne Schwierigkeiten gefangen, wie ein Löwe, der mit großer Kraft einen anderen Löwen packt. Doch als Balarāma Jarāsandha mit dem Seil Varuṇas und einigen gewöhnlichen Stricken fesseln wollte, bat Śrī Kṛṣṇa Ihn, den dämonischen König nicht zu binden, da Er für die Zukunft Größeres mit ihm vorhatte, und so ließ Kṛṣṇa Jarāsandha frei. Als großer Kriegsheld war Jarāsandha zutiefst beschämt, und so entschloß er sich, nicht länger als König zu leben, sondern alle Königswürden abzulegen und in den Wald zu gehen, um dort unter strengen Entsagungen und Bußen zu meditieren. Als er dann jedoch mit einigen adligen Freunden nach Hause zurückkehrte, rieten diese ihm, nicht aufzugeben, sondern neue Kräfte zu sammeln, um in naher Zukunft noch einmal mit Kṛṣṇa zu kämpfen. Die Fürsten überzeugten ihn davon, daß er, wäre es mit rechten Dingen zugegangen, unmöglich von den Yadu-Königen hätte besiegt werden können. Seine Niederlage, so redeten sie ihm ein, sei nur auf eine unglückliche Fügung zurückzuführen. Auf diese Weise machten die Fürsten König Jarāsandha neuen Mut. Sie sagten, daß er ohne Zweifel heldenhaft gekämpft habe; er solle also seine Niederlage nicht zu ernst nehmen, denn sie sei lediglich die Folge vergangenener Fehler gewesen. Im Grund brauche er sich hinsichtlich seiner Kampftechnik nichts vorzuwerfen. So blieb König Jarāsandha, dem König von Magadha, obwohl er alle Streitmächte verloren hatte und durch Gefangennahme und nachträgliche Freilassung gedemütigt worden war, nichts anders übrig, als die Herrschaft über sein Königreich wiederaufzunehmen. Kṛṣṇas Armee hatte, obgleich sie im Vergleich zu Jarāsandhas Heer winzig klein gewesen war, keinen einzigen Mann an Kampfstärke eingebüßt, wohingegen Jarāsandhas Soldaten alle getötet wurden. Die Bewohner des Himmels freuten sich sehr darüber und brachten Kṛṣṇa ihre Ehrerbietungen dar, indem sie zum Ruhm des Herrn sangen und Ihn mit Blumen überschütteten. Alle bewunderten Seinen Sieg. Jarāsandha war in sein Königreich zurückgekehrt, und Mathurā war vor einem bedrohlichen Angriff gerettet worden. Die Bürger von Mathurā veranstalteten einen Zirkus mit Berufssängern, wie sūtas und māgadhas, und mit Dichtern, die einzigartige Gedichte und Lieder verfassen konnten, und sie begannen Kṛṣṇas Sieg mit Lobgesängen zu preisen. Als der siegreiche Herr, Śrī Kṛṣṇa, die Stadt betrat, ertönten viele Büffelhörner, Muschelhörner und Kesselpauken, und verschiedene andere Musikinstrumente, wie bheryas, tūryas, vīṇās, Flöten und mṛdaṅgas, stimmten ein, um Ihm einen herrlichen Empfang zu bereiten. Vor Kṛṣṇas Ankunft hatte man die Stadt gründlich gesäubert und alle Straßen und Wege mit Wasser besprengt, und weil die Einwohner so froh waren, schmückten sie ihre Häuser, Straßen und Läden mit Flaggen und Girlanden. Die brāhmaṇas versammelten sich an zahlreichen Plätzen und chanteten vedische mantras. Die Einwohner bauten auch neue Straßenkreuzungen, Tore, Durchgänge und Straßen, und als dann Śrī Kṛṣṇa feierlich in die wundervoll geschmückte Stadt einzog, stellten die Mädchen und Frauen der Stadt verschiedenartige Blumenketten her, um das Fest noch freudiger zu gestalten. Nach vedischer Sitte nahmen sie mit frischem grünen Gras vermischten Yoghurt und verspritzten ihn in alle Richtungen, wodurch sie das Siegesfest noch freudvoller machten. Als Kṛṣṇa durch die Straßen zog, betrachteten Ihn alle Frauen liebevoll. Kṛṣṇa und Balarāma hatten Ihre Kriegsbeute, wie Schmuck und Edelsteine, die Sie sorgfältig vom Schlachtfeld aufgesammelt hatten, mitgebracht und überreichten sie nun König Ugrasena. Damit erwies Kṛṣṇa Seinem Großvater Seinen achtungsvollen Gruß, denn zu jener Zeit war Ugrasena der gekrönte König der Yadu-Dynastie. Jarāsandha, der König von Magadha, bedrohte die Stadt Mathurā jedoch nicht nur einmal, sondern versuchte, sie insgesamt siebzehnmal anzugreifen, wobei er jedesmal eine gleich große Streitmacht aufbrachte. Doch immer wieder wurde er besiegt, und alle seine Soldaten wurden getötet, und jedesmal mußte er enttäuscht zurückkehren. In jeder der Schlachten nahmen ihn die Fürsten der Yadu-Dynastie auf gleiche Weise gefangen und ließen ihn dann mit Schimpf und Schande laufen, und jedesmal kehrte Jarāsandha schamlos nach Hause zurück. Als Jarāsandha wieder einmal einen solchen Angriff unternahm, wagte auch ein König aus Yavana, einem Land südlich von Mathurā, den der Reichtum der Yadu-Dynastie lockte, einen Angriff auf die Stadt. Es heißt, daß der König der Yavanas, der als Kālayavana bekannt ist, von Nārada Muni zum Angriff verleitet wurde. Diese Geschichte wird im Viṣṇu-Purāṇa erzählt: Einst wurde Gargamuni, der Priester der Yadu-Dynastie, von seinem Schwager verhöhnt. Als die Könige der Yadu-Dynastie den Spott vernahmen, lachten sie ihn aus, was Gargamuni sehr erzürnte. Er beschloß, einen Sohn zu zeugen, der der Yadu-Dynastie gefährlich werden würde, und mit dieser Absicht verehrte er Śiva, von dem er dann die Segnung erhielt, Vater eines Sohnes zu werden. Dieser Sohn war Kālayavana, der von Gargamuni mit der Frau eines Yavana-Königs gezeugt wurde. Kālayavana nun stellte Nārada die Frage: »Welches sind die mächtigsten Könige der Welt?«, worauf Nārada ihm zur Antwort gab, daß die Könige der Yadu-Dynastie die mächtigsten seien. In diesem Wissen griff Kālayavana die Stadt Mathurā an, und zwar zur gleichen Zeit, als Jarāsandha zum achtzehntenmal versuchte, Mathurā einzunehmen. Kālayavana war sehr begierig, einem Weltherrscher den Krieg zu erklären, der ihm ein ebenbürtiger Gegner wäre, doch bis dahin hatte er einen solchen nicht finden können. Als ihm Nārada von Mathurā erzählte, beschloß er daher sogleich, die Stadt anzugreifen. Kurz darauf führte er dreißig Millionen Soldaten aus Yavana vor Mathurā. Als Mathurā auf diese Weise bedroht war, überlegte Śrī Kṛṣṇa, wie besorgt die Yadus sein mußten, da sie den Angriff zweier so schrecklicher Feinde wie Jarāsandha und Kālayavana zu fürchten hatten. Die Zeit der unmittelbaren Gefahr rückte immer näher. Kālayavana bestürmte Mathurā bereits von allen Seiten, und für den nächsten Tag wurde Jarāsandha mit ebenso vielen Soldaten erwartet, wie sie ihm bei seinen vergangenen siebzehn Angriffen zur Verfügung gestanden hatten. Kṛṣṇa war Sich sicher, daß Jarāsandha die Gelegenheit nutzen würde, die Stadt Mathurā nun, da auch Kālayavana sie bestürmte, zu erobern. Er hielt es daher für klug, einige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um die strategisch wichtigen Punkte Mathurās zu verteidigen. Wenn Er und Balarāma nämlich gleichzeitig an einer Stelle mit Kālayavana kämpften, könnte Jarāsandha von einer anderen Seite aus angreifen und an der ganzen Yadu-Familie furchtbare Rache nehmen. Jarāsandha war sehr mächtig, und da er bereits siebzehnmal besiegt worden war, war es denkbar, daß er bei Gelegenheit aus Rachsucht alle Mitglieder der Yadu-Familie töten oder sie gefangennehmen und in sein Königreich verschleppen würde. Kṛṣṇa beschloß deshalb, an einem Ort, den kein zweibeiniges Tier – weder Mensch noch Dämon – erreichen konnte, eine mächtige Festung zu errichten. Dort wollte Er Seine Verwandten unterbringen, so daß Er ungehindert mit den Feinden kämpfen könnte. Wir wissen, daß Dvārakā früher zum Königreich von Mathurā gehörte, denn im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß Kṛṣṇa mitten im Meer eine Festung errichtete. Heute noch sind in der Bucht von Dvārakā Überreste dieser Festung zu finden. Als erstes baute Kṛṣṇa eine gewaltige Mauer, die ein Gebiet von 96 Quadratmeilen umgrenzte, und die im Meer stand. Diese Mauer, die ein wundervolles Bauwerk war, wurde von Viśvakarmā entworfen und errichtet. Ein gewöhnlicher Architekt könnte unmöglich eine solche Festung im Meer bauen, doch Viśvakarmā, der als der Baumeister der Halbgötter gilt, kann solch ein wunderbares Kunstwerk jederzeit an jedem beliebigen Ort des Universums schaffen. Wenn durch den Willen des Höchsten Persönlichen Gottes riesige Planeten schwerelos im Weltall schweben können, ist die Errichtung einer Festung im Meer, die eine Fläche von 96 Quadratmeilen einnimmt, nichts Außergewöhnliches. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß die neue, besterbaute Stadt, die im Meer entstand, regelrechte Straßen, Wege und Durchgänge hatte. Es gab indessen dort nicht nur genau geplante Straßen, Wege und Gassen, sondern auch mit sehr viel Umsicht angelegte Spazierwege und Gärten in denen zahlreiche kalpa-vṛkṣas, d. h. Wunschbäume, wuchsen. Diese Wunschbäume sind keine gewöhnlichen Bäume, wie sie in der materiellen Welt zu finden sind; Wunschbäume gibt es nur in der spirituellen Welt. Doch für Kṛṣṇas höchsten Willen ist alles möglich, und so konnten solche Wunschbäume auch in der Stadt Dvārakā gepflanzt werden, die von Kṛṣṇa errichtet worden war. Weiterhin gab es in der Stadt viele Paläste und gopuras, mächtige Tore. Solche gopuras sind heute noch in größeren Tempeln zu sehen. Sie sind sehr hoch und zeugen von großer Kunstfertigkeit. An solche gopuras wie auch in Paläste hängt man kalaśas, goldene Wassertöpfe, die als glückverheißende Zeichen angesehen werden. Fast alle Paläste waren Hochhäuser, und in jedem der Häuser befanden sich in den Kellerräumen große Töpfe aus Gold und Silber und Vorräte an Getreide. Sogar in den einzelnen Wohnräumen standen viele goldene Wassertöpfe. Die Schlafgemächer waren reichlich mit Edelsteinen verziert und die Fußböden waren mit Mosaiken aus marakata-Juwelen ausgelegt. Die Bildgestalt Viṣṇus, die von den Angehörigen der Yadu-Dynastie verehrt wurde, fehlte in keinem Haus. Die Wohnbezirke waren so angelegt, daß jede Kaste – die brāhmaṇas, die kṣatriyas, die vaiśyas und die śūdras – in einem gesonderten Teil lebte. Diese Feststellung des Bhāgavatam beweist, daß das Kastensystem schon zu jener Zeit existierte. Im Stadtzentrum stand ein eigens für König Ugrasena gebautes Residenzgebäude. Dieser Palast war das prunkvollste aller Bauwerke. Als die Halbgötter sahen, daß Kṛṣṇa eine besondere Stadt nach Seinen Vorstellungen baute, sandten sie die gepriesene pārijata-Blume von den himmlischen Planeten, um sie in der neuen Stadt einpflanzen zu lassen, und sie sandten auch ein Versammlungshaus, genannt Sudharmā. Die Besonderheit dieses Hauses war, daß jeder, der an einer Zusammenkunft in diesem Haus teilnahm, die Gebrechlichkeit des Alters überwand. Der Halbgott Varuṇa schenkte der Stadt ein Pferd, das, außer an seinen schwarzen Ohren, völlig weiß war, und das mit der Geschwindigkeit des Geistes zu laufen vermochte. Kuvera, der Schatzmeister der Halbgötter, offenbarte die Kunst, wie man die acht vollkommenen Stufen materiellen Reichtums erlangt. Auf diese Weise brachten alle Halbgötter Geschenke je nach ihren Möglichkeiten. Es gibt insgesamt dreiunddreißig Millionen Halbgötter, und jeder von ihnen hat eine besondere Aufgabe in der Regelung des Universums zu erfüllen. Sie alle nutzten die Gelegenheit, daß der Höchste Persönliche Gott eine Stadt baute, ihre jeweiligen Gaben beizusteuern und Dvārakā zu einer Stadt zu machen, die im ganzen Universum nicht ihresgleichen findet. Dies zeigt, daß keiner der zahllosen Halbgötter von Kṛṣṇa unabhängig ist. Wie auch im Śrī Caitanya-caritāmṛta erklärt wird, ist Kṛṣṇa der höchste Meister, und alle anderen sind Seine Diener. In diesem Fall nahmen also alle Diener die Gelegenheit wahr, Kṛṣṇa zu dienen, während Er persönlich in diesem Universum gegenwärtig war. Jeder sollte diesem Beispiel der Halbgötter folgen, besonders diejenigen, die Kṛṣṇa-bewußt zu werden versuchen; sie sollten Kṛṣṇa mit all ihren jeweiligen Fähigkeiten dienen. Als der Bau der neuen Stadt genau nach Plan abgeschlossen war, brachte Kṛṣṇa alle Einwohner Mathurās dorthin und machte Śrī Balarāma zum Stadtvater von Dvārakā. Schließlich besprach Er Sich mit Balarāma und ging dann, mit einer Girlande von Lotosblumen bekränzt, aus der Stadt, um Kālayavana zu treffen, der Mathurā ohne Waffengewalt eingenommen hatte. Als Kṛṣṇa aus der Stadt kam, gewahrte Kālayavana, der Ihn noch niemals zuvor gesehen hatte, daß Kṛṣṇa, der in ein gelbes Gewand gekleidet war, außerordentlich schön war. Während der Herr durch die Reihen der Soldaten Kālayavanas schritt, glich er dem Mond, der durch die am Himmel versammelten Wolken zieht. Kālayavana erfuhr die große Gunst, die Śrīvatsa-Linien, ein besonderes Zeichen auf Kṛṣṇas Brust, und den Kaustubha-Juwel, den der Herr trug, zu erblicken. Er sah Kṛṣṇa in Seiner Viṣṇu-Form, mit wohlgeformtem Körper, vier Armen, und Augen wie die frisch aufgeblühten Blütenblätter des Lotos. Kṛṣṇa strahlte mit Seiner edlen Stirn, Seinem schönen Antlitz, Seinen lächelnden rastlosen Augen und den tanzenden Ohrringen Glückseligkeit aus. Bevor Kālayavana Kṛṣṇa traf, hatte er schon durch Nārada Muni von Ihm gehört, und nun bestätigten sich Nāradas Beschreibungen. Er bemerkte Kṛṣṇas besondere Merkmale und die Edelsteine auf Seiner Brust, die schöne Girlande aus Lotosblumen, Seine lotosgleichen Augen und Seine übrigen wunderbaren Kennzeichen. Er schloß, daß die schöne Persönlichkeit vor ihm Vāsudeva sein mußte, denn alle Beschreibungen Nāradas, die er früher gehört hatte, wurden durch die Anwesenheit Kṛṣṇas Wirklichkeit. Kālayavana erstaunte es sehr, daß der Herr ohne Waffe und ohne Streitwagen durch die Reihen der Soldaten schritt. Er ging einfach zu Fuß. Kālayavana war zwar gekommen, um Kṛṣṇa zu bekämpfen, aber dennoch achtete er die Kampfregeln, so daß er den Herrn nicht mit der Waffe angriff. Er entschloß sich, mit bloßen Händen gegen Kṛṣṇa zu kämpfen, und schickte sich an, Ihn zum Kampf zu stellen. Kṛṣṇa jedoch ging einfach weiter, ohne Kālayavana auch nur anzusehen, worauf Kālayavana Ihm mit der Absicht folgte, Ihn gefangenzunehmen. Doch obwohl er so schnell lief wie er vermochte, konnte er Kṛṣṇa doch nicht zu fassen bekommen. Kṛṣṇa ist nicht einmal mit der Geschwindigkeit des Geistes, die von den großen yogīs erreicht wird, zu erlangen. Er läßt Sich allein durch hingebungsvolles Dienen einfangen, und darin hatte Kālayavana keinerlei Erfahrung. Er wollte Kṛṣṇa fangen, und da ihm dies nicht gelang, folgte er Ihm auf den Fersen. Der dämonische König lief also so schnell er nur konnte, und manchmal dachte er: »Nun bin ich Ihm schon ganz nah; gleich habe ich Ihn«, doch es gelang ihm nicht, Kṛṣṇa zu erreichen. Kṛṣṇa führte Ihn auf diese Weise weit weg vom Heer, bis Er schließlich auf einem Hügel in einer Höhle verschwand. Kālayavana dachte, Kṛṣṇa versuche, dem Kampf zu entgehen, und habe Sich deshalb in die Höhle geflüchtet, und so begann er Ihn mit den folgenden Worten zu beschimpfen: »He, Du, Kṛṣṇa! Ich habe gehört, daß Du ein großer Held bist, der von der Yadu-Dynastie abstammt, doch nun sehe ich, daß Du tatsächlich wie ein Feigling vor dem Kampf davonläufst. Solches Verhalten ist Deines guten Namens und der Familientradition der Yadus nicht würdig.« Kālayavana hatte, obwohl er schnell gelaufen war, Kṛṣṇa nicht fangen können, weil er nicht von allen Verunreinigungen des sündhaften Lebens befreit war. Nach den Regeln vedischer Kultur wird jeder, der nicht die regulierenden Lebensprinzipien befolgt, die von den höheren Kasten, nämlich den brāhmaṇas, kṣatriyas und vaiśyas, und auch von den śūdras, den Arbeitern, eingehalten werden, mleccha genannt. Der gesellschaftliche Aufbau, wie er in den Veden vorgeschrieben wird, ist so eingerichtet, daß selbst Menschen, die als śūdras gelten, nach und nach, d. h. durch kulturellen Fortschritt, der auch als saṁskāra oder Reinigungsvorgang bezeichnet wird, zur Stufe von brāhmaṇas erhoben werden können. Die vedischen Schriften erklären, daß niemand allein durch Geburt in einer bestimmten Familie ein brāhmaṇa oder ein mleccha wird; von Geburt her gilt jeder als śūdra. Man muß daher durch den Reinigungsvorgang zur Stufe des brahmanischen Lebens aufsteigen. Unterläßt man dieses und erniedrigt sich statt dessen noch mehr, wird man als mleccha bezeichnet. Kālayavana gehörte zur Klasse der mlecchas und yavanas. Er war durch seine Sünden verunreinigt und konnte sich deshalb Kṛṣṇa nicht nähern. Die Dinge, denen sich die Menschen höherer Klassen enthalten, nämlich unzulässige Sexualität, das Essen von Fleisch, die Teilnahme an Glücksspielen und Berauschung, sind wichtige Faktoren im Leben der mlecchas und yavanas. Solange man von solchen sündigen Handlungen gefesselt ist, kann man in der Gotterkenntnis keinen Fortschritt machen. Die Bhagavad-gītā erklärt, daß nur jemand, der von allen Reaktionen auf seine Sünden befreit ist, hingebungsvolles Dienen oder Kṛṣṇa-Bewußtsein verwirklichen kann. Als Kṛṣṇa in die Höhle ging und damit plötzlich der Sicht Kālayavanas entschwand, folgte dieser Ihm, wobei er Ihn mit groben Worten beschimpfte. Das erste, was er beim Betreten der Höhle sah, war ein Mann, der schlafend am Boden lag. Kālayavana brannte sehr darauf, mit Kṛṣṇa zu kämpfen, und als er Ihn nirgends finden konnte, sondern nur einen Mann am Boden liegen sah, dachte er, Kṛṣṇa sei es, der da vor ihm in der Höhle schlafe. Kālayavana war so eingebildet und stolz auf seine Stärke, daß er dachte, Kṛṣṇa scheue den Kampf mit ihm, und weil er den schlafenden Mann für Kṛṣṇa hielt, versetzte er ihm einen heftigen Tritt. Der Schlafende lag schon seit langer Zeit in der Höhle. Als er nun von dem Tritt Kālayavanas aufwachte, öffnete er sogleich seine Augen und sah sich nach allen Seiten um. Zuletzt fiel sein Blick auf Kālayavana, der in seiner Nähe stand. Der Schläfer war zu unrechter Zeit geweckt worden, und daher war er sehr zornig. Als er Kālayavana in seinem Zorn sah, schossen Feuerstrahlen aus seinen Augen hervor, die Kālayavana auf der Stelle zu Asche verbrannten. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 49. Kapitel des Buches Kṛṣṇa. »Kṛṣṇa errichtet die Festung Dvārakā«. 50. KAPITEL Mucukundas Erlösung Als Mahārāja Parīkṣit von der Begebenheit mit Kālayavana, der zu Asche verbrannt wurde, hörte, fragte er Śukadeva Gosvāmī nach Einzelheiten über den schlafenden Mann. »Wer war er? Warum schlief er dort? Wie war er zu solcher Macht gelangt, daß Kālayavana nur durch seinen Blick auf der Stelle zu Asche verbrannte? Und wie kam es, daß er in einer Berghöhle lag?« Mahārāja Parīkṣit stellte Śukadeva Gosvāmī viele Fragen, und Śukadeva beantwortete sie wie folgt: »Mein lieber König, dieser Mann wurde in der berühmten Familie König Ikṣvākus, in der auch Śrī Rāmacandra erschien, als Sohn des großen Königs Māndhāṭā geboren. Er selbst war auch eine große Seele und überall bekannt als Mucukunda. König Mucukunda befolgte sehr strikt die vedischen Prinzipien der brahmanischen Kultur, und er stand zu seinem Wort. Er war so mächtig, daß selbst Halbgötter wie Indra zu ihm kamen und ihn baten, ihnen gütigerweise in Kämpfen gegen Dämonen zu helfen; deshalb kämpfte er oft gegen die Dämonen, um den Halbgöttern beizustehen.« Kārttikeya, der Oberbefehlshaber der Halbgötter, war sehr zufrieden mit König Mucukunda, der für ihn kämpfte, doch schließlich bat er den König, der so viele Beschwerlichkeiten in den Schlachten mit den Dämonen auf sich genommen hatte, sich vom Kampf zurückzuziehen und sich auszuruhen. Kārttikeya sprach: »Mein lieber König, Du hast alles für die Halbgötter geopfert. Du hattest ein blühendes Königreich, das von keinem Feind bedroht war, doch du ließest dein Reich zurück, kümmertest dich weder um Reichtum noch um Besitz und dachtest nie an die Erfüllung deiner persönlichen Wünsche. In der langen Zeit deiner Abwesenheit, da du mit den Halbgöttern gegen die Dämonen gekämpft hast, sind deine ganze Familie, deine Kinder, deine Verwandten und deine Minister alle gestorben. Die Zeit macht vor keinem Lebewesen halt. Wenn du nun nach Hause zurückkehrst, wirst du dort niemanden, der dir bekannt ist, antreffen. Die Zeit ist sehr mächtig, und unter ihrem Einfluß sind inzwischen all deine Verwandten gestorben. Die Zeit ist deshalb so mächtig und stark, weil sie ein Repräsentant des Höchsten Persönlichen Gottes ist; sie ist stärker als der Stärkste. Durch den Einfluß der Zeit können ohne weiteres Veränderungen in den feinstofflichen Dingen stattfinden. Niemand kann den Lauf der Zeit aufhalten. Ähnlich wie der Tierbändiger die Tiere nach seinem Willen abrichtet, greift die Zeit nach ihrem Willen in den Ablauf der Dinge ein. Niemand kann den Beschluß der erhabenen Zeit aufheben.« Mit diesen Worten erboten sich die Halbgötter, König Mucukunda jegliche Segnung außer der Befreiung zu gewähren. Befreiung kann kein Lebewesen außer dem Höchsten Persönlichen Gott gewähren. Daher heißt Viṣṇu oder Kṛṣṇa auch Mukunda, was bedeutet »derjenige, der Befreiung gewähren kann.« König Mucukunda hatte viele Jahre lang nicht geschlafen. Die ganze Zeit hatte er voll Pflichtbewußtsein gekämpft, und daher war er nun sehr müde. Als die Halbgötter ihm deshalb ihren Segen anboten, dachte Mucukunda nur noch ans Schlafen. Er erwiderte also: »Lieber Kārttikeya, Bester unter den Halbgöttern, ich möchte nun endlich schlafen, und so erbitte ich von dir folgende Segnung: Bitte gib mir die Macht, jeden, der es wagt, meinen Schlaf zu stören und mich zu früh zu wecken, durch meinen bloßen Blick zu Asche zu verbrennen.« Der Halbgott erteilte ihm auch diese Segnung, so daß er sehr gut würde ruhen können. Anschließend begab sich König Mucukunda in die Berghöhle. Kālayavana wurde also kraft der Segnung Kārttikeyas durch Mucukundas bloßen Blick zu Asche verbrannt. Danach erschien Kṛṣṇa vor Mucukunda. Er war eigentlich in die Höhle gekommen, um den König von seiner Zurückgezogenheit zu erlösen, doch zeigte Er sich dem König nicht sogleich, sondern richtete es so ein, daß Kālayavana zuerst vor Mucukunda trat. Das ist der Verlauf der transzendentalen Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes: Er tut oft etwas in solcher Weise, daß viele Zwecke gleichzeitig erfüllt werden. Kṛṣṇa wollte König Mucukunda aus seinem Schlaf in der Höhle erlösen, und zugleich wollte Er Kālayavana töten, der die Stadt Mathurā angegriffen hatte. Auf diese Weise erfüllte Er alle Seine Absichten. Als Śrī Kṛṣṇa vor Mucukunda erschien, sah der König, daß der Herr in ein gelbes Gewand gekleidet war, daß Seine Brust das Śrīvatsa-Zeichen schmückte und daß um Seinen Hals der Kaustubha-maṇi hing. Kṛṣṇa zeigte Sich ihm als vierarmiger Viṣṇu-mūrti, mit einer vaijayantī-Blumengirlande, die Ihm vom Hals bis hinunter zu den Knien reichte. Sein Blick war voll strahlenden Glanzes; Er lächelte wunderbar, und Seine Ohren zierten hübsche Juwelenohrringe. Kṛṣṇa sah schöner aus als ein Mensch es sich vorstellen kann. Er erschien nicht nur in dieser Gestalt, sondern sah Mucukunda mit so strahlendem Blick an, daß Er den Geist des Königs auf sich zog. Obwohl Er der Höchste Persönliche Gott war, der Älteste von allen, sah Er wie ein blühender Jüngling aus, und Seine Bewegungen glichen denen eines freien Hirsches. Kṛṣṇa schien von außerordentlicher Macht; Seine Macht ist so unvergleichlich groß, daß sich jeder Mensch vor Ihm fürchten sollte. Als König Mucukunda Kṛṣṇas herrliche Gestalt sah, fragte er sich, wer Er wohl sein mochte, und voll Demut fragte er den Herrn: »Mein lieber Herr, darf ich fragen, aus welchem Grunde Du in diese Berghöhle gekommen bist? Wer bist Du? Ich kann sehen, daß Deine Lotosfüße zarten Lotosblüten gleichen. Wie konntest Du nur durch den Wald gehen, der voller Gestrüpp und Dornen ist? All dies wundert mich wirklich sehr. Bist Du am Ende der Höchste Persönliche Gott, der Mächtigste der Mächtigen? Bist Du nicht der Ursprung des Lichts und des Feuers? Kann ich Dich vielleicht als einen der großen Halbgötter, wie den Sonnengott, den Mondgott oder Indra, den König des Himmels, verstehen? Oder bist Du die herrschende Gottheit eines anderen Planeten?« Mucukunda wußte sehr wohl, daß über jedes höhere Planetensystem eine Gottheit herrscht. Er war nicht so unwissend wie die Menschen von heute, die denken, es gebe nur auf dem Planeten Erde Lebewesen und alle anderen Planeten seien unbewohnt. Die Frage Mucukundas, ob Kṛṣṇa die herrschende Gottheit eines anderen, ihm unbekannten Planeten sei, wurde also nicht ohne Grund gestellt. Doch als reiner Geweihter des Herrn erkannte er sogleich, daß Śrī Kṛṣṇa, der ihm in einer solch herrlichen Gestalt erschienen war, nicht einer der über die materiellen Planeten herrschenden Halbgötter sein konnte. Er mußte der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, sein, der in viele Viṣṇu-Formen erweitert ist. Somit erkannte er die Gestalt vor ihm als Puruṣottama oder Viṣṇu. Auch konnte er wahrnehmen, daß die tiefe Finsternis in der Berghöhle durch die Anwesenheit des Herrn gewichen war. Daher konnte die wundervolle Gestalt niemand anderes sein als der Höchste Persönliche Gott. Mucukunda wußte nämlich sehr wohl, daß überall dort, wo der Herr durch Seinen transzendentalen Namen, Seine Eigenschaften, Seine Gestalt usw. persönlich anwesend ist, die Dunkelheit der Unwissenheit nicht bleiben kann. Kṛṣṇa ist wie eine Lampe, die die Dunkelheit erhellt; Er erleuchtet jeden finsteren Ort. König Mucukunda verlangte es sehr danach, Śrī Kṛṣṇas Identität zu erfahren, und deshalb sagte er: »O Bester unter den Menschen, wenn Du mich für würdig erachtest, Deine Identität zu erfahren, so sage mir bitte, wer Du bist. Wer sind Deine Eltern, welcher Pflicht gehst Du nach, und wie ist es um Deine Familientradition bestellt?« König Mucukunda hielt es auch für angebracht, sich selbst dem Herrn vorzustellen, denn vorher war er nicht dazu berechtigt, sich nach Seiner Identität zu erkundigen. Es ist vedische Sitte, daß man eine höherstehende Person nicht nach Rang und Namen fragen darf, ohne sich zuvor selbst vorgestellt zu haben. König Mucukunda sagte also zu Kṛṣṇa: »Lieber Herr, erlaube bitte, daß ich mich Dir vorstelle. Ich gehöre der berühmten Dynastie König Ikṣvākus an, doch bin ich selbst nicht so bedeutend wie mein Vorvater. Mein Name ist Mucukunda, der Name meines Vaters ist Māndhāṭā, und mein Großvater war der große König Yuvanāśva. Ich war einst sehr müde, weil ich schon seit Tausenden von Jahren nicht geschlafen hatte; an allen Gliedern war ich erschöpft und konnte mich fast nicht mehr bewegen. Um wieder zu Kräften zu kommen, legte ich mich zum Schlafen in diese abgelegene Höhle, doch nun bin ich von einem fremden Mann gewaltsam geweckt worden, obwohl ich noch gar nicht aufwachen wollte. Für dieses Vergehen wurde der Unbekannte durch meinen Blick zu Asche verbrannt. Jetzt nun ist es mir vergönnt, Dich in Deiner herrlichen, anmutigen Gestalt zu sehen, und ich glaube, ich habe es Dir zu verdanken, daß ich meinen Feind töten konnte. Lieber Herr, ich muß gestehen, daß die Strahlen Deines Körpers meinen Augen unerträglich sind, und daß ich Dich deshalb nicht richtig sehen kann. Ich merke deutlich, daß durch den Einfluß Deiner Ausstrahlung meine mächtige Kraft verringert worden ist. Ich kann verstehen, daß Du es würdig bist, von allen Lebewesen verehrt zu werden.« Als Śrī Kṛṣṇa sah, daß Mucukunda soviel daran gelegen war zu erfahren, wer Er war, entgegnete Er lächelnd: »Mein lieber König, es ist so gut wie unmöglich, etwas über Meine Geburt, Mein Erscheinen, Mein Fortgehen und Meine Taten zu sagen. Meine Inkarnation Anantadeva hat, wie Du vielleicht weißt, unzählige Münder, und er versucht seit unvordenklichen Zeiten alles über Meinen Namen, Meine Eigenschaften, Meine Taten, Mein Erscheinen, Mein Fortgehen und Meine Inkarnationen zu erzählen, und doch ist es ihm bisher noch nicht gelungen, ein Ende zu finden. Es ist also unmöglich, die Anzahl Meiner Namen und Formen zu bestimmen. Die materiellen Wissenschaftler mögen vielleicht in der Lage sein, die Anzahl der Atome zu berechnen, aus denen die Erde besteht, doch es wird ihnen niemals gelingen, Meine zahllosen Namen, Gestalten und Taten zu ermessen. Es gibt viele große Weise und Heilige, die versucht haben, ein Verzeichnis Meiner verschiedenen Formen und Taten zusammenzutragen, doch auch ihnen ist es nie gelungen, eine vollständige Liste aufzustellen. Weil du aber so begierig bist, etwas über Mich zu erfahren, sollst du wissen, daß Ich auf diesem Planeten erschienen bin, um die dämonischen Prinzipien der Menschen zu beseitigen und die religiösen Prinzipien, die in den Veden vorgeschrieben sind, wieder neu festzulegen. Zu diesem Zweck bin ich von Brahmā, dem über dieses Universum herrschenden Halbgott, eingeladen worden und in der Dynastie der Yadus als einer ihrer Abkömmlinge erschienen. Als der Sohn Vasudevas wurde Ich in der Yadu-Dynastie geboren, weshalb die Menschen Mich als Vāsudeva, den Sohn Vasudevas, kennen. Du solltest auch wissen, daß ich Kaṁsa, der in einem seiner früheren Leben Kālanemi hieß, wie auch Pralambāsura und viele andere Dämonen, tötete. Sie verhielten sich Mir gegenüber feindlich und wurden allesamt von Mir vernichtet. Der Dämon, der eben noch vor dir stand, war ebenfalls Mein Feind, doch gütigerweise hast du ihn durch deinen Blick zu Asche verbrannt. Mein lieber König Mucukunda, du bist Mein großer Geweihter, und nur um dir Meine grundlose Gnade zu erweisen, bin Ich in dieser Form erschienen; Ich bin nämlich Meinen Geweihten sehr zugetan, und du warst dein ganzes Leben lang, bevor du dich in die Höhle begabst, ein großer Gottgeweihter, und betetest um Meine grundlose Barmherzigkeit. So bin Ich denn hierhergekommen, um dich zu treffen und dir deinen Wunsch zu erfüllen. Nun kannst du Mich nach Herzenslust anschauen. Mein lieber König, du kannst Mich jetzt um jede Segnung bitten, die du dir ersehnst, und Ich bin bereit, dir jeden Wunsch zu erfüllen. Es ist Mir ein ewiger Grundsatz, jedem, der sich in Meine Obhut begibt, alle Wünsche zu erfüllen.« Als Śrī Kṛṣṇa König Mucukunda anwies, Ihn um eine Segnung zu bitten, wurde der König von Freude überwältigt, denn er erinnerte sich plötzlich an die Vorhersage Gargamunis, der vor langer Zeit prophezeiht hatte, Śrī Kṛṣṇa werde im achtundzwanzigsten Zeitalter des Vaivasvata Manu auf dem Erdplaneten erscheinen. Sowie ihm diese Vorhersage einfiel, begann er zu begreifen, daß die Höchste Person, Nārāyaṇa, nun als Śrī Kṛṣṇa vor Ihm gegenwärtig war. Auf der Stelle fiel er zu Seinen Lotosfüßen nieder und brachte Ihm Seine Gebete dar: »Lieber Herr, O Höchster Persönlicher Gott, ich weiß, daß alle Lebewesen auf diesem Planeten durch Deine äußere Energie verblendet und von der illusorischen Zufriedenheit, die sie aus der Befriedigung ihrer Sinne gewinnen, bezaubert sind. Weil sie völlig in illusorische Tätigkeiten vertieft sind, wollen sie nicht Deine Lotosfüße verehren, und da sie nichts von dem Segen wissen, den man erfahren kann, wenn man sich Deinen Lotosfüßen hingibt, sind sie verschiedenen leidvollen Bedingungen des materiellen Daseins ausgesetzt. Sie hängen törichterweise an sogenannter Gesellschaft, Freundschaft und Liebe, aus denen lediglich verschiedene Arten leidvoller Zustände entstehen. Von Deiner äußeren Energie getäuscht, hängt jeder – sei es Mann oder Frau – am materiellen Dasein, und alle betrügen einander in einer großartigen Gesellschaft von Betrügern und Betrogenen. Diese Verblendeten wissen das Glück, die menschliche Form des Lebens erlangt zu haben, nicht zu schätzen und weigern sich, Deine Lotosfüße zu verehren. Unter dem Einfluß Deiner äußeren Energie haften sie an dem Glanz materieller Tätigkeiten. Sie haften an sogenannter Gesellschaft, Freundschaft und Liebe und gleichen in diesem Zustand dummen Tieren, die in ein dunkles Brunnenloch gefallen sind.« Dieses Beispiel vom dunklen Brunnen wird gegeben, weil es in Indien viele Felder gibt, in denen Brunnen gegraben sind, die seit Jahren nicht benutzt werden und daher von Gras überwuchert sind. Oft fallen bedauernswerte Tiere, die nicht davon wissen, in solche Brunnenlöcher und müssen dort, wenn man sie nicht rettet, sterben. Verlockt von ein paar Grashalmen fallen sie in die finsteren Brunnen und sterben eines elenden Todes. Ebenso ruinieren törichte Menschen, ohne die Bedeutung der menschlichen Lebensform zu kennen, ihr Leben, indem sie der Befriedigung ihrer Sinne nachjagen, und sterben dann ohne Erfüllung des wirklichen Lebenssinnes. »Lieber Herr«, fuhr Mucukunda fort, »auch ich bilde keine Ausnahme für dieses universale Gesetz der materiellen Natur. Ich bin ebenfalls einer dieser dummen Menschen, die ihre Zeit für nichts und wieder nichts verschwendet haben, und meine Lage ist besonders schlimm. Weil ich dem königlichen Stand angehörte, war ich hochmütiger als gewöhnliche Menschen. Ein gewöhnlicher Mensch möchte über seinen Körper und seine Familie herrschen; ich aber dachte in ganz anderen Größenordnungen. Ich wollte der Herr über die ganze Welt werden, und als mit meinen Plänen zur Sinnenbefriedigung mein Hochmut immer größer wurde, verstärkte sich auch meine körperliche Lebensauffassung mehr und mehr. Meine Anhaftung an Haus, Frau und Kinder, an Geld und Herrschaft über die Welt wurde immer zwingender; sie kannte schließlich keine Grenzen mehr, und so waren meine Gedanken ständig bei meinen eigenen materiellen Lebensumständen. Daher, mein lieber Herr, habe ich bereits so viel meines wertvollen Lebens sinnlos verschwendet. Weil sich meine falschen Vorstellungen vom Leben immer mehr vertieften, begann ich, meinen materiellen Körper, der doch nichts weiter ist als ein Sack aus Fleisch und Knochen, für das ein und alles zu halten, und in meiner Eitelkeit glich ich einem Hund, der sich einbildet, er sei König über die menschliche Gesellschaft geworden. Mit dieser falschen, körperlichen Auffassung vom Leben begann ich mit meiner Streitmacht von Soldaten, Streitwagen, Elefanten und Reiterei über die ganze Welt zu ziehen. Unterstützt von vielen Generälen und stolz durch materielle Macht war ich nicht imstande, Dich, o Herr, zu erkennen, der stets als der engste Freund in meinem Herzen weilt. Ich wollte nichts von Dir wissen, und das war der grundlegende Fehler meines sogenannten hochgestellten materiellen Lebens. Ich glaube, daß sich, gleich mir, alle Geschöpfe nicht im geringsten um spirituelle Erkenntnis bemühen, sondern ständig voller Ängste sind und denken: ›Was soll ich tun? Was kommt als nächstes auf mich zu?‹ Und weil wir zu stark durch materielle Wünsche gebunden sind, bleiben wir auch weiterhin bei unserer Verrücktheit. Aber obwohl wir so sehr in materielle Gedanken vertieft sind, kommt die unausweichliche Zeit, die nur eine Deiner Formen ist, stets gewissenhaft ihrer Pflicht nach, und sowie unsere Frist abgelaufen ist, beendest Du, o Herr, unsere materiellen Träume. Als die Zeit gebietest Du all unseren Tätigkeiten Einhalt, gleich der hungrigen Natter, die rasch und ohne Nachsicht eine kleine Ratte verschlingt. Durch die Macht der grausamen Zeit geschieht es, daß der königliche Körper, der einst stets mit goldenem Geschmeide geschmückt war, und der von einem Streitwagen gezogen wurde, vor den zierliche Pferde gespannt waren, oder der auf dem Rücken eines Elefanten getragen wurde und den man als König über die gesamte menschliche Gesellschaft pries, daß dieser gleiche königliche Körper zerfällt und unter dem Einfluß der unausweichlichen Zeit entweder ein Fraß für Würmer und Insekten wird oder zu Asche verbrennt oder sich in den Kot eines Tieres umwandelt. Dieser wunderbare Körper mag im lebenden Zustand sehr schön erscheinen, doch nach dem Tod wird selbst der Körper eines Königs entweder von einem Tier gefressen und verwandelt sich in Kot, oder er wird im Krematorium verbrannt und wird somit zu Asche, oder aber er wird in ein Grab geworfen, so daß nach einiger Zeit Würmer und Insekten aus ihm hervorkriechen. Mein lieber Herr, wir stehen nicht nur zur Stunde des Todes unter der Herrschaft der unausweichlichen Zeit, sondern auch, in unterschiedlicher Form, während wir leben. Zum Beispiel bin ich ein mächtiger König, und dennoch werde ich, wenn ich nach der Eroberung der Welt nach Hause zurückkehre, vielen materiellen Umständen unterworfen sein. Es ist zwar möglich, daß, wenn ich siegreich zurückkehre, alle unterworfenen Könige vor mich treten und mir ihre Ehrerbietungen erweisen, doch sowie ich dann ins Innere des Palastes trete, werde ich ein Spielzeug in den Händen der Königinnen und muß für Sinnenbefriedigung Frauen zu Füßen fallen. Das materielle Leben ist so verwickelt, daß man, bevor man genießen kann, so schwer arbeiten muß, daß einem, im ganzen gesehen, kaum eine Möglichkeit zum Genießen bleibt. Wenn man zum Beispiel einen jugendlichen Körper mit all den damit verbundenen materiellen Vorteilen erlangen will, muß man sich schwere Opfer und Bußen auferlegen, um zu den himmlischen Planeten erhoben zu werden. Selbst wenn man das Glück hat, in einer reichen oder königlichen Familie geboren zu werden, ist man, auch in dieser Lebenslage, ständig darum besorgt, die Dinge im Gleichgewicht zu erhalten, und sich durch das Darbringen von Opfern und das Verteilen milder Gaben auf das nächste Leben vorzubereiten. Und selbst, wenn man König ist, hat man ständig Sorgen, nicht nur der politischen Verwaltung wegen, sondern auch wegen seines eigenen Aufstiegs zu den himmlischen Planeten. Es ist also sehr schwierig, der materiellen Verstrickung zu entkommen, doch wenn man von Dir begünstigt wird, erhält man allein durch Deine Barmherzigkeit, auf irgendeine Weise die Möglichkeit, mit einem reinen Gottgeweihten zusammenzusein. Das bildet den Anfang für die Befreiung aus der Verstrickung des materiellen Lebens. Lieber Herr, nur durch den Umgang mit reinen Gottgeweihten gewinnt man eine Anziehung zu Deiner Herrlichkeit, dem Oberhaupt sowohl des materiellen als auch des spirituellen Daseins. Du bist das höchste Ziel aller reinen Gottgeweihten, in deren Gesellschaft man seine Liebe für Dich wiedererwecken kann. Man wird daher, wenn man Kṛṣṇa-Bewußtsein in Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten entwickelt, von der materiellen Verstrickung befreit. Lieber Herr, Du bist so unsagbar gütig, denn obwohl ich gar nicht daran dachte, mit großen Gottgeweihten zusammenkommen zu wollen, hast Du mir Deine grenzenlose Barmherzigkeit erwiesen, indem Du mich eine kurze Begegnung mit dem reinen Gottgeweihten Gargamuni haben ließest. Durch Deine Barmherzigkeit nur habe ich allen materiellen Reichtum, mein Königreich und meine Familie verloren. Ich glaube nicht, daß ich ohne Deine grundlose Gnade jemals von all diesen Verstrickungen hätte frei werden können. Viele Könige und Fürsten beginnen ein Leben der Buße, um ihr königliches Leben zu vergessen, doch durch Deine ganz besondere grundlose Barmherzigkeit habe ich auch ohne ein solches Leben nichts mehr mit allem Königtum zu tun. Andere Könige bemühen sich, der Anhaftung an Königreich und Familie zu entkommen, indem sie die Mühseligkeiten der Entsagung auf sich nehmen, doch durch Deine Barmherzigkeit brauche ich nicht erst ein Bettelmönch zu werden oder Entsagung zu üben. Lieber Herr, ich bete deshalb, Deinen Lotosfüßen immerzu transzendentale liebevolle Dienste darbringen zu dürfen, was die reinen Gottgeweihten, die von jeglicher materiellen Verunreinigung frei sind, ständig tun. Du bist der Höchste Persönliche Gott und kannst mir alles geben, was ich möchte, sogar die Befreiung. Doch wer wäre so dumm, Dich, nachdem er Dich erfreut hat, noch um etwas zu bitten, was zu Verstrickung in der materiellen Welt führen könnte? Ich glaube nicht, daß ein vernünftiger Mensch Dich um solch eine Segnung bitten würde. Ich gebe mich Dir völlig hin, denn Du bist der Höchste Persönliche Gott, Du bist die Überseele im Herzen jedes Lebenwesens, und Du bist die unpersönliche Brahman-Strahlung. Du bist sogar die materielle Welt, denn diese ist lediglich die Manifestation Deiner äußeren Energie. Daher bist Du, ganz gleich, von wo aus man Dich auch betrachtet, die höchste Zuflucht für jeden. Jeder, ob er sich auf der materiellen oder auf der spirituellen Ebene befindet, muß Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen suchen. Aus diesem Grunde gebe ich mich Dir hin, o Herr. Viele, viele Leben hindurch ertrug ich die drei Leiden des materiellen Daseins, und ich bin es nun müde geworden. Ich wurde nur von meinen Sinnen getrieben, und ich war niemals zufrieden. Ich suche daher Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen, die der Ursprung aller friedvollen Lebensumstände sind, und die alles Wehklagen, das auf materieller Verunreinigung beruht, beseitigen können. Lieber Herr, Du bist die Überseele eines jeden, und Du kannst alles verstehen. Ich bin nun von allen unreinen materiellen Wünschen befreit. Ich möchte weder die materielle Welt genießen noch mit Deiner spirituellen Ausstrahlung verschmelzen, noch möchte ich über Deinen lokalisierten Paramātma-Aspekt meditieren, denn ich weiß, daß ich völligen Frieden und Gleichmut erlange, wenn ich nur Zuflucht bei Dir suche.« Auf dieses Gebet Mucukundas erwiderte Śrī Kṛṣṇa: »Mein lieber König, Ich freue Mich sehr über deine Worte. Du bist der Herrscher über alle Länder der Erde gewesen, und daher überrascht es Mich, daß dein Geist nun völlig frei ist von aller materiellen Verunreinigung. Du bist nun fähig, Mir hingabevoll zu dienen. Vor allem freut Mich, daß du nicht die Gelegenheit genutzt hast, als Ich dir anbot, jeden deiner Wünsche zu erfüllen, Mich um irgendwelche materiellen Vorteile zu bitten. Ich weiß, daß dein Geist nun fest auf Mich gerichtet ist und von keinem materiellen Fehler mehr beeinträchtigt wird. Es gibt drei materielle Erscheinungsweisen: Güte, Leidenschaft und Unwissenheit. Wenn man von den vermischten materiellen Eigenschaften Unwissenheit und Leidenschaft beherrscht wird, wird man von verschiedenen Formen der Unsauberkeit und von lüsternen Wünschen dazu getrieben, nach Annehmlichkeit in der materiellen Welt zu streben. Wenn man sich jedoch in der materiellen Erscheinungsweise der Güte befindet, versucht man sich durch Bußen und Opfer zu läutern. Hat man dann die Stufe eines echten brāhmaṇa erreicht, trachtet man danach, in die Existenz des Herrn einzugehen. Doch wenn jemand nur noch den Lotosfüßen des Höchsten Herrn dienen will, so ist das transzendental zu allen drei materiellen Erscheinungsweisen. Ein reiner Gottgeweihter im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist daher immer frei von allen materiellen Eigenschaften. Mein lieber König, Ich bot dir an, jeden Deiner Wünsche zu erfüllen, um zu prüfen, wie weit du im hingebungsvollen Dienen fortgeschritten bist. Nun kann Ich sehen, daß du auf der Stufe der reinen Gottgeweihten stehst, denn dein Geist ist nicht mehr durch irgendwelche gierigen oder lüsternen materiellen Wünsche beeinträchtigt. Die yogīs, die versuchen, durch Sinnenbeherrschung Fortschritte zu machen, und die mit Hilfe der Atemübungen des prāṇāyāma über Mich meditieren, sind nicht, wie die reinen Gottgeweihten, von allen materiellen Wünschen frei. Es hat sich oftmals gezeigt, daß solche yogīs, sobald eine Verlockung auf sie wirkt, wieder auf die materielle Ebene sinken.« Das anschaulichste Beispiel für solch einen Fall ist Viśvāmitra Muni, Er war ein großer yogī, der prānāyāma (die Kunst der Atemübung) praktizierte, doch als er von Menakā, einem Gesellschaftsmädchen von den himmlischen Planeten, besucht wurde, verlor er jegliche Beherrschung und zeugte mit ihr eine Tochter namens Śakuntalā. Der reine Gottgeweihte Haridāsa Ṭhākura indessen ließ sich niemals anfechten – nicht einmal, als Freudenmädchen ihm alle materiellen Verlockungen boten. Der Herr fuhr fort: »Mein lieber König, Ich gebe dir den besonderen Segen, daß du immer an Mich denken wirst. Auf diese Weise wirst du die materielle Welt leicht hinter dir lassen können, ohne von ihren Eigenschaften verunreinigt zu werden.« Der Herr bestätigt mit dieser Aussage, daß ein Mensch, der in wahrem Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist und sich unter der Führung des geistigen Meisters im liebevollen Dienst des Herrn beschäftigt, niemals der Verunreinigung durch materielle Erscheinungsweisen ausgesetzt ist. »Mein lieber König«, fuhr der Herr fort, »weil du ein kṣatriya bist, ludst du das Unrecht auf dich, Tiere zu schlachten – sowohl bei der Jagd als auch bei politischen Unternehmungen. Um davon gereinigt zu werden, praktiziere einfach bhakti-yoga und vertiefe deinen Geist in Mich, So wirst du schon sehr bald von allen Reaktionen auf solch abscheuliches Tun befreit werden.« Aus dieser Erklärung wird deutlich, daß es den kṣatriyas zwar erlaubt ist, Tiere bei der Jagd zu töten, doch daß auch sie nicht von der Verunreinigung durch anderen sündige Reaktionen frei sind. Daher ist es letztlich gleichgültig, ob man kṣatriya, vaiśya oder brāhmaṇa ist: jedem wird empfohlen, am Ende seines Lebens sannyāsa anzunehmen, um sich völlig im Dienst des Herrn zu beschäftigen und somit von allen Sünden des vorangegangenen Lebens frei zu werden. Schließlich versicherte der Herr König Mucukunda: »In deinem nächsten Leben wirst du als vorzüglicher Vaiṣṇava, als der Beste der brāhmaṇas, geboren werden, und in diesem Leben wirst du ausschließlich in Meinem transzendentalen Dienst tätig sein.« Ein Vaiṣṇava ist ein brāhmaṇa ersten Ranges, denn jemand, der nicht die Eigenschaften eines echten brāhmaṇa erworben hat, kann kein Vaiṣṇava werden. Wenn man die Stufe des Vaiṣṇava erreicht, ist man nur noch für das Wohl aller Lebewesen tätig. Die höchste Wohltätigkeit für alle Lebewesen ist das Predigen von Kṛṣṇa-Bewußtsein. Diejenigen also, die ganz besonders vom Herrn begünstigt sind, können absolut Kṛṣṇa-bewußt werden und Vaiṣṇava-Philosophie predigen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 50. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Mucukundas Erlösung«. 51. KAPITEL Kṛṣṇa der Ranchor Als Mucukunda, der berühmte Nachkomme der Ikṣvāku-Dynastie, Śrī Kṛṣṇas Segen empfangen hatte, umkreiste er den Herrn in der Höhle und begab sich dann ins Freie. Als er ans Tageslicht trat, sah er zu seinem Erstaunen, daß die Körper der Menschen auf Zwergengröße geschrumpft waren. Auch die Bäume waren viel kleiner geworden, und da begriff Mucukunda sofort, daß er sich im Kali-yuga befand. Ohne sich weiter aufzuhalten, zog er daher nach Norden. Nach einiger Zeit erreichte er den Berg Gandhamādana, der mit vielen Bäumen bewachsen war, wie z. B. Sandelholz und andere Bäume, an denen Blüten hingen, deren Wohlgeruch jeden, der in ihre Nähe kam, in eine freudige Stimmung versetzte. Mucukunda beschloß, in dieser Berggegend zu bleiben, um sich dort für den Rest seines Lebens Strengen und Bußen zu unterziehen. Der Gandhamādana liegt, soviel man weiß, im nördlichsten Teil des Himalaya-Gebirges, wo sich auch das Reich Nara-Nārāyaṇas befindet. Dieser Ort besteht heute noch und ist unter dem Namen »Badarikāśrama« bekannt. Im Badarikāśrama widmete sich Mucukunda der Verehrung Śrī Kṛṣṇas, worüber er allen Schmerz und alle Freude wie auch die anderen Dualitäten der materiellen Welt vergaß. Śrī Kṛṣṇa kehrte nach Mathurā zurück und stürzte Sich in den Kampf mit Kālayavanas Soldaten, die Er alle, einen nach dem anderen, tötete. Danach sammelte Er die Kriegsbeute von den Toten und ließ sie unter Seiner persönlichen Aufsicht auf Ochsenkarren laden und nach Dvārakā bringen. Unterdessen griff Jarāsandha aufs neue Mathurā an, diesmal jedoch mit noch mehr Soldaten als bei seinen vorangegangenen Versuchen. Es war ihm nämlich gelungen, dreiundzwanzig akṣauhiṇīs [*Eine akṣauhiṇī (Schlachtreihe) besteht aus 21 870 Kampfwagen, 21 870 Elefanten, 106 950 Infantristen und 65 600 Kavalleristen.* ] aufzustellen. Śrī Kṛṣṇa wollte Mathurā auch vor dem achtzehnten Angriff der großen Streitmacht Jarāsandhas retten. Weil Er weiteres Blutvergießen unter den Soldaten verhindern und überdies andere wichtige Angelegenheiten erledigen wollte, verließ Er das Schlachtfeld kampflos. Obwohl Kṛṣṇa natürlich keine Furcht kannte, tat Er so, als sei Er ein gewöhnlicher Mensch, der sich vor dem ungeheuren Truppenaufgebot und Kriegsgerät Jarāsandhas fürchtete. Ohne Waffe verließ Er das Schlachtfeld, und obgleich Seine Lotosfüße die Zartheit von Lotosblüten besitzen, legte Er eine weite Strecke Weges zu Fuß zurück. Als Jarāsandha Kṛṣṇas und Balarāmas Verschwinden bemerkte, dachte er, die beiden fürchteten Sich so sehr vor seinen Heerscharen, daß Sie deshalb vom Schlachtfeld geflohen seien. Sogleich setzte er den beiden Brüdern mit allen Streitwagen, der gesamten Reiterei und allem Fußvolk nach, denn Jarāsandha hielt Kṛṣṇa und Balarāma für gewöhnliche menschliche Wesen und versuchte, Ihr Tun dementsprechend zu deuten. Seit jener Zeit ist Kṛṣṇa auch als Ranchor bekannt, was soviel bedeutet wie »einer, der das Schlachtfeld verlassen hat«. Überall in Indien, besonders in Gujarat, gibt es viele Tempel Kṛṣṇas, die man als Tempel Ranchorjīs kennt. Normalerweise wird ein König, der kampflos das Schlachtfeld verläßt, ein Feigling genannt, doch wenn Kṛṣṇa als eines Seiner transzendentalen Spiele kampflos das Schlachtfeld verläßt, wird Er von den Gottgeweihten verehrt. Ein Dämon versucht immer, Kṛṣṇas transzendentale Macht zu messen, wohingegen der Gottgeweihte niemals versucht, Kṛṣṇas Kraft und Reichtum einzuschätzen, sondern sich Ihm immer hingibt und Ihn verehrt. Dem Beispiel der reinen Gottgeweihten folgend können wir verstehen, daß Kṛṣṇa der Ranchorjī nicht aus Furcht das Schlachtfeld verließ, sondern weil Er etwas anderes vorhatte. Seine Absicht war es, wie sich später auch zeigte, schnell wieder nach Dvārakā zurückzukehren, um dort einen vertraulichen Brief zu empfangen, der Ihm von Rukmiṇī, Seiner zukünftigen ersten Frau, zugesandt wurde. Mit dem Verlassen des Schlachtfelds entfaltete der Herr eine Seiner sechs transzendentalen Füllen. Kṛṣṇa ist der Mächtigste, der Reichste, der Berühmteste, der Weiseste, der Schönste und auch der Entsagungsvollste. Das Śrīmad-Bhāgavatam erklärt eindeutig, daß Er das Schlachtfeld verließ, obwohl Ihm eine umfangreiche Streitmacht zur Verfügung stand. Doch auch allein, ohne Seine Streitheere, wäre Er imstande gewesen, die gesamte Armee Jarāsandhas zu schlagen, wie Er es bereits siebzehnmal zuvor getan hatte. Mit dem Verlassen des Schlachtfeldes gab Er ein Beispiel der höchsten Stufe der Entsagung. Nachdem die beiden Brüder lange Zeit einen weiten Weg gewandert waren, wurden Sie dem Anschein nach sehr müde. Um Ihre Müdigkeit zu vertreiben, bestiegen Sie einen hohen Berg, dessen Gipfel viele Meilen über dem Meeresspiegel lag. Dieser Berg war als Pravarṣaṇa bekannt, weil es ständig dort regnete. Der Gipfel war immer von Wolken umhüllt, die von Indra gesandt wurden. Jarāsandha war davon überzeugt, daß sich Kṛṣṇa und Balarāma vor Seiner militärischen Stärke fürchteten und Sich deshalb auf dem Berggipfel versteckt hielten. Zuerst versuchte er, Sie zu finden, doch nachdem er lange Zeit erfolglos gesucht hatte, beschloß er, Sie festzuhalten und zu töten, indem er um den Gipfel herum ein Feuer entfachte. Mit dieser Absicht goß er Öl um den Bergesgipfel und zündete es an. Als die Feuersbrunst immer weiter um sich griff, sprangen Kṛṣṇa und Balarāma einfach vom Gipfel des Berges hinunter zur ebenen Erde – ein Sprung von achtundachtzig Meilen. Während die Bergspitze in Flammen aufging, entkamen Kṛṣṇa und Balarāma, ohne von Jarāsandha gesehen zu werden. Jarāsandha dachte, die beiden Brüder seien zu Asche verbrannt, und er hielt es daher nicht für nötig, weiterzukämpfen. Von seinem Erfolg überzeugt verließ er Māthurā, um zu seiner Residenz im Königreich Magadha zurückzukehren. Kṛṣṇa und Balarāma erreichten schließlich die Stadt Dvārakā, die an allen Seiten vom Meer umgeben war. Nach diesem Erlebnis heiratete Śrī Balarāma Revatī, die Tochter König Raivatas, des Herrschers über die Ānarta-Provinz. Diese Begebenheit wird im Neunten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam geschildert. Kṛṣṇa vermählte Sich nach der Trauung Balarāmas mit Rukmiṇī. Rukmiṇī war die Tochter Bhīṣmakas, des Königs über die Provinz Vidarbha. Wie Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott, Vāsudeva, ist, ist Rukmiṇī die höchste Göttin des Glücks, Mahā-Lakṣmī. Nach der maßgeblichen Aussage des Śrī Caitanya-caritāmṛta erweitern Sich Kṛṣṇa und Śrīmatī Rādhārāṇī gleichzeitig; Kṛṣṇa erweitert Sich in mannigfache Viṣṇu-tattva-Formen, und Śrīmatī Rādhārāṇī erweitert Sich durch Ihre innere Energie in zahlreiche śakti-tattva-Formen, in die vielen Formen der Glücksgöttinnen. Nach vedischem Brauch gibt es acht verschiedene Arten der Heirat. Bei einer Heirat nach bestem Brauch vereinbaren die Eltern der Braut und des Bräutigams gemeinsam den Tag, an dem die Trauung stattfinden soll. Am betreffenden Tag geht dann der Bräutigam in königlichem Aufzug zum Hause der Braut, und dort wird ihm in Anwesenheit von brāhmaṇas, Priestern und Verwandten die Hand seiner Braut übergeben. Daneben gibt es noch andere Arten der Heirat, wie z. B. die gandharva- und rākṣasa-Heiraten. Rukmiṇī heiratete Kṛṣṇa im rākṣasa-Stil, denn Kṛṣṇa entführte sie vor den Augen Seiner vielen Rivalen, wie Śiśupāla, Jarāsandha und vielen anderen. Als Rukmiṇī Śiśupāla übergeben wurde, raubte Kṛṣṇa sie aus der Festarena ebenso, wie Garuḍa den Dämonen den Topf mit Nektar entriß. Rukmiṇī, die einzige Tochter König Bhīṣmakas, war von einzigartiger Schönheit. Man nannte sie auch Rucirānanā, was soviel bedeutet wie »die, deren Antlitz so schön wie eine Lotosblüte ist.« Geweihte Kṛṣṇas sind stets begierig, von den transzendentalen Taten des Herrn zu hören. Seine Taten, wie Kämpfen, Entführen oder vom Schlachtfeld Fortlaufen, sind alle transzendental, denn sie befinden sich auf der absoluten Ebene, und die Gottgeweihten unterscheiden daher bei Kṛṣṇas Spielen nicht zwischen solchen, die es wert sind, gehört zu werden, und anderen, die zu vermeiden sind. Es gibt jedoch eine Gruppe von Pseudo-Gottgeweihten, allgemein als prākṛta-sahajiyās bekannt, die sehr viel Interesse für Kṛṣṇas rāsa-līlā mit den gopīs zeigen, aber z. B. nichts von Kṛṣṇas Kämpfen mit Seinen Feinden wissen wollen. Sie wissen nicht, daß Seine Auseinandersetzungen und Sein vertraulicher Umgang mit den gopīs gleichermaßen transzendental sind, weil sie sich auf der absoluten Ebene befinden. Die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas, die im Śrīmad-Bhāgavatam geschildert werden, kosten die reinen Gottgeweihten durch ergebenes Hören, und sie lehnen keinen Tropfen dieses Nektars ab. Im nun Folgenden soll die Geschichte von Kṛṣṇas Heirat mit Rukmiṇī erzählt werden. Der Herrscher von Vidarbha, Mahārāja Bhīṣmaka, war ein hochbefähigter und gottergebener König. Er hatte fünf Söhne und nur eine Tochter. Sein erster Sohn hieß Rukmī, der zweite Rukmaratha, der dritte Rukmabāhu, der vierte und jüngste Rukmakeśa und der fünfte Rukmamālī. Die kleine Schwester der fünf Brüder hieß Rukmiṇī. Sie war außerordentlich schön und keusch, und sie war ausersehen, von Śrī Kṛṣṇa geheiratet zu werden. Viele Heilige und Weise, wie Nārada Muni, pflegten den Palast König Bhīṣmakas zu besuchen. Dabei bot sich Rukmiṇī natürlich die Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen, und auf diese Weise erfuhr sie von Kṛṣṇa. Sie erfuhr auch von den sechs Füllen Kṛṣṇas, und allein dadurch, daß sie von Ihm hörte, entstand in ihr der Wunsch, sich Seinen Lotosfüßen hinzugeben und Seine Frau zu werden. Auch Kṛṣṇa hatte von Rukmiṇī gehört. Sie war die Quelle aller transzendentalen Eigenschaften wie Klugheit, Großherzigkeit, vortreffliche Schönheit und Rechtschaffenheit. Kṛṣṇa entschied daher, daß sie geeignet sei, Seine Frau zu werden. Und die Angehörigen und Verwandten König Bhīṣmakas fanden ebenfalls, daß Rukmiṇī mit Kṛṣṇa verheiratet werden solle. Ihr älterer Bruder Rukmī indessen wollte sie gegen den Wunsch der übrigen Familienmitglieder mit Śiśupāla, einem erklärten Feind Kṛṣṇas, vermählen und bereitete alles zur Heirat mit ihm vor. Als die schwarzäugige, liebliche Rukmiṇī von dieser Entscheidung hörte, wurde sie sehr traurig. Weil sie jedoch die Tochter eines Königs war, verstand sie etwas von Diplomatie und erkannte daher, daß es keinen Sinn hatte, sich vom Kummer besiegen zu lassen. Es mußte augenblicklich etwas unternommen werden. Nach einiger Überlegung beschloß sie, Kṛṣṇa eine Botschaft zu senden, und um sicher zu sein, nicht verraten zu werden, wählte sie einen geeigneten brāhmaṇa als Boten. Ein qualifizierter brāhmaṇa ist nämlich immer wahrhaftig und ein Geweihter Viṣṇus. Unverzüglich schickte sie also den brāhmaṇa nach Dvārakā. Sowie der brāhmaṇa vor das Stadttor von Dvārakā gelangte, meldete er dem Torwächter seine Ankunft, worauf ihn dieser zu dem Palast führte, in dem Kṛṣṇa auf einem goldenen Thron saß. Weil der brāhmaṇa Rukmiṇīs Bote war, hatte er das Glück, den Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, der die ursprüngliche Ursache aller Ursachen ist, von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Ein brāhmaṇa ist der spirituelle Lehrer aller Schichten der Gesellschaft, und deshalb wollte Kṛṣṇa jeden die vedische Sitte lehren, wie man einen brāhmaṇa zu ehren hat. Sobald er den brāhmaṇa sah, stand Er auf und bot ihm Seinen Thron an. Als der brāhmaṇa dann auf dem goldenen Thron saß, begann Śrī Kṛṣṇa ihn ebenso zu verehren, wie Er Selbst von den Halbgöttern verehrt wird. Auf diese Weise zeigte Er, daß es von größerem Wert ist, Seinen Geweihten zu verehren, als Ihn Selbst. Anschließend nahm der brāhmaṇa ein Bad, speiste und ruhte sich schließlich auf einem Bett aus, das ganz mit Tüchern aus weicher Seide bedeckt war. Als er dort rastete, näherte Śrī Kṛṣṇa Sich ihm leise, nahm mit großer Achtung seine Füße auf den Schoß und begann sie zu massieren. Er sagte: »Mein lieber brāhmaṇa, Ich hoffe, daß du die religiösen Prinzipien ohne Schwierigkeiten befolgen kannst, und daß dein Geist stets friedvoll ist.« Die verschiedenen Klassen von Menschen in der Gesellschaft gehen unterschiedlichen Aufgaben nach, und wenn man sich daher nach dem Wohlergehen eines Menschen erkundigt, müssen die Fragen, die man ihm stellt, mit dieser Aufgabe in Verbindung stehen. Wenn man sich also nach dem Wohlergehen eines brāhmaṇa erkundigt, sollten die Fragen auf seine Lebensweise abgestimmt sein, damit er sich nicht gestört fühlt. Innerer Frieden bildet die Voraussetzung für Wahrhaftigkeit, Reinheit, Ausgeglichenheit, Selbstbeherrschung und Duldsamkeit, und wenn man Wissen erlangt und seine praktische Anwendung im Leben lernt, gewinnt man festes Vertrauen in die Absolute Wahrheit. Der brāhmaṇa wußte, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, doch nahm er den ehrerbietigen Dienst des Herrn entgegen, um die in den Veden dargelegten Regeln für die Gesellschaft einzuhalten, Śrī Kṛṣṇa spielte die Rolle eines gewöhnlichen Menschen, und da Er zur kṣatriya-Klasse der Gesellschaft gehörte und zudem noch ein Jüngling war, war es Seine Pflicht, einem solchen brāhmaṇa Achtung zu erweisen. Der Herr fuhr also fort: »O Bester aller brāhmaṇas, du solltest immer zufrieden sein, denn wenn ein brāhmaṇa stets selbstgenügsam ist, wird er nicht von seinen vorgeschriebenen Pflichten abweichen; jeder kann, wenn er sich einfach an seine vorgeschriebenen Pflichten hält, die höchste Erfüllung aller Wünsche erfahren, was ganz besonders für die brāhmaṇas gilt. Selbst wenn ein König so reich und mächtig wie Indra, der König des Himmels, ist, muß er, wenn er nicht zufrieden ist, unweigerlich von Planet zu Planet wandern. Solch ein Mensch kann niemals und unter keinen Umständen glücklich werden, doch wenn ein Mensch innerlich zufrieden ist, kann er, selbst wenn er keine hohe Stellung einnimmt, immer und überall glücklich leben.« Diese Anweisungen Kṛṣṇas an den brāhmaṇa sind sehr wichtig. Sie lehren, daß ein echter brāhmaṇa unter keinen Umständen gestört sein darf. In unserem Zeitalter, dem Kali-yuga, haben die sogenannten brāhmaṇas die verabscheuungswerte Stellung von śūdras oder denen, die noch weniger sind als śūdras, angenommen und wollen trotzdem als qualifizierte brāhmaṇas angesehen werden. Doch ein wirklich qualifizierter brāhmaṇa hält sich immer an seine Pflichten und würde niemals den Pflichten eines śūdra oder denen eines Menschen, der noch niedriger ist als ein śūdra, nachkommen. In den maßgeblichen Schriften findet man die Anweisung, daß ein brāhmaṇa unter zwingenden Umständen auch die Tätigkeit eines kṣatriya oder selbst eines vaiśya verrichten darf, doch niemals darf er die Tätigkeit eines śūdra aufnehmen. Śrī Kṛṣṇa erklärte, ein brāhmaṇa solle sich niemals durch widrige Lebensumstände beeinträchtigen lassen, sondern beharrlich den für ihn bestimmten religiösen Prinzipien folgen. Abschließend sagte Śrī Kṛṣṇa: »Ich bringe den brāhmaṇas und Vaiṣṇavas Meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar, denn die brāhmaṇas sind stets selbstgenügsam, und die Vaiṣṇavas bemühen sich immerzu darum, der menschlichen Gesellschaft wirkliche Wohltat zu erweisen. Sie sind die allerbesten Freunde der Menschheit, frei von Selbstsucht und innerlich stets friedvoll. Śrī Kṛṣṇa wollte alsdann wissen, wie es den Herrschern (kṣatriyas) im Königreich des brāhmaṇa gehe, und fragte daher, ob die Bürger alle glücklich seien. Die Befähigung eines Königs wird nach dem Befinden des Volkes beurteilt. Wenn die Bürger in jeder Beziehung glücklich sind, weiß man, daß der König edel ist und seine Pflichten in rechter Weise erfüllt. Kṛṣṇa sagte, ein König, in dessen Königreich die Menschen glücklich leben, sei Ihm sehr lieb. Natürlich wußte der Herr, daß der brāhmaṇa mit einer vertraulichen Botschaft zu Ihm gekommen war, und so sagte Er schließlich: »Wenn du nichts dagegen hast, gebe ich Dir hiermit die Erlaubnis, über deine Mission zu sprechen.« Höchst befriedigt durch den transzendentalen Austausch mit dem Herrn, erzählte der brāhmaṇa alles über seine Mission, Kṛṣṇa aufzusuchen und mit Ihm zu sprechen. Er holte Rukmiṇīs Brief an Kṛṣṇa hervor und sprach: »Dies sind die Worte der Prinzessin Rukmiṇī: ›Mein lieber Kṛṣṇa, o Unfehlbarer und Schönster der Schönen, jeder Mensch, der von Deiner transzendentalen Gestalt und Deinen transzendentalen Spielen hört, vergegenwärtigt sich augenblicklich durch die Ohren Deinen Namen, Deinen Ruhm und Deine Eigenschaften; so fallen all seine materiellen Leiden von ihm, und er nimmt Deine Gestalt in sein Herz auf. In seiner transzendentalen Liebe zu Dir sieht er Sich ständig in seinem Innern, und dabei erfüllen sich all seine Wünsche. Auch ich habe von Deinen transzendentalen Eigenschaften gehört. Ich mag es scheinbar an Schamhaftigkeit fehlen lassen, daß ich mich so offen kundtue, doch muß ich Dir gestehen, daß Du mich bezaubert und mein Herz entwendet hast. Vielleicht denkst du jetzt, ich sei ein junges unverheiratetes Mädchen, dessen Charakterfestigkeit zu bezweifeln sei, doch Du, mein lieber Mukunda, bist der Höchste Löwe unter den Menschen, die Höchste Person von allen Personen. Jedes Mädchen, selbst wenn es noch nichts anderes gesehen hat als sein Zuhause, und jede Frau, sei sie auch noch so keusch, würden, bezaubert von Deinem einzigartigen Charakter, Deinem Wissen, Deinem Reichtum und Deiner Stellung, sich wünschen, Dich zu heiraten. Ich weiß, daß Du der Gemahl der Glücksgöttin und daß Du Deinen Geweihten sehr zugetan bist; deshalb habe ich mich entschlossen, Deine ewige Dienerin zu werden. Mein lieber Herr, Deinen Lotosfüßen weihe ich mein Leben und meine Seele. Ich habe mir Deine Herrlichkeit als Ehemann auserwählt, und so bitte ich Dich, mich als Deine Frau anzunehmen. Du bist der Mächtigste, o Lotosäugiger. Nun gehöre ich Dir. Es ist einfach lächerlich, wenn das, was dem Löwen zum Genuß bestimmt ist, vom Schakal gestohlen wird; daher bitte ich Dich, Dich meiner anzunehmen, bevor ich von Śiśupāla und anderen Fürsten seines Schlages weggeführt werde. Mein lieber Herr, vielleicht habe ich in meinem vorherigen Leben Werke zum Wohl der Allgemeinheit getan, wie zum Beispiel Brunnen gegraben, Bäume gepflanzt, fromme Taten, wie rituelle Zeremonien und Opfer, vollbracht oder dem geistigen Meister, den brāhmaṇas und Vaiṣṇavas gedient. Vielleicht habe ich durch diese Taten den Höchsten Persönlichen Gott, Nārāyaṇa, erfreuen können. Wenn dem so ist, wünsche ich mir, daß Du, Śrī Kṛṣṇa, Bruder Balarāmas, hierher kommst und mich entführst, so daß ich nicht von Śiśupāla und Seinen Kumpanen berührt werde.‹ « Rukmiṇīs Heirat mit Śiśupāla war bereits festgesetzt worden; deshalb schlug sie Kṛṣṇa vor, sie zu entführen, damit dies verhindert werden könne. Eine Heirat, bei der die Braut mit Gewalt entführt wird, bezeichnet man als rākṣasa; sie ist bei den kṣatriyas oder der verwaltenden, kriegerischen Menschenklasse üblich. Weil Rukmiṇīs Heirat bereits für den nächsten Tag vorgesehen war, bat sie Kṛṣṇa, unerkannt zur Feier zu kommen, um sie zu entführen und mit Śiśupāla und seinen Verbündeten, wie dem König von Magadha, zu kämpfen. Da sie wußte, daß niemand Kṛṣṇa besiegen konnte, und daß Er mit Sicherheit siegreich aus dem Kampf hervorgehen werde, nannte sie den Herrn Ajita, den Unüberwindlichen. Rukmiṇī schrieb Kṛṣṇa auch, Er brauche Sich keine Sorgen zu machen, ob viele ihrer Verwandten, darunter auch Frauen, verwundet oder gar getötet werden würden, wenn der Kampf im Inneren des Palastes stattfinden sollte. Gleich einem König, der diplomatische Wege und Mittel ersinnt, um sein Ziel zu erreichen, wußte Rukmiṇī geschickt Mittel und Wege zu finden, unnötiges und unerwünschtes Töten zu vermeiden. Sie erklärte Śrī Kṛṣṇa, es sei ein alter Brauch in ihrer Familie, vor einer Hochzeit den Tempel der Göttin Durgā, der Gottheit ihrer Familie, zu besuchen. Die kṣatriya-Könige waren damals fast alle echte Vaiṣṇavas, die Śrī Viṣṇu entweder als Rādhā-Kṛṣṇa oder als Lakṣmī-Nārāyaṇa verehrten. Zur gleichen Zeit pflegten sie aber auch der Göttin Durgā zu huldigen, um materiellen Wohlstand zu erlangen. Sie begingen jedoch niemals den Fehler, die Halbgötter für den Höchsten Herrn zu halten und sie mit dem Viṣṇu-tattva auf eine Stufe zu stellen, wie es weniger intelligente Menschen tun. Um unnötiges Blutvergießen auf beiden Seiten ihrer Verwandten zu vermeiden, teilte Rukmiṇī Kṛṣṇa mit, die beste Gelegenheit, sie zu entführen, sei gegeben, wenn sie vom Palast zum Tempel gehe oder vom Tempel nach Hause zurückkehre. Sie verriet Kṛṣṇa auch, warum sie sich so danach sehne, Ihn zu heiraten, obwohl sie bereits Śiśupāla versprochen war, der als Sohn eines großen Königs ebenfalls einige besondere Eigenschaften besaß. Rukmiṇī erklärte, daß sie niemanden kenne, der Kṛṣṇa übertreffe – nicht einmal Śiva, der als Mahādeva, der größte aller Halbgötter, bekannt sei, übertreffe Kṛṣṇa. Selbst Śiva bemüht sich um die Gunst Śrī Kṛṣṇas, um aus seiner Verstrickung in die Erscheinungsweise der Unwissenheit in der materiellen Welt befreit zu werden. Obwohl Śiva die größte aller großen Seelen, aller mahātmas ist, trägt er das reinigende Wasser des Ganges auf seinem Kopf, das durch ein Loch in der Umhüllung des materiellen Universums strömt, das Śrī Viṣṇu mit Seiner Zehe hineingetreten hat. Śiva ist für die materielle Erscheinungsweise der Unwissenheit zuständig, und um trotzdem auf der transzendentalen Ebene zu bleiben, meditiert er ständig über Śrī Viṣṇu. Rukmiṇī wußte daher sehr wohl, daß es durchaus nichts Geringes war, die Gunst Śrī Kṛṣṇas zu gewinnen. Wenn sich selbst Śiva zu diesem Zweck läutern mußte, würde es für Rukmiṇī ganz gewiß schwierig sein, die doch nur die Tochter eines kṣatriya-Königs war. Daher beschloß sie, ihr Leben ganz Opfer und Bußen zu widmen, wie dem Fasten und der Entsagung körperlicher Annehmlichkeiten. Wenn es ihr in diesem Leben trotz aller Bemühungen nicht gelingen sollte, Kṛṣṇas Gunst zu erwerben, war sie bereit, Leben nach Leben Entsagung zu üben. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß die reinen Geweihten des Herrn sich mit großer Entschlossenheit im hingebungsvollen Dienen bemühen. Diese Entschlossenheit, für die Rukmiṇī ein Beispiel ist, ist der einzige Preis, für den man Kṛṣṇas Gunst erlangen kann, und sie ist der Weg zum endgültigen Erfolg im Kṛṣṇa-Bewußtsein. Nachdem der brāhmaṇa Rukmiṇī-devīs Botschaft vorgelesen hatte, sagte er: »Mein lieber Kṛṣṇa, Führer der Yadu-Dynastie, ich habe Dir nun Rukmiṇīs vertrauliche Botschaft überbracht; alles weitere liegt bei Dir. Denke gut darüber nach, und handle dann, wie Du es für richtig hältst. Wenn Du aber etwas unternehmen möchtest, mußt Du es sofort tun, denn es bleibt nicht mehr viel Zeit.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 51. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa der Ranchor«. 52. KAPITEL Kṛṣṇa entführt Rukmiṇī Kṛṣṇa war, nachdem Er Rukmiṇīs Botschaft vernommen hatte, sehr erfreut. Er schüttelte dem brāhmaṇa die Hand und sagte: »Mein lieber brāhmaṇa, es macht Mich sehr froh zu erfahren, daß Rukmiṇī sich wünscht, Mich zu heiraten, denn auch Ich sehne Mich danach, ihre Hand zu gewinnen. Meine Gedanken weilen ständig bei der Tochter Bhīṣmakas, und manchmal kann Ich nachts nicht schlafen, weil Ich an sie denken muß. Ich weiß auch, daß ihr älterer Bruder ihre Heirat mit Śiśupāla aus einer feindlichen Gesinnung gegen Mich heraus geplant hat. Deshalb bin Ich entschlossen, all diesen Prinzen eine unvergeßliche Lehre zu erteilen. So wie man Feuer erhält und es für seine Zwecke gebraucht, nachdem man Holz aneinander gerieben hat, werde ich Rukmiṇī aus der Mitte der dämonischen Prinzen entführen, nachdem Ich mit ihnen gekämpft habe.« Als Kṛṣṇa den genauen Tag von Rukmiṇīs Heirat erfahren hatte, wollte Er schnellstens aufbrechen. Er bat Seinen Fahrer Dāruka, die Pferde vor den Streitwagen zu spannen und alles für die Fahrt zum Königreich Vidarbha vorzubereiten. Auf Kṛṣṇas Befehl brachte der Wagenlenker vier ganz besondere Pferde herbei. Die Namen und Beschreibungen dieser Pferde werden im Padma Purāṇa aufgeführt. Das erste, Śaivya, hatte eine grünliche Hautfarbe; das zweite, Sugrīva, war eisgrau; das dritte, Meghapuṣpa, hatte die Farbe einer frischen Wolke, und das letzte, Balāhaka, war aschfarben. Als die Pferde eingespannt waren, und der Wagen fahrbereit war, half Kṛṣṇa dem brāhmaṇa auf den Sitz an Seiner Seite. Schon fuhren sie los, hatten Dvārakā bald hinter sich gelassen und erreichten noch in der gleichen Nacht die Provinz Vidarbha. Das Königreich Dvārakā liegt im Westen Indiens und Vidarbha befindet sich im nördlichen Teil. Die Entfernung zwischen den beiden Ländern beträgt nicht weniger als tausend Meilen, doch die Pferde waren so schnell, daß sie ihr Ziel, die Stadt Kuṇḍina in Vidarbha, innerhalb einer Nacht, das heißt in höchstens zwölf Stunden, erreichten. König Bhīṣmaka war zwar nicht sehr angetan von dem Gedanken, seine Tochter Śiśupāla zur Frau zu geben, doch fühlte er sich aus überstarker Zuneigung zu seinem ältesten Sohn, der die Heirat ausgemacht hatte, verpflichtet, der Heirat zuzustimmen. Er ließ also, wie man es von ihm erwartete, die Stadt auf das Hochzeitsfest vorbereiten, wobei er sich alle Mühe gab, das Fest zu einem großen Erfolg werden zu lassen. Überall in den Straßen wurde Wasser versprengt, und die ganze Stadt wurde aufs sorgfältigste gereinigt. Weil Indien in der tropischen Zone liegt, ist das Klima dort, außer in der Regenzeit, immer trocken. Daher sammelt sich auf den Straßen und Wegen ständig Staub an, so daß sie mindestens einmal täglich mit Wasser besprengt werden müssen – in Großstädten wie Kalkutta sogar zweimal täglich. Die Straßen von Kuṇḍina wurden mit farbenprächtigen Fähnchen und Girlanden geschmückt, und an den wichtigen Straßenkreuzungen errichtete man Torbögen. Die gesamte Stadt wurde in alle Pracht gekleidet, und ihr Aussehen verschönerte sich noch durch den Anblick der Einwohner, die alle frische Kleider trugen und sich mit Sandelholzpaste, Perlenketten und Blumengirlanden hergerichtet hatten. Überall brannte Weihrauch, und Duftessenzen wie aguru füllten die Luft. Die Priester und brāhmanas wurden ausgiebig gespeist und erhielten, wie es sich bei rituellen Festen gehörte, viele Kostbarkeiten und Kühe als Zuwendung. Nach der Speisung und Beschenkung begannen sie, vedische Hymnen zu chanten. Rukmiṇī, die Tochter des Königs, war wirklich außergewöhnlich schön. Sie war überaus wohlgepflegt und hatte wunderschöne Zähne. Um ihr Handgelenk war das glückverheißende heilige Band geschlungen; dazu trug sie verschiedenartige Schmuckstücke aus Juwelen, und ihr Oberkörper war, wie ihre übrige Gestalt, in seidene Tücher gehüllt. Gelehrte Priester chanteten schutzbringende mantras aus dem Sāma-, dem Ṛg- und dem Yajur-veda. Als sie Opfergaben im Feuer darbrachten, um ungünstige Konstellationen von Gestirnen zu beschwichtigen, chanteten sie mantras aus dem Atharva-veda. König Bhīṣmaka wußte wohl, wie man sich bei solchen Zeremonien den brāhmaṇas und Priestern gegenüber zu verhalten hat, und so ehrte er die brāhmaṇas besonders, indem er ihnen große Mengen Gold und Silber, mit Sirup vermischte Körnerfrüchte sowie Kühe mit goldenem Zierwerk schenkte. Damaghoṣa, Śiśupālas Vater, führte alle möglichen Rituale aus, um eine glückliche Zukunft für seine Familie zu erflehen. Er war als Damaghoṣa bekannt wegen seiner besonderen Fähigkeit, undisziplinierte Bürger niederzuzwingen. »Dama« bedeutet »bezwingen« und »ghoṣa« wird mit »berühmt« übersetzt. Damaghoṣa war also dafür berühmt, die Bürger unter strenger Aufsicht zu halten. Daher vertraute er darauf, daß er, wenn Kṛṣṇa kommen sollte, um die Heirat zu stören, Ihn mit seinen Soldaten bezwingen werde. Nachdem er die verschiedenen glückverheißenden Zeremonien durchgeführt hatte, sammelte er seine Madasravi-Truppen um sich und nahm überdies viele mit goldenen Ketten geschmückte Elefanten und zahlreiche Streitwagen und Pferde mit, die ähnlich prunkvoll ausgestattet waren. Es hatte den Anschein, als hätten Dhamaghoṣa, sein Sohn und seine Gefährten zwar die Heirat nicht völlig vergessen, doch als seien sie in erster Linie des Kämpfens wegen nach Kuṇḍina gekommen. Als König Bhīṣmaka erfuhr, daß Damaghoṣa und sein Gefolge sich Kuṇḍina näherten, verließ er die Stadt, um sie willkommen zu heißen. Vor dem Stadttor lagen viele Gärten, in denen die Gäste begrüßt wurden, und die als Gästequartiere gedacht waren. Nach vedischem Brauch ist es üblich, daß der Brautvater die Gefolgschaft des Bräutigams empfängt und sie zwei oder drei Tage, bis die Heiratszeremonie vorüber ist, in angemessenen Unterkünften bewirtet. Damaghoṣas Gefolgschaft bestand aus Tausenden von Leuten, unter denen sich auch so berühmte Könige und Persönlichkeiten wie Jarāsandha, Dantavakra, Vidūratha und Pauṇḍraka befanden. Es war ein offenes Geheimnis, daß Rukmiṇī eigentlich Kṛṣṇa hatte heiraten sollen, daß aber Rukmī, ihr ältester Bruder, ihre Heirat mit Śiśupāla beschlossen hatte. Es ging auch das Gerücht um, Rukmiṇī habe Kṛṣṇa einen Boten gesandt, weshalb die Soldaten argwöhnten, daß Kṛṣṇa gegen die Heirat vorgehen und versuchen werde, Rukmiṇī zu entführen. Doch obgleich sie nicht frei von Angst waren, waren sie doch bereit, Kṛṣṇa einen harten Kampf zu liefern, um so zu verhindern, daß Er das Mädchen entführe. Inzwischen hatte Balarāma erfahren, daß Kṛṣṇa, nur von einem brāhmaṇa begleitet, nach Kuṇḍina gefahren war, und daß sich Śiśupāla dort mit einer beträchtlichen Anzahl von Soldaten aufhielt; und weil Er befürchtete, daß sie Kṛṣṇa angreifen könnten, erschien Er mit starken Heeresabteilungen, bestehend aus Streitwagen, Fußvolk, Reiterei und Elefanten, vor Kuṇḍina. Rukmiṇī harrte unterdessen sehnsüchtig in ihrem Palast der Ankunft Kṛṣṇas. Doch als weder Er noch der brāhmaṇa, dem sie die Botschaft anvertraut hatte, eintrafen, wurde sie sehr unruhig und begann, sich sehr unglücklich zu fühlen. Sie sagte sich: »Es trennt mich jetzt nur noch eine Nacht vom Hochzeitstag, aber bisher sind weder der brāhmaṇa noch Śyāmasundara erschienen. Warum nur?« Sie hatte schon fast alle Hoffnung verloren und dachte, Kṛṣṇa sei vielleicht aus irgendeinem Grund mit ihr unzufrieden und habe deshalb ihren freimütigen Antrag zurückgewiesen. Als Folge davon, so malte sie sich aus, sei der brāhmaṇa vielleicht enttäuscht gewesen und deshalb gar nicht erst zurückgekehrt. Doch obwohl Rukmiṇī viele Gründe für das Ausbleiben der beiden in den Sinn kamen, erwartete sie jeden Augenblick ihre Ankunft. Rukmiṇī fiel weiterhin ein, daß möglicherweise Halbgötter wie Brahmā, Śiva und die Göttin Durgā ihr ungnädig geworden seien. Wenn nämlich die Halbgötter nicht richtig verehrt werden, erzürnt sie das. Als Indra zum Beispiel einst merkte, daß die Einwohner von Vṛndāvana ihm kein Opfer mehr darbringen wollten (denn Kṛṣṇa hatte ihnen den Indra-yajña untersagt), wurde er sehr zornig und wollte sie bestrafen. Rukmiṇī, die dies wußte, dachte nun, Śiva oder Brahmā seien böse auf sie geworden und versuchten, ihre Wünsche zu durchkreuzen, denn sie hatte nie viel an die Verehrung dieser Halbgötter gedacht. Noch mehr fürchtete sie, daß die Göttin Durgā ebenso ärgerlich wie ihr Gatte geworden sei. Śiva ist auch als Rudra bekannt und seine Frau als Rudrāṇī. Rudrāṇī und Rudra nennt man diejenigen, die dazu neigen, anderen solches Leid zu bereiten, daß diese für immer weinen. Rukmiṇī dachte daran, daß die Göttin Durgā, auch als Girijā, »die Tochter des Himalaya-Gebirges«, bekannt ist. Die Himalaya-Berge sind sehr kalt und hart, und Rukmiṇī stellte sich die Göttin Durgā ebenso hartherzig und kalt vor. In ihrer Sehnsucht nach Kṛṣṇa machte sich Rukmiṇī, die ja im Grunde immer noch ein Kind war, in dieser Weise Gedanken über die Halbgötter. Selbst die gopīs verehrten einst die Göttin Kātyāyanī, um Kṛṣṇa als ihren Ehemann zu bekommen, und so wandte sich jetzt auch Rukmiṇī an die Halbgötter - nicht, um von ihnen eine materielle Segnung zu erhalten, sondern um Kṛṣṇa zu bekommen. Zu den Halbgöttern um Kṛṣṇas Gunst zu beten ist durchaus nichts Unstatthaftes, und was Rukmiṇī betrifft, so war sie völlig in Gedanken an Kṛṣṇa vertieft. Obwohl Rukmiṇī sich mit dem Gedanken zu beruhigen versuchte, daß es für Govindas Ankunft noch nicht zu spät sei, hatte sie das Gefühl, als seien ihre Hoffnungen vergebens. Sie begann Tränen zu vergießen, und als der Tränenstrom immer heftiger wurde, schloß sie hilflos die Augen. Während Rukmiṇī so tief in Gedanken war, zeigten sich an mehreren Stellen ihres Körpers glückverheißende Symptome: An ihrem linken Augenlid und an ihren Armen und Schenkeln machte sich ein Zittern bemerkbar. Wenn an diesen Stellen des Körpers ein Zittern auftritt, ist das ein Zeichen dafür, daß etwas Erfreuliches zu erwarten ist. Und da sah die verzweifelte Rukmiṇī auch schon den brāhmaṇa, ihren Boten. Kṛṣṇa wußte, als Überseele in allen Lebewesen, von Rukmiṇīs Befürchtungen und hatte daher den brāhmaṇa in den Palast geschickt, um sie davon zu unterrichten, daß Er in Kuṇḍina angekommen sei. Als Rukmiṇī den brāhmaṇa sah, wußte sie das glückverheißende Zittern an ihrem Körper zu deuten und wurde deshalb unsagbar froh. Sie lächelte und fragte ihn, ob Kṛṣṇa bereits angekommen sei, und er ermutigte sie weiter, indem er sagte, der Herr habe versprochen, sie unter allen Umständen zu entführen. Rukmiṇī war so froh über die Botschaft des brāhmaṇa, daß sie ihm alles schenken wollte, was sie besaß. Als sie jedoch nichts Passendes finden konnte, brachte sie ihm einfach ihre achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Die Bedeutung der Darbringung respektvoller Ehrerbietungen ist, daß man der geehrten Person aus Dankbarkeit verpflichtet ist. Rukmiṇī bedeutete dem brāhmaṇa mit dieser Geste also, daß sie ihm für alle Zeit dankbar sein werde. Jeder der, wie dieser brāhmaṇa, die Gunst der Glücksgöttin erlangt, kann sich zweifellos stets materiellen Reichtums erfreuen. Als König Bhīṣmaka hörte, daß Kṛṣṇa und Balarāma in seine Stadt gekommen seien, lud er Sie ein, der Heiratszeremonie seiner Tochter beizuwohnen. Auch sorgte er sogleich dafür, daß Sie und Ihre Soldaten in einem angemessenen Gartenhaus Quartier erhielten, und bot Kṛṣṇa und Balarāma nach vedischer Sitte Honig und frischgewaschene Gewänder. Außer Kṛṣṇa und Balarāma und Könige, wie z. B. Jarāsandha, die er sehr gastfreundlich aufnahm, empfing er noch viele andere Könige und Prinzen, entsprechend ihrer Stärke, ihrem Alter und ihrem materiellen Reichtum. Bald versammelten sich die Einwohner von Kuṇḍina aus Neugierde und Interesse um Kṛṣṇa und Balarāma und tranken den Nektar Ihrer Schönheit. Mit tränenerfüllten Augen erwiesen sie Ihnen schweigend ihre Ehrerbietung. Sie waren glücklich, in Kṛṣṇa den geeigneten Gatten Rukmiṇīs zu sehen. Sie wünschten sich so sehr, Kṛṣṇa und Rukmiṇī vereint zu sehen, daß sie zum Persönlichen Gott beteten: »Lieber Herr, wenn wir jemals irgendwelche frommen Werke getan haben, die Dich erfreuten, dann sei bitte so gütig und nimm Rukmiṇī zur Frau.« Rukmiṇī war ganz offenbar eine sehr beliebte Prinzessin, denn alle Bürger beteten aus Liebe zu ihr um ihr Bestes. Inzwischen begab sich Rukmiṇī, zauberhaft gekleidet und von vielen Leibwächtern bewacht, aus dem Palast, um den Tempel Ambikās, den Tempel der Göttin Durgā, zu besuchen. Das Verehren von Bildgestalten im Tempel ist schon seit den Anfängen der vedischen Kultur gebräuchlich. Es gibt jedoch eine Gruppe von Menschen, die in der Bhagavad-gītā als veda-vāda-rata bezeichnet werden, was bedeutet, daß sie nur an die vedischen rituellen Prinzipien glauben, doch nichts von der Verehrung im Tempel halten. Solche Toren sollten hieraus lernen, daß bereits vor 5000 Jahren, als Kṛṣṇa Rukmiṇī heiratete, Tempelverehrung üblich war. In der Bhagavad-gītā erklärt der Herr: yānti deva-vratā devān. – »Die Verehrer der Halbgötter gelangen in die Reiche der Halbgötter.« Damals gab es viele Verehrer der Halbgötter, aber auch viele, die den Höchsten Persönlichen Gott direkt verehrten. Die Verehrung der Halbgötter richtete sich hauptsächlich auf Brahmā, Śiva, Gaṇeśa, den Sonnengott Vivasvān und die Göttin Durgā. Śiva und die Göttin Durgā wurden sogar von den königlichen Familien verehrt, andere, unbedeutende Halbgötter meist nur von einfältigen Menschen niederer Herkunft. Was dagegen die brāhmaṇas und Vaiṣṇavas betrifft, so verehrten sie einzig und allein Śrī Viṣṇu, den Höchsten Persönlichen Gott. In der Bhagavad-gītā wird die Verehrung der Halbgötter zwar verurteilt, jedoch nicht verboten. Es wird deutlich gesagt, daß nur die weniger intelligenten Menschen die verschiedenen Halbgötter materieller Segnungen wegen verehren. Andererseits jedoch besuchte auch Rukmiṇī, obwohl sie die Glücksgöttin selbst war, den Tempel Durgās, weil dort die Gottheit der Familie verehrt wurde. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird dazu erklärt, daß Rukmiṇī auf ihrem Weg zum Tempel in ihrem Innern unablässig an die Lotosfüße Śrī Kṛṣṇas dachte. Als Rukmiṇī daher zu dem Tempel ging, tat sie dies nicht mit der gleichen Absicht wie ein gewöhnlicher Mensch, der dort um materiellen Nutzen betteln will; ihr einziges Ziel war Kṛṣṇa. Letzten Endes ist immer, wenn Menschen zum Tempel eines Halbgottes gehen, Kṛṣṇa der Gegenstand der Verehrung, denn Er ist es, der die Halbgötter dazu ermächtigt, ihren Verehrern materielle Segnungen zu erteilen. Während Rukmiṇī zum Tempel ging, war sie sehr schweigsam und ernst. Ihre Mutter und ihre Freundinnen gingen an ihrer Seite, und in der Mitte der Prozession befand sich die Frau eines brāhmaṇa. Dazu wurde Rukmiṇī von königlichen Leibwächtern begleitet. Auch heute noch wird der Brauch, daß die Braut vor der Heirat in den Tempel eines Halbgottes geht, in Indien eingehalten. Während der Prozession ertönten die verschiedensten Instrumente, wie Trommeln, Muschelhörner und Trompeten verschiedener Größen, so paṇavas, turyas und bheris, und dies vereinigte sich zu einem bunten Konzert, das nicht nur glückverheißend war, sondern auch sehr köstlich anzuhören. Tausende von ehrwürdigen brāhmaṇa-Frauen waren zugegen, die sich mit ausgesuchtem Geschmeide geschmückt hatten. Sie reichten Rukmiṇī Blumengirlanden, Sandelholzpaste und eine Vielzahl farbenprächtiger Gewänder, um ihr so bei der Verehrung Śivas und der Göttin Durgā behilflich zu sein. Einige dieser Damen hatten ein beträchtliches Alter und waren sehr erfahren im Chanten von Gebeten für Durgā und Śiva. Gefolgt von Rukmiṇī und den anderen trugen sie also den Bildgestalten Gebete vor. Anschließend betete Rukmiṇī zu der Bildgestalt; sie sagte: »Meine liebe Göttin Durgā, ich bringe dir wie auch deinen Kindern meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar.« Die Göttin Durgā hat vier berühmte Kinder: zwei Töchter – die Glücksgöttin Lakṣmī und Sarasvatī, die Göttin der Gelehrsamkeit – und zwei berühmte Söhne – Gaṇeśa und Kārttikeya. Sie alle sind als Halbgötter bzw. Halbgöttinnen anzusehen. Weil die Göttin Durgā immer zusammen mit ihren berühmten Kindern verehrt wird, erwies Rukmiṇī der Bildgestalt mit besonderen Worten ihre Ehrerbietungen. Ihre Gebete unterschieden sich jedoch wesentlich von den Gebeten gewöhnlicher Menschen. Die meisten Menschen beten zur Göttin Durgā, um von ihr solche Dinge wie materiellen Reichtum, Ruhm, Zufriedenheit, Kraft usw. zu erhalten; Rukmiṇī jedoch flehte die Göttin an, ihr gnädig zu sein und sie zu segnen, weil sie Kṛṣṇa zum Gemahl haben wolle. Da sie einzig und allein nach Kṛṣṇa begehrte, war nichts Falsches daran, daß sie die Halbgöttin verehrte. Während Rukmiṇī ihr Gebet vortrug, wurden der Gottheit eine Vielzahl von Opfergaben dargebracht, vor allem Wasser, Feuerflammen in verschiedener Form, Weihrauch, Gewänder, Girlanden, Speisen, die mit Butterfett zubereitet worden waren, wie puris und kacuris, und weiterhin Früchte, Zuckerrohr, Betelnüsse und Gewürze. Mit großer Hingabe opferte Rukmiṇī der Gottheit dies alles nach den vorgeschriebenen Regeln unter Anleitung der alten brāhmaṇa-Frauen. Nach der rituellen Zeremonie boten die Frauen Rukmiṇī die Reste der Speisen als prasāda an, die diese ehrfürchtig zu sich nahm. Anschließend brachte Rukmiṇī den Frauen und der Göttin Durgā ihre respektvollen Ehrerbietungen dar, und da die Verehrung der Bildgestalt nun beendet war, faßte sie eine ihrer Freundinnen bei der Hand und verließ zusammen mit den anderen den Tempel. Unterdessen hatten sich alle Prinzen und Besucher, die nach Kuṇḍina gekommen waren, um der Heirat beizuwohnen, vor dem Tempel versammelt, um Rukmiṇī zu sehen. Die Prinzen waren besonders begierig, Rukmiṇī zu sehen, denn eigentlich hoffte jeder von ihnen, sie zur Frau zu bekommen. Als sie Rukmiṇī tatsächlich erblickten, waren sie wie gebannt vor Erstaunen und meinten, sie müsse eigens vom Schöpfer geschaffen worden sein, um alle großen Helden und Prinzen zu verwirren. Ihr Körper war wohlgestaltet und sie war schmal über den Hüften. Sie hatte grüne Augen, rosa Lippen und ein liebliches Antlitz, das sich durch anmutige Haarlocken und verschiedenartige Ohrringe noch verschönerte. Um ihre Fußgelenke trug sie Juwelenanhänger. Die Ausstrahlung und Schönheit Rukmiṇīs waren wie ein Künstlerbild, das die Schönheit selbst nach den Beschreibungen großer Poeten darstellen sollte. Rukmiṇīs Brust wird als »ein wenig gewölbt« beschrieben, was darauf hinweist, daß sie noch ein junges Mädchen war – nicht älter als höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre. Ihre Schönheit war einzig dafür bestimmt, die Aufmerksamkeit Kṛṣṇas auf sich zu ziehen. Obwohl alle Prinzen sie ihrer Schönheit wegen anstarrten, war sie nicht im geringsten eitel. Ihre Augen huschten unruhig hin und her, und wenn sie wie ein unschuldiges kleines Mädchen einfach lächelte, wurden ihre Zähne sichtbar, die wie Lotosblüten waren. In der Erwartung, daß Kṛṣṇa sie jeden Augenblick fortnehmen werde, schritt sie ganz langsam dem Palast entgegen. Die Bewegungen ihrer Beine waren wie die eines Schwanes, und die Glöckchen an ihren Fußgelenken klingelten sanft. Wie bereits geschildert, gerieten die edlen Prinzen, die sich vor dem Tempel versammelt hatten, über Rukmiṇīs Schönheit so sehr außer Fassung, daß einige fast das Bewußtsein verloren. Voller Lust begehrten sie, entgegen jeder Hoffnung, nach Rukmiṇīs Hand und verglichen ihre eigene Schönheit mit der ihren. Rukmiṇī jedoch beachtete keinen von ihnen. Im Innersten ihres Herzens wartete sie nur darauf, daß Kṛṣṇa kommen und sie entführen würde. Als sie dann einmal Schmuckstücke an einem Finger ihrer linken Hand zurechtrückte, warf sie zufällig einen Blick auf die Prinzen – und sah plötzlich Kṛṣṇa mitten unter ihnen. Obwohl Rukmiṇī Kṛṣṇa niemals gesehen hatte, war sie immer in Gedanken bei Ihm, und so war es nicht schwer für sie, Ihn unter den vielen Prinzen zu erkennen. Kṛṣṇa nahm, ohne Sich um die anderen Prinzen zu kümmern, sofort die Gelegenheit wahr und trug Rukmiṇī in Seinen Streitwagen, der durch die Flagge mit dem Bild Garuḍas gekennzeichnet war. Sodann fuhr Er gemächlich, ohne jede Furcht, mit Rukmiṇī davon, wie ein Löwe, der aus einer Meute von Schakalen ein Reh fortträgt. Währenddessen erschien Balarāma mit den Soldaten der Yadu-Dynastie auf dem Schauplatz. Jarāsandha, der schon viele Male zuvor eine Niederlage von Kṛṣṇa hatte hinnehmen müssen, begann zu brüllen: »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Kṛṣṇa entführt uns Rukmiṇī, ohne daß wir irgend etwas unternehmen! Wozu sind wir denn heldenhafte Kämpfer mit Pfeil und Bogen? Liebe Prinzen, seht euch das nicht mit an! Durch diesen Vorfall verlieren wir unseren Ruf. Es ist gerade so, wie wenn ein Schakal dem Löwen die Beute wegstiehlt.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 52. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa entführt Rukmiṇī«. 53. KAPITEL Kṛṣṇa besiegt alle Prinzen und bringt Rukmiṇī nach Dvārakā Die Prinzen, allen voran Jarāsandha, waren furchtbar wütend, als ihnen zu Bewußtsein kam, daß Kṛṣṇa Rukmiṇī entführt hatte. Viele waren, überwältigt von der Schönheit Rukmiṇīs, von den Rücken ihrer Pferde und Elefanten gefallen, doch nun erhoben sie sich wieder und bewaffneten sich für den Kampf. Sie ergriffen Pfeil und Bogen und jagten auf ihren Wagen, Pferden und Elefanten Kṛṣṇa nach. Um sie aufzuhalten, machten die Soldaten der Yadu-Dynastie kehrt und stellten sich ihnen entgegen. Daraufhin brach ein unerbittlicher Kampf zwischen den beiden feindlichen Seiten los. Die Prinzen, die sich Kṛṣṇa widersetzten, wurden von Jarāsandha angeführt und waren alle kampferprobte Krieger. Gleich einer Wolke, die einen Berg mit Regengüssen überschüttet, schossen sie ihre Pfeile auf die Soldaten der Yadu-Dynastie. Wenn Wolken sich vor dem Gipfel eines Berges sammeln, bewegen sie sich kaum, und daher ist der Regenfall in den Bergen heftiger als anderswo. Die feindlichen Prinzen waren fest entschlossen, Kṛṣṇa zu besiegen und Rukmiṇī wieder Seiner Gewalt zu entreißen, und kämpften mit aller Verbissenheit. Als Rukmiṇī, die neben Kṛṣṇa saß, sah, wie die Pfeile der Feinde auf die Köpfe der Yadu-Soldaten hagelten, blickte sie angstvoll Kṛṣṇa an, um Ihm zu zeigen, wie dankbar sie Ihm war, daß Er Sich um ihretwillen in solche Gefahr begeben hatte. Ihre Augen bewegten sich unruhig hin und her, und das Ganze schien ihr sehr leid zu tun; Kṛṣṇa aber wußte genau, was in ihr vorging und ermutigte sie, indem Er sagte: »Meine liebe Rukmiṇī, mach dir keine Sorgen. Sei sicher, daß die Soldaten der Yadu-Dynastie alle Feinde ohne weiteres töten werden.« Während Śrī Kṛṣṇa so zu Rukmiṇī sprach, beschlossen die Generäle der Yadus, die von Śrī Balarāma, der auch als Saṅkarṣaṇa bekannt ist, sowie Gadadhara geführt wurden, sich die Dreistigkeit des Feindes nicht länger bieten zu lassen und begannen, seine Pferde, Elefanten und Streitwagen mit gezielten Pfeilen zu beschießen. Im weiteren Verlauf des Kampfes stürzten die Prinzen und Soldaten des feindlichen Lagers von ihren Pferden, Elefanten und Streitwagen, und schon nach sehr kurzer Zeit war das Schlachtfeld von Millionen abgetrennter Köpfe übersät, die noch mit Helmen und Ohrringen geschmückt waren. Auch die Hände der Soldaten waren abgeschossen worden und hielten noch immer Bogen, Pfeile und Keulen. Ein Kopf rollte über den anderen, ein Pferd türmte sich aufs andere, und alle Fußsoldaten stürzten samt ihren Kamelen, Elefanten und Eseln, enthauptet zu Boden. Als die Feinde, die unter der Führung Jarāsandhas kämpften, erkannten, daß sie allmählich von Kṛṣṇas Soldaten besiegt wurden, hielten sie es für unklug, für Śiśupāla eine vernichtende Niederlage zu wagen. Śiśupāla hätte selbst kämpfen sollen, um Rukmiṇī Kṛṣṇas Händen zu entreißen, doch weil die Soldaten sahen, daß Śiśupāla nicht imstande war, mit Kṛṣṇa zu kämpfen, waren sie nicht gewillt, sich für nichts aufzuopfern; sie stellten daher den Kampf ein und flohen. Einige der Prinzen erschienen der Form halber noch einmal vor Śiśupāla. Śiśupāla sah völlig mutlos aus, wie ein Mann, der seine Frau verloren hat. Sein Gesicht war eingefallen, er war aller Kräfte beraubt, und alle Farbe war aus seinem Körper gewichen. Daher begannen sie Śiśupāla aufmunternd zuzureden: »Guter Śiśupāla, sei doch nicht so entmutigt. Du gehörst dem Königsstand an und bist der Hervorragendste unter den Kämpfern. Für eine Persönlichkeit wie dich gibt es weder Leid noch Glück, denn du weißt, daß keiner dieser Zustände ewig ist. Fasse daher wieder Mut. Sei nicht enttäuscht über diese eine Niederlage. Schließlich liegt die letzte Entscheidung nicht bei uns. Gleich Puppen, die in den Händen eines Zauberkünstlers tanzen, tanzen auch wir nach dem Willen des Höchsten, und nach Seinem Belieben leiden wir Kummer oder genießen Freude, die sich somit stets die Waage halten.« Die katastrophale Niederlage war lediglich auf die Mißgunst Rukmīs, des älteren Bruders von Rukmiṇī, zurückzuführen. Als Rukmī mit ansehen mußte, wie seine Schwester, entgegen seinem Plan, sie mit Śiśupāla zu verheiraten, gewaltsam von Kṛṣṇa entführt wurde, war er sehr verbittert. So kehrten er und Śiśupāla, sein Freund und beabsichtigter Schwager, in ihre Paläste zurück. Rukmī war äußerst aufgebracht und entschlossen, Kṛṣṇa persönlich eine Lehre zu erteilen. Zuhause angekommen, rief er sogleich seine Soldaten zusammen – ein Heer, das aus mehreren tausend Elefanten, Pferden, Streitwagen und Fußsoldaten bestand – und nahm, mit seiner ganzen Streitmacht hinter sich, Kṛṣṇas Verfolgung auf. Um seiner falschen Ruhmsucht Genüge zu tun, versprach Rukmī vor allen zurückgekehrten Königen: »Ihr konntet Śiśupāla nicht helfen, als er meine Schwester Rukmiṇī heiraten sollte, und sie ihm geraubt wurde, aber ich kann es nicht zulassen, daß Kṛṣṇa sie entführt. Ich werde Ihm eine Lehre erteilen. Auf der Stelle gehe ich zu Ihm.« Rukmī gebärdete sich wie ein großer Feldherr und gelobte vor allen versammelten Prinzen: »Ohne Kṛṣṇa getötet und meine Schwester aus Seiner Gewalt befreit zu haben, werde ich nicht wieder in meine Hauptstadt Kuṇḍina zurückkehren. Diesen Schwur lege ich vor euch allen ab, und ihr werdet sehen, daß ich ihn wahr mache.« Kaum hatte Rukmī diese prahlerischen Worte gesprochen, als er bereits seinen Streitwagen bestieg und dem Wagenlenker befahl, Kṛṣṇa zu verfolgen. Er sagte: »Ich möchte sofort mit Ihm kämpfen. Dieser Kuhhirtenjunge ist wegen Seiner hinterlistigen Art, mit den kṣatriyas zu kämpfen, stolz geworden, aber heute werde ich Ihm eine gründliche Lehre erteilen. Weil Er die Frechheit besaß, meine Schwester zu entführen, werde ich Ihm mit meinen spitzen Pfeilen gehörig heimleuchten.« So sprach der törichte Rukmī, der nichts vom Ausmaß der Macht des Höchsten Persönlichen Gottes wußte, dreiste Drohungen gegen Kṛṣṇa aus. In seiner großen Dummheit stand er schon bald vor Kṛṣṇa und rief Ihm immer wieder zu: »Halte eine Minute an und kämpfe mit mir!« Mit diesen Worten spannte er seinen Bogen und schoß drei mächtige Pfeile gegen Kṛṣṇas Körper, worauf er Kṛṣṇa als den abscheulichsten Abkömmling der Yadu-Dynastie beschimpfte und Ihn erneut aufforderte, doch für einen Augenblick stehenzubleiben, damit er Ihm eine gute Lektion erteilen könne. Er rief: »Du trägst meine Schwester fort wie eine Krähe reine Butter stiehlt, die eigentlich für die Opferung bestimmt ist. Du verläßt Dich stolz auf Deine Streitmacht, aber selbst kannst Du nicht kämpfen, wie es sich nach den vorgeschriebenen Prinzipien gehört. Du hast meine Schwester gestohlen, doch nun werde ich Dich von Deinem falschen Selbstgefühl befreien. Du wirst nur solange imstande sein, meine Schwester zu behalten, bis ich Dich mit meinen Pfeilen dem Erdreich überliefert habe.« Als Śrī Kṛṣṇa diese wahnwitzigen Worte vernommen hatte, schoß Er sogleich einen Pfeil ab, der die Sehne von Rukmīs Bogen durchtrennte und es ihm unmöglich machte, einen weiteren Pfeil zu gebrauchen. Doch Rukmī ergriff sogleich einen neuen Bogen und schoß abermals fünf Pfeile auf Kṛṣṇa ab. Zum zweitenmal angegriffen, zerschoß der Herr erneut die Bogensehne Seines Gegners. Daraufhin nahm Rukmī einen dritten Bogen – doch wieder zerschoß Kṛṣṇa die Sehne. Um Rukmī eine Lehre zu erteilen, schoß Kṛṣṇa diesmal Selbst sechs Pfeile auf ihn ab und sandte sogleich acht Pfeile hinterher. Vier dieser Pfeile töteten die vier Pferde vor Rukmīs Wagen; ein weiterer durchbohrte den Wagenlenker, und von den übrigen neun Pfeilen wurde der obere Teil von Rukmīs Streitwagen einschließlich der Flagge abgemäht. Da Rukmī inzwischen die Pfeile ausgegangen waren, behalf er sich nun mit Schwertern, Schilden, Dreizacken, Lanzen und anderen Waffen, die im Kampf von Mann zu Mann verwendet werden, doch Kṛṣṇa zerschoß alle seine Waffen auf gleiche Weise wie zuvor. Als Rukmīs Versuche immer wieder fehlschlugen, zog er schließlich sein Schwert und flog auf Kṛṣṇa zu wie eine Fliege, die ins Feuer fliegt. Doch sowie Rukmī Kṛṣṇa erreichte, schoß dieser seine Waffe in Stücke. Diesmal zückte Kṛṣṇa Sein scharfes Schwert und war schon im Begriff, ihn auf der Stelle zu töten, als Rukmiṇī, die erkannte, daß Kṛṣṇa nicht gewillt war, ihrem Bruder nochmals zu vergeben, zu Seinen Lotosfüßen niederfiel, um mit mitleiderregender Stimme und zitternd vor Furcht, ihren Gemahl anzuflehen. Rukmiṇī sprach Kṛṣṇa mit »Yogeśvara« an. »Yogeśvara« bedeutet soviel wie »jemand, der unendliche Füllen und Energien besitzt«. Kṛṣṇa besitzt unendliche Füllen und Energien, wohingegen Rukmiṇīs Bruder nur über eine begrenzte Streitmacht verfügte. Kṛṣṇa ist unermeßlich, wohingegen Rukmī jeder Schritt seines Lebens bemessen war. Er war im Vergleich mit Kṛṣṇa und Seiner ungeheuren Macht nicht einmal so bedeutend wie ein winziges Insekt. Rukmiṇī nannte Kṛṣṇa auch den »Gott der Götter«. Es gibt viele mächtige Halbgötter, wie z. B. Brahmā, Indra und Candra, doch Kṛṣṇa ist der Herr über sie alle, wohingegen Rukmiṇīs Bruder nicht nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, sondern vielmehr das niedrigste aller Geschöpfe war, denn er hatte kein Verständnis von Kṛṣṇa. Mit anderen Worten: Jemand, der nichts von der wirklichen Stellung Kṛṣṇas weiß, ist der Niedrigste in der menschlichen Gesellschaft. Rukmiṇī nannte Kṛṣṇa auch »Jagatpati«, was bedeutet »der Herr der gesamten kosmischen Manifestation«. Ihr Bruder dagegen war nur ein unscheinbarer Prinz. In dieser Weise maß Rukmiṇī die Stellung Rukmīs an der Kṛṣṇas und bat ihren Gemahl sehr gefühlvoll, ihren Bruder nicht jetzt, vor dem glücklichen Ereignis ihrer Verbindung, zu töten, sondern ihm zu vergeben. Damit zeigte sie ihr typisches Wesen als Frau. Sie war zwar sehr glücklich, Kṛṣṇa zum Gemahl zu bekommen, als sie gerade mit einem anderen verheiratet werden sollte, doch sie wollte dafür nicht ihren älteren Bruder verlieren, der schließlich seine junge Schwester liebte und sie jemandem zur Frau geben wollte, der seiner Ansicht nach ein besserer Mann für sie war. Während Rukmiṇī Kṛṣṇa um das Leben ihres Bruders anflehte, zitterte sie am ganzen Körper, und in ihrer Angst schien ihr Gesicht ausgetrocknet zu sein. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und weil sie so heftig bebte, löste sich der Schmuck von ihrem Körper und verstreute sich auf dem Boden. Śrī Kṛṣṇa verspürte sogleich Mitleid und willigte ein, den törichten Rukmī nicht zu töten. Jedoch wollte Er ihn auch nicht ungestraft lassen; daher fesselte Er Rukmī mit einem Tuch und schor ihm Schnurrbart, Bart und Haare, wobei Er hier und dort kleine Büschel stehenließ. Während Kṛṣṇa Rukmī auf diese Weise bestrafte, brachen die Soldaten der Yadu-Dynastie, die von Balarāma persönlich befehligt wurden, die Macht des feindlichen Heeres, genau wie ein Elefant in einem Wasserbecken die zarten Stengel der Lotosblumen zerstört. Mit anderen Worten: Wie ein Elefant beim Baden in einem Wasserbecken die Lotosblumen umknickt, so vernichtete das Heer der Yadus Rukmīs Streitmacht. Als die Generäle der Yadu-Dynastie zu Kṛṣṇa zurückkehrten, waren sie sehr erstaunt, Rukmī so zugerichtet zu sehen. Balarāma zeigte ganz besonders viel Mitgefühl für Seine Schwägerin, die mit Seinem Bruder frisch verheiratet war. Ihr zuliebe befreite Er Rukmī persönlich von seinen Fesseln, und um sie noch froher zu machen, sprach Balarāma, als älterer Bruder Kṛṣṇas, einige Worte des Tadels: »Kṛṣṇa, Dein Verhalten ist wirklich nicht erfreulich. Eine solche Schandtat läßt sich nicht mit Unserer Familientradition vereinbaren! Wenn man jemandem das Haar abschneidet und den ganzen Bart schert, ist dies fast so, als würde man ihn töten. Was auch immer Rukmī getan haben mag – er ist nun Unser Schwager, ein Verwandter Unserer Familie, und daher hättest Du ihn nicht so zurichten dürfen.« Danach sagte Balarāma, um Rukmiṇī zu beschwichtigen: »Du solltest nicht traurig darüber sein, daß Dein Bruder nun etwas seltsam aussieht; jeder genießt oder erleidet die Folgen seines Handelns.« Balarāma wollte Rukmiṇī damit klarmachen, daß sie ihren Bruder nicht wegen der Folgen, die er nun aufgrund seiner früheren Handlungen erlitt, bedauern solle. Es sei nicht nötig, zuviel Zuneigung für einen solchen Bruder zu hegen. Dann wandte Sich Balarāma wieder an Kṛṣṇa und sagte: »Mein lieber Kṛṣṇa, auch wenn ein Verwandter eine solche Missetat verübt, daß er eigentlich verdient, getötet zu werden, sollte man ihm vergeben, denn wenn dieser Verwandter sich seines Fehlers bewußt wird, ist diese Einsicht an sich schon wie der Tod. Deshalb gibt es keinen Grund, ihn zu töten.« Daraufhin wandte Er Sich wieder an Rukmiṇī und erklärte ihr, die Vorschriften für den kṣatriya in der menschlichen Gesellschaft seien so beschaffen, daß nach den Kampfregeln der eigene Bruder ein zu bekämpfender Feind werden kann. Ein kṣatriya schreckt daher nicht davor zurück, den eigenen Bruder zu töten. Balarāma wollte also, mit anderen Worten, Rukmiṇī darauf hinweisen, daß Rukmī und Kṛṣṇa zu Recht keine Barmherzigkeit füreinander zeigten, obwohl sie vom verwandtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet Schwäger waren. Śrī Balarāma erklärte Rukmiṇī weiter, daß die kṣatriyas typische Beispiele für die materialistische Lebensweise seien, denn immer, wenn es um materiellen Gewinn gehe, würden sie hochmütig. Wenn daher zwei feindliche kṣatriyas um Königreich, Land, Reichtum, Frauen, Ansehen oder Macht kämpften, versuche einer den anderen möglichst übel zuzurichten. Balarāma erklärte Rukmiṇī, daß ihre Zuneigung für ihren Bruder Rukmī, der sich mit so vielen Leuten verfeindet hatte, falscher Haltung entspreche, die eher von einem gewöhnlichen Materialisten zu erwarten sei. Angesichts Rukmīs Verhalten gegenüber seinen Freunden sei sein Charakter alles andere als achtenswert, und dennoch empfinde Rukmiṇī soviel Zuneigung für ihn, als sei sie eine gewöhnliche Frau. Obwohl er es nicht wert sei, ihr Bruder zu sein, sei Rukmiṇī nachsichtig zu ihm. »Außerdem«, so fuhr Balarāma fort, »entspricht die Betrachtungsweise, daß manche Personen einem gleichgültig, andere Freunde und wieder andere Feinde sind, einer körperlichen Lebensauffassung. Die Verblendeten, die diese Lebensauffassung haben, werden von der illusionierenden Energie des Höchsten Herrn irregeführt. Die spirituelle Seele ist in jeder materiellen Verkörperung von der gleichen Reinheit, doch diejenigen, die nicht genügend Intelligenz besitzen, sehen nur körperliche Unterschiede, wie Tiere und Menschen, Gebildete und Ungebildete, Reiche und Arme usw., die die reine spirituelle Seele bedecken. Derartige Unterscheidungen, die lediglich auf der körperlichen Ebene wahrgenommen werden, sind wie die Unterscheidung von Feuern nach den unterschiedlichen Brennstoffen, die sie verzehren. Das Brennmaterial mag zwar von unterschiedlicher Form und Größe sein, doch das Feuer, das von ihm erhalten wird, ist ohne solche Unterschiede. In ähnlicher Weise gibt es auch am Himmel keine Unterschiede in bezug auf Größe und Form.« Mit diesen moralischen und ethischen Unterweisungen beschwichtigte Balarāma sie schließlich. Er sagte weiter: »Der Körper, den wir haben, ist ein Teil der materiellen Manifestation. Das Lebewesen oder die spirituelle Seele, die mit der Materie in Berührung ist, wandert illusorischen Genusses wegen von Körper zu Körper, und diesen Zustand bezeichnet man als materielle Existenz. Die Berührung des Lebewesens mit der materiellen Welt führt weder zu Integration noch zu Desintegration. Meine liebe keusche Schwägerin, zweifellos ist die spirituelle Seele die Ursache des materiellen Körpers, ähnlich wie die Sonne die Ursache des Sonnenlichtes, der Sehkraft und der Formen in der materiellen Manifestation ist. Das Beispiel vom Sonnenschein und der materiellen Manifestation erklärt sehr anschaulich die Verbindung des Lebewesens mit der materiellen Welt. Die Sonne geht am Morgen auf, und im Laufe des Tages erweitern sich Hitze und Licht. Die Sonne ist der Ursprung aller materiellen Schöpfungen, Formen und Gestalten, und nur aufgrund der Sonnenenergie findet die Vermischung und Trennung der materiellen Elemente statt. Doch sowie die Sonne untergegangen ist, hat die eine Hälfte des Planeten keine Verbindung mehr mit ihr, da die Sonne ihren Standort gewechselt hat. Wenn die Sonne von Osten nach Westen wandert, bleiben die Folgen ihres Einflusses, den sie im Osten ausgeübt hat, zwar weiterhin bestehen, doch kann die Sonne dann nur noch im Westen gesehen werden. Ähnlich erzeugt auch das Lebewesen in einem bestimmten Lebenszustand verschiedene Körper und körperliche Beziehungen und hat, sowie es seinen gegenwärtigen Körper aufgibt und einen neuen Körper annimmt, nichts mehr mit dem früheren Körper und dem, was mit ihm zusammenhängt, zu tun. Ebenso hat das Lebewesen auch nichts mit dem nächsten Körper, den es annimmt, zu tun. Es wird niemals von der körperlichen Verunreinigung berührt. Die Lehre, die wir daraus ziehen, ist also, daß das Erscheinen und Verschwinden des Körpers nichts mit dem Lebewesen zu tun haben, ebenso wie das Zunehmen und Abnehmen des Mondes den Mond selbst nicht betreffen. Bei zunehmendem Mond denken wir fälschlich, der Mond vergrößere sich, und bei abnehmendem Mond glauben wir, der Mond schwinde allmählich. In Wirklichkeit aber ist der Mond immer der gleiche und bleibt wie er ist; er hat nichts mit dem scheinbaren Zunehmen und Abnehmen, das wir beobachten, zu tun. Das Bewußtsein im materiellen Dasein ist mit Schlaf und Traum vergleichbar. Wenn ein Mensch schläft, träumt er von vielen Dingen, die nicht wirklich geschehen, und in seinen Träumen erfährt er verschiedene Arten von Leid und Freude. Ebenso leidet eine Person, die sich im Traumzustand des materiellen Bewußtseins befindet, unter den Folgen, die das Annehmen und Aufgeben von Körpern im materiellen Dasein mit sich bringen. Das Gegenteil dieses materiellen Bewußtseins ist Kṛṣṇa-Bewußtsein. Mit anderen Worten: Wenn ein Mensch die Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins erreicht, wird er von allen falschen Lebensauffassungen frei.« Mit diesen Worten unterwies Śrī Balarāma alle Anwesenden im spirituellen Wissen. Er sagte noch einmal besonders zu Seiner Schwägerin: »Liebliche, lächelnde Rukmiṇī, sei nicht traurig wegen nichtiger Dinge, die ihre Ursache in Unwissenheit haben. Man wird lediglich durch falsche Vorstellungen unglücklich, doch dieses Unglücklichsein wird augenblicklich beseitigt, wenn man über die Philosophie des wirklichen Lebens spricht. Sei auf dieser Ebene allein glücklich.« Als Rukmiṇī Śrī Balarāmas erleuchtende Unterweisungen vernommen hatte, war sie wieder beruhigt und froh und gewann ihre Fassung wieder, die vorher recht erschüttert war, als sie ihren Bruder Rukmī so entwürdigt gesehen hatte. Was Rukmī betrifft, so hatte er sein Versprechen nicht halten können, noch war es ihm gelungen, seine Absicht zu erfüllen. Er war mit seiner Streitmacht von Zuhause aufgebrochen, um Kṛṣṇa zu bezwingen und seine Schwester zu befreien, doch statt dessen hatte er all seine Soldaten und seine militärische Stärke verloren. Er persönlich war arg entwürdigt worden, weshalb er sich natürlich in einer traurigen Lage befand, doch durch die Gnade des Herrn durfte er weiterleben und letztlich die Bestimmung des Lebens erreichen. Da Rukmī ein kṣatriya war, dachte er noch an seinen Schwur, nicht wieder zu seiner Hauptstadt Kuṇḍina zurückzukehren, ohne Kṛṣṇa getötet und seine Schwester befreit zu haben – was ihm beides nicht gelungen war –, und so entschloß er sich verbittert, nicht mehr nach Kuṇḍina zurückzukehren, und baute sich eine kleine Hütte im Dorf Bhojakaṭa, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Nachdem Kṛṣṇa Rukmiṇī gewaltsam entführt und alle Hindernisse überwunden hatte, brachte Er sie nach Dvārakā, Seine Hauptstadt, und heiratete sie dort nach vedischem Ritual. Nach der Heirat wurde Kṛṣṇa der König der Yadus in Dvārakā. Über das Ereignis Seiner Heirat mit Rukmiṇī freuten sich alle Einwohner und feierten in jedem Haus Feste. Sie legten ihren schönsten Schmuck und ihre besten Gewänder an und gingen zu Kṛṣṇa und Rukmiṇī, dem jungen Brautpaar, um sie je nach Möglichkeit zu beschenken. Alle Häuser in Yadupurī, wie Dvārakā auch genannt wurde, waren mit Fähnchen, Girlanden und Blumen geschmückt. Jedes einzelne Haus hatte ein besonderes, zu diesem Anlaß eigens gefertigtes Tor, an dessen beiden Seiten große mit Wasser gefüllte Töpfe hingen. Die ganze Stadt war von dem Duft feinsten Weihrauchs erfüllt, und in der Nacht war sie von vielen Tausenden von Lampions hell erleuchtet, die jedes einzelne Gebäude zierten. Ganz Dvārakā schien bei der Heirat Kṛṣṇas mit Rukmiṇī voller Jubel. Überall waren die Bananen- und Betelnußbäume geschmückt worden; diese Bäume gelten bei freudigen Festen als sehr glückbringend. Bei Kṛṣṇas Vermählung war Dvārakā auch voller Elefanten, auf denen die Könige befreundeter Königreiche herbeigereist waren. Elefanten haben die Angewohnheit, aus ihrem verspielten, leichtsinnigen Wesen heraus alle Pflanzen und kleinen Bäume in ihrer Reichweite auszureißen und sie um sich zu werfen. So verstreuten sie auch hier die Bananen- und Betelnußbäume auf den Straßen, doch trotz solcher übermütigen Streiche sah die Stadt mit den überall herumliegenden Bäumen prachtvoll aus. Die freundlich gesinnten Könige der Kurus und Pāṇḍavas waren durch Dhṛtarāṣṭra, die fünf Pāṇḍava-Brüder, König Drupada, König Santardana und schließlich Rukmiṇīs Vater, Bhīṣmaka, vertreten. Anfangs hatte es zwischen Bhīṣmakas und Kṛṣṇas Familie eine gewisse Unstimmigkeit gegeben, da Kṛṣṇa Rukmiṇī so einfach entführt hatte, doch nachdem Balarāma mit Bhīṣmaka gesprochen hatte und dieser von vielen Heiligen überzeugt worden war, ließ sich der König von Vidarbha schließlich dazu bewegen, an der Heiratszeremonie Kṛṣṇas und Rukmiṇīs teilzunehmen. Rukmiṇīs Entführung war zwar kein erfreuliches Ereignis im Königreich Vidarbha gewesen, doch zugleich war eine Entführung für kṣatriyas nichts Ungewöhnliches. Im Grunde wurde zur damaligen Zeit bei den meisten Heiraten die Braut entführt. Außerdem hatte Bhīṣmaka ohnehin schon immer Kṛṣṇa seine liebliche Tochter zur Frau geben wollen. Auf irgendeine Weise war sein Wunsch nun in Erfüllung gegangen, und so wohnte er der Heiratszeremonie mit großer Freude bei, obgleich sein ältester Sohn im Kampf mit Kṛṣṇa gedemütigt worden war. Im Padma Purāṇa wird erwähnt, daß auch Nanda Mahārāja und die Kuhhirtenjungen aus Vṛndāvana bei der Heirat zugegen waren. Viele Könige aus den Königreichen Kuru, Sṛñjaya, Kekaya, Vidarbha und Kuntī kamen ebenfalls zu diesem Ereignis nach Dvārakā. Die Geschichte, wie Kṛṣṇa Rukmiṇī entführte, wurde in Gedichtform gefaßt und von Vorlesern vorgetragen. Alle anwesenden Könige, und erst recht deren Töchter, waren voller Staunen und Glück, als sie von den heldenhaften Taten Kṛṣṇas hörten. So waren alle Einwohner Dvārakās glücklich, Kṛṣṇa und Rukmiṇī vereint zu sehen. Mit anderen Worten, der Höchste Herr, der Erhalter aller Lebewesen und die Göttin des Glücks waren nun vereint, und daher waren alle Menschen voller Seligkeit. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 53. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa besiegt alle Prinzen und bringt Rukminī nach Dvārakā«. 54. KAPITEL Kṛṣṇa und Rukmiṇī wird Pradyumna geboren Es wird berichtet, daß der Liebesgott, der tatsächlich ein Teil und Stück Vāsudevas ist und einst durch Śivas Zorn zu Asche verbrannt wurde, von Kṛṣṇa gezeugt und von Rukmiṇī geboren wurde. Dieser Liebesgott ist Kāmadeva, ein Halbgott der himmlischen Planeten, und hat die besondere Fähigkeit, lüsterne Verlangen zu wecken. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, hat viele Arten von Teilen; Seine vierfache Erweiterung als Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha gehört direkt zur Kategorie Viṣṇus. Kāma, der Liebesgott, der später in Rukmiṇīs Schoß geboren wurde, erhielt zwar auch den Namen Pradyumna, doch kann er nicht der Pradyumna der Viṣṇu-Kategorie sein. Er gehört vielmehr zur Kategorie des jīva-tattva. Doch weil er als Liebesgott eine bestimmte Macht besitzt, ist er ein Teilchen der erhabenen Macht Pradyumnas. Das ist die Erklärung der Gosvāmīs. Als also der Liebesgott einmal durch Śivas Zorn zu Asche verbrannt wurde, ging er in Vāsudevas Körper ein, und damit er wieder seinen Körper erhielt, wurde er von Kṛṣṇa Selbst gezeugt. Er ging direkt von Kṛṣṇas Körper in Rukmiṇīs Körper ein, und so wurde er als Kṛṣṇas Sohn, der als Pradyumna berühmt ist, geboren. Da er direkt von Kṛṣṇa gezeugt wurde, waren seine Eigenschaften denen Kṛṣṇas sehr ähnlich. Zu jener Zeit lebte auch ein Dämon namens Śambara, dem es bestimmt war, von dem besagten Pradyumna getötet zu werden. Der Dämon Śambara wußte von seinem Schicksal, und sobald er daher erfuhr, daß Pradyumna geboren war, nahm er die Gestalt einer Frau an und raubte das Kind der Mutter, als es noch nicht einmal zehn Tage alt war. Der Dämon warf das Kind gleich ins Meer. Es ist jedoch so, wie man sagt: »Wen Kṛṣṇa beschützt, kann niemand töten, und wem es bestimmt ist, von Kṛṣṇa getötet zu werden, den kann niemand beschützen.« Als der Dämon Pradyumna ins Meer schleuderte, kam sogleich ein großer Fisch und verschlang ihn. Später wurde dieser Fisch im Netz eines Fischers gefangen und dem Dämon Śambara verkauft. In der Küche des Dämons war eine Dienerin mit Namen Māyāvatī angestellt. Diese Frau war einst die Gattin des Liebesgottes gewesen und hatte zu der Zeit Rati geheißen. Als der Fisch also Śambara gebracht wurde, gab er ihn an seinen Koch weiter, der daraus ein schmackhaftes Gericht zubereiten sollte. Die Dämonen und Rākṣasas essen gewöhnlich Fleisch, Fisch und andere nichtvegetarische Nahrung. So pflegten auch andere Dämonen, wie Rāvaṇa, Kaṁsa und Hiraṇyakaśipu, ohne zu unterscheiden, Fleisch zu essen, obgleich sie von brāhmaṇas und kṣatriyas abstammten. Dies wissen in Indien auch heute noch die meisten, und daher bezeichnet man dort die Fleisch- und Fischesser im allgemeinen als Dämonen und Rākṣasas. Als nun der Koch den Fisch aufschnitt, fand er in seinem Bauch einen hübschen Säugling, den er sogleich der Obhut seiner Küchenmagd Māyāvatī übergab. Diese war maßlos erstaunt und fragte sich, wie solch ein schönes Baby im Bauch eines Fisches hatte am Leben bleiben können. Da erschien der große Weise Nārada Muni und erklärte ihr alles über Pradyumna und dessen Geburt: wie das Kind von Śambara geraubt und ins Meer geworfen wurde usw. So wurde Māyāvatī oder Rati, der einstigen Frau des Liebesgottes, alles über Pradyumna mitgeteilt. Māyāvatī wußte, daß sie einst die Gemahlin des Liebesgottes gewesen war, und seitdem ihr Gatte durch Śivas Zorn zu Asche verbrannt wurde, hatte sie immer gehofft, daß er eines Tages wieder in seiner materiellen Gestalt zurückkommen werde. Māyāvatīs Aufgabe in der Küche war es, Reis und dahl zu kochen, doch als ihr das hübsche Kind gegeben wurde und sie erfuhr, daß es der Liebesgott, ihr Gemahl war, nahm sie sich natürlich sogleich des Kindes an und badete es als erstes. Wie durch ein Wunder wuchs das Kind außerordentlich schnell heran und wurde schon nach kurzer Zeit zu einem überaus schönen Jüngling. Seine Augen glichen den Blütenblättern der Lotosblume, seine Arme waren sehr lang und reichten ihm bis an die Knie, und jede Frau, die ihn erblickte, wurde von seiner körperlichen Schönheit bezaubert. Māyāvatī war sich bewußt, daß ihr ehemaliger Gatte, der Liebesgott, als Pradyumna wiedergeboren und nun zu einem wunderschönen Jüngling herangewachsen war, und so wurde auch sie allmählich von seiner Schönheit betört und empfand lüsternes Verlangen nach ihm. Sie lächelte ihn auf weiblich anziehende Art an und gab ihm so ihren Wunsch nach einer geschlechtlichen Vereinigung zu verstehen. Pradyumna fragte sie daher: »Wie ist es nur möglich, daß du, obwohl du mir anfangs wie eine Mutter zugetan warst, nun alle Merkmale einer lustvollen Frau zeigst? Wie kommt es, daß du dich so geändert hast?« Rati erwiderte ihm darauf: »Lieber Herr, du bist der Sohn Śrī Kṛṣṇas. Als du noch nicht einmal zehn Tage alt warst, wurdest du von dem Dämon Śambara geraubt und ins Meer geworfen, wo dich ein Fisch verschlang. So bist du in meine Obhut gelangt, doch eigentlich war ich in deinem vorherigen Leben als Liebesgott deine Frau. Deshalb ist es nichts Unrechtes, wenn sich nun Anzeichen von Verlangen nach dir bei mir zeigen. Śambara wollte dich töten, und er verfügt über vielerlei mystische Kräfte. Bevor er deshalb erneut versucht, dich umzubringen, töte ihn bitte am besten gleich mit deiner göttlichen Macht. Seit du von Śambara geraubt wurdest, trauert deine Mutter Rukmiṇī wie ein Kuckucksweibchen, das seine Jungen verloren hat. Sie liebt dich über alles, und seitdem du ihr weggenommen wurdest, lebt sie wie eine Kuh, die über den Verlust ihres Kalbes trauert.« Māyāvatī besaß mystisches Wissen und übernatürliche Kräfte. Übernatürliche Kräfte werden im allgemeinen als māyā bezeichnet, und mit mahāmāyā, einer anderen mystischen Kraft, kann man ihnen entgegenwirken. Māyāvatī nun beherrschte eine mystische mahāmāyā-Kraft, und sie verlieh Pradyumna diese besondere Kraftenergie, damit er den Dämon Śambara und dessen mystischen Kräfte würde bezwingen können. Mit diesen mystischen Kräften seiner Frau trat Pradyumna unverzüglich vor Śambara und forderte ihn zum Kampf heraus. Pradyumna beschimpfte den Dämon, um ihn wütend zu machen und zum Kampf zu reizen. Śambara, getroffen durch Pradyumnas Worte, fühlte sich wie eine Schlange, die mit dem Fuß gestoßen wird. Eine Schlange kann es nicht ertragen, von einem andern Tier oder einem Menschen getreten zu werden, und beißt jeden, der dies wagt. Śambara empfand die Worte Pradyumnas wie Tritte. Sogleich nahm er seine Keule und lief auf Pradyumna zu. Mit unbändiger Wut begann er auf Pradyumna einzuschlagen – jeder Schlag einem Blitz ähnlich, der in einen Berg einschlägt. Dabei knurrte der Dämon und machte einen Lärm wie eine donnernde Wolke. Pradyumna wehrte die Schläge mit seiner Keule ab und konnte ihm schließlich einen schweren Hieb versetzen. So begannen Pradyumna und Śambara, sich einen erbitterten Kampf zu liefern. Doch Śambarāsura beherrschte auch mystische Kräfte, und so konnte er sich in die Lüfte erheben und vom Weltraum aus kämpfen. Es gibt nämlich einen Dämon mit Namen Maya, von dem Śambarāsura sämtliche mystischen Fähigkeiten erlernt hatte. Er stieg also hoch in den Himmel und begann von dort aus, auf Pradyumna die verschiedenartigsten Nuklearwaffen zu feuern. Da erinnerte sich Pradyumna einer mystischen Kraft, die als mahāvidyā bekannt ist und sich von der schwarzen Magie unterscheidet; mit ihr wollte er sich gegen Śambarāsuras mystische Kräfte helfen. Die mahāvidyā-Kraft gründet sich in der Erscheinungsweise der Reinheit. Da Śambara erkannte, daß er es mit einem furchtbaren Gegner zu tun hatte, brachte er die verschiedensten mystischen Dämonenkräfte, wie die der Guhyakas, der Gandharvas, der Piśācas, der Schlangen und der Rākṣasas, zur Anwendung. Doch obwohl der Dämon all seine mystischen Kräfte entfaltete und auch bei übernatürlicher Stärke Zuflucht suchte, gelang es Pradyumna stets, seinen Kräften und seiner Macht durch die überlegene Macht der mahāvidyā zu begegnen. Als Śambasura schließlich völlig geschlagen war, zog Pradyumna sein scharfes Schwert und schlug ihm damit ohne Zögern den mit einem Helm und kostbaren Edelsteinen geschmückten Kopf ab. Als Pradyumna so den Dämon tötete, ließen die Halbgötter von den höheren Planetensystemen einen wahren Blumenregen auf ihn niedergehen. Pradyumnas Frau Māyāvatī konnte ebenfalls durch den Weltraum reisen, und so reisten sie durch die Lüfte nach Dvārakā, der Hauptstadt seines Vaters. Als sie sich über Śrī Kṛṣṇas Palast befanden, schwebten sie hernieder wie eine Wolke, die sich mit Blitzen auf den Erdboden sinken läßt. Den inneren Bereich eines Palastes bezeichnet man als antaḥpura oder »Privatgemächer«. Pradyumna und Māyāvatī sahen im antaḥpura viele Frauen, und sie setzten sich einfach zu ihnen. Als die Frauen Pradyumna erblickten, der in blaue Gewänder gekleidet war, mit langen Armen, lockigem Haar, schönen Augen, einem lächelnden, rötlichen Gesicht und Schmuck aus Edelsteinen und Geschmeiden, konnten sie ihn nicht als Pradyumna erkennen, eine Persönlichkeit verschieden von Kṛṣṇa. Sie alle fühlen sich durch die unverhoffte Anwesenheit Kṛṣṇas gesegnet und wollten sich schnell in einem anderen Teil des Palastes verstecken. Als die Frauen indessen nach einiger Zeit bemerkten, daß Pradyumna nicht alle Merkmale Kṛṣṇas besaß, kamen sie aus Neugier zurück, um ihn und seine Frau Māhāvatī näher zu betrachten. Weil er so außergewöhnlich schön war, rätselten sie alle, wer er wohl sein mochte. Unter den Frauen war auch Rukmiṇī-devī, die mit ihren lotosähnlichen Augen ebenso schön war wie er. Als sie Pradyumna sah, mußte sie natürlicherweise an ihren Sohn denken, und aus mütterlicher Zuneigung begann Milch aus ihren Brüsten zu fließen. Sie fragte sich verwundert: »Wer ist nur dieser blühende Jüngling? Seine Schönheit findet nicht ihresgleichen. Wer ist die glückliche junge Frau, die ihn aus ihrem Schoß gebären und seine Mutter werden durfte? Und wer ist die junge Frau, die ihn begleitet? Wie haben sie sich getroffen? Wenn ich mich an meinen eigenen Sohn erinnere, der aus dem Mutterhaus entführt wurde, kann ich nur vermuten, daß er, wenn er noch irgendwo lebt, inzwischen wie dieser Jüngling hier aussehen muß.« Durch Eingebung ahnte Rukmiṇī, daß Pradyumna ihr eigener verlorener Sohn sei. Sie bemerkte auch, daß Pradyumna Kṛṣṇa in jeder Hinsicht ähnelte, und daher fragte sie sich voller Verwunderung, wie er zu all diesen Merkmalen Kṛṣṇas gelangt sei. Insgeheim dachte sie schließlich, der Jüngling müsse ihr eigener erwachsener Sohn sein, denn sie verspürte große Zuneigung zu ihm, und ihr linker Arm zitterte, was ein glückverheißendes Zeichen ist. Gerade in diesem Augenblick erschien Śrī Kṛṣṇa gemeinsam mit Seinem Vater Vasudeva und Seiner Mutter Devakī. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, wußte natürlich alles, doch in diesem Fall schwieg Er. Dafür erschien durch Seinen Willen der große Weise Nārada im Palast und offenbarte alles, was mit Pradyumna geschehen war: wie er aus dem Mutterhaus geraubt wurde, wie er aufwuchs und wie er schließlich seine Frau, Māyāvatī, fand, die bereits früher, als Rati, die Frau des Liebesgottes gewesen war. Als die Anwesenden alles über Pradyumnas rätselhaftes Verschwinden und sein Heranwachsen erfahren hatten, waren sie ganz überwältigt; sie hatten ihren totgeglaubten Sohn wiederbekommen, als sie bereits fast alle Hoffnung auf seine Rückkehr aufgegeben hatten. Sowie sie erfuhren, daß es Pradyumna war, der vor ihnen stand, hießen sie ihn mit großer Freude willkommen. Alle Mitglieder der Familie – Devakī, Vasudeva, Śrī Kṛṣṇa, Balarāma, Rukmiṇī und alle anderen Frauen der Familie – umarmten eines nach dem anderen Pradyumna und seine Frau Māyāvatī. Als dann die Nachricht von Pradyumnas Rückkehr in ganz Dvārakā bekannt wurde, kamen die erstaunten Bürger eilig herbei, um den verlorengeglaubten Pradyumna zu sehen. Sie sagten: »Der totgeglaubte Sohn ist zurückgekommen, was könnte es Schöneres geben?« Śrīla Śukadeva Gosvāmī hat erklärt, daß die Palastbewohner, die alle Mütter oder Stiefmütter Pradyumnas waren, ihn zuerst für Kṛṣṇa hielten und später in Verlegenheit gerieten, da sie von dem Verlangen nach ehelicher Liebe ergriffen wurden. Dies erklärt sich dadurch, daß Pradyumna von gleichem Aussehen war wie Kṛṣṇa und überdies der Liebesgott in Person. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, daß die Mütter Pradyumnas wie auch andere Frauen ihn mit dem Herrn verwechselten. Aus Śukadeva Gosvāmīs Erklärung wird deutlich, daß Pradyumnas körperliche Erscheinung der Kṛṣṇas so sehr glich, daß ihn sogar seine Mutter für Kṛṣṇa hielt. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 54. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa und Rukminī wird Pradyumna geboren«. 55. KAPITEL Die Geschichte vom Syamantaka-Juwel Es lebte einst ein König mit Namen Satrājit, der im Gebiet um Dvārakā-dhāma herrschte. Er war ein großer Geweihter des Sonnengottes, der ihm als Segnung das Juwel »Syamantaka« schenkte. Dieses Syamantaka-Juwels wegen gab es zwischen König Satrājit und der Yadu-Dynastie einige Streitigkeiten, die später von Satrājit geklärt wurden, als er Kṛṣṇa von sich aus das Juwel zusammen mit der Hand seiner Tochter Satyabhāmā anbot. Auch die Heirat Kṛṣṇas mit Jāmbavatī, der Tochter Jāmbavāns, hing mit dem Syamantaka-Juwel zusammen. Diese beiden Heiraten fanden vor Pradyumnas Erscheinen statt, von dem im letzten Kapitel berichtet wurde. Im Folgenden wird nun berichtet, wie König Satrājit die Yadu-Dynastie beleidigte, und wie er wieder zur Vernunft kam und Kṛṣṇa seine Tochter zusammen mit dem Juwel anbot. Da König Satrājit ein großer Geweihter des Sonnengottes war, entwickelte sich nach und nach eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihm und dem Halbgott. Der Sonnengott war schließlich mit Satrājit so zufrieden, daß er ihm das unvergleichliche Syamantaka-Juwel schenkte. Wenn Satrājit diesen Edelstein in ein Medaillon gefaßt um den Hals trug, sah er aus wie eine Imitation des Sonnengottes. Geschmückt mit diesem Juwel pflegte er durch Dvārakā zu stolzieren, und wenn die Menschen ihn erblickten, glaubten sie, der Sonnengott sei in ihre Stadt gekommen, um Kṛṣṇa zu sehen. Sie wußten, daß Kṛṣṇa als der Höchste Persönliche Gott manchmal von den Halbgöttern besucht wurde; wenn Satrājit die Stadt Dvārakā besuchte, hielten ihn daher alle Einwohner außer Kṛṣṇa für den Sonnengott. Obwohl jeder König Satrājit kannte, war wegen der gleißenden Ausstrahlung des Syamantaka-Juwels niemand imstande, ihn zu erkennen. Eines Tages gingen einige der angesehensten Bürger Dvārakās, die Satrājit gesehen und ihn für den Sonnengott gehalten hatten, sofort zu Śrī Kṛṣṇa, um Ihm zu berichten, daß der Sonnengott nach Dvārakā gekommen sei, um Ihn zu besuchen. Einer der angesehenen Einwohner sprach also zu Kṛṣṇa, der gerade Schach spielte: »Mein lieber Nārāyaṇa, Du bist der Höchste Persönliche Gott. In Deiner vollständigen Teil-Erweiterung als Nārāyaṇa oder Viṣṇu hast Du vier Hände, in denen Du verschiedene Symbole hältst – das Muschelhorn, das Feuerrad, die Keule und die Lotosblume. Du bist der eigentliche Besitzer aller Dinge, doch obwohl Du der Höchste Persönliche Gott, Nārāyaṇa, bist, bist Du in Vṛndāvana erschienen, um dort als Kind Yaśodāmātās zu spielen. Manchmal fesselte Dich Deine Mutter mit Stricken, weshalb Du auch als Dāmodara gepriesen wirst.« Daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott Nārāyaṇa ist, als den Ihn die Einwohner von Dvārakā verehrten, wurde später von Śaṅkarācārya, dem großen philosophischen Führer der Māyāvādīs, bestätigt. Obwohl er den Herrn in Seinem unpersönlichen Aspekt beschrieb, leugnete er doch niemals Seine persönliche Gestalt. Śaṅkaras wirkliches Verständnis war, daß alles, was in der materiellen Welt Form hat, Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung unterliegt, doch daß Nārāyaṇa, der Höchste Persönliche Gott, keine materielle Form hat, die diesen Bedingtheiten unterworfen ist. Um die weniger Intelligenten, die Kṛṣṇa für einen gewöhnlichen Sterblichen halten, vom Gegenteil zu überzeugen, sagte Śaṅkarācārya, Gott sei unpersönlich. Diese »Unpersönlichkeit« bedeutet, daß Er keine Person der materiellen, bedingten Welt ist – Er ist eine transzendentale Persönlichkeit ohne materiellen Körper. Die Bürger sprachen Kṛṣṇa nicht nur als »Dāmodara«, sondern auch als »Govinda« an, womit sie andeuteten, daß Kṛṣṇa die Kühe und Kälber sehr lieb sind; und um auch auf ihre eigene Beziehung zu Ihm hinzuweisen, nannten sie den Herrn »Yadunandana«. Er war nämlich als Sohn Vasudevas in der Yadu-Dynastie geboren. Schließlich priesen sie Kṛṣṇa als den Herrn des gesamten Universums. So nannten sie Kṛṣṇa bei vielen Namen und waren stolz, als Bürger Dvārakās Kṛṣṇa täglich sehen zu dürfen. Als Satrājit Dvārakā besuchte, verspürten die Bürger großen Stolz bei dem Gedanken, daß die Halbgötter persönlich herbeikamen, um Kṛṣṇa zu sehen, obwohl Er wie ein gewöhnlicher Mensch in Dvārakā lebte. Sie berichteten Kṛṣṇa also, der Sonnengott mit seiner herrlichen körperlichen Ausstrahlung sei gekommen, um Ihn zu besuchen. Die Bürger sagten weiter, daß es eigentlich nichts besonderes sei, wenn der Sonnengott nach Dvārakā komme, denn jeder im Universum, der nach dem Höchsten Persönlichen Gott suche, wisse ja, daß Er in der Yadu-Dynastie erschienen sei und als ein Mitglied dieser Familie in Dvārakā lebe. In dieser Weise brachten die Bürger ihre Freude über das Ereignis zum Ausdruck. Kṛṣṇa, der alldurchdringende Persönliche Gott, lächelte, als Er die Nachricht hörte, und erfreut über die Bürger Dvārakās, erklärte Er ihnen, daß die Person, die sie Ihm als den Sonnengott beschrieben, in Wirklichkeit König Satrājit sei, der die Stadt Dvārakā besuchte, um seinen Reichtum durch das kostbare Juwel, das er vom Sonnengott bekommen hatte, zur Schau zu stellen. Satrājit war tatsächlich nicht nach Dvārakā gekommen, um Kṛṣṇa zu sprechen; statt dessen war er so betört von dem Juwel, daß er es in einen Tempel brachte, um es von eigens zu diesem Zweck eingestellten brāhmaṇas verehren zu lassen. Dies ist ein typisches Beispiel eines unintelligenten Menschen, der etwas Materielles verehrt. Die Bhagavad-gītā erklärt, daß weniger Intelligente, die sofort die Ergebnisse gewinnbringender Handlungen bekommen wollen, die Halbgötter verehren, die ebenfalls Geschöpfe dieses Universums sind. Das Wort »Materialist« bezeichnet jemanden, der nach der Befriedigung der Sinne in der materiellen Welt trachtet. Obwohl Kṛṣṇa König Satrājit später um das Juwel bat, wollte dieser den Edelstein nicht herausgeben, sondern ließ ihn im Tempel verehren. Und wer hätte das Juwel wohl nicht verehrt? Der Syamantaka war so mächtig, daß er täglich eine große Menge Gold hervorbrachte. Die Maßeinheiten für Gold waren damals bhāra und mound. Nach vedischen Maßen entspricht ein bhāra etwa 16 Pfund Gold, ein mound etwa 82 Pfund. Das Juwel erzeugte täglich ungefähr 170 Pfund Gold. Außerdem erfahren wir aus dem vedischen Schrifttum, daß es überall dort, wo dieses Juwel verehrt wird, keine Hungersnot und kein Elend, wie Pest oder Krankheit, geben kann. Śrī Kṛṣṇa wollte die Welt lehren, daß das Beste von allem dem Landesoberhaupt gegeben werden soll. Damals war Kṛṣṇas Großvater, König Ugrasena, das Oberhaupt vieler Dynastien; deshalb ersuchte Kṛṣṇa Satrājit, König Ugrasena das Juwel zu schenken, und wies darauf hin, daß das Beste dem König dargeboten werden muß. Doch Satrājit war als Verehrer der Halbgötter zu materialistisch geworden, und anstatt Kṛṣṇas Bitte nachzukommen, hielt er es für weiser, dem Juwel zu huldigen und so täglich 170 Pfund Gold zu bekommen. Materialistische Menschen, die jeden Tag so viel Gold bekommen können, wollen nichts vom Kṛṣṇa-Bewußtsein wissen. Um einem solchen Materialisten Seine besondere Gunst zu erweisen, nimmt ihm Kṛṣṇa manchmal all seinen materiellen Reichtum und macht ihn zu einem großen Gottgeweihten. Doch Satrājit sträubte sich dagegen, Kṛṣṇas Anweisungen zu gehorchen, und gab Ihm das Juwel nicht. Kurze Zeit danach nahm Satrājits jüngerer Bruder, Prasena, der mit dem Reichtum seiner Familie prunken wollte, den Edelstein, hängte ihn sich um den Hals und ritt, sich stolz präsentierend, auf einem Pferd in den Wald. Im Wald wurde Satrājits Bruder, wie er so spazierenritt, plötzlich von einem riesigen Löwen angefallen, der ihn und sein Pferd tötete und das Juwel in seine Höhle trug. Als der Gorillakönig Jāmbavān davon erfuhr, ging er sogleich zur Höhle, erlegte den Löwen und nahm das Juwel an sich. Jāmbavān war schon seit dem Erscheinen Rāmacandras ein großer Geweihter des Herrn, und so konnte er nicht viel mit dem wertvollen Stein anfangen, sondern gab ihn seinem kleinen Sohn zum Spielen. Als weder Prasena noch das Juwel aus dem Wald zurückkamen, wurde Satrājit in der Stadt sehr aufgebracht. Er ahnte nicht, daß sein jüngerer Bruder von einem Löwen getötet worden war, den dann später Jāmbavān erlegte. Statt dessen glaubte er, Kṛṣṇa habe Prasena das Juwel mit Gewalt abgenommen und seinen Bruder dann umgebracht, denn Er habe das Juwel ja schon immer begehrt, bis dahin aber noch nicht bekommen können. Dieser Verdacht entwickelte sich allmählich zu einem Gerücht, das Satrājit in jeden Winkel Dvärakās verbreitete. Das falsche Gerücht, Kṛṣṇa habe Prasena getötet und den Edelstein an Sich genommen, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Weil es Kṛṣṇa nicht gefiel, in dieser Weise verleumdet zu werden, beschloß Er, Selbst in den Wald zu gehen, um das Syamantaka-Juwel wiederzufinden. Zusammen mit einigen angesehenen Bürgern aus Dvārakā, die Er mit Sich nahm, machte Sich Kṛṣṇa auf die Suche nach Prasena und fand nach einiger Zeit seinen toten, von dem Löwen zerrissenen Körper. Wenig später fand Kṛṣṇa auch den Löwen, der von Jāmbavān, der im allgemeinen auch als Ṛkṣa bekannt ist, getötet worden war. Man konnte sehen, daß Jāmbavān den Löwen ohne eine Waffe, mit den bloßen Händen getötet hatte. Schließlich stießen Kṛṣṇa und die Bürger im Wald auf einen großen unterirdischen Gang, von dem es hieß, daß er zu Ṛkṣas Behausung führe. Da Kṛṣṇa wußte, daß sich die Bewohner Dvārakās fürchten würden, den Tunnel zu betreten, bat Er sie, draußen auf Ihn zu warten, worauf Er allein in das dunkle Innere vordrang, um Ṛkṣa zu finden. Am anderen Ende des Tunnels angekommen, sah Kṛṣṇa Ṛkṣas Sohn mit dem unvergleichlich kostbaren Syamantaka-Juwel spielen, und so trat Er vor das Kind, um ihm das Juwel fortzunehmen. Die Amme, die Ṛkṣas Kind behütete, bekam entsetzliche Angst, als sie Kṛṣṇa so plötzlich vor sich stehen sah, denn sie dachte sich, daß Er das wertvolle Juwel an Sich nehmen wolle. Aus Furcht begann sie laut zu schreien. Auf die Schreie der Amme hin stürzte Jāmbavān wutentbrannt herbei. Eigentlich war er ein großer Gottgeweihter, doch blind vor Wut konnte er seinen Meister nicht erkennen, sondern hielt Ihn für einen gewöhnlichen Menschen. Dieser Vorfall erinnert an einen Vers aus der Bhagavad-gītā, in dem der Herr Arjuna rät, frei von Zorn, Gier und Lust zu werden, um die spirituelle Ebene zu erreichen. Zorn und Gier entstehen zur gleichen Zeit im Herzen eines Lebewesens und behindern seinen Fortschritt auf dem spirituellen Pfad. Weil Jāmbavān also seinen Meister nicht erkannte, forderte er Ihn sogleich zum Kampf heraus. Darauf fand eine fürchterliche Auseinandersetzung zwischen den beiden statt, in der sie sich wie zwei feindliche Geier bekämpften. Wenn Geier einen Kadaver finden, kämpfen sie sofort erbittert um die Beute. Kṛṣṇa und Jāmbavān fochten zunächst mit Waffen, dann mit Steinen, dann mit großen Bäumen, dann rangen sie miteinander und schließlich schlugen sie mit Fausthieben aufeinander ein, die wie Blitzeinschläge waren. Jeder war entschlossen, den andern zu besiegen, doch der Kampf zog sich über Tage und Nächte hin. Ohne Unterbrechung schlugen sie sich auf diese Weise insgesamt achtundzwanzig Tage lang. Obwohl Jāmbavān das stärkste Lebewesen seiner Zeit war, erlahmten ihm schließlich die Glieder und seine Kräfte verließen ihn, da er unablässig von Kṛṣṇas Fäusten geschlagen worden war, gänzlich. Erschöpft und schweißüberströmt, fragte er sich voll Verwunderung, wer wohl sein Gegner sein mochte, der ihn so schwächte? Jāmbavān kannte sehr gut seine übermenschlichen Körperkräfte, und als ihm daher Kṛṣṇas Schläge so schwer zu schaffen machten, erkannte er, daß Kṛṣṇa kein anderer war als sein verehrter Herr, der Höchste Persönliche Gott. Der Kampf zwischen Kṛṣṇa und Jāmbavān ist für die Gottgeweihten von besonderer Bedeutung. Zu Anfang konnte Jāmbavān Kṛṣṇa nicht sehen, da seine Sicht von materieller Anhaftung verdeckt war. Er hing nämlich zu sehr an seinem Sohn und dem wertvollen Syamantaka-Juwel, das er Kṛṣṇa nicht überlassen wollte. Es ging sogar so weit, daß er, als Kṛṣṇa zu ihm kam, wütend wurde, weil er ahnte, daß der Herr gekommen war, um das Juwel fortzunehmen. Das ist der Zustand der materiellen Verunreinigung. Fähigkeiten wie außergewöhnliche Körperkraft können einem nicht helfen, Kṛṣṇa zu verstehen. Kṛṣṇa wollte aus Freude am Kampf einen Scheinkampf mit Seinem Geweihten austragen. Wie wir aus dem Śrīmad-Bhāgavatam erfahren, besitzt der Höchste Persönliche Gott alle Neigungen und Fähigkeiten eines Menschen. Manchmal möchte Er daher, wie aus einer sportlichen Laune heraus, auch kämpfen, um Seine Körperkraft zu zeigen, und wenn Er den Wunsch dazu verspürt, wählt Er Sich einen geeigneten Gottgeweihten als Gegner aus, der Ihn im Kampf erfreuen darf. In diesem Falle hatte Kṛṣṇa Jāmbavān für dieses Vergnügen auserwählt. Obwohl Jāmbavān in Wirklichkeit ein Gottgeweihter war, vergaß er Kṛṣṇa, als er dem Herrn mit seiner Körperkraft diente; doch sowie Kṛṣṇa mit seinem Kampf zufrieden war, erkannte Jāmbavān augenblicklich, daß sein Gegner niemand anderes sein konnte als der Höchste Herr Selbst. Das bedeutet, er konnte Kṛṣṇa durch seinen Dienst verstehen. Kṛṣṇa wird bisweilen auch durch Kämpfen erfreut. Jāmbavān sagte daher zum Herrn: »Lieber Herr, ich erkenne jetzt, wer Du bist. Du bist der Höchste Persönliche Gott, Śrī Viṣṇu, der Ursprung aller Stärke, allen Reichtums, allen Ruhms, aller Schönheit, aller Weisheit und aller Entsagung.« Dies wird auch im Vedānta-sūtra bestätigt, wo erklärt wird, daß der Höchste Herr der Ursprung aller Dinge ist. Jāmbavān erkannte Śrī Kṛṣṇa als die Höchste Persönlichkeit Śrī Viṣṇu: »Lieber Herr«, sagte er weiter, »Du erschaffst die Schöpfer aller Dinge im Universum.« Diese Aussage ist sehr lehrreich für den gewöhnlichen Menschen, der dazu neigt, das Tun eines Menschen mit überdurchschnittlicher Intelligenz zu bewundern. Der gewöhnliche Mensch ist sehr beeindruckt von den Erfindungen eines großen Wissenschaftlers, aber wie die Aussage Jāmbavāns bestätigt, mag der Wissenschaftler zwar viele wundervolle Dinge schaffen, doch Kṛṣṇa ist auch der Schöpfer des Wissenschaftlers – nicht nur eines Wissenschaftlers, sondern von Millionen und Abermillionen, überall im Universum. Jāmbavān sagte weiter: »Du bist nicht nur der Schöpfer der Schöpfer, sondern auch der Schöpfer aller materiellen Elemente, die von den sogenannten Schöpfern nur gehandhabt werden.« Die Wissenschaftler arbeiten nur mit den physikalischen Elementen und Gesetzen der materiellen Natur und schaffen etwas Wunderbares, doch im Grunde sind diese Gesetze und Elemente, genau wie alles andere, Schöpfungen Kṛṣṇas. Dies ist das wahre Verständnis von Wissenschaft. Weniger intelligente Menschen fragen sich niemals, wer das Gehirn des Wissenschaftlers erschaffen hat; es genügt ihnen, die wunderbaren Schöpfungen oder Erfindungen des Wissenschaftlers zu bestaunen. Jāmbavān fuhr fort: »Lieber Herr, der Zeitfaktor, der die physikalischen Elemente verbindet, ist ebenfalls Dein Repräsentant. Du Selbst bist der höchste Zeitfaktor, durch den alles Geschaffene hervorgebracht, erhalten und schließlich vernichtet wird. Und nicht allein die physikalischen Elemente und Zeitfaktoren, sondern auch die Menschen, die die Grundbestandteile und Möglichkeiten der Schöpfung nutzen, sind Deine Teile. Das Lebewesen kann daher kein unabhängiger Schöpfer sein. Wenn man all diese Faktoren im richtigen Verständnis studiert, wird man feststellen, daß Du der Höchste Beherrschende und der Herr über alles bist. Lieber Herr, ich weiß, daß Du der gleiche Höchste Persönliche Gott bist, den ich als Rāmacandra verehre. Mein Meister, Śrī Rāmacandra, wollte einmal eine Brücke über den Ozean bauen, und ich sah mit eigenen Augen, wie der gewaltige Ozean durch Seinen bloßen Blick aufgewühlt wurde. Und als der gesamte Ozean in Aufruhr geriet, wurden alle Lebewesen in ihm, wie die Haie, Wale und sogar die timiṅgila-Fische [* der timiṅgila-Fisch ist so riesig, daß er große Wassertiere, selbst Wale, mit einem Schluck verschlingen kann*], unruhig. Durch Rāmacandras Blick wurde der Ozean gezwungen, sich zu teilen und Ihm so den Weg nach Laṇkā [** das heutige Ceylon**] freizugeben. Nach dem Brückenübergang wurde das gesamte Königreich Rāvaṇas in Brand gesetzt. Dabei fand ein Kampf mit Rāvaṇa statt, in dem Du jeden Fleck seines Körpers mit Deinen scharfen Pfeilen durchbohrtest und zerstückeltest, bis schließlich sein Kopf über den Boden rollte. Mir ist nun klar, daß Du kein anderer sein kannst als mein Meister Śrī Rāmacandra. Niemand sonst besitzt eine solch unermeßliche Stärke; niemand außer Dir hätte mich auf diese Weise besiegen können.« Jāmbavāns Gebete erfreuten Śrī Kṛṣṇa sehr, und um seine Schmerzen zu lindern, strich Er mit den lotosgleichen Handflächen über den Körper des Gorillakönigs. Sofort fühlte sich Jāmbavān von den Anstrengungen des Kampfes befreit. Darauf sprach Kṛṣṇa ihn mit »König Jāmbavān« an, denn im Grunde war er, und nicht der Löwe, der König des Waldes. Jāmbavān hatte den Löwen mit der bloßen Hand, ohne eine Waffe, getötet. Dann erklärte Kṛṣṇa Jāmbavān, daß Er gekommen sei, um ihn um das Syamantaka-Juwel zu bitten, denn nachdem der Syamantaka verschwunden war, hatten die Unintelligenten den Namen Kṛṣṇas in Verruf gebracht. Kṛṣṇa sagte zu Jāmbavān ganz offen: »Ich möchte den Edelstein von dir haben, damit diese Verleumdungen aus der Welt geschafft werden.« Jāmbavān sah dies auch sogleich ein, und um den Herrn zufriedenzustellen, gab er Ihm nicht nur ohne Zögern das Syamantaka-Juwel, sondern rief auch seine Tochter Jāmbavatī herbei, die gerade in heiratsfähigem Alter war, und gab sie Kṛṣṇa zur Frau. Die Episode, wie Kṛṣṇa Jāmbavatī und das Syamantaka-Juwel erlangte, endete in der Berghöhle. Obwohl der Kampf zwischen Kṛṣṇa und Jāmbavān achtundzwanzig Tage dauerte, warteten die Bewohner Dvārakās zwölf Tage lang vor dem unterirdischen Gang auf Kṛṣṇa und nahmen schließlich an, daß etwas Furchtbares geschehen sein müsse. Sie ahnten natürlich nicht, was in Wirklichkeit vor sich ging, und zutiefst niedergeschlagen und müde kehrten sie nach Dvārakā zurück. Alle Familienangehörigen Kṛṣṇas, Seine Mutter Devakī, Sein Vater Vasudeva, Seine Lieblingsfrau Rukmiṇī und alle anderen Verwandten, Freunde und Palastbewohner waren sehr traurig, als die Stadtbewohner ohne Kṛṣṇa nach Hause zurückkehrten. Aus ihrer natürlichen Zuneigung zu Kṛṣṇa begannen sie Satrājit zu schelten, denn er war schließlich an Kṛṣṇas Verschwinden schuld. Zuletzt gingen sie in den Tempel der Göttin Candrabhāgā, um sie zu verehren und um Kṛṣṇas Rückkehr zu bitten. Die Göttin war zufrieden mit den Gebeten der Bürger von Dvārākā und gab ihnen sogleich ihren Segen. Zur gleichen Stunde noch erschien Kṛṣṇa zusammen mit Seiner neuen Frau Jāmbavatī in Dvārakā, worüber alle Stadtbewohner und Śrī Kṛṣṇas Verwandte vor Freude außer sich waren. Die Einwohner Dvārakās wurden so glücklich wie jemand, der einen lieben Verwandten, den er bereits tot glaubte, wiedersieht. Weil die Leute nämlich vermutet hatten, Kṛṣṇa sei im Kampf in große Bedrängnis geraten, hatten sie fast alle Hoffnung auf Seine Rückkehr aufgegeben. Doch als sie dann sahen, daß Kṛṣṇa wieder in Seine Stadt gekommen war, und zwar nicht allein, sondern mit einer neuen Frau, veranstalteten sie sogleich eine Hochzeitszeremonie und ein Freudenfest. König Ugrasena berief daraufhin eine Versammlung aller bedeutenden Könige und Führer ein. Auch Satrājit war unter den geladenen Gästen, und Kṛṣṇa berichtete vor der ganzen Versammlung, wie Er das Symantaka-Juwel aus Jāmbavāns Höhle zurückgeholt hatte. Er schloß damit, daß Er König Satrājit das Juwel zurückgab. Satrājit jedoch war sehr beschämt, weil er Kṛṣṇa zu Unrecht verleumdet hatte. Er nahm das Juwel zwar an, doch schwieg er mit gebeugtem Haupt und verließ die Versammlung wortlos, um nach Hause zurückzukehren. Zuhause angekommen überlegte er, wie er seine Schandtat wiedergutmachen könne. Ihm war klar, daß er sich gegen Kṛṣṇa vergangen hatte, und daß er dieses Vergehen irgendwie aus der Welt schaffen mußte, damit Kṛṣṇa ihm weiter wohlgesinnt sein würde. König Satrājit war also sehr daran gelegen, sich aus seiner unangenehmen Lage zu befreien, in die er sich törichterweise selbst gebracht hatte, da er sich von einem materiellen Gegenstand wie dem Syamantaka-Juwel hatte betören lassen. Dem König tat sein Vergehen gegen Kṛṣṇa wirklich leid, und er wünschte sich aufrichtig, es wiedergutzumachen. Deshalb gab Kṛṣṇa ihm die nötige Intelligenz, so daß sich Satrājit entschloß, dem Herrn sowohl das Juwel als auch seine schöne Tochter Satyabhāmā zu übergeben. Es gab für ihn keine andere Möglichkeit, das Problem zu lösen, und so ließ er die Heirat Kṛṣṇas und seiner schönen Tochter vorbereiten. Bei der Heiratszeremonie schenkte er dem Höchsten Persönlichen Gott sowohl das Juwel als auch seine Tochter. Satyabhāmā war so schön und tugendhaft, daß Satrājit, obgleich viele Prinzen um ihre Hand angehalten hatten, bisher immer gezögert hatte, um den am besten geeigneten Schwiegersohn zu finden. Durch Kṛṣṇas Gnade beschloß er nun, Kṛṣṇa seine Tochter zu geben. Weil Śrī Kṛṣṇa mit Satrājit sehr zufrieden war, teilte Er ihm mit, daß Er das Juwel nicht brauche. »Du kannst es ruhig weiterhin im Tempel verehren, wo du es bereits zuvor aufbewahrtest«, sagte Er. »So wird jeder von uns seinen Nutzen aus dem Edelstein ziehen, denn in der Gegenwart des Juwels in Dvārakā wird es hier weder Hungersnöte noch andere Störungen, wie Seuchen oder übermäßige Hitze oder Kälte, geben.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 55. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Geschichte vom Syamantaka-Juwel«. 56. KAPITEL Satrājit und Śatadhanvā werden getötet Nachdem Akrūra Hastināpura besucht und Kṛṣṇa die Lage der Pāṇḍavas geschildert hatte, spitzte sich die Lage weiter zu. Die Pāṇḍavas wurden in einem Haus untergebracht, das aus reinem Schellack bestand; nach einiger Zeit wurde dieses Haus in Brand gesetzt, so daß jeder dachte, die Pāṇḍavas seien zusammen mit ihrer Mutter Kuntī umgekommen. Diese Nachricht wurde auch Kṛṣṇa und Balarāma in Dvārakā überbracht, und nachdem Sich die beiden beraten hatten, beschlossen Sie, nach Hastināpura zu gehen, um Ihre Anteilnahme zu zeigen. Kṛṣṇa und Balarāma wußten natürlich ganz genau, daß die Pāṇḍavas nicht in den Flammen umgekommen sein konnten, aber trotzdem wollten Sie nach Hastināpura gehen, um an den Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen. Als Sie in Hastināpura ankamen, suchten Sie als erstes Bhīṣmadeva auf, denn er war das Oberhaupt der Kuru-Dynastie. Dann besuchten Sie Vidura, Gāndhārī und Droṇa. Die übrigen Angehörigen der Kuru-Dynastie waren nicht betrübt, denn sie hatten sich gewünscht, daß die Pāṇḍavas und ihre Mutter sterben würden. Nur einige Familienmitglieder, ganz besonders Bhīṣmadeva, bedauerten aufrichtig das Unglück, und Kṛṣṇa und Balarāma brachten gleiche Empfindungen zum Ausdruck, ohne etwas davon zu sagen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt. Als Kṛṣṇa und Balarāma Dvārakā verlassen hatten, fand dort eine Verschwörung statt, deren Ziel darin bestand, Satrājit das Syamantaka-Juwel zu rauben. Der Kopf der Verschwörung war Śatadhanvā. Wie viele andere, hatte er die schöne Satyabhāmā, Satrājits Tochter, heiraten wollen. Satrājit hatte seine Tochter bereits mehreren Bewerbern versprochen, doch später änderte er seine Entscheidung und gab Satyabhāmā zusammen mit dem Syamantaka-Juwel Kṛṣṇa. Im Grunde gab er das Juwel höchst ungern mit seiner Tochter fort, und Kṛṣṇa, der seine Gedanken kannte, nahm deshalb nur seine Tochter an und gab ihm das Juwel zurück. Satrājit war sehr zufrieden, als er das Juwel wiederhatte, und trug es von da an immer bei sich. Nun aber, in der Abwesenheit Kṛṣṇas und Balarāmas, bildete sich eine Gruppe von Verschwörern, die Satrājit das Juwel abnehmen wollten. Sie wußten nämlich, daß Kṛṣṇa Sich das Juwel wünschte und daß Satrājit es Kṛṣṇa nicht, wie es sich gehörte, gegeben hatte. Die Anderen nahmen aus Enttäuschung darüber, daß sie Satyabhāmā nicht hatten heiraten können, an der Verschwörung teil. Von diesen setzten einige Śatadhanvā zu, er solle doch Satrājit töten, so daß ihm das Juwel abgenommen werden könne. Viele werden nun fragen: Warum schloß sich ein so großer Gottgeweihter wie Akrūra der Verschwörung an? Und warum beteiligte sich auch Kṛtavarmā, der ebenfalls ein Geweihter des Herrn war, an solchen Machenschaften? Die Antwort hierauf geben uns große Autoritäten wie Śrī Jīva Gosvāmī und andere; sie sagen, daß Akrūra zwar ein großer Gottgeweihter war, daß er aber von den Einwohnern Vṛndāvanas verwünscht wurde, da er Kṛṣṇa aus ihrer Mitte nahm. Weil Akrūra sie auf diese Weise innerlich getroffen hatte, war er gezwungen, an der von Sündern bereiteten Verschwörung teilzunehmen. Ähnlich verhielt es sich mit Kṛtavarmā: Er war zwar ebenfalls ein Gottgeweihter, doch durch den Umgang mit Kaṁsa war auch er von sündigen Reaktionen verunreinigt und beteiligte sich an der Verschwörung. Angespornt von den anderen Verschwörern drang Śatadhanvā eines Nachts in Satrājits Haus ein und tötete ihn im Schlaf. Śatadhanvā war ein sündiger Mensch von abscheulichem Charakter, und obwohl ihm wegen seiner vielen Sünden ohnehin nicht mehr viele Lebenstage bestimmt waren, entschloß er sich, Satrājit zu töten, während dieser daheim schlief. Als er in den Palast eindrang, um den König umzubringen, begannen alle anwesenden Frauen laut zu schreien, doch ohne sich um ihr Wehgeschrei zu kümmern, schlachtete er Satrājit mit Gelassenheit ab wie ein Schlächter, der ein Tier im Schlachthaus umbringt. Weil Sich Kṛṣṇa nicht zu Hause aufhielt, war Seine Frau Satyabhāmā in jener Mordnacht im Haus ihres Vaters. Bei dem furchtbaren Anblick rief sie aus: »Mein lieber Vater! Mein lieber Vater! Gnadenlos bist du getötet worden!« Der tote Körper Satrājits wurde am folgenden Tag nicht sogleich zum Scheiterhaufen gebracht, denn Satyabhāmā wollte vorher Kṛṣṇa in Hastināpura sprechen. Daher wurde der Leichnam in eine Wanne mit Öl gelegt, so daß Kṛṣṇa ihn bei Seiner Rückkehr mit eigenen Augen sehen könnte und gebührend gegen Śatadhanvā vorgehen würde. Dann begab sich Satyabhāmā unverzüglich nach Hastināpura, um Kṛṣṇa über den grausamen Tod ihres Vaters zu berichten. Als Kṛṣṇa in Hastināpura von Seiner Frau den Mord an Seinem Schwiegervater erfuhr, begann Er wie ein gewöhnlicher Mensch zu wehklagen. Sein großer Jammer mag sehr befremdend erscheinen, denn Śrī Kṛṣṇa hat nichts mit Aktionen und Reaktionen zu tun; doch es ist zu verstehen, daß Er, weil Er die Rolle eines Menschen spielte, solche Anteilnahme an Satyabhāmās Schmerz zeigte; Seine Augen füllten sich mit Tränen, als Er von dem Tod Seines Schwiegervaters erfuhr, und Er klagte: »Oh, welch großes Unglück ist über uns gekommen!« Auf der Stelle kehrten Kṛṣṇa, Balarāma und Kṛṣṇas Frau Satyabhāmā nach Dvārakā zurück, wo Sie Sich darüber Gedanken machten, wie Śatadhanvā zu töten sei, und wie man ihm das Juwel wieder abnehmen könne. Obwohl Śatadhanvā ein dreister Verbrecher war, fürchtete er sich außerordentlich vor Kṛṣṇas Macht, und daher packte ihn bei der Ankunft Kṛṣṇas fürchterliche Angst. Da er wußte, daß Kṛṣṇa ihn töten wollte, begab er sich sogleich zu Kṛtavaramā und bat ihn um Schutz. Doch Kṛtavarmā entgegnete: »Ich werde niemals imstande sein, mich gegen Kṛṣṇa und Balarāma zu vergehen, denn Sie sind keine gewöhnlichen Menschen. Sie sind der Höchste Persönliche Gott. Wie könnte jemand dem Tod entgehen, der sich eines Vergehens gegen Kṛṣṇa und Balarāma schuldig gemacht hat? Niemand kann Ihrem Zorn entkommen.« Kṛtavarmā wies auch darauf hin, daß sich selbst der mächtige Kaṁsa, dem viele andere Dämonen zur Seite standen, nicht vor Kṛṣṇas Zorn retten konnte, ganz zu schweigen von Jarāsandha, der achtzehnmal von Kṛṣṇa besiegt wurde und jedes Mal geschlagen vom Kampf zurückkehren mußte. Als Kṛtavaramā Śatadhanvā seinen Beistand versagte, ging dieser zu Akrūra und flehte ihn um Hilfe an. Doch auch Akrūra entgegnete: »Sowohl Kṛṣṇa als auch Balarāma sind der Höchste Persönliche Gott Selbst. Jeder, der Ihre grenzenlose Stärke kennt, würde es niemals wagen, einen Frevel gegen Sie zu begehen oder gar mit Ihnen zu kämpfen.« Zusätzlich erklärte er Śatadhanvā: »Kṛṣṇa und Balarāma sind so mächtig, daß Sie durch Ihren bloßen Willen die gesamte kosmische Manifestation erschaffen, erhalten und vernichten. Leider können Personen, die durch die illusionierende Energie verwirrt sind, Kṛṣṇas Stärke nicht erkennen, obwohl die gesamte kosmische Manifestation völlig unter Seiner Kontrolle steht.« Als anschauliches Beispiel führte Akrūra an, daß Kṛṣṇa schon mit sieben Jahren den Govardhana-Hügel in die Luft hob und sieben Tage lang, ohne ihn abzusetzen, emporhielt, so wie ein Kind einen kleinen Schirm trägt. Akrūra gab Śatadhanvā deutlich zu verstehen, daß er Kṛṣṇa, der Überseele in allem Erschaffenen und der ursprünglichen Ursache aller Ursachen, stets seine achtungsvollsten Ehrerbietungen erweisen würde. Als auch Akrūra ihm keine Zuflucht gewährte, beschloß Śatadhanvā, ihm das Syamantaka-Juwel auszuhändigen. Dann floh er auf einem schnellen Pferd, das eine Strecke bis zu vierhundert Meilen ohne Unterbrechung zurückzulegen vermochte, aus der Stadt. Sowie Kṛṣṇa und Balarāma über Śatadhanavās Flucht unterrichtet wurden, bestiegen Sie Ihren Wagen, dessen Flagge das Bild Garuḍas trug, und setzten ihm nach. Kṛṣṇa beabsichtigte, Śatadhanvā zu töten, und Er war besonders zornig auf ihn, weil er Satrājit, eine ehrenwerte Persönlichkeit, ermordet hatte. Satrājit war Kṛṣṇas Schwiegervater, und eine Anweisung der śāstras, der Schriften besagt, daß jeder, der sich gegen eine ehrenwerte Person oder gurudruha wendet, entsprechend der Größe seines Vergehens bestraft werden muß. Da Śatadhanvā Kṛṣṇas Schwiegervater umgebracht hatte, war der Herr entschlossen, ihn unter allen Umständen zu töten. Śatadhanvās Pferd verließen schließlich die Kräfte, und es verendete in der Nähe eines Gartenhauses in Mithilā. Hilflos geworden lief der Mörder zu Fuß mit großer Schnelligkeit weiter. Kṛṣṇa und Balarāma, die selbst Śatadhanvā einen ehrlichen Kampf bieten wollten, sprangen ebenfalls vom Streitwagen und verfolgten ihn zu Fuß. Im Laufen warf Kṛṣṇa Sein Feuerrad, das Śatadhanvā den Kopf abtrennte. Daraufhin durchsuchte Kṛṣṇa seine Kleidung nach dem Syamantaka-Juwel, doch konnte Er es nirgends finden. So kehrte Er zu Balarāma zurück und sagte: »Wir haben diesen Mann umsonst getötet, denn er trägt das Juwel nicht bei sich.« Balarāma jedoch hatte eine Vermutung: »Vielleicht wird es von jemand anderem in Dvārakā aufbewahrt«, sagte Er, »das beste ist, also, Du kehrst zurück und versuchst, es dort zu finden.« Śrī Balarāma Selbst wünschte, einige Tage in Mithilā zu bleiben, denn der König, der in der Stadt residierte, war Sein guter Freund. Also kehrte Kṛṣṇa allein nach Dvārakā zurück, und Balarāma begab Sich in die Stadt Mithilā. Als der König von Mithilā erfuhr, daß Balarāma in seine Stadt gekommen sei, war er hocherfreut und empfing den Herrn mit viel Ehrerbietung und Gastfreundlichkeit. Er überreichte Balarāma auch viele kostbare Geschenke, um Sein Wohlwollen zu gewinnen. Mehrere Jahre lang blieb Śrī Balarāma Ehrengast des Königs von Mithilā, Janaka Mahārāja. Während jener Zeit nahm Duryodhana, der älteste Sohn Dhṛtarāṣṭras, die Gelegenheit wahr, Balarāma zu besuchen und von Ihm die Kunst des Kampfes mit der Keule zu erlernen. Kṛṣṇa begab Sich unterdessen wieder nach Dvārakā zurück, und um Seine Frau Satyabhāmā zu erfreuen, berichtete Er ihr, daß der Mörder ihres Vaters nun tot sei. Weiterhin sagte Kṛṣṇa aber auch, daß das Juwel nicht bei ihm gefunden worden sei. Danach führt Er gemeinsam mit Satyabhāmā alle Arten von Zeremonien nach den religiösen Prinzipien durch, um Seinen toten Schwiegervater zu ehren. Zu dieser Zeremonie versammelten sich alle Freunde und Verwandten der Familie. Akrūra und Kṛtavarmā, die beiden bekannten Teilnehmer an der Verschwörung gegen Satrājit, hatten auch Śatadhanvā dazu angehalten, Satrājit zu töten, und als sie nun hörten, daß Satadhanvā von Kṛṣṇas Hand gestorben war, und wenig später erfuhren, daß Kṛṣṇa nach Dvārakā zurückgekehrt sei, verließen sie eilends die Stadt. Daraufhin fürchteten die Bürger, sie würden nun von Seuchen und anderen Naturkatastrophen heimgesucht werden. Doch dies war nur eine Art Aberglaube, denn dort, wo Kṛṣṇa anwesend ist, kann es unmöglich Seuchen, Hungersnöte oder Naturkatastrophen geben. In Akrūras Abwesenheit traten dennoch einige Störungen in Dvārakā auf. Dazu muß man folgende Vorgeschichte kennen: In Kāśī, einem Gebiet im Lande von Vārāṇasī, herrschte einmal eine große Dürre, während der so gut wie kein Regen fiel. Auf Geheiß eines Astrologen verheiratete der König von Kāśī schließlich seine Tochter Gāndinī mit Śvaphalka, Akrūras Vater, und tatsächlich fiel nach dieser Heirat wieder genügend Regen in der Provinz. Da Śvaphalka offensichtlich übernatürliche Kräfte besaß, glaubte man, sein Sohn Akrūra müsse ebensolche Kräfte besitzen, und für viele stand fest, daß es überall dort, wo sich entweder Akrūra oder sein Vater aufhalte, keine Naturplagen, Hungersnöte oder Dürren geben könne. Ein Königreich ist glücklich zu nennen, wenn dort keine Hungersnöte, Seuchen und übermäßige Hitze oder Kälte auftreten und es den Bürgern körperlich, geistig und spirituell gut geht. Sobald in früheren Zeiten kleine Störungen auftraten, sahen die Menschen die Ursache in der Abwesenheit einer glückspendenden Persönlichkeit. Und so ging auch in Dvārakā das Gerücht um, daß sich alles Unglück nur ereigne, weil Akrūra nicht in der Stadt sei. Einige der älteren Leute begannen nach Akrūras Fortgang unglückverkündende Zeichen wahrzunehmen, die dem Umstand zugeschrieben wurden, daß das Syamantaka-Juwel nicht mehr in der Stadt war. Als dem Herrn die Gerüchte, die man sich erzählte, zu Ohren kamen, beschloß Er, Akrūra aus dem Königreich Kāśī kommen zu lassen. Akrūra war Kṛṣṇas Onkel, und als er daher nach Dvārakā kam, begrüßte Kṛṣṇa ihn zuerst einmal, wie es einer höherstehenden Persönlichkeit zukommt. Kṛṣṇa weilt als Überseele in allen Herzen. Er weiß, was im Herzen eines jeden vor sich geht. Daher war Ihm auch alles bekannt, was im Zusammenhang mit der Verschwörung Akrūras und Śatadhanvās geschehen war. Lächelnd begann Er zu Akrūra zu sprechen, indem Er ihn zuerst als den Höchsten unter den Großmütigen bezeichnete. Dann sagte Er: »Es ist Mir bereits bekannt, daß Śatadhanvā das Syamantaka-Juwel bei dir zurückließ. Zur Zeit gibt es eigentlich niemanden, der direkten Anspruch auf das Syamantaka-Juwel erheben könnte, denn König Satrājit hat keinen männlichen Nachkommen; seiner Tocher Satyabhāmā schließlich ist nicht sonderlich an dem Juwel gelegen. Doch ihr zukünftiger Sohn, Satrājits Enkel, wäre, nachdem er die Vorschriften für den Erhalt der Erbschaft erfüllt hat, der rechtmäßige Eigentümer des Juwels.« Mit dieser Feststellung offenbarte Śrī Kṛṣṇa, daß Satyabhāmā bereits schwanger war, und daß ihr Sohn der wirkliche Erbe des Juwels sein werde. Er deutete auch an, daß dieser Sohn das Juwel mit Sicherheit von ihm an sich nehmen werde. Kṛṣṇa fuhr fort: »Das Juwel ist so mächtig, daß kein gewöhnlicher Mensch imstande ist, es zu behalten. Ich weiß natürlich, daß Du sehr fromm handelst, und so sollte es dir nicht schwerfallen, das Juwel zu behalten, wogegen auch nichts einzuwenden ist. Die einzige Schwierigkeit, die Ich sehe, besteht darin, daß Mein älterer Bruder Balarāma Mir nicht glaubt, wenn Ich sage, du habest den Syamantaka. Deshalb bitte ich dich, o Großherziger, Mir das Juwel vor all unseren Verwandten zu zeigen, damit sie sich zufriedengeben. Du kannst nicht leugnen, daß sich das Juwel in deinem Besitz befindet, denn verschiedene Gerüchte geben uns eindeutig zu verstehen, daß sich dein Reichtum vergrößert hat und daß du Opfer auf einem Altar aus gediegenem Gold darbringst.« Die besondere Eigenschaft des Juwels war jedem bekannt. Überall, wo er sich befand, erzeugte er für seinen Besitzer fast elf bharās Gold täglich. Akrūra bekam Gold in diesen Mengen und verteilte es freigiebig bei Opferzeremonien. Śrī Kṛṣṇa führte Akrūras Großzügigkeit beim Verteilen von Gold als Beweis an, der dafür sprach, daß er das Syamantaka-Juwel besaß. Als Śrī Kṛṣṇa Akrūra auf freundschaftliche Art mit sanften Worten die Tatsachen vor Augen hielt, erkannte dieser, daß Kṛṣṇas Wissen nichts verborgen bleiben konnte. Auf der Stelle brachte er das kostbare Juwel herbei, das, leuchtend wie die Sonne, jetzt von einem Tuch bedeckt war, und überreichte es Kṛṣṇa. Śrī Kṛṣṇa nahm das Syamantaka-Juwel in die Hand und zeigte es all Seinen anwesenden Verwandten und Freunden. Dann gab Er es vor den Augen aller Akrūra zurück, so daß jeder wußte, daß der Edelstein tatsächlich von Akrūra in Dvārakā aufbewahrt wurde. Die Geschichte vom Syamantaka-Juwel ist von großer Bedeutung. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß jeder, der die Geschichte vom Syamantaka-Juwel hört, sie weitererzählt oder sich einfach an sie erinnert, von allen Verleumdungen und Folgen unfrommen Tuns frei wird und somit zur höchsten Stufe vollkommenen Friedens gelangt. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 56. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Satrājit und Śatadhanvā werden getötet«. 57. KAPITEL Kṛṣṇa heiratet fünf Prinzessinnen Wie bereits erwähnt, ging ein aufsehenerregendes Gerücht um, demzufolge die fünf Pāṇḍava-Brüder zusammen mit ihrer Mutter Kuntī auf einen Anschlag Dhṛtarāṣṭras hin in einem Haus aus Schellack verbrannt waren. Nach einiger Zeit jedoch wurden die fünf Brüder bei Draupadīs Hochzeitsfeier gesehen, worauf sich ein neues Gerücht verbreitete, das besagte, die Pāṇḍavas und ihre Mutter seien doch nicht tot. Zwar war dies auch nur ein Gerücht, doch dieses entsprach der Wirklichkeit. Bald kehrten die Pāṇḍavas in ihre Hauptstadt Hastināpura zurück, wo die Leute sie mit eigenen Augen sehen konnten. Als Kṛṣṇa und Balarāma diese Neuigkeit erreichte, wollte Kṛṣṇa sie persönlich sehen und beschloß, nach Hastināpura zu fahren. Diesmal besuchte Śrī Kṛṣṇa Hastināpura als Prinz von königlichem Stand mit Hofstaat und ließ Sich von Yuyudhāna, dem Oberbefehlshaber Seiner Heerscharen, und vielen Soldaten begleiten. Eigentlich war Er nicht eingeladen, die Stadt zu besuchen, doch weil Er Seinen großen Geweihten sehr zugeneigt ist, stattete Er den Pāṇḍavas einfach einen Besuch ab. Kṛṣṇa erschien, ohne Sich vorher angekündigt zu haben, und sobald sie Ihn erblickten, erhoben sie sich von ihren Sitzen. Kṛṣṇa wird auch Mukunda genannt, denn sowie man mit Ihm in Berührung kommt oder Ihn in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein sieht, wird man augenblicklich von allen materiellen Ängsten befreit. Nicht nur das, man wird sofort mit aller spirituellen Glückseligkeit gesegnet. Als die Pāṇḍavas Kṛsṇa empfingen, wurden sie so lebendig, als wären sie aus einer Bewußtlosigkeit erwacht oder vom Tode ins Leben gelangt. Wenn ein Mensch bewußtlos ist, sind seine Sinne und Körperteile nicht aktiv, doch sowie er wieder zu sich kommt, nehmen seine Sinne ihre Tätigkeit wieder auf. In ähnlicher Weise empfingen die Pāṇḍavas Kṛṣṇa, als hätten sie gerade ihr Bewußtsein wiedergewonnen, und sie lebten richtig auf. Śrī Kṛṣṇa umarmte jeden einzelnen der Brüder, und durch die Berührung mit Ihm, dem Höchsten Persönlichen Gott, wurden sie augenblicklich von allen Folgen materieller Verunreinigungen befreit, so daß sie in spiritueller Glückseligkeit lächelten. Ein jeder von ihnen war voll transzendentaler Zufriedenheit, als er Kṛṣṇas Antlitz sah. Obwohl Śrī Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, spielte Er die Rolle eines gewöhnlichen Menschen und berührte daher Yudhiṣṭhiras und Bhīmas Füße, da sie Seine älteren Vetter waren. Arjuna umarmte Kṛṣṇa als gleichaltrigen Freund, wohingegen die beiden jüngeren Brüder, Nakula und Sahadeva, als Ehrbezeigung Kṛṣṇas Lotosfüße berührten. Nachdem sie sich so nach gesellschaftlicher Sitte entsprechend ihrer jeweiligen Stellung begrüßt hatten, wurde Kṛṣṇa ein erhöhter Sitz angeboten, und als Er bequem saß, trat die soeben verheiratete Draupadī vor Ihn, jung und schön und voll natürlicher weiblicher Anmut, und hieß den Herrn ehrerbietig willkommen. Auch die Yādavas, die Kṛṣṇa nach Hastināpura begleitet hatten, wurden mit allen Ehren empfangen, wobei Sātyaki und Yuyudhāna besondere Sitze zugewiesen wurden. Als dann alle Gäste bequem saßen, nahmen die fünf Brüder neben Śrī Kṛṣṇa Platz. Nach dem Treffen mit den fünf Brüdern stattete Śrī Kṛṣṇa Seiner Tante Śrīmatī Kuntī-devī, der Mutter der Pāṇḍavas, persönlich einen Besuch ab. Auch ihre Füße berührte Er, um Seine Achtung zum Ausdruck zu bringen. Kuntīs Augen wurden feucht, und voller Liebe umarmte sie Kṛṣṇa. Danach erkundigte sie sich nach dem Wohlbefinden ihrer elterlichen Familie – wie es Vasudeva und seiner Frau gehe und allen anderen Familienangehörigen. Kṛṣṇa Seinerseits befragte Seine Tante über das Wohlergehen der Pāṇḍava-Familie. Obwohl Kuntī-devī durch ihre verwandtschaftliche Verbundenheit eine enge Beziehung zu Kṛṣṇa hatte, erkannte sie schon bei ihrer Begegnung, daß Er der Höchste Persönliche Gott war. Sie erinnerte sich an die Nöte, die sie in ihrem Leben durchgestanden hatte, und wie sie und die Pāṇḍavas immer wieder durch Kṛṣṇas Gnade gerettet worden waren. Ihr war völlig bewußt, daß niemand außer Kṛṣṇa sie vor dem Brandanschlag hätte retten können, den Dhṛtarāṣṭra und seine Söhne angestiftet hatten. Mit bebender Stimme erzählte sie Kṛṣṇa von einigen Ereignissen aus ihrem Leben. Śrīmatī Kuntī sagte: »Mein lieber Kṛṣṇa, ich erinnere mich noch an den Tag, an dem mein Bruder Akrūra, von Dir geschickt, hier in Hastināpura erschien, um unsere Lage zu erkunden. Das ist nur ein Zeichen dafür, daß Du ständig an uns denkst. Als Du Akrūra zu uns schicktest, wußte ich, daß keine Gefahr uns etwas würde anhaben können. Seit der Zeit habe ich die Gewißheit, daß wir nicht ohne Schutz sind. Wir mögen zwar von unseren Verwandten, den Kurus, in alle möglichen Gefahren gebracht werden, doch ich bin guten Mutes, daß Du stets an uns denken und für unsere vollkommene Sicherheit sorgen wirst. Gottgeweihte, die ständig an Dich denken, sind immer gefeit gegen alle Arten materieller Gefahr, ganz zu schweigen von uns, denn Du Selbst denkst an uns. Aus diesem Grunde lieber Kṛṣṇa, kann es für uns gar kein Unglück geben; durch Deine Gnade befinden wir uns stets in einer glücklichen Lage. Man sollte jedoch nicht denken, Du bevorzugest manche und vernachlässigest andere, weil Du uns besondere Gunst erwiesest. Du machst keine Unterschiede. Niemand ist Dein Günstling und niemand Dein Feind. Als der Höchste Persönliche Gott bist Du jedem gleichgesinnt, und so kann jeder Deinen besonderen Schutz erfahren. Doch obwohl Du jedem gleichgesinnt bist, liebst Du ganz besonders Deine Geweihten, die ständig an Dich denken. Die Gottgeweihten sind durch Fesseln der Liebe mit Dir verbunden, und daher ist es ihnen unmöglich, Dich auch nur für einen Augenblick zu vergessen. Du bist im Herzen eines jeden gegenwärtig, doch weil sich die Gottgeweihten immer an Dich erinnern, bist Du ihnen besonders zugeneigt. Es ist wie mit einer Mutter, die sich, obwohl ihr alle Kinder gleich lieb sind, doch besonders um das kümmert, das völlig von ihr abhängig ist. Ich weiß genau, lieber Kṛṣṇa, daß Du, da Du im Herzen eines jeden weilst, Deinen makellosen Geweihten stets glückliche Umstände bereitest. Alsdann rühmte auch König Yudhiṣṭira Kṛṣṇa als die Höchste Persönlichkeit und den universalen Freund eines jeden, doch weil Sich der Herr ganz besonders der Pāṇdavas annahm, sagte König Yudhiṣtira: »Mein lieber Kṛṣṇa, welch fromme Werke haben wir nur in unseren früheren Leben vollbracht, daß Du nun so freundlich und gnadenvoll zu uns bist? Wir wissen sehr wohl, daß es selbst den großen Mystikern, die sich durch Meditation ständig bemühen, Dich zu erreichen, sehr schwer fällt, solche Gnade zu erlangen oder Deine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich kann daher nicht begreifen, warum Du so gütig zu uns bist. Wir sind nicht einmal yogīs, sondern haften im Gegenteil an materiellen Unreinheiten. Wir sind Haushälter, die sich mit Politik und anderen weltlichen Angelegenheiten befassen. Ich weiß wirklich nicht, warum Du so gütig zu uns bist.« Auf Bitten Mahārāja Yudhiṣthiras erklärte Sich Kṛṣṇa dann bereit, die vier Monate der Regenzeit in Hastināpura zu verbringen. Die vier Monate der Regenzeit werden Cāturmāsya genannt. Während dieser Zeit verweilen die für gewöhnlich umherziehenden Prediger und brāhmaṇa-Pilger in irgendeinem Haus und leben dort nach strengen regulierenden Prinzipien. Obwohl Śrī Kṛṣṇa über allen regulierenden Prinzipien steht, willigte Er aus Zuneigung zu den Pāṇdavas ein, in Hastināpura zu bleiben. Die Bewohner der Stadt, die die Gelegenheit wahrnahmen, die sich ihnen mit Kṛṣṇas Aufenthalt bot, erhielten die Gunst, Kṛṣṇa hin und wieder zu sehen. Und weil sie Kṛṣṇa von Angesicht zu Angesicht sahen, tauchten sie ein in transzendentale Glückseligkeit. Während der Zeit, da Kṛṣṇa Sich bei den Pāṇḍavas aufhielt, wollten Kṛṣṇa und Arjuna eines Tages im Wald auf die Jagd gehen und bestiegen dazu einen Wagen, an dem eine Flagge mit dem Bild Hanumāns angebracht war. Arjunas Wagen trägt immer das Bild Hanumāns, und deshalb nennt man Arjuna auch Kapidhvaja. (Kapi ist Hanumān und dhvaja bedeutet »Flagge«.) So fuhren Kṛṣṇa und Arjuna, der seinen Bogen und seine unfehlbaren Pfeile bei sich trug, in den Wald. Arjuna hatte geeignete Schutzkleidung angelegt, denn mit der Jagd wollte er sich darin üben, viele Feinde zu töten. Aus diesem Grunde begab er sich auch in den Teil des Waldes, in dem viele Tiger, Hirsche und anderes Großwild lebte. Kṛṣṇa begleitete Arjuna natürlich nicht, um Sich im Töten von Tieren zu üben; Er braucht Sich in nichts zu üben, denn Er ist bereits in Sich Selbst vollkommen. Er ging nur deshalb mit Arjuna, um zu sehen, wie dieser sich bewährte, denn in der Zukunft würde er viele Feinde töten müssen. Im Wald angelangt erlegte Arjuna mit seinen Pfeilen Tiger, Wildeber, Büffel, gavayas (eine Raubtierart), Nashörner, Hirsche, Stachelschweine, Hasen und viele andere Tiere. Einige der erlegten Tiere, die sich für Opferdarbringungen eigneten, wurden von den Dienern fortgetragen und zu König Yudhiṣṭhira gebracht. Andere wilde Tiere, wie z. B. Tiger und Nashörner, wurden nur getötet, damit sie kein Unheil im Wald anrichteten. Da in den Wäldern viele Weise und Heilige lebten, war es die Pflicht der kṣatriya-Könige, auch dort für friedliche Lebensverhältnisse zu sorgen. Nach einiger Zeit fühlte sich Arjuna müde und durstig vom vielen Jagen und ging deshalb mit Kṛṣṇa zum Ufer der Yamunā. Als die beiden ans Ufer gelangten, wuschen sie sich Hände und Füße, spülten den Mund aus, und tranken das klare Wasser des Flusses. Während sie ausruhten und Wasser tranken, sahen sie ein wunderschönes Mädchen im heiratsfähigen Alter allein am Ufer der Yamunā spazierengehen. Kṛṣṇa bat Seinen Freund Arjuna, zu ihr zu gehen und sie zu fragen, wer sie sei. Auf Kṛṣṇas Anweisung ging Arjuna sogleich zu dem Mädchen, das wirklich außergewöhnlich schön war. Sie besaß einen anmutigen Körper, hübsche glänzende Zähne und ein lächelndes Gesicht. Arjuna fragte sie: »Mein liebes Kind, du bist schön anzusehen mit deinen hohen Brüsten. Darf ich fragen, wer du bist? Es überrascht uns, dich hier allein umherspazieren zu sehen. Mit welcher Absicht bist du hierhergekommen? Wir können nur vermuten, daß du nach einem geeigneten Ehemann Ausschau hältst. Wenn es dir nichts ausmacht, verrate mir bitte Deine Absichten. Ich werde versuchen, Deine Wünsche zu erfüllen.« Das schöne Mädchen war niemand anderes als der Fluß Yamunā in Person. Sie antwortete: »Werter Herr, ich bin die Tochter des Sonnengottes und nehme gerade Bußen und Opfer auf mich, um Śrī Viṣṇu zum Mann zu bekommen. Ich sehe Ihn als die Höchste Person an, und Er ist für mich der richtige Gatte. Dies ist mein Wunsch, und weil du ihn wissen wolltest, habe ich ihn dir verraten.« Das Mädchen fuhr fort: »Mein lieber Herr, ich weiß, daß du der Held Arjuna bist; daher will ich dir weiter sagen, daß ich niemanden außer Śrī Viṣṇu als meinen Mann annehmen werde, denn Er ist der einzige Beschützer aller Lebewesen und derjenige, der allen bedingten Seelen Befreiung gewähren kann. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn Du zu Śrī Viṣṇu beten würdest, Gefallen an mir zu finden.« Das Mädchen Yamunā wußte sehr wohl, daß Arjuna ein großer Gottgeweihter war, und daß Kṛṣṇa ihm niemals eine Bitte abschlagen würde. Sich direkt an Kṛṣṇa zu wenden, mag manchmal vergebens sein, doch wenn man sich Kṛṣṇa durch Seinen Geweihten nähert, ist der Erfolg gewiß. Das Mädchen sagte weiter zu Arjuna: »Mein Name ist Kālindī und ich lebe im Wasser der Yamunā. Mein Vater war so gütig, mir ein besonderes Haus in den Fluten des Flusses zu errichten, und ich habe gelobt, so lange im Wasser zu bleiben, bis ich Śrī Kṛṣṇa gefunden habe.« Als sie geendet hatte, ging Arjuna zu Kṛṣṇa zurück und berichtete Ihm gewissenhaft die Botschaft des Mädchens, obwohl der Herr als Überseele in jedem Herzen bereits alles wußte. Ohne viele Worte zu machen, nahm Kṛṣṇa Kālindī sofort als Seine Frau an und bat sie, im Wagen Platz zu nehmen, worauf sie gemeinsam zu Mahārāja Yudhiṣṭhira fuhren. Eines Tages wurde Kṛṣṇa von Mahārāja Yudhiṣṭhira gebeten mitzuhelfen, ein prächtiges Haus zu errichten, das von dem berühmten Architekten Viśvakarmā, dem Baumeister des himmlischen Königreiches, entworfen werden sollte. Kṛṣṇa rief sofort Viśvakarmā zu Sich und ließ ihn eine prachtvolle Stadt, die ganz Mahārāja Yudhiṣṭhiras Wünschen entsprach, erbauen. Als das Werk vollendet war, bat Mahārāja Yudhiṣṭhira Kṛṣṇa, noch einige Tage länger bei ihm zu bleiben und ihn durch Seine Anwesenheit zu erfreuen. Śrī Kṛṣṇa nahm Mahārāja Yudhiṣthiras Einladung an und verbrachte noch viele Tage in Hastināpura. Während dieser Zeit opferte der Herr als eines Seiner Spiele den Khāṇḍava-Wald, der Indras Eigentum war. Er wollte den Wald Agni, dem Feuergott, übergeben, da in ihm viele Arzneien wuchsen, die Agni zu seiner Verjüngung benötigte. Agni hatte jedoch nicht gewagt, von sich aus Hand an den Khāṇḍava-Wald zu legen, sondern Kṛṣṇa gebeten, ihm zu helfen. Der Halbgott wußte, daß Kṛṣṇa sehr mit Ihm zufrieden war, da er Ihm früher einmal den Sudarśana-cakra geschenkt hatte. Um Agni zufriedenzustellen, fuhren Kṛṣṇa und Arjuna in den Khāṇḍava-Wald, wobei Kṛṣṇa Arjunas Wagenlenker war. Als Agni den Wald verzehrt hatte, war er sehr froh. Diesmal gab er Arjuna einen besonderen Bogen, der unter dem Namen »Gāṇḍīva« gefürchtet war, vier weiße Pferde, einen Streitwagen und einen unüberwindlich machenden Köcher mit zwei besonderen Pfeilen, die als Amulette angesehen wurden und so mächtig waren, daß kein Krieger ihnen widerstehen konnte. Als der Khāṇḍava-Wald vom Feuergott verzehrt wurde, rettete Arjuna einen Dämon namens Maya vor den lodernden Flammen. Deshalb wurde der ehemalige Dämon ein guter Freund Arjunas, und um seinen Freund zu erfreuen, baute er in der von Viśvakarmā errichteten Stadt ein vortreffliches Versammlungshaus. Dieses Gebäude war an einigen Stellen so kunstvoll gebaut, daß Duryodhana, als er es einmal besuchte, Wasser für festen Boden und Land für Wasser hielt. Als Duryodhana den Reichtum der Pāṇḍavas sah, fühlte er sich beleidigt und wurde ihr erklärter Feind. Schließlich begab Sich Kṛṣṇa mit Mahārāja Yudhiṣṭhiras Erlaubnis zurück nach Dvārakā. Begleitet von Sātyaki, dem Führer der Yadus, die in Hastināpura mit Kṛṣṇa gelebt hatten, zog Er, als Er das Einverständnis des Königs erhielt, in Sein Reich. Auch Kālindī kam mit Kṛṣṇa nach Dvārakā. Nach Seiner Rückkehr ließ Er viele Astrologen zu Sich kommen, um von ihnen den geeignetsten Zeitpunkt für Seine Heirat mit Kālindī zu erfahren, und heiratete sie dann mit großem Prunk. Die Heiratszeremonie bereitete den Verwandten beider Seiten viel Freude, und sie alle nahmen mit Frohmut an dem großen Ereignis teil. In Avantīpura (dem heutigen Ujjain) lebten zu jener Zeit zwei Könige, nämlich Vinda und Anuvinda. Beide standen unter dem Zwang Duryodhanas. Sie hatten eine Schwester mit Namen Mitravindā, die viele Tugenden besaß und ein gebildetes und anmutiges Mädchen war. Sie war die Tochter einer Tante Kṛṣṇas. Es war beschlossen worden, daß sich Mitravindā aus einer Versammlung von Prinzen ihren Gemahl wählen solle, doch sie hatte nur den starken Wunsch, Kṛṣṇas Frau zu werden. Da mischte sich Kṛṣṇa unter die versammelten Prinzen und trug Mitravindā plötzlich vor den Augen aller davon. Unfähig, Kṛṣṇa aufzuhalten, standen die Prinzen da und sahen sich betroffen an. Nach diesem Abenteuer heiratete Kṛṣṇa die Tochter Nagnajits, des Königs von Kośala. Er war sehr fromm und befolgte die in den Veden vorgeschriebenen Rituale. Seine schönste Tochter hieß Satyā, die manchmal nach ihrem Vater auch Nāgnajitī genannt wurde. Nagnajit nun hatte beschlossen, demjenigen Prinzen die Hand seiner Tochter zu geben, der imstande war, sieben besonders starke und ungestüme Stiere zu bezwingen. Keiner der Prinzen der damaligen Zeit vermochte es mit den sieben Stieren aufzunehmen, und daher hatte auch noch niemand die Hand Satyās fordern können. Die sieben Stiere waren wirklich äußerst stark, und bereits der bloße Geruch eines Fürsten war ihnen zuwider. Viele waren zwar an den Königshof gekommen und hatten versucht, die Stiere zu bezwingen, doch statt sie halten zu können, hatten sie alle unterliegen müssen. Die Kunde davon verbreitete sich rasch im ganzen Land, und als schließlich auch Kṛṣṇa erfuhr, daß das Mädchen Satyā nur unter der Bedingung zu erlangen sei, daß man die sieben Stiere besiege, machte Er Sich auf den Weg zum Königreich Kośala. In Begleitung vieler Soldaten traf Er in dem Landesteil Ayodhyā ein und stattete König Nagnajit einen regelrechten Staatsbesuch ab. Der König von Kośala war höchst erfreut, als er erfuhr, daß Kṛṣṇa gekommen sei, um die Hand seiner Tochter zu erringen. Mit großem Respekt und Aufwand hieß er Ihn in seinem Königreich willkommen. Gleich bei Kṛṣṇas Ankunft bot er Ihm einen angemessenen Sitz und einige Aufmerksamkeiten zum Empfang. All das geschah auf sehr vornehme Weise. Kṛṣṇa Seinerseits brachte dem König Seine achtungsvollen Ehrerbietungen entgegen, da Er ihn als Seinen künftigen Schwiegervater ansah. Als Satyā, die Tochter König Nagnajits, hörte, daß Kṛṣṇa Selbst gekommen sei, um sie zu heiraten, war sie überglücklich, daß der Gemahl der Glücksgöttin so gütig war, sie zur Frau zu nehmen. Lange Zeit schon hegte sie den Wunsch, Kṛṣṇa zu heiraten, und um ihren ersehnten Mann zu erlangen, hatte sie alle Grundsätze der Entsagung befolgt. Sie dachte daher: »Wenn ich jemals fromme Werke nach bestem Vermögen vollbracht und mir unablässig Kṛṣṇa zum Ehemann gewünscht habe, könnte es Kṛṣṇa vielleicht gefallen, meine langgehegte Sehnsucht zu erfüllen.« Sie begann, Kṛṣṇa in Gedanken ihre Gebete darzubringen und dachte: »Ich weiß nicht, wie ich den Höchsten Persönlichen Gott erfreuen kann. Er ist der Herr und Meister eines jeden. Selbst die Glücksgöttin, die stets neben dem Höchsten Persönlichen Gott weilt und Śiva, Brahmā und viele andere Halbgötter von verschiedenen Planeten bringen dem Herrn ständig ihre achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Manchmal kommt der Herr auch in verschiedenen Inkarnationen auf die Erde, um den Wunsch Seiner Geweihten zu erfüllen. Er ist so erhaben und groß, daß ich nicht weiß, wie ich Ihn erfreuen soll.« Sie sagte sich, daß der Höchste Persönliche Gott nur durch Seine eigene grundlose Barmherzigkeit mit einem Geweihten zufrieden sein könne; darüber hinaus gebe es keine Möglichkeit, Ihn zufriedenzustellen. Śrī Kṛṣṇa Caitanya drückte das gleiche in Seinen Śiksāṣṭaka-Versen aus: »O mein Herr, ich bin Dein ewiger Diener. Doch irgendwie bin ich in das materielle Dasein hinabgesunken. Wenn Du mich gütigerweise herausheben und als Staubkörnchen an Deinen Lotosfüßen befestigen würdest, erwiesest Du Deinem ewigen Diener damit eine große Gunst.« Der Herr kann nur durch Demut und die Bereitschaft, Ihm zu dienen, erfreut werden. Je mehr wir dem Herrn unter der Führung des geistigen Meisters dienen, desto mehr Fortschritt auf dem Pfad, der zu Ihm führt, ist uns gewiß. Wir können für unsere Dienste jedoch keine Gnade oder Barmherzigkeit von Kṛṣṇa fordern. Es liegt bei Ihm, unseren Dienst anzunehmen oder zurückzuweisen, doch die einzige Möglichkeit, den Herr zu erfreuen, besteht darin, Ihm zu dienen, und nichts anderes. König Nagnajit war ein frommer König, und als Kṛṣṇa zu Besuch in seinem Palast war, begann er, Ihn nach bestem Wissen und Vermögen zu verehren. Zur Begrüßung sagte er: »Mein lieber Herr, Du bist der Eigentümer der gesamten kosmischen Manifestation, und Du bist Nārāyaṇa, der in allen lebenden Geschöpfen weilt. Du bist in Dir Selbst zufrieden und erfreust Dich Deiner eigenen Füllen. Wie könnte ich Dir also irgend etwas anbieten? Wie könnte ich Dich durch meine Gaben zufriedenstellen? Es ist nicht möglich, denn ich bin ein unbedeutendes Lebewesen. Im Grunde besitze ich keine Fähigkeiten, Dir irgendwie zu dienen.« Kṛṣṇa ist die Überseele aller Lebewesen, und daher wußte Er, was Satyā, die Tochter König Nagnajits, dachte. Er wußte auch die respektvolle Verehrung sehr zu schätzen, die Ihm der König erwies, als er Ihm einen Sitz, Speise, Wohnung usw. anbot. Es freute Ihn sehr, daß somit sowohl das Mädchen als auch der Vater des Mädchens sich wünschten, Ihn als engen Verwandten zu sehen. Er lächelte und sagte mit feierlicher Stimme: »Mein lieber König Nagnajit, du weißt sehr gut, daß ein echter Prinz, der sich an die Regeln hält, niemanden, nicht einmal die größte Persönlichkeit, jemals um etwas bittet. Die gelehrten Anhänger der Veden untersagen es nämlich den kṣatriya-Königen in ihrer Weisheit, andere Personen um irgend etwas zu bitten. Ein kṣatriya, der gegen diese Regel verstößt, wird von den großen Gelehrten verurteilt. Doch trotz dieser strengen Vorschrift bitte Ich dich um die Hand deiner lieblichen Tochter, um aus Dankbarkeit für den schönen Empfang, den du Mir bereitet hast, unsere gemeinsame Beziehung zu verstärken. Vielleicht freut es Dich auch zu wissen, daß es die Tradition unserer Familie verbietet, dir irgend etwas als Gegengeschenk für deine Tochter anzubieten. Wir können dir also keinen Preis zahlen, den du für sie fordern magst.« Kṛṣṇa wollte also, mit anderen Worten, Satyā zur Frau bekommen, ohne die Bedingung, erst die sieben Stiere zu besiegen, erfüllen zu müssen. Als König Nagnajit diese Worte Kṛṣṇas vernahm, entgegnete er: »Mein lieber Herr, Du bist die Quelle aller Freude, allen Reichtums und aller guten Eigenschaften. Die Göttin des Glücks, Lakṣmījī, weilt ständig an Deiner Brust. Wer könnte unter diesen Umständen ein besserer Ehemann für meine Tochter sein als Du? Meine Tochter und ich haben immer um dieses Glück gebetet; überdies bist Du der Führer der Yadu-Dynastie. Doch verstehe bitte gütigerweise, daß ich seit jeher an das Gelübde gebunden bin, meine Tochter nur mit einem Prinzen zu verheiraten, der die Prüfung, die ich einst festlegte, besteht. Diese Prüfung bestimmte ich nur, um die Macht und das Können meines zukünftigen Schwiegersohnes zu prüfen. Du bist Śrī Kṛṣṇa, und Du bist das Vorbild aller Helden. Ich bin daher sicher, daß Du es mit Leichtigkeit fertigbringst, die sieben Stiere zu bändigen. Bis jetzt sind sie von keinem Prinzen bezwungen worden. Jedem, der sich an ihnen versuchte, zerschmetterten sie einfach die Glieder.« Schließlich bat König Nagnajit den Herrn: »Kṛṣṇa, wenn Du so gütig bist und die sieben Stiere bändigst, wirst Du ganz gewiß zum langersehnten Gatten meiner Tochter erkoren.« Als er diese Worte des Königs hörte, begriff Kṛṣṇa, daß der König nicht gewillt war, sein Gelübde zu brechen. Um also seinen Wunsch zu erfüllen, zog Er Seinen Gürtel fester und schickte Sich an, mit den Stieren zu kämpfen. Dazu teilte er Sich augenblicklich in sieben Kṛṣṇa-Gestalten, von denen jeder einen Stier packte, indem Er ihn an den Nüstern ergriff und ihn so bändigte, als sei er ein Spielzeugtier. Daß Sich Kṛṣṇa siebenfach erweiterte, ist sehr bedeutsam. Satyā, König Nagnajits Tochter, wußte, daß Kṛṣṇa bereits viele andere Frauen geheiratet hatte, und fühlte sich dennoch sehr stark zu Kṛṣṇa hingezogen. Um sie daher zu ermutigen, erweiterte Sich Kṛṣṇa siebenfach. Die Erklärung hierzu ist folgende: Kṛṣṇa ist einer, doch gleichzeitig besitzt Er unzählige Erweiterungen. So heiratete Er z. B. Hunderte und Tausende von Frauen, ohne daß, wenn Er mit einer Frau zusammen war, die anderen auf Seine Gesellschaft verzichten mußten. Kṛṣṇa konnte nämlich mit jeder einzelnen Frau gleichzeitig beisammen sein. Als Kṛṣṇa die sieben Stiere in Seine Gewalt brachte, indem Er sie bei den Nüstern packte, war es mit ihrem Stolz und ihrer Stärke vorbei, wie auch mit der Berühmtheit, zu der sie im Laufe der Zeit gelangt waren. Kṛṣṇa zog die nunmehr gebändigten Stiere heftig hin und her, so wie ein Kind mit einem hölzernen Spielzeugtier umgeht. Diese einzigartige Tat versetzte König Nagnajit in grenzenloses Erstaunen, und voll Freude führte er sogleich seine Tochter Satyā herbei, um sie Kṛṣṇa zu übergeben, der sie auch bereitwillig als Frau annahm. Anschließend feierte man in aller Pracht die Hochzeitszeremonie. Auch Nagnajits Frauen freuten sich sehr darüber, daß ihre Tochter mit Kṛṣṇa vermählt wurde, und da der König und die Königinnen so zufrieden mit der glückverheißenden Hochzeit waren, wurde das Ereignis in der ganzen Stadt mit allem Aufwand gefeiert. Überall ertönten die Muschelhörner und Kesselpauken, und überall wurde gesungen und musiziert. Die weisen brāhmaṇas überschütteten das soeben vermählte Paar mit Segenswünschen. Jubelnd liefen die Einwohner der Stadt in farbenprächtigen Gewändern und glänzendem Schmuck umher. König Nagnajit war so froh, daß er seiner Tochter und seinem Schwiegersohn eine großzügige Mitgift gab: Als erstes gab er ihnen 10 000 Kühe und 3 000 gutgekleidete junge Dienerinnen, die von Kopf bis Fuß geschmückt waren. Es ist auch heute noch Brauch in Indien, eine Mitgift dieser Art zu geben, ganz besonders bei den kṣatriya-Prinzen. Wenn ein kṣatriya-Prinz heiratet, werden der Braut mindestens ein Dutzend gleichaltrige Dienerinnen mitgegeben. Nachdem der König die Kühe und Dienerinnen fortgegeben hatte, bereicherte er die Mitgift um 9 000 Elefanten und hundertmal mehr Streitwagen als Elefanten, das heißt insgesamt 900 000 Streitwagen. Dazu gab er hundertmal mehr Pferde als Wagen, also 90 000 000 Pferde, und hundertmal mehr Sklaven als Pferde. Diese Sklaven und Dienerinnen wurden von den Prinzen mit allem versorgt, was sie benötigten, als seien sie deren eigene Familienangehörige oder Kinder. Nachdem der König von Kośala die besagte Mitgift gegeben hatte, ließ er seine Tochter und seinen berühmten Schwiegersohn auf einem Wagen Platz nehmen. Dann gestattete er ihnen, behütet von einer Abteilung gut bewaffneter Soldaten, nach Hause zu fahren. Als er sie schließlich eilends ihrem neuen Zuhause entgegenreisen sah, belebte sich sein Herz mit Zuneigung zu ihnen. Bevor Satyā und Kṛṣṇa vermählt wurden, hatten bereits viele Prinzen der Yadu-Dynastie wie auch anderer Dynastien im Kampf mit König Nagnajits Stieren um Satyās Hand gewetteifert. Als die enttäuschten Prinzen der anderen Dynastien erfuhren, daß Kṛṣṇa die sieben Stiere bezwungen und Satyās Hand erlangt hatte, wurden sie natürlich neidisch und umzingelten daher Kṛṣṇa auf Seiner Fahrt nach Dvārakā und überschütteten die Hochzeitsgesellschaft des Herrn mit Pfeilen. Als die verbitterten Prinzen bereits Kṛṣṇas Gefolge bedrängten und ihre Pfeile wie unaufhaltsame Regengüsse herabhagelten, kümmerte sich Arjuna, der beste Freund Kṛṣṇas, um die dreisten Angreifer und vertrieb sie ohne weiteres ganz allein, um seinem großen Freund Śrī Kṛṣṇa zu Seiner Heirat eine Freude zu bereiten. Kurz entschlossen griff Arjuna zum Gāṇḍīva-Bogen und verjagte die Prinzen allesamt; so wie ein Löwe, um kleine Tiere zu verjagen, nur hinter ihnen herzulaufen braucht, schlug Arjuna die Prinzen in die Flucht, ohne auch nur einen von ihnen zu töten. Am gleichen Tag noch zog Śrī Kṛṣṇa, der Führer der Yadu-Dynastie, mit Seiner Braut und einer reichen Mitgift mit großer Pracht in Dvārakā ein. Dort lebte Er dann sehr friedvoll mit Seiner Frau. Kṛṣṇa hatte noch eine andere Tante, die Schwester Seines Vaters, die Śrutakīrti hieß. Sie lebte verheiratet in der Kekaya-Provinz und hatte eine Tochter mit Namen Bhadrā, die sich ebenfalls danach sehnte, Kṛṣṇa zu heiraten. So gab ihr Bruder sie ohne jedwede Bedingung Kṛṣṇa zur Frau, und Kṛṣṇa nahm sie an. Danach heiratete der Herr eine Tochter des Königs von Madras, die Lakṣmaṇā hieß. Lakṣmaṇā besaß alle guten Eigenschaften. Auch sie raubte Kṛṣṇa, und zwar auf ähnliche Weise wie Garuḍa den Händen der Dämonen den Nektartopf entriß. Kṛṣṇa entführte Lakṣmaṇā vor den Augen vieler anderer Prinzen, die sich zu ihrer svayaṁvara versammelt hatten. Svayaṁvara ist eine Zeremonie, bei der sich die Braut ihren Gemahl aus einer Versammlung von Prinzen wählen kann. Die fünf Mädchen, deren Heirat mit Kṛṣṇa in diesem Kapitel geschildert wurde, waren nicht die einzigen Frauen Kṛṣṇas. Neben ihnen hatte der Herr noch Tausende anderer Frauen, die Er annahm, nachdem Er den Dämon Bhaumāsura getötet hatte. All diese Mädchen wurden im Palast Bhaumāsuras gefangengehalten, aber Kṛṣṇa befreite sie alle und heiratete sie. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 57. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa heiratet fünf Prinzessinnen«. 58. KAPITEL Die Erlösung des Dämons Bhaumāsura Im Śrīmad-Bhāgavatam trägt Śukadeva Gosvāmī Mahārāja als nächstes die Geschichte von Bhaumāsura vor, der 16 100 Prinzessinnen gefangenhielt, die er aus den Palästen vieler verschiedener Könige entführt hatte, und der schließlich von Kṛṣṇa, dem Höchsten Herrn von wunderbarem Charakter, getötet wurde. Für gewöhnlich sind Dämonen Feinde der Halbgötter. Der Dämon Bhaumāsura nun war so mächtig geworden, daß er sich gewaltsam den Schirm vom Thron des Halbgottes Varuṇa verschaffte und Aditi, der Mutter der Halbgötter, die Ohrringe raubte. Auch eroberte er einen Teil des himmlischen Berges Meru und besetzte das Gebiet Maṇiparvata. Zu guter Letzt kam Indra, der König des Himmels, nach Dvārakā, um sich bei Kṛṣṇa über Bhaumāsura zu beklagen. Nachdem Sich Śrī Kṛṣṇa Indras Klagen angehört hatte, machte Er Sich unverzüglich mit Seiner Frau Satyabhāmā auf den Weg zu Bhaumāsuras Reich. Dazu setzten sie sich beide auf den Rücken Garuḍas, der sie nach Prāgjyotiṣapura, der Hauptstadt Bhaumāsuras, flog. Es war fast unmöglich, in die Stadt Prāgjyotiṣapura einzudringen, da sie außerordentlich gut befestigt war. Erst einmal sicherten vier gewaltige Festungen die Stadt gegen alle vier Himmelsrichtungen hin, und umfangreiche Heere bewachten sie auf allen Seiten. Als nächste Schutzvorrichtung, umgab ein Wasserkanal die ganze Stadt, auf den elektrisch geladene Zäune folgten. Die nächste Barriere war eine mit anila, eine gasähnliche Substanz, durchsetzte Zone. Dahinter schließlich befand sich ein Netzwerk aus Stacheldraht, das von einem Dämon namens Mura errichtet worden war. Die Stadt schien also, selbst gemessen an den Errungenschaften der heutigen Wissenschaft, hervorragend geschützt. Als jedoch Kṛṣṇa dort ankam, schlug Er mit Seiner Keule all die Festungen in Stücke, und unter dem Ansturm Seiner unablässig niederprasselnden Pfeilen verloren sich die Kampftruppen in alle Richtungen. Anschließend durchbrach Kṛṣṇa mit Seinem berühmten Sudarśana-cakra die elektrischen Drahtzäune, vernichtete die Wasserkanäle wie auch die Gaszone dahinter und zerstörte schließlich die Stacheldrahtverhaue des Mura-Dämons. Das durchdringende Dröhnen von Kṛṣṇas Muschelhorn zerbrach nicht nur die Herzen der großen Krieger, sondern auch die Kampfmaschinen der Stadt. Mit Seiner unbezwingbaren Keule schlug Er schließlich die Mauern der Stadt ein. Das Dröhnen Seines Muschelhorns klang wie das Donnergewitter zur Zeit der Zerstörung der gesamten kosmischen Manifestation. Der Klang schreckte auch den Mura-Dämon aus dem Schlaf, der sogleich aus dem Palast stürzte, um zu sehen, was geschehen war. Der Dämon Mura besaß fünf Köpfe und hatte lange Zeit im Wasser gelebt; sein Körper glänzte wie die Sonne bei der Vernichtung der kosmischen Manifestation, und Seine Wut war wie ein ungestümes Feuer. Die Ausstrahlung seines Körpers war so gleißend, daß es fast schmerzhaft war, ihn mit geöffneten Augen anzusehen. Als er aus seinem Palast kam, griff er sogleich nach seinem Dreizack und stürzte dem Höchsten Persönlichen Gott entgegen. Der Angriff des Dämons glich dem einer großen Schlange, wie sie Garuḍa manchmal anfällt. Mura schäumte vor Wut und schien bereit, die drei Welten zu verschlingen. Zuerst griff er Garuḍa, den gefiederten Träger Kṛṣṇas, an, indem er seinen Dreizack in der Luft herumwirbelte und mit seinen fünf Mäulern Laute ausstieß, die wie Löwengebrüll klangen. Das Gebrüll, das er aus seinem Rachen hervorbrachte, durchdrang die ganze Atmosphäre, so daß es sich nicht nur über die ganze Welt ausbreitete, sondern sogar in den Weltraum drang – hinauf und hinunter und in alle zehn Richtungen. Die Schreie Muras hallten durch das ganze Universum. Als Śrī Kṛṣṇa bemerkte, daß der Dreizack des Dämons an Seinen gefiederten Träger, Garuḍa, heranschoß, nahm Er mit einer schnellen Handbewegung zwei Pfeile und schleuderte sie dem Dreizack entgegen, der sogleich in Stücke sprang; gleich darauf durchbohrte Er dem Dämon mit vielen Pfeilen die Mäuler. Als sich Mura vom Höchsten Persönlichen Gott so überrumpelt sah, wollte er Kṛṣṇa voller Wut mit der Keule schlagen, doch mit Seiner eigenen Keule zerschmetterte der Herr Muras Keule, bevor diese Ihn treffen konnte. Hierauf schickte sich der Dämon, der nun ohne Waffen dastand, an, Kṛṣṇa mit seinen starken Armen zu packen, doch der Herr trennte ihm mit Seinem Sudarśana-cakra die fünf Köpfe vom Rumpf, so daß der Dämon tot ins Wasser fiel wie ein Berggipfel, der getroffen von Indras Blitzschlägen ins Meer stürzt. Mura hatte sieben Söhne, und zwar Tāmra, Antarikṣa, Śravaṇa, Vibhāvasu, Vasu, Nabhasvān und Aruṇa. Rachsucht und Anmaßung erfüllte sie, als sie vom Tod ihres Vaters erfuhren, und um Vergeltung zu üben, rüsteten sie sich in großer Wut zum Kampf gegen Kṛṣṇa. Sie bewaffneten sich ausreichend und bestimmten Pītha, einen weiteren Dämon, zum Befehlshaber ihres Heeres. Auf Bhaumāsuras Befehl griffen sie Kṛṣṇa gemeinsam an. Als sie den Herrn erblickten, stürmten sie mit allen möglichen Waffen, wie Schwerter, Keulen, Lanzen, Äxte und Dreizacke, auf Ihn zu; doch sie wußten nicht, daß die Kraft des Höchsten Persönlichen Gottes grenzenlos und unüberwindlich ist. Mit Seinen Pfeilen schlug Kṛṣṇa alle Waffen von Bhaumāsuras Leuten in Stücke so klein wie Körner. Dann schleuderte Er Seine eigenen Waffen, worauf Bhaumāsuras Oberbefehlshaber Pītha und seine Soldaten mit zerschossener Rüstung und abgetrennten Köpfen, Armen und Beinen niederstürzten. Allesamt wurden sie zu Yamarāja, dem Herrn des Todes, gesandt. Bhaumāsura war auch als Narakāsura bekannt, da er ein Sohn der Halbgöttin der Erde war. Als er sah, daß all seine Soldaten, Befehlshaber und Kämpfer von der Macht der Waffen des Höchsten Persönlichen Gottes getötet waren, packte ihn unbeschreibliche Wut auf den Herrn, und so stürmte er mit einer riesigen Herde Elefanten, die alle an der Meeresküste geboren und aufgezogen worden waren, aus der Stadt. Jeder dieser Elefanten war durch starke Rauschmittel aufgeputscht. Als sie so dahinstürmten, sahen sie Śrī Kṛṣṇa und Seine Frau hoch am Himmel fliegen wie eine schöne blauschwarze Wolke, die über der Sonne schwebt und wegen ihrer elektrischen Ladung strahlt. Sogleich schoß der Dämon die Śataghnī-Waffe auf Kṛṣṇa ab, die auf einen Schlag Hunderte von Kriegern vernichten kann. Gleichzeitig schleuderten auch seine Leute ihre jeweiligen Waffen dem Höchsten Persönlichen Gott entgegen. Śrī Kṛṣṇa begegnete all diesen Waffen, indem Er Seine gefiederten Pfeile abschoß, die ihrerseits alle treffsicher die von Bhaumāsura eingesetzten Waffen in Stücke sprengten. Als Ergebnis des Kampfes fielen alle Soldaten und Befehlshaber Bhaumāsuras, die Arme, Beine und Köpfe von den Rümpfen getrennt, und alle Pferde und Elefanten starben mit ihnen. Der Herr kämpfte vom Rücken Garuḍas aus, und Garuḍa half Ihm, indem er mit seinen Schwingen die Elefanten und Pferde schlug und ihre Köpfe mit seinen Klauen und dem scharfen Schnabel aufriß. Garuḍas Angriffe peinigten die Elefanten so sehr, daß sie bald alle vom Kampfplatz flohen. Schließlich blieb nur noch Bhaumāsura auf dem Schlachtfeld zurück und kämpfte verbissen weiter mit Kṛṣṇa. Als er bemerkte, daß der Träger Kṛṣṇas, Garuḍa, seinen Soldaten und Elefanten gewaltig zusetzte, versetzte er ihm voller Wut Schläge, deren Härte die eines Blitzschlags übertrafen. Zum Glück war Garuḍa kein gewöhnlicher Vogel, und so empfand er die Schläge Bhaumāsuras wie ein Elefant die Schläge mit einer Blumengirlande empfindet. Bhaumāsura mußte endlich einsehen, daß keiner seiner Versuche Kṛṣṇa etwas anhaben konnte, und so erkannte er, daß alle seine Anstrengungen, den Herrn zu vernichten, vergebens waren. Dennoch raffte er sich ein letztes Mal auf und wollte einen Dreizack in die Hand nehmen, um Kṛṣṇa zu durchbohren. Kṛṣṇa aber war so schnell, daß, ehe Bhaumāsura den Dreizack auch nur berühren konnte, der scharfe Sudarśana-cakra ihm schon den Kopf von den Schultern trennte und sein mit glänzenden Ohrringen und Helmen geschmücktes Haupt im Staub des Schlachtfeldes rollte. Als Bhaumāsura von Śrī Kṛṣṇas Hand fiel, stimmten die Verwandten des Dämons allesamt aus Enttäuschung lautes Wehgeschrei an, doch die Heiligen begannen die kühnen Taten des Herrn zu preisen. Die Bewohner der himmlischen Planeten nutzten sofort die Gelegenheit und überschütteten den Herrn mit Blumen. Die Erde in Person erschien vor Śrī Kṛṣṇa und beglückwünschte Ihn mit einer Kette aus vaijayantī-Juwelen. Sodann übergab sie dem Herrn die strahlenden Ohrringe Aditis, die mit Gold und Edelsteinen verziert waren, den Schirm Varuṇas und ein weiteres kostbares Juwel als Geschenk. Hierauf brachte die Erde Kṛṣṇa, der Höchsten Persönlichkeit, dem Herrn der Welt, der stets von den höchsten Halbgöttern verehrt wird, ihre Gebete dar. Ehrerbietig fiel sie vor Ihm nieder und sprach in großer, ekstatischer Hingabe: »Ich will Dir, dem Herrn, meine achtungsvollen Ehrerbietungen erweisen, der Du stets durch vier Zeichen, nämlich Muschelhorn, Feuerrad, Lotosblüte und Keule zu erkennen bist. Du bist auch der Herr aller Halbgötter. Bitte nimm meine demütigen Ehrerbietungen entgegen. Mein lieber Herr, Du bist die Überseele, und um den sehnsüchtigen Wunsch einer Deiner Geweihten zu erfüllen, erscheinst Du in vielfachen transzendentalen Inkarnationen auf der Erde. Nimm gütigerweise meine achtungsvollen Ehrerbietungen entgegen. Lieber Herr, aus Deinem Nabel wuchs eine Lotosblume. Stets bist Du mit einer Girlande aus Lotosblumen geschmückt. Deine Augen sind immer blühend wie die Blütenblätter des Lotos, und daher sind sie für die Augen anderer ein all-freudvoller Anblick. Deine Lotosfüße sind so sanft und köstlich, daß sie ständig von Deinen reinen Geweihten verehrt werden und ihren lotosgleichen Herzen Frieden geben. Wieder und wieder erweise ich Dir daher meine respektvollen Ehrerbietungen. Dir gehören alle Religionen, und Du besitzt allen Ruhm, allen Reichtum, alles Wissen und alle Entsagung; Du bist der, in dem sich all diese fünf Füllen vereinigen. Obwohl Du alldurchdringend bist, bist Du als der Sohn Vasudevas erschienen. Bitte nimm daher meine achtungsvollen Ehrerbietungen entgegen. Du bist der ursprüngliche Höchste Persönliche Gott und die höchste Ursache aller Ursachen. Du allein, o Herr, bist das Behältnis allen Wissens. Laß mich Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen darbringen. Du bist der Vater der gesamten kosmischen Manifestation, doch Du Selbst bist ungeboren. Du bist der Besitzer und die Ruhestätte unzähliger verschiedener Energien. Du bewirkst die Manifestation, durch die die materielle Welt in Erscheinung tritt, und Du bist sowohl die Ursache als auch die Wirkung der kosmischen Manifestation. Bitte nimm daher meine respektvollen Ehrerbietungen entgegen. Mein lieber Herr, nicht einmal die drei Gottheiten Brahmā, Viṣṇu und Śiva sind unabhängig von Dir. Wenn es notwendig wird, daß die kosmische Manifestation entsteht, erschaffst Du Brahmā, Deine Erscheinung der Leidenschaft, und wenn Du sie erhalten willst, erweiterst Du Dich in Śrī Viṣṇu, den Quell aller Güte. Ebenso ist auch Śiva, der Meister über die Erscheinungsweise der Unwissenheit, Deine Erscheinung, in der Du zu guter Letzt die gesamte Schöpfung wieder auflöst. Doch obwohl Du die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur erschaffst, bleibt Deine transzendentale Stellung immer erhalten. Du verstrickst Dich niemals, wie die gewöhnlichen Lebewesen, in die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Im Grunde, o Herr, bist Du Selbst die materielle Natur. Du bist der Vater des Universums und die ewige Zeit, die die Verbindung der Natur mit dem materiellen Schöpfer bewirkt hat. Aber dennoch bist Du immer transzendental zu allen materiellen Geschehnissen. O mein lieber Herr, o Höchster Persönlicher Gott, ich weiß, daß Erde, Wasser, Feuer, Luft, Himmel, die fünf Sinnesobjekte, der Geist, die Sinne und die über diese Faktoren gebietenden Gottheiten wie auch falsches Ich und die gesamte materielle Energie, daß einfach alles Beseelte und Unbeseelte in der Erscheinungswelt in Dir gründet. Weil alles von Dir erschaffen ist, kann niemals etwas von Dir getrennt sein. Doch weil Du andererseits völlig transzendental bist, kann nichts Materielles mit Deiner Persönlichkeit identisch sein. Somit ist alles zur gleichen Zeit eins mit Dir und verschieden von Dir, und die Philosophen, die versuchen, alles getrennt von Dir zu sehen, irren sich zweifellos in ihrer Betrachtungsweise. Mein lieber Herr, bitte wisse, daß dieser Junge hier, Bhagadatta, der Sohn meines Sohnes Bhaumāsura ist. Er ist von der furchtbaren Lage, die durch den Tod seines Vaters entstanden ist, sehr betroffen, und aus Furcht vor diesem Zustand ist er sehr verwirrt. Deshalb habe ich ihn dazu gebracht, sich Deinen Lotosfüßen hinzugeben, und ich bitte Dich, o Herr, dem Jungen Zuflucht zu gewähren und Ihn mit Deinen Lotosfüßen zu segnen. Ich habe ihn vor Dich gebracht, damit er von allen Reaktionen auf die Sünden seines Vaters frei werden kann.« Als Kṛṣṇa die Gebete der Mutter Erde angehört hatte, versicherte Er ihr, daß sie vor allen Nöten und Ängsten geschützt sei. Zu Bhagadatta sagte Er: »Fürchte dich nicht.« Dann betrat Er Bhaumāsuras Palast, der voller Reichtümer war. In dem Palast fand Kṛsṇa die 16 100 Prinzessinnen, die von dem Dämon entführt und gefangengehalten worden waren. Als die Prinzessinnen den Höchsten Persönlichen Gott in den Palast kommen sahen, waren sie sogleich von der Schönheit des Herrn gefesselt und beteten um Seine grundlose Barmherzigkeit. Innerlich entschlossen sie sich auf der Stelle, Kṛṣṇa als ihren Gemahl anzunehmen. Jede betete zur Vorsehung, daß Kṛṣṇa doch ihr Mann werden möge. Mit Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit brachten sie Kṛṣṇas Lotosfüßen in reiner Hingabe ihre Herzen dar. Als Überseele im Herzen eines jeden erkannte der Herr ihren unbefleckten Wunsch und war sogleich bereit, sie als Seine Gattinnen anzunehmen. Er ließ deshalb für alle Prinzessinnen geeignete Kleider und Schmuckstücke bringen und ordnete an, daß jede einzelne in einer Sänfte nach Dvārakā gebracht wurde. Dann gab Er Befehl, die ungeheuren Reichtümer, wie Kutschen, Pferde, Juwelen und Schatztruhen, aus dem Palast zu schaffen. Dazu ließ Er fünfzig weiße Elefanten, von denen ein jeder vier Rüssel hatte, aus dem Palast nach Dvārakā bringen. Nach diesem Abenteuer besuchten Śrī Kṛṣṇa und Satyabhāmā Amarāvatī, die Hauptstadt der himmlischen Planeten, und begaben Sich, dort angekommen, sogleich in den Palast König Indras und seiner Frau Śacīdevī, die Sie willkommen hießen. Dann überreichte Kṛṣṇa Indra die Ohrringe Aditis als Geschenk. Als Kṛṣṇa und Satyabhāmā die Hauptstadt Indras verließen und im Begriff waren, zur Erde zurückzukehren, erinnerte sich Satyabhāmā daran, daß Kṛṣṇa einst versprochen hatte, ihr die Pflanze der pārijāta-Blume zu schenken. Und da sie sich nun im himmlischen Königreich befanden, nahm sie sogleich die günstige Gelegenheit wahr, sich eine pārijāta-Blume zu pflücken und auf dem Rücken Garuḍas mit sich zu nehmen. Früher nämlich hatte Nārada Muni einmal eine pārijāta-Blume mitgebracht und sie Kṛṣṇas erster Frau, Śrīmati Rukmiṇī-devī, geschenkt. Dadurch hatte sich bei Satyabhāmā so etwas wie ein Gefühl ihrer eigenen Unzulänglichkeit entwickelt; sie wollte von Kṛṣṇa auch eine solche Blume haben. Kṛṣṇa verstand das eifersüchtig-weibliche Wesen Seiner Frauen und lächelte. Sogleich fragte Er Satyabhāmā: »Warum möchtest du nur eine Blume haben? Ich würde dir gern einen ganzen Baum von pārijāta-Blumen schenken. Im Grunde hatte Kṛṣṇa Seine Frau Satyabhāmā mitgenommen, damit sie die pārijāta eigenhändig pflücken konnte. Doch die Halbgötter des Himmelsplaneten, selbst Indra, ärgerten sich sehr darüber, daß Satyabhāmā die pārijāta-Blüte, die auf der Erde nicht zu finden ist, ohne ihre Erlaubnis gepflückt hatte. Sie wollten Kṛṣṇa und Satyabhāmā sogar daran hindern, die Pflanze mit sich zu nehmen. Aber weil Kṛṣṇa Seine Lieblingsfrau zufriedenstellen wollte, wurde Er unnachgiebig und ging nicht auf die Halbgötter ein, so daß es zwischen Ihm und den Himmlischen zum Kampf kam. Wie gewöhnlich siegte Kṛṣṇa, und im Triumph brachte Er die pārijāta-Pflanze, die sich Seine Frau ausgesucht hatte, auf die Erde nach Dvārakā. Gleich nach der Ankunft wurde die wunderbare Pflanze in Satyabhāmās Palastgarten eingepflanzt, und durch diesen außergewöhnlichen Baum gewann das Gartenhaus Satyabhāmās außerordentlich an Schönheit. Mit dem Baum war auch sein Duft auf die Erde gekommen, und deshalb zogen auch die himmlischen Schwäne, angelockt vom Duft und Honig der Blüten, zur Erde. König Indras Verhalten gegenüber Kṛṣṇa wurde von den großen Weisen wie Śukadeva Gosvāmī als schändlich verurteilt: Aus Seiner grundlosen Gnade war Kṛṣṇa zum himmlischen Königreich Amarāvatī gekommen, um König Indra die Ohrringe Seiner Mutter zu bringen, die Bhaumāsura geraubt hatte, und Indra hatte sie mit Freuden angenommen. Doch als Kṛṣṇa einen Blütenbaum des himmlischen Königreiches nahm, sagte ihm Indra sogleich den Kampf an. Dies zeigt, daß Indra nur an sein eigenes Interesse dachte. Gerade noch hatte er zu Kṛṣṇa gebetet und mit geneigtem Haupt die Lotosfüße des Herrn berührt, doch sowie er das erlangt hatte, was er wollte, wurde er ein völlig anderes Wesen. Das ist ein Beispiel für die Verhaltensweise der Materialisten. Materialistische Menschen sind immer nur an ihrem eigenen Vorteil interessiert. Um selbst Nutzen zu erlangen, sind sie bereit, jedem jeglichen Respekt zu erweisen, doch sobald ihrem eigenen Interesse gedient ist, sind sie nicht länger irgend jemandes Freund. Diese Selbstsucht ist nicht nur bei den Reichen unseres Planeten zu finden, sondern selbst bei Persönlichkeiten wie Indra und anderen Halbgöttern. Zuviel Besitz macht einen Menschen selbstisch, und wer selbstisch ist, ist nicht bereit, sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuzuwenden, und wird daher von großen Gottgeweihten wie Śukadeva Gosvāmī verurteilt. Mit anderen Worten, der Besitz von zuviel weltlichem Reichtum macht einen unfähig, im Kṛṣṇa-Bewußtsein fortzuschreiten. Nach Seinem Sieg über Indra ließ Kṛṣṇa Seine Heirat mit den 16100 Mädchen, die Er aus Bhaumāsuras Palast befreit hatte, vorbereiten. Dazu erweiterte Er Sich in 16100 Gestalten und heiratete gleichzeitig alle Prinzessinnen in ein und demselben glücklichen Augenblick, eine jede in einem anderen Palast. Damit bestätigte Kṛṣṇa die Wahrheit, daß Er, und niemand sonst, der Höchste Persönliche Gott ist. Für Kṛṣṇa gibt es nichts Unmögliches, denn Er ist der Höchste Persönliche Gott; Er ist allmächtig, allgegenwärtig und unvergänglich, und daher ist an dieser Tat eigentlich nichts Erstaunliches. Jeder der Paläste, in denen die Königinnen wohnten, war reich mit prächtigen Gärten, Möbeln und andern Annehmlichkeiten ausgestattet, wie sie in dieser Welt nicht ihresgleichen finden. An dieser Geschichte aus dem Śrīmad-Bhāgavatam ist nichts übertrieben. Kṛṣṇas Königinnen waren Erweiterungen der Glücksgöttin Lakṣmījī. Kṛṣṇa lebte tatsächlich mit ihnen in den verschiedenen Palästen und verhielt Sich ihnen gegenüber wie ein gewöhnlicher Mann sich seiner Gemahlin gegenüber verhält. Wir sollten immer daran denken, daß der Höchste Persönliche Gott die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte. Obwohl Er Seine außerordentliche Füllen zeigte, als Er mehr als 16100 Prinzessinnen auf einmal in über 16100 Palästen heiratete, verhielt Er Sich z. B. in ihrer Gesellschaft doch wie ein gewöhnlicher Mann und achtete peinlichst darauf, ein Leben mit ihnen zu führen, wie es zwischen Verheirateten üblich ist. Es ist somit sehr schwierig, die Außergewöhnlichkeit des Höchsten Brahman, des Höchsten Persönlichen Gottes, zu begreifen. Selbst Halbgötter wie Brahmā sind außerstande, die transzendentalen Spiele des Herrn zu ergründen. Kṛṣṇas Frauen waren wirklich gesegnet, denn sie bekamen den Höchsten Persönlichen Gott zum Gemahl, obgleich nicht einmal Halbgötter wie Brahmā Seine Persönlichkeit kannten. In ihrer ehelichen Beziehung pflegten Kṛṣṇa und Seine Königinnen miteinander zu lachen, zu sprechen, zu scherzen, sich zu umarmen und was sonst noch zum Eheleben gehört; dabei vertiefte sich ihre innige Beziehung mehr und mehr. So genossen sowohl Kṛṣṇa als auch die Königinnen in ihrem Eheleben transzendentales Glück. Obwohl jede einzelne der Königinnen viele tausend Dienerinnen hatte, die sich um sie bemühten, ließen sie es sich nicht nehmen, Kṛṣṇa persönlich mit aller Aufmerksamkeit zu dienen. Jede von ihnen pflegte Kṛṣṇa persönlich zu empfangen, wenn Er ihren Palast betrat. Sie achteten dann jedesmal darauf, daß Er Sich auf einen besonders bequemen Diwan setzte, boten Ihm alle möglichen Annehmlichkeiten verehrend dar, wuschen Seine Lotosfüße mit Gangeswasser, reichten Ihm Betelnüsse und massierten Seine Beine. Auf diese Weise bereiteten sie Ihm Erholung von den Anstrengungen Seiner Abwesenheit von zuhause. Sie achteten auch darauf, Ihm sorgfältig Luft zuzufächeln, boten Ihm kostbare, duftende Blumenöle, legten Ihm Blumengirlanden um, kämmten und schmückten Sein Haar, baten Ihn, Sich zur Ruhe zu legen, badeten Ihn persönlich und gaben Ihm wohlschmeckende Speisen zu essen. All diese Dienste wurden von jeder Königin selbst getan; sie ließen sie nie von ihren Dienerinnen besorgen. Kṛṣṇa und Seine Königinnen führten also, mit anderen Worten, auf der Erde ein vorbildliches Eheleben. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 58. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Erlösung des Dämons Bhaumāsura«. 59. KAPITEL Gespräche zwischen Kṛṣṇa und Rukmiṇī Eines schönen Tages saß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, der allen Lebewesen, von Brahmā bis zur unbedeutenden Ameise, Wissen gibt, in Rukmiṇīs Schlaf gemach, während Rukmiṇī Ihm gemeinsam mit ihren Dienerinnen Dienste darbrachte. Kṛṣṇa saß also auf Rukmiṇīs Bett, und die Dienerinnen fächelten Ihm mit cāmaras [* Cāmara – Fliegenwedel, der aus einer Schwanzquaste des Yak und einem Griff besteht*] Luft zu. Śrī Kṛṣṇas Verhalten gegenüber Rukmiṇī als vollkommener Ehemann ist eine vollkommene Manifestation der höchsten Vollkommenheit des Persönlichen Gottes. Es gibt viele Philosophen, die Auffassungen von der Absoluten Wahrheit vertreten, nach denen Gott dieses oder jenes nicht tun kann. Sie bestreiten meist, daß Sich Gott in einer Gestalt inkarnieren kann. Doch die Wirklichkeit widerspricht ihnen: Gott kann nicht dem unvollkommenen Vermögen unserer Sinne unterworfen sein. Er ist der allmächtige und allgegenwärtige Persönliche Gott, und Er kann durch Seinen höchsten Willen nicht nur die gesamte kosmische Manifestation erschaffen, erhalten und vernichten, sondern auch wie ein gewöhnlicher Mensch erscheinen, um Seine höchsten Absichten wahrzumachen. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, erscheint Er immer dann, wenn die Ausführung der vorgeschriebenen Pflichten des Menschen gestört ist. Er erscheint nicht unter dem Zwang einer fremden Macht, sondern kommt durch Seine eigene innere Energie zu uns, um sowohl Gesetze für das Handeln des Menschen festzulegen als auch gleichzeitig die den Fortschritt der menschlichen Zivilisation beeinträchtigenden Elemente zu vernichten. In Übereinstimmung mit diesem Grundprinzip Seiner transzendentalen Spiele erschien der Höchste Persönliche Gott auch in Seiner ewigen Gestalt als Śrī Kṛṣṇa in der Yadu-Dynastie. Der Palast Rukmiṇīs war wunderbar eingerichtet. Es hingen dort viele Baldachine von der Decke, deren Ränder Perlenschnüre zierten, und das gesamte Gebäude war vom Glanz kostbarer Edelsteine erhellt. Zahlreiche Blumengärten waren innerhalb und außerhalb des Palastes angelegt worden, in denen baela und cāmeli, die wohlriechendsten Blumen in Indien, wuchsen. In ganzen Büscheln hingen sie an Blütenbäumen, und die blühenden Blumen erhöhten noch die Schönheit des Palastes. Angelockt von dem einzigartigen Duft dieser Gewächse sammelten sich kleine Schwärme summender Bienen um die Bäume, und nachts glitzerte der wohltuende Mondschein durch das Netzwerk der Fensteröffnungen. In den Gärten standen auch viele Bäume, die voller pārijāta-Blüten waren, und der sanfte Wind trug ihren Duft überallhin. Innerhalb der Palastmauern brannte Räucherwerk, und der duftende Rauch wehte zwischen den Fensterläden hervor. Im Schlafgemach Rukmiṇīs lagen Polster, die mit weißen Bettüchern bedeckt waren und dem Schaum auf der Milch ähnelten; auch das Liegebett war so weich und weiß wie Milchschaum. Darauf saß Śrī Kṛṣṇa also ganz bequem und erfreute Sich an den Gefälligkeiten, die Rukmiṇī Ihm darbrachte, wobei einige der Dienerinnen ihr helfen durften. Rukmiṇī ergriff sehr eifrig jede Gelegenheit, dem Höchsten Persönlichen Gott als ihrem Gemahl zu dienen. Weil sie also persönlich den Herrn verehren wollte, nahm sie einer der Dienerinnen den cāmara ab und begann selbst zu wedeln. Den Handgriff des cāmara, der aus purem Gold gefertigt war, zierten kostbare Edelsteine, und als Rukmiṇī ihn in die Hand nahm, wurde er noch schöner, denn an ihren Fingern steckten hübsche Juwelenringe. Ihre Beine waren mit Fußglöckchen und Edelsteinen geschmückt, die sanft an den Falten ihres saris klingelten. Rukmiṇīs hohe Brüste waren mit kuṅkuma und Safran eingerieben, und so erhöhte sich ihre Schönheit noch durch die rötliche Farbe, die durch ihr Brusttuch schimmerte. Ihre Hüften zierte ein juwelenbestickter Spitzengürtel, und um den Hals trug sie ein Medaillon, das einen hellen Glanz ausstrahlte. Weil ihr Körper Kṛṣṇas Dienst gewidmet war, war er so schön, daß es nichts mit ihm Vergleichbares gab, obwohl sie damals bereits alt genug war, erwachsene Söhne zu haben. Wenn man sich ihr liebliches Antlitz betrachtete, schien es, als ließen das lockige Haar auf ihrem Kopf, die hübschen Ohrringe an ihren Ohren, ihr lächelnder Mund und ihre Halskette aus Gold wahren Nektarregen niedergehen; es stand ohne Zweifel fest, daß Rukmiṇī niemand anderes war als die ursprüngliche Glücksgöttin, die ewig den Lotosfüßen Nārāyaṇas dient. Die Spiele Rukmiṇīs und Kṛṣṇas in Dvārakā werden von großen Autoritäten als Manifestationen der Spiele Lakṣmīs und Nārāyaṇas anerkannt, die von außergewöhnlichem Reichtum sind. Die Spiele Rādhās und Kṛṣṇas in Vṛndāvana sind einfach und ländlich; sie unterscheiden sich von den vornehmen und städtischen Merkmalen der Spiele in Dvārakā. Das Wesen Rukmiṇīs war ungewöhnlich freudespendend, und Kṛṣṇa sah ihr Verhalten mit großem Wohlgefallen. Kṛṣṇa hatte die Erfahrung gemacht, daß Satyabhāmā, als Rukmiṇī von Nārada Muni eine pārijāta-Blume geschenkt bekam, eifersüchtig wurde und sogleich eine ähnliche Blume von Kṛṣṇa haben wollte. Sie war schließlich nicht eher zufrieden, bis ihr Kṛṣṇa einen ganzen Baum versprach. Kṛṣṇa hielt später tatsächlich Sein Versprechen, indem Er einen solchen Baum vom himmlischen Königreich auf die Erde brachte. Nach dieser Begebenheit erwartete Kṛṣṇa, daß Rukmiṇī, nachdem Satyabhāmā einen ganzen pārijāta-Baum geschenkt bekommen hatte, nun ihrerseits etwas von Ihm verlangen würde. Aber Rukmiṇī erwähnte die Begebenheit mit keinem Wort, denn sie war sehr ernsthaft und völlig mit ihrem Dienst zufrieden. Kṛṣṇa wollte sie jedoch ein wenig aufgebracht sehen und entwarf deshalb einen Plan, wie Er das liebliche Antlitz Rukmiṇīs mit einem aufgeregten Ausdruck sehen könne. Obwohl Śrī Kṛṣṇa mit mehr als 16000 Frauen verheiratet war, empfand Er jeder einzelnen gegenüber innige Zuneigung; manchmal schuf Er zwischen Sich und Seiner Frau eine besondere Situation, in der Seine Frau Ihn in der Aufregung ihrer Liebe tadelte, und Kṛṣṇa hatte Seine Freude daran. Doch weil der Herr in diesem Fall keinen Fehler in Rukmiṇī entdecken konnte, da sie so großherzig und immer in Seinen Dienst vertieft war, begann Er lächelnd und voller Liebe zu ihr zu sprechen. Rukmiṇī war die Tochter König Bhīṣmakas, eines mächtigen Königs; deshalb sprach Kṛṣṇa sie diesmal nicht als Rukmiṇī an, sondern als Prinzessin: »Meine liebe Prinzessin,« sagte Er, »eines wundert Mich sehr. Viele große Persönlichkeiten königlichen Standes wollten dich heiraten. Obwohl nicht alle Könige waren, besaßen sie doch Macht und Reichtum wie Könige und waren wohlerzogen, gelehrt und berühmt bei den Königen; sie besaßen wohlgeformte Körper, wiesen viele gute Eigenschaften auf und waren großzügig, kraftvoll und in jeder Beziehung fortgeschritten. Sie waren auf keinem Gebiet Versager, und überdies hatten Dein Vater und dein Bruder nichts dagegen, einen von ihnen an dich zu verheiraten. Ganz im Gegenteil, sie gaben ihr Ehrenwort, dich Śiśupāla zur Frau zu geben; die Heirat fand also die Zustimmung deiner Eltern, Śiśupāla selbst war ein großer König, und er war so lüstern und verrückt nach deiner Schönheit, daß Ich glaube, er wäre immer wie ein treuer Diener bei dir geblieben, wenn ihr geheiratet hättet. Im Vergleich zu Śiśupāla und seinen persönlichen Eigenschaften bin Ich ein Nichts. Aber das hast du gewiß schon selbst bemerkt. Es wundert Mich daher, daß du es ablehntest, Śiśupāla zu heiraten, und statt dessen Mich vorzogst, der Ich viel unwürdiger bin als er. Ich halte Mich für völlig ungeeignet, dein Gatte zu sein, denn du bist so schön, vernünftig, ernsthaft und vornehm. Darf Ich dich deshalb nach dem Grund fragen, der dich verleitete, Mich anzunehmen? Jetzt kann Ich dich natürlich Meine schöne Frau nennen, aber dennoch will Ich dich über Meine wirkliche Stellung aufklären – daß Ich nämlich hinter all den Prinzen, die dich heiraten wollten, zurückstehe. Als erstes mußt du wissen, daß Ich solche Angst vor Jarāsandha hatte, daß Ich es nicht wagte, auf dem Festland zu leben, und deshalb habe Ich unser Haus im Meer gebaut. Eigentlich pflege Ich dieses Geheimnis keinem zu verraten, denn du mußt wissen, daß Ich nicht sehr heldenhaft bin; Ich bin ein Feigling und fürchte Mich vor den anderen Königen. Trotzdem lebe Ich nicht in Sicherheit, denn alle bedeutenden Könige des Landes sind Mir feindlich gesinnt. Ich Selbst bin an ihrer Feindlichkeit schuld, denn auf vielfache Weise habe Ich mit ihnen gekämpft. Weiter wäre an Mir auszusetzen, daß Ich, obwohl Ich auf dem Thron von Dvārakā sitze, kein direktes Anrecht auf ihn habe. Zwar erhielt Ich das Königreich, als Ich Meinen eigenen Onkel, Kaṁsa, tötete, doch gebührt es von Rechts wegen Meinem Großvater; im Grunde besitze Ich also kein Königreich. Außerdem habe Ich kein festes Lebensziel. Die Menschen können Mich nicht verstehen; sie fragen: ›Was ist nun endgültig Sein Lebensziel?‹ Jeder weiß, daß Ich Kuhhirte in Vṛndāvana war, und daher erwartete man von Mir sowohl, daß Ich den Fußstapfen Meines Pflegevaters Nānda Mahārāja folgte, als auch, daß Ich Śrīmatī Rādhārāṇī und Ihren Freundinnen im Dorf Vṛndāvana treu blieb. Doch statt dessen verließ Ich sie plötzlich. Ich wollte nämlich lieber ein berühmter Prinz werden. Doch weder besitze Ich inzwischen ein Königreich noch konnte Ich als Prinz herrschen. Die Leute werden ganz verwirrt, wenn sie zu begreifen versuchen, was Mein Lebenszweck ist. Sie wissen nicht einmal, ob Ich ein Kuhhirtenknabe oder ein Prinz, ob Ich der Sohn Nānda Mahārājas oder der Vasudevas bin. Da Ich kein festes Lebensziel habe, nennen Mich manche Menschen einen Vagabunden. Ich wundere Mich nur, wie du einen solchen Vagabunden als Ehemann wählen konntest. Abgesehen davon bin Ich nicht besonders vornehm, nicht einmal, was gesellschaftliche Anstandsregeln betrifft. Man sollte sich z. B. mit einer Frau zufriedengeben, doch, wie du weißt, habe Ich viele Male geheiratet, mehr als 16100 Frauen, und kann natürlich nicht alle als glänzender Gatte zufriedenstellen. Mein Verhalten ihnen gegenüber ist nicht angemessen, und Ich weiß, daß dir dies viel Kummer bereitet. Manchmal schaffe Ich zwischen Mir und Meinen Frauen ein Verhältnis, das sie nicht sehr glücklich macht. Da Ich in Meiner Kindheit in einem Dorf aufgezogen wurde, bin Ich mit den gesellschaftlichen Bräuchen des Stadtlebens nicht besonders vertraut. Ich verstehe Mich überhaupt nicht darauf, eine Frau durch gewählte Worte und gutes Benehmen zu erfreuen. Die Wirklichkeit schließlich hat gezeigt, daß jede Frau, die Mir folgt oder sich zu Mir hingezogen fühlt, zuletzt nur noch dasitzen und für den Rest ihres Lebens weinen kann. In Vṛndāvana fühlten sich viele gopīs zu Mir hingezogen, doch nun, da Ich sie verlassen habe, leben sie zwar, doch weinen sie nur immerzu, da sie sich mit der Trennung von Mir nicht abfinden können. Ich habe sogar von Akrūra und Uddhava gehört, daß alle Meine Kuhhirtenfreunde, die gopīs und Rādhārāṇī und Mein Pflegevater Nānda Mahārāja, seitdem Ich Vṛndāvana verlassen habe, fortwährend Tränen um Mich vergießen. Ich zog damals aus Vṛndāvana, um Mein Glück zu machen und lebe nun in der Gesellschaft der Königinnen von Dvārakā, ohne Mich gegenüber irgendeiner von ihnen angemessen zu verhalten. Du siehst also deutlich, daß Ich keine Charakterfestigkeit besitze. Ich bin kein sehr verläßlicher Ehemann. Wer sich zu Mir hingezogen fühlt, erntet nichts als ein Leben voll Kummer. Meine liebe schöne Prinzessin, du mußt auch wissen, daß Ich seit jeher mittellos bin. Schon gleich nach Meiner Geburt wurde Ich, ohne auch nur einen Pfennig zu besitzen, zum Hause Nānda Mahārājas getragen und dort wie ein Kuhhirtenjunge aufgezogen. Obwohl Mein Pflegevater viele hunderttausend Kühe besaß, gehörte nicht eine einzige davon Mir. Ich war nur dazu bestimmt, auf sie achtzugeben und sie zu weiden, doch sie waren niemals Mein Eigentum. Auch hier in Dvārakā besitze Ich nichts, sondern bin mittellos wie zuvor. Aber Ich klage nicht über Meine Armut, denn schließlich besaß Ich auch in der Vergangenheit nichts; warum sollte Ich also jammern, daß Ich jetzt nichts besitze? Du sollst auch wissen, daß Meine Geweihten nicht sehr reich sind; besonders an weltlichen Gütern sind sie arm. Diejenigen, die viel besitzen und sich weltlichen Wohlstands erfreuen, wollen von Hingabe zu Mir oder Kṛṣṇa-Bewußtsein nichts wissen. Jemand jedoch, der allen Besitz verliert – sei es durch Gewalt oder durch die Macht der Umstände –, wird sich, wenn er die richtige Gelegenheit bekommt, eher für Mich interessieren. Menschen, die sich auf ihre materiellen Reichtümer etwas einbilden, werden, selbst wenn sie mit Meinen Geweihten zusammenkommen, nicht die Gelegenheit wahrnehmen, ihr Bewußtsein auf Mich zu richten. Menschen in armen Verhältnissen zeigen also manchmal ein wenig Interesse für Mich, doch die Reicheren haben keinerlei Interesse für Mich. Deshalb finde Ich, daß deine Wahl, Mich zu heiraten, nicht sehr klug war. Du magst zwar sehr klug erscheinen, da dir von Vater und Bruder eine gute Bildung zuteil wurde, doch zuletzt hast du, als du dir deinen Lebensgefährten aussuchtest, einen großen Fehler begangen. Doch es ist nicht so schlimm – besser spät als niemals. Es steht dir frei, den richtigen Ehemann auszuwählen, einen, der dir an Begabung, Reichtum, Herkunft, Schönheit, Erziehung – in jeder Hinsicht – wirklich ebenbürtig ist. Alle Fehler, die du bisher gemacht hast, sollen vergessen sein. Nun magst du dir deinen eigenen, fruchtbaren Lebensweg wählen. Für gewöhnlich geht man keine Ehe mit einem Partner ein, der von höherem oder niedrigerem Stand ist als man selbst. Liebe Tochter des Königs von Vidarbha, Ich glaube, daß du dir deine Heirat nicht vernünftig überlegt und deshalb eine schlechte Wahl getroffen hast, als du Mich zum Ehemann nahmst. Du hörtest irrtümlich etwas von Meinem hohen Charakter, obwohl Ich in Wirklichkeit nicht mehr bin als ein Bettler, und so hast du Mich, ohne Mich jemals gesehen zu haben oder Meine wirkliche Stellung zu kennen, zu deinem Ehemann gewählt. Das war nicht richtig. Deshalb rate Ich dir: Tu das Richtige – lieber spät als nie; du kannst dir jetzt einen der großen kṣatriya-Fürsten zum Lebensgefährten nehmen und Mich von dir stoßen.« Kṛṣṇa schlug Rukmiṇī zu einer Zeit vor, sich von Ihm zu scheiden, da sie bereits viele erwachsene Kinder hatte. Dieser Vorschlag war eigentlich etwas Undenkbares, denn nach den Regeln der vedischen Kultur konnten Mann und Frau unmöglich durch eine Scheidung voneinander getrennt werden. Auch für Rukmiṇī, die sich bereits im reiferen Stadium der Ehe befand und Söhne hatte, war dies nicht möglich. Jeder einzelne von Kṛṣṇas Vorschlägen erschien Rukmiṇī verrückt, und es erstaunte sie sehr, daß Kṛṣṇa solche Dinge sagen konnte. Sie war von so unschuldigem Wesen, daß sie sich bei dem Gedanken an eine Trennung von Kṛṣṇa immer mehr ängstigte. Kṛṣṇa fuhr fort: »Außerdem mußt du dich auch auf dein nächstes Leben vorbereiten. Ich rate dir deshalb, jemanden zu nehmen, der dir sowohl in diesem als auch im nächsten Leben helfen kann, denn Ich bin völlig außerstande, etwas für dich zu tun. Meine liebe schöne Prinzessin, du weißt sicherlich, daß alle Prinzen von Rang, wie Śiśupāla, Śālva, Jarāsandha, Dantavakra und selbst dein älterer Bruder Rukmī, Meine Gegner sind; sie können Mich nicht ausstehen, sondern hassen Mich von ganzem Herzen. Diese Prinzen waren ihrer weltlichen Reichtümer wegen sehr hochmütig geworden und kümmerten sich nicht im geringsten um diejenigen, die ein Anliegen an sie stellten. Nur um diesen Prinzen eine Lehre zu erteilen, erklärte Ich Mich dazu bereit, dich nach deinem Wunsch zu entführen. Im übrigen aber empfinde Ich keine Liebe zu dir, obwohl du Mich schon vor unserer Heirat liebtest. Wie Ich dir bereits erklärt habe, liegt Mir nicht viel an einem Familienleben oder an Liebe wie der zwischen Eheleuten. Vom Wesen her habe Ich nicht viel Sinn für Familie, Frau, Kinder, Zuhause und Wohlstand. In dieser Beziehung bin Ich wie Meine Geweihten, die überhaupt nicht nach weltlichen Gütern trachten. Mein eigentliches Interesse gilt der Selbstverwirklichung; das bereitet Mir Freude, und nicht das Familienleben.« Nach diesem Satz hielt Śrī Kṛṣṇa plötzlich inne. An dieser Stelle erklärte die große Autorität Śukadeva Gosvāmī, daß Kṛṣṇa fast Seine ganze Zeit mit Rukmiṇī verbrachte und sie daher ein wenig stolz darauf geworden war, daß Kṛṣṇa sie, die Glückliche, nicht einmal für einen Moment verließ. Kṛṣṇa jedoch schätzt es nicht, wenn einer Seiner Geweihten stolz wird. Sowie dies geschieht, beseitigt Er diesen Stolz auf irgendeine Weise. Auch in diesem Fall sagte Kṛṣṇa viele Dinge, die zu hören für Rukmiṇī sehr bitter waren. So mußte sie, obwohl sie auf ihre Stellung stolz war, erkennen, daß Kṛṣṇa jeden Augenblick von ihr getrennt sein könnte. Rukmiṇī war sich bewußt, daß ihr Gatte kein gewöhnlicher Mensch war. Er war der Höchste Persönliche Gott, der Meister der drei Welten. Als Er nun in dieser Weise mit ihr sprach, bekam sie Angst, von Ihm getrennt zu werden, denn sie hatte noch niemals zuvor solch harte Worte von Kṛṣṇa vernommen. Besorgnis überfiel sie aus Furcht vor einer Trennung, und ihr Herz begann zu beben. Ohne Kṛṣṇa auch nur ein Wort zu entgegnen, weinte sie vor Bestürzung, als sei sie in einen Ozean des Schmerzes versunken, und fuhr schweigend mit ihren rötlich schimmernden Zehennägeln über den Boden. Ihre Tränen waren rosa, vermischt mit der schwarzen Tusche von ihren Augenlidern, und flossen in Strömen herab und wuschen den kuṅkuma sowie den Safran von ihren Brüsten. Halb erstickt vor Angst und außerstande, auch nur ein Wort hervorzubringen, hielt sie den Kopf gesenkt und blieb starr wie ein Stock stehen. In ihrer quälenden Furcht und Verzweiflung verlor sie jegliche Fähigkeit zu vernünftigem Denken und wurde so schwach, daß ihr Körper unvermittelt so viel an Gewicht verlor, daß ihr die Armreifen an den Handgelenken über die Hände rutschten und zu Boden fielen. Der cāmara-Wedel, mit dem sie Kṛṣṇa diente, entglitt ihrer Hand, ihre Gedanken und ihre Erinnerung verwirrten sich, und schließlich verlor sie das Bewußtsein. Das kunstvoll frisierte Haar auf ihrem Kopf löste sich, während sie wie ein vom Orkan gefällter Bananenbaum zu Boden stürzte. Śrī Kṛṣṇa erkannte nun, daß Rukmiṇī Seine Worte nicht als Scherz aufgefaßt hatte. Sie hatte sie bitterernst genommen und war aus Furcht vor einer unmittelbaren Trennung in einen solchen Zustand verfallen. Śrī Kṛṣṇa empfindet von Natur aus große Zuneigung zu Seinen Geweihten, und als Er Rukmiṇī in diesem Zustand sah, erweichte Sich Sein Herz. Sofort wurde Er sehr gütig. Kṛṣṇa und Rukmiṇī hatten zueinander die Beziehung als Lakṣmī-Nārāyaṇa; deshalb zeigte Er Sich ihr in Seiner vierarmigen Manifestation als Nārāyaṇa. Er stieg von Seinem Liegebett, richtete sie auf, indem Er sie bei den Händen faßte, legte ihr Seine kühlenden Hände aufs Gesicht und glättete das wirre Haar auf ihrem Kopf. Dann trocknete Er Rukmiṇīs nasse Brust mit Seiner Hand, und die Ernsthaftigkeit ihrer Liebe anerkennend umarmte Er sie. Der Höchste Persönliche Gott versteht es meisterhaft, jemandem etwas verständlich zu machen, und so versuchte Er jetzt alles, was Er gesagt hatte, zurückzunehmen. Er ist die einzige Zuflucht aller Gottgeweihten, und daher weiß Er sehr gut, wie Er Seine reinen Geweihten erfreuen kann. Kṛṣṇa erkannte, daß Rukmiṇī Seinen scherzenden Worten nicht hatte folgen können, und um ihre Verwirrung zu beseitigen, sagte Er zu ihr: »Meine liebe Tochter des Königs von Vidarbha, liebe Rukmiṇī, bitte verstehe Mich nicht falsch. Tu Mir bitte nicht Unrecht. Ich weiß, wie aufrichtig und ernsthaft du an Mir hängst; schließlich bist du Meine ewige Gefährtin. Die Worte, die dich so schwer getroffen haben, waren nicht ernst gemeint. Ich wollte dich nur ein wenig ärgern und erwartete, daß du auf Meine Scherze Gegenantworten geben würdest. Unglücklicherweise aber hast du sie ernst genommen, was Mir sehr leid tut. Ich erwartete, daß deine roten Lippen vor Zorn zittern würden, wenn du Meine Worte vernähmest, und daß du Mich auf vielerlei Art tadeln würdest. O Vollkommenheit der Liebe, niemals aber hatte Ich erwartet, daß du in einen derartigen Zustand geraten würdest. Vielmehr glaubte Ich, du würdest rachsüchtig deine funkelnden Augen auf Mich richten, so daß Ich dein liebliches Gesicht mit einem wütenden Ausdruck sehen könnte. Meine liebe schöne Frau, du weißt, daß wir Haushälter sind. Wir werden stets von unseren Pflichten als Haushälter in Anspruch genommen und sehnen uns daher nach jenen Augenblicken, da wir einige scherzende Worte miteinander austauschen können. Daran ist uns vor allem gelegen. Die Haushälter arbeiten Tag und Nacht sehr schwer, doch alle Anstrengung von der Mühe des Tages schwindet, sobald Mann und Frau zusammenkommen und das Leben auf vielerlei Weise genießen.« Śrī Kṛṣṇa wollte Sich wie ein gewöhnlicher Haushälter geben, dessen Hauptvergnügen es ist, mit Seiner Frau zu scherzen. Er bat also Rukmiṇī wiederholt, Seine Worte nicht so ernst zu nehmen. Als Śrī Kṛṣṇa Rukmiṇī mit süßen Worten besänftigte, verstand sie, daß das, was Er vorher gesagt hatte, nicht so gemeint, sondern vielmehr zu ihrer beiden Vergnügen bestimmt war. Sie beruhigte sich daher wieder, nachdem sie Seine Erklärung gehört hatte, und langsam verließ sie auch die Furcht, Er werde Sich von ihr trennen, so daß sie Ihn wieder mit ihrem natürlich lächelnden Gesicht ansah. Sie sagte: »Mein lieber lotosäugiger Herr, Deine Feststellung, wir seien ein ungleiches Paar ist völlig richtig. Ich kann unmöglich jemals Deine Ebene erreichen, denn Du bist die Quelle aller Eigenschaften, der unbegrenzte Höchste Persönliche Gott. Wie könnte ich Dir also eine geeignete Partnerin sein? Es ist unmöglich, sich mit Dir zu vergleichen, da Du der Meister aller Größe und der Gebieter der drei Erscheinungsweisen bist und selbst von großen Halbgöttern wie Brahmā und Śiva verehrt wirst. Was mich betrifft, so bin ich nur eine Schöpfung der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Diese drei Erscheinungsweisen sind Hindernisse für den Fortschritt im hingebungsvollen Dienen. Unter welchen Umständen könnte ich also jemals eine ebenbürtige Partnerin für Dich sein? Mein lieber Gemahl, Du sagtest ganz richtig, Du habest aus Furcht vor den Königen Zuflucht auf dem Wasser des Meeres gesucht. Doch wer ist der König der materiellen Welt? Sicherlich keiner der Nachkommen der sogenannten Königsfamilien. Die Könige der materiellen Welt sind die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Sie sind die wirklichen Herrscher der materiellen Welt. Du weilst tief in jedem Herzen, wo Du nicht im geringsten von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur berührt wirst. Darüber besteht kein Zweifel. Du sagtest, Du stündest den weltlichen Königen ständig in Feindschaft gegenüber, doch wer sind eigentlich die weltlichen Könige? Ich glaube, die weltlichen Könige sind die materiellen Sinne. Sie sind überaus mächtig und beherrschen jeden. Somit stehst Du natürlich in Feindschaft mit ihnen. Du stehst jedoch niemals unter der Herrschaft der Sinne, sondern bist vielmehr derjenige, der sie beherrscht, Hṛṣīkeśa. Weiterhin sagtest Du, lieber Herr, Du besäßest keine königliche Macht, und das trifft ebenfalls zu. Aber nicht nur Du bist frei von Herrschaft über die materielle Welt, sondern auch Deine Diener, die bereits Zuneigung zu Deinen Lotosfüßen empfinden, geben ihre Herrscherstellungen in der materiellen Welt auf, weil eine materielle Position für sie dunkelste Unwissenheit bedeutet, die den Fortschritt der spirituellen Erleuchtung behindert. Wenn schon Deine Diener nicht über die Materie herrschen wollen, muß es Dir dann nicht erst recht so gehen? Lieber Herr, Deine Feststellung, daß Du Dir nicht, wie ein gewöhnlicher Mensch, ein bestimmtes Lebensziel gesteckt hast, ist ebenfalls völlig richtig. Auch Deine großen Geweihten und Diener, die als Heilige und Weise berühmt sind, verhalten sich in solcher Weise, daß niemand erahnen kann, was das Ziel ihres Lebens ist. Die meisten Menschen betrachten sie daher als verrückt und verstiegen. Ihr Lebensziel bleibt dem gewöhnlichen Sterblichen immer ein Geheimnis; die Niedrigsten der Menschen können weder Dich noch Deine Diener verstehen. Ein unreiner Mensch kann sich nicht die geringste Vorstellung von den Spielen zwischen Dir und Deinen Geweihten machen. O Unbegrenzter, wenn schon das Tun und Streben Deiner Geweihten den gewöhnlichen Menschen ein Rätsel ist, wie könnten sie dann Deine Beweggründe und Bestrebungen verstehen? Alle Energien und Füllen sind in Deinem Dienst beschäftigt und ruhen dennoch in Dir. Du hast Dich vorhin als mittellos bezeichnet, doch dieser Zustand ist keine Armut. Denn da es nichts außer Dir gibt, hast Du es nicht nötig, irgend etwas zu besitzen. Du Selbst bist ja bereits alles. Du brauchst nicht, wie andere, von etwas Besitz ergreifen. Bei Dir heben sich alle Widersprüche auf, denn Du bist absolut. Du besitzt nichts, aber niemand ist reicher als Du. In der materiellen Welt kann niemand reich sein, ohne etwas zu besitzen. Weil Du aber, o Herr, absolut bist, setzt Du Dich über den Widerspruch, nichts zu besitzen und doch der Reichste zu sein, hinweg. In den Veden wird gesagt, daß Du, obwohl Du keine materiellen Hände und Beine hast, alles entgegennimmst, was Dir Deine Geweihten in Hingabe opfern. Du besitzt keine materiellen Augen und Ohren und kannst dennoch alles und überall sehen und alles und überall hören. Obwohl Du nichts besitzt, kommen die großen Halbgötter, die von anderen Gebeten und Huldigungen empfangen, zu Dir und verehren Dich, um Deine Gnade zu erflehen. Wie könnte man Dich also zu den Armen zählen? Mein lieber Herr, Du erwähntest auch, daß die Reichen in der menschlichen Gesellschaft Dich nicht verehren. Dies trifft gleichfalls zu, denn Menschen, die ihres materiellen Besitzes wegen vermessen sind, wollen ihr Eigentum zur Befriedigung der Sinne verwenden. Wenn ein armer Mann reich wird, schmiedet er sogleich Pläne zur Sinnenbefriedigung. Dies tut er, weil er nicht weiß, wie er sein schwer verdientes Geld richtig verwenden soll. Unter dem Einfluß der äußeren, materiellen Energie glaubt er, sein Geld sei zur Befriedigung der Sinne richtig angelegt, und denkt nicht daran, Dir einen transzendentalen Dienst zu erweisen. Mein lieber Herr, Du hast erklärt, daß Menschen, die nichts besitzen, Dir sehr lieb sind. Deine Geweihten entsagen allem und wollen nur Dich besitzen. Ich weiß z. B., daß Du großen Weisen wie Nārada Muni, der keinen materiellen Besitz sein eigen nennt, sehr zugetan bist. Solche Persönlichkeiten denken an nichts anderes als an Dich, o Herr. Mein lieber Herr, Du sagtest, daß zukünftige Ehepartner nur dann ein geeignetes Paar ergäben, wenn sie sich in Bezug auf gesellschaftliche Stellung, Schönheit, Reichtum, Kraft, Einfluß und Entsagung ebenbürtig sind. Doch diese Lebensgaben sind einem nur durch Deine Gnade gegeben. Du bist die höchste, vollkommene Quelle aller Fülle. Alle guten Lebensvoraussetzungen kommen von Dir. Im Vedānta-sūtra wird dazu gesagt, janmādy asya yataḥ, was besagt, daß Du die höchste Quelle, von der alles ausgeht, und der Ozean aller Freude bist. Daher wünschen sich die Menschen, die über wirkliches Wissen verfügen, einzig und allein, Dich zu erlangen, und nichts anderes. Um Deiner Gunst willen geben sie alles auf, selbst die transzendentale Verwirklichung des Brahman. Du bist das höchste, endgültige Lebensziel. In Dir haben alle Neigungen der Lebewesen ihren Ursprung. Diejenigen, die es gut meinen, wünschen sich nur, Dich zu erreichen, und geben alles auf, um diesen Erfolg zu erlangen. Daher verdienen sie es, mit Dir zusammenzusein. In der Gesellschaft der Diener und Bedienten im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist man nicht den Freuden und Leiden der materiellen Gesellschaft ausgesetzt, in der alles von Geschlechtsverlangen bestimmt ist. Daher sollte jeder, ob Mann oder Frau, danach streben, sich zu Deiner Gemeinschaft der sich gegenseitig Dienenden zu gesellen; Du bist der Höchste Persönliche Gott; niemand kann Dich übertreffen, noch kommt Dir irgend jemand gleich. Das Gesellschaftssystem ist vollkommen, in dem stets Du das Zentrum bist, in dem Du als der Höchste Dienste entgegennimmst und in dem sich alle anderen als Deine Diener bemühen. In einer solch vollkommen eingerichteten Gesellschaft kann jeder ewig froh und glücklich sein. Mein lieber Herr, Du sagtest, nur die Bettler priesen Deine Herrlichkeit, und auch das stimmt. Wer aber sind diese Bettler? Diese Bettler sind alle fortgeschrittenen Gottgeweihten, befreiten Persönlichkeiten und Weisen im Lebensstand der Entsagung. Sie alle sind große Seelen und Gottgeweihte, die nichts anderes tun als Dich lobpreisen. Solche großherzigen Seelen vergeben selbst dem größten Sünder. Diese sogenannten Bettler bemühen sich in ihrem Leben um spirituellen Fortschritt, wobei sie alle möglichen Schwierigkeiten der materiellen Welt auf sich nehmen. Mein lieber Gemahl, denke nicht, ich hätte Dich aus Unerfahrenheit als meinen Ehemann angenommen; in Wirklichkeit folgte ich all diesen großen Seelen. Ich beschritt den Pfad dieser großen Bettler und entschloß mich, mein Leben Deinen Lotosfüßen hinzugeben. Du sagtest, Du seiest mittellos, und auch das ist wahr, denn Du verschenkst Dich ganz an diese großen Seelen und Gottgeweihten. Da ich dies sehr wohl weiß, wies ich selbst solch hohe Persönlichkeiten wie Brahmā und Indra zurück. Mein lieber Herr, der unbezwingbare Zeitfaktor wirkt einzig unter Deiner Führung. Die Zeit ist so erhaben und mächtig, daß sie innerhalb von Augenblicken in jedem beliebigen Teil der Schöpfung eine Vernichtung anrichten kann. Angesichts dieser Tatsachen maß ich Jarāsandha, Śiśupāla und ähnlichen Prinzen, die mich heiraten wollten, nicht mehr Bedeutung bei als gewöhnlichen Insekten. Mein lieber allmächtiger Sohn Vasudevas, Deine Behauptung, Du habest aus Furcht vor den großen Prinzen Zuflucht auf dem Wasser des Meeres gesucht, scheint zwar einleuchtend, doch widersprechen dem meine Erfahrungen mit Dir. Ich erlebte selbst, wie Du mich gewaltsam in Gegenwart all dieser Prinzen entführtest. Bei meiner Hochzeitsfeier verjagtest Du sie einfach, indem Du Deine Bogensehne schnellen ließest, und gewährtest mir gütigerweise Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen. Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, wie Du mich entführtest – gleich einem Löwen, der sich gewaltsam seinen Teil der Jagdbeute nimmt und dabei alle kleinen Tiere mit einem Augenblinzeln verjagt. Mein lieber lotosäugiger Herr, ich kann allerdings nicht begreifen, warum Du sagtest, diejenigen, die Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gesucht hätten, verlebten ihre Tage nur noch in Kummer. Die Geschichte zeigt uns doch deutlich, daß Prinzen wie Aṅga, Pṛthu, Bharata, Yayāti und Gaya, die Weltbeherrscher waren und keine Rivalen hatten, nur um die Gunst Deiner Lotosfüße zu erlangen, ihrer hohen Stellung entsagten und in den Wald gingen, um dort Bußen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Wenn sie also freiwillig ein solches Leben annahmen, weil Deine Lotosfüße für sie das ein und alles waren, wie könnte ihnen das Kummer oder Leid beschert haben? Mein lieber Herr, Du botest mir an, daß ich mir einen anderen Prinzen zum Gemahl wählen und mich von Dir trennen könne, doch weiß ich genau, daß Du das Behältnis aller guten Eigenschaften bist. Große Heilige, wie Nārada Muni, preisen ständig Deine transzendentalen Eigenschaften. Wer einfach bei solchen Heiligen Zuflucht sucht, wird augenblicklich frei von aller materiellen Verunreinigung. Und wenn man unmittelbar mit Deinem Dienst in Berührung kommt, ist die Glücksgöttin bereit, einem all ihre Segnungen zu erteilen. Welche Frau also, die einmal aus maßgeblichen Quellen von Deinem Ruhm gehört und auf irgendeine Weise den nektargleichen Wohlgeruch Deiner Lotosfüße geatmet hat, könnte so töricht sein, einen Mann der materiellen Welt heiraten zu wollen, der sich ständig vor Geburt, Alter, Krankheit und Wiedergeburt fürchtet? Ich habe mich daher für Deine Lotosfüße entschieden – nicht blindlings, sondern bewußt und nach reiflicher Überlegung. Mein lieber Herr, Du bist der Meister der drei Welten. Du kannst die Wünsche aller Deiner Geweihten in dieser Welt wie auch in der nächsten erfüllen, denn Du bist die Höchste Seele in jedem. Deshalb wählte ich Dich als meinen Gemahl und halte Dich für die einzig geeignete Persönlichkeit. Du kannst mich, als Strafe für meine gewinnbringenden Handlungen, in irgendwelche Lebensarten stoßen, ohne daß es mir das geringste ausmacht. Mein einziges Verlangen ist es, immer Deinen Lotosfüßen nahe sein zu dürfen, denn Du vermagst Deine Geweihten aus dem illusionären Dasein zu befreien, und bist immer geneigt, Dich an Deine Geweihten zu verschenken. Mein lieber Herr, Du hast mir empfohlen, einen der Prinzen, wie Śiśupāla, Jarāsandha oder Dantavakra, zum Mann zu nehmen, doch wer sind sie schon in dieser Welt? Sie arbeiten stets schwer, um ihren Haushalt zu unterhalten und ähneln in dieser Beziehung den Ochsen, die sich Tag und Nacht an der Ölpresse abplagen. Auch sind sie mit Lasttieren wie Esel zu vergleichen. Sie entwürdigen sich stets wie die Hunde, und sie sind elend wie die Katzen. Sie haben sich wie Sklaven an ihre Frauen verkauft. Eine der unglückseligen Frauen, die niemals Deinen Ruhm vernommen haben, mag sich vielleicht einen solchen Mann zum Gatten wählen, doch eine Frau, die von Dir gehört hat und z. B. weiß, daß Du nicht nur in dieser Welt, sondern auch in den Reichen der großen Halbgötter, wie Brahmā und Śiva, gepriesen wirst, wird niemanden außer Dir als ihren Gemahl annehmen. Ein Mann in der materiellen Welt ist nichts als ein toter Körper. Tatsächlich ist das Lebewesen äußerlich von seinem Körper bedeckt, der nichts weiter ist, als ein mit verschiedenen Bärten, Körperhaaren, Fingernägeln und Kopfhaaren geschmückter Hautsack. In diesem verzierten Sack befinden sich Muskelbündel, Knochengerippe und Blutpfützen, die alle ständig mit Kot, Urin, Schleim, Eiter und verbrauchter Luft vermischt sind und von allen möglichen Insekten, Würmern und Bakterien genossen werden. Eine törichte Frau betrachtet einen solchen toten Körper als ihren Ehemann und liebt ihn aufgrund dieses Mißverständnisses als ihren teuren Gefährten. Dies ist nur möglich, weil eine solche Frau niemals den ewigglückseligen Duft Deiner Lotosfüße geatmet hat. Mein lieber lotosäugiger Gemahl, Du bist völlig in Dir Selbst zufrieden. Es ist Dir gleichgültig, ob ich schön und tugendvoll bin; dies kümmert Dich nicht im geringsten. Dein Gleichmut ist auch durchaus nicht erstaunlich; er ist ganz natürlich. Du haftest niemals an einer Frau, ganz gleich, wie hoch ihre Stellung und wie einzigartig ihre Schönheit auch sein mögen. Doch ob Du an mir hängst oder nicht, möge meine Hingabe und Aufmerksamkeit sich immer auf Deine Lotosfüße richten! Auch die materielle Erscheinungsweise der Leidenschaft wurde von Dir geschaffen, und wenn Du mich daher mit leidenschaftlichem Blick ansiehst, ist das für mich das höchste Glück in meinem Leben. Nach solch glücklichen Augenblicken nur sehne ich mich.« Als Kṛṣṇa Rukmiṇīs Erwiderung gehört hatte, mit der sie jedes einzelne Wort erläuterte, das Er gebraucht hatte, um ihren liebevollen Zorn zu wecken, sprach Er zu ihr: »Meine liebe, tugendhafte Frau, eine solche Erklärung erwartete Ich von dir, und nur deshalb sagte Ich all die scherzhaft gemeinten Worte, die dich täuschen sollten. Nun ist geschehen, was Ich beabsichtigte. Die wunderbaren Erklärungen, die du zu jedem Meiner Worte abgegeben hast, entsprechen ganz der Wahrheit, und Ich schätze sie sehr. O schönste Rukmiṇī, du bist Meine liebste Gemahlin. Ich bin sehr froh zu erkennen, wieviel Liebe du für Mich empfindest. Sei gewiß, daß Ich dir immer zu Diensten stehen werde, gleichgültig, welche Wünsche und Begehren du auch haben und was du von Mir erwarten magst. Es stimmt, daß Meine Geweihten, Meine liebsten Freunde und Diener, stets von der materiellen Verunreinigung frei sind, obgleich sie Mich nicht um solche Befreiung bitten wollen. Meine Geweihten wünschen sich niemals etwas von Mir, außer in Meinem Dienst beschäftigt sein zu dürfen. Und weil sie völlig von Mir abhängig sind, ist selbst dann, wenn sie Mich doch einmal um etwas bitten, nichts Materielles daran. Ihre Wünsche und Begehren führen nicht zur Fesselung an die Materie, sondern zur Befreiung aus der materiellen Welt. Meine liebe tugendhafte und fromme Frau, Ich habe auf der Grundlage deiner makellosen Tugendhaftigkeit deine Liebe zu deinem Gemahl geprüft, und du hast die Probe erfolgreich bestanden. Ich beunruhigte dich absichtlich mit vielen Worten, die deinem Wesen widersprechen mußten, und es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie deine unwandelbare Hingabe zu Mir nicht im geringsten nachgelassen hat. Meine liebe Gemahlin, Ich bin derjenige, der alle Arten von Segnungen, sogar bis hin zur Befreiung aus der materiellen Welt, gewähren kann, und Ich bin der einzige, der das materielle Dasein eines Lebewesens zu beenden und es zurück nach Hause, zurück zu Gott, zu holen vermag. Ein Mensch, dessen Hingabe zu Mir nicht unverfälscht ist, verehrt Mich um eines materiellen Nutzens willen und um in der Welt materiellen Glücks zu bleiben, das in geschlechtlicher Freude seinen Höhepunkt findet. Wer strenge Bußen und Opfer auf sich nimmt, um materielles Glück zu erlangen, steht zweifellos unter dem illusionierenden Einfluß Meiner äußeren Energie, und so sind Menschen, die Mir nur dienen, um materielle Vorteile und Sinnenbefriedigung zu erlangen, äußerst töricht zu nennen. Materielle Freude durch Sexualität ist selbst in den abscheulichsten Lebensformen, wie z. B. denen der Schweine und Hunde, zu haben. Niemand sollte sich daher an Mich wenden, um solches Glück zu erlangen, denn das kann man selbst im höllischsten Lebenszustand noch bekommen. Für Menschen, die nur nach materiellem Glück, und nicht nach Mir, streben, ist es deshalb besser, wenn sie weiterhin ihr höllisches Dasein führen.« Die materielle Verunreinigung ist so stark, daß jeder Tag und Nacht sehr schwer für materielles Glück arbeiten muß. Alle Wichtigtuerei um Religiosität, Entsagung, Bußen, Humanismus, Philantropie, Politik, Wissenschaft usw. ist nur auf materiellen Nutzen ausgerichtet. Um so schnell wie möglich materielle Vorteile zu erlangen, verehren materialistische Menschen im allgemeinen verschieden Halbgötter, und getrieben von materiellen Neigungen, versuchen sie sich manchmal auch im hingebungsvollen Dienst für den Herrn. Dabei kann es geschehen, daß der Herr einem Menschen, der Ihm aufrichtig dient und doch gleichzeitig noch materiellen Neigungen ergeben ist, die Quellen seines materiellen Glücks fortnimmt. Der Gottgeweihte, der dann keine Zuflucht mehr in materiellem Glück suchen kann, beschäftigt sich völlig in reinem hingebungsvollen Dienen. Śrī Kṛṣṇa fuhr fort: »Meine liebe Rukmiṇī, beste aller Königinnen, Mir ist klar, daß du keine materiellen Wünsche hegst. Dein einziges Verlangen ist es, Mir zu dienen, und lange schon bemühst du dich mit unverfälschter Hingabe in Meinem Dienst. Beispielhaftes unverfälschtes Dienen in Hingabe kann dem Gottgeweihten nicht nur die Befreiung aus der materiellen Welt geben, sondern es erhebt ihn auch in die spirituelle Welt, so daß er ewig im hingebungsvollen Dienst tätig sein kann. Menschen, die zu sehr an materiellen Freuden haften, können Mir nicht solche Dienste darbringen. Frauen, deren Herzen verunreinigt und voll materieller Wünsche sind, ersinnen mannigfache Wege, wie sie ihre Sinne befriedigen können, während sie sich äußerlich als große Gottgeweihte geben. Meine liebe verehrte Gemahlin, obwohl Ich Tausende von Frauen habe, glaube Ich nicht, daß Mich irgendeine von ihnen mehr lieben kann als du. Der sichtbare Beweis für deine Einzigartigkeit ist, daß du Mich vor unserer Heirat noch nie gesehen hattest; du hattest nur von jemand anderem von Mir gehört, und dennoch war dein Vertrauen in Mich bereits so unerschütterlich, daß du, obwohl du unter vielen befähigten, reichen und schönen Männern des königlichen Standes wählen konntest, darauf bestandest, Mich zu heiraten. Du wiesest alle Prinzen ab, die um dich warben, und schicktest Mir einen vertraulichen Brief, der Mich einlud, dich zu entführen. Als Ich dich dann entführte, empörte sich dein älterer Bruder Rukmī heftig darüber und griff Mich an. Bei diesem Kampf besiegte Ich ihn gnadenlos und verunstaltete ihn. Als wir dann alle bei Aniruddhas Heirat Schach spielten, gab es, verursacht durch ein Wortgefecht, wieder einen Kampf mit Rukmī, bei dem Mein älterer Bruder Balarāma ihn schließlich tötete. Es überraschte Mich damals sehr, daß du nicht mit einem Wort über diesen Vorfall klagtest. Weil du befürchtetest, von Mir getrennt werden zu können, nahmst du alle Folgen, die sich aus dem Tod Rukmīs ergaben, stillschweigend hin. Durch dein großes Schweigen, Meine liebe Gemahlin, hast du Mich für alle Zeiten gewonnen; Ich unterstehe für immer deinem Willen. Damals, als du einen Boten zu Mir sandtest, der Mir vorschlagen sollte, dich zu entführen, und sich Meine Ankunft am vereinbarten Ort ein wenig verzögerte, war in deinen Augen die ganze Welt leer. Zu jener Zeit wurde dir bewußt, daß dein schöner Körper nicht dazu gemacht war, von einem anderen als Mir berührt zu werden, und weil du dachtest, Ich würde nicht kommen, entschlossest du dich, Selbstmord zu begehen und so den Körper auf der Stelle aufzugeben. Meine liebe Rukmiṇī, deine große und beispiellose Liebe zu Mir werde Ich immer in Meiner Seele bewahren. Was jedoch mich betrifft, so steht es nicht in Meiner Macht, dir deine reine Hingabe zu Mir zu vergelten.« Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, hat zweifellos mit niemandem etwas als Ehemann, Sohn oder Vater zu tun, denn Ihm gehört alles, und jeder untersteht Seiner Herrschaft. Er braucht keine fremde Hilfe, um zufrieden zu sein. Er ist ātmārāma oder in Sich Selbst zufrieden. Er kann Sich alle Freude Selbst verschaffen, ohne auf jemand anderes angewiesen zu sein. Wenn Śrī Kṛṣṇa erscheint, um die Rolle eines gewöhnlichen Menschen zu spielen, spielt Er Seine Rolle als Ehemann oder Sohn, Freund oder Feind auf höchst vollkommene Weise. Als Er somit den vollkommenen Ehemann der Königinnen, besonders Rukmiṇīs, spielte, erfreute Er Sich der innigen Liebesbeziehung in höchster Vollkommenheit. Nach vedischer Kultur ist Vielheirat erlaubt, doch darf keine der Frauen schlecht behandelt werden. Das heißt, man darf nur dann viele Frauen annehmen, wenn man imstande ist, sie als vorbildlicher Haushälter alle gleichermaßen zufriedenzustellen; andernfalls ist die Vielheirat nicht zulässig. Śrī Kṛṣṇa ist der Lehrer der Welt, und deshalb erweiterte Er Sich, obwohl Er eigentlich keine Frau benötigte, in so viele Gestalten wie Er Frauen hatte, und lebte mit ihnen als vorbildlicher Haushälter zusammen, wobei Er die regulierenden Prinzipien, Regeln und Vorschriften der vedischen Anweisungen wie auch die Gesetze und Bräuche der Gesellschaft genau befolgte. Für jede einzelne Seiner insgesamt 16108 Frauen unterhielt Er mehrere Paläste, Dienerschaften und Parks. So zeigte Sich der Herr, obwohl Er Einer ist, als 16108 vorbildliche Haushälter. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 59. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Gespräche zwischen Kṛṣṇa und Rukmiṇī«. 60. KAPITEL Kṛṣṇas Familienstammbaum Kṛṣṇa hatte 16108 Frauen, und mit jeder von ihnen zeugte Er zehn Söhne, die alle ihrem Vater an Kraft, Schönheit, Weisheit, Ruhm, Reichtum und Entsagung ebenbürtig waren. ›Wie der Vater so der Sohn.‹ Alle 16108 Frauen Kṛṣṇas waren Prinzessinnen, und als jede einzelne saḥ, daß Kṛṣṇa Sich stets in ihrem Palast aufhielt und nicht das Haus verließ, glaubten sie, Kṛṣṇa, ihr Gemahl, sei ein Pantoffelheld, der sehr an ihnen hänge. Eine jede hielt Kṛṣṇa für ihren ergebenen Gemahl, aber in Wirklichkeit hing Kṛṣṇa an keiner von ihnen. Obwohl jede dachte, sie sei Kṛṣṇas einzige Frau und Ihm überaus lieb, empfand Kṛṣṇa, da er ātmārāma, d. h. in Sich Selbst zufrieden ist, für keine von ihnen besondere Liebe oder Abscheu. Er war zu allen Frauen gleich und behandelte sie wie ein vollkommener Ehemann, nur um sie zu erfreuen. Er bedurfte nicht einer einzigen Frau, doch die Königinnen konnten, weil sie Frauen waren, die hohe Stellung Kṛṣṇas und die Wahrheiten über Ihn nicht erkennen. Alle mit Kṛṣṇa verheirateten Frauen waren außergewöhnlich schön, und jede von ihnen fühlte sich zu Kṛṣṇas lotosblütengleichen Augen hingezogen, zu Seinem schönen Gesicht, Seinen langen Armen, breiten Ohren, Seinem erfreuenden Lächeln, Seinen scherzhaften Gesprächen und Seinen süßen Worten. Bezaubert von diesen Merkmalen Kṛṣṇas, kleideten sie sich stets sehr anziehend, denn sie wollten durch ihre weibliche Schönheit Kṛṣṇas Zuneigung wecken. Sie brachten ihre weiblichen Reize zur Geltung, indem sie lächelten und ihre Augenbrauen anmutig bewegten, und so schossen sie ihre scharfen Liebespfeile auf Kṛṣṇa ab, um in Ihm lüsternes Verlangen nach ihnen zu erwecken. Trotz allem aber gelang es ihnen nicht, Kṛṣṇas Geist oder Sein Geschlechtsverlangen zu erregen. Das bedeutet, Kṛṣṇa hatte mit keiner Seiner vielen Frauen geschlechtliche Beziehungen, außer, um Kinder zu zeugen. Die Königinnen von Dvārakā, die Śrī Kṛṣṇa zum Gemahl und persönlichen Gefährten bekamen, waren wirklich vom Glück gesegnet, denn nicht einmal so hochstehende Halbgötter wie Brahmā können sich Kṛṣṇa nähern. Die Königinnen und Kṛṣṇa lebten als Mann und Frau zusammen, und als vorbildlicher Ehemann behandelte Kṛṣṇa sie auf solche Weise, daß mit jedem Augenblick die transzendentale Glückseligkeit in ihrem gegenseitigen Lächeln, ihren Gesprächen und ihrem Beisammensein zunahm. Jede der Frauen hatte Hunderte und Tausende von Dienerinnen, doch wenn Kṛṣṇa ihre Paläste betrat, pflegten sie Ihn persönlich zu empfangen, indem sie Ihm einen bequemen Sessel anboten, Ihn mit allen erforderlichen Gegenständen verehrten, Ihm persönlich die Lotosfüße wuschen, Ihm Betelnüsse darbrachten, Ihm die Beine massierten, um sie zu erfrischen, Ihm Kühlung zufächelten, Ihm verschiedene Arten von duftenden Sandelholzpasten, Ölen und Aromagewürzen boten, Ihm eine Blumengirlande um den Hals legten, Sein Haar frisierten, Ihn dazu bewegten, Sich auf ein Bett niederzulegen und Ihm beim Baden behilflich waren. So dienten sie Kṛṣṇa ständig und in jeder Hinsicht, ganz besonders aber, wenn Er speiste. Immer waren sie im Dienst des Herrn beschäftigt. Jede der 16108 Königinnen Kṛṣṇas hatte, wie bereits erwähnt, zehn Söhne, und die Namen der Söhne der ersten acht Königinnen sind uns bekannt. Die zehn Söhne Kṛṣṇas und Rukmiṇīs waren: Pradyumna, Cārudeṣṇa, Sudeṣṇa, Cārudeha, Sucāru, Cārugupta, Bhadracāru, Cārucandra, Vicāru und Cāru. Keiner von ihnen stand an guten Eigenschaften seinem göttlichen Vater Śrī Kṛṣṇa nach. Ähnlich verhielt es sich mit den zehn Söhnen Satyabhāmās. Ihre Namen lauten: Bhānu, Subhānu, Svarbhānu, Prabhānu, Bāhnumān, Candrabhānu, Bṛhadbhānu, Atibhānu, Śrībhānu und Pratibhānu. Die nächste Königin, Jāmbavatī, hatte ebenfalls zehn Söhne; sie wurden von Sāmba angeführt, und ihre Namen sind: Sāmba, Sumitra, Purujit, Śatajit, Sahasrajit, Vijaya, Citraketu, Vasumān, Dṛvaviḍa und Kratu. Den Söhnen Jāmbavatīs zeigte Sich Śrī Kṛṣṇa besonders zugetan. Die zehn Söhne, die Satyā, die Töchter König Nagnajits, Kṛṣṇa schenkte, hießen: Vīra, Candra, Aśvasena, Citragu, Vegavān, Vṛṣa, Āma, Śaṅku, Vasu und Kuntī. Von ihnen war Kuntī ganz besonders mächtig. Die Söhne Kṛṣṇas und Kālindīs waren: Śruta, Kavi, Vṛṣa, Vīra, Subāhu, Bhadra, Śānti, Darśa, Pūrṇamāsa, und der jüngste hieß Somaka. Kṛṣṇas nächste Frau, Lakṣmaṇā, die Tochter des Königs über das Gebiet Madras, schenkte Ihm die zehn Söhne: Praghoṣa, Gātravān, Siṁha, Bala, Prabala, Ūrdhvaga, Mahāśakti, Saha, Oja und Aparājita. Die zehn Söhne Mitravindās, Seiner nächsten Frau, hießen: Vṛka, Harṣa, Ānila, Gṛdhra, Vardhana, Annāda, Mahāṁsa, Pāvana, Vahni und Kṣudhi. Die Söhne schließlich, die Kṛṣṇa und Bhadra hatten, waren: Saṅgrāmajit, Bṛhatsena, Śūra, Praharaṇa, Arijit, Jaya, Subhadrā, Vāma, Āyu und Satyaka. Neben diesen acht Hauptköniginnen hatte Kṛṣṇa noch 16100 andere Frauen, und eine jede brachte zehn Söhne zur Welt. Pradyumna, Rukmiṇīs ältester Sohn, war schon von Geburt an mit Māyāvatī verheiratet, und später heiratete er zum zweitenmal, und zwar Rukmavatī, die Tochter Rukmīs, seines Onkels mütterlicherseits. Von Rukmavatī bekam Pradyumna einen Sohn, den er Aniruddha nannte. Kṛṣṇas Familie, die von Kṛṣṇa und Seinen Frauen, Söhnen, Enkeln und Urenkeln gebildet wurde, zählte insgesamt fast eine Milliarde Angehörige. Rukmī, den ältesten Bruder Rukmiṇīs, der ersten Frau Kṛṣṇas, hatte der Kampf mit Kṛṣṇa sehr mitgenommen und zutiefst gekränkt, und nur durch Rukmiṇīs Bitten war er mit dem Leben davongekommen. Seit der Zeit hegte Rukmī grundtiefen Groll gegen Kṛṣṇa und war Ihm stets feindlich gesinnt. Dennoch wurde seine Tochter mit Kṛṣṇas Sohn und seine Enkelin mit Kṛṣṇas Enkel Aniruddha verheiratet. Als Śukadeva Gosvāmī davon berichtete, erschien dies Mahārāja Parīkṣit ein wenig merkwürdig. Er sagte deshalb: »Es überrascht mich, daß Rukmī und Kṛṣṇa, die doch so erbitterte Feinde waren, durch Eheschließungen zwischen ihren Nachkommen verbunden werden konnten.« Mahārāja Parīkṣit war gespannt, das Geheimnis hinter diesem Umstand zu erfahren, und so stellte er Śukadeva einige Fragen. Da Śukadeva Gosvāmī ein wirklicher yogī war, war nichts seiner Einsicht verborgen. Ein vollkommener yogī wie er kann Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in allen Einzelheiten sehen; somit bleibt solchen yogīs oder Mystikern nichts vorenthalten. Śukadeva Gosvāmī beantwortete also Mahārāja Parīkṣits Fragen mit folgenden Erläuterungen: »Kṛṣṇas ältester Sohn Pradyumna, der von Rukmiṇī geboren wurde, war der Liebesgott selbst. Er war so außergewöhnlich schön und anziehend, daß Rukmavatī, die Tochter Rukmīs, während ihrer svayaṁvara-Zeremonie einfach niemand anderen zu ihrem Ehemann wählen konnte als Pradyumna. Sie legte deshalb Pradyumna als Geste der Entscheidung vor den Augen aller anderen eine Blumenkette um den Hals. Aus dem Kampf, der daraufhin unter den Prinzen ausbrach, ging Pradyumna siegreich hervor, und so war Rukmī verpflichtet, ihm die Hand seiner lieblichen Tochter zu geben. Obwohl in Rukmīs Herz stets der alte Haß brannte, seit Kṛṣṇa ihn durch die Entführung seiner Schwester Rukmiṇī gedemütigt hatte, konnte er, als seine Tochter Pradyumna zum Mann wählte, nicht umhin, seine Zustimmung zur Hochzeit zu geben, da er seine Schwester erfreuen wollte. Auf diese Weise wurde Pradyumna Rukmīs Neffe. Neben den bereits aufgeführten zehn Söhnen hatte Rukmiṇī auch eine hübsche Tochter mit großen Augen, die später mit Balī, dem Sohn Kṛtavarmās vermählt wurde. Obwohl Rukmī ein Erzfeind Kṛṣṇas war, empfand er auf der anderen Seite sehr viel Zuneigung zu seiner Schwester Rukmiṇī und wollte ihr somit nur Grund zur Freude geben. Als daher Rukmiṇīs Enkel Aniruddha verheiratet werden sollte, bot Rukmī Aniruddha seine Enkelin Rocanā zur Frau. Solche Heiraten zwischen Vetter und Base sind zwar nach vedischer Kultur nicht besonders gutzuheißen, doch um Rukmiṇī eine Freude zu machen, gab Rukmī seine Tochter einem Sohn Kṛṣṇas und seine Enkelin einem Enkel Kṛṣṇas zur Frau. Als dann die Heirat Aniruddhas und Rocanās ausgemacht war, verließ Aniruddha Dvārakā mit einer großen Hochzeitsgesellschaft. Sie reisten, bis sie die Stadt Bhojakaṭa erreichten, die Rukmī nach der Entführung seiner Schwester gegründet hatte. Die Hochzeitsgesellschaft wurde vom Großvater, nämlich Kṛṣṇa, angeführt und von Balarāma, von Kṛṣṇas erster Frau Rukmiṇī, von Seinem Sohn Pradyumna, von Jāmbavatīs Sohn Sāmba und vielen anderen Verwandten und Familienangehörigen begleitet. Schließlich erreichten sie Bhojakaṭa, und die Heiratszeremonie wurde in Frieden vollzogen. Der König von Kaliṅga, ein Freund Rukmīs, gab Rukmī den üblen Rat, mit Balarāma ein Spiel abzuhalten und Ihn mit einer Wette zu schlagen. Wetten und Glücksspiele, wie Schach, waren bei den kṣatriyas nicht unüblich. Wenn man einen Freund zum Schachspiel herausforderte, durfte er die Herausforderung nicht zurückweisen. Śrī Balarāmajī nun war kein sehr erfahrener Schachspieler, und das war dem König von Kaliṅga bekannt. Daher riet er Rukmī, sich an Kṛṣṇas Familienangehörigen zu rächen, indem er Balarāma zum Schachspiel herausforderte. Śrī Balarāmajī war, obwohl Er kein sehr guter Schachspieler war, doch stets zu Wettkämpfen aufgelegt. Er nahm also die Herausforderung Rukmīs an und setzte Sich mit ihm zum Spiel nieder. Gewettet wurde um Goldmünzen, und Balarāma forderte Seinen Gegner zuerst mit 100 Münzen, dann mit 1000 und schließlich mit 10000 Münzen heraus. Doch jedesmal verlor Balarāma, während Rukmī gewann. Śrī Balarāmas Niederlagen waren dem König von Kaliṅga eine Gelegenheit, Kṛṣṇa und Balarāma zu schmähen. Der König machte sich über Balarāma lustig, wobei er absichtlich seine Zähne sehen ließ. Weil Balarāma der Verlierer des Spieles war, war Er über die sarkastischen Worte des Königs ein wenig ungehalten. In Seiner Erregung wagte Balarāma, als Rukmī Ihn erneut herausforderte, einen Einsatz von 100000 Goldmünzen. Zum Glück siegte Er diesmal. Doch obwohl Balarāmajī gewonnen hatte, behauptete Rukmī in seiner Niedertracht, Balarāma sei der Verlierer, und er selbst habe gewonnen. Diese Lüge machte Balarāma sehr zornig. Seine Erregung war so unvermittelt und heftig, daß sie einer Sturmwoge im Ozean an einem Vollmondtag glich. Śrī Balarāmas Augen sind bereits von Natur aus rötlich, doch als Er so zornig und aufgebracht wurde, nahmen sie an Röte noch zu. Diesmal forderte Er Seinerseits Rukmī mit einem Einsatz von 100 Millionen Münzen heraus. Wieder war Balarāma nach den Regeln des Schachspiels der Sieger, doch Rukmī behauptete abermals auf schlaue Weise, er habe gewonnen. Rukmī wandte sich dabei an die anwesenden Prinzen und berief sich insbesondere auf das Wort König Kaliṅgas. Da ertönte eine Stimme aus der Luft, die verkündete, daß Balarāma, der wirkliche Gewinner des Spiels, betrogen werde, und daß, um aller Ehre willen, Rukmīs Behauptung, er selbst habe gewonnen, absolut falsch sei. Trotz dieser göttlichen Stimme aber bestand Rukmī darauf, daß Balarāma verloren habe, und in seinem Starrsinn schien ihm der Tod über dem Haupt zu schweben. Durch den schlechten Ratschlag seines Freundes fälschlich hochmütig geworden, maß er dem Orakel nicht viel Bedeutung bei und begann, Balarāmajī zu schmähen. »Mein lieber Balarāmajī«, sagte er, »Ihr beiden Brüder, Kuhhirtenjungen nur, mögt vielleicht sehr erfahren im Hüten der Kühe sein, doch wie solltet Ihr zum Schachspiel oder zum Bogenkampf auf dem Schlachtfeld fähig sein? Diese Künste sind nur dem Prinzenstand bekannt.« Als Śrī Balarāma Rukmīs stichelnde Worte und das schallende Gelächter der anwesenden Prinzen vernahm, wurde Er wild wie brennender Zunder. Augenblicklich nahm Er Seine Keule und schlug Rukmī, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, auf den Kopf. Von diesem einen Schlag brach dieser auf der Stelle zusammen, und es war mit ihm aus und vorbei. So wurde Rukmī bei einem so glückverheißenden Ereignis, wie es Aniruddhas Heirat war, getötet. Vorfälle solcher Art sind bei den kṣatriyas durchaus nichts Ungewöhnliches, und der König von Kaliṅga versuchte, weil er Angst hatte, es würde ihm als nächstem zu Leibe gehen, von dem Schauplatz zu fliehen. Doch bevor er auch nur ein paar Schritte weit kommen konnte, ergriff Balarāma ihn auch schon, und weil der König seine Zähne gezeigt hatte, als er Kṛṣṇa und Ihn beschimpft hatte, schlug Balarāma ihm mit der Keule alle Zähne aus. Die Prinzen, die auf der Seite des Königs von Kaliṅga und Rukmīs gewesen waren, fing Balarāma ebenfalls ein und schlug sie so sehr mit Seiner Keule, daß Er ihnen die Beine und Arme brach. Die Prinzen versuchten nicht, sich zu rächen, sondern hielten es für das klügste, den Ort des blutigen Geschehens eilends zu verlassen. Während der ganzen Auseinandersetzung zwischen Balarāma und Rukmī sagte Kṛṣṇa nicht ein Wort, denn Er wußte, daß, wenn Er Balarāma beistünde, Rukmiṇī unglücklich wäre, und daß, wenn Er sagen würde, es sei Unrecht, Rukmī zu töten, Balarāma unglücklich wäre. Daher schwieg Śrī Kṛṣṇa zum Tod Seines Schwagers Rukmī während der Heirat Seines Enkels. So beeinträchtigte Er weder Seine zuneigungsvolle Beziehung zu Balarāma noch die zu Rukmiṇī. Als alles vorüber war, wurden die Braut und der Bräutigam feierlich zu ihrem Wagen geleitet, mit dem sie sich in Begleitung der Bräutigamfamilie nach Dvārakā begaben. Die Hochzeitsgesellschaft wurde die ganze Zeit von Kṛṣṇa, dem Vernichter des Madhu-Dämonen, beschützt. So verließen sie Rukmīs Königreich Bhojakaṭa und zogen frohen Mutes nach Dvārakā.« Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedāntas zum 60. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇas Familienstammbaum«. 61. KAPITEL Die Begegnung Uṣās mit Aniruddha Die Begegnung Uṣās mit Aniruddha, die die Ursache für einen schweren Kampf zwischen Śrī Kṛṣṇa und Śiva war, ist sehr geheimnisvoll und fesselnd. Mahārāja Parīkṣit war gespannt, von Śukadeva Gosvāmī die ganze Geschichte zu erfahren, und so erzählte Śukadeva sie. »Mein lieber König«, sagte er, »sicherlich hast du schon einmal von König Bali gehört. König Bali war ein großer Gottgeweihter, der alles, was er besaß, nämlich die ganze Welt, Vāmana gab, der Inkarnation Viṣṇus als brāhmaṇa von Zwerggestalt. König Bali hatte hundert Söhne, und der älteste von ihnen war Bāṇāsura. Der große Held Bāṇāsura, der als Sohn Mahārāja Balis geboren wurde, war ein großer Geweihter Śivas und stets bereit, ihm zu dienen. Wegen seiner Hingabe erlangte er eine hohe Stellung in der Gesellschaft und wurde in jeder Hinsicht geehrt. Im Grund war er überaus intelligent und freigiebig, und all seine Taten sind rühmenswert, denn niemals brach er sein Versprechen oder sein Ehrenwort; er war sehr ehrlich und hielt sich strikt an seine Gelübde. Zu jener Zeit herrschte er über die Stadt Śonitapura. Durch Śivas Gnade hatte Bāṇāsura tausend Arme und wurde so mächtig, daß ihm selbst Halbgötter wie Indra als gehorsame Diener ergeben waren. Als Śiva vor langer Zeit seinen berühmten Tanz, den tāṇḍava-nṛtya, vollführte, für den er auch als Naṭarāja bekannt ist, begleitete Bāṇāsura ihn im Rhythmus dazu mit vielen Trommeln, auf denen er mit seinen tausend Händen spielte. Śiva wird auch Āśutoṣa genannt, was soviel bedeutet wie »sehr schnell zufrieden«, und tatsächlich ist er seinen Geweihten sehr zugetan. Diejenigen, die bei ihm Zuflucht suchen, werden fürsorglich von ihm beschützt, und er ist der Meister aller Lebewesen in der materiellen Welt. Weil er damals mit Bāṇāsura sehr zufrieden war, versprach er ihm: ›Du kannst von mir haben, was immer du begehrst, denn ich bin überaus zufrieden mit dir.‹ Bāṇāsura entgegnete: ›Mein lieber Herr, wenn es dir gefällt, bleibe bitte in meiner Stadt und beschütze mich vor meinen Feinden.‹ Eines Tages kam Bāṇāsura zu Śiva, um ihm seine Achtung zu erweisen. Er berührte mit dem Helm, der wie die Sonne glänzte, Śivas Lotosfüße, und während er ihm seine Ehrerbietungen darbrachte, sagte er: ›Mein lieber Herr, jeder, dessen Wünsche noch unerfüllt geblieben sind, kann ihre Erfüllung finden, wenn er Zuflucht bei deinen Lotosfüßen sucht, die wie die Wunschbäume sind, von denen man sich alles nehmen kann, was man begehrt. Lieber Herr, du hast mir eintausend Arme gegeben, doch nun weiß ich nicht, was ich mit ihnen anfangen soll. Bitte verzeih mir, aber nie kann ich sie in einem richtigen Kampf einsetzen. Es ist mir unmöglich, jemanden zu finden, der imstande wäre, mit mir zu kämpfen, außer dir, dem ursprünglichen Vater der materiellen Welt. Manchmal verspüre ich ein starkes Verlangen danach, mit meinen Armen zu kämpfen, und dann suche ich nach einem mir ebenbürtigen Krieger. Doch leider flieht jeder vor mir, weil er meine außerordentliche Stärke kennt. Da es mir nicht gelingt, einen Gegner zu finden, befriedige ich das Verlangen meiner Arme dadurch, daß ich auf die Berge einschlage. Auf diese Weise habe ich schon viele Berge zerschmettert.‹ Śiva erkannte, daß seine Segnung Bāṇāsura Sorge bereitete, und so sprach er: ›Du Schurke! Es gelüstet dich danach zu kämpfen, und weil du keinen Gegner hast, bist du sehr bekümmert. Du denkst zwar, es gebe niemanden außer mir auf der Welt, der sich mit dir messen könne, doch ich sage dir, daß du zu gegebener Zeit einen geeigneten Gegner finden wirst. Dann sind deine Tage gezählt, und du wirst erleben, wie dein falscher Geltungsdrang in Grund und Boden geschmettert wird!‹ Nachdem Bāṇāsura Śivas Worte vernommen hatte, wurde er erst recht seiner Macht wegen eingebildet. Es begeisterte ihn, daß er jemanden treffen würde, der imstande war, ihn in Grund und Boden zu schmettern. Freudig kehrte er in seinen Palast zurück und sah nur noch dem Tag entgegen, an dem sein ebenbürtiger Gegner kommen und seine Stärke niederringen würde. Ein solch törichter Dämon war er. Dies bestätigt, daß törichte dämonische Menschen, wenn sie durch materielle Güter übermäßig mächtig werden, ihre Füllen zur Schau stellen wollen und, wenn diese Güter sich erschöpfen, Befriedigung darüber empfinden. Der Grund hierfür ist stets, daß sie nicht wissen, wie sie ihre Energie richtig verwenden sollen, da sie nicht den Nutzen des Kṛṣṇa-Bewußtseins kennen. Im Grunde gibt es nur zwei Arten von Menschen: die einen sind Kṛṣṇa-bewußt, und die anderen sind nicht Kṛṣṇa-bewußt. Die nicht Kṛṣṇa-bewußten Menschen sind für gewöhnlich den Halbgöttern ergeben, wohingegen die Kṛṣṇa-bewußten Menschen dem Höchsten Persönlichen Gott hingegeben sind. Kṛṣṇa-bewußte Menschen verwenden alles im Dienst des Herrn. Die nicht Kṛṣṇa-bewußten Menschen dagegen verwenden alles für die Befriedigung der Sinne, und Bāṇāsura ist ein vollkommenes Beispiel für eine solche Person. Er begehrte sehr danach, seine außerordentliche Kampfkraft zu seiner eigenen Befriedigung zu gebrauchen. Und weil er keinen Gegner finden konnte, schlug er mit seinen mächtigen Fäusten gegen die Berge und schmetterte sie so in Stücke. Im Gegensatz zu ihm verwendete Arjuna, der ebenfalls ungewöhnlich stark war, seine Kräfte ausschließlich für Kṛṣṇa. Bāṇāsura hatte eine überaus schöne Tochter mit Namen Uṣā. Als diese ins heiratsfähige Alter kam, träumte ihr eines Nachts, als sie mit ihren vielen Freundinnen im Schlaf lag, Aniruddha sei an ihrer Seite und sie erfreue sich mit ihm einer ehelichen Beziehung, und das, obwohl sie ihn niemals zuvor gesehen, noch von ihm gehört hatte. Sie erwachte aus ihrem Traum, indem sie laut ausrief: ›Mein Liebster, wo bist du?‹ Auf diese Weise vor ihren Freundinnen bloßgestellt, fühlte sie sich ein wenig beschämt. Eine von Uṣās Freundinnen war Citralekhā, die Tochter des ersten Ministers in Bāṇāsuras Reich. Die beiden Mädchen waren enge Freundinnen, und so fragte Citralekhā Uṣā aus großer Neugier: ›Meine liebe, schöne Prinzessin, bis jetzt bist du noch nicht verheiratet, noch hast du jemals einen Jüngling zu Gesicht bekommen; daher wundert es mich, daß du so etwas rufen konntest. Nach wem sehnst du dich? Wer ist dein Auserwählter?‹ Uṣā erwiderte auf Citralekhās Fragen: ›Meine liebe Freundin, ich sah im Traum einen stattlichen Jüngling, der sehr, sehr schön war. Seine Hautfarbe ist blauschwarz; seine Augen gleichen Lotosblüten, und er trägt gelbe Gewänder. Seine Arme sind sehr lang, und sein ganzes Äußeres ist so wunderbar, daß sich jedes junge Mädchen zu ihm hingezogen fühlen würde. Es macht mich sehr stolz, sagen zu können, daß dieser wunderschöne Jüngling mich küßte, und ich genoß selig den Nektar seiner Küsse. Doch ich muß dir leider berichten, daß er kurz darauf wieder verschwand, und daß ich nun in den Strudel der Enttäuschung geworfen bin. Meine liebe Freundin, mich verlangt es sehr danach, den wunderbaren Jüngling, den ersehnten Herrn meines Herzens, wiederzusehen.‹ Nachdem Citralekhā Uṣās Worte gehört hatte, sprach sie sogleich: ›Ich kann deinen Kummer verstehen, und ich versichere dir, wenn es diesen Jungen irgendwo in den drei Welten, auf den oberen, mittleren oder niederen Planetensystemen gibt, werde ich ihn finden, um dich zufriedenzustellen. Wenn du ihn nur von deinem Traum her wiedererkennen kannst, werde ich dir inneren Frieden geben. Doch nun will ich einige Bilder malen, die du genau studieren sollst, und sowie du darunter das Bild deines ersehnten Gatten findest, sage es mir bitte. Wo er auch sein mag, ich kenne die Kunst, ihn hierher zu bringen. Sowie du ihn wiedererkennst, werde ich für alles weitere sorgen.‹ Noch während Citralekhā sprach, begann sie viele Bilder von den Halbgöttern, die die höheren Planetensysteme bewohnen, zu malen. Dann zeichnete sie Bilder von Gandharvas, Siddhas, Cāraṇas, Pannagas, Daityas, Vidyādharas und Yakṣas wie auch von vielen Menschen. [* Die Aussagen des Śrīmad-Bhāgavatam und anderer vedischer Schriften beweisen eindeutig, daß es auf jedem einzelnen Planeten Lebewesen in vielfältigen Lebensformen gibt. Deshalb ist es unsinnig zu behaupten, es existierten keine anderen Lebewesen als die auf der Erde.*] So stellte Citralekhā also viele Bilder her, und als sie zu den Menschen kam, malte sie schließlich auch die Angehörigen der Vṛṣṇi-Dynastie wie Kṛṣṇas Vater, Vasudeva, Kṛṣṇas Großvater, Śūrasena, Śrī Balarāmajī, Śrī Kṛṣṇa und viele andere. Als Uṣā das Bild Pradyumnas sah, wurde sie ein wenig verlegen, doch als sie dann das Bild Aniruddhas erblickte, wurde sie so verlegen, daß sie den Kopf senkte und lächelte, da sie den Mann ihrer Sehnsucht gefunden hatte. Sie sagte Citralekhā, daß sie den Jüngling auf dem Bild als den Mann wiedererkenne, der ihr Herz gestohlen habe. Citralekhā war eine große Mystik-yoginī, und sowie Uṣā den Jüngling auf dem Bild wiedererkannte, wußte sie sofort, daß es sich um Aniruddha, einen Enkel Kṛṣṇas, handelte, obwohl keine von beiden ihn bis dahin gesehen oder seinen Namen gekannt hatte. Noch in der gleichen Nacht reiste Citralekhā durch den Weltraum und erreichte nach kurzer Zeit die Stadt Dvārakā, die unter Kṛṣṇas fürsorglichem Schutz stand. Sie betrat den Palast und fand Aniruddha schließlich in seinem Schlafgemach auf einem prunkvollen Bett ruhen. Durch ihre mystische Kraft brachte sie Aniruddha in seinem schlafenden Zustand unverzüglich nach Śonitapura, damit Uṣā ihren ersehnten Gemahl sehen könne. Uṣā blühte vor Glück auf, als sie Aniruddha sah, und erfreute sich selig seiner Gesellschaft. Der Palast, in dem Uṣā und Citralekhā lebten, war so gut befestigt, daß es keinem männlichen Wesen möglich war, einzudringen oder hineinzusehen. In diesem Palast lebte Uṣā zusammen mit Aniruddha, und von Tag zu Tag wuchs Uṣās Liebe zu Aniruddha um ein sechzehnfaches an. Uṣā machte Aniruddha mit ihren Kleidern, Blumen, Girlanden, Duftölen und Räucherkerzen viel Freude. Neben seinem Sitzbett standen vielerlei angenehme Dinge, köstliche Getränke wie Milch und Fruchtnektar und wohlschmeckende Zubereitungen zum Kauen oder Schlucken. Darüber hinaus erfreute Uṣā ihn mit süßen Worten und zuvorkommenden Diensten. Aniruddha wurde von Uṣā verehrt, als sei er der Höchste Persönliche Gott. Durch ihren vorzüglichen Dienst ließ sie Aniruddha alles andere vergessen, und es gelang ihr, seine Aufmerksamkeit und Liebe ohne Abweichung auf sich zu ziehen. In dieser Stimmung der Liebe und des Umsorgtwerdens vergaß sich Aniruddha nahezu und konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie viele Tage er schon von seinem eigentlichen Zuhause entfernt war. Nach einiger Zeit zeigte Uṣās Körper Merkmale, an denen man sehen konnte, daß sie mit einem männlichen Wesen verkehrte. Diese Merkmale waren so eindeutig, daß ihr Geheimnis niemandem mehr verborgen bleiben konnte. Uṣā war in Aniruddhas Gesellschaft immer ausgelassen, und sie kannte nicht die Grenzen ihres Glücks. Der Hofmeister und die Wächter des Palastes konnten ohne Mühe erkennen, daß Uṣā ein Verhältnis mit einem Mann hatte, und ohne weitere Entwicklung abzuwarten, benachrichtigten sie ihren Meister, Bāṇāsura. Wenn ein unverheiratetes Mädchen Verkehr mit einem Mann hat, ist dies nach vedischer Kultur die größte Schande für die Familie, und deshalb berichteten die Wächter ihrem Meister gewissenhaft, daß Uṣā Merkmale zeige, die eindeutig darauf schließen ließen, daß sie eine entehrende Beziehung unterhalte. Die Diener versicherten ihrem Herrn, daß sie sich bei der Bewachung des Palastes nicht die kleinste Nachlässigkeit erlaubt, sondern Tag und Nacht genau achtgegeben hätten, daß kein Jüngling eindringe. Sie seien so vorsichtig gewesen, daß ein Mann nicht einmal habe sehen können, was im Palast vor sich ging, und so wunderte es sie sehr, daß Uṣā verunreinigt sei. Weil sie den Grund dafür nicht hätten ermitteln können, berichteten sie nun die ganze Angelegenheit ihrem Herrn. Bāṇāsura war außer sich, als er erfuhr, daß seine Tochter Uṣā keine Jungfrau mehr war. Die Neuigkeit ging ihm schwer zu Herzen, und unverzüglich eilte er zu Uṣās Gemach. Dort sah er Uṣā und Aniruddha beisammensitzen und sich unterhalten. Sie sahen zusammen sehr schön aus, da Aniruddha der Sohn Pradyumnas, des Liebesgottes, war. Obwohl auch Bāṇāsura bemerkte, daß Uṣā und Aniruddha ein wunderbares Paar ergaben, war er ganz und gar gegen ihre Verbindung, denn er dachte an seine Familienehre. Er wußte zwar nicht, wer der Junge war, aber er gestand sich, daß Uṣā niemanden innerhalb der drei Welten hätte wählen können, der schöner gewesen wäre. Aniruddhas Haut war strahlend und schwarzblau; er trug gelbe Gewänder und hatte Augen wie Lotosblüten. Seine Arme waren sehr lang, und sein Haupt zierten hübsche, fast blaue Locken. Die hellen Strahlen von seinen funkelnden Ohrringen und das schöne Lächeln auf seinen Lippen waren ohne Zweifel betörend. Trotz allem war Bāṇāsura zornig. Als Bāṇāsura Aniruddha erblickte, spielte dieser gerade mit Uṣā. Aniruddha war prächtig gekleidet, und Uṣā hatte ihn mit einer Girlande aus vielen schönen Blumen umkränzt. Rotes kuṅkuma-Puder, das sich die Frauen auf ihre Brüste tun, war in vielen Tupfern auf Aniruddhas Blumengirlande zu sehen, was verriet, daß Uṣā ihn umarmt hatte. Bāṇāsura konnte es nicht fassen, daß Aniruddha trotz seiner Gegenwart gelassen vor Uṣā sitzen blieb. Doch Aniruddha wußte durchaus, daß sein vermutlicher Schwiegervater überhaupt nicht erfreut war und aus dem ganzen Palast Soldaten zusammenrief, um ihn anzugreifen. Weil er keine andere Waffe finden konnte, ergriff er eine mächtige Eisenstange und stellte sich vor Bāṇāsura und seine Soldaten. Er nahm eine entschlossene Haltung an, durch die er andeutete, daß er, wenn man ihn angriffe, alle Soldaten mit der Eisenstange zu Boden schlagen würde. Bāṇāsura und sein Soldatengefolge sahen den Jungen wie den Herrn des Todes mit seinem unbezwingbaren Stab vor sich stehen. Auf Bāṇāsuras Befehl hin versuchten die Soldaten von allen Seiten, ihn zu packen und gefangenzunehmen; doch sowie sie es wagten, Aniruddha nahe zu kommen, schlug dieser mit der Stange auf sie ein und brach ihnen Köpfe, Beine, Arme und Schenkel, so daß sie einer nach dem anderen zu Boden stürzten. Er tötete sie wie der Führer eines Falkenschwarms bellende Hunde tötet. Auf diese Weise gelang es Aniruddha, aus dem Palast zu entkommen. Bāṇāsura kannte jedoch viele Kampfkünste, und durch eine Segnung Śivas wußte er auch, wie man den Gegner mit einer nāgapāśa, einer Schlangenfalle, bestehend aus einer Schlinge, fangen kann. Daher wurde Aniruddha, als er aus dem Palast trat, mit dieser Falle gefangen. Als Uṣā erfuhr, daß ihr Vater Aniruddha ergriffen habe, wurde sie von Kummer und Bestürzung überwältigt. Tränen schossen ihr in die Augen, und außerstande, sich zu beherrschen, begann sie laut zu weinen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 61. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Begegnung Uṣās mit Aniruddha«. 62. KAPITEL Kṛṣṇa kämpft mit Bāṇāsura Als die vier Monate der Regenzeit verstrichen waren und Aniruddha immer noch nicht nach Hause zurückgekehrt war, gerieten die Mitglieder der Yadu-Dynastie in große Sorge. Sie konnten sich nicht erklären, wo der Junge geblieben war. Glücklicherweise kam eines Tages der große Weise Nārada Muni zu ihnen und verriet der Familie, wie Aniruddha aus dem Palast verschwunden war. Er berichtete ihnen, wie Aniruddha nach Śonitapura, der Hauptstadt von Bāṇāsuras Königreich, gebracht worden war, und wie Bāṇāsura ihn später mit der nāgapāśa fing, nachdem Aniruddha seine Soldaten besiegt hatte. Nārada berichtete dies in allen Einzelheiten, und so erfuhr man alles, was geschehen war. Daraufhin trafen die Angehörigen der Yadu-Dynastie, die alle große Zuneigung zu Kṛṣṇa empfanden, Vorbereitungen, die Stadt Śonitapura anzugreifen. So gut wie alle Führer der Familie, auch Pradyumna, Sātyaki, Gada, Sāmba, Sāraṇa, Nanda, Upananda und Bhadra, schlossen sich zusammen und stellten achtzehn akṣauhiṇī-Kampfeinheiten in Heeren auf. Dann zogen sie alle nach Śonitapura und umzingelten die Stadt mit Soldaten, Elefanten, Pferden und Streitwagen. Bald wurde Bāṇāsura gemeldet, daß die Soldaten der Yadu-Dynastie seine Stadt bestürmten und schon einige Wälle, Tore und umliegende Parks niederrissen, worauf er sehr zornig wurde und seinen Soldaten, die von ähnlichem Schlag waren wie er, befahl, auszurücken und dem Feind entgegenzutreten. Śiva war zu Bāṇāsura so gütig, daß er persönlich herbeikam und, unterstützt von seinen heldenhaften Söhnen Kārttikeya und Gaṇapati, als Oberbefehlshaber der Streitkräfte Bāṇāsuras kämpfte. Vom Rücken seines Lieblingstiers Nandīśvara aus führte Śiva den Kampf gegen Śrī Kṛṣṇa und Balarāma. Wir können uns kaum vorstellen, wie wild der Kampf war – Śiva und seine kühnen Söhne auf der einen Seite und Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, mit Seinem älteren Bruder Śrī Balarāmajī auf der anderen. Die Schlacht entbrannte so heftig, daß diejenigen, die sie sahen, von Entsetzen ergriffen wurden, so daß ihnen die Haare am Körper zu Berge standen. Śiva kämpfte direkt mit Kṛṣṇa; Pradyumna geriet an Kārttikeya, und Śrī Balarāma kämpfte mit Bāṇāsuras Heerführer Kumbhāṇḍa, der von Kūpakarṇa Beistand erhielt. Sāmba, der Sohn Kṛṣṇas, nahm den Kampf gegen Bāṇāsuras Sohn auf, und Bāṇāsura kämpfte mit Sātyaki, dem Oberbefehlshaber der Yadu-Dynastie. So waren die Kräfte im Kampf verteilt. Die Nachricht von der Schlacht verbreitete sich durch das ganze Universum. Halbgötter von den höheren Planetensystemen, wie Brahmā, große Heilige und Weise, Siddhas, Cāranas und Gandharvas, schwebten, da sie äußerst begierig waren, dem Kampf zwischen Śiva und Kṛṣṇa und ihren Anhängern zuzusehen, in ihren Luftfahrzeugen über dem Schlachtfeld. Śiva ist auch als der bhūta-nātha bekannt, da ihm stets verschiedene Arten mächtiger Geister und Bewohner des Infernos folgen wie bhūta, preta, pramatha, guhyaka, ḍākinī, piśāca, kūṣmāṇḍa, vetāla, vināyaka und brahma-rākṣasa. [* Von allen Geistern sind die brahma-rākṣasa besonders mächtig. Es sind brāhmaṇas, die die Körper von Geistern annehmen mußten.*] Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, verjagte ohne weiteres alle Geister vom Schlachtfeld, indem Er ihnen mit Seinem berühmten Bogen Śārṅgadhanu zusetzte. Śiva begann darauf, seine wirksamsten Waffen gegen den Höchsten Persönlichen Gott einzusetzen, doch Śrī Kṛṣṇa wehrte sie alle mühelos mit Gegenwaffen ab. Der brahmāstra z. B., die der Atombombe ähnelt, begegnete Er mit einer anderen brahmāstra und einer Windwaffe mit einer Bergwaffe. Das heißt, als Śiva eine Waffe abschoß, die einen heftigen Wirbelsturm auf dem Schlachtfeld hervorrief, setzte Śrī Kṛṣṇa ihr genau das entgegengesetzte Element entgegen, nämlich eine Bergwaffe, die den Wirbelsturm augenblicklich aufhielt. Und als Śiva mit seiner nächsten Waffe ein vernichtendes Feuer entfachte, macht Kṛṣṇa es mit Regengüssen unschädlich. Als sich Śiva schließlich seiner persönlichen Waffe, der pāśupata-śastra, bediente, vernichtete Kṛṣṇa sie auf der Stelle mit Seiner nārāyaṇa-śastra. Inzwischen war Śiva durch den Kampf mit Kṛṣṇa in Wut geraten, so daß Kṛṣṇa die Gelegenheit wahrnahm, Seine Gähnwaffe abzuschießen. Diese Waffe macht die Gegner so müde, daß sie aufhören zu kämpfen und anfangen zu gähnen. Tatsächlich wurde Śiva so müde, daß er darauf verzichtete, weiterzukämpfen und zu gähnen begann. Daher konnte Kṛṣṇa nun seine Aufmerksamkeit von Śiva abwenden und auf Bāṇāsuras Angriffe richten, indem Er Sich erst einmal daran machte, dessen Soldaten mit Schwertern und Keulen zu töten. An anderer Stelle kämpfte Śrī Kṛṣṇas Sohn Pradyumna erbittert mit Kārttikeya, dem Oberbefehlshaber der Halbgötter. Dabei wurde Kārttikeya so zugesetzt, daß er schließlich aus vielen Wunden blutete. In diesem Zustand verließ er das Schlachtfeld und flog, ohne weiterzukämpfen, auf dem Rücken seines Pfaus davon. Daraufhin zerschmetterte Śrī Balarāma Bāṇāsuras Oberbefehlshaber Kumbhāṇḍa mit einigen Schlägen Seiner Keule. Kūpakarṇa wurde so schwer verwundet, daß er mit Kumbhāṇda auf dem Schlachtfeld fiel, wobei Kumbhāṇda besonders übel zugerichtet wurde. Nunmehr führerlos verloren sich Bāṇāsuras Soldaten in alle Richtungen. Als Bāṇāsura erkannte, daß seine Soldaten und Befehlshaber geschlagen waren, steigerte sich seine Wut nur noch mehr. Er hielt es für klug, vom Kampf mit Sātyaki, dem Oberbefehlshaber Kṛṣṇas, abzulassen und statt dessen Śrī Kṛṣṇa direkt anzugreifen. Nun hatte er endlich Gelegenheit, von seinen tausend Händen Gebrauch zu machen: Er stürzte auf Kṛṣṇa zu und schoß gleichzeitig 2000 Pfeile von 500 Bogen ab. Ein solcher Narr kann Kṛṣṇas Stärke niemals ermessen. Kṛṣṇa indessen schoß sogleich, ohne jede Schwierigkeit, jeden Bogen Bāṇāsuras in zwei Hälften, und um ihn nicht noch näher herankommen zu lassen, streckte Er seine Pferde nieder, worauf auch sein Streitwagen in Stücke brach. Nach dieser Tat blies Kṛṣṇa in Sein Muschelhorn Pāñcajanya. Es lebte damals eine Halbgöttin namens Koṭarā, die von Bāṇāsura stets verehrt worden war, weshalb zwischen ihnen eine Beziehung wie zwischen Mutter und Sohn bestand. Mutter Kotarā ging es sehr nahe, daß Bāṇāsuras Leben in Gefahr war, und so erschien sie plötzlich auf dem Kampfplatz und zeigte sich nackt und mit gelöstem Haar vor Kṛṣṇa. Śrī Kṛṣṇa war der Anblick der nackten Frau nicht angenehm, und um sie nicht sehen zu müssen, wandte Er das Gesicht ab. Bāṇāsura nutzte sofort die Gelegenheit, um Kṛṣṇas Angriff zu entgehen, und verließ das Schlachtfeld. Alle seine Bogensehnen waren durchtrennt, und er hatte keinen einzigen Wagen oder Wagenlenker mehr; es blieb ihm also nichts anderes übrig, als in die Stadt zurückzukehren. Alles hatte er in der Schlacht verloren. Weil Kṛṣṇas Pfeile ihnen schwer zu schaffen machten, verließen schließlich auch die letzten der Gesellen Śivas, die Kobolde und geisterhaften bhūtas, pretas und kṣatriyas, das Schlachtfeld. Da griff Śiva zu seinem letzten Mittel. Er schleuderte seine tödliche Waffe, den Śivajvara, der durch ungeheure Hitze alles vernichtet. Es heißt, daß die Sonne am Ende der Schöpfung zwölfmal so heiß wird wie gewöhnlich. Diese zwölfmal so heiße Temperatur bezeichnet man als Śivajvara. Der Śivajvara in Person, der von Śiva losgelassen wurde, hatte drei Köpfe und drei Beine. Als er auf Kṛṣṇa zukam, schien er alles in seiner Umgebung zu Asche zu verbrennen. Er war so mächtig, daß er auf allen Seiten ein loderndes Feuer entfachte, und Kṛṣṇa bemerkte, daß er geradewegs auf Ihn zukam. So wie es eine Śivajvara-Waffe gibt, gibt es auch eine Nārāyaṇajvara-Waffe. Der Nārāyaṇajvara zeichnet sich durch ungeheure Kälte aus. Wenn es außergewöhnlich heiß ist, kann man dies meist noch irgendwie aushalten, doch bei außerordentlicher Kälte erliegt alles. Dies kann man ganz praktisch bei einem Sterbenden beobachten. Zur Zeit des Todes steigt die Körpertemperatur zuerst auf 41° C an, doch dann bricht plötzlich der ganze Organismus zusammen, und der Körper wird wie Eis. Um der sengenden Hitze des Śivajvara entgegenzuwirken, gab es keine andere Waffe als den Nārāyaṇajvara. Als Kṛṣṇa also sah, daß Śiva den Śivajvara losgelassen hatte, blieb Ihm keine andere Wahl, als den Nārāyaṇajvara zu schleudern. Śrī Kṛṣṇa ist der ursprüngliche Nārāyaṇa und als solcher der Gebieter des Nārāyaṇajvara. Sowie der Nārāyaṇajvara abgeschossen war, begann ein heftiger Kampf zwischen den beiden jvaras. Wenn äußerste Hitze auf äußerste Kälte trifft, ist es ganz natürlich, daß sich die Hitze allmählich verringert und dies trat auch in dem Kampf zwischen dem Śivajvara und den Nārāyaṇajvara ein. Allmählich schwand die Hitze des Śivajvara, so daß er schließlich Śiva um Hilfe anflehte. Doch Śiva konnte ihm in der Gegenwart des Nārāyaṇajvara auch nicht helfen. Nun, da der Śivajvara keine Hilfe von Śiva erhoffen konnte, erkannte er, daß es für ihn keinen anderen Ausweg gab, als sich Nārāyaṇa, Śrī Kṛṣṇa Selbst, zu ergeben. Śiva, der größte der Halbgötter, war unfähig, ihm zu helfen, ganz zu schweigen von den unbedeutenden Halbgöttern, und so ergab sich der Śivajvara schließlich Kṛṣṇa, indem er sich vor Ihm verneigte und Ihm ein Gebet darbrachte, damit der Herr besänftigt sei und ihm Schutz gewähre. Der Kampf zwischen Śivas und Kṛṣṇas letzten Waffen bestätigt, daß jemand, der von Kṛṣṇa beschützt wird, von niemandem getötet werden kann, doch daß jemand, dem Kṛṣṇa keinen Schutz gewährt, von niemandem gerettet werden kann. Śiva wird Mahādeva, der größte aller Halbgötter, genannt; manchmal aber wird auch Brahmā als der größte aller Halbgötter bezeichnet, denn er kann erschaffen, wohingegen Śiva Brahmās Schöpfungen nur vernichten kann. Sowohl Brahmā als auch Śiva können jeweils nur in einer Weise handeln. Brahmā kann erschaffen, und Śiva kann vernichten, aber keiner von beiden kann erhalten. Śrī Viṣṇu dagegen erhält nicht nur, sondern erschafft und vernichtet auch. Im Grunde genommen wird die Schöpfung nämlich nicht von Brahmā bewirkt, denn Brahmā selbst wird von Viṣṇu erschaffen. Śiva wiederum ist von Brahmā geschaffen und geboren. Daher erkannte auch der Śivajvara schließlich, daß niemand außer Kṛṣṇa oder Nārāyaṇa ihm helfen konnte. Zu Recht suchte er deshalb Zuflucht bei Śrī Kṛṣṇa und begann mit gefalteten Händen zum Herrn zu beten: »Mein lieber Herr, ich bringe Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar, denn Du besitzt unbegrenzte Energien. Niemand kann Dich an Kräften überragen, und deshalb bist Du der Herr eines jeden. Im allgemeinen halten die Menschen Śiva für die mächtigste Persönlichkeit in der materiellen Welt, doch Śiva ist nicht allmächtig; Du bist allmächtig, das ist eine Tatsache. Du bist das ursprüngliche Bewußtsein oder Wissen. Ohne Wissen oder Bewußtsein kann nichts Macht haben. Ein materielles Objekt mag noch so mächtig sein, doch ohne die Berührung von Bewußtsein und Wissen kann es nichts ausrichten. Eine materielle Maschine z. B. mag riesig und wundervoll sein, aber ohne von jemandem, der wissend und von Bewußtsein erfüllt ist, berührt zu werden, ist diese materielle Maschine völlig nutzlos. O mein Herr, Du bist das vollkommene Wissen, und in Deiner Persönlichkeit gibt es nicht die geringste Spur von materieller Verunreinigung. Śiva mag wegen seiner besonderen Macht, die gesamte Schöpfung vernichten zu können, ein mächtiger Halbgott sein, und ebenso mag Brahmā sehr mächtig sein, weil er das ganze Universum erschaffen kann, doch eigentlich sind weder Brahmā noch Śiva die Ursache der kosmischen Manifestation. Du bist die Absolute Wahrheit, das Höchste Brahman, und Du bist die ursprüngliche Ursache. Die ursprüngliche Ursache der kosmischen Manifestation ist nicht die unpersönliche Brahman-Ausstrahlung. Jenes unpersönliche Brahman geht von Deiner Persönlichkeit aus. Wie es die Bhagavad-gītā bestätigt, ist die Ursache des unpersönlichen Brahman Śrī Kṛṣṇa. Die Brahman-Ausstrahlung wird mit dem Sonnenlicht verglichen, das vom Sonnenplaneten ausstrahlt. Deshalb kann das unpersönliche Brahman also nicht die endgültige Ursache sein. Die endgültige Ursache aller Dinge ist die höchste ewige Gestalt Kṛṣṇas. Die materiellen Aktionen und Reaktionen finden im unpersönlichen Brahman statt, doch im persönlichen Brahman, in der ewigen Gestalt Kṛṣṇas, gibt es weder Aktion noch Reaktion. Mein lieber Herr, Dein Körper ist daher völlig friedvoll, völlig glückselig und frei von aller materiellen Verunreinigung. Im materiellen Körper finden Aktionen und Reaktionen der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur statt. Der Zeitfaktor ist das wichtigste Element und ist allen anderen übergeordnet, denn die materielle Manifestation wird durch die Zeit bewirkt. Durch sie treten die Erscheinungen der materiellen Natur ins Dasein, und sobald die Erscheinungswelt entsteht, sind fruchtbringende Handlungen zu beobachten. Als Ergebnis dieser fruchtbringenden Handlungen nimmt das Lebewesen eine bestimmte Lebensform an und erhält damit auch eine besondere Wesensart, die von einem fein- und grobstofflichen Körper umhüllt wird, der aus der Lebensluft, dem Ich, den zehn Sinnesorganen, dem Geist und den fünf grobstofflichen Elementen besteht. Diese materiellen Bestandteile bilden also den Körper, der wiederum zur Wurzel oder Ursache verschiedener anderer Körper wird, die die Seele nacheinander auf ihrer Wanderung erhält. All diese zeitweiligen Manifestationen entstehen aus miteinander zusammenhängenden Aktionen Deiner materiellen Energie. Du bist die Ursache dieser äußeren Energie und wirst nicht von den Aktionen und Reaktionen der verschiedenen Elemente berührt. Weil Du transzendental zu allem Zwang der materiellen Energie bist, bist Du die höchste Ruhe. Du bist die letzte Wahrheit in der Freiheit von der materiellen Verunreinigung. Daher suche ich bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht und gebe jede andere Zuflucht auf. Mein lieber Herr, Dein Erscheinen als Sohn Vasudevas, in der Rolle eines Menschen, ist ein von Deiner völligen Freiheit manifestiertes Spiel. Nur, um die Gottgeweihten zu segnen und die Nichtgottgeweihten zu vernichten, erscheinst Du in vielen Inkarnationen. Diese Inkarnationen steigen in die materielle Welt hinab, um Dein Versprechen, das Du in der Bhagavad-gītā gabst, zu erfüllen, nach dem Du erscheinst, sobald die Menschen von den für den Fortschritt im Leben gegebenen Regeln abweichen. Wenn durch irreligiöse Prinzipien Störungen auftreten, erscheinst Du, mein lieber Herr, durch Deine innere Energie. Deine Hauptabsicht ist es dann, die Halbgötter und Menschen, die ein spirituelles Leben führen wollen, zu beschützen und zu erhalten und die Gültigkeit der Gesetze und der Ordnung in der materiellen Welt zu bewahren. Bei der Erhaltung der Gesetze und der Ordnung ist Deine Gewalt gegenüber den Schurken und Dämonen durchaus angebracht. Es ist nicht das erste Mal, daß Du Dich inkarniert hast. Man weiß, daß Du bereits viele Male zuvor erschienen bist. Mein lieber Herr, ich muß gestehen, daß ich durch Deinen geschleuderten Nārāyaṇajvara hart gestraft worden bin. Zweifellos hat er eine sehr kühlende Wirkung, doch zugleich ist er sehr gefährlich und für jeden unerträglich. Mein lieber Herr, solange man im Bann materieller Wünsche das Kṛṣṇa-Bewußtsein vergißt und nichts von der endgültigen Zuflucht, Deinen Lotosfüßen, weiß, wird man, da man einen materiellen Körper angenommen hat, durch die drei leidvollen Bedingungen der materiellen Welt geplagt. Weil man sich Dir nicht hingibt, muß man endlos weiterleiden. Nachdem Kṛṣṇa den Śivajvara angehört hatte, antwortete Er: »O Dreiköpfiger, Ich freue Mich über deine Worte, sei getrost, daß dir der Nārāyaṇajvara kein Leid mehr zufügen wird. Und Ich verspreche nicht nur, daß du von nun an von der Furcht vor dem Nārāyaṇajvara frei sein wirst, sondern auch, daß jeder, der sich in Zukunft an den Kampf zwischen dir, dem Śivajvara, und dem Nārāyaṇajvara erinnert, von allen Arten der Furcht frei sein wird.« Nach dieser Antwort brachte der Śivajvara den Lotosfüßen des Höchsten Persönlichen Gottes noch einmal seine respektvollen Ehrerbietungen dar und entfernte sich dann. In der Zwischenzeit hatte sich Bāṇāsura irgendwie von seinen Rückschlägen erholt und kehrte mit frischer Kraft in den Kampf zurück. Er trug diesmal in seinen tausend Händen alle möglichen Waffen, als er vor Śrī Kṛṣṇa stürmte, der auf Seinem Streitwagen saß. Bāṇāsura war rasend vor Wut und ließ seine vielen Waffen wie Regengüsse auf Śrī Kṛṣṇa hageln. Śrī Kṛṣṇa nahm, als Er sah, daß Bāṇāsuras Waffen auf Ihn zukamen wie Wasser aus einem Schlauch, einfach sein scharfes Sudarśana-Rad und begann dem Dämon damit die tausend Hände abzuhacken wie ein Gärtner mit einem geschliffenen Messer die Zweige eines Baumes stutzt. Als Śiva sah, daß sein Geweihter Bāṇāsura nicht einmal in seiner Gegenwart gerettet werden konnte, besann er sich und trat plötzlich vor Śrī Kṛṣṇa, um Ihn durch folgendes Gebet zu besänftigen. »Mein lieber Herr«, sagte Śiva, »Du bist das zu verehrende Ziel der vedischen Hymnen. Wer Dich nicht kennt, hält das unpersönliche brahmajyoti für die endgültige Höchste Absolute Wahrheit, ohne zu wissen, daß Du Dich hinter dieser Deiner spirituellen Ausstrahlung in Deinem ewigen Reich aufhältst. Deshalb wirst Du, mein lieber Herr, Parambrahman genannt. Das Wort ›Parambrahman‹ wird auch in der Bhagavad-gītā zu Deiner Beschreibung gebraucht. Die Heiligen, die ihre Herzen völlig von aller materiellen Verunreinigung reingewaschen haben, können Deine transzendentale Gestalt wahrnehmen, obwohl Du, alldurchdringend wie der Himmel, von keinem materiellen Objekt berührt bist. Nur Deine Geweihten können Dich sehen, und niemand sonst. Nach der Auffassung der Unpersönlichkeitsphilosophen von der höchsten Existenz ist der Himmel Dein Nabel, ist das Feuer Dein Mund und das Wasser Dein Samen. Die himmlischen Planeten sind Dein Kopf, die Himmelsrichtungen sind Deine Ohren, der Urvi-Planet stellt Deine Lotosfüße dar, der Mond ist Dein Geist, und die Sonne ist Dein Auge. Was mich betrifft, so stelle ich Dein Ich dar. Der Ozean ist Dein Bauch, und Indra, der König des Himmels, Deine Arme. Die Bäume und Pflanzen sind die Haare auf Deinem Körper, die Wolken sind das Haar auf Deinem Haupt, und Brahmā ist Deine Intelligenz. All die großen Vorfahren, die Prajāpatis, sind Deine symbolischen Repräsentanten, und Religion ist Dein Herz. Der unpersönliche Aspekt Deines erhabenen Körpers wird auf diese Weise wahrgenommen, doch letzten Endes bist Du die Höchste Person. Der unpersönliche Aspekt Deines erhabenen Körpers ist nur eine kleine Sichtbarwerdung Deiner Energie. Du wirst auch mit einem ursprünglichen Feuer verglichen, und alle Erweiterungen sind Licht und Wärme, die von Dir ausgehen.« Śiva fuhr fort: »Mein lieber Herr, obwohl Du Dich universal manifestierst, sind bestimmte Teile des Universums bestimmte Teile Deines Körpers, und durch Deine unvorstellbare Macht kannst Du gleichzeitig an einem Ort und universal verbreitet sein. Auch in der Brahma-saṁhitā finden wir die Feststellung, daß Du, obwohl Du immer in Deinem Reich Goloka Vṛndāvana weilst, trotzdem überall gegenwärtig bist. Und in der Bhagavad-gītā steht, daß Du erscheinst, um die Gottgeweihten zu beschützen, was für das gesamte Universum Glück bedeutet. Die Halbgötter regeln die verschiedenen Angelegenheiten im Universum allein durch Deine Gnade. So werden die sieben höheren Planetensysteme durch Deine Gnade erhalten. Am Ende der Schöpfung gehen alle Manifestationen Deiner Energien in Dich ein, ganz gleich, ob sie die Form von Halbgöttern, Menschen oder Tieren haben, und alle unmittelbaren und mittelbaren Ursachen der kosmischen Manifestationen ruhen ohne unterschiedliche Daseinsmerkmale in Dir. Doch letztlich kann man zwischen Dir und allen anderen Dingen, die sich entweder auf gleicher Ebene mit Dir befinden oder Dir untergeordnet sind, keine Unterschiede machen. Du bist gleichzeitig der Ursprung sowohl der kosmischen Manifestation als auch ihrer Bestandteile. Du bist das Höchste Ganze und ohne einen Zweiten. In der manifestierten Erscheinungswelt gibt es drei Zustände: die Stufe des Bewußtseins, die Stufe des Halbbewußtseins, d. h. des Träumens, und die Stufe der Bewußtlosigkeit. Doch Du, o Herr, bist transzendental zu allen materiellen Daseinsstufen. Daher befindest Du Dich sozusagen in der vierten Dimension, und Dein Erscheinen und Fortgehen hängt von nichts anderem ab als von Dir Selbst. Du bist die höchste Ursache von allem, doch für Dich gibt es keine Ursache. Du allein veranlaßt Dein Erscheinen und Verschwinden. Trotz Deiner transzendentalen Stellung, o Herr, bist Du durch persönliche Manifestation in verschiedenen Inkarnationen, als Fisch, Schildkröte, Eber, Nṛsiṁha, Keśava usw., erschienen, um Deine sechs Füllen zu offenbaren und allen Deine transzendentalen Eigenschaften zu zeigen; darüber hinaus bist Du durch Deine abgesonderten Manifestationen in Form verschiedener Lebewesen erschienen. Mit Hilfe Deiner inneren Energie erscheinst Du als die verschiedenen Inkarnationen Viṣṇus, und durch Deine äußere Energie erscheinst Du als die Erscheinungswelt. Wenn der Himmel bewölkt ist, scheint die Sonne in den Augen des gewöhnlichen Menschen bedeckt zu sein; doch in Wirklichkeit verhält es sich so, daß die Sonne, weil das Sonnenlicht die Wolke erzeugt, selbst wenn der ganze Himmel bewölkt ist, niemals wirklich bedeckt werden kann. Töricht wie der Mensch in diesem Beispiel, behauptet der weniger intelligente Teil der Menschen, es gebe keinen Gott, doch Erleuchtete erkennen, wenn sie die Manifestation verschiedener Lebewesen und ihre Tätigkeit sehen, Deine Gegenwart in jedem Atom und in Deinen äußeren und mittleren Energien. Deine unbegrenzten aktiven Mächte werden nur von den erleuchteten Gottgeweihten wahrgenommen; diejenigen aber, die im Bann Deiner äußeren Energie stehen, identifizieren sich mit der materiellen Welt und gewinnen Anhaftung an Gesellschaft, Freundschaft und Liebe. Auf diese Weise klammern sie sich an die dreifachen Leiden des materiellen Daseins und sind den Dualitäten von Leid und Freude unterworfen. Manchmal werden sie in den Ozean der Anhaftung getaucht und ein anderes Mal wieder herausgerissen. Mein lieber Herr, nur durch Deine Barmherzigkeit und Gnade kann das Lebewesen die menschliche Form des Lebens erhalten, die ihm die Möglichkeit bietet, dem leidvollen Zustand der materiellen Existenz zu entkommen. Wer jedoch einen menschlichen Körper besitzt, jedoch die Sinne nicht zu beherrschen vermag, wird von den Wellen der Sinnenfreude fortgespült. In diesem Zustand kann er nicht Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen suchen und sich Dir im hingebungsvollen Dienen widmen. Das Leben eines solchen Menschen ist sehr elend, und jeder, der ein derartiges Leben in Dunkelheit führt, betrügt zweifellos sich selbst und somit auch andere. Aus diesem Grund ist die menschliche Gesellschaft ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein eine Gesellschaft von Betrügern und Betrogenen. Lieber Herr, Du bist die Überseele in allen Lebewesen und der Höchste Beherrschende aller Dinge. Menschen, die sich stets in Illusion befinden, fürchten sich vor dem letztlichen Tod. Ein Mensch, der ausschließlich dem sinnlichen Genuß ergeben ist, nimmt freiwillig das leidvolle materielle Dasein auf sich und folgt hilflos dem Irrlicht der Sinnenfreude. Er ist zweifellos der größte Narr, denn er weist den Nektar zurück und trinkt das Gift. Mein lieber Herr, alle Halbgötter, wie ich selbst und Brahmā, und alle großen Heiligen und Weisen, deren Herzen von der materiellen Anhaftung gereinigt sind, haben durch Deine Gnade mit ganzem Herzen bei Deinen Lotosfüßen Schutz gesucht. Wir alle haben bei Dir Zuflucht genommen, denn wir haben Dich als den Höchsten Herrn und unser aller Leben und Seele erkannt. Du bist die ursprüngliche Ursache der kosmischen Manifestation. Du bist ihr höchster Erhalter, und Du bist auch die Ursache ihrer Auflösung. Du bist jedem gleichgesinnt und der friedfertigste und höchste Freund aller Lebewesen. Du bist für jeden die höchste zu verehrende Person. Mein lieber Herr, bitte laß uns immer in Deinem transzendentalen hingebungsvollen Dienst beschäftigt sein, so daß wir von der materiellen Verstrickung frei werden können. Schließlich, o Herr, möchte ich Dir sagen, daß Bāṇāsura mir sehr teuer ist. Er erwies mir wertvolle Dienste, und deshalb möchte ich ihn immer froh sehen. Da ich mit Bāṇāsura zufrieden war, versprach ich ihm stets Sicherheit; ich bitte Dich daher, zu ihm gütig zu sein, so wie Du zu seinen Vorfahren, König Prahlāda und Bali Mahārāja, gütig warst.« Als Kṛṣṇa auf Śivas Gebete antwortete, sprach auch Er Seinerseits Śiva mit »Herr« an; Er sagte: »Lieber Herr, Śiva, Ich stimme deinen Worten zu, und Ich würdige auch deinen Wunsch, Bāṇāsura zu helfen. Mir ist bekannt, daß Bāṇāsura der Sohn Bali Mahārājas ist, und deshalb kann Ich ihn nicht töten, denn sonst würde Ich Mein Versprechen brechen. Ich gab nämlich König Prahlāda den Segen, niemals einen Dämon, der in seiner Familie erscheinen würde, zu töten. So habe ich auch Bāṇāsura nicht vernichtet, sondern ihm nur die Arme abgehackt, um ihm seinen falschen Hochmut zu nehmen. Seine gewaltigen Heerscharen wurden der Welt eine Last, und um die Welt von dieser Last zu befreien, habe Ich alle seine Soldaten getötet. Nun hat er nur noch vier Arme, und er wird unsterblich bleiben, ohne von materiellen Leiden oder Freuden berührt zu sein. Ich weiß, daß er einer der größten Geweihten deiner Herrschaft ist, und so versichere Ich dir, daß er künftig nichts mehr zu befürchten hat.« Als Bāṇāsura auf diese Weise von Śrī Kṛṣṇa gesegnet wurde, trat er vor den Herrn und verneigte sich vor Ihm, indem er mit dem Haupt die Erde berührte. Er sorgte augenblicklich dafür, daß Aniruddha und seine Tochter Uṣā in einer prächtigen Kutsche herbeigebracht wurden, und übergab sie Śrī Kṛṣṇa. Kṛṣṇa nahm Aniruddha und Uṣā, die inzwischen durch Śivas Segen in materieller Hinsicht sehr reich geworden waren, in Seine Obhut, worauf sie, mit einer akṣauhiṇī Soldaten als Vorhut, nach Dvārakā zurückkehrten. Mittlerweile erfuhren die Bewohner Dvārakās, daß Kṛṣṇa mit Uṣā und Aniruddha in aller Pracht zurückkehrte, und schmückten jeden Winkel der Stadt mit Fähnchen, Blumen und Girlanden. Alle großen Straßen und Kreuzungen wurden sorgfältig gereinigt und mit Wasser, dem Sandelholzpaste beigemengt war, besprengt. Überall war der Duft von Sandelholz zu spüren. Mit großem Prunk und Jubel hießen schließlich alle Bürger gemeinsam mit ihren Freunden und Verwandten Śrī Kṛṣṇa willkommen. Dabei ertönten die gewaltigen Klänge von Muschelhörnern, Trommeln und Hörnern zur Begrüßung des Herrn. So hielt Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, Einzug in Seine Hauptstadt Dvārakā. Śrīla Śukadeva Gosvāmī versicherte König Parīkṣit, daß die Erzählung vom Kampf zwischen Śiva und Kṛṣṇa in keiner Weise unheilvoll sei, wie es die Schilderungen gewöhnlicher Kämpfe sind. Vielmehr werde man, wenn man sich morgens an diese Erzählung vom Kampf zwischen Śiva und Kṛṣṇa erinnere und sich über Śrī Kṛṣṇas Sieg freue, in seinem Lebenskampf niemals eine Niederlage erleiden. Bāṇāsuras Kampf mit Kṛṣṇa und seine spätere Rettung durch die Gnade Śivas bestätigen die Feststellung in der Bhagavad-gītā, daß die Verehrer der Halbgötter ohne die Einwilligung Kṛṣṇas, des Höchsten Herrn, keine Segnung empfangen können. Wir erfuhren in dieser Erzählung, daß Bāṇāsura, obwohl er ein großer Geweihter Śivas war, von Śiva nicht gerettet werden konnte, als ihm von Kṛṣṇa der Tod drohte. Śiva mußte Kṛṣṇa bitten, seinen Geweihten zu verschonen, worauf der Herr Seine Einwilligung gab. Das ist Śrī Kṛṣṇas Stellung. Die treffenden Worte in diesem Zusammenhang werden in der Bhagavad-gītā gebraucht: mayaiva vihitān hi tān. Sie besagen, daß kein Halbgott ohne die Einwilligung des Höchsten Herrn seinem Verehrer irgendeine Segnung geben kann. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 62. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa kämpft mit Bāṇāsura«. 63. KAPITEL Die Geschichte von König Nṛga Eines Tages unternahmen einige Familienangehörige Śrī Kṛṣṇas, wie Sāmba, Pradyumna, Cārubhānu und Gada, die alle Prinzen der Yadu-Dynastie waren, einen ausgedehnten Ausflug durch einen Wald in der Nähe von Dvārakā. Während dieser Wanderung wurden sie alle sehr durstig, und so begannen sie, in dem Wald nach Trinkwasser zu suchen. Als sie schließlich an einen Brunnen kamen, mußten sie feststellen, daß er kein Wasser enthielt, doch dafür befand sich in ihm ein wunderbares Lebewesen. Es war eine große Eidechse, und sie alle bestaunten das schöne Tier. Die Prinzen erkannten, daß die Eidechse gefangen war und nicht aus eigener Kraft würde herausgelangen können, und daher versuchten sie aus Mitleid, die große Eidechse aus dem Brunnen zu befreien. Leider jedoch brachten sie es trotz aller Versuche nicht fertig, die Eidechse zu befreien. Als die Prinzen heimkehrten, erzählten sie Śrī Kṛṣṇa von ihrem Erlebnis. Śrī Kṛṣṇa ist der Freund aller Lebewesen. Deshalb begab Er Sich auf Bitten Seiner Söhne persönlich zu dem Brunnen und holte die große Eidechse mit Leichtigkeit heraus, indem Er einfach Seine linke Hand ausstreckte. Sowie die Eidechse von Kṛṣṇas Hand berührt wurde, verschwand ihr Tierkörper, und sie erschien in der Gestalt eines herrlichen Halbgottes, eines Bewohners der himmlischen Planeten. Der Körper des Halbgottes strahlte wie geschmolzenes Gold; feine Gewänder schmückten ihn, und er trug kostbares Geschmeide um den Hals. Es war Śrī Kṛṣṇa kein Geheimnis, weshalb der Halbgott den Körper einer Eidechse hatte annehmen müssen, doch um alle anderen zu belehren, fragte Er ihn: »Mein lieber gesegneter Halbgott, Ich sehe, daß dein Körper nun so schön und strahlend ist. Wer bist du? Wir können nur vermuten, daß du einer der vortrefflichsten Halbgötter von den himmlischen Planeten bist. Alles Glück über dich! Ich glaube nicht, daß die Lage, in der wir dich hier vorgefunden haben, dir angemessen ist. Sicherlich bist du als Folge deiner früheren Handlungen in diese Lebensform versetzt worden. Aber laß uns von dir selbst hören, wie du in diese Lage geraten bist. Wenn du glaubst, dein Geheimnis verraten zu dürfen, sage uns bitte, wer du bist.« Die große Eidechse war früher ein König mit Namen Nṛga gewesen, und als der Höchste Persönliche Gott nun König Nṛga fragte, wer er sei, verneigte dieser sich vor dem Herrn, indem er mit dem Helm auf seinem Haupt, der im Sonnenlicht glänzte, den Boden berührte. Er brachte also dem Höchsten Herrn als erstes seine achtungsvollen Ehrerbietungen dar und sagte dann: »Mein lieber Herr, ich bin der Sohn König Ikṣvākus, König Nṛga. Wenn Du jemals wohltätigen Männern Beachtung geschenkt hast, mußt Du bereits von mir gehört haben. Lieber Herr, Du bist der Zeuge. Du bist Dir jeder auch noch so unbedeutenden Handlung der Lebewesen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewußt. Nichts kann Deinem ewigen Wissen verborgen bleiben. Dennoch werde ich, weil Du mir befohlen hast, Dir meine Vergangenheit mitzuteilen, die ganze Geschichte erzählen.« Daraufhin schickte sich König Nṛga an, die Geschichte seines durch karma-kāṇḍa-Handlungen verursachten Falls zu erzählen: Er hatte einen stark ausgeprägten Hang zur Mildtätigkeit gehabt und so viele Kühe verschenkt, daß ihre Zahl, wie er sagte, der Anzahl der Staubkörner auf der Erde, der Sterne am Himmel und der Regentropfen gleichkam. Die vedischen Ritualvorschriften geben jemandem, der zu Mildtätigkeit neigt, die Anweisung, den brāhmaṇas Kühe zu schenken. Aus König Nṛgas Worten geht hervor, daß er dieses Prinzip mit aller Ernsthaftigkeit einhielt; als Folge einer kleinen Nachlässigkeit jedoch wurde er gezwungen, als Eidechse geboren zu werden. Der Herr empfiehlt aus eben solchen Gründen in der Bhagavad-gītā, daß jemand, der eine Neigung zur Mildtätigkeit hat und den Segen, der auf seine Mildtätigkeit folgt, erlangen möchte, seine Gaben zur Freude Kṛṣṇas verwenden soll. Spenden in Mildtätigkeit zu geben gilt als fromme Handlung, und als Ergebnis frommer Handlungen kann man zu höheren Planetensystemen erhoben werden; doch daß man einen himmlischen Planeten erreicht hat, bedeutet nicht, daß man niemals wieder herunterfällt. Das Beispiel König Nṛgas zeigt besonders deutlich, daß fruchtbringende Handlungen, selbst wenn sie von sehr frommer Art sind, uns nicht zu ewigem, glückseligem Leben verhelfen können. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, bindet das Ergebnis einer Handlung, mag diese fromm oder gottlos sein, den Ausführenden, sofern die Handlung nicht als yajña (Opfer) für den Höchsten Persönlichen Gott getan wird. König Nṛga wies darauf hin, daß die Kühe, die er fortgab, keine gewöhnlichen Kühe waren. Eine jede war noch ganz jung und hatte erst einmal gekalbt. Alle Kühe gaben reichlich Milch und waren sehr friedlich und gesund. Auch waren sie alle mit auf rechtschaffene Weise verdientem Geld erworben worden; ihre Hörner waren goldüberzogen, ihre Hufe mit Silber beschlagen, und sie trugen seidene Decken, die mit Perlen und Kettchen verbrämt waren. Er berichtete, daß diese kostbar geschmückten Kühe nicht irgendwelchen Unwürdigen gegeben wurden, sondern nur den besten brāhmaṇas, die er dazu mit stattlichen Gewändern und Goldgeschmeide versehen ließ. Die brāhmaṇas waren alle sehr befähigt, keiner von ihnen war reich, und ihren Familien hatte es stets an den Lebensnotwendigkeiten gemangelt. Ein wirklicher brāhmaṇa hortet niemals Geld für ein üppiges Leben, wie es die kṣatriyas und vaiśyas tun, sondern bleibt immer freiwillig in Armut, da er weiß, daß Geld den Geist zu materialistischer Denkweise verführt. So zu leben ist das Gelübde eines jeden echten brāhmaṇa, und alle damaligen brāhmaṇas hielten sich strikt an ihr hohes Gelübde. Sie waren im vedischen Wissen wohlbewandert; sie nahmen ihr Leben lang die erforderlichen Enthaltsamkeiten und Bußen auf sich und waren großmütig, so daß sie alle Voraussetzungen für befähigte brāhmaṇas erfüllten. Sie waren jedem gleichermaßen wohlgesinnt, und überdies waren sie oft noch jung und bereits völlig geeignet, als echte brāhmaṇas zu handeln. Neben den Kühen wurden ihnen auch Land, Gold, Häuser, Pferde und Elefanten gegeben. Denjenigen, die noch nicht verheiratet waren, wurden Frauen, Dienerinnen, Getreide, Silber, Gerätschaften, Gewänder, Edelsteine, Hausrat, Kutschen und vieles mehr geschenkt. Diese Spenden geschahen auf vorbildliche Art als Opfer nach den Regeln für vedische Riten. Der König erzählte weiterhin, daß er nicht nur Gaben an die brāhmaṇas hatte verteilen lassen, sondern auch andere fromme Werke getan hatte: So hatte er z. B. Brunnen gegraben, Bäume an den Straßenrändern gepflanzt und an den Hauptstraßen Teiche angelegt. Der König fuhr fort: »Trotz alledem geschah es eines Tages unglücklicherweise, daß eine der Kühe, die ich einem brāhmaṇa gegeben hatte, sich wieder unter meine Kühe mischte. Ohne davon zu wissen, schenkte ich sie später einem anderen brāhmaṇa, doch als dieser die Kuh gerade wegführte, kam ihr vorheriger Besitzer und forderte sie als sein Eigentum, indem er sagte: »Diese Kuh wurde mir vor kurzem übergeben; wie kommst du also dazu, sie einfach mit dir zu nehmen? Daraufhin gab es Streit und Hader zwischen den beiden brāhmaṇas, bis sie schließlich zu mir kamen und mich beschuldigten, ich hätte eine Kuh zurückgenommen, die ich bereits als Spende gegeben hätte.« Jemandem etwas fortzunehmen, das man ihm geschenkt hat, gilt als große Sünde, besonders, wenn man dies einem brāhmaṇa antut. Als nun die beiden brāhmaṇas dem König den gleichen Vorwurf machten, konnte er sich nur wundern, wie das Ganze hatte geschehen können. Schließlich bot er jedem der beiden 100000 Kühe im Austausch gegen die eine Kuh, die der Anlaß ihres Streits war. Er flehte sie an, daß er doch ihr Diener sei, und daß ihm ein bedauerlicher Fehler unterlaufen sein müsse. Um ihn also wiedergutzumachen, bat er sie, doch so überaus gütig sein, sein Angebot anzunehmen. Der König flehte die brāhmaṇas inständig an, ihn wegen seines Fehlers nicht in die Hölle zu stürzen. Das Eigentum eines brāhmaṇa bezeichnet man als brahma-sva, und nach dem Gesetz Manus darf nicht einmal die Regierung es sich aneignen. Jeder der brāhmaṇas beharrte indessen darauf, daß die Kuh ihm gehöre und ihm unter keinen Umständen wieder weggenommen werden dürfe; keiner von beiden war bereit, sie gegen 100000 Kühe zu tauschen. Sie wiesen also den Vorschlag des Königs zurück und verließen den Palast voller Zorn in dem Gefühl, daß ihre rechtmäßige Stellung angefochten worden sei. Als es einige Zeit nach diesem Vorfall für den König so weit war, den Körper aufzugeben, und er vor Yamarāja, den Herrn des Todes, geführt wurde, fragte Yamarāja ihn, ob er erst die Folgen seiner frommen Handlungen genießen oder erst die Folgen seiner unfrommen Handlungen erleiden wolle. Yamarāja wies König Nṛga auch darauf hin, daß ihn, weil er so viele fromme Werke getan und so viele milde Gaben verteilt habe, ein unvorstellbares Ausmaß an Genuß erwarte. Sein materielles Glück werde nahezu endlos sein; doch trotz dieses Hinweises war König Nṛga unschlüssig. Zuletzt entschied er sich, erst die Folgen seiner unfrommen Handlungen zu erleiden und danach die Ergebnisse seiner frommen Werke zu genießen, und so verwandelte Yamarāja ihn auf der Stelle in eine Eidechse. Lange Zeit hatte König Nṛga als große Eidechse in dem Brunnen gelebt, und nun erzählte er Śrī Kṛṣṇa: »Obwohl ich in diese gefallene Lebenslage versetzt wurde, dachte ich nur an Dich, mein Herr, und mein Erinnerungsvermögen wurde mir nie genommen.« Aus diesen Worten König Nṛgas geht hervor, daß Menschen, die den Prinzipien gewinnbringender Handlungen folgen und einige materielle Gewinne erlangen, nicht sehr intelligent sind. Als Yamarāja, der Herr des Todes, König Nṛga sein Schicksal selbst wählen ließ, hätte dieser erst die Ergebnisse seiner frommen Handlungen bekommen können. Statt dessen hielt er es für klüger, erst die Folgen seiner unfrommen Handlungen zu empfangen und dann die Auswirkungen seiner frommen Handlungen ungestört zu genießen. Offensichtlich hatte er alles in allem noch kein Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt. Wer Kṛṣṇa-bewußt ist, entwickelt Liebe zu Gott, nicht aber Liebe zu frommen oder unfrommen Handlungen; deshalb ist er auch nicht den Folgen solcher Handlungen unterworfen. Wie in der Brahma-saṁhitā gesagt wird, ist ein Gottgeweihter durch die Gnade des Herrn nicht den auf seine gewinnbringenden Handlungen folgenden Reaktionen ausgesetzt. Aus irgendwelchen Gründen jedoch, wohl als Folge seiner frommen Werke, war in König Nṛga der Wunsch entstanden, den Herrn zu sehen. Er fuhr also fort: »Mein lieber Herr, ich hegte ein starkes Verlangen, Dich eines Tages persönlich sehen zu dürfen, und so glaubte ich, daß es mir wegen meiner Neigung zu Riten und wohltätigen Handlungen, verbunden mit diesem starken Verlangen, Dich persönlich zu sehen, möglich sei, die Erinnerung an mein vorheriges Leben wiederzuerlangen, obwohl ich eine Eidechse geworden war [* Jemanden, der sich an sein vorheriges Leben erinnern kann, bezeichnet man als jāti-smara.*]. Mein lieber Herr, Du bist die Überseele im Herzen jedes Lebewesens. Es gibt viele große mystische yogīs, die die Augen haben, Dich durch die Veden und Upaniṣaden zu sehen. Um die hohe Stufe zu erreichen, Dir an Qualität gleich zu sein, meditieren sie ständig über Dich in ihren Herzen. Obwohl solche vortrefflichen Heiligen Dich stets in ihren Herzen wahrnehmen mögen, können sie Dich dennoch nicht von Angesicht zu Angesicht sehen; deshalb überrascht es mich um so mehr, daß ich Dich persönlich sehen darf. Ich weiß, daß ich früher, besonders in meiner Stellung als König, mit so vielen weltlichen Dingen beschäftigt war. Obgleich ich inmitten von Überfluß und Prunk lebte und so sehr den Freuden und Leiden des materiellen Daseins ausgesetzt war, habe ich nun das Glück, Dich persönlich zu sehen. Soviel ich weiß, kann eigentlich nur jemand, der vom materiellen Dasein befreit ist, Dich so sehen.« Als sich König Nṛga entschloß, die Folgen seiner unfrommen Handlungen zu empfangen, wurde ihm wegen seines Fehlers bei seinen frommen Werken der Körper einer Eidechse gegeben; daher konnte er nicht direkt auf eine höhere Lebensstufe wie die eines Halbgottes gelangen. Während seiner frommen Handlungen hatte er jedoch an Kṛṣṇa gedacht, und deshalb wurde er bald von seinem Tierkörper befreit und erhielt den Körper eines Halbgottes. Wenn diejenigen, die materielle Güter begehren, den Höchsten Herrn verehren, bekommen sie die Körper mächtiger Halbgötter. Einige dieser Halbgötter erhalten Gelegenheit, den Höchsten Persönlichen Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen, aber das bedeutet noch nicht, daß sie imstande sind, in das spirituelle Königreich, auf einen der Vaikuṇṭha-Planeten zu gelangen. Nur wenn diese Halbgötter weiterhin versuchen, Geweihte des Herrn zu werden, gelangen sie bei der nächsten Gelegenheit, die sich ihnen bietet, nach Vaikuṇṭha. Als König Nṛga nun den Körper eines Halbgottes erlangt hatte, konnte er sich immer noch an alles erinnern; er sagte zu Kṛṣṇa: »Mein lieber Herr, Du bist der Höchste Meister, und Du wirst von allen Halbgöttern verehrt. Du bist nicht irgendeines der Lebewesen, sondern die Höchste Person, Puruṣottama. Du bist die Quelle allen Glücks für alle Lebewesen; daher bist Du auch als Govinda bekannt. Du bist der Herr aller Lebewesen, sowohl derer, die bereits einen materiellen Körper angenommen haben, als auch derer, die noch keinen materiellen Körper angenommen haben [* Zu den Lebewesen, die noch keinen materiellen Körper angenommen haben, gehören auch jene, die in der materiellen Welt als üble Geister umherirren und in der feinstofflichen Geisteratmosphäre leben. Diejenigen jedoch, die im spirituellen Königreich, auf einem der Vaikuṇṭha-Planeten leben, haben Körper, die nicht aus materiellen Elementen bestehen.*]. O Herr, Du bist unfehlbar; Du bist der Höchste, der Reinste aller Lebewesen. Du weilst im Herzen eines jeden. Du bist Nārāyaṇa, die Zuflucht aller Lebewesen. Du, der Du Dich in den Herzen aller Lebewesen befindest, bist der höchste Kontrollierende ihrer Sinnentätigkeiten; deshalb wirst Du auch Hṛṣīkeśa genannt. Mein lieber Höchster Herr, Śrī Kṛṣṇa, weil Du mir den Körper eines Halbgottes gabst, werde ich mich zu einem der himmlischen Planeten begeben müssen; doch zuvor möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, Dich um Deine Gnade zu bitten: Gewähre mir die Segnung, daß ich niemals Deine Lotosfüße vergessen werde, ganz gleich, in welche Lebensform und auf welchen Planeten ich auch versetzt werden mag. Du bist alldurchdringend und überall als Ursache und Wirkung gegenwärtig. Du bist die Ursache aller Ursachen, und Deine Macht und Kraft sind grenzenlos. Du bist die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott und das Höchste Brahman. Ich bringe Dir deshalb wieder und wieder meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Mein lieber Herr, Dein Körper ist voll transzendentaler Glückseligkeit und transzendentalen Wissens, und Du bist ewig. Du bist der Gebieter über alle mystischen Kräfte; deshalb bist Du auch als Yogeśvara bekannt. Setze mich bitte gütigerweise als unbedeutendes Staubkörnchen an Deine Lotosfüße.« Ehe sich König Nṛga zu den himmlischen Planeten aufmachte, umkreiste er den Herrn und berührte schließlich, als er sich vor Ihm verneigte, mit dem Helm Seine Lotosfüße. Dann sah er auch schon ein Luftfahrzeug von den himmlischen Planeten vor sich, das er mit Erlaubnis des Herrn bestieg. Nachdem sich König Nṛga entfernt hatte, brachte Śrī Kṛṣṇa zum Ausdruck, daß Er die Hingabe des Königs an die brāhmaṇas wie auch dessen Mildtätigkeit und Ernsthaftigkeit bei der Durchführung vedischer Rituale schätze. Es wird nämlich empfohlen, wenn jemand nicht direkt ein Geweihter des Herrn werden kann, daß er den vedischen Lebensprinzipien folgt. Das wird es ihm zu guter Letzt ermöglichen, den Herrn zu sehen, indem er entweder direkt ins spirituelle Königreich erhoben wird oder vorerst ins himmlische Königreich gelangt, von wo sich ihm gute Möglichkeiten bieten, die spirituelle Welt zu erreichen. Śrī Kṛṣṇa sagte daraufhin zu Seinen anwesenden Verwandten, die dem kṣatriya-Stand angehörten, um sie anhand von König Nṛgas Beispiel zu belehren: »Selbst wenn ein kṣatriya-König so mächtig wie das Feuer ist, darf er sich unter keinen Umständen das Eigentum eines brāhmaṇa aneignen und es für seine eigenen Zwecke benutzen. Wie dürfen dann erst gewöhnliche Könige, die sich meistens fälschlich für die mächtigsten Wesen der materiellen Welt halten, das Eigentum eines brāhmaṇa an sich nehmen? Ich halte es für nicht so gefährlich, Gift zu nehmen, wie sich das Eigentum eines brāhmaṇa anzueignen, denn bei gewöhnlichem Gift kann man durch die geeignete Behandlung von der Wirkung befreit werden, doch wenn man ›Gift trinkt‹, indem man das Eigentum eines brāhmaṇa nimmt, kann kein Mittel diesen Fehler wiedergutmachen. König Nṛga ist das beste Beispiel dafür: Er war zwar sehr mächtig und auch fromm, doch wegen eines kleinen Fehlers, weil er sich nämlich versehentlich die Kuh eines brāhmaṇa aneignete, wurde er dazu verdammt, das scheußliche Leben einer Eidechse zu führen. Gewöhnliches Gift kann nur denen schaden, die es trinken, und gewöhnliches Feuer kann mit Wasser gelöscht werden; doch das durch die spirituelle Kraft eines brāhmaṇa entzündete araṇi-Feuer kann die ganze Familie dessen, der einen solchen brāhmaṇa erzürnt, zu Asche verbrennen [*Früher pflegten die brāhmaṇas ihre Opferfeuer nicht mit Streichhölzern oder einem anderen Feuer zu entzünden, sondern durch mächtige mantras, die man als araṇi bezeichnet.*]. Wenn jemand das Eigentum eines brāhmaṇa anrührt, verfällt seine Familie drei Generationen lang dem Ruin, und wenn jemand einem brāhmaṇa mit Gewalt das Eigentum wegnimmt, werden zehn Generationen seiner Familie vor ihm und zehn Generationen nach ihm von Verderben heimgesucht. Wird aber jemand ein Vaiṣṇava oder Geweihter des Herrn, erlangen zehn Generationen seiner Familie vor seiner Geburt und zehn Generationen nach ihm die Befreiung.« Śrī Kṛṣṇa fuhr fort: »Wenn ein törichter, durch Reichtum, Ansehen und Macht überheblich gewordener König versucht, sich das Eigentum eines brāhmaṇa anzueignen, sollte man wissen, daß ein solcher König sich den Pfad zur Hölle ebnet. Er kann sich nicht vorstellen, wie sehr er für solch unkluge Handlungen leiden muß. Wenn z. B. jemand einem großmütigen brāhmaṇa, der für eine kinderreiche, hilflose Familie zu sorgen hat, etwas fortnimmt, wird ein solcher Verbrecher in die Hölle versetzt, die als Kumbhīpāka gefürchtet ist – und nicht nur er selbst, sondern auch seine Angehörigen werden in dieser Hölle unter den elendsten Lebensbedingungen ihr Dasein fristen müssen. Ein Mensch, der etwas an sich nimmt, was entweder einem brāhmaṇa gegeben oder von einem brāhmaṇa weggegeben wurde, ist dazu verdammt, mindestens 60000 Jahre ein solch elendes Dasein zu führen wie ein Insekt im Kot. Deshalb lege Ich euch nahe, Meine Söhne und Verwandten: Nehmt niemals, nicht einmal versehentlich, das Eigentum eines brāhmaṇa an euch, denn durch eine solche Handlung würdet ihr eure ganze Familie ins Verderben stürzen. Wenn jemand sich auch nur wünscht, solches Eigentum zu besitzen, verkürzt sich sein Leben, selbst wenn er gar nicht versucht, es an sich zu reißen. Er wird von seinen Feinden geschlagen werden; er wird, wenn er König ist, seinen Thron verlieren, und wenn er den Körper aufgibt, wird er eine Schlange werden. Eine Schlange fügt anderen Lebewesen nur Leid zu. Meine lieben Prinzen und Anverwandten, Ich rate euch deshalb, daß selbst, wenn ein brāhmaṇa zornig auf euch wird und euch beschimpft oder euch etwas antut, ihr euch nicht rächen, sondern vielmehr lächeln, duldsam sein und ihm eure Achtung erweisen solltet. Wie ihr sicher wißt, bringe auch Ich Selbst den brāhmaṇas mit großem Respekt dreimal am Tag Meine Ehrerbietungen dar. Ihr solltet daher Meiner Anweisung und Meinem Beispiel folgen. Ich werde niemandem vergeben, der dies unterläßt, sondern Ich werde ihn dafür strafen. Ihr solltet vom Beispiel König Nṛgas lernen, daß selbst wenn jemand versehentlich das Eigentum eines brāhmaṇas an sich nimmt, er in elendste Lebensumstände versetzt wird.« Damit gab Śrī Kṛṣṇa, der stets darum bemüht ist, die bedingten Lebewesen zu läutern, eine Anweisung, die nicht nur für Seine Familienangehörigen und die Einwohner von Dvārakā bestimmt war, sondern auch für alle Angehörigen der menschlichen Gesellschaft. Dann begab Sich der Herr in Seinen Palast zurück. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 63. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Geschichte von König Nrga«. 64. KAPITEL Balarāma besucht Vṛndāvana Śrī Balarāma bekam große Sehnsucht danach, Seinen Vater Mahārāja Nanda und Seine Mutter Yaśodā zu sehen. Deshalb fuhr Er eines Tages voller Eifer in einer Kutsche nach Vṛndāvana. Die Einwohner von Vṛndāvana hatten sich schon seit langem danach gesehnt, Kṛṣṇa und Balarāma wiederzusehen. Als Balarāma nach Vṛndāvana kam, waren die Kuhhirtenjungen und die gopīs bereits erwachsen geworden; dennoch umarmten sie Ihn alle bei Seiner Ankunft, und Balarāma umarmte sie in Erwiderung. Dann ging Er zu Mahārāja Nanda und Yaśodā und erwies ihnen Seine achtungsvollen Ehrerbietungen. Mutter Yaśodā und Nanda Mahārāja ihrerseits segneten Ihn, Jagadīśvara, den Herrn des Universums, der jeden erhält. Der Grund hierfür war, daß sowohl Kṛṣṇa als auch Balarāma alle Lebewesen erhalten und dennoch Nanda und Yaśodā ihrer Abwesenheit wegen in großer Not gewesen waren. In diesen Gefühlen umarmten sie Balarāma, setzten Ihn auf ihren Schoß und begannen, endlos zu weinen, wobei sie Balarāma mit ihren Tränen benetzten. Danach erwies Balarāma den älteren Kuhhirten Seine Ehrerbietungen und nahm die Ehrerbietungen der jüngeren Kuhhirten entgegen. So tauschte Balarāma mit jedem, je nach Alter und der jeweiligen Beziehungen zu Ihm, Gefühle der Freundschaft aus. Seinen gleichaltrigen Freunden schüttelte Er die Hand und umarmte laut lachend jeden von ihnen. Nachdem Ihn also die Kuhhirten und Kuhhirtenjungen, die gopīs, König Nanda und Mutter Yaśodā begrüßt hatten, setzte Sich Balarāma voller Zufriedenheit nieder, worauf sie Ihn alle umringten. Zunächst erkundigte Sich Balarāma nach ihrem Befinden, und dann begannen sie, da sie ihn so lange Zeit nicht gesehen hatten, vielerlei Fragen zu stellen. Die Bewohner Vṛndāvanas, die einfach von den Lotosaugen Kṛṣṇas gefangen waren, hatten alles für den Herrn geopfert. Wegen ihres großen Verlangens, Kṛṣṇa zu lieben, begehrten sie niemals danach, himmlische Planeten zu erreichen, in die Brahman-Ausstrahlung einzugehen oder mit der Absoluten Wahrheit eins zu werden. Sie dachten nicht einmal daran, ein Leben im Überfluß zu genießen, sondern waren mit ihrem einfachen Leben im Dorf als Kuhhirten zufrieden. Stets in Gedanken bei Kṛṣṇa, begehrten sie nichts zu ihrem eigenen Nutzen. Sie liebten Ihn so sehr, daß in Seiner Abwesenheit ihre Stimmen bebten, als sie an Balarāmajī ihre Fragen richteten. Die ersten Fragen stellten Nanda Mahārāja und Yaśodā-mayī: »Lieber Balarāma, geht es unseren Freunden, wie Vasudeva und den anderen Familienangehörigen, gut? Nun seid Ihr beiden, Du und Kṛṣṇa, erwachsene Ehemänner mit Kindern. Erinnert Ihr Euch im Glück Eures Familienlebens zuweilen noch an Eure armen Eltern Nanda Mahārāja und Yaśodā-devī? Es ist eine erfreuliche Nachricht, daß der sündige König Kaṁsa von Euch getötet worden ist und unsere Freunde, wie Vasudeva, denen er so viel Leid zufügte, nun von ihm erlöst sind. Es freut uns auch zu hören, daß Ihr beiden Jarāsandha und Kālayavana, der nun tot ist, besiegt habt, und daß Ihr in Dvārakā, einer Festungsstadt, lebt.« Als schließlich auch die gopīs kamen, sah Balarāma sie mit liebevollen Augen an. Voller Freude fragten die gopīs, die solange wegen Kṛṣṇas und Balarāmas Fortbleiben betrübt gewesen waren, nach dem Wohlergehen der beiden. Sie wollten vor allem von Balarāma wissen, ob Kṛṣṇa das Leben in der Gesellschaft der erleuchteten Frauen von Dvārakā Purī genieße. Sie fragten: »Denkt Er noch manchmal an Seinen Vater Nanda, Seine Mutter Yaśodā und Seine Freunde, denen Seine Gesellschaft so vertraut war, als Er in Vṛndāvana weilte? Hat Kṛṣṇa vielleicht Pläne, wieder hierherzukommen und Seine Mutter Yaśodā zu sehen, und erinnert Er Sich manchmal an uns bedauernswerte gopīs, die nun Seiner Gesellschaft beraubt sind? Kṛṣṇa mag uns vielleicht inmitten der vornehmen Damen von Dvārakā vergessen haben, doch was uns betrifft, so denken wir immer noch an Ihn, indem wir Blumen pflücken und sie zu Girlanden auffädeln. Wenn Er dann nicht kommt, verbringen wir unsere ganze Zeit mit Weinen. Wenn Er doch nur hierherkommen und die Blumenketten, die wir für Ihn gemacht haben, annehmen würde! Lieber Balarāma, Nachkomme Daśārhas, Du weißt, daß wir für Kṛṣṇas Freundschaft alles aufgeben würden. Die meisten Menschen können selbst in größter Not nicht ihre Familienbindungen aufgeben. Doch obgleich es anderen unmöglich ist, gaben wir unsere Väter, Mütter, Schwestern und Verwandten auf, ohne irgendwelche Bedenken bei unserer Entsagung zu haben. Dann jedoch verließ uns Kṛṣṇa ganz plötzlich und ging fort. Ohne ernsthafte Überlegung brach Er einfach unsere innige Beziehung ab und fuhr in ein fremdes Land; doch war Er so listig und schlau, kurz vor Seinem Fortgehen noch ein paar Worte des Trostes zu sprechen. Er sagte: ›Meine lieben gopīs, bitte seid nicht traurig. Die Dienste, die ihr Mir erwiesen habt, werde Ich euch niemals zurückerstatten können!‹ Wie hätten wir, die wir schließlich nur Frauen sind, Ihm mißtrauen können? Nun aber wissen wir, daß Er uns mit Seinen süßen Worten nur hintergehen wollte.« Eine andere gopī, die über Kṛṣṇas Fortbleiben von Vṛndāvana klagte, sagte: »Lieber Balarāmajī, wir sind natürlich nur Dorfmädchen, und deshalb konnte Kṛṣṇa uns in dieser Weise irreführen, doch wie steht es mit den Damen in Dvārakā? Glaube nicht, daß sie so töricht sind wie wir. Uns Dorffrauen mag Kṛṣṇa etwas vorgemacht haben, doch die Damen in der Stadt Dvārakā sind sehr klug und intelligent. Es würde mich wundern, wenn auch sie sich von Kṛṣṇa täuschen ließen und Seinen Worten Glauben schenkten.« Dann ergriff eine andere gopī das Wort: »Meine lieben Freundinnen,« sagte sie, »Kṛṣṇa weiß Seine Worte sehr geschickt zu wählen. Niemand kann sich mit Ihm in dieser Kunst messen. Er kann solch farbenprächtige Worte von Sich geben und so honigsüß reden, daß das Herz einer jeden Frau getäuscht wird, die Ihm Gehör schenkt. Außerdem beherrscht Er vollkommen die Kunst, überaus betörend zu lächeln, und Frauen, die Sein Lächeln sehen, werden verrückt nach Ihm und wollen sich Ihm rückhaltlos hingeben.« Eine andere gopī sagte, als sie dies hörte: »Liebe Freundinnen, was hat es für einen Sinn, über Kṛṣṇa zu reden? Wenn ihr unbedingt eure Zeit mit Reden verbringen wollt, so laßt uns über etwas anderes sprechen als über Ihn. Wenn der grausame Kṛṣṇa Seine Zeit ohne uns zubringen kann, warum sollen dann nicht auch wir unsere Zeit ohne Kṛṣṇa zubringen können? Natürlich verlebt Kṛṣṇa Seine Tage sehr fröhlich ohne uns, während wir, und das ist der Unterschied, unsere Tage ohne Ihn sicherlich nicht frohen Sinnes verleben können.« Als die gopīs in dieser Weise miteinander sprachen, steigerten sich ihre Gefühle für Kṛṣṇa mehr und mehr, und sie nahmen Kṛṣṇas Lächeln, Kṛṣṇas liebevolle Worte, Kṛṣṇas anziehendes Aussehen, Kṛṣṇas Wesensmerkmale und Kṛṣṇas Umarmungen tatsächlich wahr. Durch die Macht ihrer ekstatischen Gefühle schien ihnen Kṛṣṇa persönlich anwesend zu sein und vor ihnen zu tanzen. Als sie so süßen Erinnerungen an Kṛṣṇa nachhingen, konnten sie ihre Tränen nicht zurückhalten und begannen, lautlos zu weinen. Balarāma konnte natürlich die ekstatischen Gefühle der gopīs verstehen, und deshalb wollte Er sie trösten. Er verstand Sich sehr darauf, jemandes Vertrauen zu gewinnen, und so begann Er, indem Er voll Achtung zu den gopīs sprach, ihnen die Geschichte so einfühlsam zu erzählen, daß sie zufrieden wurden. Um den gopīs auch weiterhin Zufriedenheit zu schenken, verbrachte Balarāma zwei ganze Monate in Vmdāvana, nämlich die Monate Caitra (März-April) und Vaiśākha (April-Mai). Während dieser Zeit blieb Er ständig mit den gopīs zusammen, und Er verbrachte jede Nacht mit ihnen im Wald von Vṛndāvana, um ihr Begehren nach ehelicher Liebe zufriedenzustellen. So genoß Balarāma während der zwei Monate auch den rāsa-Tanz mit den gopīs. Da es gerade Frühling war, wehten sanfte Winde am Ufer der Yamunā, die den Duft verschiedener Blumen mit sich trugen, vor allem den der kaumudī. Mondlicht erleuchtete den Himmel und strahlte überallhin, so daß die Ufer der Yamunā einen sehr hellen, reizvollen Anblick boten, und dort erfreute Sich Balarāma der Gesellschaft der gopīs. Der Halbgott Varuṇa sandte seine Tochter Vāruṇī in Form flüssigen Honigs, der aus den Astlöchern der Bäume tropfte. Der ganze Wald duftete nach diesem Honig, und das süße Aroma betörte Balarāmajī. Balarāmajī und die gopīs verlockte der Geschmack des flüssigen Vāruṇī-Honigs sehr, und gemeinsam tranken sie von ihm. Während sie diesen natürlichen Trank genossen, chanteten die gopīs von der Herrlichkeit Balarāmas. Balarāma war in einer sehr freudigen Stimmung, als wäre Er durch den Vāruṇī-Trank berauscht, und fröhlich rollten Seine Augen hin und her. Er war mit langen Girlanden aus Waldblumen geschmückt, und Sein Zusammensein mit den gopīs erschien wegen der transzendentalen Glückseligkeit wie ein großes Freudenfest. Śrī Balarāma lächelte bezaubernd, und die Schweißperlen, die Sein Antlitz schmückten, glichen zartem Morgentau. In dieser fröhlichen Stimmung wünschte Balarāma, die Gesellschaft der gopīs im Wasser der Yamunā zu genießen. Er rief daher nach der Yamunā, sie solle zu Ihm kommen, doch Yamunā folgte dem Befehl Balarāmajīs nicht, da sie Ihn für berauscht hielt. Darüber wurde Balarāma sehr ungehalten. Auf der Stelle wollte Er deshalb den Boden am Fluß mit Seiner Pflugschar aufreißen. Balarāma hat zwei Waffen, einen Pflug und eine Keule, und je nach Notwendigkeit macht Er Gebrauch von ihnen. Diesmal wollte Er die Yamunā zwingen, zu Ihm zu kommen, und so griff Er zu Seinem Pflug. Weil die Yamunā Seinem Befehl nicht gehorchte, wollte Er sie bestrafen; Er rief ihr zu: »Du erbärmlicher Fluß! Warum hast Du nicht auf Meinen Befehl gehört? Nun werde ich Dir eine Lehre erteilen! Freiwillig bist Du nicht zu Mir gekommen – nun gut, dann werde Ich dich mit Hilfe Meines Pfluges hierher zwingen. Ich werde dich in Hunderte verstreuter Rinnsale zerteilen!« Balarāma begann also das Land zu zerfurchen, und als Yamunā derart bedroht wurde, fürchtete sie sich sehr vor Balarāmas Stärke; sogleich erschien sie persönlich vor Ihm, fiel zu Seinen Lotosfüßen nieder und betete: »Mein lieber Balarāma, Du bist die mächtigste Persönlichkeit, und jeder hat Dich gern. Unglücklicherweise vergaß ich Deine ruhmreiche Stellung, doch nun bin ich zur Vernunft gekommen, und mir wird bewußt, daß Du, nur durch Deine Teil-Erweiterung als Śeṣa, alle Planetensysteme auf dem Haupt trägst. Du bist die Stütze des ganzen Universums. O lieber Höchster Persönlicher Gott, Du besitzt in Vollkommenheit sechs Füllen. Weil ich Deine Allmacht vergaß, beging ich den Fehler, Deinen Befehl zu mißachten, und so bin ich zu einer großen Frevlerin geworden. Aber wisse, mein lieber Herr, daß ich dennoch eine Dir hingegebene Seele bin. Du bist Deinen Geweihten sehr zugetan. Deshalb vergib mir bitte meine Unverschämtheit und meine Fehler, und laß mich in Deiner grundlosen Barmherzigkeit ungestraft.« Als die Yamunā sich unterwürfig zeigte, wurde ihr verziehen, und als sie ihren Lauf in Balarāmas Nähe lenkte, beschloß Balarāma sogleich, die Freude zu genießen, gemeinsam mit den gopīs in ihrem Wasser zu schwimmen – gerade so, wie sich ein Elefant mit seinen vielen Elefantenkühen vergnügt. Lange Zeit später, als Sich Balarāma zu Seiner vollsten Zufriedenheit erfreut hatte, stieg Er aus dem Wasser, worauf Ihm sogleich eine Glücksgöttin ein prächtiges blaues Gewand und eine kostbare Halskette aus Gold darbot. Nach dem Bad in der Yamunā kleidete Sich Balarāma in blaue Gewänder, und geschmückt mit goldenen Geschmeiden sah Er für jeden überaus anziehend aus. Balarāmas Hauttönung ist weiß, und als Er Sich vollständig angezogen hatte, sah Er aus wie der weiße Elefant König Indras auf dessen himmlischen Planeten. Noch heute hat der Fluß Yamunā viele Nebenarme, weil er von Balarāmas Pflugschar zerfurcht wurde. Und all diese Nebenflüsse der Yamunā preisen immer noch die Allmacht Balarāmas. Balarāma und die gopīs erfreuten sich zwei Monate lang jede Nacht gemeinsamer transzendentaler Spiele, und die Zeit verging ihnen so schnell, daß all jene Nächte ihnen wie eine einzige Nacht vorkamen. In der Gegenwart Balarāmas wurden alle gopīs und die anderen Bewohner von Vṛndāvana so glücklich wie sie es zu der Zeit gewesen waren, als beide Brüder, Śrī Kṛṣṇa und Śrī Balarāma, bei ihnen weilten. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 64. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Balarāma besucht Vṛndāvana«. 65. KAPITEL Pauṇḍraka und der König von Kāśī werden befreit Die Geschichte von König Pauṇḍraka ist sehr lehrreich – es hat schon immer viele Schurken und Dummköpfe gegeben, die sich einbildeten, Gott zu sein. Selbst als der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, persönlich auf Erden zugegen war, gab es einen solchen Narren. Sein Name war Pauṇḍraka, und er plante, sich selbst für Gott zu erklären. Während Sich Śrī Balarāma in Vṛndāvana aufhielt, schickte dieser Pauṇḍraka, der König der Katwa-Provinz, in seiner Dummheit und Engstirnigkeit einen Boten zu Śrī Kṛṣṇa. Obwohl Śrī Kṛṣṇa als der Höchste Persönliche Gott anerkannt ist, forderte König Pauṇḍraka Kṛṣṇa durch den Boten direkt heraus, der verkündete, Pauṇḍraka, und nicht Kṛṣṇa, sei Vāsudeva. In der heutigen Zeit gibt es viele törichte Nachfolger solcher Dummköpfe. Und auch damals gab es viele dumme Menschen, die Pauṇḍraka für den Höchsten Persönlichen Gott hielten. Da Pauṇḍraka nicht imstande war, seine Stellung richtig einzuschätzen, hielt er sich für Śrī Vāsudeva, und so verkündete der Bote vor Śrī Kṛṣṇa, König Pauṇḍraka, der Höchste Persönliche Gott, sei in seiner grundlosen Barmherzigkeit auf die Erde gekommen, um alle Notleidenden zu erlösen. Umgeben von vielen anderen Dummköpfen war Pauṇḍraka tatsächlich zu dem Schluß gekommen, er sei Vāsudeva, der Höchste Persönliche Gott. Solche Art der Schlußfolgerung ist natürlich kindisch. Wenn Kinder spielen, bestimmen sie eines aus ihrer Mitte manchmal zum König, und das so gewählte Kind glaubt dann tatsächlich, es sei König. Ebenso wählen viele Dummköpfe in ihrer Unwissenheit einen anderen Dummkopf als Gott, worauf sich ein solch armer Esel dann tatsächlich einbildet, Gott zu sein – als ob Gott durch kindisches Spiel oder durch die Wahl von Menschen geschaffen werden könnte. Unter diesem falschen Eindruck, nämlich in dem Glauben, selbst der Höchste Herr zu sein, schickte Pauṇḍraka seinen Boten nach Dvārakā, um Kṛṣṇa herauszufordern. Als der Bote in Kṛṣṇas königlicher Ratsversammlung eintraf, verlas er dort die Botschaft, die ihm sein Meister, Pauṇḍraka, anvertraut hatte. Diese Botschaft hatte folgenden Wortlaut: »Ich bin der einzige Höchste Persönliche Gott Vāsudeva. Es gibt keinen Menschen, der sich mit mir vergleichen kann. Ich bin als König Pauṇḍraka erschienen, da ich in meiner grundlosen Barmherzigkeit mit den leidenden bedingten Seelen Erbarmen habe. Du Kṛṣṇa, hast unberechtigt und unautorisiert die Stellung Vāsudevas eingenommen, doch solltest Du diese falsche Vorstellung nicht auch noch verkünden. Du mußt Deine Stellung aufgeben. O Nachkomme der Yadu-Dynastie, lege alle Symbole Vāsudevas ab, die Du Dir zu Unrecht angeeignet hast. Komm, nachdem Du diese Stellung aufgegeben hast, zu mir und ergib Dich mir. Solltest Du aber in Deiner maßlosen Unverschämtheit meine Worte nicht beachten, fordere ich Dich hiermit zum Kampf heraus. Ich lade Dich zu einer Schlacht ein, in der die endgültige Entscheidung fallen wird.« Als die Mitglieder der königlichen Versammlung, unter denen sich auch König Ugrasena befand, die Botschaft Pauṇḍrakas vernahmen, lachten sie lange Zeit aus vollem Halse. Nachdem Kṛṣṇa ihr lautes Gelächter zur Genüge genossen hatte, entgegnete Er dem Boten: »O Botschafter Pauṇḍrakas, du kannst deinem Meister folgendes ausrichten: ›Er ist ein dummer Schurke. Ich nenne ihn ganz unverblümt einen Schurken und lehne es ab, seinen Anordnungen zu folgen. Ich werde niemals die Zeichen Vāsudevas aufgeben, vor allen Dingen nicht Mein Feuerrad. Mit diesem Feuerrad werde Ich nicht nur König Pauṇḍraka töten, sondern auch seine ganze Anhängerschaft. Ich werde diesen Pauṇḍraka samt seinen dummen Gefährten beseitigen, die nichts weiter sind als eine Gesellschaft von Betrügern und Betrogenen. Wenn dies geschehen ist, verblendeter König, wirst du dein Gesicht aus Schmach verbergen müssen, und wenn dir Mein Feuerrad den Kopf von den Schultern getrennt hat, werden ihn aasfressende Vögel wie Geier, Falken und Adler umringen. Dann wirst du, statt Meine Zuflucht zu werden, wie du es verlangt hast, der Gnade dieser niedrigen Vögel ausgeliefert sein. Man wird deinen Körper den Hunden vorwerfen, die ihn mit großer Freude fressen werden.‹« Mit dieser Botschaft verließ der Bote Dvārakā und überbrachte seinem Herrn Kṛṣṇas Worte, der sich geduldig die Beleidigungen des Herrn anhörte. Śrī Kṛṣṇa zog indessen unverzüglich auf Seinem Streitwagen los, um den Schurken Pauṇḍraka zu bestrafen. Weil dieser gerade bei seinem Freund, dem König von Kāśī, weilte, umzingelte Śrī Kṛṣṇa mit Seinem Heer die Stadt Kāśī. König Pauṇḍraka war ein mächtiger Krieger, und so stürmte er, als er von Kṛṣṇas Angriff hörte, mit zwei akṣauhiṇī Soldaten aus der Stadt. Der König von Kāśī folgte ihm, da er ein guter Freund Pauṇḍrakas war, mit drei weiteren akṣauhiṇī. Als die beiden Könige vor Śrī Kṛṣṇa erschienen, um mit Ihm zu kämpfen, sah Kṛṣṇa Pauṇḍraka zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht. Kṛṣṇa sah, daß sich Pauṇḍraka mit dem Muschelhorn, dem Feuerrad, der Lotosblüte und der Keule geschmückt hatte. Dazu trug er den Śārṅga-Bogen, und auf seiner Brust war das Śrīvatsa-Zeichen zu sehen. Um seinen Hals hing ein falsches Kaustubha-Juwel, und er trug eine Blumengirlande, die eine genaue Imitation der Vāsudevas war. Außerdem hatte sich Pauṇḍraka in gelbfarbene seidene Gewänder gekleidet, und die Flagge auf seinem Streitwagen, ebenfalls eine Nachbildung der Flagge Kṛṣṇas, trug das Symbol Garuḍas. Auf dem Kopf trug er einen überaus kostbaren Helm, und die Ohrringe, die Schwertfische ähnelten, glitzerten hell. Kurzum, sein Gewand und sein ganzes Aussehen waren eine deutliche Nachahmung. Jeder, der ihn sah, konnte erkennen, daß er, wie ein Schauspieler auf der Bühne, in falschen Kleidern die Rolle Vāsudevas spielte. Als Śrī Kṛṣṇa sah, wie Pauṇḍraka Seine Haltung und Seine Kleidung imitierte, mußte Er unwillkürlich lachen, und so lachte Er mit großer Zufriedenheit. Gleich darauf begannen die Soldaten auf Pauṇḍrakas Seite, Kṛṣṇa mit ihren Wurfgeschossen zu überschütten. Ihre Dreizacke, Keulen, Lanzen, Spieße, Schwerter und Dolche kamen in Wellen auf Kṛṣṇa zugeflogen, doch Kṛṣṇa wehrte sie alle ab. Er vernichtete nicht nur die Waffen Pauṇḍrakas, sondern auch seine Soldaten und Spießgesellen, wie das Feuer der Zerstörung, das zur Zeit der Vernichtung des Universums alles zu Asche verbrennt. Die Elefanten, Streitwagen, Pferde und Fußsoldaten der Gegenseite wurden durch Kṛṣṇas Waffen überallhin verstreut. Das ganze Schlachtfeld wurde mit den Körpern der Tiere und den Streitwagen übersät. Überall lagen die gefallenen Pferde, Elefanten, Männer, Esel und Kamele. Doch obwohl das verwüstete Schlachtfeld wie der Tanzplatz Śivas zur Zeit der Vernichtung der Welt aussah, wurden die Krieger auf Kṛṣṇas Seite sehr ermutigt, als sie dies sahen, und kämpften mit noch größerer Kraft. Alsdann rief Kṛṣṇa Pauṇḍraka zu: »Pauṇḍraka, du hast Mich gebeten, die Zeichen Viṣṇus, vor allem Mein Feuerrad, abzulegen. Nun gut, Ich werde sie dir geben. Doch sei vorsichtig! Du behauptest zu Unrecht, Vāsudeva zu sein, und imitierst Mich. Daher ist niemand ein größerer Dummkopf als du.« Aus diesen Worten Kṛṣṇas wird deutlich, daß jeder Schurke, der sich für Gott ausgibt, der größte Narr in der menschlichen Gesellschaft ist. Kṛṣṇa fuhr fort: »Nun, o Pauṇḍraka, werde Ich dich zwingen, deine falsche Rolle aufzugeben. Du hast von Mir verlangt, Mich dir zu unterwerfen. Jetzt bietet sich dir die Gelegenheit, Mich dazu zu zwingen. Wir werden miteinander kämpfen, und wenn du Mich besiegst, werde Ich Mich dir gewiß ergeben.« Nachdem somit Kṛṣṇa Pauṇḍraka streng zurechtgewiesen hatte, zertrümmerte Er seinen Wagen mit einem Pfeil. Dann trennte Er mit Seinem Feuerrad Pauṇḍrakas Kopf vom Rumpf wie Indra die Gipfel der Berge mit seinen Blitzen kappt. Er tötete auch den König von Kāśī mit Seinen Pfeilen. Nach dessen Tod warf Kṛṣṇa den Kopf des Königs in die Stadt Kāśī, damit auch die Verwandten und Angehörigen ihn sehen konnten. Kṛṣṇa tat dies wie ein Wirbelsturm, der ein Lotosblatt fortweht. So vernichtete Kṛṣṇa Pauṇḍraka und Kāśīrāja auf dem Schlachtfeld und kehrte in Seine Hauptstadt Dvārakā zurück. Als Srī Kṛṣṇa in Dvārakā ankam, priesen alle Siddhas von den himmlischen Planeten Seinen Ruhm. Weil Pauṇḍraka ständig an Śrī Vāsudeva dachte, z. B., indem er sich als Vāsudeva verkleidete, erlangte er nach seinem Tod sārūpya, eine der fünf Arten der Befreiung, und wurde somit zu den Vaikuṇṭha-Planeten erhoben, auf denen die Gottgeweihten die gleichen körperlichen Merkmale wie Śrī Viṣṇu besitzen, nämlich vier Hände, die die vier Zeichen Śrī Viṣṇus halten. Pauṇḍraka meditierte in der Tat ständig über die Viṣṇu-Form, doch weil er sich einbildete, selbst Viṣṇu zu sein, machte er sich eines großen Vergehens schuldig. Als Kṛṣṇa ihn aber dann tötete, wurde auch dieses Vergehen abgeschwächt, und so erlangte er die sārūpya-Befreiung, d. h., er nahm die gleiche Gestalt wie der Herr an. Als der Kopf des Königs von Kāśī durch das Stadttor geworfen wurde, liefen die Bürger sofort zusammen. Sie waren erstaunt, ein solch »wunderliches Ding« zu sehen, doch als sie bemerkten, das das »wunderliche Ding« Ohrringe trug, erkannten sie, daß es der Kopf eines Menschen war. Sie fragten sich, wem dieser Kopf wohl gehöre. Einige dachten, es sei Kṛṣṇas Kopf, denn, weil Er Kāśīrājas Feind war, vermuteten sie, der König habe Kṛṣṇas Kopf in die Stadt geworfen, damit sich die Bürger freuen könnten, daß der Feind getötet sei. Schließlich stellte sich jedoch heraus, daß es nicht Kṛṣṇas Kopf war, sondern der Kāśīrājas. Als man sich dessen sicher war, kamen die Königinnen herbeigelaufen und begannen den Tod ihres Gatten zu beklagen. »Lieber Herr«, schluchzten sie, »durch deinen Tod sind wir wie Tote geworden.« Der König von Kāśī hatte einen Sohn mit Namen Sudakṣiṇa. Nachdem Sudakṣiṇa die Bestattungszeremonien für seinen Vater der Sitte entsprechend vollzogen hatte, legte er das Gelübde ab, Kṛṣṇa, den Mörder seines Vaters, zu töten und so die Schuld gegenüber seinem Vater zu begleichen. Er begann daher unter der Anleitung eines erfahrenen Priesters Mahādeva, Śiva zu verehren, denn Śiva, der auch als Viśvanātha bekannt ist, ist der Herr über das Königreich Kāśī. Noch heute steht der Tempel Viśvanāthas in Vārāṇasī, und es versammeln sich dort täglich viele Tausende von Pilgern. Śiva war über die Verehrung Sudakṣiṇas sehr erfreut, und daher wollte er seinem Geweihten eine Segnung zuteil werden lassen. Sudakṣiṇa hatte die Absicht, Kṛṣṇa zu töten, und so bat er Śiva um eine besondere Kraft, durch die er Kṛṣṇa töten könne. Śiva riet ihm, unter der Anleitung einiger brāhmanas rituelle Zeremonien zur Beseitigung eines Feindes auszuführen. Diese Zeremonie wird ebenfalls in einigen der Tantras erwähnt. Śiva erklärte Sudakṣiṇa weiter, daß bei richtiger Durchführung einer solchen schwarzen rituellen Zeremonie der böse Geist mit Namen Dakṣiṇāgni erscheinen werde, der bereit sei, jeden ihm erteilten Befehl auszuführen. Er müsse indessen beauftragt werden, jemand anderen als einen befähigten brāhmaṇa zu töten. Dann würde Dakṣiṇāgni von Śivas geisterhaften Gefährten begleitet werden, und so werde der Wunsch Sudakṣiṇas, seinen Feind zu töten, in Erfüllung gehen. Als Sudakṣiṇa von Śiva in dieser Weise ermutigt wurde, war er sich sicher, daß er Kṛṣṇa töten werde. Mit dem ernsten Gelübde, jedes Opfer auf sich zu nehmen, begann er mit Hilfe der Priester schwarze mantras zu chanten. Bald darauf kam eine große dämonische Gestalt aus dem Feuer, deren Haare und Bart von der Farbe rotglühenden Kupfers waren. Die Gestalt war gewaltig und furchterregend. Als der Dämon aus dem Feuer hervorkam, sprühten Funken aus seinen Augen, und seine sich hin und her bewegenden Augenbrauen ließen ihn noch schrecklicher erscheinen. Er zeigte seine langen scharfen Zähne und leckte sich mit langer Zunge die Lippen. Er war ganz nackt und trug einen Dreizack, der wie Feuer loderte. Nachdem er aus dem Opferfeuer erschienen war, blieb er, den Dreizack in einer Hand drehend, zunächst aufrecht stehen. Von Sudakṣiṇa angestachelt, begann er sodann mit Hunderten von anderen Geistern nach der Hauptstadt Dvārakā zu marschieren, und es schien, als wolle er das ganze Weltall in Asche legen. Der Erdboden erzitterte unter seinen stampfenden Schritten, und als er schließlich in Dvārakā eindrang, wurden alle Einwohner, wie Tiere bei einem Waldbrand, von Panik erfaßt. Zu jener Zeit spielte Kṛṣṇa in Seiner königlichen Beratungshalle gerade Schach. In ihrer Angst liefen einige der Bürger zu Ihm und flehten den Herrn an: »Lieber Herr der drei Welten, in der Stadt ist ein großer Feuerdämon, der bereit ist, alles zu verbrennen. Bitte rette uns.« So baten die Einwohner von Dvārakā den Herrn um Schutz vor dem Feuerdämon, der in Dvārakā erschienen war, um die ganze Stadt zu verwüsten. Śrī Kṛṣṇa, der besonders Seine Geweihten beschützt, sah, daß die Bevölkerung von Dvārakā durch die Anwesenheit des großen Feuerdämons voller Entsetzen war; doch Er lächelte nur und versicherte den Bürgern: »Habt keine Angst, Ich werde euch alle beschützen.« Der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa ist alldurchdringend. Er weilt im Herzen jedes Lebewesens, und Er befindet Sich zugleich außerhalb in der Form der kosmischen Manifestation. Er wußte daher, daß der Feuerdämon ein Geschöpf Śivas war, und um ihn zu vernichten, rief Er Seinen Sudarśana-cakra herbei und befahl ihm, alle notwendigen Schritte zu unternehmen. Der Sudarśana-cakra erschien mit der Ausstrahlung von Millionen von Sonnen, und seine Hitze war so mächtig wie das Feuer bei der Vernichtung der kosmischen Manifestation. Der Sudarśana-cakra erleuchtete mit seiner Ausstrahlung das gesamte Universum, die Erdoberfläche sowie den Weltraum. Er ließ den Feuerdämon Śivas erstarren, der umkehrte, als er auf auf diese Weise durch den Sudarśana-cakra Śrī Kṛṣṇas aufgehalten wurde und seinen Versuch, die Stadt Dvārakā zu verwüsten, vereitelt sah. Da es ihm nicht gelungen war, Dvārakā in Brand zu setzen, kehrte er nach Vārāṇasī, dem Königreich Kāśīrājas zurück. Als Folge seiner Rückkehr verbrannte er alle Priester, die geholfen hatten, die mantras der schwarzen Kunst zu chanten, sowie ihren Auftraggeber Sudakṣiṇa durch die gleißende Ausstrahlung zu Asche. Bei dem Chanten von mantras der schwarzen Kunst, wie es im Tantra gelehrt wird, ist es Gesetz, daß der mantra, da er irgend jemanden töten muß, seinen Urheber tötet, wenn es ihm nicht gelingt, den Feind zu töten. Sudakṣiṇa war der Urheber, und die Priester waren ihm dabei behilflich gewesen; infolgedessen wurden sie alle zu Asche verbrannt. Das ist das Schicksal der Dämonen: Sie schaffen etwas, um Gott zu töten, doch die gleiche Waffe vernichtet sie selbst. Der Sudarśana-cakra folgte dem Dämon auf den Fersen und drang ebenfalls in Vārāṇasī ein. Vārāṇasī war lange Zeit sehr reich und bekannt gewesen. Selbst heute noch ist diese Stadt sehr wohlhabend und berühmt und gilt als eine der wichtigsten Städte Indiens. Damals gab es dort viele große Paläste, Versammlungshäuser, Marktplätze und Tore. Bei den Palästen und Toren standen große Denkmäler; an jeder Straßenkreuzung konnte man erhöhte Rednerpodeste finden, und es gab außerdem eine Schatzkammer, viele Elefanten und Pferde, Wagen, Kornspeicher und mehrere Plätze zur Nahrungsmittelverteilung. Die Stadt Vārāṇasī besaß diese materiellen Güter schon von altersher, doch weil der König von Kāśī und sein Sohn Sudakṣiṇa Kṛṣṇas Feinde waren, zerstörte die Viṣṇu-Waffe Sudarśana (die Feuerrad-Waffe Śrī Kṛṣṇas) die ganze Stadt, indem sie all diese bedeutenden Plätze verbrannte. Die Verwüstung war größer als nach einem Bombenangriff unserer Tage. Nachdem der Sudarśana-cakra seine Pflicht erfüllt hatte, kehrte er zu Śrī Kṛṣṇa nach Dvārakā zurück. Die Geschichte der Verwüstung Vārāṇasīs durch Kṛṣṇas Feuerwaffe Sudarśana-cakra ist transzendental und glückverheißend. Jeder, der diese Begebenheit erzählt oder mit Vertrauen und Aufmerksamkeit hört, wird von allen Reaktionen auf sündige Handlungen befreit werden. Śukadeva Gosvāmī versicherte dies, als er die Geschichte Mahārāja Parīkṣit erzählte. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 65. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Pauṇḍraka und der König von Kāśī werden befreit«. 66. KAPITEL Die Vernichtung des Gorillas Dvivida Während Śukadeva Gosvāmī von den transzendentalen Spielen und Merkmalen Śrī Kṛṣṇas erzählte, wurde Mahārāja Parīkṣit, der ihm die ganze Zeit zuhörte, immer begeisterter und bat darum, mehr zu hören. Śukadeva Gosvāmī erzählte als nächstes die Geschichte des Gorillas Dvivida, der von Śrī Balarāma getötet wurde. Dieser Gorilla war ein enger Freund Baumāsuras oder Narakāsuras, der von Kṛṣṇa getötet wurde, weil er mehr als 16000 Prinzessinnen aus allen Teilen der Welt entführt hatte. Dvivida war der Minister König Sugrīvas. Sein Bruder, Mainda, war ebenfalls ein sehr mächtiger Gorillakönig. Als dem Gorilla Dvivida zu Ohren kam, wie sein Freund Baumāsura von Kṛṣṇa getötet worden war, beschloß er, das gesamte Land mit Verwüstungen heimzusuchen, um den Tod Baumāsuras zu rächen. Als erstes setzte er die Dörfer, Städte, Industriegebiete und Bergwerke in Brand und legte dann auch Feuer in den Siedlungen der Gewerbetreibenden, die Milcherzeugnisse herstellten und die Kühe beschützten. Zuweilen riß er auch einen gewaltigen Berg aus der Erde und schmetterte ihn in Stücke. Auf diese Weise richtete er überall im Land, insbesondere in der Provinz Kathwar, großen Schaden an. Die Stadt Dvārakā lag in der Provinz Kathwar, und weil Śrī Kṛṣṇa in dieser Stadt lebte, machte Dvivida sie ganz besonders zum Ziel seiner Angriffe. Dvivida war so mächtig wie 10000 Elefanten. Manchmal ging er an den Meeresstrand und erzeugte dort mit seinen mächtigen Händen so hohe Wellen, daß die umliegenden Städte und Dörfer überflutet wurden. Oft ging er auch zu den Einsiedeleien der großen Weisen und Heiligen und richtete dort großen Schaden an, indem er ihre schönen Gärten und Obstpflanzungen zerstörte. Manchmal suchte Dvivida sogar die heiligen Opferstätten heim und ließ dort Urin und Kot ab. So verunreinigte er die ganze Atmosphäre dort. Er entführte auch Männer und Frauen aus ihren Heimatorten und brachte sie in Berghöhlen, deren Eingänge er mit großen Felsblöcken verschloß – wie ein bhṛṅgī-Insekt, das Fliegen und andere Insekten fängt und sie in die Baumlöcher bringt, in denen es lebt. Somit verstieß Dvivida ständig gegen das Gesetz und die Ordnung des Landes. Doch er tat nicht nur das, sondern er entehrte sogar die Frauen vieler adliger Familien, indem er sie vergewaltigte. Während er auf diese Weise im ganzen Land Schrecken verbreitete, drang zuweilen aus den Raivataka-Bergen süße Musik an sein Ohr, und so besah er sich eines Tages die Berggegend ein wenig näher. Er erblickte Śrī Balarāma, der Sich inmitten vieler lieblicher junger Mädchen mit Singen und Tanzen vergnügte. Der Dämon war von der körperlichen Schönheit Śrī Balarāmas gefangen, dessen Gliedmaßen in ihrem Ebenmaß herrlich anzuschauen waren und dessen Körper eine Girlande aus Lotosblüten schmückte. Auch all die jungen Mädchen, die kostbar gekleidet und mit Blumen bekränzt waren, entfalteten große Schönheit. Es hatte den Anschein, als sei Śrī Balarāma vom Vāruṇī-Trank völlig berauscht, und Seine Augen schienen vor Trunkenheit hin- und herzurollen. Er glich dem König der Elefanten, der sich mit vielen Elefantenkühen vergnügt. Der Gorilla Dvivida konnte auf Bäume klettern und von Ast zu Ast springen. Manchmal riß er an den Zweigen und machte dabei ein Geräusch, das wie »kila, kila« klang und das Śrī Balarāma aus Seiner friedlichen Stimmung brachte. Zuweilen stellte sich Dvivida unvermittelt vor die Mädchen und schnitt allerlei Grimassen. Junge Frauen neigen von Natur aus dazu, über alles zu lachen und zu scherzen, und so nahmen sie auch den Gorilla nicht ernst, als er plötzlich vor ihnen erschien, sondern lachten ihn nur aus. Dvivida wurde schließlich so unverschämt, daß er den Mädchen, trotz Balarāmas Gegenwart, den unteren Teil seines Körpers zeigte, und manchmal trat er unversehens ganz dicht an sie heran, zeigte ihnen die Zähne und bewegte dabei wild die Augenbrauen hin und her. Er verhielt sich, mit einem Wort, sehr respektlos gegenüber den jungen Mädchen, obwohl auch Balarāma zugegen war. Śrī Balarāmas Name deutet an, daß Er nicht nur sehr mächtig ist, sondern daß es Ihm auch große Freude bereitet, von Seiner außergewöhnlichen Kraft Gebrauch zu machen. Er nahm daher einen Stein vom Boden auf und warf ihn nach Dvivida. Der Gorilla wich dem Wurf jedoch geschickt aus. Um Balarāma zu beleidigen, nahm er den irdenen Topf, in dem der Vāruṇī-Honig aufbewahrt wurde. Nachdem er ihn leer getrunken hatte, war er völlig betrunken und machte sich daran, mit seiner begrenzten Kraft den Mädchen und Balarāma die kostbaren Kleider vom Körper zu reißen. Er war so hochmütig, daß er glaubte, Balarāma könne nichts gegen ihn unternehmen, und so beleidigte er den Herrn und Seine Begleiterinnen weiter. Als Śrī Balarāma persönlich sah, wie unglaublich der Gorilla sich benahm und hörte, daß er bereits im ganzen Land Verwüstungen angerichtet hatte, wurde Er sehr zornig und beschloß, ihn zu töten. Sogleich nahm Er Seine Keule in beide Hände. Der Gorilla erkannte, daß der Herr ihn angreifen wollte, und so entwurzelte er, um Balarāma abzuwehren, eine riesige Eiche, stürzte auf Balarāma zu und schlug sie Ihm auf den Kopf. Śrī Balarāma indessen packte den großen Baum sogleich und blieb unbewegt wie ein großer Berg. Um diesen Schlag zu vergelten, nahm Er Seine Keule mit Namen Sunanda und versetzte dem Gorilla einige heftige Schläge. Dvividas Kopf wurde übel zugerichtet. Ströme von Blut quollen hervor, doch der Blutstrom vergrößerte seine Schönheit nur noch, wie ein Lavastrom, der aus einem Berg bricht. Die Keulenschläge Balarāmas störten ihn nicht im geringsten. Im Gegenteil, er entwurzelte sogleich eine zweite Eiche, und nachdem er rasch alle Blätter abgestreift hatte, schlug er mit ihr wieder nach Balarāmas Kopf; doch Balarāma zerschmetterte den Baum mit Seiner Keule in viele kleine Stücke. Weil der Gorilla nun wirklich sehr wütend war, riß er erneut einen Baum aus und schlug nach Balarāma; doch wieder zersplitterte Balarāma den Baum, und so ging der Kampf hin und her. Jedesmal, wenn der Gorilla erneut einen Baum ausriß, um Balarāma damit zu schlagen, zersplitterte Balarāma ihn mit einem Schlag Seiner Keule. Wieder und wieder entwurzelte Dvivida einen Baum an einer anderen Stelle und griff Balarāma immer wieder an. Als Folge des ununterbrochenen Kampfes wurde der Wald allmählich all seiner Bäume beraubt. Als schließlich keine Baumstämme mehr zur Verfügung standen, wandte sich Dvivida den Hügeln zu und schleuderte große Felsbrocken, so dicht wie Regen, gegen Balarāma. Dieser, der ebenfalls zum Spielen aufgelegt war, zerschlug die Felsblöcke mit Seiner Keule in kleine Kieselsteine. Als dem Gorilla schließlich alle Bäume und Felsbrocken ausgegangen waren, stellte er sich vor den Herrn und schwang seine starken Fäuste in der Luft. Dann begann er mit ihnen heftig gegen Balarāmas Brust zu schlagen. Balarāma erzürnte dies sehr, aber weil Ihn der Gorilla mit den bloßen Fäusten angriff, wollte Er nicht mit Seinen Waffen, der Keule und der Pflugschar, gegen ihn kämpfen. Deshalb schlug Er mit der bloßen Faust gegen das Schlüsselbein des Gorillas, und dieser Schlag besiegelte Dvividas Schicksal, der sofort Blut spie und ohne Bewußtsein zu Boden fiel. Als der Gorilla niederstürzte, schienen Hügel und Wälder zu erzittern. Nach diesem schrecklichen Abenteuer überschütteten die großen Weisen, Heiligen und Siddhas von den oberen Planeten Śrī Balarāma mit Blumen, und dazu erklangen Gesänge, die Śrī Balarāmas Sieg priesen. Sie alle chanteten: »Gepriesen sei Śrī Balarāma. Wir wollen Deinen Lotosfüßen unsere achtungsvollen Ehrerbietungen darbringen. Dadurch, daß Du den großen Dämon Dvivida getötet hast, hast Du für die ganze Welt ein glückliches Zeitalter eingeleitet.« Diese jubelnden Siegesgesänge drangen aus dem Weltraum auf die Erde herunter. Nachdem Balarāma, wie beschrieben, den großen Dämonen Dvivida getötet hatte und mit Blumenregen und ruhmreichen Siegesgesängen verehrt worden war, kehrte Er in Seine Hauptstadt Dvārakā zurück. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 66. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Vernichtung des Gorillas Dvivida«. 67. KAPITEL Die Heirat Sāmbas Duryodhana, der Sohn Dhṛtarāṣṭras, hatte eine Tochter im heiratsfähigen Alter mit Namen Lakṣmaṇā. Sie besaß vortreffliche Eigenschaften, und deshalb hatten viele Prinzen die Absicht, sie zu heiraten. In solchen Fällen war es üblich, eine svayaṁvara-Zeremonie abzuhalten, in der sich das Mädchen selbst ihren zukünftigen Mann aussuchen kann. Bei Lakṣmaṇās svayaṁvara-Zeremonie erschien in dem Moment, da das Mädchen ihren Gatten wählen sollte, Sāmba. Er war der Sohn Kṛṣṇas, der von Jāmbavatī, einer der Hauptfrauen Kṛṣṇas, zur Welt gebracht worden war. Sāmba hatte seinen Namen deshalb erhalten, weil er ein schlechtes Kind war und sich immer in der Nähe seiner Mutter hielt. Sāmba bedeutet nämlich soviel wie »Muttersöhnchen« (ambā wird mit »Mutter« übersetzt und sa bedeutet »zusammen mit«). Sāmba hatte seinen Namen bekommen, weil er stets bei seiner Mutter blieb. Aus dem gleichen Grund war er auch als Jāmbavatīsuta bekannt. Wie bereits zuvor erklärt wurde, besaßen alle Söhne Kṛṣṇas die gleichen Eigenschaften wie ihr berühmter Vater Śrī Kṛṣṇa. Sāmba, nun, begehrte Lakṣmaṇā, die Tochter Duryodhanas, zur Frau, obwohl sie sich durchaus nicht zu ihm hingezogen fühlte. Sāmba entführte sie daher mit Gewalt aus der svayaṁvara-Versammlung. Weil Sāmba Lakṣmaṇā gewaltsam geraubt hatte, waren sich alle Familienangehörigen der Kuru-Dynastie, wie Dhṛtarāṣṭra, Bhīṣma, Vidura, Ujahan und Arjuna, darin einig, daß die Entführung ihrer Tochter durch den Jungen Sāmba eine Beleidigung der Familientradition darstelle. Sie alle wußten, daß Lakṣmaṇā nicht geneigt war, Sāmba zum Gatten zu wählen, und daß sie nicht die Möglichkeit gehabt hatte, sich ihren Ehemann selbst auszusuchen. Statt dessen war sie mit Gewalt von diesem Jüngling davongetragen worden. Daher beschlossen sie, daß er bestraft werden müsse. Sie erklärten einstimmig, daß Sāmbas Unverschämtheit die Familientradition der Kurus verletzt habe. Aus diesem Grund faßten sie auf den Rat der Familienältesten hin den Entschluß, den Jungen gefangenzunehmen, jedoch nicht zu töten. Ihnen war bewußt, daß das Mädchen mit niemand anderem als mit Sāmba verheiratet werden könne, da sie bereits von ihm berührt worden war. Nach den vedischen Gesetzen kann ein Mädchen, das schon einmal mit einem Mann Umgang gehabt hat, mit keinem anderen als mit ihm verheiratet werden. Abgesehen davon wäre niemand bereit, ein Mädchen zu heiraten, das bereits mit einem anderen Mann zusammengewesen ist. Die Familienältesten, wie Bhīṣma, wollten Sāmba ergreifen, und so taten sich alle Angehörigen der Kuru-Dynastie, besonders die großen Kämpfer, zusammen, um ihm eine Lehre zu erteilen; Karṇa wurde zum Befehlshaber in der kleinen Schlacht ernannt. Während sich die Kurus berieten, wie Sāmba am besten zu fangen sei, waren sie sich durchaus bewußt, daß die Yadus über seine Gefangennahme sehr zornig auf sie werden würden. Es war also, mit anderen Worten, sehr wohl möglich, daß sie die Herausforderung annahmen und mit ihnen kämpften. Doch zugleich sagten sich die Kurus: »Wenn die Yadus hierherkommen, um mit uns zu kämpfen, was können sie uns schon anhaben? Die Mitglieder der Yadu-Dynastie können den Mitgliedern der Kuru-Dynastie nicht gleichkommen, denn die Könige der Kuru-Dynastie sind die Herrscher der Welt, wohingegen sich die Könige der Yadu-Dynastie nur an ihrem Ländereien erfreuen können.« Die Kurus dachten weiter: »Wenn sie hierherkommen und uns herausfordern, weil wir ihren Sohn gefangen haben, werden wir den Kampf trotzdem annehmen. Wir werden ihnen eine Lehre erteilen, daß sie, wie die Sinne beim mystischen yoga-System (prāṇāyāma), mit Gewalt unterdrückt werden [* Beim mechanischen mystischen yoga-System werden die Lüfte innerhalb des Körpers beherrscht und die Sinne unterdrückt und davon abgehalten, sich mit etwas anderem als mit der Meditation über Śrī Viṣṇu zu beschäftigen.*]. Nach eingehender Beratung und nachdem sie die Ältesten der Kuru-Dynastie, wie Bhīṣma und Dhrtarāṣṭra, um Erlaubnis gebeten hatten, zogen sechs große Kämpfer aus, die alle mahā-rathīs waren – Karṇa, Śala, Bhuriśravā, Yajñaketu und Duryodhana, der Vater des Mädchens. Sie wollten unter der Leitung des gewaltigen Kämpfers, Bhīṣmadeva, versuchen, den jungen Sāmba gefangenzunehmen. Es gab verschiedene Grade von Kämpfern, und zwar mahā-rathīs, eka-rathīs und rathīs, die je nach ihrer Stärke im Kampf bestimmt werden. Die mahā-rathīs z. B. waren so stark, daß sie allein gegen viele tausend Mann kämpfen konnten. Alle mahā-rathīs der Kuru-Dynastie verbündeten sich also, um Sāmba zu fangen. Sāmba war zwar ebenfalls ein mahā-rathī, doch war er allein und mußte gegen sechs mahā-rathīs kämpfen. Trotzdem ließ er sich nicht abschrecken, als er sah, daß alle großen Kämpfer der Kuru-Dynastie ihn verfolgten. Er wandte sich ihnen zu, und, seinen prächtigen Bogen ergreifend, sah er aus wie ein Löwe, der sich unüberwindlich anderen Tieren in den Weg stellt. Karṇa, der die Schar anführte, forderte Sāmba heraus: »Warum läufst du davon? Stell dich, damit wir dir eine Lektion erteilen können!« Wenn ein kṣatriya von einem anderen kṣatriya zum Kampf herausgefordert wird, darf er nicht fliehen; er muß kämpfen. Daher wurde Sāmba, sowie er die Herausforderung annahm und sich zum Kampf stellte, von all den großen Kriegern mit einem Pfeilhagel überschüttet. Als Sāmba, der ruhmreiche Sohn der Yadu-Dynastie, der als Sohn Śrī Kṛṣṇas unvorstellbare Kräfte besaß, sah, wie unritterlich die Krieger der Kuru-Dynastie kämpften, da sie alle zugleich ihre Pfeile auf ihn abschossen, wurde er zornig wie ein Löwe, der sich nicht im geringsten fürchtet, wenn er von Wölfen und Schakalen angegriffen wird. Sāmba bekämpfte sie mit großem Geschick. Als erstes tötete er jeden der sechs Wagenlenker mit je einem Pfeil. Mit vier weiteren Pfeilen tötete er die Pferde der Wagenlenker, von denen jeweils vier vor einen Wagen gespannt waren. Ein Pfeil wurde gebraucht, um den Fahrer zu töten, und einen Pfeil schoß er auf Karṇa sowie die andern Krieger. Als Sāmba mit so großer Gewandheit allein gegen die sechs großen Helden kämpfte, konnten sie nicht umhin, die unbegreifliche Kraft des Jungen zu bewundern. Selbst in der Mitte des Kampfes gaben sie offen zu, daß Sāmba ein hervorragender Kämpfer sei. Doch der Kampf wurde im kṣatriya-Geist ausgetragen, und so zwangen sie Sāmba schließlich mit vereinten Kräften, von seinem mittlerweile zertrümmerten Wagen herunterzuspringen, obwohl dies nicht den Regeln des Kampfes entsprach. Vier der sechs Krieger töteten Sāmbas vier Pferde, und einem gelang es schließlich, Sāmbas Bogensehne zu zerschneiden, so daß er nicht weiter kämpfen konnte. Unter großen Schwierigkeiten und erst nach einem erbitterten Kampf war es ihnen möglich, Sāmba des Wagens zu berauben und ihn gefangenzunehmen. Die Kämpfer der Kuru-Dynastie waren stolz auf ihren großartigen Sieg und nahmen sogleich ihre Tochter Lakṣmaṇā in ihre Obhut. Danach zogen sie in großem Triumph in die Stadt Hastināpura ein. Kurze Zeit darauf unterrichtete der große Weise Nārada Muni die Yadu-Dynastie über Sāmbas Gefangennahme und erzählte ihnen die ganze Geschichte. Die Mitglieder der Yadu-Dynastie wurden sehr zornig, als sie hörten, daß Sāmba gefangengenommen worden war und dazu noch unritterlicherweise von sechs Kämpfern. Mit Erlaubnis ihres Führers, König Ugrasenas, bereiteten sie sich darauf vor, die Hauptstadt der Kuru-Dynastie anzugreifen. Obwohl Śrī Balarāma wußte, daß die Menschen im Kali-yuga schon bei der geringsten Herausforderung bereit sind, miteinander zu kämpfen, hielt Er nichts von dem Gedanken, daß die beiden großen Dynastien, die Kuru- und die Yadu-Dynastie, sich bekämpften, obwohl auch sie schon vom Kali-yuga beeinflußt wurden. »Statt mit ihnen zu kämpfen«, sagte Er weise zu Sich Selbst, »werde Ich Mich zu ihnen begeben und die Lage erkunden; vielleicht läßt sich der Kampf durch ein gegenseitiges Abkommen vermeiden.« Balarāma dachte, daß es möglich sein müsse, die Schlacht mit den Kurus zu umgehen, wenn Er sie dazu bringen könnte, Sāmba und Lakṣmaṇā freizulassen. Er ließ daher schnell einen schönen Wagen anspannen, um mit mehreren kundigen Priestern und brāhmaṇas sowie einigen älteren Familienmitgliedern der Yadu-Dynastie nach Hastināpura zu fahren. Er war überzeugt, daß die Angehörigen der Kuru-Dynastie mit Sāmbas und Lakṣmaṇās Heirat einverstanden waren und so ein Bruderkrieg vermieden werden konnte. Als Śrī Balarāma in Begleitung der gelehrten brāhmaṇas und Familienältesten der Yadus auf Seinem Wagen nach Hastināpura fuhr, sah Er aus wie der Mond, der am klaren Himmel inmitten vieler glänzender Sterne leuchtet. Als Śrī Balarāma die Grenzen von Hastināpura erreichte, fuhr Er nicht in die Stadt hinein, sondern bezog Quartier in einem kleinen Gartenhaus am Rande der Stadt. Dann bat Er Uddhava, die Führer der Kuru-Dynastie aufzusuchen und sie zu fragen, ob sie mit den Yadus kämpfen wollten oder zu einer friedlichen Übereinkunft bereit seien. Als Uddhava zu den Führern der Kuru-Dynastie kam, traf er alle bedeutenden Persönlichkeiten an wie Bhīṣmadeva, Dhṛtarāṣṭra, Droṇācārya, Bali, Duryodhana und Bāhlīka. Nachdem er ihnen gebührende Achtung erwiesen hatte, unterrichtete er sie darüber, daß Śrī Balarāma in dem Garten vor dem Stadttor angekommen sei. Die Führer der Kuru-Dynastie, insbesondere Dhṛtarāṣṭra und Duryodhana, freuten sich sehr, denn sie wußten, daß Śrī Balarāma ein wohlmeinender Freund ihrer Familie war. Ihre Freude kannte keine Grenzen, als sie die Nachricht hörten, und so hießen sie Uddhava herzlich willkommen. Um Śrī Balarāma würdig zu empfangen, nahmen sie allerlei glückverheißende Gaben und zogen vor das Stadttor, um Ihn willkommen zu heißen. Entsprechend ihrer jeweiligen Stellung begrüßten sie Śrī Balarāma, indem sie Ihm schöne Kühe und argha [* argha – eine Zusammenstellung mehrerer Gegenstände, wie z. B. ārātrika-Wasser, süße Honigspeisen, Butter, Blumen und mit wohlriechenden Pasten bestrichene Girlanden *] überreichten. Und weil sie alle Śrī Balarāmas hohe Stellung als der Höchste Persönliche Gott kannten, verneigten sie sich vor Ihm mit großer Ehrfurcht. Auch tauschten sie einige Begrüßungsworte aus, indem sie sich gegenseitig nach dem Wohlergehen erkundigten. Nachdem diese Formalitäten beendet waren, gab ihnen Śrī Balarāma mit achtunggebietender Stimme und sehr geduldig folgendes zu bedenken: »Meine lieben Freunde, diesmal bin Ich als Bote mit dem Befehl des allmächtigen Königs Ugrasena zu euch gekommen. Hört Mir daher bitte aufmerksam und mit großer Sorgfalt zu. Bemüht euch, den Befehl unverzüglich auszuführen. König Ugrasena weiß sehr wohl, daß ihr Krieger der Kuru-Dynastie unredlich mit dem frommen Sāmba gekämpft habt, der allein war, und daß ihr ihn nur unter großen Schwierigkeiten und mit List gefangennahmt. Wir alle hörten davon, doch sind wir darüber nicht sehr erzürnt, da uns eine sehr enge Verwandtschaft mit euch verbindet. Ich halte es nicht für richtig, wenn unter einem solchen Vorfall unsere gute Beziehung leidet. Wir sollten weiter gute Freunde bleiben und nicht unnötig miteinander kämpfen. Laßt also bitte Sāmba auf der Stelle frei und bringt ihn zusammen mit seiner Frau Lakṣmaṇā zu Mir.« Die Führer der Kuru-Dynastie schätzten es durchaus nicht, daß Śrī Balarāma in so befehlendem Ton, voller Heldenmut, Erhabenheit und Tapferkeit zu ihnen sprach. Vielmehr wurden sie sehr aufgebracht und riefen zornentbrannt: »Holla! Diese Worte erstaunen uns sehr, doch passen sie sehr gut zum Zeitalter des Kali; wie sonst könnte Balarāma so schmähend sprechen? Die Worte und der Tonfall Balarāmas sind eine einzige Beleidigung. Durch den Einfluß des Zeitalters scheinen die Schuhe, die ihren Platz an den Füßen haben, zum Kopf emporsteigen zu wollen, auf dem der Helm sitzt. Wir sind mit der Yadu-Dynastie durch Heirat verwandt, und so bot sich den Yadus die Gelegenheit, zu uns zu kommen, um mit uns zu leben, zu tafeln und zu schlafen; nun aber nutzen sie die Vorrechte aus. Bevor wir einen Teil unseres Königreiches ihrer Herrschaft übergaben, besaßen sie so gut wie keine Macht, und nun versuchen sie, uns zu befehlen. Wir erlaubten der Yadu-Dynastie sogar, die königlichen Insignien zu gebrauchen, wie den Wedel, den Fächer, das Muschelhorn, den weißen Schirm, die Krone, den Thron, den Sitzplatz, die Bettstatt und alles, was sonst noch zum königlichen Stand gehört. Sie hätten diese königlichen Würdezeichen nicht in unserer Gegenwart verwenden sollen, doch weil wir so enge familiäre Beziehungen zueinander hatten, hinderten wir sie nicht daran. Nun aber erdreisten sie sich, uns zu befehlen, was wir tun sollen. Jetzt ist es genug mit ihrer Unverschämtheit! Wir können ihnen nicht erlauben, sich noch mehr herauszunehmen, noch werden wir es länger mitansehen, daß sie die königlichen Würdezeichen tragen. Es wäre das beste, ihnen diese Dinge fortzunehmen, denn es ist unklug, eine Schlange mit Milch zu füttern, da solch barmherzige Tätigkeit nur noch mehr Gift erzeugt. Die Yadu-Dynastie versucht nun, sich gegen uns, die wir sie so gut ernährt haben, aufzulehnen. Ihr Wohlstand beruht ganz allein auf unseren Gaben und unserer Gnade, und trotzdem sind sie so schamlos zu versuchen, uns Befehle zu erteilen. Wie bedauerlich dies alles ist! Niemand auf der Welt kann irgendetwas genießen, solange nicht die Mitglieder der Kuru-Dynastie, wie Bhīṣma, Droṇācārya und Arjuna, ihre Erlaubnis gegeben haben. Ebenso wie sich ein Lamm in der Gegenwart des Löwen nicht seines Lebens erfreuen kann, ist es nicht einmal den Halbgöttern im Himmel, samt ihrem Oberhaupt, Indra, möglich, ohne unseren Wunsch zu genießen, von gewöhnlichen Sterblichen ganz zu schweigen!« Die Mitglieder der Kuru-Dynastie waren durch ihren Reichtum, ihr Königreich, ihre adlige Herkunft, ihre Familientradition, ihre großen Krieger, ihre Familienangehörigen und ihr weitausgedehntes Imperium sehr hochmütig geworden. Sie hielten sich nicht einmal mehr an die grundlegenden Verhaltensregeln einer zivilisierten Gesellschaft und beleidigten die Yadu-Dynastie sogar in Balarāmas Gegenwart. Nachdem sie so ungehörig gesprochen hatten, kehrten sie nach Hastināpura zurück. Obwohl Balarāma die ganze Zeit ihre Beleidigungen angehört und ihr ungehöriges Verhalten schweigend zur Kenntnis genommen hatte, konnte man doch an Seinem Äußeren erkennen, daß Er vor Zorn brannte und Sich bereits überlegte, wie Er sie zur Rechenschaft ziehen könne. Er sah so erregt aus, daß kaum jemand es wagte, ihn auch nur anzuschauen. Er lachte sehr laut und sagte: »Es ist tatsächlich wahr, wenn sich ein Mann zu viel auf seine Familie, seinen Reichtum, seine Schönheit und seinen materiellen Fortschritt einbildet, will er nicht länger in Frieden leben, sondern fängt mit jedem Streit an. Es ist sinnlos, einem solchen Menschen zu erklären, wie man sich gut benimmt und ein friedliches Leben führt; vielmehr sollte man Mittel und Wege finden, ihn zu bestrafen.« Die meisten Menschen werden durch materiellen Reichtum zu Tieren und einem Tier friedliche Anweisungen zu geben ist sinnlos. Das einzige, das hilft, ist ein argumentum vaculum, oder anders gesagt: Das einzige Mittel, ein Tier zu zähmen, ist ein Stock. Balarāma fuhr fort: »Seht nur, wie unverschämt die Angehörigen der Kuru-Dynastie sind! Ich bin hierhergekommen, um ein friedliches Abkommen zu schließen, obwohl alle anderen Mitglieder der Yadu-Dynastie, selbst Śrī Kṛṣṇa, sehr zornig sind. Sie wollten schon das Königreich der Kurus angreifen, doch Ich besänftigte sie und machte Mir die Mühe, persönlich hierherzukommen, um die ganze Angelegenheit friedlich beizulegen. Trotzdem verhalten sich diese Halunken so! Offensichtlich wünschen sie keine friedliche Lösung; sie sind also in Wirklichkeit Kriegstreiber. Hochmütig haben sie Mich mehrmals beleidigt, indem sie die Yadu-Dynastie grob beschimpften. Selbst Indra, der König des Himmels, gehorcht dem Befehl der Yadu-Dynastie, und ihr glaubt, König Ugrasena, das Oberhaupt der Vṛṣṇis, Andhakas und Yādavas, verfüge nur über ein kleines Heer! Eure Annahme ist einfach köstlich! Ihr habt vor König Ugrasena keine Achtung, obwohl sein Befehl selbst von König Indra befolgt wird. Erkennt endlich die hohe Stellung der Yadu-Dynastie. Sie haben mit Gewalt das Versammlungshaus und den pārijata-Baum von den himmlischen Planeten geraubt, und trotzdem denkt ihr immer noch, sie könnten euch keine Befehle erteilen? Seid ihr etwa auch der Meinung, Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, dürfe nicht auf dem erhöhten Königsthron sitzen und jedem Befehle erteilen? Nun gut! Wenn ihr das glaubt, habt ihr eine gründliche Lektion verdient! Ihr haltet es für falsch, daß die Yadu-Dynastie die Königszeichen, wie den Wedel, den Fächer, den weißen Schirm, den Königsthron und anderes fürstliches Zubehör, benutzt. Heißt das, daß selbst Śrī Kṛṣṇa, der Herr der gesamten Schöpfung und der Gemahl der Glücksgöttin, diese Würdezeichen nicht verwenden darf? Der Staub von Śrī Kṛṣṇas Lotosfüßen wird von allen großen Halbgöttern verehrt. Und weil der Ganges, der durch das ganze Universum fließt, von Seinen Lotosfüßen ausgeht, haben sich seine Ufer in vielbesuchte Pilgerstätten verwandelt. Die führenden Gottheiten aller Planeten beschäftigen sich in Seinem Dienst und schätzen sich sehr glücklich, den Staub von Seinen Lotosfüßen auf ihre Helme reiben zu dürfen. Große Halbgötter, wie Brahmā, Śiva und die Glücksgöttin, ja, sogar Ich Selbst, sind lediglich kleine Teile Seiner spirituellen Persönlichkeit. Glaubt ihr immer noch, Er sei es nicht wert, die königlichen Würdezeichen zu verwenden oder auf dem Königsthron zu sitzen? O weh, wie bedauerlich es ist, daß diese Dummköpfe uns, die Mitglieder der Yadu-Dynastie mit Schuhen vergleichen und sich selbst mit Helmen! Es ist ganz klar, daß die Führer der Kuru-Dynastie durch ihren weltlichen Besitz und ihren Reichtum verrückt geworden sind. Alles, was sie vorbrachten, war voll verrückter Ideen. Ich sollte sie auf der Stelle zur Rechenschaft ziehen und wieder zur Vernunft bringen. Wenn Ich nichts gegen sie unternehme, wird dies ein großer Fehler Meinerseits sein. Ich werde daher noch heute die gesamte Kuru-Dynastie vom Erdboden verschwinden lassen. Ich werde sie kurzerhand ausrotten!« Während er dies sagte, sah Balarāma so zornig aus, als würde Er im nächsten Augenblick die gesamte kosmische Manifestation zu Asche verbrennen. Er straffte Sich, nahm Seine Pflugschar zur Hand und schlug mit ihr wiederholt auf den Boden. Dadurch löste sich ganz Hastināpura vom Erdboden, und Śrī Balarāma begann, die Stadt in Richtung Ganges zu ziehen. Dabei lief ein Zittern wie bei einem Erdbeben durch Hastināpura, das die ganze Stadt zu zerstören drohte. Als die Angehörigen der Kuru-Dynastie sahen, daß ihre Stadt nah daran war, ins Wasser des Ganges zu stürzen, und als sie das Angstgeheul der Bürger vernahmen, kamen sie zur Vernunft und verstanden, was geschah. Ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren, brachten sie daher ihre Tochter Lakṣmaṇā herbei. Sie brachten auch Sāmba, der Lakṣmaṇā gewaltsam entführt hatte, und schritten, mit ihm und Lakṣmaṇā an der Spitze, auf Balarāma zu. Die Mitglieder der Kuru-Dynastie erschienen mit gefalteten Händen vor Śrī Balarāma, um Ihn, den Höchsten Persönlichen Gott, um Vergebung zu bitten. Diesmal waren sie vernünftiger und sagten: »O Śrī Balarāma, Du bist der Quell aller Freude. Du bist der Erhalter und die Stütze der gesamten kosmischen Lage. Unglücklicherweise waren wir uns Deiner unvorstellbaren Kräfte nicht bewußt. Lieber Herr, betrachte uns bitte als die größten Narren. Unsere Intelligenz war verwirrt. Wir sind daher zu Dir gekommen, um Dich um Verzeihung zu bitten. Bitte vergib uns. Du bist der ursprüngliche Schöpfer, Erhalter und Vernichter der gesamten kosmischen Manifestation, und dennoch bleibst Du stets transzendental. O allmächtiger Herr, große Weise sprechen über Dich. Du bist der ursprüngliche Puppenspieler, und alles in der Welt ist wie Dein Spielzeug. O Unbegrenzter, Du hast überall Deine Hand im Spiel und trägst alle Planetensysteme auf dem Kopf, als sei es ein Kinderspiel. Wenn die Zeit der Vernichtung kommt, nimmst Du die ganze materielle Manifestation in Dich auf, und dann gibt es nur noch Dich allein, der Du als Mahā-Viṣṇu auf dem Ozean der Ursachen ruhst. Lieber Herr, Du bist in Deinem transzendentalen Körper auf der Erde erschienen, um die kosmische Situation zu erhalten. Du stehst über Zorn, Neid und Feindschaft. Alles, was Du tust, selbst Deine Bestrafungen, ist für die ganze materielle Schöpfung glückverheißend. Wir bringen Dir unsere achtungsvollen Ehrerbietungen dar, denn Du bist der unvergängliche Höchste Persönliche Gott, der Quell aller Füllen und Kräfte. O Schöpfer unzähliger Universen, wir wollen vor Dir zu Boden fallen und Dir immer wieder unsere respektvollen Ehrerbietungen erweisen. Wir sind Dir nun völlig ergeben. Hab bitte Erbarmen mit uns und gewähre uns Deinen Schutz.« Als die berühmten Mitglieder der Kuru-Dynastie, angefangen mit Großvater Bhīṣmadeva bis hin zu Arjuna und Duryodhana, ihre ehrfürchtigen Gebete beendet hatten, wurde der Höchste Persönliche Gott Śrī Balarāma sogleich milder und versicherte ihnen, daß kein Anlaß zu Angst oder Sorge bestehe. Bei den meisten kṣatriya-Königen war es üblich, vor einer Heirat mit den Verwandten des Bräutigams bzw. der Braut zu kämpfen. Als Sāmba Lakṣmaṇā gewaltsam entführte, freuten sich die Ältesten der Kuru-Dynastie, daß er ein würdiger Mann für ihre Tochter war, doch weil sie sich von seiner Kraft überzeugen wollten, nahmen sie ihn, ohne jede Rücksicht auf die Kampfregeln, gefangen. Als die Yadus dann beschlossen, Sāmba aus der Gewalt der Kurus zu befreien, kam Balarāma persönlich, um die Angelegenheit zu regeln, und da er ein mächtiger kṣatriya-König war, befahl er den Kurus, Sāmba unverzüglich freizulassen. Die Kauravas stellten sich, als fühlten sie sich durch diesen Befehl verletzt, und forderten Balarāmas Macht heraus. Sie wollten im Grunde jedoch nur sehen, wie Balarāma Seine unfaßbare Stärke zeigen würde. Somit übergaben sie Sāmba sehr erfreut die Hand ihrer Tochter, wodurch die ganze Angelegenheit geregelt war. Und da Duryodhana seine Tochter sehr liebte, ließ er sie mit großem Prunk mit Sāmba verheiraten. Als Mitgift gab er ihr zuerst 1200 Elefanten, von denen jeder mindestens sechzig Jahre alt war; dazu gab er 10000 prächtige Pferde, 6000 wie die Sonne strahlende Streitwagen und 1000 Dienerinnen, die mit goldenem Geschmeide geschmückt waren. Śrī Balarāma, das berühmteste Mitglied der Yadu-Dynastie, wirkte als Sāmbas Wächter und nahm mit großer Zufriedenheit die Mitgift an. Balarāma freute Sich sehr über den Empfang, den Ihm die Kurus bereitet hatten, und fuhr schließlich mit dem frischgetrauten Paar nach Seiner Hauptstadt Dvārakā zurück. Im Triumph erreichte Er Dvārakā, wo Er mit vielen Bürgern zusammentraf, die alle Seine Geweihten und Freunde waren. Als sie sich alle um Ihn versammelt hatten, erzählte Er ihnen von Sāmbas Heirat, und als Er ihnen berichtete, wie Er Hastināpura erbeben ließ, staunten sie sehr. Śukadeva Gosvāmī bestätigt, daß Hastināpura dort lag, wo sich heute Neu-Delhi befindet. Der Fluß, der durch die Stadt fließt, ist heute als Yamunā bekannt, obwohl er in jenen Tagen als Ganges bekannt war. In diesem Zusammenhang weisen große Autoritäten, wie Jīva Gosvāmī, darauf hin, daß es sich bei dem Ganges und der Yamunā um den gleichen Fluß handelt, der lediglich verschiedenen Läufen folgt. Der Teil des Ganges, der durch Hastināpura nach Vṛndāvana fließt, ist als Yamunā bekannt, da er durch die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas geheiligt ist. Während der Regenzeit wird der Stadtteil Hastināpuras, der am Ufer der Yamunā liegt, überflutet und erinnert jeden an Śrī Balarāmas Drohung, die Stadt in den Ganges zu stürzen. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 67. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Heirat Sāmbas«. 68. KAPITEL Der große Weise Nārada besucht Kṛṣṇas Paläste Als der große Weise Nārada Muni erfuhr, daß Kṛṣṇa 16100 Frauen geheiratet hatte, nachdem Er den Dämon Narakāsura getötet hatte, der manchmal auch Bhaumāsura genannt wird, wunderte es ihn sehr, daß Sich Kṛṣṇa in 16100 Gestalten erweitert und alle Frauen zur gleichen Zeit in verschiedenen Palästen geheiratet hatte. Und weil er wissen wollte, wie Kṛṣṇa es einrichtete, mit so vielen Frauen zugleich zusammenzuleben, beschloß er, den Herrn bei diesem transzendentalen Spiel zu beobachten, und machte sich deshalb auf, die verschiedenen Paläste Kṛṣṇas zu besuchen. Als Nārada in Dvārakā eintraf, sah er, daß die Gärten und Parks voll waren mit allerlei Blumen der unterschiedlichsten Farben und daß auch die Bäume in den zahlreichen Obstgärten voll der verschiedenartigsten Früchte hingen. Farbenprächtige Vögel zwitscherten, und Pfauen jubilierten zu jedermanns Freude. Es gab dort Teiche und Seen, die mit blauen und roten Lotosblüten übersät waren, und manche waren voll mit vielerlei Lilien. Auf den Seen schwammen zahllose Schwäne und Kraniche, deren Stimmen überall zu hören waren. In der Stadt gab es rund 900000 große, aus feinstem Marmor erbaute Paläste, deren Türen und Tore aus Silber gefertigt waren. Die Dächer der Häuser und Paläste waren mit Juwelen, wie dem Stein der Weisen, Saphir und Smaragd, bedeckt, und die Fußböden erstrahlten in wunderbarem Glanz. Auch die Straßen, Gassen, Kreuzungen und Marktplätze waren sehr schön geschmückt worden. Überall standen reiche Wohn- und Versammlungshäuser und Tempel, alle von unterschiedlicher Architektur. All dies machte Dvārakā zu einer strahlenden Stadt. Die Alleen, Kreuzungen, Gäßchen und Straßen wie auch die Schwellen der Wohnhäuser waren sehr sauber. Büsche säumten die Straßen, und an den Seiten der Alleen waren in regelmäßigen Abständen Bäume gepflanzt, die den Vorübergehenden Schatten spendeten, so daß sie nicht von der heißen Sonne belästigt wurden. In dieser herrlichen Stadt Dvārakā besaß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, viele Paläste. Die großen Könige und Fürsten der Welt pflegten diese Paläste zu besuchen, um Ihn zu verehren. Viśvakarmā, der Architekt der Halbgötter, hatte die Baupläne selbst entworfen und dabei alle seine Talente und seine ganze Erfindungsgabe angewandt. Die Zahl dieser Wohnsitze belief sich auf mehr als 16000, und in jedem wohnte eine andere Königin Śrī Kṛṣṇas. Als der große Weise Nārada einen dieser Paläste betrat, sah er, daß die Säulen aus Korallen geschnitzt und die Decken mit Juwelen verziert waren. Die Wände und Bögen zwischen den Säulen leuchteten von den verschiedenartigsten Saphiren, die als Schmuck dienten. Im ganzen Palast gab es viele von Vivaśkarmā entworfene Baldachine, an denen kostbare Perlenschnüre hingen. Die Sessel und anderen Möbelstücke waren aus Elfenbein geschnitzt und mit Gold und Edelsteinen verziert, und die mit Juwelen besetzten Leuchter vertrieben alle Dunkelheit aus den Räumen. Es wurden so viel Räucherwerk und wohlriechender Kautschuk abgebrannt, daß der Rauch in Schwaden aus den Fenstern wehte. Die Pfauen, die auf den Treppenstufen saßen, verwechselten die Duftwolken mit Regenwolken und begannen jubelnd zu tanzen. Es gab viele Dienerinnen, die alle goldene Halsketten, Armreifen und kostbare saris trugen, und die vielen männlichen Diener trugen Umhänge, Turbane und mit Juwelen verzierte Ohrringe. Sie alle waren sehr schön anzuschauen, und sie alle gingen ihren jeweiligen Pflichten im Haushalt nach. Als Nārada Kṛṣṇa fand, sah er Ihn mit Rukmiṇī-devī, der Herrin jenes Palastes, zusammensitzen. Rukmiṇī hielt gerade einen cāmara-Wedel in der Hand, und obwohl sie von vielen Tausenden von Dienerinnen umgeben wurde, die ebensoschön und begabt wie sie und die im gleichen Alter mit ihr waren, ließ sie es sich nicht nehmen, Śrī Kṛṣṇa persönlich Kühlung zuzufächeln. Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott und wird selbst von Nārada Muni verehrt, doch als Er Nārada kommen sah, erhob Er Sich sogleich von Rukmiṇīs Bettstatt, um den großen Weisen gebührend zu empfangen. Śrī Kṛṣṇa ist der Lehrer der ganzen Welt, und um jedem zu zeigen, wie man einem Heiligen wie Nārada Muni Ehre erweist, verneigte Er Sich vor dem Weisen, wobei Er mit Seinem Helm den Boden berührte. Śrī Kṛṣṇa verneigte Sich nicht nur, sondern berührte auch Nāradas Füße und bat ihn mit gefalteten Händen, auf Seinem Sitz Platz zu nehmen. Śrī Kṛṣṇa ist die höchste Persönlichkeit, die von allen Gottgeweihten verehrt wird. Er ist der am meisten verehrte geistige Meister aller Lebewesen. Das Wasser des Ganges, das von Seinen Lotosfüßen fließt, heiligt alle drei Welten. Alle weisen brāhmaṇas verehren Ihn, und daher wird Er auch brahmaṇya-deva genannt. Brahmaṇya bedeutet »jemand, der alle brahmanischen Eigenschaften besitzt«, und zwar Wahrhaftigkeit, Selbstbeherrschung, Reinheit, Beherrschung der Sinne, Einfachheit, vollkommenes Wissen durch praktische Anwendung und Beschäftigtsein im hingebungsvollen Dienst. Śrī Kṛṣṇa besitzt persönlich all diese Eigenschaften, und Er wird von Menschen verehrt, die ebenfalls diese Eigenschaften haben. Es gibt Tausende und Abertausende von Namen Śrī Kṛṣṇas – Viṣṇu-sahasra-nāma –, und sie alle wurden Ihm wegen Seiner transzendentalen Eigenschaften gegeben. Śrī Kṛṣṇa spielte in Dvārakā mit großem Vergnügen die Rolle eines vollkommenen Menschen. Daher hatte der Weise Nārada nichts dagegen, als Kṛṣṇa ihm die Füße wusch und Sich das Wasser über den Kopf sprengte, denn er wußte sehr wohl, daß der Herr dies tat, um jeden zu lehren, wie ein Heiliger zu achten ist. Der Höchste Persönliche Gott, der der ursprüngliche Nārāyaṇa und der ewige Freund aller Lebewesen ist, verehrte also den Weisen Nārada nach den vedischen regulierenden Prinzipien. Er hieß den Weisen mit süßen, nektargleichen Worten willkommen und sprach ihn mit bhagavān an; bhagavān bedeutet »jemand, der sich selbst genügt, da er alles Wissen, alle Entsagung, alle Macht, allen Ruhm, alle Schönheit und viele andere ähnliche Füllen besitzt«. Śrī Kṛṣṇa fragte Nārada: »Wie kann Ich dir dienen?« Und Nārada erwiderte: »Mein lieber Herr, Dein Gebaren versetzt mich nicht im geringsten in Erstaunen, denn Du bist der Höchste Persönliche Gott, der Herr aller Arten von Lebewesen; Du bist der höchste Freund eines jeden, doch zugleich bestrafst Du die Schurken und die Neidischen. Ich weiß, daß Deine Herrlichkeit auf diese Welt herabgekommen ist, um das ganze Universum in rechter Weise zu erhalten. Dein Erscheinen wird durch keine äußere Ursache erzwungen; vielmehr erscheinst und verschwindest Du nach Deinem freien Willen. Ich schätze mich deshalb sehr glücklich, daß ich heute Deine Lotosfüße sehen durfte. Jeder, der Anhaftung an Deine Lotosfüße gewinnt, wird zur höchsten Stufe der Neutralität erhoben und ist unbeeinflußt von den materiellen Erscheinungsweisen der Natur. O Herr, Du bist unbegrenzt, Deine Füllen kennen keine Grenzen. Große Halbgötter, wie Brahmā und Śiva, sind stets bemüht, Dich in ihre Herzen zu pflanzen und über Dich zu meditieren. Die bedingten Seelen, die in den dunklen Brunnen des materiellen Daseins gestoßen worden sind, können dieser ewigen Gefangenschaft nur entkommen, wenn sie sich Deinen Lotosfüßen zuwenden. Du bist daher die einzige Zuflucht für die bedingten Seelen. Mein lieber Herr, Du hast mich in Deiner Güte gefragt, was Du für mich tun kannst. Als Antwort darauf möchte ich Dich bitten, mich niemals Deine Lotosfüße vergessen zu lassen. Mir ist ganz gleich, wo ich bin; ich bete nur, daß es mir gestattet sein möge, mich ständig an Deine Lotosfüße zu erinnern.« Die Segnung, die Nārada Muni vom Herrn erbat, ist das ideale Gebet für alle reinen Gottgeweihten. Ein reiner Gottgeweihter bittet den Herrn niemals um eine materielle oder spirituelle Segnung; sein einziges Gebet lautet, daß er unter keinen Umständen die Lotosfüße des Herrn vergessen möge. Einen reinen Gottgeweihten kümmert es nicht, ob er in den Himmel oder in die Hölle geschickt wird; er ist überall zufrieden, wenn er sich nur fortwährend an die Lotosfüße des Herrn erinnern kann. Śrī Caitanya lehrte das gleiche Gebet in Seinem Śikṣāṣṭaka, in dem Er deutlich sagt, daß es Sein einziger Wunsch ist, Geburt für Geburt im hingebungsvollen Dienst beschäftigt zu sein. Ein reiner Gottgeweihter hegt nicht einmal das Verlangen, den Kreislauf von Geburt und Tod zu beenden. Einem reinen Gottgeweihten macht es nichts aus, wieder in einer der vielfachen Lebensformen geboren zu werden. Sein einziges Bestreben ist es, unter keinen Umständen die Lotosfüße des Herrn zu vergessen. Nachdem Nārada den Palast Rukmiṇīs verlassen hatte, wollte er die Wirkungsweise der inneren Kraft Śrī Kṛṣṇas, der yoga-māyā, sehen, und so betrat er den Palast einer anderen Königin. Dort sah er Śrī Kṛṣṇa mit Seiner geliebten Frau und Uddhava Schach spielen. Der Herr erhob Sich sogleich und bot Nārada Muni Seinen Platz an. Darauf verehrte Er ihn in derselben Weise wie im Palast Rukmiṇīs. Nachdem Er ihn gebührend verehrt hatte, tat Śrī Kṛṣṇa, als wisse Er nicht, was im Palast Rukmiṇīs geschehen war. Er sagte zu Nārada: »Mein lieber Weiser, wenn deine Heiligkeit hierherkommt, bist du in dir selbst vollkommen. Obwohl wir Haushälter sind, denen ständig irgend etwas fehlt, benötigst du niemals Hilfe, da du in dir selbst zufrieden bist. Welchen Empfang können wir dir also unter diesen Umständen bereiten, und was können wir schon für dich tun? Nichtsdestoweniger ist es unsere Pflicht, da deine Heiligkeit ein brāhmaṇa ist, dir, soweit es uns möglich ist, etwas anzubieten. Ich bitte dich daher, so freundlich zu sein, Mir zu befehlen. Was kann Ich für dich tun?« Nāradajī wußte über die Spiele des Herrn genau Bescheid, und so verließ er ohne weitere Diskussion, stillschweigend und voller Verwunderung über das Verhalten des Herrn, den Palast. Er betrat alsdann den nächsten Palast. Diesmal sah er Kṛṣṇa als liebevollen Vater mit Seinen kleinen Kindern spielen. Als er darauf ein weiteres Gebäude betrat, sah er, wie Sich Kṛṣṇa gerade für Sein Bad vorbereitete. Nach und nach besuchte Nāradajī jeden der 16108 Paläste der Königinnen Śrī Kṛṣṇas, und in jedem einzelnen fand er den Herrn in anderer Weise beschäftigt. Einmal sah er, wie der Herr gerade Gaben in ein Opferfeuer legte und die rituellen Zeremonien durchführte, die den Haushältern in den Veden vorgeschrieben sind. Sodann fand er Kṛṣṇa, als Er gerade das pañca-yajña-Opfer darbrachte, das für jeden Haushälter unerläßlich ist. Dieser yajña ist auch als pañca-śūna bekannt. Wissentlich oder unwissentlich begeht jeder, besonders der Haushälter, fünf Sünden. Wenn wir Wasser aus einem Krug trinken, töten wir viele im Wasser lebende Bakterien. Auch wenn wir mit einem Mörser Korn zermahlen oder Nahrung zu uns nehmen, töten wir viele Bakterien, und wenn wir über die Straße gehen, töten wir viele Ameisen und andere Insekten. Wir töten bewußt oder unbewußt bei allem, was wir tun. Es ist daher die Pflicht eines jeden Haushälters, das pañca-śūna-Opfer darzubringen, um sich so von den Reaktionen auf diese Sünden zu befreien. In einem anderen Palast sah Nārada, wie Kṛṣṇa gerade die brāhmaṇas speiste, nachdem Er rituelle yajñas dargebracht hatte. Dann sah er Kṛṣṇa schweigend den Gāyatrī-mantra chanten und Sich in Kampf mit Schwert und Schild üben. In einigen der Paläste ritt Kṛṣṇa auf Pferden und Elefanten, fuhr auf Streitwagen oder wanderte einfach auf und ab. Anderswo ruhte Er Sich gerade auf einem Bett aus, und wieder an anderem Ort saß Er auf Seinem Thron, während Ihn verschiedenene Geweihte mit Gebeten priesen. In einem der Paläste beriet Er Sich mit Ministern, wie Uddhava und anderen, über wichtige Geschäfte, während Er Sich in einem anderen, umringt von vielen bezaubernden Gesellschaftsmädchen, in einem Schwimmbecken vergnügte. Dann sah Nārada, wie Kṛṣṇa den brāhmaṇas reichgeschmückte Kühe spendete, und an einem anderen Ort, wie Er gerade Geschichten aus den Purāṇas oder Geschichtsbüchern, wie dem Mahābhārata, anhörte. Diese Schriften ergänzen die Veden und haben die Aufgabe, gewöhnlichen Menschen vedisches Wissen zu vermitteln, indem sie von wichtigen Ereignissen in der Geschichte des Universums berichten. In einem Palast fand Nārada Śrī Kṛṣṇa, wie Er Sich der Gesellschaft einer bestimmten Seiner Ehefrauen erfreute, indem Er scherzende Worte mit ihr wechselte. Anderwärts fand er Ihn, wie Er mit einer Seiner Gemahlinnen religiöse Rituale vollzog. Da es für Haushälter notwendig ist, die finanziellen Mittel zu vermehren, um die vielen Ausgaben zu decken, bemühte Sich Kṛṣṇa in einem der Paläste sogar um wirtschaftlichen Fortschritt. In einem anderen Palast sah Nārada, wie Sich der Herr nach den regulierenden Prinzipien der sāstras des Familienlebens erfreute. An wiederum einem anderen Ort saß Kṛṣṇa in tiefer Meditation, als konzentriere Er Seinen Geist auf den Höchsten Persönlichen Gott, der Sich jenseits der materiellen Universen befindet. Meditation, die in den maßgeblichen Schriften empfohlen wird, ist dazu bestimmt, den Geist auf den Höchsten Persönlichen Gott Śrī Viṣṇu zu richten. Śrī Kṛṣṇa ist zwar Selbst der ursprüngliche Viṣṇu, doch weil Er die Rolle eines Menschen spielte, lehrte Er uns durch Sein persönliches Beispiel unmißverständlich, was Meditation eigentlich bedeutet. In einem anderen Palast erfreute Kṛṣṇa gerade höhergestellte Persönlichkeiten, indem Er ihnen allerlei Gegenstände schenkte, die sie benötigten. Anderswo fand Nāradajī Śrī Kṛṣṇa, wie Er gerade über Kampfhandlungen sprach, und in einem anderen Palast, wie Er mit Seinen Feinden Frieden schloß. Irgendwo sprach Śrī Kṛṣṇa gerade mit Seinem älteren Bruder Balarāma über die Tätigkeit, die sich zum endgültigen Wohl der gesamten Menschheit auswirkt. Nārada sah auch, wie Śrī Kṛṣṇa Seine Söhne und Töchter mit passenden Bräuten und Bräutigamen in prachtvollen Hochzeiten vermählte. In einem anderen Palast verabschiedete Sich Kṛṣṇa gerade von Seinen Töchtern, und in wieder einem andern empfing Er gerade eine Schwiegertochter. Die Bewohner der Stadt sahen jedesmal mit Erstaunen solchen prunkvollen Festen zu. In einem weiteren Palast brachte der Herr Opfer dar, um die Halbgötter zufriedenzustellen, die lediglich Seine qualitativen Erweiterungen sind; dann wieder sah man, wie Er zum Wohl der Allgemeinheit tätig war, indem Er tiefe Brunnen zur Wasserversorgung baute, Rasthäuser und Gärten für Fremde anlegte und große Klöster und Tempel für die Heiligen gründete. Dies sind einige der Pflichten, die den Haushältern in den Veden vorgeschrieben werden, damit ihre materiellen Wünsche in Erfüllung gehen. Ein anderes Mal sah der Weise Kṛṣṇa als kṣatriya-König im Wald jagen oder auf prächtigen sindhi-Pferden reiten. Nach den vedischen Regulierungen war es den kṣatriyas gestattet, bei besonderen Anlässen bestimmte Tiere zu töten, um nämlich entweder den Frieden im Wald aufrechtzuerhalten oder die Tiere im Opferfeuer darzubringen. Kṣatriyas dürfen sich in der Kunst des Tötens üben, weil sie ihre Feinde erbarmungslos töten müssen, um für Frieden in der Gesellschaft zu sorgen. Einmal sah Nārada sogar, wie Sich Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, als Spion verkleidete, um die Absichten gewisser Bürger in der Stadt und Bewohner innerhalb des Palastes zu erkunden. Der Heilige Nārada beobachtete auf diese Weise alles Tun des Herrn, der, obwohl Er die Überseele in allen Lebewesen ist, die Rolle eines gewöhnlichen Menschen spielte, um die Spiele Seiner inneren Kraft zu manifestieren. Er lächelte innerlich und sagte zu Kṛṣṇa: »Mein lieber Herr aller mystischen Kräfte, der Du das Objekt der Meditation großer Mystiker bist, das Ausmaß Deiner mystischen Kraft ist selbst für Mystiker wie Brahmā und Śiva unfaßbar. Doch weil ich ständig im transzendentalen liebevollen Dienst Deiner Lotosfüße beschäftigt bin, warst Du in Deiner Barmherzigkeit so gütig, mir die Handlungen Deiner inneren Kraft zu offenbaren. Mein lieber Herr, Du bist für alle verehrenswert, und die Halbgötter und herrschenden Gottheiten aller vierzehn Planetensysteme sind sich Deines transzendentalen Ruhms bewußt. Gib mir bitte Deinen Segen, damit ich in der Lage bin, durch alle Universen zu reisen und von Deinen ruhmvollen Spielen zu singen.« Darauf entgegnete der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa: »Mein lieber Nārada, o Weiser unter den Halbgöttern, du weißt, daß Ich der höchste Lehrer aller religiösen Prinzipien bin, daß Ich Mich vollkommen nach ihnen richte und daß Ich sie gegebenenfalls mit Gewalt durchsetze. Ich befolge diese religiösen Prinzipien Selber, um so die gesamte Welt zu lehren, richtig zu handeln. Mein lieber Sohn, laß dich durch die Wirkungsweise Meiner inneren Energie nicht verwirren.« Der Höchste Persönliche Gott führte ein sogenanntes Haushälterleben, um den Menschen zu zeigen, wie sie ihr eigenes Haushälterleben läutern können, obwohl sie an der Gefangenschaft des materiellen Daseins hängen mögen. Normalerweise ist man durch ein Leben als Haushälter verpflichtet, das materielle Dasein fortzusetzen; doch weil der Herr zu den Haushältern sehr gütig ist, lehrte Er, wie man das gewöhnliche Haushälterleben heiligen kann. Weil Kṛṣṇa in einem Kṛṣṇa-bewußten Haushälterleben den Mittelpunkt aller Tätigkeiten bildet, ist ein solches Leben transzendental zu allen vedischen Anweisungen und in sich selbst heilig. Nārada sah also einen Kṛṣṇa durch Seine vollständigen Erweiterungen in 16108 Palästen wohnen. Durch Seine unfaßbare Energie war Er in dem Palast jeder einzelnen, individuellen Königin gegenwärtig. Śrī Kṛṣṇa verfügt über unbegrenzte Macht, und Nāradas Erstaunen kannte keine Grenzen, als er immer wieder neue Offenbarungen der inneren Energie Śrī Kṛṣṇas sah. Śrī Kṛṣṇa handelte, als seien die vier Prinzipien des zivilisierten Lebens, nämlich Religiosität, wirtschaftlicher Fortschritt, Befriedigung der Sinne und Befreiung, auch für Ihn von großer Wichtigkeit. Diese vier Prinzipien des materiellen Daseins sind für den spirituellen Fortschritt der menschlichen Gesellschaft erforderlich, und deshalb führte Śrī Kṛṣṇa, obwohl Er es eigentlich nicht nötig hatte, ein vorbildliches Haushälterleben, so daß die Menschen in ihrem eigenen Interesse Seinem Beispiel folgen könnten. Śrī Kṛṣṇa stellte den Weisen Nārada in jeder Hinsicht zufrieden und nachdem sich Nārada mit großer Freude Śrī Kṛṣṇas Spiele in Dvārakā angesehen hatte, zog er weiter. Als Śukadeva Gosvāmī König Parīkṣit von den Spielen Śrī Kṛṣṇas in Dvārakā erzählte, erklärte er ihm auch, wie Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, mit Hilfe Seiner inneren Kraft in das materielle Universum herabsteigt und Prinzipien festlegt, durch die man, wenn man sie befolgt, das endgültige Ziel des Lebens erreichen kann. Alle Königinnen in Dvārakā – es waren mehr als 16000 – stellten ihre weiblichen Reize in den transzendentalen Dienst des Herrn, indem sie Ihm zulächelten und Ihn bedienten. Dem Herrn Seinerseits gefiel es, Sich am Haushälterleben zu erfreuen. Man sollte sich ohne Zweifel bewußt werden, daß solche Spiele von niemandem außer Śrī Kṛṣṇa ausgeführt werden können. Śrī Kṛṣṇa ist die ursprüngliche Ursache der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der gesamten kosmischen Manifestation. Jeder, der die Erzählungen von den transzendentalen Spielen Śrī Kṛṣṇas in Dvārakā aufmerksam hört oder einen Prediger der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein unterstützt, wird es sehr leicht finden, den Pfad der Befreiung zu beschreiten und den Nektar der Lotosfüße Śrī Kṛṣṇas zu kosten. Und so wird er im hingebungsvollen Dienst des Herrn beschäftigt werden. Hiermit endet die Erläuterung Bhaktivedantas zum 68. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Der große Weise Nārada besucht die Paläste Kṛṣṇas«.