Kṛṣṇa - Der Höchste Persönliche Gott 1. Teil Eine Zusammenfassung des Zehnten Cantos von Śrīla Vyāsadevas Śrīmad-Bhāgavatam von Seine Göttliche Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda Gründer-Ācārya der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein Titel der Originalausgabe: Kṛṣṇa The Supreme Personality of Godhead Für die Übersetzung aus dem Englischen verantwortlich: Vedavyāsa dāsa brahmacārī (Christian Jansen) Śacīnandana dāsa brahmacārī (Thorsten Pettersson) Nikhilānanda dāsa brahmacārī (Nikolay Jankowsky) 1. Auflage 1.-10.Tausend Copyright © THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST 1974 Alle Rechte vorbehalten Herausgeber: Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V. 6241 Schloß Rettershof/i.Ts. Tel.: 06174/21357 Für seine unersetzliche Hilfe bei der Herausgabe dieses Werkes gilt unser besonderer Dank Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay, Associate Professor Emeritus of German and Linguistics at the University of Southern California Die Übersetzer Für meinen Vater, Gour Mohon De (1849-1930), einen reinen Geweihten Kṛṣṇas, der mich von klein auf als Kṛṣṇa-bewußtes Kind erzog. In meinen Jugendjahren lehrte er mich die mṛdaṅga spielen. Er schenkte mir Rādhā-Kṛṣṇa vigraha zur Verehrung, und er gab mir Jagannātha-Ratha, damit ich schon, als eines meiner Kindheitsspiele, das Jagannātha-Fest (Ratha-yatra) feiern konnte. Er war sehr gütig zu mir, und ich empfing von ihm die Prinzipien, die später von meinem geistigen Meister, meinem ewigen Vater, bestätigt wurden. A. C. Bhaktivedanta Swami Words From Apple - Einleitende Worte von George Harrison Jeder sucht nach Kṛṣṇa. Manche wissen es vielleicht nicht, doch sie tun es. Kṛṣṇa ist Gott, der Ursprung alles Existierenden, die Ursache all dessen was ist, war und zukünftig sein wird. Da Gott unbegrenzt ist, hat Er viele Namen: Allah, Buddha, Jehova, Rāma. Alle sind Kṛṣṇa, alle sind eins. Gott ist nicht abstrakt, sondern in Seinem endgültigen Aspekt eine Person - die Höchste Person -, die ewig, voller Glückseligkeit und voller Wissen ist. Wie ein Tropfen Wasser die gleichen Eigenschaften wie der Ozean besitzt, so hat unser Bewußtsein die gleichen Eigenschaften wie das Bewußtsein Gottes. Doch durch unsere Identifizierung und Verhaftung mit der materiellen Energie (dem physischen Körper, den Sinnenfreuden, materiellem Besitz, Ichgefühl, usw.) ist unser wahres, transzendentales Bewußtsein verunreinigt worden und kann daher, gleich einem staubigen Spiegel, kein klares Bild mehr reflektieren. Im Laufe vieler Leben hat sich unsere Verbindung mit dem Vergänglichen gefestigt. Den unbeständigen Körper, eine Handvoll Knochen und Fleisch, mißverstehen wir als unser wahres Selbst und halten daher den gegenwärtigen, zeitweiligen Zustand für natürlich und endgültig. Zu allen Zeiten waren Heilige der lebendige Beweis dafür, daß der nicht­zeitweilige, beständige Zustand des Gottesbewußtseins in allen lebendigen Seelen wiedererweckt werden kann. Jede Seele ist ihrem Wesen nach göttlich. Kṛṣṇa sagt in der Bhagavad-gītā: »Stetig im Selbst und befreit von aller materiellen Verunreinigung, erlangt der yogi die Stufe vollkommenen Glücks.« (Bg. 6.28) Yoga (eine wissenschaftliche Methode zur Gottes-[Selbst-]verwirklichung) ist der Vorgang, durch den wir unser Bewußtsein reinigen, weitere Verschmutzung verhindern und auf die Stufe der Vollkommenheit – voller Wissen und Glückseligkeit – gelangen können. »Wenn es einen Gott gibt, möchte ich Ihn sehen«, mögen viele sagen, und das ist richtig, denn es ist nicht gut, blind an etwas zu glauben. Kṛṣṇa-Bewußtsein oder vielmehr die Meditation im bhakti-yoga ist eine Methode, mit der man Gott tatsächlich wahrnehmen kann. Man kann Gott tatsächlich sehen, Ihn hören und mit Ihm spielen. Es mag verrückt klingen, aber Er ist wirklich da, wirklich bei dir. Es gibt viele Pfade des yoga – rājā, jñāna, haṭha, kriyā, karma, bhakti usw. – , die alle von den jeweiligen Meistern mit Überzeugung praktiziert werden. A. C. Bhaktivedanta Swami ist, wie Sein Name bereits sagt, ein bhakti-yogī, der dem Pfad der Hingabe folgt. Indem der Gottgeweihte Kṛṣṇa mit jedem Gedanken, jedem Wort und jeder Tat dient und Seinen heiligen Namen chantet [* chanten – singen, sprechen *], entwickelt er sehr schnell Gottesbewußtsein. Durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma , Rāma Rāma, Hare Hare« wird man mit Sicherheit allmählich die Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins erreichen (mach die Probe und Du wirst es erleben). Ich möchte Dich bitten, Deinen Nutzen aus diesem Buch »Kṛṣṇa« zu ziehen und in sein Verständnis einzudringen. Auch möchte ich Dich bitten, Dich zu entschließen, durch den Selbstbefreiungsvorgang des bhakti-yoga, d. h. durch das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras Gott jetzt zu verwirklichen - Give Peace A Chance. ALL YOU NEED IS LOVE (KRISHNA) George Harrison 31/3/70 Apple Corps Ltd 3 Savile Row, London WI Gerrard 2772/3993 Telex Apcore London VORWORT nivṛtta-tarṣair upagīyamānād bhavauṣadhāc chrotramano 'bhirāmāt ka uttama-śloka-guṇānuvādāt pumān virajyeta vinā paśughnāt (Śrīmad-Bhāgavatam 10.1.4) Wenn jemand hier in der westlichen Welt den Umschlag eines Buches wie den des Buches »Kṛṣṇa« sieht, wird er sich sofort fragen: »Kṛṣṇa – wer ist das? Und wer ist das Mädchen an Seiner Seite?« Die unmittelbare Antwort lautet: »Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott.« Und warum? Weil Er bis in alle Einzelheiten mit den Beschreibungen übereinstimmt, die wir vom Höchsten Wesen, von Gott, haben. Mit anderen Worten: Kṛṣṇa ist Gott, weil Er alles anzieht. Ohne das Prinzip der auf alles wirkenden Anziehungskraft hat das Wort »Gott« keine Bedeutung. Und wie kann jemand auf alles anziehend wirken? Zunächst einmal ist jemand für andere sehr anziehend, wenn Er wohlhabend ist, d. h. wenn er große Reichtümer besitzt. Auch besitzt jemand, der mächtig oder berühmt ist, eine große Anziehungskraft. Anziehend ist jemand auch, wenn er von schöner Gestalt, oder wenn er weise ist, oder wenn er auf jeglichen Besitz verzichten kann. Somit können wir aus eigener Erfahrung sagen, daß jemand durch 1) Reichtum, 2) Macht, 3) Ruhm, 4) Schönheit, 5) Weisheit und 6) Entsagung anziehend wirkt. Wer alle diese sechs vollendeten Eigenschaften besitzt und über sie in unbegrenztem Ausmaß verfügt, muß als der Höchste Persönliche Gott angesehen werden. Wir kennen viele reiche, mächtige, berühmte, schöne, gelehrte und entsagungsvolle Menschen, doch niemals in der Geschichte haben wir von einem Menschen gehört, der in unbegrenztem Maße gleichzeitig reich, mächtig, berühmt, schön, weise und entsagungsvoll gewesen wäre – wie Kṛṣṇa es ist. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ist eine historische Persönlichkeit, die vor fünftausend Jahren auf der Erde erschien. Er blieb für hundertfünfundzwanzig Jahre auf diesem Planeten und glich in jeder Hinsicht einem gewöhnlichen menschlichen Wesen — doch Seine Handlungen waren unvergleichlich. Vom Zeitpunkt Seines Erscheinens bis zum Zeitpunkt Seines Fortgangs ist jede Seiner Tätigkeiten beispiellos in der Weltgeschichte, und daher wird jeder, der versteht, was wir mit Gott meinen, Kṛṣṇa als den Höchsten Persönlichen Gott anerkennen können. Niemand kommt Gott gleich oder ist größer als Er. Das ist die Bedeutung des bekannten Wortes »Gott ist groß«. Es gibt verschiedene Gruppen von Menschen, die von Gott in unterschiedlicher Weise sprechen; doch die vedischen Schriften und die großen ācāryas aller Zeiten, die autorisierten Lehrer, die im Wissen um Gott erfahren sind, wie die ācāryas Śaṅkara, Rāmānuja, Madhva, Viṣṇusvāmī, Śrī Caitanya und all Ihre Anhänger in der Nachfolge der geistigen Meister, stimmen darin überein, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist. Was uns, die Nachfolger der vedischen Zivilisation betrifft, so erkennen wir die vedische Geschichtsschreibung an, die das gesamte Universum umfaßt, das aus verschiedenen Planetensystemen besteht, die svargalokas (das höhere Planetensystem), martyalokas (das mittlere Planetensystem) und pātālalokas (das niedere Planetensystem) genannt werden. Die modernen Historiker können keine Beweise für Ereignisse liefern, die fünftausend Jahre zurückliegen, und die Anthropologen sind der Ansicht, der Homo sapiens habe vor 40 000 Jahren auf diesem Planeten noch nicht existiert, weil zu der Zeit die Evolution diese Stufe der Entwicklung noch nicht erreicht habe. Die vedischen Geschichtsbücher, die Purāṇas und das Mahābhārata, berichten jedoch von einer Menschheitsgeschichte, die Millionen und Milliarden von Jahren in die Vergangenheit zurückreicht. Wir erfahren z. B. aus diesen Schriften, daß Kṛṣṇa bereits vor Millionen von Jahren erschienen ist. Im Vierten Kapitel der Bhagavad-gītā sagt Kṛṣṇa zu Arjuna, sowohl Er Selbst als auch Arjuna seien schon viele Male geboren worden, doch Er, Kṛṣṇa, könne Sich, im Gegensatz zu Arjuna, an all diese Geburten erinnern. Dieses Beispiel veranschaulicht den Unterschied zwischen dem Wissen Kṛṣṇas und dem Wissen Arjunas. Arjuna mag ein großer Krieger gewesen sein, ein sehr kultiviertes Mitglied der Kuru-Dynastie, doch trotz allem war er ein gewöhnliches menschliches Lebewesen mit begrenztem Wissen, wohingegen Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, über unbegrenztes Wissen verfügt. Weil Kṛṣṇa unbegrenztes Wissen besitzt, verfügt Er über ein Erinnerungsvermögen, das grenzenlos ist. Kṛṣṇas Wissen ist so vollkommen, daß Er Sich an all Seine Erscheinungen, die einige Millionen und Milliarden von Jahren zurückliegen, erinnern kann, wohingegen Arjunas Erinnerung und Wissen von Raum und Zeit begrenzt sind, da er nur ein gewöhnliches menschliches Wesen ist. Im 1. Vers des Vierten Kapitels der Bhagavad-gītā sagt Kṛṣṇa z. B., daß Er Sich daran erinnern kann, vor einigen Millionen von Jahren den Sonnengott Vivasvān in den Lehren der Gītā unterwiesen zu haben. Heutzutage ist es bei vielen atheistischen Menschen Mode geworden zu versuchen, durch sogenannte Mystik Gott zu werden. Viele Atheisten behaupten, aufgrund von Einbildung oder scheinbaren Erfolgen beim Meditieren, Gott zu sein. Kṛṣṇa jedoch ist kein solcher »Gott«. Er wird nicht zu Gott, indem Er einen mystischen Meditationsvorgang ausübt, noch muß Er Sich strenge Bußen auferlegen, um Gott zu werden. Genauer gesagt: Er wird nicht zu Gott, sondern ist unter allen Umständen Gott. In dem Gefängnis, in das Sein Vater und Seine Mutter auf Befehl Seines Onkels, Kaṁsa, gesperrt wurden, erschien Kṛṣṇa außerhalb des Körpers Seiner Mutter als vierhändiger Viṣṇu-Nārāyaṇa. Nachdem Er Sich in ein Baby verwandelt hatte, sagte Er zu Seinem Vater, er solle Ihn zum Hause Nanda Mahārājas und dessen Frau Yaśodā in Gokula bringen. Als Kṛṣṇa noch ein kleines Baby war, versuchte die große Dämonin Pūtanā, Ihn zu töten, indem sie Ihm ihre vergiftete Brust bot, doch Er saugte ihr das Leben aus. Das ist der Unterschied zwischen Gott und einem sogenannten »Gott«, der in der »mystischen Fabrik« produziert wird. Kṛṣṇa hatte keine Gelegenheit, den mystischen yoga-Vorgang zu praktizieren; jedoch offenbarte Er Sich ständig, vom Kleinkind zum Kind, vom Kind zum Knaben und vom Knaben zum jungen Mann, als der Höchste Persönliche Gott. Im vorliegenden Buch »Kṛṣṇa« werden alle Seine Taten beschrieben, die Er als scheinbar menschliches Wesen ausführte. Obwohl Kṛṣṇa die Rolle eines menschlichen Wesens spielt, behält Er doch immer Seine Identität als der Höchste Persönliche Gott. Da Kṛṣṇa allesanziehend ist, sollte man alle seine Wünsche auf Kṛṣṇa richten. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß die individuelle Person der Eigentümer bzw. Meister des Körpers ist, daß aber Kṛṣṇa, der im Herzen eines jeden als Überseele weilt, der höchste Eigentümer und der höchste Meister jedes einzelnen individuellen Körpers ist. Daher wird, wenn wir unsere liebenden Neigungen einfach auf Kṛṣṇa richten, allumfassende Liebe, Einigkeit und Frieden augenblicklich Wirklichkeit. Wenn jemand die Wurzel eines Baums begießt, bewässert er gleichzeitig auch die Äste, Zweige, Blätter und Blüten, und wenn jemand den Magen mit Nahrung versorgt, so sorgt er damit auch für alle anderen Teile des Körpers. Die Kunst, seine Aufmerksamkeit auf den Höchsten zu lenken und Ihm seine Liebe zu schenken, wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt. Wir haben die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein gegründet, damit jeder sein Verlangen, ein anderes Wesen zu lieben, einfach dadurch erfüllen kann, daß er seine Liebe auf Kṛṣṇa richtet. Jeder versucht, sein Verlangen nach Liebe zu befriedigen, doch die verschiedenen Wege des Sozialismus, Kommunismus, Altruismus, Humanismus, Nationalismus und was auch immer für Frieden und Wohlstand in der Welt erfunden wird, sind nutzlos und enttäuschend, weil wir uns der Kunst, Kṛṣṇa zu lieben, nicht bewußt werden. Viele denken, sie könnten durch moralische Prinzipien und religiöse Riten glücklich werden; andere glauben, durch wirtschaft­liche Entwicklung könne Glück und Zufriedenheit erreicht werden, und wieder andere sind der Ansicht, daß sie nur durch Sinnenbefriedigung glücklich werden können. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Die Menschen können nur dann wahrhaft glücklich werden, wenn sie lernen, Kṛṣṇa zu lieben. Kṛṣṇa kann die liebenden Neigungen aller Lebewesen in Vollkommenheit erwidern. Es gibt zwölf liebende Beziehungen, die rasas ge­nannt werden. Man kann Kṛṣṇa als den Höchsten Unbekannten lieben, als den Höchsten Meister, den Höchsten Freund, das Höchste Kind und den Höchsten Liebenden – dies sind die fünf grundlegenden Liebes-rasas. Darüber hinaus kann man Kṛṣṇa auch indirekt lieben, in sieben Beziehungen, die von den fünf oben genannten rasas verschieden sind. In jedem Fall wird man sein Leben zur Vollkommenheit führen, wenn man seine schlummernde liebevolle Beziehung zu Kṛṣṇa wiedererweckt. Dies ist keine Einbildung und kein Hirngespinst, sondern eine Tatsache, die durch praktische Erfahrung verwirklicht werden kann. Man kann die Auswirkungen, die die Liebe zu Kṛṣṇa auf das Leben der Menschen hat, direkt wahrnehmen. Im Neunten Kapitel der Bhagavad-gītā wird diese Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins das vertraulichste Wissen, der König der Erziehung und die höchste Wissenschaft der transzendenta­len Verwirklichung genannt. Wir können die Ergebnisse dieser Wissen­schaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins direkt erfahren, weil sie sehr einfach und voll Freude praktizierbar ist. Welchen Prozentsatz Kṛṣṇa-Bewußtseins wir auch entwickeln können, er wird ein ewiger Gewinn für unser Leben bedeuten, da er unter allen Umständen unvergänglich ist. Viele Mitglieder der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein sind das lebendige Beispiel dafür, daß selbst die heutige verwirrte und enttäuschte jüngere Generation diesen Gewinn erhalten kann, wenn sie ihre Fähigkeit zu lieben, auf Kṛṣṇa lenkt. Im Gegensatz dazu muß alle Enthaltsamkeit, müssen alle Bußen und Opfer als nutzlos angesehen werden, wenn man es versäumt, seine schlummernde Liebe für Kṛṣṇa zu erwecken. Wozu benötigt man aber noch Opfer und Bußen, wenn man diese Liebe erweckt hat? Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein ist das einzigartige Geschenk Śrī Kṛṣṇa Caitanyas für die gefallenen Seelen des gegenwärtigen Zeitalters. Kṛṣṇa-Bewußtsein ist eine sehr einfache Methode, die in den westlichen Ländern während der letzten vier Jahre von vielen angewandt wurde, und es steht außer Zweifel, daß diese Bewegung den Wunsch nach wirklicher Liebe, der in allen Menschen vorhanden ist, erfüllen kann. Das Buch »Kṛṣṇa«, eine transzendentale Schrift, die in drei Teilen mit vielen Illustrationen herausgegeben wird, ist eine weitere Veröffentlichung, die dazu beitragen soll, die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein in der westlichen Welt weiterzuverbreiten. Die Menschen lieben es, als Zeitvertreib spannende und unterhaltsame Geschichten zu lesen. Nun kann diese Neigung auf Kṛṣṇa gerichtet werden. Das Ergebnis wird die immerwährende Zufriedenheit der Seele sein, und dies sowohl individuell als auch kollektiv. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß schon eine kleine Bemühung auf dem Pfad des Kṛṣṇa-Bewußtseins einen Menschen vor der größten Gefahr bewahren kann. Unzählige Beispiele von Menschen können angeführt werden, die den größten Gefahren des Lebens durch ein wenig Fortschritt im Kṛṣṇa-Bewußtsein entgangen sind. Wir bitten daher jeden, seinen Nutzen aus dieser bedeutenden transzendentalen Schrift zu ziehen. Wenn man Seite für Seite aufmerksam liest, wird man bemerken, daß ein unermeßlicher Schatz an Wissen über Kunst, Wissenschaft, Literatur, Philosophie und Religion enthüllt wird, und letzten Endes wird durch das Lesen dieses einen Buches, »Kṛṣṇa«, die Liebe zu Gott wiedererweckt werden. Meine dankbare Anerkennung gilt Śrīmān George Harrison, der mittlerweile ebenfalls Hare Kṛṣṇa chantet, für seine Spende von $19 000 zur Deckung der gesamten Druckkosten dieser Ausgabe. Möge Kṛṣṇa ihn weiteren Fortschritt im Kṛṣṇa-Bewußtsein machen lassen. Meine immerwährenden Segnungen erteile ich Śrīmān Syamasundara dāsa Adhikārī, Śrīmān Brahmānanda dāsa Brahmacārī, Śrīmān Hayagrīva dāsa Adhikārī, Śrīmān Satsavarupa dāsa Adhikārī, Śrīmatī Devahūti Devī Dāsī, Śrīmatī Jadurāṇī Devī Dāsī, Śrīmān Muralīdhara dāsa Brahmacārī, Śrīmān Bharadvāja dāsa Adhikārī, Śrīmān Pradyumna dāsa Adhikārī und vielen anderen, die mir behilflich waren, diese Veröffentlichung zu einem großen Erfolg zu machen. Hare Kṛṣṇa. A. C. Bhaktivedanta Swami Am Erscheinungstag Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatīs 26. Februar 1970 ISKCON-Hauptquartier 3764 Watseka Avenue Los Angeles, California EINLEITUNG Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! he! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! he! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! rakṣa mām! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! Kṛṣṇa! pāhi mām! Rāma! Rāghava! Rāma! Rāghava! Rāma! Rāghava! rakṣa mām! Kṛṣṇa! Keśava! Kṛṣṇa! Keśava! Kṛṣṇa! Keśava! pāhi mām! Śrī Caitanya-caritāmṛta (Madhya 7.96) Bevor ich beginne, dieses Buch »Kṛṣṇa« zu schreiben, möchte ich zunächst meinem geistigen Meister, Oṁ Viṣṇupāda 108 Śrī Śrīmad Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja Prabhupāda, meine respektvollen Ehrerbietungen erweisen. Lassen Sie mich meine respektvollen Ehrerbietungen auch dem Ozean der Barmherzigkeit, Śrī Kṛṣṇa Caitanya darbringen. Er ist der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, der als Gottgeweihter erschien, um die höchsten Prinzipien des hingebungsvollen Dienens zu verbreiten. Śrī Caitanya begann Seine Predigt in Gauḍadeśa (West-Bengalen). Und da ich zur Madhva-Gauḍīya-sampradāya gehöre, erweise ich auch unserer Nachfolge der geistigen Meister meine respektvollen Ehrerbietungen. Die Madhva-Gaudiya-sampradava ist auch als Brahma-sampradāya bekannt, weil diese Nachfolge ursprünglich mit Brahmā begann. Brahmā lehrte den Weisen Nārada das vedische Wissen, Nārada unterwies Vyāsadeva, und Vyāsadeva gab es an Madhva Muni bzw. Madhvācārya weiter. Mādhavendra Purī, der Gründer der Madhva-Gauḍīya-sampradāya, gehörte der Madhvācārya-Nachfolge der geistigen Meister an; er hatte sowohl unter sannyāsīs (die sich auf der Lebensstufe der Entsagung befinden) als auch unter Haushältern viele berühmte Schüler, wie Nityānanda Prabhu, Advaita Prabhu und Īśvara Purī. Īśvara Purī war der geistige Meister von Śrī Caitanya Mahāprabhu. Lassen Sie uns also unsere respektvollen Ehrerbietungen Īśvara Purī, Nityānanda Prabhu, Śrī Advaita Ācārya Prabhu, Śrīvāsa Paṇḍita und Śrī Gadādhara Paṇḍita darbringen. Lassen Sie uns als nächstes unsere respektvollen Ehrerbietungen Svarūpa-dāmodara darbringen, dem Privatsekretär Śrī Caitanya Mahāprabhus, und lassen Sie uns Śrī Vāsudeva Datta und dem ständigen Diener Śrī Caitanyas, Śrī Govinda, dem ständigen Freund Śrī Caitanyas, Mukunda, und auch Murāri Gupta unsere respektvollen Ehrerbietungen erweisen. Und lassen Sie uns schließlich unsere respektvollen Ehrerbietungen den sechs Gosvāmīs von Vṛndāvana darbringen: Śrī Rūpa Gosvāmī, Śrī Sanātana Gosvāmī, Śrī Raghunātha Bhaṭṭa Gosvāmī, Śrī Gopāla Bhaṭṭa Gosvāmī, Śrī Jīva Gosvāmī und Śrī Raghunātha dāsa Gosvāmī. Kṛṣṇa Selbst hat in der Bhagavad-gītā erklärt, daß Er der Höchste Persönliche Gott ist. Immer dann, wenn die regulierenden Prinzipien des religiösen Lebens nicht mehr befolgt werden und Irreligiosität überhandnimmt, erscheint Er, um die Dämonen zu vernichten und die Gottgeweihten zu schützen. Mit anderen Worten: Als Śrī Kṛṣṇa, der Herr, erschien, war es notwendig, die Last der sündigen Handlungen, die sich auf diesem Planeten bzw. in diesem Universum angesammelt hatte, zu verringern. Für Angelegenheiten der materiellen Schöpfung ist Mahā-Viṣṇu, Kṛṣṇas vollständige Erweiterung, verantwortlich. Wenn der Herr erscheint, geht diese Inkarnation also von Viṣṇu aus. Mahā-Viṣṇu ist die ursprüngliche Ursache der materiellen Schöpfung, und Er erweitert Sich zu Garbhodakaśāyī Viṣṇu und dann zu Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu. Im allgemeinen sind alle Inkarnationen, die im materiellen Universum erscheinen, vollständige Erweiterungen Kṣīrodakaśāyī Viṣṇus. Daher ist die Verminderung der Überlast sündigen Tuns nicht die Aufgabe des Höchsten Persönlichen Gottes Selbst. Vielmehr begleiten Kṛṣṇa, wenn Er erscheint, alle Visnu-Erweiterungen, sowie auch verschiedene andere Erweiterungen, wie Nārāyaṇa, die vierfache Erweiterung Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha, die vollständige Teil-Erweiterung Matsya (die Fisch-Inkarnation), andere yugāvatāras (die Inkarnationen in den jeweiligen Zeitaltern) und die manvantarāvatāras (die Inkarnationen Manus) – sie alle vereinigen sich und erscheinen zusammen mit Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott. Kṛṣṇa ist das Vollkommene Ganze, und alle vollständigen Erweiterungen und Inkarnationen leben stets mit Ihm zusammen. Als Kṛṣṇa erschien, war Viṣṇu also ebenfalls bei Ihm. Kṛṣṇa erscheint in Wirklichkeit, um Seine Vrndavana-Spiele zu offenbaren und die unglücklichen, bedingten Seelen anzuziehen und zur Rückkehr nach Hause, zurück zu Gott, zu bewegen. Das Töten der Dämonen geschah gleichzeitig mit Kṛṣṇas Spielen in Vṛndāvana, wurde jedoch von Seiner Visnu-Erweiterung ausgeführt. In der Bhagavad-gītā wird im 20. Vers des Achten Kapitels gesagt, daß es noch eine andere, ewige Natur gibt, den spirituellen Himmel, der transzendental zur manchmal manifestierten und manchmal unmanifestierten Materie ist. Die manifestierte Welt besteht, wie man sehen kann, aus Sternen und Planeten wie Sonne und Mond; doch jenseits davon existiert ein unmanifestierter Teil der Schöpfung, der niemandem, der sich in einem materiellen Körper befindet, zugänglich ist. Und jenseits dieses Bereiches der unmanifestierten Materie liegt die spirituelle Welt. Diese Welt wird in der Bhagavad-gītā als das höchste und ewige Reich beschrieben, das niemals vernichtet wird. Die materielle Natur ist der wiederholten Schöpfung und Vernichtung unterworfen, doch die spirituelle Natur bleibt wie sie ist – für ewig. Das höchste Reich des Persönlichen Gottes, Kṛṣṇas, wird in der Brahma-saṁhitā als das cintamani-Reich beschrieben. In diesem Reich, das als Goloka Vṛndāvana bekannt ist, stehen zahllose Paläste, die aus Steinen der Weisen (cintāmaṇi) erbaut sind. Die Bäume dort werden »kalpa-vṛkṣas« (Wunschbäume) und die Kühe »surabhi« genannt. Der Herr wird von Hunderttausenden von Glücksgöttinnen bedient; Sein Name ist Govinda, und Er ist der Urerste Herr, die Ursache aller Ursachen. Er spielt wundervoll auf Seiner Flöte, Seine Augen gleichen Lotosblütenblättern, und die Farbe Seines Körpers ähnelt der einer blauschwarzen Wolke. In Seinem Haar steckt eine Pfauenfeder, und Er ist so wunderschön, daß Er Tausende von Liebesgöttern an Schönheit übertrifft. Śrī Kṛṣṇa gibt in der Gītā nur einen kleinen Hinweis auf Sein persönliches Reich, den höchsten Planeten im spirituellen Himmel; doch im Śrīmad-Bhāgavatam wird ausführlich geschildert, wie Kṛṣṇa mit all Seinen Gefährten erscheint und Seine transzendentalen Spiele in Vṛndāvana, Mathurā und Dvārakā entfaltet. In diesem Buch werden all diese Spiele nach und nach beschrieben. Kṛṣṇa erschien in der Yadu-Dynastie, die von der Familie des Mondgottes Soma abstammte. Es gibt zwei verschiedene kṣatriya-Familien des königlichen Standes – eine, die vom Mondgott, und eine, die vom Sonnengott ausgeht. Immer, wenn der Höchste Persönliche Gott erscheint, erscheint Er im allgemeinen in einer kṣatriya-Familie, weil Er die religiösen Prinzipien bzw. die Regeln einer rechtschaffenen Lebensweise wieder einführen will. Die kṣatriyas sind nach dem vedischen System die Verwalter und Beschützer der menschlichen Gesellschaft. Als der Höchste Persönliche Gott als Śrī Rāmacandra auf die Erde kam, erschien Er in der Familie, die vom Sonnengott Raghu-vaṁśa abstammte, und als Er als Śrī Kṛṣṇa erschien, tat Er dies in der Familie Yadu-vaṁśas. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 24. Kapitel des Neunten Cantos eine lange Liste der Könige der Yadu-vaṁśas aufgeführt, die alle sehr bedeutende und mächtige Herrscher waren. Kṛṣṇas Vater, Vasudeva, war der Sohn Śūrasenas, eines Nachkommen der Yadu-Dynastie. In Wirklichkeit gehört der Höchste Persönliche Gott natürlich zu keiner Dynastie der materiellen Welt, doch durch Seine Gnade wird die Familie, in der Er erscheint, berühmt. Sandelholz z. B. kommt zum größten Teil aus Malaya. Dieses Holz wächst natürlich auch außerhalb von Malaya, doch weil es zufällig meistenteils aus Malaya kommt, ist Malaya für sein Sandelholz bekannt. Ebenso gehört Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, zu keiner bestimmten Familie, doch wie die Sonne im Osten aufgeht, obwohl es noch andere Richtungen gibt, aus denen sie aufgehen könnte, erscheint auch Gott nach Seiner Wahl in einer bestimmten Familie und macht diese somit berühmt. Wenn Kṛṣṇa erscheint, wird Er von all Seinen vollständigen Erweiterungen begleitet. Auch Sein älterer Bruder Balarāma (Baladeva) erscheint mit Ihm. Balarāma ist der Ursprung Saṅkarṣaṇas, der zu der vierfachen Erweiterung Kṛṣṇas gehört. Mit diesem Buch wird der Versuch unternommen zu zeigen, wie Kṛṣṇa in der Familie der Yadu-Dynastie erschien und Sein transzendentales Wesen offenbarte. Dies wird sehr lebendig im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben – besonders im Zehnten Canto, der die Grundlage dieses Buches bildet. Über die Spiele des Herrn hören oder lesen im allgemeinen nur die befreiten Seelen mit wahrer Freude. Die bedingten Seelen sind mehr daran interessiert, Geschichten über das materialistische Tun eines gewöhnlichen Menschen zu lesen. Erzählungen, die die transzendentalen Spiele und Taten Gottes beschreiben, findet man vor allem im Śrīmad-Bhāgavatam und in anderen Purāṇas, doch die meisten bedingten Seelen ziehen die Lektüre gewöhnlicher Geschichten vor. Sie sind nicht so sehr daran interessiert, sich mit den Erzählungen von den Spielen Gottes zu beschäftigen. Und doch sind die Beschreibungen der Spiele Śrī Kṛṣṇas so anziehend, daß sie von den verschiedensten Menschen gern gehört werden. Es gibt drei Gruppen von Menschen: Die einen nennt man befreite Seelen; die anderen sind diejenigen, die versuchen, befreit zu werden, und die dritten sind die materialistischen Menschen. Ob man befreit ist oder versucht, Befreiung zu erlangen – ja, selbst wenn man ein großer Materialist ist – , die Spiele Śrī Kṛṣṇas sind es wert, daß man sich mit ihnen eingehend beschäftigt. Befreite Menschen haben kein Interesse an materialistischen Tätigkeiten. Die Theorie der Unpersönlichkeitsanhänger, daß man nach der Befreiung inaktiv wird und nichts mehr zu hören braucht, ist nicht richtig. Eine lebendige Seele kann niemals inaktiv sein. Sie ist sowohl im bedingten als auch im befreiten Zustand aktiv. Wenn ein Mensch z. B. krank ist, ist er auch aktiv, aber jede Bewegung ist für ihn schmerzhaft. Der gleiche Mensch wird, wenn er von seiner Krankheit geheilt ist, nicht untätig, sondern ist immer noch aktiv; doch im gesunden Zustand handelt er voller Freude. Die Unpersönlichkeitsanhänger versuchen, von den krankhaften, bedingten Tätigkeiten im materiellen Leben frei zu werden, aber sie wissen nichts von den Tätigkeiten im gesunden Zustand, im spirituellen Leben. Wer tatsächlich befreit und mit vollkommenem Wissen erleuchtet ist, beginnt über die transzendentalen Spiele und Taten Kṛṣṇas zu hören – eine solche Beschäftigung ist eine reine, spirituelle Tätigkeit. Für Menschen, die tatsächlich befreit sind, ist es sehr wesentlich, über die Spiele Kṛṣṇas zu hören, denn für sie bedeutet dies höchste Freude. Aber auch für diejenigen, die versuchen, befreit zu werden, wird der Pfad zur Befreiung deutlich erkennbar, wenn sie solche Erzählungen wie die Bhagavad-gītā und das Śrīmad-Bhāgavatam hören. Die Bhagavad-gītā ist die vorbereitende Studie zum Śrīmad-Bhāgavatam. Durch das Studium der Gītā wird man sich der Position Śrī Kṛṣṇas bewußt, und wenn man bei den Lotosfüßen Kṛṣṇas Zuflucht gesucht hat, kann man auch die Erzählungen über Kṛṣṇa verstehen, wie sie im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben werden. Śrī Caitanya gab daher Seinen Nachfolgern den Auftrag: »Verkündet überall Kṛṣṇa-kathā.« Kṛṣṇa-kathā bedeutet Erzählungen, die Kṛṣṇa zum Thema haben. Es gibt zwei Arten von Kṛṣṇa-kathā: Erzählungen, die von Kṛṣṇa gesprochen wurden, und Erzählungen, die über Kṛṣṇa gesprochen wurden. Die Bhagavad-gītā ist die Erzählung bzw. Philosophie oder Wissenschaft von Gott, die von Kṛṣṇa Selbst gesprochen wurde. Das Śrīmad-Bhāgavatam erzählt von den Taten und transzendentalen Spielen Śrī Kṛṣṇas. Beides ist Kṛṣṇa-kathā. Es ist die Anweisung Śrī Caitanyas, daß Kṛṣṇa-kathā in der ganzen Welt verbreitet werden soll, denn wenn die bedingten Seelen, die unter den Qualen des materiellen Lebens leiden, Zuflucht bei Kṛṣṇa-kathā suchen, wird ihr Pfad zur Befreiung offen und klar werden. Dieses Buch wird daher in erster Linie mit dem Ziel veröffentlicht, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, Kṛṣṇa bzw. Kṛṣṇa-kathā zu verstehen, denn dadurch können sie von der Fessel der materiellen Welt befreit werden. Kṛṣṇa-kathā wird selbst für die materialistischsten Menschen sehr anziehend sein, denn Kṛṣṇas Spiele mit den gopīs (Kuhhirtenmädchen) z. B. ähneln den Liebesbeziehungen zwischen Mädchen und Jungen in der materiellen Welt. Der Sinn für Sexualität, wie wir ihn kennen, ist nicht unnatürlich, denn der gleiche Sinn für Sexualität ist auch im ursprünglichen Persönlichen Gott vorhanden. Die Freudenkraft des Höchsten wird Śrīmatī Rādhārāṇī genannt. Der Austausch liebevoller Gefühle ist die ursprüngliche Tätigkeit des Höchsten Persönlichen Gottes, und da wir, die bedingten Seelen, winzige Teile des Höchsten sind, kennen auch wir solche Gefühle, die von uns jedoch gegenwärtig in pervertierter, spärlicher Form erfahren werden. Wenn daher diejenigen, für die sexueller Genuß das wichtigste ist, über Kṛṣṇas Spiele mit den gopīs hören, werden selbst sie transzendentale Freude erfahren, obwohl diese materiell zu sein scheint. Zu ihrem Vorteil werden sie allmählich auf die spirituelle Ebene erhoben werden. Im Bhāgavatam wird gesagt: »Wenn jemand in ergebener Haltung von Autoritäten über die Spiele Śrī Kṛṣṇas mit den gopīs hört, wird er auf die Ebene des transzendentalen liebenden Dienens für den Herrn erhoben und kann so die materielle Krankheit der Lust im Herzen heilen.« Mit anderen Worten, auf diese Weise kann man der Lust nach materieller Sexualität entgegenwirken. Kṛṣṇa ist für die befreiten Seelen wie auch für die nach Befreiung Strebenden und selbst für die groben, bedingten Materialisten anziehend. Nach der Aussage Mahārāja Parīkṣits, der von Śukadeva Gosvāmī über Kṛṣṇa hörte, ist Kṛṣṇa-kathā für jedes Lebewesen geeignet, ganz gleich, in welchem Zustand des Lebens es sich befindet. Jeder wird es sehr lieben, über Kṛṣṇa zu hören. Doch Mahārāja Parīkṣit machte darauf aufmerksam, daß Menschen, die nur mit dem Töten von Tieren und mit ihrer eigenen Vernichtung beschäftigt sind, von Kṛṣṇa-kathā nicht sehr angezogen sein würden. Mit anderen Worten, gewöhnliche Menschen, die den regulierenden Moralprinzipien der Schriften folgen, werden, ungeachtet ihrer Lebensumstände, zweifellos sehr angezogen sein, doch nicht solche, die sich selbst zerstören. Das treffende Wort, das in diesem Zusammenhang im Śrīmad-Bhāgavatam gebraucht wird, lautet »paśughna«; es bedeutet »Tiere oder sich selbst töten«. Menschen, die nicht selbstverwirklicht und nicht an spiritueller Verwirklichung interessiert sind, zerstören sich selbst - sie begehen im wahrsten Sinne des Wortes Selbstmord. Da die menschliche Form des Lebens besonders zur Selbstverwirklichung bestimmt ist, vergeudet man seine Zeit, wenn man diese wichtige Aufgabe vernachlässigt - man ist paśughna. Die andere Bedeutung des Wortes »paśughna« bezeichnet jene, die tatsächlich Tiere töten, d. h. diejenigen, die auf verschiedene Weise, wie Jagen, Eröffnen von Schlachthäusern usw., Tiere töten und sie (manchmal sogar Hunde) essen. Solche Menschen können an Kṛṣṇa-kathā keinen Geschmack finden. König Parīkṣit war besonders begierig, Kṛṣṇa-kathā zu hören, weil er wußte, daß seine Vorfahren, insbesondere sein Großvater Arjuna, in der Schlacht von Kurukṣetra nur mit Kṛṣṇas Hilfe siegreich waren. Wir sollten die materielle Welt ebenfalls als ein Schlachtfeld betrachten, denn jeder kämpft hart um seine Existenz, und auf Schritt und Tritt lauern Gefahren. Mahārāja Parīkṣit verglich das Schlachtfeld von Kurukṣetra mit einem weiten Ozean voller gefährlicher Bestien. Sein Großvater Arujuna mußte gegen große Helden wie Bhīṣma, Droṇa, Karṇa und viele andere kämpfen, die keine gewöhnlichen Krieger waren. Solche Kämpfer werden mit dem timingila-Fisch verglichen, denn der timingila-Fisch kann ohne weiteres große Wale verschlingen. Ähnlich hätten die großen Kämpfer auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra mit Leichtigkeit viele Arjunas verschlingen können, doch durch die Barmherzigkeit Kṛṣṇas war Arjuna fähig, sie alle zu töten. So wie jemand ohne Anstrengung über die kleine Pfütze im Hufabdruck eines Kalbes springen kann, konnte Arjuna durch die Gnade Kṛṣṇas sehr leicht den Ozean der Schlacht von Kurukṣetra überqueren. Mahārāja Parīkṣit wußte Kṛṣṇas Taten noch aus vielen anderen Gründen sehr zu schätzen. Nicht nur sein Großvater war von Kṛṣṇa gerettet worden, sondern auch er selbst. Am Ende der Schlacht von Kurukṣetra fielen alle Mitglieder der Kuru-Dynastie im Kampf; sowohl die Söhne und Enkel auf der Seite Dhṛtarāṣṭras als auch die auf Seiten der Pāṇḍavas. Außer den fünf Pandava-Brüdern starb jeder auf dem Schlachtfeld. Mahārāja Parīkṣit befand sich zu jener Zeit im Leib seiner Mutter. Sein Vater Abhimanyu, der Sohn Arjunas, starb ebenfalls auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra, und so blieb Mahārāja Parīkṣit allein mit seiner Mutter, Uttarā, zurück. Noch als er sich im Schoß seiner Mutter befand, schoß Aśvatthāmā eine brahmastra-Waffe ab, die ihn töten sollte. Als Uttarā sich in ihrer Not an Kṛṣṇa wandte, ging dieser, der die Gefahr erkannte, als Überseele in ihre Gebärmutter ein und rettete das Kind. Ein anderer Name Mahārāja Parīkṣits ist daher Viṣṇu-rāta (einer, der von Śrī Viṣṇu gerettet wurde). Jeder sollte begierig sein, über Kṛṣṇa und Seine Taten zu hören. Kṛṣṇa ist die Höchste Absolute Wahrheit, der Persönliche Gott; Er ist alldurchdringend; Er lebt im Herzen eines jeden, und Er existiert als universale Form. Und dennoch erscheint Er, wie Er Selbst in der Bhagavad-gita sagt, in der menschlichen Gesellschaft in Seiner ursprünglichen Gestalt, um jeden einzuladen, in Sein transzendentales Reich zurückzukehren, zurück nach Hause, zurück zu Gott. Jeder sollte versuchen, sich für Kṛṣṇa zu interessieren. Ich lege dieses Buch mit dem Wunsch vor, den Menschen etwas über Kṛṣṇa mitzuteilen, damit sie ihr Leben voll und ganz nutzen können. Im Neunten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam wird Śrī Baladeva als der Sohn Rohiṇīs, einer Frau Vasudevas, bezeichnet. Vasudeva, der Vater Kṛṣṇas, hatte sechzehn Frauen, und eine von ihnen war Rohiṇī, die Mutter Baladevas, der auch Balarāma genannt wird. Aber Balarāma wird auch gleichzeitig der Sohn Devakīs genannt - wie konnte Er nun sowohl der Sohn Devakīs als auch der Sohn Rohiṇīs sein? Dies war eine der Fragen, die Mahārāja Parīkṣit dem Śukadeva Gosvāmī stellte, und sie wird im weiteren Verlauf beantwortet werden. Mahārāja Parīkṣit fragte Śukadeva Gosvāmī auch, warum Śrī Kṛṣṇa gleich nach Seinem Erscheinen als der Sohn Vasudevas zum Haus Nanda Mahārājas in Goluka gebracht wurde. Er wollte außerdem wissen, welche Aktivitäten Śrī Kṛṣṇa ausführte, während Er Sich in Vṛndāvana und in Mathurā aufhielt, und warum Er Seinen Onkel, Kaṁsa, tötete. Kaṁsa, der Bruder Devakīs, war ein naher Verwandter Kṛṣṇas und man wird sich fragen, warum Kṛṣṇa ihn tötete. Mahārāja Parīkṣit fragte auch, wie viele Jahre Śrī Kṛṣṇa in der menschlichen Gesellschaft blieb, wie lange Er über das Königreich von Dvārakā regierte und wie viele Frauen Er dort heiratete. Für einen kṣatriya-König ist es im allgemeinen üblich, mehr als eine Frau anzunehmen, und daher fragte Mahārāja Parīkṣit nach der Anzahl der Frauen, die Kṛṣṇa heiratete. Diese und andere Fragen, die von Mahārāja Parīkṣit gestellt und von Śukadeva Gosvāmī beantwortet wurden, bilden das Thema dieses Buches. Die Position Mahārāja Parīkṣits und die Śukadeva Gosvāmīs sind einzigartig. Mahārāja Parīkṣit ist die rechte Persönlichkeit, sich über die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas berichten zu lassen, und Śukadeva Gosvāmī ist besonders geeignet, sie zu beschreiben. Wenn solch eine glückliche Verbindung zustandekommt, wird Kṛṣṇa-kathā sofort offenbar, und all diejenigen, die gewillt sind zu hören, können den größten Nutzen aus einem solchen Gespräch ziehen. Das Śrīmad-Bhāgavatam wurde von Śukadeva Gosvāmī vorgetragen, als sich Mahārāja Parīkṣit darauf vorbereitete, seinen Körper aufzugeben, und fastend am Ufer des Ganges saß. Um Śukadeva Gosvāmī zu versichern, daß ihn das Hören von Kṛṣṇa-kathā nicht ermüden werde, sagte Mahārāja Parīkṣit ganz offen: »Hunger und Durst mögen gewöhnlichen Menschen wie mir Sorgen bereiten, doch die Geschichten über Kṛṣṇa sind so schön, daß man sie unaufhörlich anhören kann, ohne müde zu werden, denn dieses Hören erhebt einen auf die transzendentale Ebene.« Es wird gesagt, daß man sehr vom Glück begünstigt sein muß, um wie Mahārāja Parīkṣit ernsthaft Kṛṣṇa-kathā hören zu können. Er war besonders aufmerksam, weil er jeden Augenblick den Tod erwartete. Auch wir sollten uns der Gefahr des Todes in jeder Sekunde bewußt sein, denn unser Leben wird durch nichts gesichert – wir können jederzeit sterben, ganz gleich ob wir jung oder alt sind. Bevor also der Tod kommt, sollten wir völlig Kṛṣṇa-bewußt werden. Zum Zeitpunkt seines Todes hörte König Parīkṣit von Śukadeva Gosvāmī das Śrīmad-Bhāgavatam. Als König Parīkṣit seine Bereitwilligkeit zeigte, ohne Unterlaß den Berichten über Kṛṣṇa zu lauschen, war Śukadeva Gosvāmī sehr erfreut. Śukadeva war der größte Bhagavatam-Sprecher seiner Zeit, und so begann er, von Kṛṣṇas Spielen zu berichten, die allen verderblichen Einflüssen des Kali-yugas entgegenwirken können. Śukadeva Gosvāmī dankte dem König für seinen Eifer und ermutigte ihn, indem er sagte: »Mein lieber König, dein Eifer, über die Spiele Kṛṣṇas zu hören, zeugt von großer Intelligenz.« Er ließ Mahārāja Parīkṣit wissen, daß das Hören und Chanten der Spiele Kṛṣṇas so glückverheißend ist, daß es all diejenigen, die miteinbezogen sind, ganz und gar reinigt, nämlich den, der die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas erzählt, den, der sie hört, und den, der über sie Fragen stellt. Kṛṣṇas Spiele sind wie das Wasser des Ganges, das zwischen den Zehen Śrī Viṣṇus hervorfließt. Sie reinigen alle drei Welten - die oberen, die mittleren und die unteren Planetensysteme. 1. KAPITEL Die Ankunft Śrī Kṛṣṇas Es gab eine Zeit, da war die Welt durch die übermäßig angewachsenen Streitmächte verschiedener Fürsten bedroht, die in Wirklichkeit Dämonen waren, sich aber wie Könige gebärdeten. Da alle Bewohner in großer Angst lebten, machte sich die herrschende Göttin der Erde, Bhūmi, auf, um Brahmā, dem obersten Halbgott im Universum, von der bedrohlichen Situation zu berichten. Bhūmi nahm die Gestalt einer Kuh an und erschien mit Tränen in den Augen vor Brahmā. Sie weinte, um das Mitleid des Halbgottes zu erwecken, und erzählte von den fürchterlichen Zuständen auf der Erde. Als Brahmā ihre Schilderung hörte, war er sehr betroffen und verfiel in tiefes Nachdenken. Schließlich beschloß er, Viṣṇu, den Erhalter des Universums, um Hilfe zu bitten, und begab sich, begleitet von allen Halbgöttern, die von Śiva angeführt wurden, nach Śvetadvīpa, zum Milchozean, wo Viṣṇu residiert. Bhūmi folgte ihnen. Als sie am Ufer des Milchozeans angekommen waren, begann Brahmā Viṣṇu lobzupreisen, der schon früher einmal, in der transzendentalen Gestalt eines Ebers, den Erdplaneten vor dem Untergang gerettet hatte. In den vedischen mantras gibt es ein besonderes Gebet, Puruṣa-sūkta genannt, das die Halbgötter chanten, um Viṣṇu, dem Höchsten Persönlichen Gott, ihre Ehrerbietungen darzubringen. Man muß in diesem Zusammenhang verstehen, daß sich die herrschende Gottheit jedes Planeten an den höchsten Halbgott des Universums, Brahmā, wenden kann, wenn Störungen auf dem jeweiligen Planeten auftreten. Brahmā wiederum kann sich dem Höchsten Gott, Viṣṇu, nähern, jedoch nicht direkt, sondern vom Ufer des Milchozeans aus. Es gibt im Universum einen Planeten, Śvetadvīpa genannt, auf dem sich der Milchozean befindet. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß es auch auf anderen Planeten verschiedene Arten von Ozeanen gibt, ähnlich wie auf unserem Planeten einen Ozean aus Salzwasser. Auf Śvetadvīpa existiert ein Ozean aus Milch, anderswo befindet sich ein Ozean aus Öl, und irgendwo gibt es auch einen Ozean, der aus Alkohol besteht, usw. Puruṣa-sūkta heißt das Gebet, das die Halbgötter sprechen, um dem Höchsten Persönlichen Gott, Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu, ihre Ehre zu erweisen. Weil Er auf dem Milchozean ruht, wird Er Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu genannt. Er ist der Höchste Persönliche Gott, von dem alle Inkarnationen im Universum ausgehen. Alle Halbgötter brachten also das Puruṣa-sukta-Gebet dar, erhielten jedoch offenbar keine Antwort. Daraufhin versank Brahmā persönlich in Meditation und empfing eine Botschaft von Viṣṇu, die er an die Halbgötter weitergab. Das ist das System, vedisches Wissen zu empfangen. Wie zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam gesagt wird (tene brahmā hṛdā) offenbarte der Höchste Persönliche Gott dem ersten Lebewesen im Universum, Brahmā, das transzendentale Wissen der Veden im Herzen. Ebenso konnte auch in diesem Fall nur Brahmā die Botschaft verstehen, die von Viṣṇu übermittelt wurde, und er gab sie an die Halbgötter weiter, damit diese sofort dementsprechend handeln konnten. Die Botschaft lautete: Der Höchste Persönliche Gott wird zusammen mit Seinen überaus mächtigen Kräften sehr bald auf der Erde erscheinen, und solange Er auf dem Erdplaneten bleibt, um Sein Vorhaben, die Vernichtung der Dämonen und die Errettung der Geweihten, zu erfüllen, sollen auch die Halbgötter dort sein, um Ihn zu unterstützen. Sie alle sollen sich sofort darauf vorbereiten, in der Yadu-Dynastie geboren zu werden, in der auch der Herr sehr bald erscheinen wird. Der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, erschien als der Sohn Vasudevas. Bevor Er erschien, kamen alle Halbgötter mit ihren Frauen in verschiedenen frommen Familien auf die Erde, um den Herrn bei der Ausführung Seines Vorhabens zu unterstützen. Das genaue Wort, das hier gebraucht wird, lautet »tatpriyārtham«; es bedeutet, daß die Halbgötter auf der Erde erscheinen sollen, um den Herrn zu erfreuen. Mit anderen Worten: Jedes Lebewesen, das sein Leben nutzt, um den Höchsten zufriedenzustellen, ist ein Halbgott. Die Halbgötter wurden außerdem darüber informiert, daß eine vollständige Erweiterung Kṛṣṇas, Ananta, der die Planeten des Universums mit Seinen Millionen von Köpfen in der Schwebe hält, ebenfalls vor der Ankunft Śrī Kṛṣṇas auf der Erde erscheinen werde. Auch die äußere Energie Viṣṇus (māyā), die alle bedingten Seelen bezaubert, werde erscheinen, um dem Höchsten Persönlichen Gott behilflich zu sein. Nachdem Brahmā allen Halbgöttern, auch Bhūmi, diese Botschaft mitgeteilt und sie mit freundlichen Worten beruhigt hatte, kehrte er, der Vater aller prajāpatis (der Vorfahren aller Lebewesen im Universum), zu seinem Aufenthaltsort auf dem höchsten materiellen Planeten zurück, der Brahmaloka genannt wird. Der Führer der Yadu-Dynastie, König Śūrasena, regierte über das Land Mathurā und über den Bezirk, der als Śūrasena bekannt ist. Während der Herrschaft König Śūrasenas wurde Mathurā die Hauptstadt aller Könige der Yadus. Mathurā wurde zur Hauptstadt gewählt, weil die Yadus eine sehr fromme Familie waren und wußten, daß Mathurā der Ort ist, an dem Śṛī Kṛṣṇa, genau wie in Dvārakā, ewig lebt. Eines Tages fuhr Vasudeva, der Sohn Śūrasenas, zusammen mit seiner jungen Braut Devakī, als die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber waren, in der Kutsche nach Hause. Der Vater Devakīs, Devaka, der seine Tochter sehr liebte, hatte eine beträchtliche Mitgift beigesteuert, worunter sich unter anderem Hunderte von Kutschen befanden, die vollkommen mit Gold beschlagen waren. Kaṁsa, der Sohn Ugrasenas, hatte sich, um seine Schwester Devakī zu erfreuen, angeboten, das Brautpaar nach Hause zu fahren. Nach vedischem Brauch bringt, wenn ein Mädchen heiratet, der Bruder die Schwester und den Schwager zu ihrem neuen Heim. Weil das frischverheiratete Mädchen unter der Trennung von der Familie ihres Vaters leiden könnte, begleitet sie ihr Bruder bis zum Hause des Schwiegervaters. Die von Devaka beigesteuerte Mitgift bestand aus insgesamt vierhundert mit goldenen Girlanden geschmückten Elefanten, fünfzehntausend geschmückten Pferden und achtzehnhundert Kutschen. Außerdem waren zweihundert wunderschöne Mädchen ausgesucht worden, die seine Tochter begleiten sollten. Das kṣatriya-System der Heirat, das in Indien noch heute Gültigkeit hat, schreibt vor, daß zusammen mit der Braut einige Dutzend ihrer Freundinnen zum Hause des Brautvaters gehen. Die Begleiterinnen der Königin-Braut werden zwar Dienerinnen genannt, doch sind sie in Wirklichkeit ihre Freundinnen. Dieses System ist seit unvordenklichen Zeiten Brauch und läßt sich mindestens bis zur Zeit vor der Ankunft Śrī Kṛṣṇas vor fünftausend Jahren zurückverfolgen. Vasudeva brachte also zusammen mit seiner Frau noch zweihundert schöne Mädchen mit nach Hause. Während Braut und Bräutigam in der Kutsche dahinfuhren, wurden die verschiedensten Instrumente gespielt, um das besondere Ereignis anzuzeigen. Es ertönten Muschelhörner, Trompeten, Trommeln und Pauken, die sich zu einem wohlklingenden Konzert vereinigten. Die Hochzeitsgesellschaft war in freudiger Stimmung, als plötzlich eine orakelhafte Stimme vom Himmel ertönte, die besonders an Kaṁsa gerichtet war: »Kaṁsa, du Narr, du lenkst die Kutsche deiner Schwester und deines Schwagers und weißt nicht, daß das achte Kind deiner Schwester dich töten wird!« Kaṁsa, der Sohn Ugrasenas, gehörte zur Bhoja-Dynastie, und es wird gesagt, daß er der dämonischste aller Könige der Bhoja-Dynastie war. Sowie er die Prophezeiung vom Himmel hörte, packte er Devakī bei den Haaren und zückte sein Schwert, um sie zu töten. Vasudeva war von Kaṁsas Verhalten sehr überrascht, und um den grausamen, schamlosen Schwager zu besänftigen, begann er mit großer Vernunft und Klarheit wie folgt zu sprechen: »Mein lieber Kaṁsa, du bist der berühmteste König der Bhoja-Dynastie, und jeder weiß, daß du ein tapferer Krieger und ein großer König bist. Wie kommt es, daß du dermaßen in Wut gerätst, daß du sogar bereit bist, eine Frau, die noch dazu deine Schwester ist, an ihrem Hochzeitstag zu töten? Warum solltest du dich vor dem Tode fürchten? Dein Tod wurde schon bei deiner Geburt mit dir geboren. Seitdem du geboren bist, stirbst du. Du bist jetzt vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt; das bedeutet, daß du schon fünfundzwanzig Jahre lang gestorben bist. In jedem Moment, in jeder Sekunde stirbst du, warum solltest du also Angst vor dem Tode haben? Der Tod ist unvermeidbar. Du magst heute oder in hundert Jahren sterben - dem Tod kannst du nicht entrinnen. Warum solltest du dich also fürchten? In Wirklichkeit bedeutet der Tod lediglich die Vernichtung des Körpers. Sobald der Körper seine Tätigkeit einstellt und sich mit den fünf Elementen der materiellen Natur vereinigt, nimmt das Lebewesen, das sich im Körper befunden hat, je nach seinen früheren Taten, einen anderen Körper an. Es ist wie mit einem Mann, der auf der Straße geht: Er setzt einen Fuß vor, und wenn er sicher ist, daß dieser auf festem Grund steht, hebt er den anderen. In ähnlicher Weise wandert die Seele von einem Körper zum anderen. Sieh nur, wie die Raupe vorsichtig von einem Zweig zum anderen wechselt! Ähnlich wechselt das Lebewesen seinen Körper, sobald höhere Autoritäten über den nächsten entschieden haben. Solange ein Lebewesen in der materiellen Welt gefangen ist, muß es immer wieder, Geburt auf Geburt, einen materiellen Körper annehmen. Der nächste Körper, den man erhält, wird durch die Gesetze der Natur entsprechend den Handlungen und den daraus resultierenden Reaktionen des vorherigen Lebens bestimmt. Unser gegenwärtiger Körper gleicht einem der Körper, die wir in unseren Träumen annehmen. Während des Schlafes schaffen wir im Traum die verschiedensten Körper und erleben phantastische Dinge. Wir kennen z. B. Gold und haben einmal einen Berg gesehen, und so schaffen wir im Traum durch die Verbindung dieser beiden Vorstellungen einen goldenen Berg. Manchmal träumen wir, fliegen zu können oder ein König zu sein, während wir unseren eigentlichen Körper, der auf dem Bett liegt, vergessen. Ebenso wechseln wir unsere materiellen Körper. Wenn du einen neuen Körper annimmst, vergißt du den alten. Während eines Traumes z. B. mögen wir viele verschiedene Körper schaffen, doch wenn wir erwachen, vergessen wir sie alle wieder. Und tatsächlich sind auch unsere groben materiellen Körper nichts anderes als Schöpfungen unseres Geistes - nur können wir uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt an unsere vergangenen Körper nicht mehr erinnern. Der Geist ist von Natur aus unstet. Manchmal nimmt er etwas an, und dann lehnt er es kurze Zeit später wieder ab. Annehmen und Ablehnen sind die Tätigkeiten des Geistes in Verbindung mit den fünf Objekten der Sinne: Form, Geschmack, Geruch, Klang und Berührung. Wenn der ruhelose, ständig umherwandernde Geist mit den Sinnenobjekten in Berührung kommt, entwickelt das Lebewesen nach und nach den Wunsch nach einem bestimmten Körper, der ihm dann von der materiellen Natur zur Verfügung gestellt wird. Das Lebewesen kommt in die materielle Welt und nimmt einen Körper an, um dann entsprechend der Beschaffenheit des Körpers zu genießen und zu leiden. Ohne Körper können wir, trotz unserer Neigungen, die wir im vorherigen Leben entwickelt haben, weder genießen noch leiden. Der Körper, den man annimmt, wird von dem Bewußtsein bestimmt, in dem man sich zur Stunde des Todes befindet. Leuchtende Planeten wie die Sonne, der Mond oder die Sterne spiegeln sich zum Beispiel in Wasser, Öl oder Butterfett. Die Spiegelung des Mondes ruht auf dem Wasser, und wenn sich das Wasser bewegt, scheint sich auch der Mond zu bewegen, obwohl er sich in Wirklichkeit nicht bewegt. In ähnlicher Weise nimmt das Lebewesen durch seine geistige Tätigkeit verschiedene Arten von Körpern an, obwohl es in Wirklichkeit mit solchen Körpern nichts zu tun hat. Doch weil sich das Lebewesen in Illusion befindet, bezaubert von māyā, glaubt es, zu einem bestimmten Körper zu gehören. Von dieser Vorstellung wird das Leben der bedingten Seele bestimmt. Wenn sich ein Lebewesen beispielsweise in einem menschlichen Körper befindet, glaubt es, es gehöre zur menschlichen Gesellschaft oder zu einem bestimmten Land oder zu einem bestimmten Ort. Es identifiziert sich mit all diesen Dingen und bereitet somit einen weiteren Körper vor, den es im Grunde nicht benötigt. Solche Neigungen und Gedanken sind die Ursachen der verschiedenen Körper. Der illusionierende Einfluß der materiellen Natur ist so stark, daß das Lebewesen in jedem Körper, den es erhält, zufrieden ist und sich gern mit ihm identifiziert. Daher bitte ich dich - laß dich nicht vom Diktat deines Geistes und deines Körpers überwältigen!« Mit diesen Worten bat Vasudeva Kaṁsa, seiner neugetrauten Schwester nichts anzutun. Man soll niemandem Leid zufügen, denn die Folgen solcher Handlungen sind sowohl in dieser als auch in der nächsten Welt, wenn man vor Yamarāja (dem Todesgott) steht, die Ursache großer Ängste. Vasudeva wandte sich im Namen Devakīs an Kaṁsa und hielt ihm vor Augen, daß sie seine jüngere Schwester sei. Er erinnerte ihn auch daran, daß heute ein besonderer Tag sei. Eine jüngere Schwester oder ein jüngerer Bruder sollten im allgemeinen wie die eigenen Kinder beschützt werden. »Überdies wäre eine solche Tat sehr riskant«, warnte Vasudeva seinen Schwager, »denn wenn du sie tötest, wirst du deinen guten Ruf verlieren.« Vasudeva versuchte Kaṁsa sowohl durch gute Worte als auch durch philosophische Argumente zu beschwichtigen, doch Kaṁsa konnte nicht besänftigt werden, denn er war dem Wesen nach ein Dämon, obwohl er in einer sehr hohen, königlichen Familie geboren war. Ein Dämon kümmert sich niemals um gute Worte; es ist wie mit einem geborenen Dieb: moralische Belehrungen bleiben fruchtlos. Wer von Natur aus dämonisch oder atheistisch ist, wird schwerlich eine gute Belehrung annehmen, ganz gleich, wie begründet sie auch sein mag. Darin unterscheidet sich ein Halbgott von einem Dämonen. Diejenigen, die gute Ratschläge bereitwillig annehmen und versuchen, danach zu handeln, werden Halbgötter genannt, wohingegen jene, die unfähig sind, solche Belehrungen anzunehmen, als Dämonen bezeichnet werden. Nachdem der Versuch, Kaṁsa zu beruhigen, gescheitert war, fragte sich Vasudeva, wie er seine Frau Devakī schützen könne. Wenn Gefahr droht, sollte ein intelligenter Mensch versuchen, die gefährliche Situation zu verhindern. Wenn es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelingt, die Gefahr abzuwenden, liegt die Schuld nicht bei ihm. Vasudeva dachte bei sich: »Erst einmal will ich das Leben Devakīs retten, und später, wenn die Kinder da sind, werde ich sehen, wie ich auch sie retten kann.« Er dachte weiter: »Wenn in der Zukunft ein Kind geboren wird, das imstande ist, Kaṁsa zu töten, so wie Kaṁsa glaubt, dann werden sowohl Devakī als auch das Kind in Sicherheit sein, denn die Vorsehung waltet oft auf unbegreifliche Weise. Doch jetzt will ich vorerst einmal versuchen, das Leben Devakīs zu retten.« Man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, auf welche Weise ein Lebewesen mit einem bestimmten Körper in Kontakt kommt, ähnlich wie es keine Gewißheit gibt, auf welche Weise das lodernde Feuer bei einem Waldbrand mit einem bestimmten Baum in Berührung kommt. Es ist beobachtet worden, daß die Funken durch den Wind manchmal einen Baum überspringen und einen anderen erfassen. Ebenso mag ein Lebewesen sehr sorgfältig und gewissenhaft seinen Pflichten nachkommen, doch es ist immer noch sehr schwierig, mit Bestimmtheit vorauszusagen, welche Art von Körper es im nächsten Leben erhalten wird. Mahārāja Bhārata z. B. erfüllte in vorbildlicher Weise die Pflichten, die zur Selbstverwirklichung vorgeschrieben sind, doch zufällig hatte er eine vorübergehende Zuneigung zu einem Reh entwickelt und mußte daher in seinem nächsten Leben den Körper eines Rehs annehmen. Nachdem Vasudeva überlegt hatte, wie er seine Frau retten könne, begann er, Kaṁsa mit großen Respekt anzusprechen, obwohl Kaṁsa der sündigste aller Sünder war. Manchmal ist es notwendig, daß ein so vortrefflicher Mensch wie Vasudeva einem lasterhaften Schurken wie Kaṁsa schmeicheln muß. Ein Verhalten dieser Art ist bei allen diplomatischen Verhandlungen üblich. Obwohl Vasudeva recht verzweifelt war, zeigte Er sich also nach außen hin zuversichtlich und sagte zu dem gewissenlosen Kaṁsa: »Mein lieber Schwager, bitte bedenke, daß dir von deiner Schwester keinerlei Gefahr droht. Du fürchtest dich, weil du eine prophetische Stimme vom Himmel gehört hast; aber die Gefahr soll von den Söhnen deiner Schwester kommen, die doch noch gar nicht geboren sind. Und wer weiß, ob sie überhaupt jemals geboren werden? Wenn du all dies berücksichtigst, wirst du zugeben müssen, daß du zur Zeit in Sicherheit bist. Von deiner Schwester hast du ohnehin nichts zu befürchten. Und falls sie tatsächlich männlichen Kindern das Leben schenken sollte, so verspreche ich dir, jedes einzelne vor dich zu bringen, so daß du tun kannst, was dir notwendig scheint.« Kaṁsa kannte den Wert von Vasudevas Ehrenwort, und da er außerdem durch dessen Argumente überzeugt war, beschloß er, seine Schwester vorerst nicht zu töten. Vasudeva war über die Entscheidung seines Schwagers sehr glücklich und kehrte zufrieden nach Hause zurück. Mit der Zeit wurden Vasudeva und Devakī acht männliche Kinder und eine Tochter geboren. Vasudeva hielt sein Ehrenwort, und erschien, gleich nachdem der erste Sohn geboren war, vor Kaṁsa. Vasudeva war für sein Ehrenwort berühmt, und er wollte diesen Ruhm bewahren, obwohl es für ihn sehr schmerzlich war, das neugeborene Kind Kaṁsa zu übergeben. Dieser war sehr zufrieden mit ihm, empfand jedoch ein wenig Mitleid, als er Vasudeva so unglücklich sah. Diese Szene ist beispielhaft: Für eine große Seele wie Vasudeva gibt es bei der Erfüllung der Pflicht nichts, was als zu schmerzhaft zu betrachten wäre. Ein gelehrter Mensch wie Vasudeva führt seine Pflicht ohne Zögern aus. Auf der anderen Seite schreckt ein Dämon wie Kaṁsa vor keiner noch so abscheulichen Tat zurück. Es wird daher gesagt, daß ein Heiliger alle Arten von Unbequemlichkeiten auf sich nehmen, ein Gelehrter seine Pflicht, ohne etwas dafür zu erwarten, erfüllen, ein verabscheuungswürdiger Mensch wie Kaṁsa jede Sünde begehen und ein Gottgeweihter alles opfern kann, um den Höchsten Persönlichen Gott zu erfreuen. Kaṁsa war mit Vasudeva zufrieden, doch zur gleichen Zeit war er so überrascht, daß dieser sein Versprechen gehalten hatte. Mitleidig und erfreut zugleich begann er wie folgt zu sprechen: »Mein lieber Vasudeva, du brauchst mir dieses Kind nicht zu übergeben, denn es bedeutet keine Gefahr für mich. Ich habe gehört, daß erst das achte Kind, das von dir und Devakī gezeugt wird, mich töten wird. Warum sollte ich also dieses Kind unnötig umbringen? Du kannst es wieder zurücknehmen.« Als Vasudeva mit seinem erstgeborenen Kind nach Hause zurückkehrte, konnte er, obwohl ihn Kaṁsas Nachsicht freute, seinen Worten keinen Glauben schenken, denn er wußte, daß Kaṁsa unberechenbar war. Ein atheistischer Mensch kann nicht zu seinem Ehrenwort stehen. Wer seine Sinne nicht beherrschen kann, wankt in seinen Entschlüssen. Der große Politiker Cāṇakya Paṇdita sagte einmal: »Traue niemals einem Diplomaten oder einer Frau.« Wer der uneingeschränkten Sinnenfreude verfallen ist, kann niemals wahrhaftig sein, noch kann man ihm jemals trauen. Zu jener Zeit kam auch der große Weise Nārada zu Kaṁsa. Ihm war berichtet worden, daß Kaṁsa Mitleid mit Vasudeva bekommen und ihm sein erstgeborenes Kind zurückgegeben habe. Nārada war bestrebt, die Ankunft Śrī Kṛṣṇas so weit wie möglich zu beschleunigen, und so teilte er Kaṁsa mit, daß sich Nanda Mahārāja, alle Kuhhirten und deren Frauen in Gokula, Vasudeva, dessen Vater Śūrasena und alle, die in der Familie Vṛṣnis aus der Yadu-Dynastie geboren waren, auf das Erscheinen des Herrn vorbereiteten. Nārada warnte Kaṁsa vor den Freunden, Gönnern und all den Halbgöttern, die in diesen Familien geboren worden seien. Sowohl Kaṁsa als auch seine Freunde und Berater waren Dämonen, und Dämonen fürchten sich im allgemeinen vor Halbgöttern. Kaṁsa wurde sehr wachsam, nachdem er von Nārada über das Erscheinen der Halbgötter in den verschiedenen Familien unterrichtet worden war. Er verstand, das Viṣṇu bald kommen müsse, und so ließ er seinen Schwager Vasudeva und seine Schwester Devakī festnehmen und ins Gefängnis werfen. Im Gefängnis, in eiserne Ketten gelegt, wurde von Vasudeva und Devakī Jahr für Jahr ein männliches Kind geboren, und Kaṁsa, der in jedem der Neugeborenen die Inkarnation Viṣṇus sah, tötete eines nach dem anderen. Er fürchtete sich zwar besonders vor dem achten Kind, doch nach dem Besuch Nāradas war er zu dem Schluß gekommen, daß jedes Kind Kṛṣṇa sein könnte. Daher hielt er es für besser, alle Kinder zu töten, die von Devakī und Vasudeva geboren wurden. Das Verhalten Kaṁsas ist nicht schwer zu verstehen. In der Geschichte der Welt gibt es viele Beispiele von Menschen königlichen Geschlechts, die den eigenen Vater, Bruder oder sogar die ganze Familie und alle Freunde aus selbstsüchtigen Motiven ermordeten. Dies ist nichts Erstaunliches, denn ein dämonischer Mensch ist ohne weiteres bereit, andere aus skrupellosem Ehrgeiz zu töten. Durch die Gnade Nāradas war es Kaṁsa vergönnt, etwas über sein vorheriges Leben zu erfahren. Er hörte, daß er in seinem letzten Leben ein Dämon mit Namen Kālanemi gewesen und von Viṣṇu getötet worden war. Nachdem er dieses Mal in der Bhoja-Familie geboren worden war, beschloß er, ein Todfeind der Yadu-Dynastie zu werden. Kṛṣṇa sollte ebenfalls in der Familie der Yadus geboren werden, und Kaṁsa fürchtete sehr, daß er auch diesmal von Kṛṣṇa getötet werden würde, so wie es ihm schon in seinem letzten Leben geschehen war. Als nächstes sperrte er seinen Vater Ugrasena ein, da dieser der führende König unter den Königen der Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien war, und besetzte dann das Königreich Śūrasenas, des Vaters von Vasudeva. Daraufhin erklärte er sich selbst zum König aller ihrer Länder. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedāntas zum 1. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Vorbereitung auf die Ankunft Śrī Kṛṣṇas«. 2. KAPITEL Die Gebete der Halbgötter an Kṛṣṇa im Mutterleib König Kaṁsa besetzte nicht nur die Reiche der Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien und das Königreich Śūrasenas, sondern verbündete sich auch mit allen dämonischen Königen wie den Dämonen Pralamba, Baka, Cāṇūra, Tṛṇāvarta, Aghāsura, Muṣṭika, Ariṣṭa, Dvivida, Pūtanā, Keśī und Dhenuka. Zu jener Zeit war Jarāsandha König über die Magadha-Provinz, die heute als Behar bekannt ist. Unter dem Schutz Jarāsandhas errichtete Kaṁsa durch seine geschickte Politik das mächtigste Imperium seiner Zeit. Er schloß weitere Bündnisse mit Königen wie Bāṇāsura und Bhaumāsura, bis er schließlich alles beherrschte. Daraufhin begann er mit feindseligen Aktionen gegen die Yadu-Dynastie, in der Kṛṣṇa geboren werden sollte. Als sie von Kaṁsa verfolgt wurden, mußten die Könige der Yadu-, Bhoja- und Andhaka-Dynastien in andere Königreiche fliehen, wie in das Reich der Kurus, das der Pañcālas und in die Reiche, die als Kekaya, Śālva, Vidarbha, Niṣadha, Videha und Kośala bekannt sind. Kaṁsa brach sowohl die Solidarität des Yadu-Königreichs als auch die des Bhoja- und Andhaka-Reiches und machte seine Position zur stärksten im ganzen Land, das zu jener Zeit als Bhāratavarṣa bekannt war. Als Kaṁsa die sechs Kinder Devakīs und Vasudevas eines nach dem anderen umbrachte, suchten ihn viele Freunde und Verwandte auf und baten ihn, von diesen Greueltaten abzulassen, doch sie alle wurden schließlich zu Verehrern Kaṁsas. Als Devakī zum siebten Mal schwanger wurde, erschien Ananta, eine vollständige Erweiterung Kṛṣṇas, in ihrem Leibe. Devakī war von Freude und Schmerz zugleich überwältigt. Sie war freudig, weil sie verstehen konnte, daß Viṣṇu in ihrem Leib erschienen war; doch zur gleichen Zeit war sie auch sehr bekümmert, da sie befürchtete, daß Kaṁsa auch dieses Kind töten würde. Zur selben Zeit ordnete der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, den die furchtbare Lage, in der sich die Yadus aufgrund der von Kaṁsa begangenen Grausamkeiten befanden, mit Mitleid erfüllte, das Erscheinen Yogamāyās, Seiner inneren Kraft, an. Kṛṣṇa ist der Herr des Universums, doch vor allem ist Er der Herr der Yadu-Dynastie. Yogamāyā ist die innere Kraft des Persönlichen Gottes. In den Veden wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott viele Kräfte hat: parāsya śaktir vividhaiva śrūyate. All diese verschiedenen Kräfte wirken äußerlich und innerlich, und Yogamāyā ist die höchste aller Kräfte. Kṛṣṇa gab Yogamāyā den Auftrag, in Gokula im Land von Vrajabhūmi zu erscheinen, das immer geschmückt ist und wo Tausende von schönen Kühen weiden. In Gokula lebte Rohiṇī, eine der Frauen Vasudevas, im Hause des Königs Nanda und der Königin Yaśodā. Nicht nur Rohiṇī, sondern auch viele andere Angehörige der Yadu-Dynastie waren aus Furcht vor den Grausamkeiten Kaṁsas geflohen und über das ganze Land verstreut. Einige von ihnen lebten sogar in Berghöhlen. Der Herr sagte daher zu Yogamāyā: »Devakī und Vasudeva liegen im Kerker Kaṁsas, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt befindet sich Meine vollständige Erweiterung Śeṣa im Schoß Devakīs. Sorge dafür, daß Śeṣa aus dem Schoß Devakīs in den Leib Rohiṇīs gebracht wird. Danach werde Ich persönlich mit all Meinen Kräften in den Leib Devakīs eingehen und daraufhin als der Sohn Vasudevas und Devakīs erscheinen. Du wirst als die Tochter Nandas und Yaśodās in Gokula erscheinen. Da du als Meine Schwester bekannt sein wirst, werden dich die Menschen mit wertvollen Gaben verehren wie Weihrauch, Kerzen, Blumen und Opferdarbringungen. Du sollst ihre Wünsche nach Sinnenfreuden schnell erfüllen. Menschen, die materialistische Neigungen haben, werden dich in den verschiedenen Formen deiner Erweiterung verehren, die man Durgā, Bhadrakālī, Vijayā, Vaiṣṇavī, Kumudā, Caṇḍikā, Kṛṣṇā, Mādhavī, Kanyakā, Māyā, Nārāyaṇī, Īśānī, Śāradā und Ambikā nennen wird.« Kṛṣṇa und Yogaṁāya erschienen als Bruder und Schwester - der Höchste Mächtige und die höchste Macht. Obwohl es im Grunde keinen Unterschied zwischen dem Mächtigen und der Macht gibt, ist die Macht dennoch dem Mächtigen immer untergeordnet. Die Materialisten verehren die Macht, wohingegen die Transzendentalisten den Mächtigen verehren. Kṛṣṇa ist der Höchste Mächtige, und Durgā ist die höchste Macht in der materiellen Welt. Tatsächlich verehren die Menschen der vedischen Kultur sowohl den Mächtigen als auch die Macht. Es gibt Hunderttausende von Tempeln, in denen Viṣṇu und Durgā, manchmal sogar zusammen, verehrt werden. Die Verehrer der Macht, Durgās bzw. der äußeren Energie Kṛṣṇas, mögen in materieller Hinsicht sehr erfolgreich sein, doch wer auf die transzendentale Ebene erhoben werden möchte, muß dem Mächtigen, muß Kṛṣṇa dienen. Der Herr erklärte auch, daß Sich Seine vollständige Erweiterung, Ananta Śeṣa, im Schoß Devakīs befand. Weil Sich Śeṣa sehr stark zu Rohiṇī hingezogen fühlte, würde Er Saṅkarṣaṇa genannt werden und Sich als die Quelle aller spirituellen Kraft (bala) offenbaren, durch die man die höchste Glückseligkeit des Lebens (rāmana) erlangen könne. Daher würde der vollständige Teil Ananta nach Seinem Erscheinen entweder als Saṅkarṣaṇa oder als Balarāma bekannt sein. In den Upaniṣaden heißt es: nāyam ātma bala hinena labhya. »Ohne von Balarāma hinreichend begünstigt zu werden, kann man weder den Höchsten noch irgendeine Form der Selbstverwirklichung erreichen.« »Bala« bedeutet nicht körperliche Stärke. Niemand kann spirituelle Vollkommenheit durch körperliche Stärke erreichen. Man muß die spirituelle Kraft besitzen, die Balarāma bzw. Saṅkarṣaṇa gewähren kann. Ananta oder Śeṣa ist die Macht, die alle Planeten in der Schwebe hält. In der materiellen Welt wird diese erhaltende Kraft als das Gesetz der Schwerkraft bezeichnet, doch in Wirklichkeit ist es die Wirkung der Energie Saṅkarṣaṇas. Balarāma bzw. Saṅkarṣaṇa ist die spirituelle Kraft, der ursprüngliche geistige Meister. Daher ist Nityānanda Prabhu, der ebenfalls eine Inkarnation Balarāmas ist, der ursprüngliche geistige Meister. Der geistige Meister wiederum ist der Repräsentant des Höchsten Persönlichen Gottes, der spirituelle Kraft spendet. Im Śrī Caitanya-caritāmṛta wird bestätigt, daß der geistige Meister die Manifestation der Barmherzigkeit Kṛṣṇas ist. Nachdem Yogamāyā in dieser Weise vom Höchsten Persönlichen Gott angewiesen worden war, umkreiste sie den Herrn und erschien dann in der materiellen Welt. Als der Höchste Mächtige Persönliche Gott Śeṣa aus dem Schoße Devakīs in den Schoß Rohiṇīs versetzte, standen beide Frauen unter dem Einfluß Yogamāyās, der auch yoga-nidrā genannt wird. Als dies geschehen war und das erwartete Kind nicht geboren wurde, vermutete man, daß Devakīs siebte Schwangerschaft als Fehlgeburt geendet habe. Somit wurde also Balarāma, obwohl Er zuerst als der Sohn Devakīs empfangen wurde in den Leib Rohiṇīs überführt, um als deren Sohn zu erscheinen. Daraufhin offenbarte Sich der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, der immer bereit ist, Seine Geweihten mit all Seinen Kräften auszustatten, als der Herr der gesamten Schöpfung dem Geist Vasudevas. Als Vasudeva die Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes in seinem Herzen trug, glich er der glühenden Sonne, deren Strahlen für den gewöhnlichen Menschen unerträglich und versengend sind. Die Gestalt des Herrn im reinen Herzen Vasudevas war von der ursprünglichen Gestalt Kṛṣṇas nicht verschieden. Das Erscheinen der Gestalt Kṛṣṇas, besonders im Herzen, wird dhāma genannt. Dhāma bezieht sich nicht nur auf Kṛṣṇas Gestalt, sondern auch auf Seinen Namen, Seine Eigenschaften, Seine Spiele usw., denn alles wird gleichzeitig offenbart. Dann übertrug sich die ewige Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes mit all ihren Kräften vom Geiste Vasudevas in den Geist Devakīs, genau wie sich die Strahlen der untergehenden Sonne auf den im Osten aufgehenden Mond übertragen. Den Bedingungen der gewöhnlichen Lebewesen nicht unterworfen, trat Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, aus dem Körper Vasudevas in den Körper Devakīs über. Man muß in diesem Zusammenhang verstehen, daß Kṛṣṇa in das reine Herz Devakīs einging und dort blieb. Er wurde nicht durch körperliche Zeugung in den Leib Devakīs gebracht. Der Höchste Persönliche Gott kann durch Seine unbegreifliche Macht nach Belieben erscheinen. Er ist nicht gezwungen, auf gewöhnlichem Wege durch den Zeugungsvorgang im Schoß einer Frau zu erscheinen. Wenn Kṛṣṇa erscheint, begleiten Ihn alle Seine vollständigen Erweiterungen wie Nārāyaṇa und Inkarnationen wie Nṛsiṁha, Varāha usw. Sie alle sind den Bedingungen des materiellen Daseins nicht unterworfen. Auf diese Weise wurde Devakī zur Residenz des Höchsten Persönlichen Gottes, dem niemand gleichkommt, und der die Ursache der Schöpfung ist. Devakī wurde der Aufenthaltsort der Absoluten Wahrheit, aber weil sie sich im Gefängnis Kaṁsas befand, glich sie verborgenem Feuer oder mißbrauchter Bildung. Wenn Feuer im Innern eines Kruges brennt, kann sich niemand an seinem Licht erfreuen. Ebenso wird der Mißbrauch von Wissen, der den meisten Menschen schadet, nicht geschätzt. Devakī war in den Gefängnismauern von Kaṁsas Palast gefangen, und daher konnte niemand ihre transzendentale Schönheit sehen, die darauf beruhte, daß sie den Höchsten Persönlichen Gott in sich trug. Kaṁsa jedoch bemerkte die übernatürliche Schönheit seiner Schwester und wußte sofort, daß der Höchste Persönliche Gott in ihren Leib eingegangen war. Sie hatte niemals zuvor so schön ausgesehen, und ihm war klar, daß sich etwas Wunderbares in ihrem Leib befinden mußte. Kaṁsa wurde von Entsetzen gepackt. Er war sicher, daß der Höchste Persönliche Gott nun gekommen war und ihn sehr bald töten werde. Er begann zu überlegen: »Was ist mit Devakī zu tun? Gewiß trägt sie Viṣṇu oder Kṛṣṇa in ihrem Leib; also ist es sicher, daß Kṛṣṇa gekommen ist, um die Bitte der Halbgötter zu erfüllen. Und selbst wenn ich Devakī sofort töte, kann Sein Vorhaben nicht verhindert werden.« Kaṁsa wußte sehr wohl, daß niemand imstande ist, den Plan Viṣṇus zu vereiteln. Jeder intelligente Mensch kann verstehen, daß die Gesetze Gottes nicht übertreten werden können. Sein Willenswunsch wird trotz aller Widerstände der Dämonen erfüllt. Kaṁsa dachte weiter: »Wenn ich Devakī zum gegenwärtigen Zeitpunkt töte, wird Viṣṇu Seinen höchsten Willen um so heftiger durchsetzen. Devakī jetzt zu töten, wäre eine höchst verruchte Handlung. Niemand will seinen Ruf aufs Spiel setzen - nicht einmal in einer gefährlichen Situation -, und wenn ich Devakī jetzt töte, ist es um mein Ansehen geschehen. Devakī ist eine Frau und befindet sich unter meiner Obhut; außerdem ist sie schwanger, und wenn ich sie töte, habe ich mein Ansehen, das Ergebnis frommer Handlungen und meine Lebensdauer verspielt. Er dachte weiter: »Wer zu grausam ist, ist schon zu Lebzeiten so gut wie tot. Niemand mag einen grausamen Menschen, und nach seinem Tode verfluchen ihn die Leute. Weil er sich mit dem Körper identifiziert, muß er erniedrigt und in die finstersten Regionen der Hölle geworfen werden.« In dieser Weise zog Kaṁsa alle Für und Wider in Betracht, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt für bzw. gegen eine Ermordung Devakīs sprachen. Schließlich kam Kaṁsa zu dem Schluß, Devakī nicht sofort zu töten, sondern die unvermeidliche Zukunft abzuwarten. Seine Gedanken jedoch waren von Haß gegen den Persönlichen Gott erfüllt. Er wartete geduldig auf die Geburt des Kindes, in der Absicht, es sofort zu töten, wie er es bereits mit den anderen Kindern Devakīs getan hatte. Versunken in einen Ozean des Hasses gegen den Persönlichen Gott begann er, im Sitzen, im Stehen, im Gehen, beim Schlafen, beim Essen, beim Arbeiten - immer und unter allen Umständen - an Kṛṣṇa und Viṣṇu zu denken. Sein Geist wurde so sehr von Gedanken an den Höchsten Persönlichen Gott erfüllt, daß er indirekt überall nur noch Kṛṣṇa oder Viṣṇu sah. Obwohl er so sehr in Gedanken an Viṣṇu versunken war, kann Kaṁsa nicht als Gottgeweihter anerkannt werden, da er an Kṛṣṇa als Feind dachte. Große Gottgeweihte sind auch ständig in Gedanken an Kṛṣṇa versunken, doch sie denken an Ihn mit Liebe, und nicht mit Haß. Mit Liebe an Kṛṣṇa zu denken ist Kṛṣṇa-Bewußtsein, aber mit Haß an Kṛṣṇa zu denken ist kein Kṛṣṇa-Bewußtsein. Zu dieser Zeit erschienen Brahmā und Śiva, begleitet von großen Weisen wie Nārada und gefolgt von vielen Halbgöttern, unsichtbar im Palast Kaṁsas. Sie begannen den Höchsten Persönlichen Gott in auserwählten Gebeten zu preisen, die die Gottgeweihten erfreuen und ihren Wünschen Erfüllung verheißen. Mit den ersten Worten, die sie sprachen, drückten sie ihre Freude über den Herrn aus, der Sein Versprechen stets hält. Wie in der Bhagavad-gītā gesagt wird, erscheint Kṛṣṇa in der materiellen Welt nur, um die Gottgeweihten zu beschützen und die Dämonen zu vernichten. Das ist Sein Versprechen. Die Halbgötter wußten, daß Sich der Herr im Leibe Devakīs befand, um dieses Versprechen zu halten. Sie waren sehr froh, daß der Herr zur Freude Seiner Geweihten erschienen war und priesen Ihn daher als satyam param, als die Höchste Absolute Wahrheit. Jeder sucht nach der Wahrheit. Von den Halbgöttern erfahren wir, daß die Höchste Absolute Wahrheit Kṛṣṇa ist. Wer völlig Kṛṣṇa-bewußt wird, kann die Höchste Absolute Wahrheit erkennen. Kṛṣṇa ist die Absolute Wahrheit. Eine relative Wahrheit kann nicht in allen drei Phasen der ewigen Zeit, d. h. in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Wahrheit sein. Kṛṣṇa hingegen ist immer Wahrheit - in der Vergangenheit wie in der Gegenwart und auch in der Zukunft. In der materiellen Welt wird durch den Ablauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft alles von der höchsten Zeit kontrolliert. Kṛṣṇa jedoch existierte bereits vor der Schöpfung, die während ihrer Existenz in Ihm ruht und die, wenn sie aufgelöst wird, in Ihm bleibt. Daher ist Er unter allen Umständen die Absolute Wahrheit. Wenn es eine Wahrheit in der materiellen Welt gibt, so geht sie von der Höchsten Wahrheit, Kṛṣṇa, aus; wenn es Reichtum in der materiellen Welt gibt, so ist die Ursache dieses Reichtums Kṛṣṇa; wenn es Ruhm in der materiellen Welt gibt, so ist der Grund dieses Ruhms Kṛṣṇa; wenn es Macht in der materiellen Welt gibt, so ist der Ursprung dieser Macht Kṛṣṇa, und wenn es Weisheit und Bildung in der materiellen Welt gibt, so ist die Quelle dieser materiellen Weisheit ebenfalls Kṛṣṇa. Daher ist Kṛṣṇa der Urgrund aller relativen Wahrheiten. Die materielle Welt besteht aus fünf Hauptelementen: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. Alle diese Elemente sind Emanationen Kṛṣṇas. Die materialistischen Wissenschaftler erkennen zwar diese fünf Hauptelemente als die Ursache der materiellen Manifestation an, doch sie wissen nicht, daß diese Elemente in ihren groben und feinen Zuständen von Kṛṣṇa geschaffen sind. Die Lebewesen, die in der materiellen Welt aktiv sind, gehören zur am Rande verlaufenden Kraft. Im Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā wird erklärt, daß die gesamte kosmische Manifestation eine Kombination zweier Energien Kṛṣṇas ist, der höheren und der niederen Energie. Die Lebewesen sind von höherer Energie, und die toten, materiellen Elemente sind Seine niedere Energie. Im unmanifestierten Zustand ruht alles in Kṛṣṇa. Die Halbgötter setzten ihre ehrfurchtsvollen Gebete an die Höchste Gestalt des Persönlichen Gottes, Kṛṣṇa, mit einer eingehenden Studie der materiellen Manifestation fort: Was ist die materielle Manifestation? Sie ist wie ein Baum, denn ähnlich wie ein Baum im Erdreich wurzelt, so wurzelt der Baum der materiellen Manifestation im Boden der materiellen Natur. Die materielle Manifestation wird auch deshalb mit einem Baum verglichen, weil ein Baum nach einer gewissen Zeit gefällt wird. Das Sanskritwort für »Baum« ist »vṛkṣa«. »Vṛkṣa« bedeutet »das, was letzten Endes vernichtet wird«. Daher kann der Baum der materiellen Manifestation nicht als die endgültige Wahrheit angesehen werden. Der Einfluß der Zeit lastet auf der materiellen Manifestation, doch Kṛṣṇas Körper ist ewig. Er bestand vor der materiellen Manifestation, Er besteht während der materiellen Manifestation, und Er wird auch nach ihrer Vernichtung noch bestehen. Auch in der Kaṭha Upaniṣad finden wir das Beispiel vom Baum der materiellen Manifestation, der im Boden der materiellen Natur wurzelt. Dieser Baum trägt zwei Früchte: Glück und Leid. Diejenigen, die im Baum des Körpers leben, werden mit zwei Vögeln verglichen. Der eine Vogel ist der lokalisierte Aspekt Kṛṣṇas, die Überseele (der Paramātmā), und der andere Vogel ist das Lebewesen, die Seele (der jīvātma). Das Lebewesen ißt die Früchte der materiellen Manifestation. Manchmal ißt es die Früchte des Glücks, und manchmal ißt es die Früchte des Leids. Der andere Vogel jedoch ist nicht daran interessiert, die Früchte des Leids oder des Glücks zu essen, denn Er ist in Sich Selbst zufrieden. Die Kaṭha Upaniṣad sagt, daß der eine Vogel auf dem Baum des Körpers die Früchte verzehrt, während der andere Vogel Zeuge ist. Die Wurzeln des Baumes erstrecken sich in drei Richtungen und bilden somit die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur: Reinheit, Leidenschaft und Unwissenheit. Durch den Kontakt mit diesen drei Erscheinungsweisen verlängert man die Dauer seines Aufenthalts in der materiellen Welt. Es gibt vier verschiedene Früchte: Religiosität, wirtschaftliche Entwicklung, Sinnenfreude und schließlich Befreiung. Je nach ihrer unterschiedlichen Verbindung mit den drei Erscheinungsweisen finden die Lebewesen Geschmack an verschiedenen Arten der Religiosität, des materiellen Fortschritts, der Sinnenfreude und der Befreiung. Im Grunde wird jede Handlung in der materiellen Welt in Unwissenheit ausgeführt, doch weil es drei Erscheinungsweisen gibt, ist die Erscheinungsweise der Unwissenheit manchmal auch mit Reinheit oder Leidenschaft vermischt. Der Geschmack dieser materiellen Früchte wird mit fünf Sinnen wahrgenommen. Die fünf Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut), durch die Kenntnis der Dinge erworben wird, sind sechs Leiden unterworfen: Klagen, Illusion, Schwäche, Tod, Hunger und Durst. Der materielle Körper wird von sieben Schichten bedeckt: Haut, Muskeln, Fleisch, Mark, Knochen, Fett und Sperma. Der Baum hat acht Zweige: Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Geist, Intelligenz und falsches Ich. Es gibt neun Öffnungen im Körper: zwei Augen, zwei Ohren und zwei Nasenlöcher, den Mund, das Geschlechtsteil und den After. Außerdem kreisen zehn Arten von innerer Luft im Körper: prāna, apāna, udāna, vyāna, samāna usw. Die beiden Vögel, die in diesem Baum sitzen, sind, wie oben erklärt, das Lebewesen und der lokalisierte Aspekt des Höchsten Persönlichen Gottes, die Überseele. Die ursprüngliche Ursache der materiellen Manifestation ist der Höchste Persönliche Gott. Der Höchste Persönliche Gott erweitert Sich und lenkt die drei Erscheinungsweisen der materiellen Welt: Viṣṇu lenkt die Erscheinungsweise der Reinheit; Brahmā lenkt die Erscheinungsweise der Leidenschaft, und Śiva lenkt die Erscheinungsweise der Unwissenheit. Brahmā erschafft das Universum durch die Erscheinungsweise der Leidenschaft; Viṣṇu erhält es durch die Erscheinungsweise der Reinheit, und Śiva vernichtet es durch die Erscheinungsweise der Unwissenheit. Die gesamte Schöpfung ruht letztlich im Höchsten Herrn. Er ist der Ursprung von Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung. Wenn die gesamte Manifestation aufgelöst worden ist, ruht sie in ihrer feinen Form, als Energie, im Körper des Höchsten Herrn. »Und nun«, beteten die Halbgötter, »erscheint der Höchste Herr Kṛṣṇa zur Erhaltung des Universums.« Es gibt nur eine höchste Ursache, doch weniger intelligente Menschen, die von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur verwirrt werden, glauben, die Entstehung der Welt habe verschiedene andere Ursachen. Wer hingegen intelligent ist, kann erkennen, daß es nur eine Ursache gibt – Kṛṣṇa. Denn in der Brahma-saṁhitā wird bestätigt: sarva kāraṇa kāraṇam. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ist die Ursache aller Ursachen.« Brahmā ist für die Schöpfung verantwortlich; Viṣṇu, eine Erweiterung Kṛṣṇas, ist für die Erhaltung, und Shiva, ebenfalls eine Erweiterung des Höchsten, ist für die Auflösung zuständig. »O Herr«, beteten die Halbgötter, »es ist sehr schwierig, Deine ewige persönliche Gestalt zu verstehen.« Die Menschen sind im allgemeinen nicht imstande, Deine wirkliche Gestalt zu erkennen; daher erscheinst Du, um Deine ursprüngliche ewige Gestalt zu offenbaren. Auf irgendeine Weise können die Menschen zwar Deine verschiedenen Inkarnationen verstehen, doch bereitet es ihnen große Schwierigkeiten, Dich in Deiner ewigen Gestalt, als Kṛṣṇa, mit zwei Händen zu verstehen, der Sich unter ihnen bewegt wie einer der ihren. Diese ewige Gestalt bereitet den Gottgeweihten ständig wachsende transzendentale Freude, doch für die Nicht-Gottgeweihten ist sie sehr gefahrvoll. Wie in der Bhagavad-gītā gesagt wird (paritrāṇāya sādhūnām) ist Kṛṣṇa für die sādhus die Quelle aller Freude, für die Dämonen jedoch ist Er die Ursache fürchterlicher Angst, denn Kṛṣṇa kommt auch, um die Dämonen zu töten. »O Lotosäugiger«, fuhren die Halbgötter fort, »Du bist die Quelle reiner Güte. Es gibt viele große Weise, die den weiten Ozean der Unwissenheit, der von der materiellen Natur geschaffen wurde, auf die Größe einer Wasserpfütze im Hufabdruck eines Kalbes verringerten, da sie die Stufe des samādhi erreichten, d. h. über Deine Lotosfüße meditierten und somit in Gedanken an Dich versanken.« Das Ziel der Meditation besteht darin, den Geist auf den Persönlichen Gott zu richten, wobei man als erstes über Seine Lotosfüße meditiert. Die Meditation über die Lotosfüße des Herrn allein läßt große Weise ohne Schwierigkeiten den weiten Ozean des materiellen Daseins überqueren. »O Selbsterleuchteter«, beteten die Halbgötter, »die großen Heiligen, die den Ozean der Unwissenheit im transzendentalen Boot Deiner Lotosfüße überquerten, haben das Boot nicht fortgenommen. Es liegt noch immer am Ufer.« Die Halbgötter gebrauchten einen sehr schönen Vergleich. Wenn jemand ein Boot benutzt, um einen Fluß zu überqueren, so nimmt er das Boot mit sich auf die andere Seite des Flusses. Wie kann also, wenn jemand auf diese Weise sein Ziel erreicht hat, das gleiche Boot immer noch denen zur Verfügung stehen, die am anderen Ufer zurückgeblieben sind? Als Antwort auf diese schwierige Frage sagen die Halbgötter in ihrem Gebet, daß das Boot gar nicht fortgenommen wurde. Die Geweihten, die auf der anderen Seite zurückgeblieben sind, können den Ozean der materiellen Natur ebenfalls überqueren, weil die reinen Gottgeweihten das Boot nicht mitnehmen, wenn sie hinüberfahren. Denn schon dadurch, daß man sich nur dem Boot nähert, wird der weite Ozean der materiellen Unwissenheit auf die Größe einer Pfütze im Hufabdruck eines Kalbes verkleinert. Daher benötigen die reinen Gottgeweihten kein Boot, um ans andere Ufer zu gelangen - sie überqueren den Ozean mit Leichtigkeit, mit einem kleinen Schritt. Weil die großen Heiligen mit allen bedingten Seelen Mitleid haben, liegt das Boot immer noch bei den Lotosfüßen des Herrn. Man kann jederzeit über Seine Lotosfüße meditieren und auf diese Weise den Ozean der materiellen Unwissenheit überqueren. Meditation bedeutet »Konzentration des Geistes auf die Lotosfüße des Herrn«. Das Wort »Lotosfüße« weist auf den Höchsten Persönlichen Gott hin. Die Anhänger der Unpersönlichkeitstheorie erkennen die Lotosfüße des Herrn nicht an, und daher ist ihr Objekt der Meditation etwas Unpersönliches. Die Halbgötter erklären jedoch eindeutig, daß diejenigen, die über etwas Leeres und Unpersönliches meditieren, den Ozean der Unwissenheit nicht überqueren können. Solche Menschen bilden sich nur ein, sie seien befreit. Die Halbgötter sagten: »O Lotosäugiger, ihre Intelligenz ist unrein, da sie nicht über Deine Lotosfüße meditieren.« Aufgrund dieses Fehlers fallen die Anhänger des Unpersönlichen wieder ins materielle, bedingte Leben zurück, obwohl sie vorübergehend die Stufe der unpersönlichen Verwirklichung erreichen mögen. Die Unpersönlichkeitsanhänger gehen, nachdem sie strenge Entsagungen und Bußen auf sich genommen haben, in die Brahman-Ausstrahlung, d. h. in die unpersönliche Brahman-Existenz ein. Doch ihr Geist ist nicht frei von materieller Verunreinigung; sie haben lediglich versucht, die materielle Denkweise zu negieren. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, daß sie befreit sind; vielmehr fallen sie wieder herab. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß es für die Unpersönlichkeitsanhänger sehr schwierig ist, das endgültige Ziel zu erreichen. Auch aus dem Srīmad-Bhāgavatam kann man erfahren, daß man aus der Gefangenschaft der Reaktionen hervorrufenden Tätigkeiten nicht befreit werden kann, wenn man nicht dem Höchsten Persönlichen Gott in hingebungsvoller Liebe dient. Diese Feststellung Śrī Kṛṣṇas ist in der Bhagavad-gītā zu finden; im Śrīmad Bhāgavatam wird diese Tatsache von dem großen Weisen Nārada bestätigt, und hier sagen es auch die Halbgötter: »Wer Dir nicht in liebender Hingabe dient, hat das endgültige Ziel der Erkenntnis nicht verstanden, denn er ist nicht mit Deiner Gnade gesegnet.« Die Verehrer des Unpersönlichen bilden sich nur ein, sie seien befreit worden. In Wirklichkeit jedoch haben sie keine Vorstellung vom Persönlichen Gott. Sie glauben, Kṛṣṇa nehme einen materiellen Körper an, wenn Er in die materielle Welt kommt. Sie ignorieren also den transzendentalen Körper Kṛṣṇas. Dies wird ebenfalls in der Bhagavad-gītā (Bg. 9.11) bestätigt: Avajānanti mām mūḍhāḥ. Obwohl die Unpersönlichkeitsanhänger die materielle Lust besiegen und sich um Befreiung bemühen, fallen sie wieder zurück. Wenn sie sich Wissen nur um des Wissens willen aneignen und sich nicht im hingebungsvollen Dienst beschäftigen, können sie das ersehnte Ziel nicht erreichen. Was sie erreichen, ist die Mühe, die sie sich machen - sonst nichts. Es wird in der Bhagavad-gītā eindeutig gesagt, daß die Erkenntnis der eigenen Zugehörigkeit zum Brahman nicht alles ist. Die Identifizierung mit dem Brahman mag einem Menschen helfen, frei von materieller Anhaftung und Abneigung zu werden und die Ebene der Ausgeglichenheit und der Freude zu erreichen, doch von dieser Stufe muß man einen Schritt weitergehen und mit hingebungsvollem Dienen beginnen. Wer sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, nachdem er die Ebene der Brahman-Erkenntnis erreicht hat, kann in das spirituelle Königreich eingehen, um dort für immer mit dem Höchsten Persönlichen Gott zusammenzusein. Das ist das Ergebnis des hingebungsvollen Dienens. Die Geweihten des Höchsten Persönlichen Gottes fallen niemals wieder zurück, wie die Anhänger des Unpersönlichen. Selbst wenn die Gottgeweihten straucheln, bleiben sie dem Höchsten Herrn in Liebe verbunden. Sie mögen auf dem Pfad des hingebungsvollen Dienens auf viele Hindernisse stoßen, doch können sie solche Hindernisse sehr leicht und ohne Furcht überwinden. Da sie dem Höchsten Herrn hingegeben sind, können sie sicher sein, daß Er sie, wie Er es in der Bhagavad-gītā verspricht, immer beschützen wird: »Meine Geweihten werden niemals besiegt.« »O Herr«, beteten die Halbgötter, »Du bist zum Wohl aller Lebewesen in der materiellen Welt in Deiner ursprünglichen, reinen Gestalt, der ewigen Gestalt der Güte, erschienen. Wenn Du erscheinst, haben sie die Möglichkeit, Dein Wesen und Deine Gestalt zu verstehen. Die Menschen aller vier Stufen des Lebens (brahmacarya, gṛhasta, vānaprastha und sannyāsa) können bei Deinem Erscheinen bei Dir Zuflucht suchen. O Herr, Gemahl der Glücksgöttin, Gottgeweihte die Dir in Hingabe dienen, fallen nicht wieder von ihrer Stufe herab, wie die Verfechter der Unpersönlichkeitslehre. Von Dir beschützt können Deine Geweihten viele der Gehilfen māyās besiegen, die ihnen ständig Hindernisse auf dem Weg der Befreiung bereiten. O Herr, Du erscheinst zum Wohl aller Lebewesen in Deiner transzendentalen Gestalt, so daß sie Dich von Angesicht zu Angesicht sehen und Dir ihre verehrenden Opferungen, ihre mystische Meditation und ihre hingebungsvollen Dienste darbringen können, wie es in den Schriften empfohlen wird. O Herr, erschienest Du nicht in Deiner ewigen transzendentalen Gestalt, die voller Glückseligkeit und Wissen ist, dann würde jeder, je nach der Erscheinungsweise der materiellen Natur, von der er beherrscht wird, über Dich spekulieren.« Das Erscheinen Kṛṣṇas ist die Antwort auf alle phantasiehaften Darstellungen des Höchsten Persönlichen Gottes. Jeder stellt sich die Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes gemäß der Erscheinungsweise der materiellen Natur vor, von der er beeinflußt wird. In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, daß der Höchste Herr die älteste Person ist. Aus diesem Grunde glauben einige Menschen, Gott müsse sehr alt sein, und stellen Ihn daher als alten Mann dar. Doch in derselben Brahma-saṁhitā wird auch das genaue Gegenteil erklärt: »Obwohl Er der Älteste unter allen Lebewesen ist, ist Er dennoch von ewiger, jugendlicher Gestalt. Die genauen Worte, die in diesem Zusammenhang im Śrīmad-Bhāgavatam gebraucht werden, lauten: vijñānam ajñānabhid āpamārjanam. »Vijñānam« bedeutet »transzendentales Wissen von der Höchsten Person«. Vijñānam meint auch erfahrenes Wissen. Transzendentales Wissen, wie das Wissen, das Brahmā von Kṛṣṇa empfing und in der Brahma-saṁhitā darlegte, muß man durch die Nachfolge der geistigen Meister empfangen. Die Brahma-saṁhitā ist vijñānam, da das ihr zugrunde liegende Wissen von Brahmā in transzendentaler Verwirklichung erfahren wurde. Nur so war es ihm möglich, die Gestalt und die Spiele Kṛṣṇas in dessen transzendentalem Reich zu beschreiben. »Ajñānabhid« bedeutet »das, was alle Arten von Spekulationen widerlegen kann«. Unter dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit stellen sich die Menschen Gott nach ihrem Gutdünken vor: Manchmal hat Er eine Gestalt, und manchmal hat Er keine Gestalt. Die Darstellung in der Brahma-saṁhitā ist jedoch vijñānam — wissenschaftliches, verwirklichtes Wissen, das von Brahmā weitergegeben und von Śrī Caitanya angenommen wurde. Deshalb besteht kein Zweifel darüber. Die Gestalt Śrī Kṛṣṇas, Seine Flöte, Seine Hautfarbe - all das ist Realität. Hier wird gesagt, daß vijñānam alle Arten spekulativen Wissens besiegt. Die Halbgötter beteten weiter: »Daher würde, wenn Du nicht als Kṛṣṇa, so wie Du bist, erscheinen würdest, niemand ajñānabhid (Wissen, das nicht auf Spekulationen beruht), noch vijñānam verwirklichen können. Ajñānabhid āpamārjanam - durch Dein Erscheinen jedoch wird die Unwissenheit spekulativen Wissens besiegt, und das wirkliche Wissen, das man von Autoritäten wie Brahmā empfängt, wird evident. Menschen, die von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur beeinflußt werden, schaffen sich, je nach den Erscheinungsweisen, von denen sie beherrscht werden, ihren eigenen Gott. Aus diesem Grunde wird Gott auf verschiedene Arten dargestellt, aber Du wirst die wirkliche Gestalt Gottes zeigen.« Der größte Irrtum, dem die Verehrer des Unpersönlichen unterliegen, ist die Vorstellung, die Inkarnation Gottes nehme eine materielle Gestalt in der Erscheinungsweise der Reinheit an. In Wirklichkeit nämlich befindet sich die transzendentale Gestalt Kṛṣṇas bzw. Nārāyaṇas jenseits jeder materiellen Vorstellung. Sogar der bedeutendste Vertreter der Unpersönlichkeitslehre, Śaṅkarācārya, bestätigte: nārāyaṇaḥ paro 'vyaktāt. »Die materielle Schöpfung wird durch die avyakta -(unpersönliche) Manifestation der Materie bzw. die nicht-phänomenale, gesamte Ausbreitung der Materie verursacht, und Nārāyaṇa (Kṛṣṇa) ist transzendental zu dieser materiellen Natur.« Auch im Śrīmad-Bhāgavatam wird die Stellung Kṛṣṇas als śuddha-sattva, als transzendental, bezeichnet. Er befindet Sich nicht in der materiellen Erscheinungsweise der Reinheit, sondern steht über ihr. Er ist transzendental - ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit. »O Herr«, fuhren die Halbgötter fort, »wenn Du in Deinen verschiedenen Inkarnationen erscheinst, nimmst Du, entsprechend den jeweiligen Umständen, verschiedene Namen und Formen an. Kṛṣṇa ist Dein Name, weil Du alles-anziehend bist, und Śyāmasundara wirst Du wegen Deiner transzendentalen Schönheit genannt. ›Śyāma‹ bedeutet ›schwärzlich‹, und dennoch wird gesagt, daß Du Tausende von Liebesgöttern an Schönheit übertriffst - kandarpa-koṭi-kamanīya. Obgleich Du in einer Farbe erscheinst, die mit der einer schwärzlichen Wolke verglichen wird, ist Deine Schönheit, da Du transzendental und absolut bist, um viele Male anziehender als die anmutige Gestalt des Liebesgottes. Du wirst Giridharī genannt, weil Du den Berg Govardhana emporgehoben hast, und Du wirst Nanda-nandana oder Vāsudeva oder Devakī-nandana genannt, weil Du als der Sohn von Mahārāja Nanda bzw. von Devakī und Vasudeva erscheinst. Die Unpersönlichkeitsanhänger denken, Deine vielen Namen oder Gestalten entsprächen jeweils einer bestimmten Handlungsweise und Eigenschaft, weil sie Dich mit den Augen der Materialisten sehen. O Herr, man kann Dein absolutes Wesen, Deine absolute Gestalt und Deine absoluten Taten nicht durch Spekulationen verstehen. Man muß sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigen - dann erst kann man Dich wirklich erkennen. Im Grunde kann nur ein Mensch, der gewillt ist, Deinen Lotosfüßen zu dienen, Dein transzendentales Wesen, Deine transzendentale Gestalt und Deine transzendentalen Eigenschaften verstehen. Andere mögen Millionen von Jahren fortfahren zu spekulieren, doch es wird ihnen nicht gelingen, Deine wirkliche Position auch nur zu einem geringen Teil zu erkennen.« Mit anderen Worten: Der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, kann von Nicht-Gottgeweihten nicht verstanden werden, weil Er für sie von dem Schleier Yogamāyās bedeckt ist. In der Bhagavad-gītā wird dies vom Herrn bestätigt: nāhaṁ prakāśaḥ sarvasya. »Ich bin nicht allen und jedem sichtbar.« Als Kṛṣṇa erschien, war Er tatsächlich auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra anwesend, und jeder sah Ihn. Aber nicht jeder konnte verstehen, daß Er der Höchste Persönliche Gott war. Und dennoch - jeder, der in Seiner Gegenwart starb, wurde aus der materiellen Gefangenschaft befreit und in die spirituelle Welt erhoben. »Lieber Herr«, beteten die Halbgötter weiter, »die Unpersönlichkeitsanhänger und Nicht-Gottgeweihten können nicht begreifen, daß Dein Name mit Deiner Gestalt identisch ist.« Da der Herr absolut ist, besteht kein Unterschied zwischen Seinem Namen und Seiner Gestalt. In der materiellen Welt jedoch sind der Name und die Form eines Gegenstandes voneinander verschieden. Eine Mangofrucht z. B. ist von dem Wort »Mango« verschieden. Man kann den Geschmack der Mangofrucht nicht verspüren, wenn man lediglich »Mango, Mango, Mango« ruft. Der Gottgeweihte aber, der weiß, daß es keinen Unterschied zwischen dem Namen und der Gestalt Gottes gibt, chantet »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« und ist auf diese Weise ständig mit Kṛṣṇa zusammen. Für diejenigen, die im absoluten Wissen vom Höchsten noch nicht so weit fortgeschritten sind, offenbart Śrī Kṛṣṇa Seine transzendentalen Spiele. Indem man einfach an die Spiele des Herrn denkt, kann man Sein Bewußtsein reinigen und auf die spirituelle Ebene gelangen. Da zwischen dem transzendentalen Namen und der transzendentalen Gestalt kein Unterschied besteht, gibt es auch keinen Unterschied zwischen den transzendentalen Spielen und der Gestalt des Herrn. Für die weniger Intelligenten (wie Frauen, Arbeiter und Kaufleute) schrieb der große Weise Vyāsadeva das Mahābhārata, welches von Kṛṣṇa und Seinen verschiedenen Taten und Spielen berichtet. Das Mahābhārata schildert historische Begebenheiten, und einfach, indem er die transzendentalen Taten Kṛṣṇas studiert, über sie hört und sich an sie erinnert, kann auch der weniger intelligente Mensch allmählich die Befähigungen eines reinen Gottgeweihten entwickeln. Von den reinen Geweihten, die immer in Gedanken an Kṛṣṇas Lotosfüße versunken und ständig im hingebungsvollen Dienen in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt sind, sollte man niemals denken, sie befänden sich immer noch in der materiellen Welt. Śrīla Rūpa Gosvāmī erklärte, daß diejenigen, die ständig mit Körper, Geist und Taten im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt sind, als befreit angesehen werden müssen - auch wenn sie sich noch in einem materiellen Körper befinden. Dies wird auch in der Bhagavad-gītā bestätigt. Dort heißt es, daß diejenigen, die dem Herrn in Liebe dienen, die Grenzen der materiellen Welt bereits überschritten haben. Kṛṣṇa erscheint, um sowohl Seinen Geweihten als auch den Nichtgeweihten die Möglichkeit zur Erkenntnis des eigentlichen Zieles des Lebens zu geben. Die Gottgeweihten erhalten die Gelegenheit, Ihn direkt, von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu verehren. Diejenigen, die sich noch nicht auf dieser Ebene befinden, bekommen die Möglichkeit, mit Seinen Spielen vertraut und auf diese Weise in die gleiche Position erhoben zu werden. »O Herr«, beteten die Halbgötter weiter, »Du bist ungeboren, und daher finden wir für Dein Erscheinen keinen anderen Grund, als daß du kommst, um Dich Deiner transzendentalen Spiele zu erfreuen.« Obwohl der Grund für das Erscheinen des Herrn in der Bhagavad-gītā erklärt wird (Er kommt, um die Gottgeweihten zu schützen und die Dämonen zu vernichten), erscheint Er in Wirklichkeit nur zur Freude Seiner Geweihten, und nicht, um die Nicht-Gottgeweihten zu töten. Die Nicht-Gottgeweihten könnten auch einfach durch die materielle Natur vernichtet werden. »Die Aktionen und Reaktionen der äußeren Energie, der materiellen Natur (nämlich Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung), geschehen automatisch«, sagten die Halbgötter, »doch Deine Geweihten sind, indem sie einfach bei Deinem heiligen Namen Schutz suchen, in Sicherheit; denn Dein heiliger Name und Deine Persönlichkeit sind nicht voneinander verschieden.« Um die Gottgeweihten zu schützen und die Dämonen zu vernichten, braucht der Höchste Persönliche Gott nicht unbedingt Selbst zu kommen. Er erscheint nur aus Seiner transzendentalen Freude - es kann keinen anderen Grund geben. »O Herr, Du erscheinst als der Beste der Yadu-Dynastie, und wir bringen Deinen Lotosfüßen unsere respektvollen, demütigen Ehrerbietungen dar. Vor Deinem jetzigen Erscheinen bist Du bereits in einer Inkarnation als Fisch erschienen, ein anderes Mal als Pferd, dann als Schildkröte, als Schwan, als König Rāmacandra, als Paraśurāma und in vielen anderen Inkarnationen. Du erscheinst nur, um Deine Geweihten zu schützen, und daher bitten wir Dich, daß Du uns auch in Deiner gegenwärtigen Erscheinung als der Höchste Persönliche Gott in allen drei Welten Schutz gewähren mögest und alles beseitigst, was uns daran hindert, in Frieden zu leben. Liebe Mutter Devakī, in Deinem Leib befindet Sich der Höchste Persönliche Gott, der zusammen mit all Seinen vollständigen Erweiterungen erscheint. Er ist der Ursprüngliche Persönliche Gott, der zu unserem Wohl erscheint; daher brauchst du Dich vor Deinem Bruder, dem König von Bhoja, nicht zu fürchten. Dein Sohn, Kṛṣṇa, der Ursprüngliche Persönliche Gott, kommt zum Schutz der frommen Yadu-Dynastie. Er erscheint nicht allein, sondern wird von Seiner unmittelbaren, vollständigen Erweiterung, Balarāma, begleitet.« Devakī fürchtete sich sehr vor ihrem Bruder Kaṁsa, weil dieser bereits sechs ihrer acht Kinder getötet hatte. Daher war sie um Kṛṣṇa sehr in Sorge. Im Viṣṇu-Purāṇa wird gesagt, daß alle Halbgötter mit ihren Frauen Devakī des öfteren besuchten, um sie zu beruhigen und sie zu ermutigen, keine Angst zu haben, daß ihr Sohn von Kaṁsa getötet werde. Kṛṣṇa, der in ihrem Leib war, erscheine nicht nur, um die Welt von ihrer Last zu befreien, sondern vor allem, um die Yadu-Dynastie und natürlich Devakī und Vasudeva zu beschützen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedāntas zum 2. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Gebete der Halbgötter an Kṛṣṇa und Seine Mutter Devakī.« 3. KAPITEL Die Geburt Śrī Kṛṣṇas In der Bhagavad-gītā sagt der Herr, daß Sein Erscheinen, Seine Geburt und Seine Aktivitäten transzendental sind, und daß jeder, der sie wirklich versteht, ohne weiteres in die spirituelle Welt eingehen kann. Das Erscheinen bzw. die Geburt Gottes ist also nicht mit der eines gewöhnlichen Menschen zu vergleichen, der gezwungen ist, entsprechend seinen vergangenen Taten einen materiellen Körper anzunehmen. Warum der Herr erscheint, wurde bereits im 2. Kapitel dieses Buches erklärt: »Er erscheint aus Seiner transzendentalen Freude.« Als die Zeit für das Erscheinen des Herrn heranreifte, begannen die Gestirne glückverheißende Konstellationen zu bilden. Auch war der starke Einfluß des Sternes Rohiṇī besonders auffällig. Dieser Stern gilt als sehr glückbringend. Er steht unter der direkten Aufsicht Brahmās. Nach Ansicht der Astrologen gibt es neben der normalen Stellung der Sterne günstige und ungünstige Momente, die durch unterschiedliche Stellungen der verschiedenen Planetensysteme verursacht werden. Zur Zeit der Geburt Kṛṣṇas ordneten sich die Planetensysteme wie von selbst so um, daß ihr Einfluß sehr glückverheißend wurde. Zu jener Zeit herrschte überall – im Osten, Westen, Süden und Norden – eine Atmosphäre des Friedens und des Glücks. Günstige Gestirne waren am Himmel sichtbar, und auf der Erde zeigten sich in allen Städten und Dörfern, auf allen Weiden und Wiesengründen und im Geiste eines jeden Zeichen des Glücks. Die Flüsse schwollen an von klarem Wasser, und die Seen waren mit farbenprächtigen Lotosblüten übersät. In den Wäldern huben alle Vögel an, mit süßen Stimmen zu singen, und die Pfauen begannen, mit ihren Weibchen zu tanzen. Der Wind wehte sehr wohltuend und trug den Duft vieler Blumen mit sich, und auch die Empfindung körperlicher Berührung war sehr angenehm. Die brāhmaṇas, die es gewohnt waren, im Feuer Opfer darzubringen, fanden die Bedingungen für solche Darbringungen sehr günstig. Wegen der Verfolgung, die von den dämonischen Königen angeordnet wurden, waren in den Häusern der brāhmaṇas fast keine Feueropfer mehr dargebracht worden, doch nun bot sich ihnen die Gelegenheit, das Feuer wieder in Frieden zu entzünden. Als ihnen das Darbringen von Opfern verboten worden war, hatten die brāhmaṇas sehr gelitten, wodurch sowohl ihr Geist als auch ihre Intelligenz und ihre Handlungen betroffen waren; doch zu der Zeit, da Śrī Kṛṣṇa erscheinen sollte, wurden sie von Freude erfüllt, denn sie konnten deutlich hörbare Schwingungen transzendentaler Klänge vom Himmel vernehmen, die das Erscheinen des Höchsten Persönlichen Gottes ankündigten. Die Bewohner der Gandharva- und Kinnara-Planeten begannen zu singen, und die Bewohner von Siddhaloka und die der Planeten der Cāraṇas brachten zur Freude des Persönlichen Gottes Gebete dar. Auf den himmlischen Planeten begannen die Engel mit ihren Frauen, begleitet von den Apsaras, zu tanzen, und die großen Weisen und Halbgötter, die von großer Freude erfüllt waren, ließen Blumen regnen. Am Meeresstrand erklang das Lied der sanften Wellen, und über der See zogen Wolken am Himmel, aus denen wohltönender Donner schallte. Als sich die Dinge so geordnet hatten, erschien Śrī Viṣṇu, der im Herzen jedes Lebewesens gegenwärtig ist, in der Dunkelheit der Nacht als der Höchste Persönliche Gott vor Devakī, die wie eine Halbgöttin anmutete. Das Erscheinen Viṣṇus zu jener Zeit kann mit dem Vollmond verglichen werden, der am östlichen Horizont aufging. Man könnte einwenden, daß der Vollmond zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht hätte aufgehen dürfen, da Śrī Kṛṣṇa am achten Tage des abnehmenden Mondes erschien, doch dieses Phänomen läßt sich erklären. Śrī Kṛṣṇa erschien in der Dynastie, die vom Mond persönlich abstammt, und daher war der Mond, obwohl er in jener Nacht eigentlich nicht vollständig sein konnte, von solcher Freude erfüllt, daß er durch die Gnade Kṛṣṇas als Vollmond erscheinen durfte. In einer astrologischen Abhandlung namens Khamānikya werden die Konstellationen der Gestirne zur Erscheinungszeit Śrī Kṛṣṇas sehr genau beschrieben. Es wird dort bestätigt, daß das Kind, das in jenem günstigsten Augenblick geboren wurde, das Höchste Brahman bzw. die Absolute Wahrheit war. Vasudeva betrachtete mit Erstaunen das wundervolle Kind, das mit vier Armen geboren worden war und in den Händen Muschelhorn, Keule, Feuerrad und Lotos hielt, das mit dem Zeichen Śrīvatsas geschmückt war, das eine Juwelenhalskette aus kaustubha-Steinen trug, das in gelbe Seide gekleidet war, das wie eine schwärzliche Wolke glänzte, das einen Helm trug, der mit vaidūrya-Steinen besetzt war, das wertvolle Armbänder, Ohrringe und ähnliche andere Schmuckstücke am Körper trug und dessen Gesicht von einer prächtigen Haarfülle umrahmt war. Vasudeva war über die außergewöhnliche Erscheinung des Kindes von Verwunderung ergriffen. Wie konnte ein neugeborenes Kind so wunderschön geschmückt sein? Er begriff deshalb, daß Śrī Kṛṣṇa nun erschienen war und war von dieser Erkenntnis völlig überwältigt. Er konnte es nicht fassen, daß der alldurchdringende Persönliche Gott Viṣṇu, Kṛṣṇa, als Kind in Seiner ursprünglichen Gestalt vor ihm erschienen war, der er doch ein gewöhnliches Lebewesen war, bedingt durch die materielle Natur und von Kaṁsa eingekerkert. Kein irdisches Kind wird mit vier Armen geboren, geschmückt mit kostbaren Juwelen und schönen Kleidern und versehen mit allen Zeichen des Höchsten Persönlichen Gottes. Immer wieder betrachtete Vasudeva sein Kind liebevoll und überlegte, wie er diesen glücklichen Augenblick würdigen könnte. Er dachte bei sich: »Gewöhnlich feiert man die Geburt eines männlichen Kindes mit jubelnden Festen, und nun wurde mir, obgleich ich gefangen bin, der Höchste Persönliche Gott geboren. Wieviele Millionen und Abermillionen Male sollte ich bereit sein, dieses glückverheißende Ereignis zu feiern.« Als Vasudeva, der auch Ānakadundubhi genannt wird, sein neugeborenes Kind ansah, war er so glücklich, daß er den brāhmāṇas viele tausend Kühe als Spende geben wollte. Nach vedischem System verteilt der König großzügige Gaben, wenn eine glückverheißende Zeremonie im kṣatriya-Palast gefeiert wird. Zum Beispiel werden den brāhmāṇas und Weisen viele mit goldenen Gehängen geschmückte Kühe übergeben. Vasudeva wollte ebenfalls eine solche Zeremonie begehen, um Kṛṣṇas Erscheinen zu feiern, doch weil er in Kaṁsas Gefängnis eingekerkert war, fehlte ihm jede Möglichkeit dazu. Statt dessen gab er den brāhmāṇas in Gedanken Tausende von Kühen. Als Vasudeva überzeugt war, daß das neugeborene Kind, das den ganzen Raum mit Seiner Ausstrahlung erhellte, der Höchste Persönliche Gott war, kniete er mit gefalteten Händen nieder, und begann, Ihm Gebete darzubringen. Schon zu dieser Zeit befand sich Vasudeva auf der transzendentalen Ebene und war von aller Furcht vor Kaṁsa völlig befreit. Er betete: »O Herr, ich weiß, wer Du bist. Du bist der Höchste Persönliche Gott, die Überseele aller Lebewesen und die Absolute Wahrheit. Du bist in Deiner ursprünglichen, ewigen Gestalt erschienen, die von uns direkt wahrgenommen werden kann, und ich verstehe, daß Du erschienen bist, um mich von meiner Furcht vor Kaṁsa zu befreien. Du gehörst nicht zur materiellen Welt; Du bist die gleiche Person, die die kosmische Manifestation erschafft, indem Sie nur einen Blick über die materielle Natur wirft.« Man mag einwenden, der Höchste Persönliche Gott, der die gesamte kosmische Manifestation einfach durch seinen Blick erschafft, könne nicht im Leib Devakīs, der Frau Vasudevas, erscheinen. Um dieses Argument zu widerlegen, sagte Vasudeva: »Mein lieber Herr, es nicht nicht weiter verwunderlich, daß Du im Leib Devakīs erschienen bist, denn die Schöpfung fand in ähnlicher Weise statt. Du lagst als Mahā-Viṣṇu im Ozean der Ursachen, und durch Dein Ausatmen entstanden unzählige Universen. Daraufhin gingst Du als Garbhodakaśāyī Viṣṇu in jedes der Universen ein, hast Dich dann noch einmal zu Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu erweitert und bist in die Herzen aller Lebewesen und sogar in die Atome eingegangen. Und so ist auch Dein Eintreten in den Leib Devakīs zu verstehen. Du scheinst zwar dort gegenwärtig zu sein, aber gleichzeitig bist Du alldurchdringend. Anhand von Phänomenen, die wir in der materiellen Welt beobachten, können wir verstehen, wie Du gleichzeitig in etwas eingehen und trotzdem allgegenwärtig sein kannst. Sogar nach der Teilung in sechzehn Elemente bleibt die gesamte materielle Energie weiterhin bestehen. Der materielle Körper ist nichts weiter als eine Verbindung der fünf groben Elemente – Erde, Wasser, Luft, Feuer und Äther. Immer wenn ein materieller Körper entsteht, scheint es so, als ob die dazu erforderlichen Elemente neu geschaffen würden, aber tatsächlich existieren sie bereits vorher, und wenn der Körper manifestiert ist, auch außerhalb des Körpers. Ähnlich existierst Du, obwohl Du als Kind im Leibe Devakīs erscheinst, auch außerhalb von ihr. Du weilst immer in Deinem Reich, aber dennoch kannst Du Dich gleichzeitig in Millionen von Formen erweitern. Man muß Dein Erscheinen mit wahrer Intelligenz verstehen, da die materielle Energie ebenfalls von Dir ausgeht. Du bist die ursprüngliche Quelle der materiellen Energie, genau wie die Sonne der Ursprung des Sonnenlichtes ist. Der Sonnenschein kann den Sonnenplaneten nicht bedecken, und so kann auch die materielle Energie, da sie eine Emanation Deiner Person ist, Dich nicht bedecken. Du scheinst unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Energie zu stehen, doch in Wirklichkeit können Dich diese Erscheinungsweisen nicht bedecken. Alle großen Philosophen bestätigen dies. Mit anderen Worten: Obwohl Du dem Einfluß der materiellen Energie unterworfen zu sein scheinst, wirst Du dennoch niemals von ihr bedeckt.« Wir erfahren aus den Veden, daß das Höchste Brahman nach allen Seiten hin strahlt und somit alles erleuchtet. Der Brahma-saṁhitā können wir entnehmen, daß das brahmajyoti (die Brahman-Ausstrahlung) vom Körper des Höchsten Herrn ausgeht. Aus der Brahman-Ausstrahlung wiederum geht die gesamte Schöpfung hervor. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß der Herr auch der Erhalter der Brahman-Ausstrahlung ist. Er ist die ursprüngliche Wurzel alles Existierenden. Doch Menschen mit geringer Intelligenz denken, der Höchste Persönliche Gott nehme materielle Eigenschaften an, wenn Er in der materiellen Welt erscheine. Schlußfolgerungen dieser Art sind jedoch nicht sehr weise, und nur die weniger Intelligenten vertreten solche Auffassungen. Der Höchste Persönliche Gott existiert mittelbar und unmittelbar überall; Er weilt außerhalb der materiellen Schöpfung, und gleichzeitig befindet Er Sich auch in ihr. Er existiert in der materiellen Schöpfung nicht nur als Garbhodakaśāyī Viṣṇu, sondern ist auch in jedem Atom gegenwärtig. Alles Existierende beruht auf Seiner Gegenwart. Nichts kann von Seiner Existenz getrennt werden. Aus den vedischen Unterweisungen erfahren wir, daß man die Höchste Seele, die ursächliche Wurzel allen Seins, herausfinden muß, da nichts unabhängig von Ihr existiert. Auch die materielle Manifestation ist eine bestimmte Form Seiner Energie. Sowohl die Materie als auch die lebendige Kraft, die Seele, gehen von Ihm aus. Nur törichte Menschen glauben, der Höchste Herr nehme die Eigenschaften der Materie an, wenn Er erscheine. Selbst wenn Er dem Anschein nach einen materiellen Körper angenommen hat, ist Er dennoch keiner Dualität der materiellen Natur unterworfen. Mit Seinem Erscheinen hat Kṛṣṇa allen Spekulationen über das Erscheinen und Fortgehen des Höchsten Persönlichen Gottes ein Ende bereitet. »Mein Herr, Dein Erscheinen, Deine Gegenwart und Dein Fortgehen werden von den materiellen Erscheinungsweisen nicht beeinflußt. Weil Du der Kontrollierende alles Existierenden und der Ruheort des Höchsten Brahman bist, gibt es nichts Unbegreifliches und Widersprüchliches für Dich. Wie Du Selbst gesagt hast, wirkt die materielle Natur unter Deiner Aufsicht – ähnlich, wie ein Regierungsbeamter, der die Anordnungen seines Vorgesetzten befolgt. Der Einfluß Dir untergeordneter Tätigkeiten kann Dich nicht berühren. Das Höchste Brahman und alle Erweiterungen existieren in Dir, und alle Vorkommnisse in der materiellen Natur werden von Dir, o Herr, kontrolliert. Du wirst śuklam genannt. Śuklam (Weiße) ist die symbolische Repräsentation der Absoluten Wahrheit, da diese durch die Erscheinungsweisen der materiellen Natur nicht beeinflußt wird. Brahmā wird rakta (rot) genannt, weil er für die Erscheinungsweise der Leidenschaft zuständig ist. Die Dunkelheit gehört zu Śiva, weil dieser den Kosmos vernichtet. Die Schöpfung, Verrichtung und Erhaltung der kosmischen Manifestation wird durch Deine Kräfte bewirkt, doch Du Selbst wirst niemals davon beeinflußt. Wie in den Veden bestätigt wird (harir hi nirguṇaḥ sākṣāt), ist der Höchste Persönliche Gott immer frei von allen materiellen Erscheinungsweisen. Die Erscheinungsweisen der Leidenschaft und der Unwissenheit sind in der Person des Höchsten Herrn nicht vorhanden. O Herr, Du bist der Höchste Kontrollierende, der Persönliche Gott, der Absolute, der die Ordnung der kosmischen Manifestation erhält. Und obgleich Du der Höchste Kontrollierende bist, bist Du dennoch in Deiner Güte vor mir erschienen. Du bist gekommen, um die dämonischen Herrscher zu töten, die sich in königliche Gewänder gekleidet haben, obwohl sie in Wirklichkeit Dämonen sind. Ich bin sicher, daß Du sie alle, zusammen mit ihren Anhängern und Soldaten, töten wirst. Ich weiß, daß Du erschienen bist, um den üblen Kaṁsa und seine Anhänger zu töten. Da er wußte, daß Du erscheinen würdest, um ihn und seine Anhänger zu vernichten, hat er bereits alle Deine älteren Brüder ermordet. Nun wartet er nur noch auf die Nachricht Deiner Geburt. Sobald er davon hört, wird er sofort mit allen greifbaren Waffen erscheinen, um Dich zu vernichten.« Nach diesem Gebet Vasudevas brachte Devakī, die Mutter Kṛṣṇas, ihre Gebete dar. Sie fürchtete sich sehr vor den Grausamkeiten ihres Bruders und sagte daher: »Mein lieber Herr, Deine ewigen Formen wie Nārāyaṇa, Rāma, Śeṣa, Varāha, Nṛsiṁha, Vāmana, Baladeva und Millionen ähnlicher Inkarnationen, die von Viṣṇu ausgehen, werden in den vedischen Schriften als ursprünglich beschrieben. Du bist ursprünglich, weil sich all Deine Formen bzw. Inkarnationen jenseits der materiellen Schöpfung befinden. Sie existierten, bevor die kosmische Manifestation erschaffen wurde, und sind ewig und alldurchdringend. Sie strahlen aus sich selbst heraus, sind unveränderlich und nicht von den materiellen Erscheinungsweisen verunreinigt. Solche Formen sind immer voller Wissen, sind voller Glückseligkeit; sie befinden sich in transzendentaler Reinheit und sind fortwährend in verschiedene Spiele vertieft. All diese transzendentalen ewigen Formen sind in sich selbst zufrieden. Du bist nicht auf eine bestimmte Gestalt begrenzt, und ich kann verstehen, daß Du der Höchste Herr Viṣṇu bist. Nach vielen Millionen von Jahren, wenn Brahmās Leben zu Ende geht, wird die kosmische Manifestation aufgelöst, und die fünf Elemente – Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther – gehen in das mahat-tattva ein. Das mahat-tattva wiederum tritt unter dem Zwang der Zeit in die nichtmanifestierte, gesamte materielle Energie ein, die gesamte materielle Energie wird vom pradhāna aufgenommen, und das pradhāna geht schließlich in Dich ein. Daher bist Du es allein, der nach der Vernichtung der gesamten kosmischen Manifestation mit Deinem transzendentalen Namen, Deiner transzendentalen Gestalt, Deinen transzendentalen Eigenschaften und Deiner transzendentalen Umgebung weiterhin existierst. O mein Herr, ich bringe Dir meine respektvollen Ehrerbietungen dar, denn Du bist der Herr über die gesamte nichtmanifestierte Energie, und Du bist die urerste Ursache der materiellen Natur. Die gesamte kosmische Manifestation unterliegt dem Einfluß der Zeit. Alles geschieht unter Deiner Aufsicht. Du bist der ursprüngliche Herr alles Existierenden und die Quelle aller Energien. Daher bitte ich Dich, o Herr, mich aus der Gewalt des grausamen Kaṁsa zu erretten. Ich bete zu Dir, daß Du mich aus diesem angstvollen Zustand befreiten mögest, der Du immer bereit bist, Deinen Dienern Schutz zu gewähren.« Der Herr hat diese Feststellung in der Bhagavad-gītā bestätigt, als Er Arjuna versicherte: »Der ganzen Welt kannst du verkünden, daß Mein Geweihter niemals vergehen wird.« Während sie so um Rettung betete, wurde Mutter Devakīs mütterliche Liebe deutlich: »Ich weiß«, sagte sie, »daß Deine transzendentale Gestalt im allgemeinen nur von den großen Weisen in tiefer Meditation geschaut werden kann, doch nun, da Du erschienen bist, befürchte ich, daß Kaṁsa Dir Leid zufügen könnte, sobald er davon erfährt. Daher möchte ich Dich bitten, für den Augenblick für unsere materiellen Augen unsichtbar zu werden. Nur Deinetwegen fürchte ich meinen Bruder. O Madhusūdana, Kaṁsa könnte bereits erfahren haben, daß Du schon geboren bist, und daher bitte ich Dich, Deine herrliche vierarmige Gestalt zu verbergen, die die vier Symbole Viṣṇus hält – das Muschelhorn, das Feuerrad, die Keule und die Lotosblüte. O Herr, am Ende der Vernichtung der kosmischen Manifestation nimmst Du das gesamte Universum in Deinem Leib auf, und dennoch bist Du in Deiner reinen Barmherzigkeit in meinem Schoß erschienen. Ich bin verwundert, daß Du wie ein gewöhnliches menschliches Wesen handelst, nur um Deine Geweihten zu erfreuen.« Nachdem Kṛṣṇa die Gebete Devakīs angehört hatte, antwortete Er: »Meine liebe Mutter, im Zeitalter des Svāyambhuva Manu, lebte Mein Vater, Vasudeva, als einer der Prajāpatis, und sein Name zu jener Zeit war Sutapā, und du warst seine Frau, mit Namen Pṛśni. Als Brahmā wünschte, die Bevölkerung zu vermehren, bat er euch, Nachkommenschaft zu zeugen. Ihr habt daraufhin gelernt, eure Sinne zu beherrschen, und habt strenge Entsagungen auf euch genommen. Indem ihr die Atemübungen des yoga-Systems praktiziertet, ward ihr fähig, alle äußeren Einflüsse der materiellen Natur zu ertragen: Regenzeiten, Winterstürme und die glühende Hitze des Sommers. Ihr befolgtet alle religiösen Prinzipien und konntet auf diese Weise euer Herz reinigen und vom Einfluß der materiellen Natur unberührt bleiben. In völliger Entsagung lebtet ihr und pflegtet, nur zu Boden gefallene Blätter zu essen. Dann, als euer Geist stetig geworden und euer fleischliches Verlangen beherrscht war, verehrtet ihr Mich und erbatet euch eine wunderbare Segnung von Mir. Nach der Zeitrechnung der Halbgötter habt ihr zwölftausend Jahre lang strenge Bußen auf euch genommen. Während dieser Zeit waren alle eure Gedanken immer in Mich vertieft. Als ihr Mir in Hingabe dientet und ohne Unterlaß an Mich dachtet, war Ich über euch sehr erfreut. O sündlose Mutter, dein Herz ist immer rein. Auch zu jener Zeit erschien Ich in dieser Gestalt vor dir und fragte dich nach deinen Wünschen. Damals hattest du den Wunsch, Mich als deinen Sohn zu gebären. Obwohl du Mich persönlich sahst, batest du Mich, unter dem Einfluß Meiner Energie, dein Sohn zu werden, statt deine Befreiung vom Gefangensein in der materiellen Welt zu erbitten.« Der Herr wählte Sich also Pṛśni und Sutapā zu Seinen Eltern, um in der materiellen Welt zu erscheinen. Wann immer der Herr in der Gestalt des menschlichen Wesens kommt, muß Er jemanden als Vater und Mutter haben, und so wählte Er Pṛśni und Sutapā als Seine ewigen Eltern. Aus diesem Grunde konnten sowohl Pṛśni als auch Sutapā den Herrn nicht um Befreiung bitten. Befreit zu werden ist nicht so wichtig, wie dem Herrn in transzendentaler Liebe zu dienen. Der Herr hätte Pṛśni und Sutapā augenblickliche Befreiung gewähren können, doch zog Er es vor, sie für Seine verschiedenen Erscheinungen in der materiellen Welt zu behalten. Nachdem sie vom Herrn die Segnung empfangen hatten, Seine Eltern zu werden, beendeten Pṛśni und Sutapā ihre Bußen und lebten als Mann und Frau zusammen, um ein Kind zu zeugen, das der Höchste Gott Selbst sein sollte. Nach einiger Zeit wurde Pṛśni schwanger und brachte das Kind zur Welt. Der Herr sprach weiter zu Devakī und Vasudeva: »Zu jener Zeit war Mein Name Pṛśnigarbha. Im nächsten Zeitalter wurdet ihr dann als Aditi und Kaśyapa geboren, und Ich wurde euer Kind mit dem Namen Upendra. Meine Gestalt glich der eines Zwerges, und daher war Ich auch als Vāmanadeva bekannt. Ich gab euch die Segnung, daß Ich dreimal als euer Sohn geboren werden würde. Das erste Mal wurde ich von Pṛśni und Sutapā als Pṛśnigarbha geboren; bei der nächsten Geburt hieß ich Upendra und ihr Aditi und Kaśyapa, und nun, beim drittenmal, bin Ich als Kṛṣṇa euch, Devakī und Vasudeva, geboren. Ich erschien in dieser Viṣṇu-Gestalt, um euch davon zu überzeugen, daß Ich der gleiche Höchste Persönliche Gott bin, der euch geboren wurde. Ich hätte auch als ein gewöhnliches Kind erscheinen können, doch dann hättet ihr nicht geglaubt, daß Ich, der Höchste Persönliche Gott, aus Devakīs Schoß geboren wurde. Meine lieben Eltern, ihr habt Mich viele Male mit großer Zuneigung und Liebe als euer Kind aufgezogen, und daher habe Ich Meine Freude an euch und bin euch sehr dankbar. Ich versichere euch daher, daß ihr dieses Mal zurück nach Hause, zurück zu Gott gehen werdet. Ich weiß, daß ihr um Mich besorgt seid, denn ihr fürchtet Kaṁsa. Bringt Mich deshalb sofort nach Gokula und tauscht Mich gegen die Tochter aus, die gerade von Yaśodā geboren wurde.« Nachdem Er so zu Seinem Vater und zu Seiner Mutter gesprochen hatte, nahm der Herr die Gestalt eines gewöhnlichen Kindes an und blieb still. Vasudeva nahm daraufhin Seinen Sohn und machte sich auf, während zur gleichen Stunde Nanda und Yaśodā in Gokula eine Tochter geboren wurde. Es war Yogamāyā, die innere Kraft des Herrn, durch deren Einfluß alle Bewohner im Palast Kaṁsas, vor allem die Torwächter, von tiefem Schlaf überwältigt wurden. Alle Palasttore öffneten sich, obgleich sie mit eisernen Ketten verschlossen waren. Die Nacht war sehr dunkel, aber sobald Vasudeva mit Kṛṣṇa auf dem Arm in die Finsternis hinaustrat, wurde alles hell erleuchtet. Im Śrī Caitanya-caritāmṛta wird gesagt, daß Kṛṣṇa wie das Sonnenlicht ist, und daß dort, wo Kṛṣṇa ist, die illusionierende Energie, die mit Dunkelheit verglichen wird, nicht standhalten kann. Als Vasudeva Kṛṣṇa trug, wich die Dunkelheit der Nacht. Alle Gefängnistüren öffneten sich wie von selbst. Zur gleichen Zeit rollte ein Donnern am Himmel und schwerer Regen setzte ein. Während Vasudeva seinen Sohn Kṛṣṇa durch den prasselnden Regen trug, hielt Śeṣa in der Gestalt einer Schlange Seine Häupter über den Kopf Vasudevas und schützte ihn vor dem Regen. Als Vasudeva zum Ufer der Yamunā kam, sah er, daß diese mit schäumenden Wogen dahinbrauste. Dennoch gab der Fluß, obwohl er so wild erschien, eine Furt frei, damit Vasudeva ungehindert ans andere Ufer gelangen konnte, ähnlich wie auch der Indische Ozean einen Weg für Rāmacandra freigab, als dieser eine Brücke über den Golf von Bengalen baute. Auf diese Weise überquerte Vasudeva die Yamunā. Als er das Haus Nanda Mahārājas und Yaśodās in Gokula erreichte, sah er, daß alle Kuhhirten in tiefem Schlaf lagen. Schnell nutzte er die Gelegenheit, betrat leise das Haus und vertauschte seinen Sohn mit dem neugeborenen Mädchen Yaśodās. Daraufhin kehrte er zum Gefängnis Kaṁsas zurück, legte das Mädchen vorsichtig in den Schoß Devakīs und legte sich die Fesseln wieder an, damit Kaṁsa nicht bemerkten konnte, daß in der Zwischenzeit so vieles geschehen war. Mutter Yaśodā war sich bewußt, daß sie ein Kind zur Welt gebracht hatte, aber weil sie von der Anstrengung der Geburt sehr erschöpft war, lag sie in tiefem Schlaf. Als sie erwachte, konnte sie sich nicht mehr erinnern, ob sie ein männliches oder ein weibliches Kind geboren hatte. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 3. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Geburt Śrī Kṛṣṇas«. 4. KAPITEL Kaṁsa beginnt seine Verfolgungen Nachdem Vasudeva alle Türen und Tore wieder verriegelt hatte, erwachten sofort die Torwächter und hörten das neugeborene Kind schreien. Sofort benachrichtigten sie Kaṁsa, der bereits ungeduldig die Geburt des Kindes erwartete. Als die Wächter ihm die Nachricht überbrachten, fuhr er augenblicklich von seinem Bett hoch und rief aus: »Nun ist mein grausamer Tod geboren!« Kaṁsa war bestürzt, da er sein nahes Ende vor Augen sah, und die Haare standen ihm zu Berge. Sofort ging er in den Kerker, um das Kind zu sehen. Als Devakī ihren Bruder kommen sah, fiel sie auf die Knie und flehte ihn demütig an: »Mein lieber Bruder, bitte töte dieses Kind nicht! Es ist ein Mädchen, und ich verspreche dir, daß ich sie deinem Sohn zur Frau geben werde, deshalb schone bitte ihr Leben. Du sollst doch von der Hand eines männlichen Kindes sterben – so lautet die Prophezeiung; warum solltest du also dieses Mädchen töten? Mein lieber Bruder, du hast so viele meiner Kinder umgebracht, die gerade erst geboren und die strahlend wie die Sonne waren. Es war ja nicht dein Fehler – dir ist von dämonischen Freunden geraten worden, meine Kinder zu ermorden –, aber nun bitte ich dich, wenigstens diesem Mädchen gnädig zu sein und es am Leben zu lassen.« Kaṁsa war jedoch so grausam, daß er den flehentlichen Bitten seiner Schwester Devakī keine Beachtung schenkte. Gewaltsam riß er ihr das neugeborene Kind aus den Armen und wollte es gnadenlos auf dem Boden zerschmettern. Dieses Verhalten zeigt, wie ein grausamer Dämon alle verwandtschaftlichen Beziehungen vergessen kann, wenn es um seine Person geht. Doch im Nu entschlüpfte das Kind seinen Händen und erhob sich zum Himmel, wo es sich als die jüngere Schwester Viṣṇus mit acht Armen zeigte. Es war mit einem prächtigen Gewand, prachtvollen Blumengirlanden und herrlichem Geschmeide angetan und hielt in seinen Händen Bogen, Lanze, Pfeile, Glocke, Muschel, Feuerrad, Keule und Schild. Als die Halbgötter auf den verschiedenen Planeten wie Siddhaloka, Cāraṇaloka, Gandharvaloka, Apsaraloka, Kinnaraloka und Uragaloka die Erscheinung des Kindes sahen, das in Wirklichkeit die Göttin Durgā war, brachten sie ihm verschiedene Gaben und Gebete dar. Aus der Höhe rief die Göttin Kaṁsa zu: »Elender, wie kannst du es wagen, mich töten zu wollen? Das Kind, das dich töten wird, ist bereits vor mir an einem anderen Ort der Welt geboren worden. Sei also nicht so grausam zu deiner armen Schwester.« Nach dieser Erscheinung wurde die Göttin Durgā unter verschiedenen Namen in verschiedenen Teilen der Welt bekannt. Als Kaṁsa diese Worte hörte, wurde er von panischer Angst ergriffen. Aus Furcht ließ er Vasudeva und Devakī sofort frei und begann, ehrerbietig zu ihnen zu sprechen. Er sagte: »Liebe Schwester und lieber Schwager, ich habe wie ein Dämon gehandelt, als ich meine eigenen Neffen tötete. Ich habe unsere enge verwandtschaftlichen Beziehungen mißachtet, und ich weiß nicht, was die Folge meiner Handlungen sein wird. Vielleicht werde ich zur Hölle geschickt werden, wo die Mörder der brāhmaṇas leiden müssen. Ich bin jedoch überrascht, daß sich die himmlische Prophezeiung nicht bewahrheitet hat. Falsche Nachrichten sind also offenbar nicht nur in der menschlichen Gesellschaft üblich. Auch die Himmelsbewohner scheinen zu lügen. Weil ich den Worten der Himmelsbewohner glaubte, habe ich eure Kinder getötet und damit schwere Sünden auf mich geladen. Lieber Vasudeva und liebe Devakī, ihr seid beide große Seelen. Ich habe euch keine Anweisungen zu erteilen, aber ich möchte euch dennoch bitten, über den Tod eurer Kinder nicht zu unglücklich zu sein. Jeder von uns wird von einer höheren Macht kontrolliert, und diese höhere Macht gestattet es uns nicht, für immer zusammenzubleiben. Wir sind gezwungen, im Laufe der Zeit von unseren Freunden und Verwandten Abschied zu nehmen. Doch wir sollten wissen, daß die Seele, obwohl die verschiedenen materiellen Körper vergehen, ewig und unvergänglich ist. Zum Beispiel gibt es viele Töpfe aus Ton. Sie alle werden hergestellt und zerbrechen nach einiger Zeit; aber trotzdem bleibt die Tonerde immer, wie sie ist. Ebenso werden die Körper, die die Seele annimmt, unter verschiedenen Bedingungen zusammengesetzt und wieder aufgelöst; doch die Seele existiert ewiglich. Daher gibt es keinen Grund, um den Verlust des Körpers zu trauern. Jeder sollte verstehen, daß der materielle Körper von der spirituellen Seele verschieden ist. Solange man nicht zu diesem Verständnis kommt, ist es sicher, daß man immer wieder von einem Körper zum anderen wandern muß. Meine liebe Schwester, du bist so sanft und gütig, bitte verzeih mir – sei wegen des Todes deiner Kinder, den ich verschuldet habe, nicht betrübt. Im Grunde habe ich dies nicht willentlich getan, denn all unser Tun ist vorbestimmt. Man muß in Übereinstimmung mit dem vorherbestimmten Plan handeln – sogar wider Willen. Die meisten Menschen glauben, mit dem Ende des Körpers sterbe auch das Selbst, oder sie denken, es sei erlaubt, ein anderes Lebewesen zu töten. All diese falschen Vorstellungen zwingen uns dazu, uns mit den Bedingungen des materiellen Daseins abzufinden. Mit anderen Worten: Solange man von der Ewigkeit der Seele nicht fest überzeugt ist, ist man dem Leiden ausgesetzt, Mörder und Ermordeter zu sein. Liebe Devakī und lieber Vasudeva, verzeiht mir in eurer Güte die Abscheulichkeiten, die ich gegen euch begangen habe. Ich bin so engherzig, und ihr seid so großherzig – darum habt Erbarmen, und vergebt mir.« Als Devakī ihren Bruder so voller Reue sah, empfand sie Mitleid mit ihm und vergaß sein verabscheuungswürdiges Verbrechen an ihren Kindern. Auch Vasudeva, der die Vergangenheit ruhen lassen wollte, lächelte und sagte zu seinem Schwager: »Mein lieber Kaṁsa, es ist richtig, was du über den materiellen Körper und die Seele gesagt hast. Jedes Lebewesen wird in Unwissenheit geboren und hält folglich den materiellen Körper für das Selbst. Dieser Irrtum hat seine Ursache in unserer Unwissenheit, und aufgrund dieser Unwissenheit entwickeln wir Feindschaft oder Freundschaft. Trauer, Freude, Furcht, Neid, Gier, Illusion und Irrsinn sind verschiedene Aspekte unserer materiellen Auffassung des Lebens. Ein Mensch, der ihren Einflüssen unterliegt, verhält sich nur aufgrund des materiellen Körpers feindselig. Wenn wir so handeln, vergessen wir unsere ewige Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott.« Vasudeva nutzte, als er Kaṁsas Wohlwollen sah, die Gelegenheit und klärte ihn darüber auf, daß der Grund für sein atheistisches Verhalten ebenfalls in dieser falschen Auffassung des Lebens zu suchen sei – nämlich in der Identifizierung des materiellen Körpers mit dem Selbst. Als Vasudeva solche erleuchtenden Worte zu Kaṁsa sprach, zeigte sich dieser sehr erfreut, und die beiden sprachen ihn frei von aller Schuld. Mit Erlaubnis seiner Schwester und seines Schwagers zog er sich erleichtert in seine Gemächer zurück. Am nächsten Tag jedoch rief Kaṁsa all seine Berater zusammen und erzählte ihnen von den Vorfällen, die sich in der Nacht zuvor ereignet hatten. Alle Berater Kaṁsas waren Dämonen und ewige Feinde der Halbgötter, und so waren sie sehr niedergeschlagen, als sie ihren Herrn von den nächtlichen Ereignissen berichten hörten. Und obwohl sie nicht sehr weise oder gelehrt waren, begannen sie, Kaṁsa Ratschläge zu erteilen: »Lieber Herr, laß uns Vorbereitungen treffen, alle Kinder ohne Ausnahme zu töten, die während der letzten zehn Tage in allen Städten, Dörfern und Höfen geboren wurden. Laß uns schnell und entschlossen handeln. Die Halbgötter werden nichts gegen uns unternehmen, denn sie fürchten den Kampf mit uns. Auch wenn sie den Wunsch hätten, diese Grausamkeiten zu verhindern, würden sie es nicht wagen, sich uns in den Weg zu stellen, denn sie fürchten die unermeßliche Stärke deines Bogens. In der Tat haben wir gesehen, daß sie jedesmal, wenn du dich ihnen zum Kampf stelltest und im Begriff warst, deine Pfeile auf sie abzuschießen, sofort die Flucht ergriffen, um ihr Leben zu retten. Viele Halbgötter wagten nicht einmal, mit dir zu kämpfen, sondern lösten gleich ihre Turbane als Zeichen, daß sie sich ergeben wollten. Mit gefalteten Händen baten sie dich, sie zu verschonen, und sagten: ›Lieber Herr, wir alle fürchten deine Stärke. Bitte entlasse uns aus diesem aussichtslosen Kampf.‹ Wir haben auch oft beobachten können, daß du solche Kämpfer, die sich dir hilflos ergaben, niemals tötetest. Sie zitterten vor Angst, ihre Bogen, Pfeile und Streitwagen waren zerbrochen, sie dachten nicht mehr an ihre militärische Pflicht und waren unfähig, mit dir zu kämpfen. Wir haben also tatsächlich nichts von diesen Halbgöttern zu befürchten. Sie sind zwar recht stolz darauf, in Friedenszeiten große Kämpfer außerhalb des Schlachtfeldes zu sein, doch in Wirklichkeit haben sie auf dem Schlachtfeld weder Talent noch militärische Stärke vorzuweisen. Obwohl Viṣṇu, Śiva und Brahmā bereit sind, den Halbgöttern, die von Indra angeführt werden, jegliche Unterstützung zu gewähren, haben wir keinen Grund, uns vor ihnen zu fürchten. Was Viṣṇu betrifft, so hat Er Sich bereits in den Herzen aller Lebewesen versteckt und kann nicht herauskommen. Śiva hat allen Handlungen entsagt und ist in den Wald gegangen. Und Brahmā ist entweder ständig in Meditation versunken oder gerade dabei, sich Bußen und Entsagungen zu unterziehen. Von Indra ganz zu schweigen – er ist wie ein Strohhalm im Vergleich zu deiner Stärke. All diese Halbgötter bedeuten also keine Gefahr für uns. Aber wir sollten sie auch nicht unterschätzen, denn sie sind unsere erklärten Feinde. Wir müssen daher vorsichtig sein und Schutzmaßnahmen treffen. Um sie ganz und gar auszurotten, wollen wir dir einfach gehorsam dienen und immer bereit sein, deinem Befehl zu folgen.« Die Dämonen fuhren fort: »Wenn der Körper von einer Krankheit befallen wird, und man diese unterschätzt, so wird sie unheilbar. Ähnlich wird es sehr schwierig, die Sinne zu beherrschen, wenn man sie nicht bedachtsam zügelt, sondern ausschweifen läßt. Daher sollten wir uns von den Halbgöttern sehr in acht nehmen, denn sonst werden sie zu mächtig und lassen sich nicht länger unterdrücken. Die Stärke der Halbgötter steht und fällt mit Viṣṇu, da es das endgültige Ziel aller religiösen Prinzipien ist, Ihn zu erfreuen. Die vedischen Unterweisungen, die brāhmaṇas, Kühe, Bußen, Opfer, Mildtätigkeiten und Gaben sind alle zur Freude Viṣṇus bestimmt. Laßt uns also sofort beginnen, die brāhmaṇas, die das vedische Wissen besitzen, und die großen Weisen, die die rituellen Opferdarbringungen vollziehen, zu töten. Laß uns alle Kühe schlachten, die die für die Ausführung von Opferungen so notwendige Butter geben. Bitte laß uns freie Hand, all diese Kreaturen zu töten.« In der Tat sind die Glieder am transzendentalen Körper Viṣṇus die brāhmaṇas, die Kühe, das vedische Wissen, Entsagung, Wahrhaftigkeit, Beherrschung der Sinne und des Geistes, Ehrlichkeit, Mildtätigkeit, Toleranz und Opferdarbringungen. Viṣṇu weilt im Herzen eines jeden und ist der Führer aller Halbgötter, einschließlich Śivas und Brahmās. »Wenn wir Viṣṇu töten wollen, müssen wir die großen Weisen und brāhmaṇas beseitigen!« sagten daher die Minister. Als er von seinen dämonischen Ministern so beraten worden war, beschloß Kaṁsa, der größte der Schurken, da er in den Ketten der allesverschlingenden, ewigen Zeit gefangen war, die brāhmaṇas und Vaiṣṇavas verfolgen zu lassen. Er gab den Dämonen den Befehl, alle Arten von Heiligen zu verfolgen, und zog sich danach in seine Gemächer zurück. Die Anhänger Kaṁsas standen unter dem illusionierenden Einfluß der Erscheinungsweisen der Leidenschaft und der Unwissenheit und begannen nun, allen Heiligen das Leben schwer zu machen. Als Folge solchen Verhaltens verringert sich gewöhnlich die Lebensdauer, d. h., die Dämonen beschleunigen auf diese Weise den Vorgang des Sterbens und rufen ihren Tod geradezu herbei. Die Verfolgung heiliger Menschen führt nicht nur zum frühzeitigen Tod, sondern auch zum Verlust von Schönheit, Ruhm, religiösen Prinzipien und der Möglichkeit, zu höheren Planeten zu gelangen. Getrieben von verschiedenen Wahnideen richten die Dämonen nur Schaden an. Ein Vergehen gegen die Lotosfüße der Gottgeweihten und brāhmaṇas ist schwerwiegender als ein Vergehen gegen die Lotosfüße des Höchsten Persönlichen Gottes. Tatsächlich wird eine gottlose Zivilisation zur Ursache aller nur denkbaren Leiden. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 4. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kaṁsa beginnt seine Verfolgungen«. 5. KAPITEL Nanda und Vasudeva treffen sich in Mathurā Obgleich Kṛṣṇa eigentlich der Sohn Vasudevas und Devakīs war, konnte Vasudeva, der sich noch in Kaṁsas Gefängnis befand, nicht an der Geburtszeremonie Kṛṣṇas teilhaben. Doch Nanda Mahārāja, der Pflegevater, feierte die Geburt Kṛṣṇas mit großer Freude. Am Tag also, nachdem Vasudeva die beiden Kinder vertauscht hatte, wurde verkündet, daß Yaśodā einen Jungen zur Welt gebracht habe. Nach vedischem Brauch rief Nanda gelehrte Astrologen und brāhmaṇas zusammen, die die Geburtszeremonie durchführen sollten. Wenn ein Kind geboren ist, untersuchen die Astrologen den Zeitpunkt der Geburt und erstellen ein Horoskop, das Hinweise auf die Zukunft des Kindes gibt. Bevor die Zeremonie stattfindet, nehmen die Familienmitglieder ein Bad, reinigen sich, legen ihren kostbarsten Schmuck an und schmücken sich mit Blumenkränzen. Dann treten sie vor das Neugeborene und die Astrologen, um von der Zukunft des Kindes zu hören. Nachdem Nanda Mahārāja und die anderen Mitglieder der Familie gebadet und sich angekleidet hatten, setzten sie sich an der Stelle nieder, an der das Kind geboren worden war. Die brāhmaṇas, die zu diesem Anlaß dort versammelt waren, chanteten segensreiche mantras, während die Astrologen die Geburtszeremonie durchführten. Bei einer solchen Gelegenheit werden auch alle Halbgötter und die Vorfahren der Familie geehrt. Nanda Mahārāja schenkte den brāhmaṇas zweihundert kostbar gekleidete und reich geschmückte Kühe. Er spendete nicht nur Kühe, sondern auch Berge von Getreide, die mit golddurchwobenen Tüchern und vielerlei Zierrat geschmückt waren. In der materiellen Welt wird Reichtum oft auf nicht sehr fromme und ehrliche Weise erworben; das bringt das Anhäufen von Reichtum meistens mit sich. Nach den vedischen Unterweisungen sollte Reichtum daher geläutert werden, indem man den brāhmaṇas Kühe und Gold spendet. Ein neugeborenes Kind wird dadurch gereinigt, daß man den brāhmaṇas Getreide schenkt. Dazu muß man verstehen, daß sich jeder in der materiellen Welt in einem verunreinigten Zustand befindet; deshalb ist es erforderlich, sein Leben, seinen Besitz und sich selbst zu reinigen. Das Leben wird rein, indem man täglich ein Bad nimmt, den Körper innerlich und äußerlich säubert und die zehn Reinigungsvorgänge durchführt. Durch Bußen, Verehrung des Herrn und milde Gaben kann man seinen Besitz reinigen. Sich selbst kann man dadurch läutern, daß man die Veden studiert, nach Selbstverwirklichung strebt und die Höchste Absolute Wahrheit zu verstehen sucht. In den vedischen Schriften wird gesagt, daß jeder als śūdra geboren wird, und daß er durch die Reinigungsvorgänge zum zweitenmal geboren werden kann. Durch das Studieren der Veden kann man ein vipra werden; das ist die Vorstufe zum brāhmaṇa. Wenn jemand die Absolute Wahrheit in Vollkommenheit versteht, wird er als brāhmaṇa bezeichnet. Und wenn der brāhmaṇa die höchste Vollkommenheit erreicht, wird er zu einem Vaiṣṇava, zu einem Gottgeweihten. Bei der Geburtszeremonie Kṛṣṇas chanteten die versammelten brāhmaṇas verschiedene Arten vedischer mantras, um alles Gute für das Kind zu erbitten. Es gibt unterschiedliche Arten des Chantens, die als sūta, māgadha, vandī und virudāvalī bekannt sind. Zur gleichen Zeit ertönten außerhalb des Hauses Hörner und Pauken. Außerdem spielten verschiedene Gruppen von Musikern. In allen Häusern und auf allen Weiden konnte man diese freudigen Klänge vernehmen. Im Innern und auch außerhalb der Häuser waren wunderschöne Muster aus Reisbrei ausgelegt worden, und überall, sogar auf den Wegen und Straßen, war wohlreichendes Wasser versprüht. Die Wände und Dächer der Häuser waren geschmückt mit den verschiedenartigsten Girlanden, Blättern und Fähnchen in allen Farben, und die Tore waren mit Blättern und Blumen verziert. Alle Kühe, Stiere und Kälber waren mit einer Mixtur aus Öl und Tumerik (Kurkuma) eingerieben und mit Mineralien wie rotem Ton, gelbem Lehm und braunem Mangan bemalt. Sie trugen Girlanden von Pfauenfedern und waren mit farbigen Decken und goldenen Halsketten geschmückt. Als die Kuhhirten hörten, daß Nanda Mahārāja, der Vater Kṛṣṇas, die Geburt seines Sohnes feierte, begannen sie, in ekstatischer Freude zu jubeln. Sie kleideten sich in kostbare Kleider, schmückten ihre Körper mit verschiedenen Arten von Ohrringen und Halsketten und setzten sich große Turbane auf. Nachdem sie sich so prächtig gekleidet hatten, nahmen sie ihre verschiedenen Geschenke und begaben sich zum Hause Nanda Mahārājas. Sobald die Hirtinnen erfuhren, daß Mutter Yaśodā ein Kind geboren hatte, überkam auch sie große Freude, und sie legten ebenfalls ihre besten Kleider an, schmückten sich mit kostbarem Geschmeide und rieben ihre Körper mit wohlriechenden Ölen ein. Wie Staub auf einem Lotos die außergewöhnliche Schönheit dieser Blume noch mehr hervorhebt, so kam die Schönheit der gopīs (Kuhhirtenmädchen) noch mehr zur Geltung, als sie den Staub von kuṅkuma auf ihre lotosgleichen Gesichter auftrugen. Die gopīs nahmen ebenfalls ihre verschiedenen Geschenke und beeilten sich, zum Hause Nanda Mahārājas zu kommen. Mit ihren schweren Hüften und vollen Brüsten konnten sie sich nicht so schnell bewegen, doch aus ekstatischer Liebe zu Kṛṣṇa versuchten sie, das Haus Nandas und Yaśodās so schnell wie möglich zu erreichen. Ihre Ohren schmückten Perlenringe; sie trugen juwelenbesetzte Halsketten; ihre Lippen und Augen waren mit den verschiedensten Schminken und Tuschen bemalt, und ihre Handgelenke zierten goldene Armreifen. Als sie hastig über die Straße liefen, fielen in der Eile die Blumengirlanden, die ihre Körper schmückten, zu Boden, und es schien, als fiele ein Blumenschauer vom Himmel. Durch die Bewegung der verschiedenen Schmuckstücke an ihren Körpern gewannen sie noch mehr an Schönheit. Auf diese Weise erreichten sie schließlich das Haus von Nanda und Yaśodā, und nachdem sie ihre verschiedenen Gaben dargebracht hatten, segneten sie das Kind und sagten: »Liebes Kind, mögest Du lange leben, um uns zu beschützen.« Während sie diese Segnungen aussprachen, besprengten sie Kṛṣṇa mit einer Mischung aus Tumerik-Puder, Öl, Yoghurt, Milch und Wasser. Doch nicht nur Kṛṣṇa besprengten sie, sondern auch alle anderen Anwesenden. Als die Kuhhirten die Geschäftigkeit der Kuhhirtinnen sahen, wurden sie sehr fröhlich und begannen ihrerseits, die gopīs mit Yoghurt, Milch, Butterfett und Wasser zu überschütten. Daraufhin begannen beide Seiten, sich mit Butter zu bewerfen, während mehrere Gruppen von Musikern zur Feier des Tages nach Herzenslust musizierten. Nanda Mahārāja war sehr glücklich, als er die Kuhhirten und Kuhhirtinnen so voller Freude sah und belohnte die verschiedenen Sänger mit großzügigen Geschenken. Einige von ihnen trugen bekannte Verse aus den Upaniṣaden und den Purāṇas vor; andere rühmten die Vorfahren der Familie, und wieder andere sangen liebliche Weisen. Es waren auch viele gelehrte brāhmaṇas anwesend, und Nanda Mahārāja, der überaus zufrieden war, schenkte auch ihnen reichliche Mengen Kleider, Schmuck und Kühe. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu bemerken, wie reich die Einwohner von Gokula durch die Zucht von Kühen waren. Alle Kuhhirten gehörten zur vaiśya-Gemeinschaft, und ihre Aufgabe war es, die Kühe zu schützen und die Ernten einzubringen. Ihre Kleider, ihr Schmuck und ihr Verhalten deutet darauf hin, daß sie sehr reich gewesen sein müssen, obwohl sie nur in einem kleinen Dorf lebten. Sie besaßen eine solche Fülle von verschiedenen Milchprodukten, daß sie sich nach Herzenslust mit Butter bewerfen konnten. Ihr Reichtum bestand aus Milch, Yoghurt, Butter, Butterfett und vielen anderen Milchprodukten, und durch den Handel mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen besaßen sie große Mengen Juwelen, Schmuck und wertvolle Kleider. Sie benutzten all diese Dinge nicht nur für sich selbst, sondern verschenkten sie auch gern, wie Nanda Mahārāja es jetzt tat. So erfüllte Nanda Mahārāja, der Pflegevater Kṛṣṇas, die Wünsche aller, die in seinem Hause versammelt waren. Er behandelte jeden sehr zuvorkommend und gab ihm, was immer er begehrte. Die gelehrten brāhmaṇas, die kein anderes Einkommen hatten, waren in ihrem Lebensunterhalt von den vaiśya- und kṣatriya-Gemeinschaften abhängig und empfingen bei festlichen Anlässen, wie Geburtstagen und Hochzeiten, Spenden. Nanda Mahārāja versuchte sein Bestes, Viṣṇu und alle Gäste zu erfreuen, denn es war sein einziger Wunsch, daß das neugeborene Kind glücklich werden würde. Nanda ahnte nicht, daß dieses Kind der Ursprung Viṣṇus war, und so betete er zu Viṣṇu, daß Er Kṛṣṇa beschützen möge. Rohiṇī, die Mutter Balarāmas, war ebenfalls eine Frau Vasudevas, und obwohl sie von ihrem Mann getrennt war, kleidete auch sie sich sehr schön, um Mahārāja Nanda zur Geburt seines Sohnes zu beglückwünschen. Sie erschien in einem festlichen und trug eine Blumengirlande, Halsketten und noch vielerlei anderen Schmuck. Nach vedischem Brauch sollte sich eine Frau, deren Mann abwesend ist, sehr unauffällig kleiden; dennoch trug Rohiṇī zu diesem Anlaß ihr schönstes Kleid. Die reiche und prächtige Geburtszeremonie Kṛṣṇas zeigt deutlich den großen Wohlstand, der zu jener Zeit in Gokula herrschte. Weil Kṛṣṇa im Hause von König Nanda und Mutter Yaśodā geboren wurde, war die Göttin des Glücks verpflichtet, ihren Reichtum in Gokula zu offenbaren. Es schien daher, als sei Gokula der Aufenthaltsort der Glücksgöttin geworden. Am nächsten Morgen beschlossen Nanda Mahārāja und einige andere Kuhhirten, nach Mathurā zu gehen, um ihre jährlichen Abgaben an die Regierung Kaṁsas zu entrichten. Vor seiner Abreise rief Nanda die Erfahrensten der Kuhhirten zusammen und beauftragte sie, während seiner Abwesenheit in Gokula nach dem Rechten zu sehen. Als Vasudeva erfuhr, daß sich Nanda Mahārāja in Mathurā aufhielt, suchte er ihn sofort auf, um ihn zur Geburt seines Sohnes zu beglückwünschen. Ihm war es, als er Nanda sah, als habe er das Leben zurückgewonnen. Nanda, ebenfalls von Freude überwältigt, erhob sich sofort, umarmte Vasudeva und bot ihm einen bequemen Platz zum Sitzen an. Vasudeva machte sich um seine beiden Söhne große Sorgen, die er, ohne Nandas Wissen, in dessen Obhut gegeben hatte, und so fragte er nach Ihnen. Balarāma wie Kṛṣṇa waren Söhne Vasudevas. Balarāma wurde in den Leib Rohiṇīs gebracht, die zwar Vasudevas Frau war, aber unter dem Schutz Nanda Mahārājas lebte. Kṛṣṇa war von Vasudeva persönlich zu Yaśodā gebracht und gegen ihre Tochter ausgetauscht worden. Nanda Mahārāja wußte, daß Balarāma der Sohn Vasudevas war, doch ahnte er nicht, daß auch Kṛṣṇa Vasudevas Sohn war. Vasudeva indessen war sich dieses Sachverhalts bewußt, und so erkundigte er sich bei Nanda: »Mein lieber Bruder, du hattest schon immer den Wunsch, einen Sohn zu bekommen, doch mußtest du dich lange gedulden. Nun ist dir durch die Gnade des Herrn endlich ein Sohn geschenkt worden. Du mußt also sehr glücklich sein. Lieber Freund, ich war lange Zeit in Kaṁsas Kerker eingesperrt und bin nun endlich wieder frei. Ich hatte keine Hoffnung, dich jemals wiederzusehen, doch durch Gottes Gnade ist auch das möglich geworden; daher ist dies wie eine zweite Geburt für mich.« Vasudeva war erleichtert, denn er hatte niemals erwartet, daß Kṛṣṇa überleben würde, weil all seine anderen Söhne von Kaṁsa getötet worden waren. »Es ist sehr schwierig für uns, zusammen zu leben. Obwohl wir unsere Familie haben und unsere Verwandten und unsere Söhne und Töchter sehr lieben, sind wir dennoch durch den Willen der Natur die meiste Zeit voneinander getrennt. Der Grund dafür ist, daß die Lebewesen unter verschiedenen Bedingungen, die sich nach ihren vergangenen Handlungen richten, auf der Erde erscheinen; obwohl sie zusammenkommen, gibt es keine Garantie dafür, daß sie lange zusammenbleiben. Den Reaktionen entsprechend, die auf ihre vergangenen Handlungen folgen, sind sie gezwungen zu handeln, und werden dadurch zusammengeführt und wieder voneinander getrennt. Sie sind wie Seetang auf den Wogen des Ozeans: Manchmal kommt er zusammen und ein anderes Mal wird er wieder auseinander gerissen; die eine Pflanze schwimmt in eine Richtung, die andere in eine andere. Ebenso mag unsere Familiengemeinschaft sehr schön sein, solange wir zusammenleben, doch die Wogen der Zeit werden uns früher oder später wieder trennen.« Bei diesen Worten dachte Vasudeva an seine acht Söhne, die von Devakī geboren wurden, und die er alle verloren hatte. Nicht einmal Kṛṣṇa hatte er bei sich behalten können. Ihn schmerzte die Trennung von Kṛṣṇa sehr, aber er durfte seine wahren Gefühle nicht zeigen. Er fuhr fort: »Wie sieht es in Gokula aus? Ihr müßt jetzt viele Tiere haben – sind sie glücklich? Bekommen sie genügend Gras und Wasser? Bitte sag mir auch, ob der Ort, an dem ihr nun lebt, ungestört und friedlich ist.« Vasudeva stellte diese Fragen, weil er um Kṛṣṇas Sicherheit besorgt war. Er wußte, daß Kaṁsa und seine Anhänger Kṛṣṇa töten wollten, und daß sie verschiedene Dämonen mit der Ermordung Kṛṣṇas beauftragt hatten. Kaṁsa hatte beschlossen, alle Kinder, die zehn Tage vor und nach Kṛṣṇas Erscheinen geboren waren, töten zu lassen. Vasudeva war also sehr in Sorge um Kṛṣṇa und erkundigte sich, ob sein Aufenthaltsort sicher sei. Er fragte auch nach Balarāma und dessen Mutter Rohiṇī, die ebenfalls der Obhut Nanda Mahārājas anvertraut waren. Vasudeva erinnerte Nanda daran, daß Balarāma seinen wirklichen Vater nicht kannte. »Er hält dich für seinen Vater«, sagte er, »und nun bist du mit einem weiteren Kind, Kṛṣṇa, gesegnet; ich hoffe, daß du sehr gut auf die Beiden aufpaßt.« Es ist bezeichnend, daß sich Vasudeva auch nach dem Befinden der Tiere Nanda Mahārājas erkundigte. Die Tiere, besonders die Kühe, wurden wie die eigenen Kinder beschützt. Vasudeva war ein kṣatriya und Nanda Mahārāja ein vaiśya. Es ist die Pflicht des kṣatriya, alle Bürger zu beschützen, und die Aufgabe des vaiśya ist der Schutz der Kühe. Die Kühe sind genauso wichtig wie die Bürger. Wie den menschlichen Bürgern, so sollte auch den Kühen vollständiger Schutz gewährt werden. »Die Erhaltung der religiösen Prinzipien, wirtschaftliche Entwicklung und die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse sind abhängig von der Zusammenarbeit der Verwandten, der Nationen und der gesamten Menschheit«, fuhr Vasudeva fort, »und daher ist es die Pflicht eines jeden, dafür zu sorgen, daß seinen Mitmenschen und den Kühen kein Leid zugefügt wird. Man sollte sich für den Frieden und das Wohlergehen seiner Mitmenschen und der Tiere verantwortlich fühlen. Dann sind Religiosität, wirtschaftliche Entwicklung und die Befriedigung der Sinne ohne Schwierigkeit zu erreichen. Leider war ich selbst nicht in der Lage, meine eigenen, von Devakī geborenen Söhne zu schützen, und so werde ich an diesen Dingen nicht teilhaben können.« Als Nanda Mahārāja dies hörte, erwiderte er: »Ich weiß, daß du tief betrübt bist, weil der grausame Kaṁsa alle deine Söhne ermordete; doch sei nicht so traurig, denn wir alle sind den Nachwirkungen unserer vergangenen Taten ausgesetzt; jeder ist den Rückwirkungen seines früheren Tuns unterworfen. Wer jedoch die Wirkungsweise des karma philosophisch versteht, besitzt wirkliches Wissen und wird durch kein Ereignis, sei es freudig oder traurig, beeinflußt.« Vasudeva sagte: »Mein lieber Nanda, wenn du die Regierungssteuern bezahlt hast, dann kehre bitte so schnell wie möglich nach Gokula zurück, denn ich ahne, daß es einige Unannehmlichkeiten geben wird.« Nachdem sich Nanda Mahārāja und die anderen Kuhhirten von Vasudeva verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Heimweg nach Gokula. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 5. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Nanda und Vasudeva treffen sich in Mathurā«. 6. KAPITEL Kṛṣṇa tötet die Hexe Pūtanā Auf dem Rückweg nach Gokula ging Nanda Mahārāja ständig Vasudevas Warnung durch den Kopf. »Gewiß war der Ratschlag meines Freundes nicht unbegründet«, dachte er, »es muß etwas Wahres daran sein.« Aus Furcht suchte er daher sofort Zuflucht beim Höchsten Persönlichen Gott. Es ist ganz natürlich für einen Gottgeweihten, bei drohender Gefahr an Kṛṣṇa zu denken, denn er kennt keine andere Zuflucht. Wenn sich ein Kind vor einer Gefahr fürchtet, sucht es bei seinem Vater oder bei seiner Mutter Schutz; ebenso vertraut ein Gottgeweihter, der unter dem Schutz des Höchsten Persönlichen Gottes steht, auf den Herrn. Nachdem sich Kaṁsa mit seinen dämonischen Ministern beraten hatte, beauftragte er die Hexe Pūtanā, die die schwarze Kunst beherrschte, kleine Kinder auf gräßliche Weise umzubringen, alle Kinder zu töten, die in den letzten zehn Tagen in den Städten und Dörfern geboren worden waren. Es wird gesagt, daß überall dort, wo der heilige Name Krṣṇas gechantet wird – auch, wenn dies nur nachlässig geschieht –, alle bösen Elemente wie Hexen und Geister und alle unheilvollen Einflüsse sofort weichen. Ganz gewiß trifft dies auf einen Ort wie Gokula zu, wo der Name Kṛṣṇas mit aller Ernsthaftigkeit gechantet wurde und der Höchste Herr persönlich gegenwärtig war. Die Sorgen, die sich Nanda Mahārāja machte, beruhten nur auf seiner großen Zuneigung, die er für Kṛṣṇa empfand; in Wirklichkeit war Pūtanā, trotz ihrer mystischen Kräfte, keine Gefahr. Hexen ihrer Art werden »khecarī« genannt, was bedeutet, daß sie fliegen können. Einige Frauen in den abgelegenen nordwestlichen Teilen Indiens beherrschen noch heute diese schwarze Magie; sie können z. B. auf dem Zweig eines entwurzelten Baumes durch die Lüfte reiten. Auch Pūtanā war mit dieser Kunst vertraut, und so wird sie im Bhāgavatam als khecarī bezeichnet. Pūtanā war es gelungen, sich unerkannt in Gokula einzuschleichen. In der Gestalt einer hübschen jungen Frau betrat sie das Haus Nanda Mahārājas und Yaśodās. Sie sah wunderschön aus mit ihren gerundeten Hüften, den vollen Brüsten, den Ohrringen und den Blumen im Haar. Sie schaute jeden mit einem bezaubernden Lächeln in die Augen, und alle Einwohner von Gokula waren von ihrer Schönheit gefangen. Die unschuldigen Kuhhirten und ihre Frauen hielten sie für eine Glücksgöttin, die mit einem Lotos in der Hand erschienen war, um Kṛṣṇa, ihren Gemahl, zu sehen. Weil sie so außergewöhnlich schön war, wurde sie von niemandem aufgehalten und konnte daher ungehindert in das Haus Nanda Mahārājas eintreten. Als Pūtanā, die Mörderin zahlloser Kinder, Kṛṣṇa in Seinem kleinen Bettchen saḥ, konnte sie sogleich erkennen, daß dieses Baby über außerordentliche Kräfte verfügen mußte. Pūtanā dachte: »Dieses Kind ist so mächtig, daß Es auf der Stelle das gesamte Universum vernichten kann.« Pūtanās Erkenntnis ist sehr bedeutsam. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa, der im Herzen eines jeden weilt, jedem die notwendige Intelligenz gibt und ihn vergessen läßt, wenn es nötig ist. Pūtanā war sich sofort bewußt, daß das Kind, das sie im Hause Nanda Mahārājas sah, der Höchste Persönliche Gott war. Er lag dort als kleines Baby, aber das bedeutete nicht, daß Er darum weniger mächtig war. Die materialistische Theorie, nach der die Verehrung Gottes eine Verehrung menschlicher Gestalt ist, trifft nicht zu. Kein Lebewesen kann Gott werden, indem es meditiert oder sich Bußen auferlegt. Gott ist immer Gott. Kṛṣṇa ist als kleines Baby ebenso vollkommen wie als ausgewachsener Jüngling. Nach der Māyāvāda-Theorie war das Lebewesen früher einmal Gott und wurde dann von māyā überwältigt. Deshalb, so sagen die Unpersönlichkeitsanhänger, sei das Lebewesen zwar zur Zeit nicht Gott, doch werde es wieder Gott, sobald der Einfluß māyās nachlasse. Diese Theorie kann jedoch nicht auf die Lebewesen angewandt werden. Die Lebewesen sind winzige Teile des Höchsten Persönlichen Gottes. Sie sind wie die Teilchen oder Funken des Feuers, aber sie sind niemals das ganze Feuer. Kṛṣṇa war und ist der Höchste Persönliche Gott – selbst als Er vor Vasudeva und Devakī erschien. Kṛṣṇa verhielt Sich genau wie ein kleines Baby und schloß daher die Augen, als wolle Er es vermeiden, Pūtanā anzusehen. Die Gottgeweihten deuten das Schließen der Augen auf verschiedene Weise. Einige sagen, Kṛṣṇa habe das Gesicht Pūtanās nicht sehen wollen, weil sie so viele Kinder getötet hatte, und nun gekommen war, um auch Ihm das Leben zu nehmen. Andere sagen, der Hexe sei etwas Außergewöhnliches aufgetragen worden, und um sie in ihrem Vorhaben zu bestärken, habe Er Seine Augen geschlossen, damit sie sich nicht fürchten solle. Wieder andere geben folgende Erklärung: Kṛṣṇa erschien, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird (paritrāṇāya sādhūnāṁ vināśāya ca duṣkṛtām), um die Dämonen zu töten und die Gottgeweihten zu schützen. Der erste Dämon, der getötet werden sollte, war eine Frau, und da nach vedischem Gesetz das Töten einer Frau, eines brāhmaṇas, einer Kuh oder eines Kindes verboten ist, Kṛṣṇa aber dazu verpflichtet war, die Dämonin Pūtanā zu töten, konnte Er nichts anderes tun, als die Augen schließen. Andere Gottgeweihte sind der Ansicht, Kṛṣṇa habe Seine Augen geschlossen, weil Er Pūtanā als Seine Amme annehmen wollte. Pūtanā kam nur zu Kṛṣṇa, um Ihm ihre Brust zu geben, und obwohl Kṛṣṇa wußte, daß sie gekommen war, um Ihn zu töten, war Er so barmherzig, sie als Seine Amme oder Mutter anzunehmen. Nach den vedischen Schriften gibt es sieben Mütter: die leibliche Mutter, die Frau des geistigen Meisters, die Frau des Königs, die Frau eines brāhmaṇa, die Kuh, die Amme und die Mutter Erde. Weil Pūtanā gekommen war, um Kṛṣṇa auf ihren Schoß zu nehmen und Ihn an ihrer Brust zu säugen, wurde sie von Kṛṣṇa als eine Seiner Mütter angesehen. Dies wird als ein weiterer Grund dafür angegeben, daß Er Seine Augen schloß. Wenn Kṛṣṇa Seine Mutter oder Amme tötet, so ist dies nicht verschieden von der Liebe, die Er für Seine leibliche Mutter Devakī oder Seine Pflegemutter Yaśodā zeigt. Weiter können wir aus den Veden erfahren, daß Kṛṣṇa Pūtanā wie Seine Mutter behandelte und ihr ebenso wie Yaśodā Befreiung von der materiellen Welt gewährte. Als Kṛṣṇa Seine Augen schloß, nahm Pūtanā Ihn auf ihren Schoß. Sie ahnte nicht, daß sie den leibhaftigen Tod in ihren Armen hielt. Wenn ein Mensch irrtümlich eine Schlange für ein Seil hält, begeht er einen verhängnisvollen Fehler. Pūtanā hatte viele Kinder getötet, bevor sie zu Kṛṣṇa kam, doch nun nahm sie die Schlange an ihre Brust, die sie augenblicklich töten sollte. Als Pūtanā das Baby auf den Schoß nahm, waren sowohl Yaśodā als auch Rohiṇī in der Nähe, doch sie hinderten die Hexe nicht daran, weil sie so wunderschön gekleidet war und mütterliche Zuneigung für Kṛṣṇa zeigte. Sie wußten nicht, daß sie wie ein Schwert in einer verzierten Scheide war. Pūtanā hatte ihre Brüste mit einem tödlichen Gift eingerieben, und gleich nachdem sie das Kind genommen hatte, schob sie Ihm eine ihrer Brustwarzen in den Mund. Sie erwartete, daß Kṛṣṇa augenblicklich sterben würde, wenn Er an ihrer Brust saugte, doch Kṛṣṇa griff ärgerlich und bestimmt nach ihrer Brust und saugte ihr zusammen mit der vergifteten Milch die Lebensluft aus dem Körper. Mit anderen Worten: Kṛṣṇa trank ihre Milch und tötete sie dabei gleichzeitig, indem Er ihr das Leben aussaugte. Kṛṣṇa ist so barmherzig, daß Er sogar die Hexe Pūtanā als Seine Mutter annahm, als diese Ihm ihre Brustmilch anbot. Um sie jedoch an weiteren Abscheulichkeiten zu hindern, tötete Er sie. Die Dämonin erlangte, da sie von Kṛṣṇa getötet wurde, augenblicklich die Befreiung. Als Kṛṣṇa ihr die Lebenskraft aussaugte, stürzte Pūtanā zu Boden, streckte Arme und Beine weit von sich und begann zu schreien: »O Kind, geh von mir, laß von mir ab!« Laut gellten ihre Schreie, der Schweiß brach ihr aus allen Poren, und als sie sterbend niederstürzte, erzitterten Himmel und Erde unter ungeheurem Krachen, und den Menschen schien es, als fielen Blitze vom Himmel. So endete der Alptraum von der Hexe Pūtanā, und sie nahm wieder ihre wirkliche Gestalt als große Dämonin an. Sie riß ihren furchterregenden Rachen weit auf und streckte Arme und Beine gen Himmel. Als sie niederfiel, glich sie Vṛtrasura, der einstmals vom Blitzstrahl Indras erschlagen wurde. Das lange Haar hing ihr in Strähnen über den gewaltigen Leib, der bis zu einer Länge von zwölf Meilen anwuchs und dabei alle Bäume umriß und zersplitterte. Ihre Zähne glichen aufgepflügtem Erdreich, und ihre Nüstern waren groß wie Berghöhlen. Ihre Brüste glichen kleinen Hügeln, und ihr Haar erinnerte an ein großes rötliches Gebüsch. Ihre Augen sahen aus wie pechschwarze Brunnen, und ihre Hüften waren wie die beiden Ufer eines Flusses. Ihre Hände ähnelten zwei stabilen Brücken, und ihr Bauchnabel glich einem ausgetrockneten See. Ihr Anblick erfüllte die Kuhhirten und Kuhhirtinnen mit Ehrfurcht und Erstaunen, und das Getöse, das die Luft erfüllte, als die Hexe zu Boden stürzte, betäubte sie fast und ließ ihre Herzen bis zum Hals schlagen. Als die gopīs den kleinen Kṛṣṇa furchtlos auf Pūtanās Schoß spielen sahen, eilten sie schnell herbei und nahmen Ihn auf den Arm. Mutter Yaśodā, Rohinī und einige andere ältere gopīs begannen gleich darauf mit unheilabwendenden Ritualen. Sie nahmen einen Kuhschwanz und umkreisten Kṛṣṇa, wuschen Ihn von Kopf bis Fuß mit Kuhurin und bewarfen Ihn mit dem Staub, den die Kühe mit ihren Hufen aufgewirbelt hatten. All das wurde unternommen, um den kleinen Kṛṣṇa vor allem zukünftigen Unheil zu bewahren, und dieser Vorfall beweist, wie wichtig die Kuh für die Familie und die Gesellschaft, ja für alle Lebewesen ist. Natürlich brauchte der transzendentale Körper Kṛṣṇas nicht beschützt zu werden, doch um uns zu zeigen, welche Bedeutung die Kuh hat, wurde der Herr mit Kuhdung eingerieben, mit dem Urin der Kuh gewaschen und mit dem Staub besprenkelt, den die Kühe beim Gehen aufgewirbelt hatten. Nach diesem Reinigungsvorgang chanteten die gopīs unter der Leitung von Mutter Yaśodā und Rohiṇī die verschiedenen Namen Viṣṇus, um Kṛṣṇas Körper vor allen schlechten Einflüssen zu schützen. Sie wuschen ihre Hände und Füße und schlürften dreimal Wasser, wie es vor dem Chanten eines mantras Brauch ist. Dann chanteten sie: »Lieber Kṛṣṇa, möge der Herr, der als Śrī Maṇimān bekannt ist, Deine Hüften beschützen; möge Śrī Viṣṇu, der als Yajña bekannt ist, Deine Beine beschützen; möge Śrī Acyuta Deine Arme beschützen, und möge Śrī Hayagrīva Deinen Bauch beschützen. Möge Śrī Keśava Dein Herz behüten; möge Śrī Viṣṇu Deine Arme behüten; möge Śrī Urukrama Dein Gesicht beschützen; möge Śrī Iśvara Deinen Kopf beschützen; möge Śrī Cakradhara Deine Brust beschützen; möge Śrī Gadādhara Deinen Rücken beschützen, und möge Śrī Madhusūdana, der einen Bogen in Seiner Hand trägt, Deine Augen behüten. Möge Śrī Viṣṇu, der in Seiner Hand ein Muschelhorn hält, Deine linke Seite beschützen; möge Śrī Upendra Dich von oben beschützen; möge Śrī Tārkṣya Dich von unten her und Śrī Haladhara Dich von allen Seiten beschützen. Möge Śrī Hṛṣīkeśa Deine Sinne behüten; möge Śrī Nārāyaṇa Deinen Atem behüten; möge der Herr von Śvetadvīpa, Nārāyaṇa, Dein Herz behüten; möge Śrī Yogeśvara Deinen Geist behüten; möge Śrī Pṛśnigarbha Deine Intelligenz behüten, und möge der Höchste Persönliche Gott Deine Seele behüten. Beim Spielen schütze Dich Śrī Govinda von allen Seiten; während des Schlafes schütze Dich Śrī Mādhava vor aller Gefahr; beim Gehen bewahre Dich Śrī Vaikuṇṭha davor niederzufallen, und möge Er Dich auch wenn Du sitzt behüten. Beim Essen schütze Dich Śrī Yajñeśvara, der Herr aller Opfer.« Mutter Yaśodā chantete die vielen Namen Viṣṇus, um auf diese Weise die verschiedenen Körperteile Kṛṣṇas zu schützen. Sie war fest davon überzeugt, daß sie ihr Kind vor allen möglichen Geistern und Dämonen schützen müsse, wie z. B. den Dākinīs, Yātudhānīs, Kūṣmāṇdās, Yakṣas, Rākṣasas, Vināyakas, Koṭarā, Revatī, Jyeṣṭhā, Pūtanā, Mātṛkās, Unmādas und ähnlichen anderen üblen Geistern, die einen Menschen seine Existenz vergessen lassen und seine Sinne und die Lebensluft unheilvoll beeinflussen. Manchmal erscheinen sie in Träumen und stiften große Verwirrung, und zuweilen erscheinen sie auch als alte Frauen und saugen den kleinen Kindern das Blut aus. Doch all diese bösen Geister und dunklen Elemente können die Klangschwingung von Gottes heiligem Namen nicht ertragen und meiden einen Ort, wo der heilige Name gechantet wird. Mutter Yaśodā war von den vedischen Unterweisungen fest überzeugt, die besagen, wie wichtig die Kühe und der heilige Name Viṣṇus sind, und deshalb suchte sie bei den Kühen und den Namen Viṣṇus Zuflucht, um ihr Kind zu schützen. Sie chantete alle heiligen Namen Viṣṇus im Vertrauen, daß Er ihr Kind behüten werde. Schon vom Beginn der Weltgeschichte an ist das Halten von Kühen und das Chanten der heiligen Namen Viṣṇus ein wesentlicher Teil der vedischen Kultur. Menschen, die noch den Veden folgen, besonders die Haushälter unter ihnen, halten sich daher meistens ein Dutzend Kühe und verehren die transzendentale Bildgestalt Viṣṇus, die sie in ihrem Hause aufgestellt haben. Die älteren gopīs von Gokula liebten Kṛṣṇa so sehr, daß sie Ihn beschützen wollten, obwohl dies überhaupt nicht notwendig war, da Er Sich bereits selbst geholfen hatte. Sie ahnten nicht, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott war, der wie ein gewöhnliches Kind spielte. Nachdem sie die Rituale beendet hatten, nahm Mutter Yaśodā Kṛṣṇa auf den Schoß und gab Ihm ihre Brust. Da ihr Kind nun von den Namen Viṣṇus beschützt war, fühlte Mutter Yaśodā sich beruhigt. Unterdessen waren die Kuhhirten aus Mathurā zurückgekehrt. Sie waren sehr überrascht, als sie den gigantischen Körper Pūtanās sahen, und Nanda Mahārāja erinnerte sich an die Prophezeiung Vasudevas und dachte, dieser müsse wohl ein großer Weiser oder mystischer yogī sein, denn wie hätte er sonst einen Vorfall voraussagen können, der während seiner Abwesenheit in Gokula geschah. Die Dorfbewohner schnitten den ungeheuren Leib Pūtanās in Stücke und stapelten die Teile mit Holz zu einem Haufen auf, den sie dann in Brand setzten. Als die Gließmaßen von Pūtanās Körper brannten, verbreitete der Rauch, der vom Feuer aufstieg, einen angenehmen Duft – weil Pūtanā nämlich von Kṛṣṇa getötet worden war, war die Dämonin von all ihren Sünden gereinigt worden und hatte einen spirituellen Körper erlangt. Dieses Beispiel zeigt, daß der Höchste Persönliche Gott allgütig ist: Pūtanā hatte die Absicht, Kṛṣṇa zu töten, aber weil sie Ihm ihre Milch zu trinken gab, wurde sie augenblicklich geläutert, und ihr toter Körper nahm transzendentale Eigenschaften an. Sie liebte es, kleine Kinder zu töten und ihnen das Blut auszusaugen, und obwohl sie zu Kṛṣṇa in böser Absicht kam, wurde sie befreit, da sie Ihm ihre Brust gab. Was soll man dann erst von denen sagen, die Kṛṣṇa als Mutter oder Vater lieben? Die reinen Gottgeweihten dienen Kṛṣṇa ständig mit großer Liebe und Hingabe, denn Er ist der Höchste Persönliche Gott, die Überseele, die in jedem Lebewesen weilt. Man kann also am Beispiel der Hexe Pūtanā sehen, daß schon der kleinste Energieaufwand, den man für den Dienst des Herrn aufbringt, unermeßlichen Nutzen einträgt. Dies wird in der Bhagavad-gītā wie folgt erklärt: svalpam apy asya dharmasya. Hingebungsvolles Dienen im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist so erhaben, daß schon der kleinste Dienst für Kṛṣṇa – sei er bewußt oder unbewußt ausgeführt – größte Vorteile bringt. Wenn Kṛṣṇa Blüten und Früchte geopfert werden, dann erfährt auch das Lebewesen, das den Körper des Baumes besitzt, von dem sie stammen, indirekt großen Nutzen. Die arcanā-Verehrung, d. h., die Verehrung Kṛṣṇas in Seiner transzendentalen Bildgestalt, kommt also jedem Lebewesen zugute. Kṛṣṇa wird von allen großen Halbgöttern wie Brahmā und Śiva verehrt, und Pūtanā hatte das Glück, daß derselbe Kṛṣṇa als kleines Kind auf ihrem Schoß spielte. Seine Lotosfüße, die von allen großen Weisen und Gottgeweihten verehrt wurden, setzte er auf den Körper Pūtanās. Die Menschen verehren Kṛṣṇa und opfern Ihm Speisen, doch Er trank von Sich aus die Milch von Pūtanās Brust. Im Gebet eines Gottgeweihten heißt es deshalb: Wenn Pūtanā so sehr gesegnet wurde, obwohl sie Kṛṣṇa etwas in Feindschaft anbot, wie kann man dann den Nutzen ermessen, den man erfährt, wenn man Kṛṣṇa mit Liebe und Hingabe verehrt? Man sollte Kṛṣṇa in jedem Fall verehren – und wenn auch nur, weil man sich einen großen Gewinn davon verspricht. Obwohl Pūtanā eine Hexe war, erlangte sie, genau wie die Mutter des Höchsten Persönlichen Gottes, Befreiung. Es ist daher selbstverständlich, daß auch die Kühe und die gopīs, die Kṛṣṇa ihre Milch gaben, zur transzendentalen Ebene erhoben wurden. Kṛṣṇa kann jedem alles nur Denkbare gewähren – von materieller Freude bis hin zur Befreiung. Daher kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Pūtanā, an deren Brust Kṛṣṇa saugte, befreit wurde. Und erst recht steht es außer Frage, daß die gopīs, die Kṛṣṇa so sehr liebten, Befreiung erlangten. Alle gopīs und Kuhjungen, die Kṛṣṇa in Gokula mit Liebe und Zuneigung dienten, wurden von den leidvollen Bedingungen des materiellen Daseins erlöst. Als die Einwohner von Gokula den Wohlgeruch bemerkten, der von dem brennenden Körper Pūtanās aufstieg, fragten sie sich, woher dieser Duft komme. Und während sie sich darüber unterhielten, begannen sie zu verstehen, daß es der Rauch der brennenden Pūtanā war, der so wunderbar duftete. Sie liebten Kṛṣṇa sehr, und als sie hörten, daß die Hexe Pūtanā von Kṛṣṇa getötet worden war, gaben sie Ihm in ihrer großen Zuneigung ihren Segen. Als Nanda Mahārāja nach Hause kam, nahm er Kṛṣṇa sofort auf Seinen Schoß und roch an Seinem Köpfchen. Er war so froh, daß sein Sohn diese große Gefahr heil überstanden hatte. Śrīla Śukadeva Gosvāmī hat alle Menschen gesegnet, die die Geschichte hören, wie Pūtanā von Kṛṣṇa getötet wurde. Sie werden mit Sicherheit die Gunst Govindas erlangen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 6. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa tötet die Hexe Pūtanā«. 7. KAPITEL Die Erlösung Tṛṇāvartas Der Höchste Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa, birgt ewiglich sechs transzendentale Füllen in sich: vollkommenen Reichtum, vollkommene Macht, vollkommenen Ruhm, vollkommenes Wissen, vollkommene Schönheit und vollkommene Entsagung. Der Herr erscheint in verschiedenen ewigen Inkarnationen, die all diese Qualitäten besitzen. Der bedingten Seele bieten sich also viele Möglichkeiten, über die transzendentalen Spiele zu hören, die der Herr in diesen verschiedenen Inkarnationen offenbart. In der Bhagavad-gītā heißt es in diesem Zusammenhang: janma karma ca me divyam. »Die Spiele und Aktivitäten des Herrn sind nicht materiell.« Sie befinden sich jenseits des materiellen Vorstellungsvermögens der bedingten Seele, doch wenn man von Seinen ungewöhnlichen Taten hört, kann man einen sehr großen Nutzen erfahren. Über den Herrn zu hören, ist eine Gelegenheit, mit dem Herrn zusammenzukommen. Von Seinen Taten einfach nur zu hören, bedeutet schon, zur transzendentalen Ebene erhoben zu werden. Die bedingte Seele hat die natürliche Neigung, über andere bedingte Seelen in Form von Geschichten, Dramen oder Novellen zu hören. Diese Neigung, sich mit dem Tun anderer zu beschäftigen, sollte dazu verwendet werden, von den Spielen des Herrn zu hören, denn auf diese Weise kann man augenblicklich zur Ebene der Transzendenz erhoben werden. Kṛṣṇas Spiele sind nicht nur außergewöhnlich und wunderbar, sondern haben auch eine wohltuende Wirkung auf unser Gemüt. Wenn jemand von den transzendentalen Spielen des Herrn hört, kann der materielle Unrat, der sich durch den langen Aufenthalt in der materiellen Welt in seinem Herzen angesammelt hat, augenblicklich fortgewaschen werden. Auch Śrī Caitanya sagte, daß man durch das Hören der transzendentalen Namen Śrī Kṛṣṇas das Herz von allen materiellen Verunreinigungen befreien kann. Es gibt viele verschiedene Vorgänge zur Selbstverwirklichung, doch hingebungsvolles Dienen – bei dem das Hören über Kṛṣṇa die wichtigste Handlung ist – kann die bedingte Seele sehr schnell von allen materiellen Verunreinigungen befreien, so daß sie ihre ursprüngliche, wesenseigene Position erkennen kann. Das bedingte Leben in der Materie hat seine Ursache einzig und allein in solcher Verunreinigung. Sobald jedoch der materielle Staub entfernt ist, erwacht die natürliche, schlafende Funktion des Lebewesens, die darin besteht, dem Herrn in Hingabe zu dienen. Wenn man seine ewige Beziehung zum Herrn wiedererweckt, schließt man auch mit den Geweihten des Herrn Freundschaft. Mahārāja Parīkṣit empfahl aus eigener Erfahrung, daß jeder von den transzendentalen Spielen des Höchsten hören solle. Dieses Buch über Kṛṣṇa dient eben diesem Zweck, und der Leser tut gut dārān, die Gelegenheit zu nutzen und das endgültige Ziel des menschlichen Lebens zu erreichen. Der Herr erscheint aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit in der materiellen Welt und entfaltet Seine Aktivitäten, die denen eines gewöhnlichen Menschen gleichen. Unglücklicherweise halten die gottlosen Menschen, die Atheisten, Kṛṣṇa für einen gewöhnlichen Menschen, für einen der ihren, und verspotten Ihn. Diese Haltung wird in der Bhagavad-gītā vom Herrn Selbst verurteilt: Avajānanti māṁ mūḍhāh. »Die mūḍhas, die Schurken, halten Mich für einen gewöhnlichen Menschen, oder für einen, der ein wenig mächtiger ist als sie selbst. Zu ihrem Unglück können sie Mich nicht als den Höchsten Persönlichen Gott anerkennen.« Manchmal behaupten solche unglückseligen Menschen sogar, sie selbst seien eine Inkarnation Kṛṣṇas, ohne sich jedoch auf die autorisierten Schriften beziehen zu können. Als Kṛṣṇa etwas älter wurde, begann Er Sich eines Tages vom Rücken auf den Bauch zu drehen. In dieser Zeit jährte sich auch Sein Geburtstag zum erstenmal, und Mutter Yaśodā und Nanda Mahārāja bereiteten eine Geburtstagfeier für Kṛṣṇa vor. Dieser Tag, der als Janmāṣṭamī bekannt ist, wird auch heute noch von den Anhängern der vedischen Prinzipien und von allen Hindus gefeiert, ungeachtet ihrer unterschiedlichen sektiererischen Ansichten. Alle Kuhhirten und ihre Frauen wurden eingeladen, an dieser Feier teilzunehmen, und sie erschienen mit großem Jubel. Schöne Musik wurde gespielt, die alle Anwesenden in freudige Stimmung versetzte, und auch die gelehrten brāhmaṇas des Ortes waren eingeladen worden und chanteten vedische Hymnen, um Kṛṣṇa eine gute Zukunft zu wünschen. Während die vedischen Hymnen gechantet wurden und die Musiker spielten, wurde Kṛṣṇa von Mutter Yaśodā gebadet. Diese Badezeremonie wird »abhiṣeka« genannt und wird auch heute noch in allen Tempeln von Vṛndāvana an Janmāṣtami, d. h. am Geburtstag Kṛṣṇas, durchgeführt. Mutter Yaśodā ließ eine große Menge Getreide verteilen, und es wurden die besten, mit goldenen Halsketten geschmückten Kühe bereitgestellt, die den gelehrten und ehrwürdigen brāhmaṇas als Spende übergeben werden sollten. Nachdem Mutter Yaśodā ihr Bad genommen und ihre schönsten Kleider angelegt hatte, nahm sie den frischgebadeten und frischgekleideten Kṛṣṇa auf den Arm und setzte sich mit Ihm zu den brāhmaṇas, um dem Chanten der vedischen Hymnen zuzuhören. Während sie den brāhmaṇas zuhörte, wurde der kleine Kṛṣṇa sehr müde, und so legte Mutter Yaśodā Ihn behutsam schlafen. Da sie voll und ganz damit in Anspruch genommen war, Freunde, Verwandte und die Einwohner von Gokula zu empfangen, vergaß sie, dem Kind die Brust zu geben. Als Kṛṣṇa nach einiger Zeit erwachte, war Er sehr hungrig und begann zu schreien, doch Mutter Yaśodā konnte Ihn in all dem Trubel nicht hören. Als Seine Mutter Ihm keine Aufmerksamkeit schenkte, wurde Kṛṣṇa sehr zornig; Er streckte Seine Beinchen von Sich und begann mit Seinen Lotosfüßen wie ein gewöhnliches Kind zu strampeln. Mutter Yaśodā hatte Ihn unter einen Handkarren gelegt, und als Kṛṣṇa mit Seinen Beinen in die Luft stieß, berührte Er zufällig das Rad des Wagens, das zerbrach, worauf der Karren zusammenstürzte. Das Messing- und Metallgeschirr und die verschiedenen Gegenstände, die auf dem Handkarren gestapelt waren, fielen unter großem Getöse herunter; das Rad löste sich von der Achse, und die zerbrochenen Speichen wurden überallhin verstreut. Mutter Yaśodā und alle gopīs sowie Mahārāja Nanda und die Kuhhirten eilten sogleich herbei und waren sehr erstaunt, als sie den zerbrochenen Wagen sahen. Sie stellten Vermutungen an, wie der Karren hatte zusammenstürzen können, doch niemand konnte die Ursache herausfinden. Einige kleine Kinder, denen Kṛṣṇa zur Aufsicht anvertraut worden war, teilten den Umstehenden mit, der Karren sei plötzlich umgefallen, weil Kṛṣṇa mit Seinen Füßen gegen das Rad getreten habe. Sie versicherten, daß sie dies mit eigenen Augen gesehen hätten, und beteuerten, daß sie die reine Wahrheit sprachen. Einige glaubten den Kindern, doch andere sagten, »wie kann man nur den Worten kleiner Kinder Glauben schenken?« Die Kuhhirten und Kuhhirtinnen konnten nicht verstehen, daß der Allmächtige Persönliche Gott vor ihnen als Säugling lag und alles tun konnte, was Ihm beliebte. Das Mögliche wie das Unmögliche standen in Seiner Macht. Inmitten der Diskussion begann Kṛṣṇa plötzlich zu weinen, und so nahm Mutter Yaśodā ohne weitere Überlegungen das Kind auf ihren Schoß und rief die gelehrten brāhmaṇas zusammen, um sie heilige vedische Hymnen zum Schutz gegen böse Geister chanten zu lassen. Zur selben Zeit gab sie dem Baby ihre Brust. Wenn ein Kind an der Brust der Mutter saugt, kann man sicher sein, daß es sich außer Gefahr befindet. Die Kuhhirten reparierten den zerbrochenen Karren und legten alle Gegenstände, die verstreut herumlagen, wieder an ihren alten Platz. Die brāhmaṇas begannen dann, im Opferfeuer Butter, Yoghurt, kuśa-Gras und Wasser darzubringen. Sie verehrten den Höchsten Persönlichen Gott, um auf diese Weise das Schicksal des Kindes günstig zu beeinflussen. Die brāhmaṇas, die bei der Zeremonie zugegen waren, besaßen alle erforderlichen guten Eigenschaften und waren daher sehr qualifiziert. Sie waren niemals neidisch, sprachen stets die Wahrheit, waren niemals stolz, waren gewaltlos und beanspruchten niemals falsches Ansehen. Sie waren echte brāhmaṇas, und deshalb brauchte niemand zu befürchten, daß ihre Segnungen wirkungslos bleiben würden. Nanda Mahārāja, der festes Vertrauen in die brāhmaṇas hatte, nahm sein Kind zu sich auf den Schoß, und während die brāhmaṇas Hymnen aus dem Ṛg-, Yajus- und Sāma-veda chanteten, badete er Kṛṣṇa in Wasser, das mit verschiedenen Kräutern vermischt war. Es wird gesagt, daß man die mantras der Veden nicht chanten soll, solange man kein qualifizierter brāhmaṇa ist; doch die bei der Geburtstagsfeier Kṛṣṇas anwesenden brāhmaṇas besaßen alle brahmanischen Qualifikationen, und daher hatte Mahārāja Nanda großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten und hatte ihnen erlaubt, die rituellen Zeremonien durchzuführen. Es gibt viele verschiedene Opfer, die für verschiedene Zwecke empfohlen werden, doch die dazu erforderlichen mantras müssen von qualifizierten brāhmaṇas gechantet werden. Da es im gegenwärtigen Zeitalter, dem Kali-yuga, keine qualifizierten brāhmaṇas mehr gibt, sind alle vedischen Opfer verboten. Śrī Caitanya Mahāprabhu hat aus diesem Grunde nur ein einziges Opfer für diese Zeit empfohlen: den saṅkīrtana-yajña, das Chanten des Hare Kṛṣṇa mahā-mantras: »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Als die brāhmaṇas die vedischen Hymnen zum zweitenmal chanteten und bei der Durchführung der Rituale angelangt waren, beschenkte Nanda Mahārāja sie mit einer riesigen Menge Getreide und vielen Kühen. Alle Kühe waren mit wunderschönen, goldverzierten Decken geschmückt, ihre Hörner waren vergoldet, die Hufe mit Silberplatten beschlagen, und um ihre Nacken hingen duftende Blumengirlanden. Nanda Mahārāja spendete die vielen Kühe zum Wohl seines wunderbaren Sohnes, und die brāhmaṇas gaben dem Kind daraufhin ihre von Herzen kommenden Segnungen. Man sollte verstehen, daß die Segnungen, die ein qualifizierter brāhmaṇa erteilt, niemals unwirksam sind. Als Mutter Yaśodā einige Tage später ihr Kind auf dem Schoß hielt und liebkoste, wurde ihr das Baby zu schwer, und so setzte sie Es auf den Boden. Kurz darauf ging sie ins Haus, um weiter ihren Haushaltspflichten nachzugehen. Zu dieser Zeit erschien Tṛṇāvarta, ein Diener Kaṁsas, auf Befehl seines Herrn als Wirbelsturm in der friedlichen Atmosphäre von Gokula. Er nahm das Kind auf seine Schultern und verursachte einen großen Sandsturm über dem Dorf. Schon nach kurzer Zeit war das gesamte Gebiet von Gokula in eine dunkle Staubwolke gehüllt, so daß man nicht einmal mehr seine Hand vor Augen sehen konnte. Als Mutter Yaśodā nach verzweifelter Suche ihr Baby nicht finden konnte, begann sie mitleiderregend zu weinen und fiel zu Boden, wie eine Kuh, die ihr Kalb verloren hat. Sofort kamen alle Kuhhirtinnen herbeigelaufen und begannen nach dem kleinen Kṛṣṇa zu suchen, doch auch ihr Bemühen blieb erfolglos – sie konnten das Kind nirgends finden. Der Tṛṇāvarta-Dämon, der Kṛṣṇa auf seinen Schultern entführte, stieg hoch in den Himmel, doch plötzlich nahm das Baby ein solches Gewicht an, daß er nicht mehr höher fliegen konnte. Kṛṣṇa machte sich noch schwerer und drückte den Dämon durch Sein Gewicht herunter. Tṛṇāvarta fühlte, wie das Baby so schwer wie ein Berg wurde, und versuchte, Seiner Gewalt zu entkommen; doch obwohl seine Augen vor Anstrengung aus den Höhlen sprangen, war es ihm nicht möglich, Kṛṣṇa zu entgehen. Wild schreiend fiel er vom Himmel (genau wie einstmals Tripurāsura, als er von einem Pfeil Śivas durchbohrt wurde), schlug auf den Steinboden auf, so daß seine Glieder zerschmettert wurden, und hauchte sein Leben aus. Alle Einwohner von Gokula liefen aufgeregt zu der Stelle, wo Tṛṇāvarta lag, und als die gopīs bemerkten, daß der Dämon tot war und Kṛṣṇa unbekümmert auf seinem Körper spielte, nahmen sie Kṛṣṇa sogleich liebevoll in ihre Arme und drückten Ihn an sich. Die Kuhhirten und ihre Frauen waren sehr glücklich, daß ihr geliebtes Kind unversehrt geblieben war, und so sagten sie: »Ist es nicht wunderbar, daß der Dämon, der Kṛṣṇa entführte, um Ihn zu verschlingen, selbst sein Leben lassen mußte? Es geschieht ihm ganz recht, daß er getötet wurde, denn diejenigen, die zu sündig sind, sterben an den Folgen ihrer Sünden; Kṛṣṇa dagegen ist sehr fromm gewesen und wurde daher vor allen Gefahren bewahrt. Auch wir haben sicherlich in unserem vorherigen Leben große Opfer gebracht, den Höchsten Persönlichen Gott verehrt, viele Spenden gegeben und waren zum Wohl aller Menschen tätig. Nur weil wir so fromm waren, ist das Kind vor allen Gefahren bewahrt worden.« Auch die gopīs sprachen in dieser Weise. Sie sagten: »Wie groß müssen unsere Entbehrungen gewesen sein, die wir in unserem letzten Leben auf uns genommen haben. Wir haben bestimmt den Höchsten Persönlichen Gott verehrt, verschiedene Opfer dargebracht, große Spenden gegeben und viel für die Allgemeinheit getan wie Banyanbäume gepflanzt und Brunnen ausgegraben. Als Belohnung für diese frommen Taten haben wir unser Kind zurückbekommen, das wir bereits für tot hielten.« Alle diese wunderbaren Ereignisse ließen Nanda Mahārāja immer wieder an die Worte Vasudevas denken. Als Mutter Yaśodā wieder einmal ihr Kind säugte und es mit großer Zuneigung liebkoste, strömte übermäßig viel Milch aus ihrer Brust, und als sie daraufhin mit den Fingern den Mund des Kindes öffnete, sah sie plötzlich die universale Manifestation. Sie sah im Munde Kṛṣṇas den gesamten Himmel, einschließlich aller Planeten und Sterne; sie sah die Sonne, den Mond, Feuer, Luft, Meere, Inseln, Berge, Flüsse, Wälder und alle sich bewegenden und sich nicht bewegenden Lebewesen. Als sie dieser Dinge gewahr wurde, begann ihr Herz schneller zu schlagen, und sie flüsterte: »Oh, wie wunderbar dies alles ist.« Sie war sprachlos vor Staunen, schloß die Augen und versank in wunderbare Gedanken. Daß Kṛṣṇa Seine universale Form sogar zeigte, als Er noch auf dem Schoß Seiner Mutter lag, beweist, daß der Höchste Persönliche Gott immer und zu jeder Zeit der Höchste Persönliche Gott ist – ganz gleich ob Er als Kind auf dem Schoß Seiner Mutter spielt oder auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra den Streitwagen Arjunas lenkt. Hiermit ist bewiesen, daß das Hirngespinst der Unpersönlichkeitsanhänger falsch ist, die glauben, man könne durch Meditation oder künstliche materielle Tätigkeiten Gott werden. Gott ist immer Gott – unter allen Umständen –, und die Lebewesen sind immer Seine winzigen Teile. Sie können niemals dem Allmächtigen Höchsten Persönlichen Gott gleichkommen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 7. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Erlösung Tṛṇāvartas«. 8. KAPITEL Die Vision der universalen Form Nach diesem Ereignis bat Vasudeva seinen Familienpriester Gargamuni, Nanda Mahārāja zu besuchen, um die Zukunft Kṛṣṇas astrologisch zu berechnen. Gargamuni war ein großer Heiliger, der viele Entbehrungen und Bußen auf sich genommen hatte. Als er im Hause Nanda Mahārājas eintraf, freute sich Nanda sehr, ihn zu sehen, und stand sofort mit gefalteten Händen auf, um ihm seine Ehrerbietungen zu erweisen. Er empfing Gargamuni mit dem gleichen Respekt, der dem Höchsten Persönlichen Gott gebührt. Er bot ihm einen bequemen Sitz an, und nachdem sich Gargamuni niedergelassen hatte, hieß ihn Nanda Mahārāja mit herzlichen Worten willkommen. Er sagte: »Mein lieber brāhmaṇa, Du erscheinst im Hause eines Haushälters nur, um Erleuchtung zu bringen. Wir Haushälter sind immer so sehr mit unserer Familie beschäftigt, daß wir darüber unsere eigentliche Pflicht vergessen, nämlich nach Selbstverwirklichung zu streben. Wenn Du zu uns kommst, willst Du uns in spirituellem Leben unterweisen; Du hast kein anderes Ziel, wenn Du die Haushälter besuchst.« Es ist die Pflicht eines Heiligen, die Haushälter zu besuchen, die gewöhnlich tief in Geldangelegenheiten stecken, um sie aus dem Schlummer des Familienlebens zu erwecken. Man wird sich vielleicht fragen, warum die Haushälter nicht selbst zu einem Heiligen oder einem brāhmaṇa gehen, um sich erleuchten zu lassen; nun, die Haushälter sind im allgemeinen sehr engstirnig und glauben, es sei ihre vornehmste Pflicht, sich um ihre Familie zu kümmern. Selbstverwirklichung oder Erleuchtung im spirituellen Wissen halten sie für weniger wichtig. Daher kommen die Heiligen oder die brāhmaṇas aus Mitleid zu den Haushältern. Nanda Mahārāja bezeichnete Gargamuni auch als große Autorität in der astrologischen Wissenschaft. Die Voraussagen der Astrologie, wie z. B. der Zeitpunkt einer Sonnen- oder Mondfinsternis, beruhen auf genauen Berechnungen, und durch diese Wissenschaft kann man seine Zukunft klar vor sich sehen. Gargamuni war auf diesem Gebiet sehr erfahren. Mit Hilfe der Astrologie kann man auch feststellen, was man in seinem vorherigen Leben getan hat und welche Ergebnisse man im jetzigen Leben genießen oder erleiden wird. Nanda Mahārāja nannte Gargamuni auch »den Besten der brāhmaṇas.« Ein brāhmaṇa ist derjenige, der mit dem Wissen vom Brahman vertraut ist. Ohne Wissen über die Absolute Wahrheit zu besitzen, kann man nicht als brāhmaṇa bezeichnet werden. Das genaue Wort, das in diesem Zusammenhang gebraucht wird, lautet »brahmavidām«, was soviel bedeutet, wie »diejenigen, die den Höchsten sehr gut kennen.« Ein erfahrener brāhmaṇa kann den untergeordneten Kasten, den kṣatriyas und vaiśyas, die Möglichkeit zur Reinigung geben; die śūdras kümmern sich nicht um solche Rituale. Die brāhmaṇas gelten als die geistigen Meister der kṣatriyas und vaiśyas und erfüllen auch alle priesterlichen Aufgaben. Nanda Mahārāja war ein vaiśya, und daher sah er Gargamuni als seinen geistigen Meister an. Er holte seine beiden Pflegesöhne, Kṛṣṇa und Balarāma, und bat ihn, sie der üblichen Reinigungszeremonie zu unterziehen. Er war der Meinung, daß nicht nur seine beiden Söhne, sondern alle Menschen gleich nach der Geburt einen qualifizierten brāhmaṇa als geistigen Meister annehmen sollten. Auf Nandas Bitte hin antwortete Gargamuni: »Vasudeva hat mich geschickt, damit ich die Reinigungsvorgänge für die beiden Knaben, ganz besonders für Kṛṣṇa, durchführe. Ich bin der Familienpriester der Yadu-Dynastie, und, nebenbei bemerkt, mir scheint, als sei Kṛṣṇa der Sohn Devakīs.« Anhand seiner astrologischen Berechnungen wußte Gargamuni, daß Kṛṣṇa der Sohn Devakīs war und daß Er der Obhut Nandas anvertraut worden war, ohne daß dieser davon wußte. Er deutete an, daß sowohl Kṛṣṇa als auch Balarāma die Söhne Vasudevas seien. Es war allgemein bekannt, daß Balarāma der Sohn Vasudevas war, denn seine Mutter Rohiṇī wohnte in Gokula; doch Nanda Mahārāja hatte keine Ahnung, daß auch Kṛṣṇa der Sohn seines Freundes war. Gargamuni deutete also indirekt an, daß Kṛṣṇa der Sohn Devakīs sei, und warnte Nanda Mahārāja gleichzeitig vor Kaṁsa, der sehr sündig war und durch die Reinigungszeremonie bestimmt erfahren würde, daß Kṛṣṇa der Sohn Devakīs und Vasudevas war. Obwohl jeder glaubte, Devakīs achtes Kind sei ein Mädchen gewesen, konnte Devakī nach astrologischen Berechnungen unmöglich eine Tochter zur Welt gebracht haben. Auf diese Weise enthüllte Gargamuni Nanda Mahārāja, daß die Tochter Devakīs in Wirklichkeit von Yaśodā geboren und daß Kṛṣṇa, der Sohn Devakīs, später gegen dieses Kind ausgetauscht worden war. Auch hatte das weibliche Kind, das in Wirklichkeit die Göttin Durgā war, Kaṁsa darüber informiert, daß das Kind, welches ihn töten würde, bereits anderwärts geboren worden sei. Gargamuni fuhr fort: »Wenn du deinem Kind einen Namen gibst und es die Prophezeihung erfüllt, die Durgā Kaṁsa verkündet hat, wird der sündige Dämon nicht zögern, hierher zu kommen und das Kind gleich nach der Namengebung zu töten. Ich möchte nicht für all dieses zukünftige Unheil verantwortlich sein.« Nachdem Nanda die Worte Gargamunis gehört hatte, sagte er: »Wenn die Situation derart gefährlich ist, ist es wohl besser, keine öffentliche Namengebungszeremonie zu feiern. Es ist vielleicht klüger, wenn Du einfach die erforderlichen vedischen Hymnen chantest und die Reinigungsvorgänge in aller Stille vollziehst. Wir gehören zur zweitgeborenen Kaste; daher möchte ich Deine Anwesenheit nutzen. Bitte führe also die Namengebungszeremonie ohne großes Aufsehen durch.« Nanda Mahārāja wollte die Zeremonie so geheim wie möglich halten, doch zur gleichen Zeit die günstige Gelegenheit, die die Anwesenheit Gargamunis bot, nutzen und die Feierlichkeit von ihm durchführen lassen. Als Gargamuni so inständig von Nanda Mahārāja gebeten wurde, vollzog er die Namengebungszeremonie unauffällig im Kuhstall Nandas. Er teilte ihm mit, daß Balarāma, der Sohn Rohiṇīs, seinen Familienmitgliedern und Verwandten sehr viel Freude bereiten und deswegen auch Rāma genannt werden würde. Außerdem werde Er einmal ungewöhnlich stark sein und deshalb auch Balarāma heißen. Gargamuni sagte weiter: »Weil Deine Familie so eng mit der Familie der Yadus verbunden ist und Ihr Euch so gut versteht, wird man Ihn auch Saṅkarṣaṇa nennen. Gargamuni gab dem Sohne Rohiṇīs drei Namen: Balarāma, Saṅkarṣaṇa und Baladeva. Doch er sagte vorsichtshalber nichts davon, daß Balarāma ebenfalls im Schoße Devakīs erschien und daraufhin in den Schoß Rohiṇīs versetzt worden war. Kṛṣṇa und Balarāma sind wirkliche Brüder, denn Sie sind ursprünglich die Söhne Devakīs. Gargamuni gab Nanda Mahārāja weitere Informationen: »Was den anderen Jungen betrifft, so ist Er in den verschiedenen yugas (Zeitaltern) mit unterschiedlicher Hautfarbe erschienen. Zuerst erschien Er mit weißer Haut, danach mit roter, dann mit gelber, und nun ist Er mit schwarzer Hautfarbe erschienen. Er wurde schon früher einmal als der Sohn Vasudevas geboren, und deshalb soll Er Vāsudeva und Kṛṣṇa heißen. Manche Menschen werden Ihn Kṛṣṇa nennen und andere Vāsudeva. Noch eines sollst Du wissen: Dieses Kind hat noch viele andere Namen, und es hat in Seinen unzähligen Geburten bereits viele göttliche Spiele offenbart. Gargamuni gab Nanda Mahārāja einen weiteren Hinweis: Dein Sohn wird auch Giridharī genannt werden, denn Er wird als eines Seiner transzendentalen Spiele den Govardhana-Hügel hochheben.« Da Gargamuni Einblick in Vergangenheit und Zukunft hatte, fuhr er fort: Ich kenne als einziger alle Seine Spiele und Namen; andere wissen nichts davon. Das Kind wird allen Kuhhirten und Kühen sehr viel Freude bereiten; Es wird in Vṛndāvana berühmt sein und dir viel Glück bringen. Durch Seine Anwesenheit wirst Du trotz vieler Hindernisse alle materiellen Schwierigkeiten überwinden. Gargamuni sagte weiter: »Mein lieber König von Vraja, in Seinen früheren Leben hat dieses Kind viele Male, wenn Gottlosigkeit überhandnahm, die rechtschaffenen Menschen vor den Räubern und Schurken beschützt. Dein Kind ist so mächtig, daß jeder, der Sein Geweihter wird, vor Feinden sicher ist. So wie die Halbgötter immer von Viṣṇu beschützt werden, so werden die Geweihten deines Sohnes immer von Nārāyaṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, vor allen Gefahren bewahrt werden. Dieses Kind wird an Macht, Schönheit und Reichtum Nārāyaṇa in jeder Hinsicht gleichkommen. Deshalb gebe ich Dir den Rat, Deinen Sohn sorgfältig zu behüten, so daß Er ungestört aufwachsen kann. Weil Du ein Geweihter Nārāyaṇas bist, hat Dieser dich mit einem Sohn gesegnet, der Ihm Selbst ebenbürtig ist. Dein Sohn wird von vielen Dämonen angegriffen werden; sei also vorsichtig und beschütze Ihn.« Auf diese Weise überzeugte Gargamuni Nanda Mahārāja davon, daß Nārāyaṇa persönlich sein Sohn geworden war. Er beschrieb in vielen Einzelheiten die transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas, und nachdem er so gesprochen hatte, kehrte er nach Hause zurück. Nanda Mahārāja hielt sich für den glücklichsten Menschen der Welt und war sehr zufrieden, so gesegnet worden zu sein. Kurz danach begannen Kṛṣṇa und Balarāma auf Händen und Knien umherzukriechen, was Ihre Mütter mit großer Freude erfüllte. Die Glöckchen an Ihren Hüften und Gelenken bezauberten jeden mit ihrem wunderschönen Klingeln. Manchmal wurden Sie genau wie gewöhnliche Kinder von anderen erschreckt, worauf Sie sogleich zu Ihren Müttern flohen, um bei ihnen Schutz zu suchen. Oft fielen Sie auch in den Schlamm und kamen dann über und über mit Lehm und Safran beschmiert nach Hause. Eigentlich waren Sie von Ihren Müttern mit Safran und Sandelholzpaste eingerieben worden, doch weil sie im schlammigen Lehm gespielt hatten, waren ihre Körper ganz voll Lehm. Sowie sie zu Yaśodā und Rohiṇī kamen, nahmen diese ihre beiden Kinder auf den Schoß, legten sich ein Tuch auf den unteren Teil ihres saris und gaben ihnen die Brust. Als die Kinder an ihren Brüsten saugten, fühlten die Mütter, daß bereits die ersten Zähnchen kamen, und so steigerte sich ihre Freude nur noch mehr, da sie sahen, daß ihre Kinder heranwuchsen. Manchmal krabbelten die beiden auch zum Kuhstall, ergriffen den Schwanz eines Kalbes und zogen Sich daran hoch. Die erschreckten Kälber begannen sofort, wild durcheinanderzulaufen, und zogen die Kinder durch Kuhfladen und Schlammpfützen hinter sich her. Wenn Yaśodā und Rohiṇī dies sahen, riefen sie sogleich ihre Nachbarinnen, die gopīs, herbei, damit alle diesen Spaß miterleben konnten. Als die gopīs die Spiele Kṛṣṇas und Balarāmas sahen, wurden sie in transzendentale Glückseligkeit getaucht, und in ihrer übergroßen Freude lachten sie aus vollem Halse. Kṛṣṇa und Balarāma waren so unruhig, daß ihre Mütter ständig damit zu tun hatten, sie vor Kühen, Stieren, Affen, Vögeln, Wasser und Feuer zu schützen, während sie gleichzeitig ihren Haushaltspflichten nachkommen mußten. Weil sie ständig ängstlich darum bemüht waren, auf die Kinder aufzupassen und gleichzeitig ihre übrigen Pflichten zu erfüllen, waren beide Mütter immer in Aufregung. Schon nach kurzer Zeit begannen Kṛṣṇa und Balarāma, Sich auf Ihre Beinchen zu stellen und unbeholfen hin und her zu tapsen. Als Sie Ihre ersten Gehversuche machten, schlossen sich Ihnen einige gleichaltrige Freunde an, und so bereiteten sie alle den gopīs, ganz besonders aber Mutter Yaśodā und Mutter Rohiṇī, transzendentale Freude. Alle Freundinnen von Yaśodā und Rohiṇī hatten ihre Freude an den frechen, kindlichen Spielen Kṛṣṇas und Balarāmas. Um noch größere transzendentale Glückseligkeit zu erfahren, trafen sie sich eines Tages alle und gingen zu Mutter Yaśodā, um sich bei ihr über die ungezogenen Jungen zu beklagen. Als Kṛṣṇa gerade vor Mutter Yaśodā auf dem Boden saß, begannen die älteren gopīs ihre Klagen gegen Ihn vorzubringen, so daß auch Er sie hören konnte. Sie sagten: »Liebe Yaśodā, warum läßt du deinen frechen Sohn Kṛṣṇa tun und lassen, was Er will? Er kommt jeden Abend und Morgen, bevor die Kühe gemolken werden, zusammen mit Balarāma zu unseren Häusern und bindet die Kälber los, die natürlich sofort zu den Kühen laufen und deren Milch trinken. Wenn wir dann die Kühe melken wollen, finden wir, daß ihre Euter leer sind, und so müssen wir mit leeren Eimern und Töpfen zurückkehren. Wenn wir dann Kṛṣṇa und Balarāma schelten, nicht noch einmal so etwas zu tun, lächeln Sie einfach nur zauberhaft. Wir fühlen uns so hilflos; auch bereitet es Kṛṣṇa und Balarāma große Freude, unseren Yoghurt und unsere Buttervorräte zu stibitzen. Wir können unsere Vorräte nicht vor Ihnen verstecken; ganz gleich, wo wir sie auch aufbewahren, die beiden finden sie immer. Wenn wir Sie dann ertappen, wie Sie den Yoghurt und die Butter davontragen, sagen Sie: »Warum macht ihr Uns für das Stehlen verantwortlich? Denkt ihr etwa, daß es bei Uns zuhause an Butter und Yoghurt mangelt?« Manchmal nehmen Sie auch den Yoghurt, die Butter und die Milch und verteilen sie an die Affen. Wenn die Affen dann sattgefüttert sind und nichts mehr nehmen wollen, fangen deine Söhne an zu schimpfen und sagen: »Die Milch, die Butter und auch der Yoghurt sind wertlos – nicht einmal die Affen wollen davon nehmen. Dann zerbrechen Sie die Töpfe und werfen sie durcheinander. Und selbst dann, wenn wir unsere Butter, den Yoghurt und die Milch an einem abgelegenen, dunklen Ort aufbewahren, finden Kṛṣṇa und Balarāma unsere Vorräte, da der Schmuck, den sie tragen, eine leuchtende Ausstrahlung um sie verbreitet. Sollten sie aber zufällig einmal nicht die versteckte Butter und den Yoghurt finden, dann necken Sie unsere kleinen Kinder und zwicken sie, daß sie zu weinen beginnen, und dann machen Sich die beiden Übeltäter schnell aus dem Staub. Selbst wenn wir unsere Butter- und Yoghurtvorräte hoch unter der Zimmerdecke auf eine Schaukel stellen, so daß sie sich außerhalb Ihrer Reichweite befinden, gelingt es Ihnen dennoch, an diese Vorräte heranzukommen, indem Sie Kisten auf einem Mörser aufeinanderstapeln. Und wenn Sie die Butter einmal nicht erreichen können, werfen Sie ein Loch in den Topf. Wir möchten dich daher bitten, deinen Kindern den Juwelenschmuck abzunehmen. Als Mutter Yaśodā die Klagen der gopīs hörte, sagte sie: »Gut, ich werde allen Schmuck der Kinder an mich nehmen, so daß die beiden die versteckte Butter nicht mehr finden können.« Doch die gopīs erwiderten schnell: »Aber was nützt es schon, wenn du den Schmuck fortnimmst? Wir wissen nicht, was es mit diesen Jungen auf sich hat, aber auch ohne Schmuck geht ein Leuchten von Ihnen aus, so daß Sie auch in der Dunkelheit alles sehen können.« Mutter Yaśodā gab den gopīs daraufhin den Rat, in Zukunft ihre Butter besser zu verstecken. »Bewahrt Eure Butter so auf, daß die Jungen sie nicht erreichen können«, sagte sie. Doch die gopīs entgegneten: »Das tun wir schon seit langem, aber weil wir auch unseren hausfraulichen Pflichten nachgehen müssen, gelingt es diesen ungezogenen Jungen immer wieder, Sich unbemerkt ins Haus zu schleichen und Unordnung zu stiften. Und wenn es Ihnen einmal nicht gelingt, unsere Butter und unseren Yoghurt zu entwenden, pinkeln oder spucken Sie aus Zorn auf den sauberen Fußboden. Sieh dir nur einmal die beiden an, die wissen sehr gut, wovon wir sprechen. Den ganzen Tag hecken Kṛṣṇa und Balarāma Pläne aus, wie Sie an unsere Butter und unseren Yoghurt herankommen können. Da sitzen Sie nun wie zwei artige Jungen. Sieh nur einmal Ihre Gesichter.« Als Mutter Yaśodā all diese Klagen hörte, überlegte sie, wie sie ihre Söhne bestrafen könne, doch als sie Ihre reuigen Gesichter saḥ, mußte sie lächeln und vergaß ihr Vorhaben. Ein anderes Mal, als Kṛṣṇa und Balarāma mit Ihren Freunden spielten, taten sich alle Jungen mit Balarāma zusammen und erzählten Mutter Yaśodā, Kṛṣṇa habe Lehm gegessen. Als Mutter Yaśodā dies hörte, nahm sie Kṛṣṇa sofort bei der Hand und sagte zu Ihm: »Mein lieber Kṛṣṇa, warum bist Du immer so ungezogen? Sieh doch nur, alle Deine Freunde, selbst Balarāma, beklagen sich über Dich.« Weil Kṛṣṇa Angst vor Seiner Mutter hatte, antwortete Er: »Meine liebe Mutter, diese Jungen und auch Mein älterer Bruder Balarāma schwindeln. Ich habe keinen Lehm gegessen. Als wir heute morgen zusammen spielten, wurde Balarāma zornig auf Mich, und deshalb hat Er Sich mit den anderen verbündet, um Sich bei dir über Mich zu beklagen. Sie stecken alle unter einer Decke. Sie wollen Mich bei dir anschwärzen und hoffen, daß du ärgerlich wirst und Mich bestrafst. Wenn du glaubst, daß sie die Wahrheit sagen, dann schau in Meinen Mund und sieh nach, ob Ich Lehm gegessen habe oder nicht.« »Gut«, erwiderte Mutter Yaśodā, »wenn Du wirklich keinen Lehm gegessen hast, dann öffne Deinen Mund, damit ich mich davon überzeugen kann.« Als dem Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, so von Seiner Mutter befohlen wurde, machte Er wie ein gewöhnlicher Junge gehorsam Seinen Mund auf, und da sah Mutter Yaśodā die gesamte Fülle der Schöpfung. Sie sah den grenzenlosen Weltenraum, und konnte alle Berge, Meere, Ozeane, Inseln, Planeten, die Luft, das Feuer, den Mond und die Sterne erkennen. Außerdem sah sie alle Elemente, das Wasser, den Himmel, den alldurchdringenden Äther, das gesamte Ich, die Erzeugnisse der Sinne und den Beherrscher der Sinne, alle Halbgötter, die Objekte der Sinne, wie Klang, Geruch, Geschmack, Form und Berührung, und die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Sie konnte auch erkennen, daß sich in Kṛṣṇas Mund alle Lebewesen, die ewige Zeit, die materielle und die spirituelle Natur, Aktivität, Bewußtsein und die verschiedenen Zustände der gesamten Schöpfung befanden. Yaśodā sah im Munde ihres Kindes alles, was für eine kosmische Manifestation erforderlich ist; sie sah sogar sich selbst, wie sie Kṛṣṇa auf ihren Schoß nahm und Ihm die Brust gab. Als sie all dies erblickte, wurde sie von Ehrfurcht ergriffen und fragte sich, ob sie träume, oder ob das alles Wirklichkeit sei. Sie kam zu dem Schluß, sie müsse entweder träumen oder dem Spiel der illusionierenden Energie des Höchsten Persönlichen Gottes zusehen. Sie glaubte, sie sei nicht bei Sinnen, und dachte: Vielleicht hat all dies seine Ursache in der kosmischen mystischen Kraft meines Kindes. Vielleicht sehe ich deshalb solche Visionen in Seinem Mund. Ich will nun dem Höchsten Persönlichen Gott meine respektvollen Ehrerbietungen darbringen, unter dessen Energie man sich mit seinem Körper und seinen körperlichen Besitztümern identisch fühlt. Ich will Ihm meine demütigen Ehrerbietungen erweisen, unter dessen illusionierender Energie ich glaube, Nanda Mahārāja sei mein Ehemann und Kṛṣṇa mein Sohn, all das, was Nanda Mahārāja besitzt, gehöre auch mir, und alle Kuhhirten und ihre Frauen seien meine Untergebenen. All diese falschen Vorstellungen haben ihre Ursache in der illusionierenden Energie des Höchsten Herrn. Möge Er mich immer beschützen. Während Mutter Yaśodā diesen erhabenen philosophischen Gedanken nachhing, erweiterte Kṛṣṇa Seine Energie erneut. Augenblicklich vergaß Mutter Yaśodā ihre philosophischen Spekulationen und hielt Kṛṣṇa wieder für ihr Kind. Sie nahm Ihn auf den Schoß und wurde von mütterlicher Zuneigung überwältigt. Für einen kurzen Augenblick dachte sie: »Die gewöhnlichen Menschen können Kṛṣṇa mit ihren materiellen Sinnen nicht verstehen, doch Er kann durch die Upaniṣaden, den Vedānta oder das mystische yoga-System und die sāṅkhya-Philosophie erkannt werden.« Dann sah sie den Höchsten Persönlichen Gott wieder als ihr Kind. Zweifellos hatte Mutter Yaśodā in früheren Leben sehr oft fromm gehandelt und so die Möglichkeit bekommen, den Höchsten Persönlichen Gott als ihren Sohn zu lieben. Auch Nanda Mahārāja mußte sicher viele große Opfer dargebracht und fromme Dinge getan haben, denn Śrī Kṛṣṇa wurde sein Sohn und nannte ihn »Vater«. Doch es ist überraschend, daß nicht auch Vasudeva und Devakī an der transzendentalen Glückseligkeit der Kindheitsspiele Kṛṣṇas teilhaben konnten, obwohl Kṛṣṇa eigentlich ihr Sohn war. Die Kindheitsspiele Kṛṣṇas werden selbst heute noch von vielen Weisen und Heiligen verherrlicht, doch Vasudeva und Devakī konnten sich nicht persönlich an diesen Spielen Kṛṣṇas erfreuen. Śukadeva Gosvāmī erklärte Mahārāja Parīkṣit den Grund hierfür wie folgt: Als der Beste der Vasus mit Namen Droṇa zusammen mit seiner Frau Dharā von Brahmā angewiesen wurde, die Bevölkerung zu vergrößern, sagte Droṇa: »O mein lieber Vater, wir erbitten Deinen Segen. Wir möchten, daß der Höchste Herr, Kṛṣṇa, in unserem nächsten Leben in Seiner anziehendsten Kindheitsgestalt unsere ganze Aufmerksamkeit auf Sich zieht. Unsere Beziehung zu Kṛṣṇa soll so mächtig sein, daß jeder, der von den Spielen und Taten Kṛṣṇas hört, die Unwissenheit von Geburt und Tod mit Leichtigkeit überwindet.« Brahmā erklärte sich bereit, ihnen diese Segnung zu erteilen, und so erschienen Droṇa als Nanda Mahārāja und Dharā als Mutter Yaśodā in Gokula. Auf diese Weise konnten Nanda Mahārāja und seine Frau Yaśodā ihre reine Hingabe zum Höchsten Persönlichen Gott entwickeln, da sie Ihn als ihren Sohn bekamen, und alle gopīs und Kuhhirten, die mit Kṛṣṇa zusammen sein durften, entwickelten ganz natürlich ihre verschiedenen liebevollen Empfindungen für Ihn. Nur um die Segnung Brahmās zu erfüllen, und die transzendentale Freude der Einwohner von Gokula zu vergrößern, erschien Śrī Kṛṣṇa daher zusammen mit Seiner vollständigen Erweiterung Balarāma in Gokula und führte dort alle Arten von Kindheitsspielen aus. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 8. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Vision der universalen Form«. 9. KAPITEL Mutter Yaśodā bindet Kṛṣṇa Eines Tages, als Mutter Yaśodā sah, daß alle ihre Dienerinnen im Haushalt beschäftigt waren, übernahm sie selbst das Buttern. Sie schlang das Ende ihres saris fest um ihre Hüften und sang, während sie die Butter quirlte, von den Kindheitsspielen Kṛṣṇas. Sie war so sehr in liebevolle Gedanken an ihren Sohn versunken, daß unentwegt Milch aus ihren Brüsten tropfte. Die Armreifen und Glöckchen an ihren Handgelenken ließen jedesmal, wenn sie sich berührten, ein helles Klingen ertönen, und ihre Ohrringe und Brüste schwangen hin und her, da sie angestrengt mit beiden Händen arbeitete. Schweiß bedeckte ihr Gesicht, und die Blumengirlande auf ihrem Kopf löste sich, so daß die Blumen überallhin verstreut wurden. Als sie so beschäftigt war, kam Kṛṣṇa plötzlich zu ihr gelaufen, denn Er war hungrig und wollte Seiner Mutter außerdem eine Gelegenheit zum Ausruhen geben. Er gab ihr also zu verstehen, daß es ihre erste Pflicht sei, Ihn zu stillen, und daß sie später weiterbuttern solle. Mutter Yaśodā nahm ihren kleinen Sohn bereitwillig auf den Schoß, und während Kṛṣṇa ihre Milch trank, lächelte sie glücklich und freute sich an der Schönheit Seines kindlichen Gesichtes. Plötzlich bemerkte sie, daß die Milch auf dem Herd überkochte. Um zu verhindern, daß sie verloren ging, setzte sie Kṛṣṇa schnell beiseite und lief ins Haus. Als Kṛṣṇa von Seiner Mutter so einfach auf den Boden gesetzt und allein gelassen wurde, regte sich heftiger Zorn in Ihm, und Seine Lippen und Seine Augen röteten sich. Er biß Sich auf die Lippen, hob einen Stein vom Boden auf und warf ihn gegen den Buttertopf, der in Stücke brach. Dann nahm Er die Butter heraus und versteckte Sich an einem einsamen Ort, um sie dort, mit falschen Tränen in den Augen, herunterzuschlingen. Nachdem Mutter Yaśodā den Milchtopf vom Herd genommen hatte, kehrte sie an die Stelle zurück, wo sie Kṛṣṇa zurückgelassen hatte. Als sie den zerbrochenen Buttertopf sah und ihren Jungen nirgendwo finden konnte, wußte sie sogleich, daß Er es gewesen war, der den Topf zerbrochen hatte. Sie lächelte, als sie im stillen zu sich sagte, »der Schlingel, nachdem Er den Topf zerbrochen hat, ist er vorsichtshalber fortgelaufen, weil Er Sich vor einer Strafe fürchtet.« Als Mutter Yaśodā lange Zeit vergeblich nach Kṛṣṇa gesucht hatte, sah sie Ihn endlich, wie Er auf einem umgestürzten hölzernen Mörser saß und die Butter an die Affen verfütterte. Kṛṣṇas ängstliche Blicke wanderten ständig umher, denn Er war Sich durchaus Seiner Missetat bewußt, und als Seine Mutter sich Ihm von hinten mit einem Stock in der Hand mit leisen Schritten näherte, bemerkte Er sie gerade noch rechtzeitig, sprang sofort von dem Mörser herunter und floh voller Furcht. Mutter Yaśodā lief sogleich hinter Ihm her und versuchte, Ihn, den Höchsten Persönlichen Gott, zu fangen, dem sich nicht einmal die großen yogīs, trotz jahrtausendelanger Meditation, nähern können. Der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa, der niemals — auch nicht von den größten yogīs oder Philosophen – eingefangen werden kann, spielte die Rolle eines kleinen Kindes, um eine große Gottgeweihte wie Mutter Yaśodā zu erfreuen. Mutter Yaśodā hatte es nicht leicht, das flinke Kind einzuholen, denn sie hatte eine schmale Taille und einen schweren Körper. Dennoch versucht sie, Ihm so schnell wie möglich zu folgen. Ihr Haar löste sich dabei, und die Blume, die in ihrem Haar steckte, fiel zu Boden. Obwohl sie bald vom vielen Laufen ziemlich erschöpft war, gelang es ihr endlich irgendwie, das Kind einzufangen. Als nun Mutter Yaśodā Kṛṣṇa festhielt, war dieser nah am Weinen. Er wischte Sich mit den Händen die Tränen aus den Augen, die mit schwarzer Tusche bemalt waren, und als die Mutter sich über Ihn beugte und Ihm ins Gesicht sah, weiteten sich Seine Augen vor Furcht. Mutter Yaśodā empfand Mitleid, als sie sah, daß Kṛṣṇa solch große Angst vor ihr hatte, und überlegte, wie sie Ihm Seine Furcht nehmen könnte. Da sie nur das Beste für ihr Kind wollte, sagte sie sich, »wenn Sich Kṛṣṇa zu sehr vor mir fürchtet, kann Er Schaden nehmen«, und so legte sie den Stock beiseite. Eine kleine Strafe sollte Kṛṣṇa jedoch bekommen, und so dachte sie daran, Ihm die Hände zu fesseln und Ihn an den hölzernen Mörser zu binden. Sie war sich nicht bewußt, daß es ganz und gar unmöglich ist, den Höchsten Persönlichen Gott festzubinden, denn sie war in dem festen Glauben, Kṛṣṇa sei ihr Sohn. Sie wußte nicht, daß es für dieses Kind keine Begrenzungen gab. Für Kṛṣṇa gibt es weder ein Innen noch ein Außen, weder einen Anfang noch ein Ende. Er ist unbegrenzt und alldurchdringend. Die gesamte kosmische Manifestation ruht in Ihm, und zugleich ist Er Selbst die kosmische Manifestation. Dennoch hielt Mutter Yaśodā Ihn für ihren kleinen Sohn, und obgleich Er Sich weit jenseits der materiellen Sinneswahrnehmung befindet, versuchte sie, Ihn an dem Mörser festzubinden. Als sie nun daranging, Kṛṣṇa zu fesseln, stellte sie fest, daß der Strick fünf Zoll zu kurz war. Sogleich holte sie einen zweiten und knotete ihn an den ersten, doch seltsamerweise fehlte immer noch die gleiche Länge. Wieder ging sie ins Haus und suchte diesmal alle Stricke zusammen, die sie finden konnte; doch als sie schließlich den letzten Knoten geknüpft hatte, mußte sie zu ihrer Verblüffung feststellen, daß immer noch fünf Zoll fehlten. Mutter Yaśodā lächelte zwar, doch sie war verwirrt: Wie konnte dies nur möglich sein? Nachdem sie eine Zeitlang vergeblich versucht hatte, ihren Sohn festzubinden, war sie der Verzweiflung nahe; sie war müde und schwitzte am ganzen Körper. Schließlich erbarmte Sich Kṛṣṇa ihrer und ließ Sich fesseln. Kṛṣṇa, der wie ein gewöhnliches Kind im Hause Mutter Yaśodās spielte, entfaltete Seine von Ihm ausgewählten transzendentalen Spiele. Natürlich kann niemand den Höchsten Persönlichen Gott beherrschen. Der reine Gottgeweihte gibt sich den Lotosfüßen des Herrn hin, der ihn ganz nach Belieben beschützen oder vernichten kann. Der Gottgeweihte vergißt niemals, daß es seine Pflicht ist, sich dem Höchsten Herrn hinzugeben. Ähnlich erfährt auch der Herr transzendentale Freude, wenn Er Sich Seinem Geweihten hingibt, um Sich von ihm beschützen zu lassen. Kṛṣṇa bestätigte dies, als Er Sich dem Willen Seiner Mutter fügte. Kṛṣṇa gewährt Seinen Geweihten jede Art der Befreiung, doch des Segens, den Er Mutter Yaśodā gab, können nicht einmal Brahmā, Śiva oder die Glücksgöttin teilhaftig werden. Der Höchste Persönliche Gott, der als der Sohn Mutter Yaśodās und Nanda Mahārājas bekannt ist, kann niemals in dieser vollkommenen Weise von den yogīs und den spekulierenden Philosophen erkannt werden, noch können diese jemals erkennen, daß Er die höchste Quelle aller Freude ist. Nur Seine reinen Geweihten können Ihn verstehen. Nachdem Mutter Yaśodā ihren Sohn festgebunden hatte, widmete sie sich wieder ihren Haushaltspflichten. Als Sich Kṛṣṇa, der nun an den hölzernen Mörser gebunden war, umsah, fielen Ihm zwei Arjunabäume auf. Śrī Kṛṣṇa, der Seinen Geweihten fortwährend spirituelle Freude schenkt, dachte bei ihrem Anblick: »Meine Mutter hat Mich von ihrem Schoß abgesetzt, ohne Mir genügend Milch zu geben, und deshalb zerbrach Ich den Buttertopf und verteilte den Inhalt an die Affen. Nun hat sie Mich noch dazu an einen hölzernen Mörser gebunden. Diesmal werde Ich etwas tun, was alle Meine bisherigen Taten an Boshaftigkeit übertreffen wird.« Und somit faßte der Herr den Entschluß, die beiden großen Arjunabäume niederzureißen. Mit diesen beiden Bäumen ist eine Geschichte verbunden. In ihrem vorherigen Leben waren sie Nalakūvara und Maṇigrīva gewesen, die Söhne des Halbgottes Kuvera. Sie wurden von dem großen Weisen Nārada Muni verflucht, um die höchste Segnung erhalten zu können – nämlich Śrī Kṛṣṇa mit eigenen Augen zu sehen. Dieser Segensfluch wurde über sie verhängt, weil sie in ihrer Berauschtheit völlig in Illusion gefallen waren und ihre Pflichten vergessen hatten. Diese Geschichte wird im nächsten Kapitel erzählt. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 9. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Mutter Yaśodā bindet Kṛṣṇa.« 10. KAPITEL Die Befreiung Nalakūvaras und Maṇigrīvas Diese Geschichte erzählt, wie durch den segensreichen Wunsch des großen Weisen Nārada Muni die beiden Halbgötter Nalakūvara und Maṇigrīva verflucht und schließlich von Kṛṣṇa befreit wurden. Nalakūvara und Maṇigrīva waren die Söhne des Schatzmeisters der Halbgötter, Kuvera, der ein großer Geweihter Śivas war. Durch die Gnade Śivas kannte Kuveras Reichtum keine Grenzen. Wie die Söhne eines gewöhnlichen reichen Mannes oft Wein und Frauen zum Opfer fallen, so verfielen auch die Söhne Kuveras dem Wein und der Sinnenlust. Als sich die beiden Halbgötter wieder einmal vergnügen wollten, betraten sie die Gärten Śivas, die in der Provinz von Kailāsa an den Ufern des Mandākinī-Ganges liegen. Dort tranken sie übermäßig und lauschten dem Gesang schöner Mädchen, die ihnen in diesen Gärten, wo Millionen von duftenden Blumen blühten, Gesellschaft leisteten. Voll des süßen Weines stiegen die beiden in das Wasser des Ganges, den unzählige Lotosblüten schmückten, und begannen sich dort, gleich Elefantenbullen, die ihre Weibchen im Wasser genießen, der Gesellschaft der Mädchen zu erfreuen. Während sie sich auf diese Weise vergnügten, kam unvermittelt der große Weise Nārada des Weges. Er erkannte sogleich, daß Nalakūvara und Maṇigrīva zu betrunken waren, um ihn zu bemerken. Die jungen Mädchen hingegen, die nicht so berauscht waren wie die beiden Halbgötter, wurden sofort von Scham erfüllt, als sie nackt vor Nārada standen, und begannen, sich hastig zu bedecken. Die beiden Söhne Kuveras jedoch waren so betrunken, daß sie die Gegenwart des großen Weisen nicht zu würdigen wußten und ihre Körper nicht bedeckten. Als Nārada die beiden Halbgötter in ihrer Trunkenheit so tief gesunken sah, war es sein Wunsch, ihnen zu helfen, und so verhängte er einen Segensfluch über sie. Aus Mitleid wollte er ihrem falschen Genuß von Berauschung und jungen Mädchen ein Ende bereiten und sie Kṛṣṇa von Angesicht zu Angesicht sehen lassen. Er sagte, die Anziehungskraft materieller Sinnenfreude sei dem zunehmenden Einfluß der Erscheinungsweise der Leidenschaft zuzurechnen. Wenn ein Mensch in der materiellen Welt mit Reichtum gesegnet ist, wird er im allgemeinen das Opfer dreier Dinge: Berauschung, sinnlicher Begierde und Glücksspiel. Menschen, die auf ihren Reichtum stolz sind, werden so herzlos, daß sie sogar Schlachthöfe einrichten und unschuldige Tiere töten. Von sich selbst aber glauben sie, sie müßten niemals sterben. Solche verblendeten Toren, die das Gesetz der Natur nicht wahrhaben wollen, sind in ihren eigenen Körper verliebt. Sie vergessen, daß jeder materielle Körper – auch wenn er noch so gepflegt ist und behütet wird und vielleicht sogar der eines Halbgottes ist – letzten Endes zu Asche verbrannt wird. Und zu Lebzeiten ist der Körper, ganz gleich, wie schön er auch von außen erscheinen mag, mit Kot, Urin und den verschiedenartigsten Würmern angefüllt. Weil die Menschen wegen äußerlicher Unterschiede neidisch und gewalttätig sind, können sie nicht begreifen, was das endgültige Ziel des Lebens ist, und ohne dieses Lebensziel zu kennen, fallen sie für gewöhnlich in höllische Lebensbedingungen hinab. In ihrem nächsten Leben begehen diese armen Gauner alle nur erdenklichen Sünden, da sie den vergänglichen Körper genießen wollen, und sie sind nicht einmal imstande, darüber nachzudenken, ob der Körper ihnen eigentlich gehört. Man sagt, der Körper gehöre demjenigen, der ihn ernährt. Es stellt sich also die Frage, ob der Körper einem persönlich gehört oder dem Meister, dem man mit dem Körper dient. Der Herr des Sklaven erhebt auf den Körper des Sklaven einen Besitzanspruch, weil er den Sklaven ernährt. Man muß sich demnach fragen, ob der Körper dem Vater gehört, der den Samen gegeben hat, oder der Mutter, die den Körper in ihrem Leib entwickelt hat. Unwissende Menschen begehen so viele Sünden, weil sie sich fälschlich mit dem materiellen Körper identifizieren. Man sollte jedoch intelligent genug sein zu verstehen, wem der Körper wirklich gehört. Ein verblendeter Schurke tötet ohne zu überlegen unschuldige Tiere, um seinen Körper zu ernähren, und er kommt niemals auf den Gedanken, sich zu fragen, ob sein Körper tatsächlich ihm gehört oder ob sein Vater, seine Mutter oder gar sein Großvater der eigentliche Besitzer ist. Manchmal geschieht es, daß ein Vater seine Tochter einem Mann zur Frau gibt, weil er das Kind der Tochter als seinen Sohn haben will. Der Körper kann auch einem Stärkeren gehören, der uns zwingt, für ihn zu arbeiten, und manchmal wird der Körper eines Sklaven unter der Voraussetzung verkauft, daß sein Körper zum Eigentum seines neuen Herren wird. Am Ende des Lebens gehört der Körper dem Feuer oder der Erde, denn er wird entweder zu Asche verbrannt oder begraben. Es kann auch sein, daß der Körper auf die Straße geworfen wird, wo sich Hunde und Geier über ihn hermachen. Bevor man viele Sünden auf sich lädt, weil man seinen Körper erhalten will, sollte man sich darüber im klaren sein, wem der Körper nun eigentlich gehört: Der Körper ist ein Produkt der materiellen Natur und geht am Ende wieder in die materielle Natur ein – deshalb gehört er der materiellen Natur. Man sollte nicht fälschlich glauben, der Körper gehöre einem selbst. Warum sollte man dann, um einen falschen Besitz zu erhalten, andere töten? Warum sollte man unschuldige Tiere töten, um den Körper mit Nahrung zu versorgen? Wenn ein Mensch aufgrund seines Reichtums stolz wird, kümmert er sich nicht mehr um moralische Gesetze, sondern wird das Opfer von Wein, Frauen und dem Schlachten von Tieren. Unter solchen Umständen ist es oft besser, in armen Verhältnissen zu leben, denn einem armen Mann fällt es nicht schwer, an andere zu denken. Ein armer Mensch hat niemals den Wunsch, anderen Leid zuzufügen, denn er weiß aus eigener Erfahrung, daß es schmerzvoll ist, verletzt zu werden. Aus diesem Grund dachte der Weise Nārada, es sei das beste, die beiden Halbgötter Nalakūvara und Maṇigrīva, die so sehr in falschen Ich-Vorstellungen befangen waren, in eine Lebensform zu versetzen, in der es ihnen gänzlich an Reichtum mangeln würde. Ein Mensch, der mit Nadeln gestochen wird, möchte nicht, daß man andere sticht. Ebenso wünscht auch ein nachdenklicher Mann, der ein Leben in Armut führt, anderen nicht, auch unter solchen Bedingungen leben zu müssen. Im allgemeinen kann man beobachten, daß ein Mensch, der ein Leben in Armut verbracht hat und dann reich wird, am Ende seines Lebens Wohlfahrtseinrichtungen eröffnet oder Ähnliches ins Leben ruft, so daß den Armen geholfen werden kann. Ein mitleidiger armer Mensch hat, kurz gesagt, viel Verständnis für die Freuden und Leiden anderer. Ein Armer ist selten hochmütig, sondern meistens frei von solchen Verblendungen. Er ist mit dem zufrieden, was er durch die Gnade des Herrn für seinen Lebensunterhalt bekommt. Es ist eine Art von Buße, ein Leben in Armut zu führen. Nach den Gesetzen der vedischen Kultur müssen die brāhmaṇas arm bleiben, um nicht ein Opfer der falschen Ich-Vorstellung zu werden, die materieller Reichtum mit sich bringt. Eitelkeit, die überall dort auftritt, wo materieller Wohlstand herrscht, ist ein großes Hinderṁs auf dem Weg zur spirituellen Befreiung. Ein armer Mensch kann nicht durch übermäßiges Essen fett werden, weil er es sich nicht leisten kann, mehr zu essen als er braucht. Somit sind seine Sinne nicht erregt, und wenn die Sinne nicht erregt sind, kann er nicht gewalttätig werden. Ein anderer Vorteil der Armut besteht darin, daß ein Heiliger ohne weiteres in das Haus eines armen Mannes eintreten kann – und somit bietet sich dem Armen die Gelegenheit, mit einem Heiligen zusammenzukommen und von ihm erleuchtet zu werden –, wohingegen ein reicher Mann nicht jedem gestattet, sein Haus zu betreten, und deshalb auch Heilige dort keinen Zutritt haben. Nach vedischem Brauch nehmen die Heiligen freiwillig die Position von Bettelmönchen ein, um so, unter dem Vorwand, etwas von den Haushältern erbetteln zu wollen, in jedes Haus eintreten zu können. Der Haushälter, der für gewöhnlich völlig vergessen hat, wie er spirituellen Fortschritt machen kann, weil er zu sehr in familiäre Angelegenheiten verstrickt ist, kann aus dem Zusammensein mit einem Heiligen einen großen Nutzen ziehen. Es ist sogar möglich, daß solch ein armer Mann durch das Zusammensein mit einem Heiligen Befreiung erlangt. Was nützen Menschen ihre materiellen Güter und ihr Ansehen, auf die sie so stolz sind, wenn es ihnen an der Gemeinschaft von Heiligen und Gottgeweihten mangelt? Der große Weise Nārada Muni hielt es daher für Seine Pflicht, die beiden Halbgötter in eine Lebensform zu versetzen, in der sie nicht fälschlich auf Reichtum und Ansehen stolz sein konnten. Nārada hatte großes Mitleid mit ihnen und wollte sie daher aus ihrem gefallenen Zustand erretten. Sie standen unter dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit, und weil sie deshalb nicht in der Lage waren, ihre Sinne zu beherrschen, waren sie der sexuellen Begierde zum Opfer gefallen. Es war die Pflicht eines Heiligen wie Nārada, sie aus ihrem höchst abscheulichen Lebenszustand zu befreien. Einem Tier, das ein rein triebhaftes Leben führt, macht es nichts aus, nackt zu sein; doch Kuvera war der Schatzmeister der Halbgötter und ein sehr verantwortungsbewußter Mann, und Nalakūvara und Maṇigrīva waren seine Söhne. Dennoch waren sie so tierisch und verantwortungslos geworden, daß es ihnen in ihrer Trunkenheit gleichgültig war, nackt zu sein. Es ist ein Prinzip in der menschlichen Gesellschaft, den unteren Teil des Körpers zu bedecken, und wenn Mann oder Frau dieses Prinzip außer acht lassen, sinken sie auf die Stufe von Tieren. Nārada hielt es daher für die beste Strafe, die beiden Halbgötter in unbewegliche Lebewesen, und zwar in Bäume, zu verwandeln. Das Gesetz der Natur verbietet es den Bäumen, sich zu bewegen. Obwohl sie völlig von der Erscheinungsweise der Unwissenheit bedeckt sind, können sie keinen Schaden anrichten. Der große Weise Nārada hielt es daher für das beste, die beiden Brüder in solcher Weise zu bestrafen, daß sie zwar zu Bäumen würden, sich aber weiterhin an ihr früheres Leben erinnern und so verstehen könnten, warum sie bestraft worden waren. Nachdem das Lebewesen seinen Körper verlassen hat, vergißt es im allgemeinen sein früheres Leben, doch in einigen Fällen, wie z. B. im Falle Nalakūvaras und Maṇigrīvas, vermag es sich durch die Barmherzigkeit des Herrn an sein vorheriges Leben zu erinnern. Nārada faßte also den Entschluß, die beiden Brüder für einhundert Jahre, nach der Zeitrechnung der Halbgötter, in Bäume zu verwandeln, und gab ihnen den Segen, daß sie nach dieser Zeit dem Höchsten Persönlichen Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden. Auf diese Weise würden sie dann wieder zu einem Leben als Halbgötter erhoben und zu großen Geweihten des Herrn werden. Nachdem Nārada diesen segensreichen Fluch ausgesprochen hatte, kehrte er zu seinem Aufenthaltsort zurück, der als Nārāyaṇa Āśrāma bekannt ist, und die beiden Halbgötter verwandelten sich in Bäume, die von dieser Zeit an als die Zwillings-Arjunabäume bekannt waren. Durch die große Barmherzigkeit Nāradas wurde den beiden Halbgöttern die Möglichkeit gegeben, im Hof von Nanda Mahārāja zu wachsen und Kṛṣṇa mit eigenen Augen zu sehen. Obwohl Kṛṣṇa an dem hölzernen Mörser festgebunden war, brachte Er es fertig, den schweren Mörser hinter Sich herzuschleifen und Sich auf die beiden Bäume zuzubewegen, um die Prophezeiung Seines Geweihten Nārada zu erfüllen. Kṛṣṇa wußte, daß die beiden Bäume vor Ihm in Wirklichkeit die Söhne Kuveras waren, und so krabbelte Er langsam durch sie hindurch. Er paßte zwar gerade durch den schmalen Zwischenraum, doch der große hölzerne Mörser verkantete sich und blieb stecken. Kṛṣṇa nutzte die Gelegenheit und zog an dem Seil, an das der Mörser gebunden war. Als Er mit großer Kraft zog, stürzten die beiden Bäume mit lautem Krachen zu Boden, und aus den umgerissenen Bäumen kamen zwei wie loderndes Feuer leuchtende Gestalten hervor. Die ganze Umgebung wurde durch die Ausstrahlung, die von ihren Körpern ausging, in ein helles Licht getaucht. Die beiden geläuterten Seelen Nalakūvara und Maṇigrīva verneigten sich mit großer Ehrfurcht vor Kṛṣṇa und brachten Ihm ihre Gebete dar. Sie sagten: »Lieber Kṛṣṇa, Du bist der ursprüngliche Persönliche Gott, der Herr über alle mystischen Kräfte. Die gelehrten brāhmaṇas wissen, daß die kosmische Manifestation eine Erweiterung Deiner Energie ist, die manchmal manifestiert und ein anderes Mal ummanifestiert ist. Von Dir stammen ursprünglich die Sinne und die Lebenskraft der Lebewesen. Du bist der ewige Gott, Viṣṇu, der alles durchdringt und beherrscht. Du bist der ursprüngliche Quell der kosmischen Manifestation, die im Bann der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur (Reinheit, Leidenschaft und Unwissenheit) aktiv ist. Du bist als Überseele in allen Lebewesen gegenwärtig, und Du weißt, was in ihrem Körper und ihrem Geist vor sich geht. Deshalb lenkst Du auch ihre Handlungen. Obgleich Du inmitten alles Existierenden weilst, das unter dem Bann der drei Erscheinungsweisen der Natur steht, wirst Du dennoch nicht von diesen alles-verunreinigenden Erscheinungsweisen berührt. Niemand, der sich im Einflußbereich der drei Erscheinungsweisen befindet, kann Deine transzendentalen Eigenschaften verstehen, die bereits vor der Schöpfung existierten. Deshalb wirst Du auch das Höchste Brahman genannt, das immer von Seinen persönlichen Energien verherrlicht wird. In der materiellen Welt kann man Dich nur durch Deine verschiedenen Inkarnationen verstehen. Du nimmst zwar viele verschiedene Körper an, doch sie gehören nicht zur materiellen Schöpfung; sie sind immer voll transzendentaler Kräfte, d. h., sie bergen unbegrenzten Reichtum, unbegrenzte Kraft, unbegrenzte Schönheit, unbegrenzten Ruhm, unbegrenzte Weisheit und unbegrenzte Entsagung in sich. Im materiellen Dasein besteht ein Unterschied zwischen dem Körper und dem Besitzer des Körpers, aber weil Du in Deinem ursprünglichen spirituellen Körper erscheinst, gibt es für Dich keinen solchen Unterschied. Wenn Du erscheinst, weisen Deine ungewöhnlichen Taten eindeutig darauf hin, das Du der Höchste Persönliche Gott bist. Niemand in der materiellen Welt kann Deine transzendentalen Taten und Spiele nachahmen. Du bist derselbe Höchste Persönliche Gott, der erscheint, um die Geburt, den Tod und auch die Befreiung der Lebewesen zu veranlassen, und all Deine vollständigen Erweiterungen ruhen in Dir. Du kannst jedem Lebewesen alle nur erdenklichen Segnungen gewähren. O Herr, o Quell des Glücks und der Reinheit, wir bringen Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. Du bist der alldurchdringende Höchste Persönliche Gott, die Quelle des Friedens und die höchste Persönlichkeit in der Dynastie König Yadus. O Herr, unser Vater, Kuvera, steht in Deinem Dienst, und auch der große Weise Nārada, durch dessen Gnade wir jetzt in der Lage sind, Dich persönlich zu sehen, ist Dein ewiger Diener. Wir beten daher, daß auch wir in Deinem transzendentalen Dienst beschäftigt sein dürfen, indem wir ständig Deinen Ruhm preisen und von Deinen transzendentalen Taten hören. Mögen unsere Hände und unsere übrigen Gliedmaßen immer in Deinem Dienst beschäftigt sein; möge unser Denken ständig zu Deinen Lotosfüßen streben, und bitte laß auch unsere Häupter sich stets vor der alldurchdringenden universalen Form Deiner Herrlichkeit verneigen.« Nachdem Nalakūvara und Maṇigrīva ihre Gebete beendet hatten, lächelte Śrī Kṛṣṇa, der Herr und Gebieter von Gokula, der immer noch an den hölzernen Mörser gebunden war, und sagte: »Es war Mir bereits bekannt, daß Mein großer Geweihter Nārada euch mit seiner grundlosen Barmherzigkeit gesegnet hat, als er euch von dem Stolz befreite, der euch verblendete, als ihr mit außergewöhnlicher Schönheit und unsagbarem Reichtum versehen wart. Er bewahrte euch davor, in die niedrigsten Lebensbedingungen des höllischen Lebens hinabzugleiten. All diese Tatsachen waren Mir bereits seit langer Zeit bekannt. Ihr seid vom Glück begünstigt, denn ihr wurdet nicht nur von ihm verflucht, sondern konntet ihn auch sehen. Wenn jemand durch Zufall einen so großen Heiligen wie Nārada Muni sieht, der immer heiter und erhaben ist und bereit, jedem Lebewesen seine Barmherzigkeit zu erweisen, wird solch eine bedingte Seele sofort befreit. Die Anwesenheit eines solchen Heiligen ist wie das Licht der Sonne – nichts kann mehr im Dunkel bleiben. Nun, Nalakūvara und Maṇigrīva, ist Euer Leben erfolgreich geworden, denn ihr habt ekstatische Liebe zu Mir entwickelt. Dies ist Eure letzte Geburt in der materiellen Welt. Ihr könnt nun zur Residenz Eures Vaters auf den himmlischen Planeten zurückkehren, und wenn ihr Mir weiter in Hingabe dient, werdet ihr schon in diesem Leben befreit werden.« Als Kṛṣṇa geendet hatte, umkreisten die Halbgötter den Herrn viele Male, verneigten sich immer wieder vor Ihm und machten sich schließlich auf den Weg zu den himmlischen Planeten. Kṛṣṇa blieb unterdessen weiter an den Mörser gefesselt. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 10. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Befreiung Nalakūvaras und Maṇigrīvas.« 11. KAPITEL Die Vernichtung der Dämonen Vatsāsura und Bakāsura Als die beiden Arjunabäume mit lautem Krachen zu Boden stürzten, war es, als fielen zwei Blitze vom Himmel. Die Einwohner von Gokula, die den Lärm hörten, liefen aufgeregt zu Nanda Mahārājas Hof, um zu sehen, was geschehen war. Sie waren sprachlos vor Erstaunen, als sie die umgestürzten Bäume sahen, und da sie sich nicht zu erklären wußten, wie die Bäume so plötzlich umfallen konnten, waren sie sehr verwirrt. Als sie Kṛṣṇa bemerkten, der noch immer von den Stricken Mutter Yaśodās gefesselt war, dachten sie, irgendein Dämon müsse die Ursache für diesen Vorfall gewesen sein. Wie sonst konnte etwas so Außergewöhnliches geschehen? Immer, wenn Kṛṣṇa in der Nähe war, passierte etwas völlig Unerwartetes. Während sich die Eltern mit den anderen Kuhhirten berieten, erzählten die kleinen Kinder, die in der Nähe gespielt hatten, wie Kṛṣṇa die beiden Bäume mit dem hölzernen Mörser, an dem er festgebunden war, niedergerissen hatte. »Als Kṛṣṇa zwischen den beiden Bäumen hindurchkroch«, erklärten sie, »blieb der Mörser stecken. Daraufhin begann Kṛṣṇa an den Stricken zu ziehen, so daß die Bäume umstürzten. Zwei leuchtende Männer kamen aus ihnen hervor und sprachen mit Kṛṣṇa.« Die meisten Kuhhirten schenkten den Worten der Kinder keine Beachtung. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß so etwas möglich war. Einige jedoch glaubten den Kindern und sagten daher zu Nanda Mahārāja: »Dein Sohn unterscheidet Sich von allen anderen Kindern. Es ist durchaus möglich, daß Kṛṣṇa die beiden gewaltigen Bäume umgerissen hat.« Nanda Mahārāja lächelte, als er von den wunderbaren Fähigkeiten seines Sohnes hörte und ging zu Kṛṣṇa, um dessen Fesseln zu lösen. Die älteren gopīs nahmen Ihn sogleich zu sich und trugen Ihn in den Hof des Hauses, wo sie in die Hände klatschten und Seine ungewöhnlichen Taten rühmten. Kṛṣṇa klatschte dann genau wie jedes andere Kind ebenfalls in die Händchen. Der Höchste Persönliche Gott, der völlig unter der Kontrolle der gopīs stand, begann zu singen und zu tanzen, als wäre Er eine Puppe in ihren Händen. Manchmal bat Mutter Yaśodā Kṛṣṇa, ihr ein Brett zum Sitzen zu bringen, und obwohl das Brett eigentlich zu schwer war, um von einem Kind getragen zu werden, brachte es Kṛṣṇa trotzdem jedesmal irgendwie fertig, das Brett zu Seiner Mutter zu schleppen. Als Sein Vater einmal gerade dabei war, Vorbereitungen für ein Opfer zu treffen, bat er Ihn, seine beiden Holzschuhe zu holen, worauf Sich Kṛṣṇa unter großen Schwierigkeiten die schweren Schuhe auf den Kopf stellte und sie Seinem Vater brachte. Wenn er gebeten wurde, einen schweren Gegenstand hochzuheben, den Er nicht tragen konnte, bewegte Er nur hilflos Seine beiden Ärmchen hin und her. Auf diese Weise bereitete Er Seinen Eltern große Freude. Der Herr entfaltete diese kindlichen Spiele vor den Einwohnern von Gokula, weil Er damit den großen Philosophen und Weisen, die nach der Absoluten Wahrheit forschen, zeigen wollte, wie die Höchste Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, von den Wünschen Seiner Geweihten kontrolliert wird. Eines Tages kam ein Fruchthändler ins Dorf, und als Kṛṣṇa hörte, wie der Händler rief, »wenn jemand frische Früchte möchte, komme Er bitte zu mir,« nahm er sofort einige Getreidekörner in die Hand und lief zu dem Händler, um die Körner gegen Früchte einzutauschen. In jenen Tagen betrieb man Tauschhandel, und Kṛṣṇa hatte des öfteren gesehen, wie Seine Eltern Getreide und andere Dinge gegen Früchte eintauschten. Doch Seine Hände waren noch sehr klein, und Er achtete nicht darauf, sie fest zusammenzuhalten, so daß die meisten Getreidekörner herausfielen. Der Händler, der dies sah, war indessen so sehr von der Schönheit Kṛṣṇas bezaubert, daß er mit einem freundlichen Lächeln die wenigen Getreidekörner nahm, die noch in der kleinen Faust seines transzendentalen Kunden geblieben waren, und dafür dessen Hände mit Früchten füllte. Kurze Zeit später, als der Früchtehändler zufällig einen Blick in den Korb warf, in welchem er seine Früchte getragen hatte, sah er zu seinem Erstaunen, daß der Korb bis zum Rand mit funkelnden Edelsteinen gefüllt war. Der Herr erteilt alle nur denkbaren Segnungen. Wenn jemand dem Herrn etwas gibt, verliert er niemals dabei, sondern gewinnt millionenfach. Eines Tages spielte Kṛṣṇa, der Befreier der beiden Arjunabäume, zusammen mit Balarāma und anderen Spielgefährten am Ufer der Yamunā, und weil es schon fast Mittag war, ging Rohiṇī, die Mutter Balarāmas, zu Ihnen hinaus, um Sie zum Essen nach Hause zu holen. Aber Balarāma und Kṛṣṇa waren so in Ihre Spiele vertieft, daß Sie nicht kommen wollten. Als Rohiṇī unverrichteter Dinge zurückkehrte, ging Mutter Yaśodā selbst an die Yamunā hinunter, um die Jungen abermals zu rufen. Mutter Yaśodā liebte ihren Sohn so sehr, daß sich auf dem Weg ihre Brust mit Milch füllte. Sie rief laut: »Mein liebes Kind, komm bitte schnell nach Hause, die Zeit zum Essen ist bereits vorüber. Lieber Kṛṣṇa, mein liebes, lotosäugiges Kind, bitte komm und nimm meine Brust. Du hast nun lange genug gespielt und bist bestimmt hungrig. Auch wirst Du vom langen Spielen müde geworden sein.« Daraufhin wandte sie sich an Balarāma: »Mein Liebling, o Ruhm Deiner Familie, bitte komm zusammen mit Deinem jüngeren Bruder Kṛṣṇa sofort nach Hause. Ihr spielt jetzt schon seit dem frühen Morgen und müßt daher sehr müde sein. Bitte kommt und nehmt Euer Mittagessen zu Euch. Euer Vater, Nanda Mahārāja, wartet bereits; er möchte essen, und so bitte ich Euch, unverzüglich nach Hause zu kommen, damit er nicht länger zu warten braucht.« Als Kṛṣṇa und Balarāma hörten, daß Nanda Mahārāja auf Sie wartete und nicht ohne Sie mit dem Essen beginnen wollte, schickten Sie Sich an, nach Hause zu gehen; doch sogleich beklagten sich Ihre Spielgefährten: »Kṛṣṇa verläßt uns immer dann, wenn unser Spiel gerade am schönsten ist. Das nächste Mal werden wir Ihm nicht erlauben, uns einfach allein zu lassen.« Kṛṣṇas Spielkameraden drohten, Ihn nicht wieder mitspielen zu lassen, wenn Er jetzt gehe, und als Kṛṣṇa das hörte, wurde Er sehr ängstlich, und statt nach Hause zu gehen, spielte Er mit den Jungen weiter. Diesmal begann Mutter Yaśodā, die Kinder auszuschimpfen, und sagte zu ihrem Sohn: »Mein lieber Kṛṣṇa, glaubst Du, daß Du ein Gassenjunge bist oder kein Zuhause hast? Bitte komm jetzt auf der Stelle nach Hause! Du spielst schon seit dem frühen Morgen und bist von oben bis unten mit Schmutz bedeckt. Komm jetzt endlich nach Hause und nimm Dein Bad. Außerdem ist heute Dein Geburtstag. Du solltest daher den brāhmaṇas Kühe spenden. Siehst Du denn nicht, daß auch Deine Spielkameraden von ihren Müttern fein angezogen worden sind? Auch Du mußt Dich waschen und hübsche Gewänder anlegen. Bitte komm mit mir, nimm Dein Bad, und zieh frische Kleider an; dann kannst Du wieder spielen gehen.« So rief Mutter Yaśodā Kṛṣṇa und Balarāma, die es wert sind, von Halbgöttern wie Brahmā und Śiva verehrt zu werden. Mutter Yaśodā glaubte, die beiden transzendentalen Brüder seien ihre Kinder. Als Kṛṣṇa und Balarāma endlich nach Hause kamen, badete Mutter Yaśodā Sie gründlich und zog Ihnen Ihre besten, mit Juwelen besetzten Kleider an. Dann ließ sie die brāhmaṇas herbeirufen, und weil Kṛṣṇa Geburtstag hatte, ließ sie ihnen von ihren Kindern Tausende von geputzten Kühen geben. Einige Tage später versammelten sich alle älteren Kuhhirten und berieten, was sie gegen die Störungen der Dämonen im Mahāvana-Wald unternehmen könnten. In dieser Zusammenkunft war auch Upananda, der Bruder Nanda Mahārājas, anwesend. Er galt als einer der erfahrensten Hirten und war dazu Kṛṣṇa und Balarāma sehr zugetan. Upananda begann wie folgt zu sprechen: Meine lieben Freunde, wir sollten diesen Ort so schnell wie möglich verlassen, denn wir werden ständig von Dämonen heimgesucht, die unseren Frieden stören und es anscheinend vor allem auf unsere Kinder abgesehen haben. Denkt nur an Pūtanā, die Kṛṣṇa vergiften wollte. Nur durch die Gnade Haris wurde Er damals aus ihren Händen gerettet. Kurz darauf wurde Kṛṣṇa von dem Wirbelsturm-Dämonen Tṛṇāvarta in den Himmel getragen, doch auch da wurde Kṛṣṇa durch die Gnade Haris gerettet, und der Dämon fiel vom Himmel, schlug auf den felsigen Boden auf und starb. Erst kürzlich spielte das Kind zwischen zwei Bäumen, die plötzlich mit lautem Krachen umstürzten; auch in diesem Fall blieb Kṛṣṇa wie durch ein Wunder unverletzt. Hari rettete Ihn also auch dieses Mal. Stellt euch nur vor, wie groß unser Kummer sein würde, wenn Kṛṣṇa oder irgendein anderes Kind von den niederstürzenden Bäumen erschlagen worden wäre. Wenn wir all diese Begebenheiten in Betracht ziehen, müssen wir zu dem Schluß kommen, daß dieser Ort nicht mehr genug Sicherheit bietet. Laßt uns also augenblicklich von hier fortziehen. Bisher wurden wir durch die grundlose Barmherzigkeit Haris vor allen Gefahren bewahrt, doch nun sollten wir vorsichtig sein und diesen Ort verlassen. Laßt uns irgendwoanders hingehen, wo wir in Frieden leben können. Ich halte es für das beste, wenn wir in den Wald von Vṛndāvana ziehen, wo gerade jetzt frisch gewachsene Gräser und Kräuter stehen. Dieser Ort eignet sich sehr gut als Weideplatz für unsere Kühe, und unsere Familien, die gopīs mit ihren kleinen Kindern, können dort in Frieden leben. In der Nähe von Vṛndāvana liegt der Govardhana-Hügel, der von großer landschaftlicher Schönheit ist. Auch dort gibt es reichlich frischgewachsenes Gras und anderes Futter für unsere Tiere, so daß es nicht schwierig sein wird, dort zu leben. Ich schlage deshalb vor, daß wir uns sofort an diesen wunderschönen Ort begeben und hier keine Zeit mehr verlieren. Laßt uns so schnell wie möglich unsere Karren beladen, und wenn ihr nichts dagegen habt, können wir auf dem Weg die Kühe vor uns hertreiben.« Als Upananda geendet hatte, stimmten ihm alle Kuhhirten mit Begeisterung zu: »O ja, laßt uns unverzüglich nach Vṛndāvana gehen.« Jeder der Einwohner belud daraufhin seinen Karren mit allem notwendigen Hausrat und anderen Gerätschaften und bereitete sich zum Aufbruch vor. Alle alten Männer, die Kinder und die Frauen konnten auf den Wagen Platz nehmen, und die Hirten bewaffneten sich mit Bogen und Pfeilen und folgten dem Wagenzug. Die Kühe, Stiere und Kälber wurden an die Spitze des Zuges getrieben, und die Kuhhirten umkreisten die Herde, während sie ihre Hörner erschallen ließen. So machten sie sich mit großem Lärm auf nach Vṛndāvana. Wer könnte die Mädchen von Vraja beschreiben? Sie saßen in kostbare saris gekleidet auf den Wagen und begannen wie gewöhnlich von Kṛṣṇas transzendentalen Spielen zu singen. Mutter Yaśodā und Mutter Rohiṇī fuhren auf einem gesonderten Wagen, und Kṛṣṇa und Balarāma saßen auf ihren Schößen. Während der Fahrt sprachen Yaśodā und Rohiṇī ständig mit Kṛṣṇa und Balarāma, und weil ihnen diese Gespräche unbeschreibliche Freude bereiteten, sahen sie wunderschön aus. Als die Kuhhirten schließlich in Vṛndāvana ankamen, wo jeder ewiglich in Glück und Frieden lebt, umkreisten sie den Ort einige Male und bildeten dann eine Wagenburg. Nachdem sie auch die Schönheit des Govardhana-Hügels am Ufer der Yamunā gesehen hatten, begannen sie ihre Häuser zu errichten. In dieser Zeit wurden Kṛṣṇa und Balarāma die Kälber anvertraut. Die erste Verantwortung, die den Hirtenjungen übertragen wird, besteht darin, sich um die kleinen Kälber zu kümmern. Die Jungen werden von kleinauf im Hüten der Kühe geschult. Kṛṣṇa und Balarāma gingen also mit Ihren gleichaltrigen Freunden auf die Weiden und hüteten dort die Kälber, während Sie mit ihren Gefährten spielten. Wenn Sie die Kälber beaufsichtigten, bliesen die beiden Brüder manchmal auf ihren Flöten, und zuweilen spielten Sie mit den āmalikī- und bael-Früchten, die Sie Sich wie kleine Kinder beim Ballspielen zuwarfen. Ein anderes Mal tanzten Sie und ließen dabei Ihre Fuß- und Handglöckchen melodisch erklingen. Manchmal verkleideten Sie Sich auch mit Decken als Stiere und Kühe, und oft ahmten die beiden Brüder das Brüllen der Stiere nach und spielten Stierkampf oder ahmten die verschiedenen Vogel- und Tierstimmen nach. Auf diese Weise erfreuten Sie Sich Ihrer Kindheit und verhielten Sich dabei ganz wie gewöhnliche Erdenkinder. Als Kṛṣṇa und Balarāma einmal am Ufer der Yamunā spielten, näherte sich Ihnen plötzlich ein Dämon mit Namen Vatsāsura, der die Form eines Kalbes angenommen hatte und nach Vṛndāvana gekommen war, um die beiden zu töten. Weil der Dämon wie ein Kalb aussah, konnte er sich mit Leichtigkeit unter die anderen Kälber mischen; doch Kṛṣṇa durchschaute seine Absicht und unterrichtete Balarāma sofort von seinem Eindringen. Die beiden Brüder folgten dem Dämonen und schlichen Sich von hinten an ihn heran. Dann packte ihn Kṛṣṇa unvermittelt an den Hinterbeinen und am Schwanz, wirbelte ihn einige Male in der Luft herum und schleuderte ihn schließlich in den nächsten Baum. Der Dämon verlor augenblicklich das Leben und stürzte von der Spitze des Baumes wie ein Stein zu Boden. Als er tot auf dem Waldboden lag, beglückwünschten die Hirtenjungen ihren Freund Śrī Kṛṣṇa und riefen begeistert: »Einfach wunderbar, das hast Du großartig gemacht.« Und die Halbgötter begannen in ihrer Freude Blumen vom Himmel regnen zu lassen. Kṛṣṇa und Balarāma, die Erhalter der gesamten Schöpfung, pflegten jeden Morgen in den Wald zu gehen, um dort Ihre Kälber zu hüten, und erfreuten Sich so ihrer Kindheitsspiele als Hirtenknaben in Vṛndāvana. Alle Hirtenjungen gingen täglich an das Ufer der Yamunā, um dort die Kälber zu tränken. Gewöhnlich tranken die Jungen zusammen mit den Kälbern das kristallklare Wasser, und eines Tages, als sie gerade wieder getrunken hatten und am Flußufer saßen, um sich auszuruhen, sahen sie ganz unvermittelt ein riesiges Tier auftauchen, das große Ähnlichkeit mit einer Ente hatte und hoch wie ein Berg war. Sein Schnabel schien so mächtig wie ein Blitzstrahl zu sein, und als Kṛṣṇas Freunde dieses ungewöhnliche Tier sahen, bekamen sie große Angst. Das Ungeheuer war Bakāsura, ein guter Freund Kaṁsas, und als es die Kinder erreicht hatte, stieß es mit seinem spitzen und scharfen Schnabel blitzschnell auf Kṛṣṇa zu und verschlang ihn. Als Kṛṣṇa so plötzlich verschluckt wurde, stockte allen Jungen, sogar Balarāma, der Atem. Der Dämon verspürte plötzlich ein unerträgliches Brennen in der Kehle, das von Kṛṣṇas glühender Ausstrahlung verursacht wurde. Er mußte Kṛṣṇa sofort wieder hervorwürgen und ausspeien, worauf er Ihn mit seinem spitzen Schnabel durchbohren wollte, doch wußte Bakāsura nicht, daß sein Gegner, obgleich er die Gestalt eines kleinen Kuhhirtenjungen besaß, der Ursprung Brahmās, des Schöpfers unseres Universums, war. Das Kind Mutter Yaśodās, das allen Halbgöttern ein Quell der Freude ist und alle Heiligen beschützt, ergriff den Schnabel der riesigen Ente und spaltete ihn vor den Augen Seiner Freunde mit der gleichen Leichtigkeit, mit der ein Kind einen Grashalm auseinanderreißt. Die Bewohner der himmlischen Planeten ließen daraufhin zum Zeichen ihrer Begeisterung Blumen vom Himmel regnen, auch cāmeli, die von allen Blumen am stärksten duftet, und sie ließen Trompeten, Trommeln und Muschelhörner erschallen. Als die Jungen den Blumenschauer vom Himmel fallen sahen und die himmlischen Klänge hörten, wurden sie von Verwunderung ergriffen und im Anblick Kṛṣṇas alle, auch Balarāma, so sehr von Freude überwältigt, daß es schien, als hätten sie die Quelle ihres Lebens wiedergewonnen. Sie umarmten Kṛṣṇa nacheinander und drückten Ihn immer wieder an sich. Dann riefen sie alle Kälber zusammen und kehrten in froher Stimmung ins Dorf zurück. Als sie in Vṛndāvana ankamen, erzählten sie allen von Kṛṣṇas wundervollen Taten, und als die gopīs und die Kuhhirten die Berichte der Jungen hörten, wurden sie ebenso froh, denn sie alle liebten Kṛṣṇa sehr. Ihre Zuneigung wurde nun noch größer, als sie von Seinen ruhmreichen Taten hörten, und weil sie dachten, Kṛṣṇa sei aus dem Rachen des Dämonen vor dem Tode gerettet worden, betrachteten sie Ihn immer wieder mit großer Liebe und Zuneigung. Die gopīs und die Kuhhirten unterhielten sich oft darüber, wie das Kind schon so viele Male von Dämonen bedroht worden war und sie alle getötet hatte, ohne Selbst verletzt zu werden. »Viele Dämonen mit gewaltigen und abscheulichen Körpern griffen Kṛṣṇa an, um Ihn zu töten«, sagten sie, »doch durch die Gnade Haris konnten sie Ihm nicht einmal ein Haar krümmen. Sie starben vielmehr wie Fliegen, die sich in ein großes Feuer stürzen.« Und sie erinnerten sich an die Prophezeiungen Gargamunis, der, da er in den Veden und der Astrologie sehr gut bewandert war, voraussagte, daß Kṛṣṇa von vielen Dämonen angegriffen werden würde. Nun sahen sie, daß sich diese Prophezeiungen Wort für Wort bewahrheiteten. Alle älteren Kuhhirten, Nanda Mahārāja nicht ausgenommen, sprachen ständig über die wundervollen Taten Kṛṣṇas und Balarāmas, und sie waren so tief in diese Gespräche versunken, daß sie die dreifachen Leiden des materiellen Daseins vergaßen. Das ist das Ergebnis des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Die Freude, die Nanda Mahārāja vor fünftausend Jahren empfand, kann immer noch von Menschen erfahren werden, die sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein befinden und einfach über die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas und Seiner Gefährten sprechen. So erfreuten Sich Balarāma und Kṛṣṇa Ihrer Kindheit, indem Sie zusammen mit Ihren Freunden die Affen Rāmacandras nachahmten, der eine Brücke über den Ozean baute, und Hanumān imitierten, wie er über das Meer nach Ceylon sprang. Auf diese Weise verbrachten Sie glücklich Ihre Kindheit. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 11. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Vernichtung der Dämonen Vatsāsura und Bakāsura.« 12. KAPITEL Kṛṣṇa tötet den Dämonen Aghāsura Eines Morgens wollte Kṛṣṇa mit Seinen Freunden schon sehr früh in den Wald gehen, um dort mit ihnen zu frühstücken. Sowie Er aufgestanden war, blies Er in Sein Büffelhorn und rief alle Seine Freunde zusammen. Auf diese Weise sammelte Kṛṣṇa Tausende von Jungen um Sich, die alle mit einem Hirtenstab, einer Flöte, einem Horn und einem Brotbeutel ausgerüstet waren. Jedem waren Tausende von Kälbern anvertraut worden. Alle schienen auf dem Ausflug sehr ausgelassen zu sein, und die Jungen, die mit den verschiedenartigsten goldenen Gehängen beschmückt waren, sammelten in ihrer Verspieltheit Blumen, Pfauenfedern, Zweige, Blätter und roten Ton und begannen sich auf vielerlei Art damit zu schmücken. Während sie so durch den Wald zogen, stahl zuweilen einer der Jungen einem anderen den Brotbeutel und gab ihn an einen dritten weiter. Wenn der bestohlene Junge bemerkte, daß sein Brotbeutel nicht mehr an seiner Seite hing, und versuchte, diesen zurückzubekommen, wurde der Beutel dem nächsten zugeworfen. Den Jungen wurde dieses Spiel niemals langweilig. Wenn Kṛṣṇa manchmal weit vorausging, um eine Besonderheit in der Landschaft zu betrachten, versuchten die Jungen, Ihn einzuholen, und jeder wollte Ihn als der erste berühren. Jedesmal entstand ein großer Wettstreit, und wenn einige sagten, »ich werde Kṛṣṇa als erster berühren« , riefen andere sofort, »o nein das wirst du nicht, ich werde noch vor dir sein.« Manche spielten auch auf ihren Flöten oder bliesen in ihre Büffelhörner, und wieder andere verfolgten die Pfauen oder ahmten die Lockrufe der Kuckucke nach. Einige von Kṛṣṇas Freunden liefen so schnell sie konnten dem Schatten der Vögel nach und versuchten, ihren Flug genau zu verfolgen; andere gingen zuweilen zu den Affen und setzten sich leise neben sie, zogen dann ganz plötzlich an ihren Schwänzen, und wenn die Affen erschreckt in den nächsten Baum sprangen, folgten ihnen die Jungen lachend. Die Affen schnitten dann oft ärgerliche Grimassen und fletschten erbost die Zähne, doch die Jungen ließen sich nicht einschüchtern, sondern zeigten ihnen ebenfalls die Zähne. Andere Hirtenjungen spielten mit den Fröschen am Ufer der Yamunā, und wenn die Frösche aus Angst ins Wasser sprangen, tauchten die Jungen hinter ihnen her. Wenn sie dann aus dem Wasser wateten, und auf dem Land ihre Schatten sahen, stellten sie sich hin und imitierten ihre Schatten, schnitten komische Gesichter und lachten dabei aus vollem Halse. Manchmal liefen sie auch zu einem leeren Brunnen und riefen laut hinein, und wenn das Echo widerhallte, beschimpften sie es und lachten. Wie der Höchste Persönliche Gott Selbst in der Bhagavad-gītā sagt, verwirklichen Ihn die Transzendentalisten in dem Maße, wie sie sich Ihm hingeben, und erkennen Ihn als Brahman, Paramātma oder Bhagavān, den Höchsten Persönlichen Gott. Seinen Hirtenfreunden schenkte Kṛṣṇa, der den Unpersönlichkeitsanhängern mit Seiner körperlichen Ausstrahlung die Brahman-Verwirklichung gewährt, transzendentale Freude. Diejenigen, die von māyā, der äußeren Energie, verwirrt werden, halten Ihn für ein gewöhnliches, wenn auch wunderschönes Kind; doch Er erfüllte Seine Geweihten, die Kuhhirtenjungen, die mit Ihm spielten, mit nicht endender spiritueller Glückseligkeit. Nur weil die Jungen in ihren früheren Leben immer fromm und redlich gewesen waren, hatten sie die Gelegenheit erhalten, persönlich mit dem Höchsten Herrn zusammenzusein. Wer könnte jemals das transzendentale Glück der Einwohner von Vṛndāvana ermessen? Sie sahen den Höchsten Persönlichen Gott täglich von Angesicht zu Angesicht, den viele große yogīs nicht einmal erkennen können, nachdem sie viele Opfer auf sich genommen haben, und obwohl Er in ihren Herzen weilt. Dies wird ebenfalls in der Brahma-saṁhitā bestätigt. Man kann Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, zwar in den Seiten der Veden und Upaniṣaden suchen, doch solange man nicht das große Glück hat, mit einem Gottgeweihten zusammenzukommen, kann man dem Höchsten Persönlichen Gott nicht persönlich gegenüberstehen. Erst nachdem die Kuhhirtenjungen viele Leben hindurch fromm und rechtschaffen gewesen waren, konnten sie mit Kṛṣṇa zusammensein und als Seine Freunde mit Ihm spielen. Sie konnten nicht verstehen, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott war, sondern spielten mit großer Liebe als Seine besten Freunde mit Ihm. Während Kṛṣṇa auf diese Weise mit Seinen Freunden sorglos spielte und Sich vergnügte, wurde der Dämon Aghāsura zornig auf Ihn. Er konnte es nicht ertragen, Kṛṣṇa beim Spielen zuzusehen und erschien deshalb vor den Jungen, um sie zu töten. Aghāsura war so gefährlich, daß sich selbst die Halbgötter vor ihm fürchteten. Obgleich die Bewohner der himmlischen Planeten täglich Nektar trinken, um ihr Leben zu verlängern, fürchteten sie sich dennoch vor dem Dämon und fragten sich, »wann wird dieses Ungeheuer endlich getötet werden?« Die Halbgötter pflegen Nektar zu trinken, um unsterblich zu werden, doch im Grunde setzen sie kein allzu großes Vertrauen in ihre »Unsterblichkeit«. Aber die Jungen, die mit Kṛṣṇa spielten, hatten keine Angst vor dem Dämon. Sie waren frei von aller Angst. Jede materielle Schutzmaßnahme, die man trifft, um sich vor dem Tod zu bewahren, ist letzten Endes erfolglos, doch wenn man im Kṛṣṇa-Bewußtsein tätig ist, erlangt man mit Sicherheit die Unsterblichkeit. Aghāsura war der jüngere Bruder von Pūtanā und Bakāsura, und natürlich wollte er den Tod seiner Geschwister rächen. Er dachte: »Kṛṣṇa hat meinen Bruder und meine Schwester getötet. Dafür werde ich Ihn zusammen mit Seinen Freunden und Kälbern umbringen.« Aghāsura war von Kaṁsa zum Mord angestachelt worden, und daher war er in seinem Vorhaben fest entschlossen. Er dachte: »Wenn ich zum Gedächtnis an meinen Bruder und meine Schwester Getreide und Wasser opfere und dann Kṛṣṇa mit allen Hirtenjungen töte, werden auch die Einwohner von Vṛndāvana sterben.« Im allgemeinen sind die Kinder das Leben und die Kraft ihrer Eltern, und wenn die Kinder sterben, können oft auch die Eltern nicht mehr weiterleben. Als Aghāsura also den Entschluß faßte, die Einwohner von Vṛndāvana zu töten, erweiterte er sich mit Hilfe der mahimā-siddhi. Die Dämonen beherrschen zum größten Teil fast alle mystischen Kräfte, und wenn man im yoga die Vollkommenheit der mahimā-siddhi erreicht hat, kann man sich nach Belieben ausweiten. Der Dämon Aghāsura dehnte sich somit zu einer Größe von etwa zehn Meilen aus und nahm die Form einer fetten Schlange an. Weil er alle Jungen - auch Kṛṣṇa und Balarāma - mit einem Mal verschlingen wollte, legte er sich ihnen in den Weg und öffnete sein großes Maul, das vom Erdboden bis zum Himmel reichte. Seine Unterlippe lag auf dem Boden, und Seine Oberlippe berührte die Wolken. Das Innere seines Maules glich einer riesigen Berghöhle, und seine Zähne sahen aus wie Bergspitzen. Seine Zunge erschien wie eine breite Landstraße; sein Atem ging wie ein Wirbelsturm, und Seine Augen loderten wie Feuer. Anfangs dachten die Jungen, der Dämon sei nur eine riesige Statue, doch nachdem sie ihn genauer betrachtet hatten, sahen sie, daß er mehr einer großen Schlange glich, die mit weitaufgerissenem Maul vor ihnen auf dem Weg lag. Einer der Jungen sagte: »Dieses Ungetüm sieht aus wie ein großes Tier, und mir scheint, als wolle es uns verschlingen. Seht doch nur, ist dieses Ungeheuer nicht eine riesige Schlange, die ihr Maul aufgesperrt hat, um uns zu fressen?« Ein anderer fuhr fort: »Ja, was du sagst, ist wahr. Die Oberlippe dieses Tieres gleicht dem Sonnenschein, und seine Unterlippe ist wie die Reflexion des Sonnenlichts auf dem Boden. Liebe Freunde, schaut euch nur einmal den linken und rechten Kiefer dieses Monstrums an. Sein Maul ist groß wie eine Höhle, und man kann nicht sehen, wie hoch es ist. Sein Kinn steht wie eine Bergspitze vor; die lange Straße ist allem Anschein nach die Zunge dieses Scheusals, und im Innern seines Maules ist es finster wie in einem Stollen. Der heiße Wind, der wie ein Orkan bläst, ist sein Atem, und der fischige Gestank, der seinem Maul entströmt, ist der üble Geruch seiner Eingeweide.« Sie berieten sich weiter: »Dieses Biest kann uns unmöglich verschlingen, wenn wir alle zusammen in sein Maul hineingehen. Doch selbst wenn es ihm gelingen sollte, uns mit einem Mal herunterzuschlucken, könnte es doch niemals Kṛṣṇa verschlingen. Kṛṣṇa wird es einfach töten, wie Er es auch mit Bakāsura tat.« Mit diesen Worten drehten sich die Jungen nach Kṛṣṇa um, blickten in Sein wunderschönes lotosgleiches Gesicht, klatschten vor Freude in die Hände und marschierten dann alle zusammen in das Maul der gigantischen Schlange. Unterdessen erkannte Kṛṣṇa, der als Überseele im Herzen aller Lebewesen weilt, daß die ungeheure statuenhafte Gestalt vor Ihm ein Dämon war. Während Er noch überlegte, wie Er die Vernichtung Seiner Freunde verhindern könne, waren die Jungen bereits zusammen mit den Kälbern im Rachen des Ungeheuers verschwunden. Doch Kṛṣṇa folgte ihnen vorerst nicht. Der Dämon wartete darauf, daß Kṛṣṇa ebenfalls in sein Maul eintrete, und dachte bei sich: »Alle Hirtenjungen bis auf Kṛṣṇa, der meinen Bruder und meine Schwester tötete, sind nun in mich hineingegangen.« Wer von Kṛṣṇa beschützt wird, befindet sich immer in Sicherheit. Als Kṛṣṇa sah, daß Seine Freunde nicht mehr bei Ihm waren, sondern im Bauch der großen Schlange lagen, wurde Er einen kurzen Augenblick lang sehr bekümmert. Er wunderte Sich über die wunderbare Wirkungsweise Seiner äußeren Energie. Dann überlegte Er, wie Er den Dämon töten und dabei zur gleichen Zeit die Jungen und die Kälber retten könne. Obgleich Kṛṣṇa von solchen Vorfällen im Grunde nicht berührt wird, beschäftigte Er Sich dennoch mit diesen Gedanken. - Nach einiger Zeit des Nachdenkens betrat Er schließlich ebenfalls das Maul des Dämonen. Als nun auch Kṛṣṇa in das riesige Maul trat, wurden die Halbgötter, die sich versammelt hatten, um diesen Spaß mit anzusehen, und die sich hinter den Wolken versteckt hielten, in Angst und Schrecken versetzt und riefen: »O weh, welch ein großes Unglück.« Zur gleichen Zeit brachen die Freunde Aghāsuras - ganz besonders Kaṁsa -, die Fleisch und Blut zu essen pflegten, in lautes Freudengeschrei aus, als sie erfuhren, daß Kṛṣṇa in das Maul des Dämonen eingetreten war. Während der Dämon versuchte, Kṛṣṇa und Seine Gefährten zu vernichten, hörte Kṛṣṇa die angstvollen Rufe der Halbgötter und erweiterte Sich augenblicklich in der Kehle des Dämonen. Obgleich das Monstrum einen riesenhaften Körper besaß, begann es furchterregend zu röcheln, als Sich Kṛṣṇa ausdehnte. Es war dem Ersticken nahe, und in panischer Angst rollten seine Augen hin und her. Seine Lebensluft konnte nicht mehr aus ihm herausströmen und schoß schließlich aus einer der Öffnungen im Schädel hervor. Als der Dämon sein Leben aufgegeben hatte, rief Kṛṣṇa alle Jungen und Kälber mit einem transzendentalen Blick ins Leben zurück und verließ mit ihnen den toten Körper des Ungeheuers. Unterdessen schoß die Seele des Dämonen wie ein strahlendes Licht aus seinem Körper hervor und wartete am Himmel, wobei die gesamte Umgebung erleuchtet wurde. Sowie Kṛṣṇa mit den Kälbern und seinen Freunden aus dem Maul des Dämonen trat, ging das strahlende Licht vor den Augen aller anwesenden Halbgötter in den Körper Kṛṣṇas ein. Die Bewohner des Himmels waren außer sich vor Freude über Kṛṣṇas Sieg und überschütteten den Höchsten Persönlichen Gott mit Blumen, um Ihm so ihre Ehre zu erweisen. Sie begannen unter lauten Jubelrufen zu tanzen; die Bewohner von Gandharvaloka fingen an, Gebete zu sprechen; die Trommler rührten ihre Trommeln; die brāhmaṇas zitierten vedische Hymnen, und alle Gottgeweihten riefen, »jaya, jaya«, »gepriesen sei der Höchste Persönliche Gott«. Als Brahmā diese freudigen Klänge hörte, die sogar durch das höchste Planetensystem hallten, eilte er sofort herbei, um zu sehen, was sich ereignet habe. Als er auf der Erde eintraf und sah, daß Aghāsura am Boden lag, wunderte er sich sehr über die ungewöhnlichen und ruhmreichen Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes. Das gigantische Maul des Dämonen blieb für viele Tage aufgesperrt und trocknete dann langsam aus, und sein Leichnam war lange Zeit der Spielplatz der Hirtenjungen. Aghāsura wurde getötet, als Kṛṣṇa und Seine Freunde noch nicht ganz fünf Jahre alt waren. Kinder unter fünf Jahren werden »kaumāra« genannt. Vom fünften bis zum zehnten Lebensjahr nennt man sie »paugaṇḍa« und vom zehnten bis zum fünfzehnten Lebensjahr »kaiśora«. Nach dem fünfzehnten Lebensjahr werden sie als Jugendliche bezeichnet. Ein Jahr lang wurde im Dorf Vraja der Zwischenfall mit dem Aghāsura-Dämonen mit keinem Wort erwähnt. Erst als die Jungen ihr sechstes Lebensjahr erreichten, erzählten sie ihren Eltern von ihrem wundervollen Abenteuer. Der Grund hierfür ergibt sich im nächsten Kapitel. Für Śrī Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, der weit erhabener ist als Halbgötter wie Brahmā und Śiva, ist es nicht schwierig, jemandem die Gelegenheit zu geben, in Seinen ewigen Körper einzugehen, und daher gewährte Er auch Aghāsura diese Segnung. Aghāsura war zweifellos das sündigste Lebewesen im ganzen Universum, und es ist den Sündigen in den meisten Fällen nicht möglich, mit der Existenz des Herrn zu verschmelzen; doch weil Kṛṣṇa in diesem besonderen Fall in den Körper Aghāsuras eintrat, wurde der Dämon von allen sündhaften Reaktionen gereinigt. Wer fortwährend an den Höchsten Persönlichen Gott in Form Seiner transzendentalen Bildgestalt denkt oder in einer gedanklichen Gestalt, wird das höchste transzendentale Ziel mit Sicherheit erreichen und mit dem Höchsten Herrn auf ewig zusammensein. Wir können uns also ungefähr vorstellen, wie hoch die Position Aghāsuras gewesen sein muß, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, in seinen Körper eintrat. Die großen Weisen, die weit fortgeschrittenen yogīs und die Gottgeweihten meditieren ständig über die Überseele in ihrem Herzen oder betrachten die transzendentale Bildgestalt des Herrn im Tempel. Auf diese Weise werden sie von allen materiellen Verunreinigungen befreit, und wenn sie den Körper verlassen, gehen sie in das Königreich Gottes ein. Diese Stufe der Vollkommenheit kann man erreichen, wenn man ständig an die transzendentale Gestalt des Herrn denkt. Im Falle Aghāsuras jedoch trat der Höchste Herr Selbst in den Körper des Dämonen ein. Aghāsuras Position ist demnach weitaus höher als die eines gewöhnlichen Gottgeweihten oder eines yogīs. Mahārāja Parīkṣit, der von Kṛṣṇas transzendentalen Spielen hörte, wurde immer begieriger, noch mehr zu hören, und so stellte er dem großen Weisen Śukadeva Gosvāmī, der dem König das Śrīmad-Bhāgavatam vortrug, eine wichtige Frage. König Parīkṣit war verwundert, daß ein Jahr lang über die Vernichtung des Aghāsura-Dämonen nicht gesprochen wurde – bis die Jungen das paugaṇḍa-Alter erreichten. Mahārāja Parīkṣit war neugierig, mehr darüber zu erfahren, denn er war fest davon überzeugt, daß ein solcher Vorfall seine Ursache in der Entfaltung von Kṛṣṇas wunderbaren Kräften habe. Im allgemeinen sind die kṣatriyas (die Verwalter) allzu sehr mit politischen Angelegenheiten beschäftigt, so daß sie nur wenig Gelegenheit haben, über die transzendentalen Spiele Śrī Kṛṣṇas zu hören. Daher schätzte sich Mahärāja Parīkṣit sehr glücklich, als er von Kṛṣṇas transzendentalen Taten hörte, denn er erhielt diese Informationen direkt von Śrīla Śukadeva Gosvāmī, der größten Autorität des Śrīmad-Bhāgavatam. Auf Mahārāja Parīkṣits Bitte hin fuhr Śukadeva Gosvāmī fort, von den transzendentalen Spielen Śrī Kṛṣṇas zu berichten. Er beschrieb vor allem Kṛṣṇas Gestalt, Seine Eigenschaften, Seinen Ruhm und Seine Umgebung. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 12. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa tötet den Dämonen Aghāsura.« 13. KAPITEL Brahmā stiehlt die Jungen und Kälber Śukadeva Gosvāmī war sehr erfreut, als Mahārāja Parīkṣit ihn fragte, warum die Hirtenjungen erst nach einem Jahr über die Vernichtung Aghāsuras sprachen, und so sagte er: »Mein lieber König, durch deine Wißbegierde machst du die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas noch lebendiger.« Es wird gesagt, daß es die Natur eines Gottgeweihten ist, ständig seine Gedanken, seine Energie, seine Worte, seine Ohren usw. damit zu beschäftigen, über Kṛṣṇa zu hören und Ihn zu preisen. Dies wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt, und jeder, der mit gespannter Aufmerksamkeit von Kṛṣṇa sprechen hört und Seine Herrlichkeiten preist, wird erleuchtet und wird die transzendentalen Inhalte niemals alltäglich finden. Hierin besteht der Unterschied zwischen transzendentalen und materiellen Themen. Materielle Themen werden schnell langweilig, wohingegen Berichte über transzendentales Geschehen nitya-navana-vāyamāna genannt werden, was bedeutet, daß man fortwährend, ohne zu ermüden, über den Herrn hören und chanten kann, und immer begierig bleibt, noch mehr über Ihn zu erfahren. Es ist die Pflicht des geistigen Meisters, dem wißbegierigen und ernsthaften Schüler alle vertraulichen Dinge zu offenbaren. Daher erklärte Śukadeva Gosvāmī bereitwillig, warum die Einwohner von Vṛndāvana so lange nicht über die Vernichtung Aghāsuras sprachen. Śukadeva sagte zu Mahārāja Parīkṣit: »Hör bitte aufmerksam zu. Nachdem Kṛṣṇa Seine Freunde aus dem Bauch Aghāsuras gerettet und den Dämon getötet hatte, führte Er die Jungen ans Ufer der Yamunā und sagte: ›Seht nur, liebe Freunde, wie gut dieser Platz zum Mittagessen geeignet ist, und wie schön man auf dem weichen sandigen Ufer der Yamunā spielen kann. Die Lotosblumen stehen in voller Blüte und erfüllen die Luft mit herrlichem Duft. Das Zwitschern der Vögel, das Gurren der Pfaue und das Rauschen der Blätter antworten einander und machen diesen schönen Ort unter den Bäumen noch lieblicher. Laßt uns also an diesem herrlichen Platz zu Mittag essen, denn es ist bereits spät, und wir sind alle hungrig. Während wir uns laben, können die Kälber vom Wasser der Yamunā trinken und im weichen Gras weiden, das hier wächst.‹« Als die Jungen Kṛṣṇas Vorschlag hörten, stimmten alle freudig zu und sagten: »O ja, laßt uns hier rasten.« Sie ließen die Kälber frei umherlaufen, so daß diese sich am frischen Gras erfreuen konnten, und nachdem sie sich in einer großen Runde niedergesetzt hatten, öffneten sie ihre Brotbeutel, die ihnen ihre Mütter mitgegeben hatten, und begannen zu essen. Śrī Kṛṣṇa saß in der Mitte Seiner Freunde, die Ihm ihre Gesichter zuwandten und ihre Freude daran hatten, Ihn zu betrachten. Kṛṣṇa glich dem Blütenkorb einer Lotosblume, und die Jungen umgaben Ihn wie die Blütenblätter. Kṛṣṇas Freunde sammelten Blumen und Baumrinde und legten sie unter ihre Mahlzeit. Jeder der Jungen entfaltete seine ihm eigene Beziehung zu Kṛṣṇa und erfreute sich der Gemeinschaft des Höchsten Persönlichen Gottes mit scherzenden Worten. Kṛṣṇa hatte Seine Flöte in den Gürtel geschoben und Sein Horn und den Hirtenstab neben Sich gelegt. In der Linken hielt Er eine aus Yoghurt, Butter, Reis und Früchten zubereitete Speise, die man zwischen den Fingern Seiner lotosgleichen Hände sehen konnte. Der Höchste Persönliche Gott, der das Ziel aller Opfer ist, lachte und scherzte, während Er mit Seinen Spielgefährten im Wald von Vṛndāvana zu Mittag aß. Die Halbgötter, die diese Szene vom Himmel aus mit ansahen, wurden voll Verwunderung gewahr, wie die Jungen in der Gesellschaft des Höchsten Persönlichen Gottes von transzendentaler Glückseligkeit erfüllt waren. Unterdessen betraten die Kälber, die in der Nähe weideten, den tiefen Wald, angelockt von den jungen Gräsern, die dort wuchsen. Sie verschwanden allmählich außer Sichtweite, und als die Jungen plötzlich bemerkten, daß die Kälber nicht mehr in ihrer Nähe grasten, bekamen sie es mit der Angst zu tun und riefen: »Kṛṣṇa!« Kṛṣṇa ist der Vernichter der personifizierten Furcht. Jeder fürchtet sie, doch die Furcht selbst hat Angst vor Kṛṣṇa, Als die Jungen »Kṛṣṇa!« riefen, überwanden sie daher sofort ihre Angst. Weil Kṛṣṇa Seine Freunde sehr gern hatte, wollte Er nicht, daß sie mit dem Essen aufhörten, um nach den Kälbern zu suchen, und so sagte Er: »Liebe Freunde, ihr braucht eure Mahlzeit nicht zu unterbrechen; eßt ruhig weiter, Ich werde persönlich nach den Kälbern sehen.« Und so machte Er Sich auf, die Tiere zu suchen. Er hielt überall in den Wäldern und Berghöhlen nach ihnen Ausschau, doch konnte Er sie nirgends finden. Als die Halbgötter mit Staunen sahen, wie Aghāsura von Kṛṣṇa mit spielerischer Leichtigkeit getötet wurde, kam auch Brahmā herbei, der auf dem Lotos geboren wurde, der aus den Nabel Viṣṇus wächst. Es überraschte ihn sehr, wie so ein Knirps wie Kṛṣṇa eine so große Heldentat vollbringen konnte. Dem Halbgott war zu Ohren gekommen, daß der kleine Kuhhirte der Höchste Persönliche Gott sei, und nun wollte er noch mehr von Seinen herrlichen Spielen sehen. Aus diesem Grund stahl er alle Kälber und brachte sie an einen entlegenen Ort. Śrī Kṛṣṇa konnte daher trotz emsigen Suchens die Kälber nicht finden und verlor dazu noch all Seine Freunde, die Brahmā in Kṛṣṇas Abwesenheit ebenfalls verschleppte. Kṛṣṇa war in Seiner Form als Kuhhirtenjunge im Vergleich zu Brahmā winzig, doch weil Er der Höchste Persönliche Gott ist, wußte Er sofort, daß die Kälber und Jungen von Brahmā gestohlen worden waren. Er sagte Sich: »Brahmā hat Meine Freunde und die Kälber entführt, doch Ich kann unmöglich ohne sie nach Vṛndāvana zurückkehren – ihren Müttern würde vor Kummer das Herz brechen.« Um den Müttern Seiner Freunde unnötige Sorgen zu ersparen und zugleich Brahmā von der Allmacht des Höchsten Persönlichen Gottes zu überzeugen, erweiterte Sich Kṛṣṇa in die entführten Hirtenjungen und Kälber. In den Veden wird gesagt, daß Sich der Höchste Persönliche Gott durch Seine spirituelle Energie in unzählige Lebewesen erweitert. Deshalb war es für Ihn nicht weiter schwierig, auch noch zu den gestohlenen Jungen und Kälbern zu werden. Er nahm das genaue Aussehen der Jungen an, die alle von unterschiedlicher Gestalt waren, verschiedenartige Gesichter und Körper hatten und sich auch in ihren Gewändern, ihrem Schmuck und ihrem Verhalten voneinander unterschieden. Jedes Lebewesen besitzt unterschiedliche Neigungen, denn jedes ist eine individuelle Seele und unterscheidet sich in seinem Tun und Verhalten von anderen. Kṛṣṇa erweiterte Sich daher in allen Einzelheiten in die verschiedenen Jungen und wurde auch zu den Kälbern, die ebenfalls von verschiedener Größe waren und sich unterschiedlich verhielten. All dies war nur deshalb möglich, weil alles Existierende von Śrī Kṛṣṇa ausgeht. Im Viṣṇu Purāṇa heißt es dazu: parasya brahmāṇaḥ śakti. »Alles, was wir in der kosmischen Manifestation sehen, sei es Materie oder seien es die Handlungen der Lebewesen, ist nichts anderes als eine Schöpfung der Energien des Herrn, die von Ihm ausgehen wie Licht und Wärme vom Feuer.« Kṛṣṇa erweiterte Sich also in alle Seine Freunde und Kälber und kehrte, umgeben von Seinen Erweiterungen, in das Dorf von Vṛndāvana zurück. Schon lange bevor die Jungen das Dorf erreichten, konnten die Mütter ihr Flötenspiel in der Ferne hören. Sie kamen aus den Häusern und liefen ihren Kindern entgegen, und als sie sie umarmten, strömte aus mütterlicher Zuneigung Milch aus ihren Brüsten hervor, und sie erlaubten den Jungen, davon zu trinken. Sie ahnten nicht, daß sie nicht ihre Söhne, sondern den Höchsten Persönlichen Gott stillten, der Sich zu ihren Kindern erweitert hatte. Śrī Kṛṣṇa gab auf diese Weise nicht nur Mutter Yaśodā, sondern auch allen anderen gopīs die Gelegenheit, Ihn mit ihrer Milch zu füttern. Die Jungen verhielten sich ihren Müttern gegenüber wie gewöhnlich, und als der Abend hereinbrach, badeten die gopīs die Kinder, schmückten sie mit tilaka und goldenen Gehängen und gaben ihnen nach der schweren Arbeit des Tages eine gute Abendmahlzeit. Als die Kühe, die tagsüber auf den Weiden von Vṛndāvana gegrast hatten, am Abend ins Dorf zurückkehrten und nach ihren Kälbern riefen, liefen diese augenblicklich zu ihren Müttern, die sie sogleich freudig beleckten. Die Beziehung zwischen den Kühen und ihren Kälbern und den gopīs und ihren Jungen blieb erhalten, ja sie vertiefte sich sogar noch, obwohl die wirklichen Kälber und Jungen gar nicht zugegen waren. Bisher hatten sich die Kühe und die älteren gopīs mehr zu Kṛṣṇa hingezogen gefühlt als zu ihren eigenen Kindern, doch nach diesem Vorfall verstärkte sich ihre Zuneigung zu den Kindern so sehr, daß sie für sie die gleiche Liebe wie für Kṛṣṇa empfanden. Ungefähr ein Jahr lang verblieb Kṛṣṇa so in der Gestalt der Kälber und der Hirtenjungen in Seiner Erweiterung in den Weidegründen. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, weilt Kṛṣṇa als Überseele im Herzen jedes Lebewesens. In diesem Falle jedoch erweiterte Er Sich nicht als Überseele, sondern als die Kälber und Hirtenjungen. Eines Tages, als Kṛṣṇa und Balarāma die Kälber am Fuße des Govardhana-Hügels hüteten, sahen Sie von weitem einige Kühe auf der Spitze des Govardhana-Hügels weiden. Als die Kühe hinab ins Tal blickten und die Jungen mit den Kälbern sahen, liefen sie plötzlich alle mit weitausgreifenden Beinen den Hügel hinunter. Sie liebten ihre Kälber so sehr, daß sie gar nicht bemerkten, wie steinig der Pfad war, der vom Govardhana-Hügel hinunter zu den Weiden führte. Mit prall gefüllten Eutern und steil erhobenen Schwänzen stürmten sie also den Abhang hinab, während ihre Euter Ströme von Milch vergossen in der großen Liebe zu ihren Kälbern, die in Wahrheit gar nicht ihre eigenen waren. Die Kühe hatten ihre eigenen Kinder, doch obwohl die Kälber, die am Fuße des Govardhana-Hügels grasten, viel größer als die ihren und eigentlich schon aus dem Alter heraus waren, noch vom Euter der Mütter getränkt zu werden, liefen die Kühe direkt auf sie zu und begannen sie zu belecken, worauf die Kälber begannen, die Milch der Mütter zu saugen. Zwischen den Kühen und den Kälbern schien eine ungewöhnlich starke liebevolle Beziehung zu bestehen. Als die Kühe durch ihr unruhiges Verhalten deutlich verrieten, daß sie zu den Kälbern laufen wollten, versuchten die Hirten, sie aufzuhalten. Die älteren Kühe werden nämlich von den Männern behütet, und die Jungen kümmern sich um die Kälber. Die Kälber werden soweit wie möglich von den Kühen getrennt gehalten, damit sie nicht deren Euter leertrinken, und deshalb versuchten die Männer auf dem Govardhana-Hügel, ihre Tiere zurückzuhalten. Alle ihre Bemühungen waren jedoch vergebens, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als hinab ins Tal zu gehen und die Tiere zurückzuholen. Verdrossen machten sie sich auf den Weg; doch als sie dann ihre Kinder bei den Kühen und Kälbern sahen, regten sich in ihnen nie gekannte Gefühle der Liebe. Dies war recht erstaunlich, denn obgleich die Männer enttäuscht und ärgerlich den Hügel herunterkamen, schmolzen ihre Herzen in großer Zuneigung beim Anblick ihrer Söhne. Ihre Unzufriedenheit und ihr Mißmut schwanden im Nu, und liebevoll nahmen sie ihre Kinder in die Arme und drückten sie an sich. Mit Behagen sogen sie den Duft ihrer Köpfe ein und waren von großer Freude erfüllt. Nach dieser Liebkosung trieben die Männer die Kühe auf den Govardhana-Hügel zurück, und als sie an ihre Kinder dachten, füllten sich ihre Augen mit Tränen der Zuneigung. Balarāma, der diesen ungewöhnlichen Austausch von Liebe zwischen den Kühen und ihren Kälbern wie zwischen den Vätern und ihren Söhnen beobachtete, obwohl eigentlich weder die Kälber noch die Kinder eine derart große Aufmerksamkeit verdienten, suchte nach einer Erklärung für dieses Verhalten. Es verwunderte Ihn, daß die Einwohner von Vṛndāvana und die Kühe ganz plötzlich eine ebenso große Zuneigung für ihre Kinder wie für Kṛṣṇa empfanden. Balarāma kam zu dem Schluß, daß die Liebesbezeugungen eine geheimnisvolle Ursache haben mußten, die entweder auf einen Halbgott oder auf irgendein anderes mächtiges Lebewesen zurückzuführen sei. Wie sonst hätte die wunderbare Veränderung stattfinden können? Er war überzeugt, daß diese mystische Wandlung von Kṛṣṇa bewirkt worden war, den Balarāma als den Höchsten Persönlichen Gott betrachtete, der Seiner Verehrung würdig war. Er sagte Sich: »All diese Vorfälle wurden von Kṛṣṇa gelenkt, dessen mystischen Kräften selbst Ich unterlegen bin.« Balarāma ahnte also, daß die Jungen und Kälber Erweiterungen Kṛṣṇas waren. Um jedoch sicher zu gehen, fragte Balarāma Śrī Kṛṣṇa, wie sich die Dinge nun wirklich verhielten; Er sagte: »Mein lieber Kṛṣṇa, anfangs dachte Ich, die Kälber und Hirtenjungen seien entweder große Heilige oder Halbgötter, doch jetzt bin Ich eher der Ansicht, daß sie Deine Erweiterungen sind. Sie alle sind Du. Du Selbst spielst mit Dir in der Form der Kälber und Jungen. Welches Geheimnis verbirgt sich dahinter? Wo sind die ursprünglichen Kälber und Jungen, und warum hast Du Dich in diese hier erweitert, die den anderen aufs Haar gleichen? Bitte erkläre Mir dies alles.« Kṛṣṇa schilderte daraufhin in kurzen Worten, wie die Kälber und Jungen von Brahmā gestohlen wurden, und daß Er, indem Er sich erweiterte, absichtlich diesen Vorfall verheimlichte, so daß die Dorfbewohner nicht bemerken würden, daß die ursprünglichen Kälber und Jungen fehlten. Während Sich Kṛṣṇa und Balarāma unterhielten, kehrte Brahmā nach Vṛndāvana zurück, nachdem er (gemessen an seiner Lebensdauer) einen Augenblick fortgewesen war. In der Bhagavad-gītā finden wir folgende Information über die Lebenszeit Brahmās: »Ein Tag oder vielmehr zwölf Stunden in Brahmās Leben bestehen aus vier Zeitaltern multipliziert mit tausend, also aus 4 300 000 X 1000 Jahren.« Ein Augenblick in Brahmās Leben entspricht somit einem unserer Sonnenjahre. Nachdem also nach Brahmās Zeitrechnung ein Augenblick verstrichen war, kehrte Er zurück, um die Verwirrung zu sehen, die er durch die Entführung der Kälber und Jungen verursacht hatte. Doch zur gleichen Zeit hatte er auch Angst, denn er spielte mit dem Feuer. Kṛṣṇa war sein Herr, und er hatte sich einen schlechten Scherz mit Ihm erlaubt, als er Seine Kälber und Freunde entführte. Er hatte tatsächlich große Angst und wagte es deshalb nicht, lange fortzubleiben, sondern kehrte schon nach einem Augenblick zurück. Doch zu seinem großen Erstaunen sah er, daß alle Kälber und Hirtenjungen immer noch da waren und genauso mit Kṛṣṇa spielten, wie sie es getan hatten, als er sie das erste Mal sah. Er hätte schwören können, daß er sie entführt und durch seine mystischen Kräfte in Schlaf versetzt hatte, und so dachte er: »Alle diese Jungen und Kälber habe ich doch entführt, und ich bin mir ganz sicher, daß sie fest unter meinem Zauberbann schlafen. Wie ist es dann möglich, daß sie zur gleichen Zeit hier mit Kṛṣṇa spielen? Hat meine mystische Kraft etwa keinen Einfluß auf sie?« Brahmā versuchte zu verstehen, wer die Hirtenjungen waren, und wie es möglich war, daß sie nicht von seiner mystischen Kraft beeinflußt wurden; doch trotz allen Denkens konnte er die Ursache nicht herausfinden. Er geriet vielmehr unter den Bann seiner eigenen mystischen Kräfte, deren Einfluß ihm wie Schnee in der Dunkelheit oder ein Glühwürmchen am Tage erschien. Nachts, wenn es dunkel ist, mag ein Glühwürmchen leuchten, und am Tage mag Schnee im Sonnenlicht hell glänzen, doch tagsüber hat ein Glühwürmchen keine Leuchtkraft, noch besitzt der Schnee in der Nacht seinen silbernen Glanz. Ähnlich verhielt es sich auch mit der mystischen Kraft Brahmās, als er sie vor der Allmacht Kṛṣṇas entfaltete. Sie glich Schnee in der Nacht bzw. einem Glühwürmchen am Tag. Wenn jemand mit geringen mystischen Kräften seine Macht in Gegenwart einer großen Persönlichkeit mit größeren mystischen Kräften zeigt, vermindert er lediglich seinen Einfluß. Er kann ihn niemals vergrößern. Selbst eine so bedeutende Persönlichkeit wie Brahmā machte sich nur lächerlich, als er seine mystische Kraft in der Gegenwart Kṛṣṇas entfaltete. Brahmā wurde auf diese Weise durch seine eigenen mystischen Kräfte verwirrt. Um Brahmā davon zu überzeugen, daß die Kälber und Jungen, die er vor sich sah, nicht die ursprünglichen Kälber und Jungen waren, mit denen Kṛṣṇa vor einem Jahr gespielt hatte, erweiterte Sich der Höchste Persönliche Gott in Viṣṇu-Formen. In Wirklichkeit schliefen die ursprünglichen Jungen und Kälber immer noch unter dem Zauber von Brahmās mystischer Macht; die gegenwärtigen Kälber und Jungen waren die direkten Erweiterungen Kṛṣṇas bzw. Viṣṇus. Viṣṇu ist eine Erweiterung Kṛṣṇas, und diese Viṣṇu-Form erschien nun vor Brahmā. Alle Viṣṇus hatten eine blaue Hautfarbe und waren in gelbe Gewänder gekleidet. Sie hatten vier Hände, in denen Sie Feuerrad, Lotosblüte, Keule und Muschelhorn hielten, trugen funkelnde, mit Juwelen besetzte Helme und waren mit Perlen und Ohrringen geschmückt und mit prächtigen Blumengirlanden bekränzt. Auf Ihrer Brust befand sich das Zeichen Śrīvatsas, und Ihre Arme zierten Armreifen und andere Schmuckstücke. Ihre Hände waren so glatt wie Muscheln, an Ihren Fußgelenken und um Ihre Hüften hingen goldene Glöckchen, und an Ihren Fingern steckten kostbare Juwelenringe. Brahmā sah ebenfalls, daß der ganze Körper Śrī Viṣṇus von Kopf bis Fuß mit frischen tulasī-Blüten bedeckt war. Ein anderes wichtiges Merkmal der Viṣṇu-Formen war Ihre transzendentale Schönheit. Ihr Lächeln glich dem Mondschein, und Ihre Blicke waren wie der frühe Sonnenaufgang. Man konnte Sie schon allein an Ihren Blicken als die Schöpfer und Erhalter der Erscheinungsweisen der Unwissenheit und Leidenschaft erkennen. Viṣṇu repräsentiert die Erscheinungsweise der Reinheit, Brahmā die Erscheinungsweise der Leidenschaft und Śiva die Erscheinungsweise der Unwissenheit. Als Erhalter der kosmischen Manifestation und allen Lebens ist Viṣṇu auch der Erhalter Brahmās und Śivas. Dann sah Brahmā, wie viele andere Brahmās, Śivas und Halbgötter, ja selbst so unbedeutende Lebewesen wie Ameisen und Gräser, Śrī Viṣṇu tanzend umringten. Ihr Tanz wurde von herrlicher Musik begleitet, und sie alle brachten Viṣṇu ihre Ehrerbietungen dar. Brahmā erkannte auch, daß die Viṣṇu-Formen alle mystischen Vollkommenheiten besaßen, angefangen mit der anima-Vollkommenheit, durch die man klein wie ein Atom werden kann, bis zu der Vollkommenheit, die es einem ermöglicht, unbegrenzt wie die kosmische Manifestation zu werden. Alle mystischen Kräfte Brahmās, Śivas und der anderen Halbgötter und die vierundzwanzig Elemente der kosmischen Manifestation waren in der Person Viṣṇus vereinigt, und auch die untergeordneten Energien waren durch den unermeßlichen Einfluß Śrī Viṣṇus in Seinem Dienst beschäftigt. Er wurde von der Zeit, vom Raum, von der kosmischen Manifestation, der Erneuerung, von Verlangen und Aktivitäten und von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur verehrt. Brahmā erkannte auch, daß Viṣṇu die Quelle aller Wahrheit, allen Wissens und aller Glückseligkeit ist. Er vereinigt in Sich die drei transzendentalen Aspekte Ewigkeit, Wissen und Glückseligkeit, und Er ist das Ziel der Anhänger der Upaniṣaden. Brahmā sah, daß die verschiedenen Formen ihre Verwandlung in Kühe, Kälber und Jungen nicht durch mystische Kräfte von der Art erfahren hatten, wie sie einem yogī oder einem Halbgott verliehen sind. Sie waren, als Viṣṇu-mūrtis, keine Manifestationen der Viṣṇu-māyā, der Energie Viṣṇus, sondern Viṣṇu Selbst. Die Eigenschaften Viṣṇus und Viṣṇu-māyās sind mit Feuer und Hitze vergleichbar. Hitze besitzt zwar die Eigenschaft des Feuers, nämlich Wärme, doch ist sie nicht das Feuer. Die Manifestation der Viṣṇu-Formen war also nicht wie die Hitze, sondern eher wie das Feuer, denn Sie alle waren tatsächlich Viṣṇu. Die Eigenschaften Viṣṇus sind vollkommene Wahrheit, vollkommenes Wissen und vollkommene Glückseligkeit. Wenn sich materielle Objekte, wie z. B. die Sonne, in Wassertöpfen spiegelt, sind diese Spiegelungen nicht mit den Objekten identisch. Von dem Spiegelbild der Sonne geht keine wirkliche Hitze, kein wirkliches Licht aus. Im Gegensatz dazu waren alle Formen, die Kṛṣṇa annahm, völlig mit Ihm identisch. »Satyam« bedeutet »Wahrheit«, »jñānam« »vollkommenes Wissen« und »ānanda« »vollkommene Glückseligkeit«. Die transzendentalen Formen des Höchsten Persönlichen Gottes, die Seine Person enthält, sind so unermeßlich, daß die Anhänger der Upaniṣaden, die das Unpersönliche verehren, niemals ein so hohes Wissen erreichen können, daß sie diese Formen verstehen könnten. Die transzendentalen Formen des Höchsten Persönlichen Gottes befinden Sich jenseits des Vorstellungsvermögens der Unpersönlichkeitsanhänger, die durch das Studium der Upaniṣaden lediglich verstehen können, daß die Absolute Wahrheit nicht materiell ist und nicht durch materielle Energien begrenzt wird. Brahmā verstand also, daß Sich Kṛṣṇa in Viṣṇu-Formen erweitert hatte, und er konnte auch erkennen, daß alles Sich-Bewegende und Sich-Nicht-Bewegende in der kosmischen Manifestation aufgrund der Energie des Höchsten Herrn existiert. Verwirrt wurde sich Brahmā seiner Begrenztheit innerhalb der Schranken der elf Sinne bewußt. So konnte er zumindest erkennen, daß auch er, ähnlich wie eine Puppe, nur eine Schöpfung der materiellen Energie ist. Gleich einer Puppe, die nicht unabhängig nach ihrem eigenen Willen tanzen kann, sondern sich unter der Führung des Puppenspielers, der alle Fäden in der Hand hält, bewegen muß, sind auch die Halbgötter und alle anderen Lebewesen dem Höchsten Persönlichen Gott untergeordnet. Nach dem Śrī Caitanya-caritāmṛta ist Kṛṣṇa der einzige Meister, und alle anderen sind Seine Diener. Die ganze Welt schwimmt auf den Wellen des materiellen Zauberbannes, und die Lebewesen werden wie Stroh hin- und hergeschwemmt. So kämpfen sie ständig um ihr Leben. Doch sowie man sich darüber bewußt wird, daß man der ewige Diener des Höchsten Persönlichen Gottes ist, ist māyā, d. h. der illusorische Kampf ums Dasein, zuende. Brahmā, der Sarasvatī, die Göttin des Lernens, zur Frau hat, und der als die größte Autorität im vedischen Wissen gilt, war verwirrt, da er außerstande war, die außergewöhnliche Macht zu verstehen, die der Höchste Persönliche Gott entfaltete. Selbst eine so große Persönlichkeit wie Brahmā ist also nicht in der Lage, die ungeheuren mystischen Kräfte des Höchsten Herrn zu begreifen. Brahmā scheiterte nicht nur darin, Kṛṣṇa zu verstehen, sondern war auch verwirrt, als er die vielen Viṣṇu-Formen sah, die Kṛṣṇa manifestierte. Kṛṣṇa hatte Mitleid mit Brahmā, der nicht verstehen konnte, wie es Kṛṣṇa möglich sein konnte, die Macht Viṣṇus zu entfalten, als Er Sich in Kälber und Jungen verwandelte, und so zog Er plötzlich den Vorhang der yoga-māyā über den Schauplatz. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott den Augen der Materialisten nicht sichtbar ist, weil Er vom Vorhang der yoga-māyā verhüllt wird. Der Schleier, der die Realität verhüllt, wird als mahā-māyā bezeichnet, die äußere Energie, die es der bedingten Seele nicht erlaubt, den Höchsten Persönlichen Gott zu verstehen, der Sich jenseits der kosmischen Manifestation befindet. Doch die Energie, die den Höchsten Persönlichen Gott bis zu einem gewissen Maß enthüllt und es dem Lebewesen dann wieder nicht gestattet, Ihn zu sehen, wird yoga-māyā genannt. Brahmā ist keine gewöhnliche bedingte Seele; er ist sogar allen anderen Halbgöttern weit überlegen, aber dennoch konnte nicht einmal er die Machtentfaltung des Höchsten Persönlichen Gottes verstehen. Aus diesem Grunde verzichtete Kṛṣṇa darauf, weitere Kräfte zu manifestieren, denn die bedingte Seele wird von derartigen Manifestationen nicht nur verwirrt, sondern ist auch völlig außerstande, irgend etwas davon zu begreifen. Daher ließ Kṛṣṇa den Schleier der yoga-māyā über die Szene fallen, so daß Brahmā nicht noch verwirrter werden konnte. Als Brahmā von seiner Verwirrtheit befreit war, schien er aus einem todähnlichen Zustand zu erwachen. Er öffnete mühsam die Augen, und als er sich umsah, konnte er die ewige kosmische Manifestation wieder mit gewöhnlichen Augen sehen. Er sah das wunderschöne bewaldete Land von Vṛndāvana, die Lebensquelle der Lebewesen, wo alles transzendental zur materiellen Natur ist. Im Wald von Vṛndāvana leben selbst wilde Tiere wie Tiger friedlich mit Rehen und Menschen zusammen. Er konnte verstehen, daß Vṛndāvana durch die Anwesenheit des Höchsten Persönlichen Gottes transzendental zu allen anderen Orten ist, und daß in diesem glückverheißenden Land weder Sinnenlust noch Gier zu finden sind. Brahmā sah also Śrī Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, der die Rolle eines gewöhnlichen Hirtenknaben spielte, im Wald von Vṛndāvana vor sich stehen, und als er das kleine Kind anblickte, das in Seiner Linken ein wenig süßen Reis hielt und genau wie vor einem Jahr seine Freunde und Kälber suchte, stieg Brahmā augenblicklich von seinem großen Schwan herunter, und fiel wie ein goldener Stab vor dem Herrn zu Boden, um Ihm seine Ehrerbietungen zu erweisen. Das Wort, das unter Vaiṣṇavas für diese Art der Ehrerbietung gebraucht wird, lautet »daṇḍavat«, was soviel bedeutet wie »gleich einem Stock zu Boden fallen.« Man sollte einem höherstehenden Vaiṣṇava seine Ehrerbietungen erweisen, indem man wie ein Stab langausgestreckt vor ihm zu Boden fällt. Weil Brahmā eine goldene Körperfarbe hatte, glich er einem goldenen Stab, der vor Śrī Kṛṣṇa lag. Alle vier Helme auf den Köpfen Brahmās berührten Kṛṣṇas Lotosfüße, und weil Brahmā von Glückseligkeit erfüllt war, begann er Freudentränen zu weinen, die die Lotosfüße des Herrn benetzten. Immer wieder warf Brahmā sich zu Boden, um sich sogleich wieder zu erheben. Unablässig erinnerte er sich dabei an die wunderbaren Taten des Herrn. Nachdem er Kṛṣṇa auf diese Weise lange Zeit seine Ehrerbietungen erwiesen hatte, stand er schließlich auf, rieb sich die Augen und begann dem Herrn sehr demütig, mit zitternder Stimme und großem Respekt Gebete darzubringen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 13. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Brahmā stiehlt die Jungen und Kälber.« 14. KAPITEL Brahmā bringt Śrī Kṛṣṇa seine Gebete dar Brahmā betete: »Lieber Herr, Du bist der Absolute Höchste Persönliche Gott, der von allen Lebewesen zu verehren ist. Ich bringe Dir meine demütigen Ehrerbietungen und Gebete dar, um Dich zu erfreuen. Deine Körperfarbe gleicht der Farbe frischer Gewitterwolken, und um Dich herum erstrahlt eine silbern-glänzende Aura, die von Deinem gelben Gewand ausgeht. Immer wieder will ich Dir, dem Sohne Nanda Mahārājas, meine respektvollen Ehrerbietungen erweisen, der Du nun mit einem Muschelhorn in der Hand, Ohrringen und einer Pfauenfeder im Haar vor mir stehst. Dein Antlitz ist unsagbar schön, und mit Deinem Helm und der Girlande aus Waldblumen, die Deinen Hals schmückt, bist Du voller Liebreiz. In der einen Hand hältst Du Süßigkeiten, in der anderen eine Flöte, und in Deinem Gürteltuch stecken Hirtenstab und Büffelhorn. So stehst Du mit Deinen zierlichen Lotosfüßen vor mir. Mein lieber Herr, die Menschen sagen, ich sei der Meister des vedischen Wissens, denn sie halten mich für den Schöpfer des Universums, doch nun hat es sich eindeutig gezeigt, daß ich nicht imstande bin, Dich zu verstehen, obgleich Du wie ein kleines Kind vor mir stehst. Du spielst gemeinsam mit Deinen Freunden und Kälbern, was sehr leicht dazu verleitet zu denken, Du besäßest nicht einmal eine ausreichende Erziehung. Du erscheinst vor mir wie ein kleiner Dorfjunge, der in seiner Hand etwas zum Essen hält, und der nach seinen verlorenen Kälbern sucht. Dennoch besteht zwischen Deinem und meinem Körper ein so großer Unterschied, daß ich Deine Kraft nicht ermessen kann; denn wie ich einst in der Brahma-saṁhitā sagte, ist Dein Körper nicht von materieller Natur.« In der Brahma-saṁhitā erklärt Brahmā, daß der Körper des Herrn ganz und gar spirituell ist. Es besteht kein Unterschied zwischen dem Körper des Herrn und Ihm Selbst. Jedes Seiner Gliedmaßen kann die Funktionen aller anderen ausführen. Der Herr kann mit Seinen Händen sehen, mit Seinen Augen hören, Er kann mit Seinen Füßen Opfer annehmen und mit Seinem Mund schaffen. Brahmā fuhr fort: »Du erscheinst als kleiner Hirtenjunge, um Deine Geweihten zu erfreuen, und obgleich ich ein großes Vergehen gegen Deine Lotosfüße beging, indem ich Deine Freunde und Kälber entführte, weiß ich doch, daß Du trotz alledem barmherzig mit mir sein wirst. Eine Deiner transzendentalen Eigenschaften ist es, daß du Deinen Geweihten sehr zugeneigt bist. Doch trotz Deiner Zuneigung bin ich nicht in der Lage, die Macht in Deinen Taten zu ermessen. Wenn sogar ich, Brahmā, die höchste Persönlichkeit im Universum, meine Unfähigkeit eingestehen muß, den kindlichen Körper des Höchsten Persönlichen Gottes zu begreifen, kann dies auch keinem anderen gelingen. Und wenn ich nicht einmal die spirituellen Kräfte ermessen kann, die Deinem kindlichen Körper innewohnen, wie könnte ich dann jemals Deine transzendentalen Spiele verstehen? Aus diesem Grunde wird in der Bhagavad-gītā gesagt, daß jeder, der nur ein wenig um die transzendentalen Spiele und das Erscheinen und Fortgehen des Herrn weiß, sogleich in das Reich Gottes eingehen kann, nachdem er den materiellen Körper aufgegeben hat. Diese Aussage wird auch von den Veden bestätigt. Es heißt dort: Wer den Höchsten Persönlichen Gott versteht, kann den Kreislauf von Geburt und Tod mit Leichtigkeit beenden. Ich empfehle den Menschen daher, nicht ihre Zeit mit dem Versuch zu verschwenden, sich durch Spekulieren Wissen anzueignen. Man kann Dich am besten verstehen, wenn man alles Spekulieren aufgibt und versucht, in ergebener Haltung über Dich zu hören – entweder von Dir Selbst, in Form Deiner Lehren, die in der Bhagavad-gītā und ähnlichen vedischen Schriften niedergelegt sind, oder von einem erleuchteten Gottgeweihten, der Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gesucht hat. Man braucht dazu nicht einmal seine Position in der materiellen Welt aufzugeben; es genügt schon, einfach nur über Dich zu hören. Obwohl Du nicht mit Hilfe der materiellen Sinne verstanden werden kannst, kann man dennoch, indem man einfach über Dich hört, die Unwissenheit überwinden, die aus Mißverständnissen entsteht. Du offenbarst Dich in Deiner Gnade nur einem Gottgeweihten. Niemand sonst kann Dich erkennen. Die Entwicklung spekulativen Wissens ohne eine Spur von hingebungsvollem Dienen ist nutzlose Zeitverschwendung auf der Suche nach Dir. Hingebungsvolles Dienen ist so bedeutsam, daß selbst der kleinste Versuch den Gottgeweihten auf die höchste Stufe der Vollkommenheit erheben kann. Man sollte daher, will man das höchste Ziel erreichen, niemals den glückverheißenden Vorgang des hingebungsvollen Dienens mißachten und sich der Spekulation ergeben. Durch diese kann man Deine kosmische Manifestation zwar zum Teil verstehen, doch ist es unmöglich, Dich, den Ursprung alles Existierenden, auf diese Weise zu erfassen. Wer versucht, durch Spekulieren zu Wissen zu kommen, vergeudet seine kostbare Zeit und Energie. Er gleicht einem Menschen, der aus leeren Hülsen Reis dreschen möchte. Man kann Reis mit einem Mühlstein enthülsen, doch wenn die Hülsen leer sind, hat es keinen Sinn, sie noch einmal zu mahlen. Man würde lediglich Seine wertvolle Zeit mit nutzloser Arbeit verschwenden. O Herr, es gibt viele Beispiele von Menschen, die, nachdem sie vergeblich versucht hatten, die transzendentale Ebene durch Spekulieren oder Mystik zu erreichen, sich mit Körper, Geist und Worten im hingebungsvollen Dienen beschäftigten, so die höchste Stufe der Vollkommenheit erlangten und in Dein Reich eingingen. Die Versuche, Dich durch Spekulation oder mystische Meditation zu verstehen, sind ohne hingebungsvolles Dienen nutzlos. Man sollte vielmehr seine Worte in Deinen Dienst stellen und ständig Deine Nähe suchen, indem man von Deinem transzendentalen Ruhm chantet und davon hört. Wer es liebt, von Deinem Ruhm zu chanten und davon zu hören, kann die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen und in Dein Reich eingehen. Jeder, der immer mit Dir verbunden bleibt, indem er ständig von Deinen ruhmreichen Taten und Spielen chantet und hört, und Dir zur Freude die Früchte seiner Arbeit opfert, kann mit Leichtigkeit in Dein ewiges Reich zurückkehren. Nur Menschen, deren Herzen von jeglicher Verunreinigung befreit sind, können Dich erkennen, und das Herz kann man nur reinigen, wenn man von Deinen Herrlichkeiten hört und chantet.« Der Herr ist alldurchdringend. Kṛṣṇa sagt Selbst in der Bhagavad-gītā: »Von Mir wird alles erhalten, doch gleichzeitig bin Ich nicht in allem.« Weil Kṛṣṇa allgegenwärtig ist, kann nichts ohne Sein Wissen existieren. Das alldurchdringende Wesen des Höchsten Persönlichen Gottes kann niemals vom begrenzten Wissen des winzigen Lebewesens erfaßt werden. Nur ein Mensch, dessen Geist durch Konzentration auf die Lotosfüße des Herrn stetig geworden ist, kann den Höchsten Herrn bis zu einem gewissen Grade verstehen. Gewöhnlich kreisen die Gedanken um Objekte der Sinnenfreude. Deshalb kann nur jemand, der seine Sinne im Dienste des Herrn verwendet, den Geist beherrschen und dann auf die Lotosfüße des Herrn richten. Die Konzentration des Geistes auf Kṛṣṇas Lotosfüße wird samādhi genannt. Solange man nicht die Stufe des samādhi, der Trance, erreicht hat, kann man nicht das Wesen des Höchsten Persönlichen Gottes verstehen. Es mag vielleicht einige Philosophen und Wissenschaftler geben, die jedes einzelne Atom in der materiellen Manifestation studieren können; ja, sie mögen unter Umständen sogar so fortgeschritten sein, daß sie in der Lage sind, die atomare Zusammensetzung des Kosmos und aller Planeten und Sterne zu berechnen oder sogar die Anzahl der leuchtenden Moleküle der Sonne und anderer Sterne und Leuchtkörper zu bestimmen, doch niemand kann die transzendentalen Eigenschaften der Höchsten Person zählen. Wie zu Beginn des Vedānta-sūtra erklärt wird, ist der Höchste Persönliche Gott der Ursprung aller Eigenschaften. Er wird im allgemeinen »nirguṇa« genannt. »Nirguṇa« bedeutet, »ohne Eigenschaften«. »Guṇa« bedeutet »Eigenschaft« und »nir« bedeutet »ohne«. Die Unpersönlichkeitsanhänger übersetzen das Wort »nirguṇa« mit »keine Eigenschaften habend«. Weil sie nicht in der Lage sind, die transzendentalen Eigenschaften des Höchsten Herrn zu erkennen, kommen sie zu der Schlußfolgerung, der Höchste Herr habe keine Eigenschaften. Doch dies ist ein Trugschluß. In Wirklichkeit ist der Höchste Herr die Quelle aller Eigenschaften, die in nicht-endender Fülle aus Ihm hervorgehen. Wie könnte also ein bedingtes Lebewesen jemals die Eigenschaften des Herrn zählen? Und selbst wenn jemand für einen Augenblick die Eigenschaften Kṛṣṇas ermessen könnte, so müßte er doch schon im nächsten Augenblick feststellen, daß sich die Eigenschaften des Herrn vermehrt haben. Es ist also nicht möglich, die transzendentalen Eigenschaften des Herrn zu zählen, und nur aus diesem Grund wird Er »nirguṇa« genannt. Man sollte daher nicht versuchen, die Eigenschaften des Herrn durch Spekulation zu ermessen. Wenig sinnvoll ist es auch, den Körper zu schulen, um Vollkommenheit im mystischen yoga zu erreichen. Man braucht lediglich zu verstehen, daß die Leiden und Freuden des Körpers bereits vorherbestimmt sind, und daß es daher keinen Zweck hat, den Leiden des körperlichen Daseins ausweichen zu wollen oder zu versuchen, durch verschiedene körperliche Übungen glücklich zu werden. Es ist das beste, sich dem Höchsten Persönlichen Gott mit Körper, Geist und Worten hinzugeben. Nur so kann man den gewünschten Erfolg erzielen, wohingegen andere Versuche, die Höchste Absolute Wahrheit zu verstehen, zum Scheitern verurteilt sind. Ein intelligenter Mensch vergeudet daher seine Zeit nicht mit dem Versuch, der Höchsten Wahrheit durch Spekulation oder mystische Kräfte näher zu kommen. Er beschäftigt sich vielmehr im hingebungsvollen Dienen und vertraut darauf, daß der Höchste Persönliche Gott ihm helfen wird. Er weiß, daß alles, was seinem Körper widerfährt, eine Reaktion auf vorausgegangene gewinnbringende Tätigkeiten ist. Wenn man solch ein einfaches Leben im hingebungsvollen Dienen führt, gelangt man ohne weiteres Zutun in das transzendentale Reich des Höchsten Herrn. Ursprünglich ist jedes Lebewesen ein Teilchen des Höchsten, ein Kind Gottes. Jeder hat das natürliche Recht, die transzendentale Freude des Höchsten Herrn zu teilen, doch durch den Wunsch, Materie zu genießen und die aus diesem Wunsch erfolgte Verbindung mit der materiellen Natur haben sich die Lebewesen dieses Rechts beraubt. Wenn man sich aber einfach im hingebungsvollen Dienen für Gott beschäftigt, kann man leicht von der materiellen Verunreinigung befreit und auf die transzendentale Ebene erhoben werden, wo man sich zusammen mit dem Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa eines ewigen Lebens voller Glückseligkeit und Wissen erfreut. Brahmā erklärte Śrī Kṛṣṇa, er halte sich für das anmaßendste Lebewesen im ganzen Universum, denn er habe die wunderbare Macht des Herrn auf die Probe stellen wollen. Er entführte Seine Freunde und Kälber, nur um zu sehen, ob und wie der Herr sie wiederfinden würde. Doch nach dieser Tat gestand Brahmā ein, daß er höchst vermessen gewesen war, als er versuchte, seine eigene Energie vor dem Allmächtigen, dem Ursprung aller Energien, unter Beweis zu stellen. Als Brahmā, der in den Augen aller anderen Geschöpfe ein sehr mächtiges Lebewesen ist, wieder zur Vernunft kam, erkannte er, daß seine Macht im Vergleich zu der unermeßlichen Macht und Energie des Höchsten Persönlichen Gottes völlig unbedeutend ist. Die Wissenschaftler der materiellen Welt haben einige erstaunliche Erfindungen wie z. B. die Atombombe gemacht, und wenn solche Waffen auf eine Stadt oder einen anderen schutzlosen Ort abgeworfen werden, richten sie große Verwüstungen an; doch was würden sie ausrichten, wenn sie z. B. auf der Sonne gezündet würden? Ebenso mag die Entführung der Hirtenjungen und Kälber ein außerordentliches Schauspiel der mystischen Kräfte Brahmās gewesen sein, doch als Sich Śrī Kṛṣṇa in all die verschiedenen Kälber und Jungen erweiterte, erkannte Brahmā, daß seine Macht höchst unbedeutend war. Brahmā sprach Śrī Kṛṣṇa mit »Acyuta« (Unfehlbarer) an, weil der Herr nicht einmal den kleinsten Dienst einer Ihm hingegebenen Seele vergißt. Er ist Seinen Geweihten so gütig gesinnt und ihnen so zugeneigt, daß Er bereits den kleinsten Dienst als etwas Wertvolles annimmt. Brahmā hatte dem Herrn zweifellos schon viele Dienste geleistet, und als der Verwalter des Universums ist er gewiß ein treuer Diener Kṛṣṇas; deshalb war er sich auch sofort bewußt, daß er Kṛṣṇa besänftigen mußte. Er bat den Herrn daher, ihn als Seinen geringsten Diener zu betrachten, dem man kleine Fehltritte und Vermessenheiten ausnahmsweise einmal verzeihen könne. Er gab zu, daß er aufgrund seiner mächtigen Stellung als Brahmā überheblich geworden sei, und entschuldigte sich für seinen unüberlegten Fehler, indem er darauf hinwies, daß er die qualitative Inkarnation der Erscheinungsweise der Leidenschaft in der materiellen Welt sei. Brahmā ersuchte den Herrn noch einmal, ihm gnädig zu sein und ihm dieses große Vergehen zu vergeben. Brahmā kannte also seine wirkliche Position. Er ist ohne Zweifel der höchste Lehrer im Universum, und er ist für die Schöpfung in der materiellen Natur verantwortlich, die aus den acht materiellen Elementen, dem falschen Ich, der Intelligenz, dem Geist, dem Äther, der Luft, dem Feuer, dem Wasser und der Erde, besteht. Obwohl ein Universum von gigantischer Größe ist, kann man es doch ebenso ausmessen wie die Länge unseres Körpers. Im allgemeinen schätzt man die Größe eines Menschen auf sieben Ellen. Unser Universum mag uns zwar unvorstellbar groß erscheinen, aber für Brahmā mißt es nicht mehr als sieben Ellen. Außer unserem Universum gibt es noch unzählige andere Universen, die sich jenseits des Einflußbereiches unseres Brahmā befinden. So wie zahllose Atome durch ein Fliegennetz dringen, so gehen Millionen und Milliarden von Universen in ihrer samenähnlichen Form aus den Poren Mahā-Viṣṇus hervor, der nur ein Teil der vollständigen Erweiterung Kṛṣṇas ist. So gesehen, im Vergleich mit Kṛṣṇa, hat Brahmā, obwohl er das höchste Geschöpf im Universum ist, keine Bedeutung. Brahmā verglich sich daher mit einem Kind im Mutterleib. Wenn das Kind im Mutterleib zu strampeln beginnt und dabei mit seinen Armen und Beinen die Mutter stößt –, wird diese dann zornig werden? Natürlich nicht. Ebenso mag Brahmā zwar eine große Persönlichkeit sein, doch befindet auch er sich zusammen mit allem anderen Existierenden im Leib des Höchsten Persönlichen Gottes. Die Energie des Herrn durchdringt alles; es gibt keinen Teil der Schöpfung, in dem sie nicht aktiv ist. Alles existiert in der Energie des Höchsten Herrn, und daher befindet sich nicht nur der Brahmā unseres Universums, sondern auch jeder Brahmā all der anderen Millionen und Milliarden von Universen in der Energie des Herrn. Aus diesem Grunde wird der Herr auch als die Mutter alles Existierenden angesehen, und alles, was in Ihm existiert, als Sein Kind. Die gütige Mutter ist niemals böse auf ihr Kind, selbst dann nicht, wenn das Kind sie mit seinen Füßen tritt. Brahmā erinnerte dann daran, daß er auf der Lotosblume geboren wurde, die nach der Zerstörung der drei Planetensysteme Bhūrloka, Bhuvarloka und Svarloka aus dem Nabel Garbhodakaśāyī Viṣṇus oder Nārāyaṇas wuchs. Das Universum ist in drei Planetensysteme unterteilt: svarga, martya und pātāla. Diese drei Planetensysteme gehen bei der Vernichtung des Universums in das Wasser des Garbhodaka-Ozeans ein. Dann legt Sich Nārāyaṇa, eine vollständige Erweiterung Kṛṣṇas, auf dem Wasser des Garbhodaka-Ozeans nieder, und auf dem Lotos, der aus Seinem Nabel hervorsprießt, wird Brahmā geboren. So ist es zu erklären, daß Nārāyaṇa manchmal als die Mutter Brahmās bezeichnet wird. Kṛṣṇa trägt den Namen »Nārāyaṇa«, weil nach der Vernichtung des Universums alle Lebewesen in Ihm ruhen. Das Wort »nāra« bedeutet, »die Gesamtheit aller Lebewesen«, und »ayaṇa« bedeutet »Ruhestätte«. Garbhodakaśāyī Viṣṇu wird nicht nur Nārāyaṇa genannt, weil Er die endgültige Ruhestätte aller Lebewesen ist, sondern auch, weil Er auf dem Garbhodaka-Ozean ruht. Außerdem ist Nārāyaṇa, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, in jedem Herzen anwesend. Auch in diesem Sinne ist Er Nārāyaṇa, denn »ayaṇa« bedeutet sowohl »der Ursprung des Wissens« als auch »Ruhestätte«. In der Bhagavad-gītā wird ebenfalls bestätigt, daß die Fähigkeit, sich an etwas zu erinnern, von der Überseele im Herzen kommt. Wenn das Lebewesen seinen Körper wechselt, vergißt es sein ganzes vergangenes Leben, doch Nārāyaṇa, der als Überseele in jedem Herzen gegenwärtig ist, veranlaßt das Lebewesen, in Entsprechung zu seinen früheren Wünschen zu handeln. Brahmā wollte in seinem Gebet darauf hinweisen, daß Krṣṇa der ursprüngliche Nārāyaṇa und daß Nārāyaṇa keine Schöpfung der äußeren Energie ist, sondern eine Erweiterung der spirituellen Energie. Die äußere Energie, māyā, beginnt ihre Aktivität erst nach der Schöpfung der kosmischen Welt, wohingegen die ursprüngliche spirituelle Energie Nārāyaṇas bereits vor der Schöpfung aktiv ist. Die Erweiterungen Nārāyaṇas von Mahā-Viṣṇu zu Garbhodakaśāyī Viṣṇu, von Garbhodakaśāyī Viṣṇu zu Kṣīrodakaśāyī-Viṣṇu und von Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu in das Herz aller Lebewesen sind Manifestationen Seiner spirituellen Energie. Diese Erweiterungen sind keine Manifestationen der materiellen Energie, und deshalb können sie auch nicht zeitweilig sein. Alles, was dem Einfluß der materiellen Energie unterliegt, ist vergänglich, wohingegen alles, was unter der Führung der spirituellen Energie geschieht, ewig ist. Brahmā betonte noch einmal, daß Kṛṣṇa der ursprüngliche Nārāyaṇa ist, und sagte: »Der gigantische universale Körper liegt immer noch auf dem Wasser des Garbhodaka-Ozeans. Dieser gigantische Körper des Universums ist eine weitere Manifestation Deiner Energie. Weil diese universale Form auf dem Wasser ruht, ist sie ebenfalls Nārāyaṇa, und wir alle befinden uns im Leib dieser Nārāyaṇa-Form. Ich kann überall Deine verschiedenen Nārāyaṇa-Formen sehen: Ich kann Dich auf dem Wasser sehen; ich kann Dich in meinem Herzen wahrnehmen, und nun kann ich Dich sogar direkt vor mir sehen. Mein lieber Herr, in Deiner jetzigen Erscheinung hast Du bereits bewiesen, daß māyā ganz unter Deiner Aufsicht steht. Obgleich Du Dich in der kosmischen Schöpfung aufhältst, ruht diese dennoch zur gleichen Zeit in Dir. Dies hast Du bewiesen, als Du Mutter Yaśodā die gesamte Schöpfung in Deinem Mund zeigtest. Solche Wunder offenbarst Du durch Deine unvorstellbare Energie yoga-māyā. Mein lieber Kṛṣṇa, obwohl sich die gesamte kosmische Manifestation in Deinem Körper befindet, kann ich Dich dennoch außerhalb davon erblicken, und auch Du siehst mich außerhalb Deines Körpers. Wie könnte so etwas ohne den Einfluß Deiner unermeßlichen Energie geschehen?« Brahmā betont hier besonders die Tatsache, daß man für nichts eine richtige Erklärung finden kann, solange man nicht die unvorstellbare Energie des Höchsten Persönlichen Gottes anerkennt. Er sprach weiter: »Lieber Herr, selbst wenn wir alle anderen Dinge außer acht lassen und nur die heutigen Geschehnisse betrachten, so stellt sich die Frage, ob nicht auch sie einzig und allein auf Deine unvorstellbaren Energien zurückzuführen sind. Als ich Dich das erste Mal sah, warst Du allein; dann hast Du Dich in Deine Freunde, die Kälber und ganz Vṛndāvana erweitert, und daraufhin sah ich Dich und all Deine Freunde als vierarmige Viṣṇus, die von der gesamten Schöpfung – auch den Halbgöttern und mir selbst – verehrt wurden. Schließlich wurden alle diese Viṣṇus vor meinen Augen wieder zu Hirtenjungen und Kälbern. Ist all dies nicht ein eindeutiger Beweis dafür, daß Du der ursprüngliche Nārāyaṇa bist, der Ursprung allen Seins, daß alles von Dir ausgeht, und daß Du dennoch stets der Gleiche bleibst?« Menschen, die Deine unvorstellbaren Energien nicht kennen, können nicht verstehen, daß Du Dich als Brahmā, der Schöpfer, Viṣṇu, der Erhalter, und Śiva, der Zerstörer, erweiterst. Wer von diesen Dingen nichts weiß, glaubt, ich, Brahmā, sei der Schöpfer des Universums, Viṣṇu sei der Erhalter und Śiva der endgültige Zerstörer. In Wirklichkeit aber bist Du alles – der Schöpfer wie auch der Erhalter und der Zerstörer. In ähnlicher Weise erweiterst Du Dich auch in verschiedene Inkarnationen. Unter den Halbgöttern erscheinst Du als Vāmanadeva, unter den großen Weisen als Paraśurāma, unter den Menschen erscheinst Du als Kṛṣṇa oder Rāma, unter den Landtieren als Varāha, die Eber-Inkarnation, und unter den Wassertieren offenbarst Du Dich als Matsya, die Fisch-Inkarnation. Doch obwohl Du Dich in so vielen transzendentalen Formen manifestierst, wäre es falsch zu sagen, daß Du erscheinst, denn Du bist ewig. Aber wunderbarerweise bewirken Deine unvorstellbaren Energien Dein Erscheinen und Fortgehen, und so nimmst Du verschiedene Formen an, um die Gottgeweihten zu beschützen und die Dämonen zu vernichten. O Herr, alldurchdringender Höchster Persönlicher Gott, o Überseele in allen Herzen, Meister aller mystischen Kräfte, niemand kann Deine transzendentalen Spiele begreifen, die Du in den drei Welten offenbarst! Niemand kann sich auch nur annähernd vorstellen, wie Du Dich durch Deine yoga-māyā-Energie erweiterst. Lieber Herr, die gesamte kosmische Manifestation gleicht einem kurz aufflackernden Traum, und ihr zeitweiliges Dasein verwirrt die Lebewesen nur. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie im materiellen Leben ständig voller Ängste sind. In der materiellen Welt zu leben bedeutet nichts weiter, als zu leiden und ständig neue Leiden ertragen zu müssen. Aber dennoch scheint die zeitweilig existierende materielle Welt ein angenehmer und schöner Ort zu sein, denn sie ist ja aus Deinem transzendentalen Körper hervorgegangen, der ewiglich voller Glückseligkeit und Wissen ist. Aus all diesen Gründen bin ich zu dem Schluß gekommen, daß Du die Absolute Wahrheit und die höchste, ursprüngliche Person bist, und obgleich Du Dich durch Deine unvorstellbaren transzendentalen Energien in unendlich viele Viṣṇu-Formen und unzählige Lebewesen und Energien erweitert hast, bist Du dennoch der Höchste Persönliche Gott, dem keiner gleichkommt; Du bist die Höchste Überseele. Die unzähligen Lebewesen sind wie Funken, die von Dir, dem ursprünglichen Feuer, stammen. Die Vorstellung, die Überseele sei unpersönlich, ist falsch, denn ich weiß nun, daß Du die ursprüngliche Person bist. Ein Mensch mit geringem Wissen denkt vielleicht, Du werdest, weil Du der Sohn Nanda Mahārājas bist, wie ein gewöhnlicher Mensch geboren und könntest aus diesem Grunde unmöglich die ursprüngliche Person sein; doch diese Annahme ist ein großer Irrtum. Du bist tatsächlich die ursprüngliche Person. Das ist mein endgültiges Urteil. Du bist die ursprüngliche Person und zugleich der Sohn Nandas, und darüber kann es keinen Zweifel geben. Du bist die Absolute Wahrheit und befindest Dich daher nicht in der Dunkelheit der materiellen Welt. Du bist der Ursprung des brahmajyoti und der materiellen Leuchtkörper. Wie in der Brahma-saṁhitā erklärt wird, besteht das brahmajyoti aus den Strahlen, die von Deinem Körper ausgehen. Es gibt unzählige Viṣṇu-Inkarnationen und ebenso viele Manifestationen Deiner transzendentalen Eigenschaften, doch all diese Inkarnationen befinden sich keineswegs auf der gleichen Ebene wie Du. Du bist wie die ursprüngliche Kerze, und obwohl die anderen Inkarnationen, die wie viele Kerzen sind, vielleicht die gleiche Leuchtkraft besitzen wie Du, bist Du doch die ursprüngliche Kerze, der Ursprung allen Lichts. Und weil Du nicht eine der vielen Schöpfungen der materiellen Welt bist, wirst Du selbst nach der Vernichtung dieser Welt weiterbestehen. Da Du die ursprüngliche Persönlichkeit bist, wirst Du in der Gopāla-tāpanī wie auch in der Brahma-saṁhitā als »govindam ādi puruṣam« beschrieben, als Govinda, die urerste Person. In der Bhagavad-gītā wird ebenfalls erklärt, daß Du allein der Ursprung der Brahman-Ausstrahlung bist. Niemand sollte daher annehmen, Dein Körper sei ein gewöhnlicher, materieller Körper. Dein Körper ist akṣara, unzerstörbar. Der materielle Körper ist dem Angriff der drei materiellen Leiden ausgesetzt, doch Dein Körper ist sac-cid-ānanda-vigraha, ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit. Auch bist Du nirañjana, weil Deine Spiele als der kleine Sohn Mutter Yaśodās oder als der Herr der gopīs niemals von den materiellen Erscheinungsweisen berührt werden. Und obwohl Du Dich in so viele Hirtenjungen und Kälber erweitert hast, hat sich Deine transzendentale Kraft nicht verringert. Du bist immer vollendet und vollkommen. In der Iśopaniṣad wird erklärt, daß das Vollkommene, die Höchste Absolute Wahrheit, auch dann noch vollkommen bleibt, wenn etwas Vollkommenes von Ihm fortgenommen wird. Und obwohl viele Erweiterungen vom Vollkommenen ausgehen, bleibt das Vollkommene immer vollkommen und unvergleichlich. Da alle Deine Spiele spirituell sind, können sie niemals von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur verunreinigt werden. Wenn Du Dich Deinem Vater und Deiner Mutter, Nanda und Yaśodā, fügst, bedeutet dies nicht, daß sich Deine Macht verringert. Diese Unterordnung ist nur ein Zeichen der Liebe, die Du für Deine Geweihten empfindest. Es gibt keinen Rivalen, der Dir auch nur annähernd gleichkäme. Törichte Menschen denken, Deine transzendentalen Spiele und Dein Erscheinen seien nur materielle Einbildungen. Doch wie in der Gopāla-tāpanī erklärt wird, bist Du völlig transzendental zu materieller Unwissenheit und materiellem Wissen. Du bist der ursprüngliche amṛta (Nektar der Unsterblichkeit), und Du bist unvergänglich. Dies wird ebenfalls in den Veden bestätigt: amṛtaṁ śāśvataṁ brahme. »Das Brahman ist der ewige und höchste Ursprung allen Seins; Er kennt weder Geburt noch Tod.« In den Upaniṣaden wird gesagt, daß das Höchste Brahman, das wie die Sonne leuchtet, der höchste Ursprung alles Existierenden ist, und daß jeder, der diese urerste Person verstehen kann, vom materiellen, bedingten Leben befreit wird. Jeder, dem es durch hingebungsvolles Dienen gelingt, etwas Zuneigung zu Dir zu entwickeln, kann Dich Selbst, Deine Geburt, Dein Erscheinen, Dein Fortgehen und Deine Aktivitäten verstehen. Wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, kann man sofort nach Verlassen des gegenwärtigen Körpers ins spirituelle Königreich erhoben werden, wenn man Deine wirkliche Position, Dein Erscheinen und Dein Fortgehen erkennt. Jeder intelligente Mensch, der den Ozean der materiellen Unwissenheit überqueren will, sucht deshalb Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen und erreicht so ohne Schwierigkeiten die spirituelle Welt. Es gibt viele Verblendete, die sogenannte Meditation praktizieren, jedoch nicht wissen, daß Du die Höchste Seele bist. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, bist Du die Überseele, die in jedem Herzen gegenwärtig ist. Deshalb ist es sinnlos, über etwas anderes zu meditieren als über Dich. Für jemanden, der in tiefe Meditation über Deine ursprüngliche Gestalt als Śrī Kṛṣṇa versunken ist, wird der Ozean der Unwissenheit klein und unbedeutend wie die Pfütze im Hufabdruck eines Kalbes. Wer jedoch nicht weiß, daß Du die Höchste Seele bist, bleibt trotz seiner sogenannten Meditation in der materiellen Welt gefangen. Nur ein Mensch, der durch die Gemeinschaft mit Gottgeweihten zu verstehen beginnt, daß Du, Kṛṣṇa, die ursprüngliche Überseele bist, kann den Ozean der materiellen Unwissenheit ohne weiteres überqueren. Wenn jemand ein Seil für eine Schlange hält, ist er voller Furcht, doch sowie er seinen Irrtum bemerkt, vergeht seine unbegründete Angst. Wer daher durch Deine Lehren in der Bhagavad-gītā oder, wie es im Śrīmad-Bhāgavatam erklärt wird, durch Deinen reinen Geweihten versteht, daß Du das endgültige Ziel aller Erkenntnis bist, der braucht sich nicht länger vor der materiellen Existenz zu fürchten, denn er ist frei von Illusion. Der Vergleich mit dem Mann, der sich vor einem Seil fürchtet, weil er es für eine Schlange hält, trifft nur auf diejenigen zu, die nichts von Dir wissen; denn ebenso wie die irrtümliche Schlange lediglich in der Einbildung des Getäuschten existiert, existiert auch māyā (Illusion) nur in der Einbildung eines Lebewesens, das Dich vergessen hat. Māyā bedeutet im Grunde nichts anderes, als Dich zu vergessen. Wer sich daher innerlich wie auch äußerlich auf Dich ausrichtet, ist von aller Illusion befreit. Für jemanden, der sich auf diese Weise im hingebungsvollen Dienen betätigt, gibt es weder Befreiung noch Verstrickung. Ein solcher Gottgeweihter gleicht einem Menschen, der die vermeintliche Schlange als Seil erkennt und deshalb von aller Angst befreit wird. Er weiß, daß die gesamte materielle Welt Deine Schöpfung und damit Dein Eigentum ist, und verwendet daher alles in Deinem transzendentalen liebevollen Dienst; auf diese Weise ist er niemals im Materiellen verstrickt. Wer auf dem Sonnenplaneten lebt, sieht die Sonne nie auf- oder untergehen und kennt daher weder Tag noch Nacht. Ebenso gibt es auch für diejenigen, die ständig mit Dir zusammen sind, weder Verstrickung noch Befreiung. Sie sind bereits für immer und ewig frei. Wer sich dagegen nur künstlich einredet, befreit zu sein, und nicht bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht gesucht hat, muß wieder in Unwissenheit zurückfallen, da Seine Intelligenz unrein ist. Und wer nicht begreift, daß Du und die Überseele miteinander identisch sind, und versucht, Sie irgendwo, nur nicht bei Dir, zu finden – z. B. in den einsamen Wäldern oder den Berghöhlen des Himalajas –, der befindet sich ebenfalls in einem äußerst beklagenswerten Zustand. Du erklärst unmißverständlich in der Bhagavad-gītā, daß man alle anderen Vorgänge zur Selbstverwirklichung aufgeben und sich einfach Dir hingeben soll. Diese Hingabe bildet die höchste Vollkommenheit. Selbst die Unpersönlichkeitsanhänger, die in die Brahman-Ausstrahlung eingehen wollen, suchen indirekt nach Dir, und auch die yogīs, die danach streben, die Überseele zu verwirklichen, versuchen durch ihre Meditation in Wirklichkeit nur, Dich zu erkennen. In der Bhagavad-gītā sagst Du, daß Du in Deiner Teil-Repräsentation als Überseele in alle kosmischen Manifestationen eingegangen bist. Somit bist Du auch im Herzen der Lebewesen gegenwärtig. Wer trotzdem versucht, die Überseele irgendwoanders zu finden, befindet sich in tiefster Unwissenheit. Intelligente Menschen erkennen, daß Du unbegrenzt bist, und daß Du inner- und außerhalb alles Existierenden weilst. Statt irgendwo in den Wäldern und Bergen nach Dir zu suchen, meditieren sie über Dich in ihrem Herzen. Doch müssen sie erst von allen materiellen Auffassungen frei werden, bevor sie Dich erkennen können, denn Du kannst nur von jemandem verstanden werden, der Dir mit Hingabe dient. Selbst die Transzendentalisten, die nach Brahman- oder Paramātma-Verwirklichung streben, sind außerstande, die verschiedenen Aspekte Deiner Persönlichkeit zu erkennen, solange sie nicht ein wenig hingebungsvolles Dienen ausgeführt haben. Auch wenn man der geistige Meister von Tausenden von Unpersönlichkeitsanhängern ist oder in den Wald oder eine Berghöhle zieht und dort als Eremit für viele Jahre meditiert, kann man Deine Herrlichkeit nicht verstehen, ohne vom hingebungsvollen Dienen gesegnet zu sein. Solange ein Mensch also nicht die wundervolle Macht des hingebungsvollen Dienens erfahren hat, ist er nicht einmal in der Lage, Dich als unpersönliches Brahman oder Paramātma zu erkennen. »Lieber Herr, ich bitte Dich, laß mich in einem meiner nächsten Leben ein Gottgeweihter sein. Es ist mir völlig gleichgültig, was für einen Körper ich erhalte, denn ich habe gesehen, daß Deine Geweihten selbst in der Form von Kühen, Kälbern oder auch Hirtenjungen unvorstellbar glücklich sind, weil sie immer in Deinem transzendentalen Dienst beschäftigt sind und mit Dir zusammensein dürfen. Deshalb möchte ich viel lieber einer Deiner Gefährten sein als eine solch hochgestellte Persönlichkeit, wie ich es jetzt bin; denn trotz meiner hohen Position befinde ich mich in völliger Unwissenheit. Die gopīs und Kühe von Vṛndāvana sind im Gegensatz zu mir so sehr vom Glück begünstigt, daß sie Dich sogar säugen durften. Diese Segnung wurde ihnen nur deshalb zuteil, weil sie Dir ständig in transzendentaler Liebe hingegeben dienten, und so hast Du ihre Milch zu Deiner vollsten Zufriedenheit getrunken. Menschen hingegen, die lediglich Opfer ausführen auch wenn sie wertvolle Widder darbringen, können Dich nicht erfreuen. Um so mehr bewundere ich Mahārāja Nanda, Mutter Yaśodā, die Hirten und die gopīs, denn Du, der Höchste Persönliche Gott, die Höchste Absolute Wahrheit, lebst mit ihnen zusammen als ihr vertrautester und liebster Freund. Lieber Herr, niemand kann wirklich ermessen, wie glücklich die Einwohner von Vṛndāvana sind. Wir Halbgötter sind zwar sehr stolz darauf, die Sinne der Lebewesen zu kontrollieren, doch mit den Einwohnern von Vṛndāvana, die Dich täglich sehen und sich bei all ihrem Tun Deiner Gesellschaft erfreuen, können wir uns nicht vergleichen. Sie sind bereits in der Transzendenz verankert, so daß sie nicht länger unserer Aufsicht unterstehen, und weil sie in Deinem hingebungsvollen Dienst tätig sind, können sie sich ihrer Sinne wirklich erfreuen. Ich würde mich daher sehr glücklich schätzen, wenn ich in einem meiner zukünftigen Leben im Land von Vrndāvana geboren werden dürfte. Lieber Herr, ich bin weder an materiellen Reichtümern noch an Befreiung interessiert. Es ist mein einziger Wunsch, im Wald von Vṛndāvana geboren zu werden, so daß ich von dem Staub gesegnet werde, der von den Füßen der Gottgeweihten fällt, die Dir dort dienen. Es ist mir ganz gleich, in welcher Lebensform ich geboren werde. Schon die Geburt als bescheidener Grashalm wäre höchst ehrenvoll für mich. Sollte ich jedoch nicht für würdig genug erachtet werden, direkt im Wald von Vṛndāvana zu leben, so bitte ich Dich darum, mich zumindest in der unmittelbaren Umgebung wachsen zu lassen, so daß die Gottgeweihten, die den heiligen Wald verlassen, mich mit ihren Lotosfüßen berühren. Selbst das wäre schon eine große Segnung für mich, denn ich sehne mich nach nichts mehr, als den Staub von den Lotosfüßen reiner Gottgeweihter berühren zu dürfen. Ich weiß, daß die Einwohner von Vṛndāvana völlig Kṛṣṇa-bewußt sind, denn sie kennen nichts anderes als Dich, Mukunda. Sie haben das Ziel der Veden erkannt, das darin besteht, Deine Lotosfüße zu erreichen. In der Bhagavad-gītā erklärt Śrī Kṛṣṇa persönlich, daß Er das Ziel allen vedischen Wissens ist. Doch wird in der Brahma-saṁhitā auch darauf hingewiesen, daß es sehr schwierig ist, den Höchsten Persönlichen Gott allein durch Studieren der vedischen Schriften zu erkennen. Kṛṣṇa kann jedoch sehr leicht durch die Barmherzigkeit eines reinen Gottgeweihten erreicht werden. Die reinen Geweihten von Vṛndāvana sind besonders vom Glück begünstigt, denn sie können Mukunda, Śrī Kṛṣṇa, ständig von Angesicht zu Angesicht sehen. Das Wort »Mukunda« hat zwei Bedeutungen: Einmal bedeutet es «derjenige, der Befreiung gewähren kann und dadurch imstande ist, jedes Lebewesen mit transzendentaler Glückseligkeit zu erfüllen«, und zum anderen bezieht es sich auf Kṛṣṇas lächelndes Gesicht, das starke Ähnlichkeit mit der schönen kunda-Blume hat. Die reinen Gottgeweihten von Vṛndāvana unterscheiden sich von anderen Gottgeweihten darin, daß sie kein anderes Verlangen haben, als mit Kṛṣṇa zusammenzusein. Und da Kṛṣṇa Seinen Geweihten sehr zugeneigt ist, erfüllt Er ihnen diesen Wunsch. Alle Einwohner von Vṛndāvana haben die Stufe der spontanen Liebe zu Gott erreicht. Sie brauchen daher nicht mehr regulierenden Prinzipien zu folgen, denn sie haben bereits das Ziel der regulierenden Prinzipien erreicht – transzendentale Liebe zu Gott. Regulierende Prinzipien sind nur für diejenigen notwendig, die noch nicht diese Ebene erreicht haben, wie z. B. Brahmā, der immer noch an regulierende Prinzipien gebunden war. Aus diesem Grunde bat er Śrī Kṛṣṇa, ihm die Möglichkeit zu geben, in Vṛndāvana geboren zu werden, damit er auf die Ebene der spontanen Liebe erhoben werden könne. »Lieber Herr«, fuhr Brahmā in Seinen Gebeten fort, »manchmal frage ich mich, ob es Dir jemals möglich sein wird, die Einwohner von Vṛndāvana für ihr hingebungsvolles Dienen zu belohnen. Ich habe diesen Zweifel, obwohl ich eigentlich weiß, daß Du alle Segnungen geben kannst. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie gütig und großherzig Du gegenüber der Hexe Pūtanā warst, die mit Mordabsichten zu Dir kam. Du hast sie befreit und wie Deine Mutter behandelt. Und auch andere Dämonen, wie z. B. Aghāsura und Bakāsura, die beiden Brüder Pūtanās, wurden mit Befreiung gesegnet. Ich muß Dir gestehen, daß meine Verwirrung immer größer wird, je länger ich darüber nachdenke. Die Bewohner von Vṛndāvana haben sich Dir mit Leib und Seele hingegeben, haben Dir ihr Denken, ihre Liebe, ihr Heim geweiht. Sie verwenden alles, was sie besitzen, in Deinem transzendentalen Dienst. Aus diesem Grunde wirst Du wohl auf ewig in ihrer Schuld stehen, denn da Du bereits die Hexe Pūtanā so großmütig als Deine Mutter annahmst, besitzt Du nichts mehr, was Du ihnen geben könntest. Lieber Herr, ich weiß, daß Dir die Einwohner von Vṛndāvana vor allem deshalb so hingegeben dienen, weil sie alle ihre natürlichen Neigungen spontan in Deinem Dienst beschäftigen. Es wird gesagt, daß das Haften an materiellen Dingen und an Heim und Herd nur auf Illusion beruht, durch die das Lebewesen in der materiellen Welt bedingt wird. Doch im allgemeinen hat diese Aussage nur bei Menschen Gültigkeit, die nicht im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt sind. Für die Einwohner von Vṛndāvana gibt es nicht solche Hindernisse wie das Haften an Heim und Herd, denn ihre Anhänglichkeit und ihre Liebe sind ausschließlich auf Dich gerichtet; ihre Häuser sind dank Deiner ständigen Anwesenheit zu Tempeln geworden, und sie haben alles andere Dir zuliebe vergessen. Für einen wirklich Kṛṣṇa-bewußten Menschen existieren solche Hemmnisse wie Haus und Hof nicht, da er von aller Illusion befreit ist. Es ist offenkundig, daß Dein Erscheinen als kleiner Hirtenjunge, als Kind unter den anderen Hirten, nichts mit der Geburt eines gewöhnlichen Lebewesens gemein hat. Vielmehr bist Du aus Dankbarkeit für die Zuneigung Deiner Gottgeweihten aus der spirituellen Welt in die materielle Welt herabgekommen, um sie durch Deine transzendentale Anwesenheit immer mehr in ihrem hingebungsvollen Dienen anzuspornen. In Vṛndāvana gibt es im Grunde keinen Unterschied zwischen Materiellem und Spirituellem, weil hier alles in Deinem transzendentalen Dienst verwendet wird. Lieber Herr, ich weiß auch, daß Du Deine transzendentalen Spiele nur deshalb entfaltest, weil Du mit ihnen Deine Gottgeweihten begeistern willst. Wer Deine Spiele für materiell hält, unterliegt daher einem großen Irrtum. Menschen, die Dich verspotten und behaupten, Dein spiritueller Körper sei materiell wie der jedes gewöhnlichen Menschen, werden in der Bhagavad-gītā als dämonisch und weniger intelligent beschrieben, denn es ist eine ewige Tatsache, daß Du immer völlig transzendental bist. Die Nicht-Gottgeweihten betrügen sich daher selbst, wenn sie Dich für ein Produkt der materiellen Welt halten. Sie wissen nicht, daß Du nur deshalb erscheinst, weil Du die Hingabe und die transzendentale Glückseligkeit Deiner Geweihten vergrößern willst. Lieber Herr, ich kann nicht verstehen, wie Menschen von sich behaupten können, sie hätten Gott bereits verwirklicht oder seien durch ihre Verwirklichung selbst Gott geworden. Was mich betrifft, so bekenne ich ganz offen, daß ich Dich weder mit Körper noch mit Geist noch mit Worten begreifen kann. Was kann ich schon über Dich sagen, oder wie könnte ich Dich mit meinen Sinnen erkennen? Ich kann ja nicht einmal mit meinem Geist, dem Meister der Sinne, ohne Unterbrechung an Dich denken. Wie sollte dann ein gewöhnlicher Mensch in der Lage sein, Deine transzendentalen Eigenschaften und Handlungen zu verstehen oder Deinen transzendentalen Körper wahrzunehmen. Nur durch Deine Barmherzigkeit kann man Dich bis zu einem gewissen Ausmaß erkennen. O Śrī Kṛṣṇa, manchmal bilde ich mir ein, der Gebieter dieses Universums zu sein, doch in Wirklichkeit beherrschst Du allein die gesamte Schöpfung. Aber auch wenn ich das ganze Universum beherrschte – was wäre das schon? –, es gibt noch unzählige andere Universen mit unzähligen anderen Brahmās, die letztlich alle unter Deiner Kontrolle stehen. Weil Du als Überseele im Herzen jedes Lebewesens weilst, weißt Du alles. Bitte nimm mich daher als Deinen ergebenen Diener an. Ich hoffe, Du verzeihst mir mein unbesonnenes Verhalten, als ich Dich in Deinen Spielen mit Deinen Freunden und Kälbern störte. Lieber Kṛṣṇa, bereits Dein Name weist darauf hin, daß Du allesanziehend bist. Die Anziehungskraft, die von Sonne und Mond ausgeht, findet ihren Ursprung allein in Dir. Und weil Du so anziehend wie die Sonne bist, verschönerst Du durch Deine Anwesenheit das Leben der Yadu-Dynastie. Durch die Strahlen des Mondes vergrößerst Du die Kraft der Halbgötter, der brāhmaṇas und der Kühe und erhöhst die Ergiebigkeit des Landes und der Ozeane. Ich weiß auch, daß durch Deine erhabene Anziehungskraft alle großen Dämonen wie Kaṁsa und seine Kumpane schon in kurzer Zeit vernichtet werden. Daher bin ich zu der wohlüberlegten Schlußfolgerung gekommen, daß Du der einzige verehrungswürdige Höchste Persönliche Gott bist. Laß mich Dir bitte bis an mein Lebensende meine demütigen Ehrerbietungen darbringen.« Nachdem Brahmā, der Herr unseres Universums, dem Höchsten Persönlichen Gott auf diese Weise seine Ehrerbietungen erwiesen hatte, sagte er: »Erlaube mir nun bitte, nach Brahmaloka zurückzukehren, denn ich will Dich nicht länger belästigen. Du sollst ungestört mit Deinen Freunden und Kälbern weiterspielen können.« Der Herr gab mit einer Geste Sein Einverständnis, worauf der mächtige Halbgott Ihn dreimal umkreiste und sich dann auf seinem Schwan in die Lüfte erhob. Sowie Brahmā Śrī Kṛṣṇa verlassen hatte, war alles wieder wie an dem Tag, an dem die Hirtenjungen und die Kälber verschwanden. Als Kṛṣṇa Seine Freunde am Ufer der Yamunā alleinließ, um die Kälber zu suchen, waren sie gerade dabei, ihr Mittagessen zu sich zu nehmen. Obwohl inzwischen fast ein Jahr vergangen war, dachten die Jungen, als sie den Herrn jetzt wiedersahen, Kṛṣṇa sei schon nach einem kurzen Augenblick zurückgekehrt. Das ist ein Beweis für die wunderbare Wirkungsweise von Kṛṣṇas mannigfaltigen Energien. In der Bhagavad-gītā wird dazu gesagt, daß Kṛṣṇa im Herzen jedes Lebewesens weilt, und daß von Ihm Erinnerung und Vergessen kommen. Alle Lebewesen werden also von der erhabenen Energie des Herrn beherrscht, und manchmal erinnern sie sich an ihre wesenseigene Position, und ein anderes Mal nicht. Weil auch Kṛṣṇas Freunde von dieser erhabenen Energie beherrscht wurden, ahnten sie nicht, daß sie ein ganzes Jahr lang unter Brahmās Zauberbann in einer Höhle in den Bergen geschlafen hatten, und so glaubten sie natürlich auch, Kṛṣṇa sei bereits nach einer Minute zu ihnen zurückgekehrt. Sie begannen lauthals zu lachen, als sie ihren transzendentalen Freund schon nach so kurzer Zeit wiedersahen, denn sie dachten, Kṛṣṇa habe es nicht über das Herz bringen können, die Gesellschaft Seiner fröhlich schmausenden Gefährten für längere Zeit zu verlassen. Die kleinen Kuhhirten wurden bei diesem Gedanken sehr glücklich und luden den Herrn mit scherzenden Worten ein, Sich wieder zu ihnen zu setzen: »Kṛṣṇa, lieber Freund, Du bist ja schnell wieder zurück! Nur gut, wir haben zum Glück noch gar nicht richtig angefangen. Komm und setz Dich zu uns, so daß wir gemeinsam weiteressen können.« Kṛṣṇa nahm ihre Einladung lächelnd an und setzte alsdann Sein unterbrochenes Mittagsmahl fort. Während alle vergnügt speisten, dachte Kṛṣṇa: »Diese Jungen glauben tatsächlich, Ich sei schon nach ein paar Minuten zurückgekommen; sie wissen nicht, daß Ich Mich ein Jahr lang als sie erweiterte, da Ich Mich mit Brahmās mystischem Zauber befassen mußte.« Nachdem Kṛṣṇa und Seine Freunde ihr Mahl beendet hatten, machten sie sich auf den Nachhauseweg. Jeder der Hirtenjungen besaß ein Büffelhorn, einen Hirtenstab und eine Flöte, und während sie durch den Wald zogen, riefen sie die Kälber, die von ihnen behütet wurden, bei ihren jeweiligen Namen. Ihr Weg führt sie auch an Aghāsuras Leichnam vorbei, den sie unter jubelnden Freudenrufen bestaunten. Als Kṛṣṇa schließlich zusammen mit Seinen Freunden das Dorf betrat, kamen alle Einwohner herbeigelaufen, um Ihn zu begrüßen. Auf dem Kopf trug Er einen mit einer Pfauenfeder geschmückten Helm, der genau wie Er Selbst mit Blumengirlanden bekränzt war; den Körper hatte Er mit den verschiedensten Mineralien bemalt, die aus den Höhlen des Govardhana-Hügels stammten. Der Govardhana-Hügel ist auch heute noch für seine roten Erdfarben berühmt, und Kṛṣṇa und Balarāma pflegten, zusammen mit Ihren Freunden, Ihre Körper mit diesen Farben zu bemalen. Die Hirtenjungen waren so sehr von Kṛṣṇas Wundertat begeistert, daß sie beim Einzug ins Dorf wohlklingende Lieder komponierten, die von der Rettung vor der Riesenschlange und der Tötung des Ungeheuers durch Kṛṣṇa berichteten. In einigen der Lieder wurde Kṛṣṇa als der Sohn Yaśodās gepriesen und in anderen als der Sohn Nanda Mahārājas. Ein Junge sang z. B.: »Kṛṣṇa ist ganz einfach großartig. Er hat uns aus dem Rachen der großen Schlange errettet und sie mühelos getötet.« Niemand von ihnen ahnte, daß seit dem Erlebnis mit dem Aghāsura-Dämonen bereits ein Jahr vergangen war. Mahārāja Parīkṣit hatte Śukadeva Gosvāmī die ganze Zeit über schweigend zugehört, doch an dieser Stelle unterbrach er ihn und fragte, wie es möglich gewesen sei, daß die Einwohner von Vṛndāvana plötzlich so viel Liebe für Kṛṣṇa entwickelten, obgleich Er gar nicht ihr Sohn war. Mahārāja Parīkṣit fragte auch: »Warum liebten die Eltern die Jungen mehr als ihre eigenen? Und warum verspürten die Kühe plötzlich eine viel größere Zuneigung zu den Kälbern, als zu ihren eigenen?« Śukadeva Gosvāmī erklärte Mahārāja Parīkṣit: »Jedes Lebewesen hängt am meisten an sich selbst.« Äußerlichkeiten wie Heim, Familie, Freunde, Land, Gesellschaft, Reichtum, Wohlstand, Ruhm usw. sind an sich für das Lebewesen zweitrangig, denn es interessiert sich nur solange für diese Dinge, wie sie ihm Freude bereiten. So ist es auch zu erklären, daß die meisten Menschen egozentrisch sind und sich selbst mehr lieben als Frau, Kinder, Verwandte und Freunde. Wenn man selbst in Gefahr ist, sorgt man zuallererst für sich selbst und denkt erst dann an andere. Das ist natürlich und beweist eindeutig, daß man sich selbst der beste Freund ist. An zweiter Stelle steht unser Körper. Wer nichts von der ewigen spirituellen Seele weiß, haftet so stark am materiellen Körper, daß er sogar noch im Alter versucht, mit allen möglichen Mitteln und Methoden jung zu bleiben, indem er sich einbildet, sein alter, verbrauchter Körper sei noch auf irgendeine Weise zu retten. Jeder arbeitet, entweder mit einer materiellen oder mit einer spirituellen Auffassung vom Leben, Tag und Nacht schwer, um Geld zu verdienen und dann die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Wir haften nur deshalb an materiellen Besitztümern, weil wir sie mit Hilfe der Sinne und des Körpers genießen wollen. Den Körper wiederum würden wir niemals lieben, wenn sich nicht das »Ich«, die Seele, im Herzen befände. Wer über spirituelles Wissen verfügt, weiß, daß man die spirituelle Seele nur deshalb liebt, weil sie ein Teil Kṛṣṇas ist. Letzten Endes lieben wir alle also Kṛṣṇa, denn Er ist die Überseele in allem Existierenden. Um dieses Wissen zu verkünden, erscheint der Höchste Herr mitten unter uns und zeigt, daß Er der allesanziehende Mittelpunkt der Schöpfung ist. Alles, was uns fasziniert, ist eine Erweiterung Śrī Kṛṣṇas, des Ursprungs aller Freude. Er ist das aktive Prinzip, und daher sehen die erleuchteten Transzendentalisten alles in Beziehung zu Ihm. Im Śrī Caitanya-caritāmṛta wird ebenfalls gesagt, daß ein mahā-bhāgavata, d. h. ein weit fortgeschrittener Gottweihter, Kṛṣṇa als das aktive Prinzip in allen sich bewegenden und sich nicht bewegenden Lebewesen erkennt und daher alles in Verbindung zu Ihm sieht. Jeder, der verwirklicht hat, daß Kṛṣṇa alles ist, und mit dieser Erkenntnis Zuflucht bei Ihm gesucht hat, ist bereits befreit. Ein solcher Mensch lebt also, mit anderen Worten, nicht länger in der materiellen Welt. Dies wird in der Bhagavad-gītā wie folgt bestätigt: Jeder, der sich im hingebungsvollen Dienen für Kṛṣṇa betätigt, befindet sich auf der brahma-bhūta-Stufe, auf der spirituellen Ebene. Schon allein der Name »Kṛṣṇa« weist auf Frömmigkeit und Befreiung hin, und somit steigt jeder, der bei Krṣṇas Lotosfüßen Zuflucht sucht, in das Boot, mit dem er den Ozean der Unwissenheit überqueren kann. Für eine solch hingegebene Seele wird dieser weite Ozean so klein, wie das Wasser im Hufabdruck eines Kalbes. Somit ist Kṛṣṇa das Ziel aller großen Seelen und die Zuflucht der gesamten Schöpfung. Für einen Menschen, der fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist, ist Vaikuṇṭha, die spirituelle Welt, nicht mehr fern. Er lebt nicht mehr in der materiellen Welt, wo bei jedem Schritt Gefahr lauert. So erzählte Śukadeva Gosvāmī dem Mahārāja Parīkṣit über die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas mit Seinen Freunden, den Hirtenjungen, erzählte, wie Er mit ihnen am Ufer der Yamunā saß, und wie Brahmā die Kälber und Jungen entführte und Ihm seine Gebete darbrachte. Jeder, der diese Beschreibungen hört, weitererzählt oder chantet, wird mit Sicherheit die Erfüllung seiner spirituellen Wünsche erfahren. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 14. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Brahmā bringt Śrī Kṛṣṇa seine Gebete dar.« 15. KAPITEL Der Dämon Dhenukāsura wird getötet Auf diese Weise verbrachte Śrī Kṛṣṇa mit Seinem Bruder Balarāma das Kindheitsalter, das man als kaumāra bezeichnet, und kam schließlich in das pauganda-Alter, das vom sechsten bis zum zehnten Lebensjahr dauert. Zu jener Zeit kamen die Kuhhirten zu einer Beratung zusammen, und sie beschlossen, den Jungen, die das fünfte Lebensjahr hinter sich gelassen hatten, die Kühe auf den Weidegründen anzuvertrauen. Balarāma und Kṛṣṇa zogen von da an also mit den Kühen über das Land von Vṛndāvana und segneten es mit Ihren Fußspuren. In der Gemeinschaft der Kuhhirtenjungen und Balarāmas trieb Kṛṣṇa die Kühe vor Sich her und spielte im Wald von Vṛndāvana, der voll war von Blumen, Kräutern und Weidegras, auf Seiner Flöte. Der Vṛndāvana-Wald wurde dadurch geheiligt wie der klare Geist eines Gottgeweihten; in ihm summten die Bienen, und Blumen und Früchte waren im Überfluß vorhanden. Verschiedenartige Vögel zwitscherten lieblich, und es gab dort kristallklare Teiche, mit Wasser, das einen von jeglicher Müdigkeit befreien konnte, und ständig wehten süßduftende, für Geist und Körper erfrischende Brisen. Kṛṣṇa betrat gemeinsam mit Seinen Freunden und Balarāma den Wald, und als Sie Sich Ihrer idyllischen Umgebung gewahr wurden, genossen sie nach Herzenslust die wundervolle Atmosphäre. Kṛṣṇa sah, daß die Bäume, die von Früchten und frischen Zweigen überladen waren, ihre Äste bis zum Boden herabbogen, als wollten sie Ihn willkommen heißen, indem sie Seine Lotosfüße berührten. Dieses Verhalten der Bäume, Sträucher und Blumen gefiel Ihm, und ihre tiefsten Wünsche erkennend lächelte Er. Kṛṣṇa sprach alsdann zu Seinem älteren Bruder Balarāma: »Mein lieber Bruder, Du überragst uns alle, und Deine Lotosfüße werden von den Halbgöttern verehrt. Sieh nur, wie all diese Bäume, die voll von Früchten hängen, sich herabgebeugt haben, um Deinen Lotosfüßen Ehre zu erweisen. Mir scheint, als versuchten sie, der Dunkelheit zu entkommen, zu der sie in ihren Körpern als Bäume verurteilt sind. Dabei sind die Bäume im Land von Vṛndāvana keine gewöhnlichen Lebewesen. Weil sie in ihrem vorhergehenden Leben nach der Philosophie der Unpersönlichkeit lebten, wurden sie in diese Lebensform versetzt, doch nun haben sie die Gelegenheit, Dich in Vṛndāvana zu sehen, und sie beten darum, durch Deine persönliche Anwesenheit weiteren Fortschritt im spirituellen Leben machen zu dürfen. Im allgemeinen sind Bäume Lebewesen, die sich in der Erscheinungsweise der Dunkelheit befinden. Als solche befinden sich auch die Anhänger der Unpersönlichkeitsphilosophie in dieser Unwissenheit, doch nun befreien sie sich davon, indem sie Deine Anwesenheit nutzen. Auch glaube Ich, daß die Hummeln, die Dich ständig summend begleiten, in ihren früheren Leben Deine Geweihten gewesen sein müssen. Sie können sich nicht von Dir trennen, denn niemand kann ein besserer, gütigerer Meister sein als Du. Du bist der höchste und ursprüngliche Persönliche Gott, und die Hummeln versuchen einfach, Deine Herrlichkeiten zu preisen, indem sie unablässig Deinen Namen chanten. Einige von ihnen müssen große Weise und Gottgeweihte sein, die nur die Form von Hummeln angenommen haben, weil sie nicht imstande sind, Deine Gemeinschaft auch nur für einen Augenblick zu verlassen. Mein lieber Bruder, Du bist der höchste verehrungswürdige Gott. Sieh nur, wie die Pfauen in Ekstase vor Dir tanzen. Mit derselben Zuneigung begrüßen Dich die Rehe, die sich genau wie die gopīs verhalten, und die Kuckucke, die hier im Wald wohnen, empfangen Dich mit großer Freude, weil sie wissen, daß Dein Erscheinen in ihrem Reich ein großes Glück für sie ist. Obwohl sie Bäume und Tiere sind, preisen Dich die Bewohner des Waldes von Vṛndāvana und versuchen, Dich nach ihrem besten Vermögen willkommen zu heißen, wie es große Seelen tun, wenn sie eine andere große Seele bei sich zu Hause empfangen. Und was das Land betrifft, so ist es so fromm und vom Glück gesegnet, daß die Abdrücke Deiner Lotosfüße seinen Körper zeichnen. Auch die Kräuter, Wurzeln und Gräser sind so glücklich, daß sie Deine Lotosfüße berühren dürfen. Und die kleinen Sträucher fühlen sich geehrt, weil Du sie mit Deinen Händen berührst. Auch die Hügel und Flüsse sind verehrenswert, weil Du nun Deinen Blick über sie schweifen läßt. Doch von allen sind die Mädchen von Vraja, die gopīs, die von Deiner Schönheit bezaubert sind, am verehrungswürdigsten, weil Du sie mit Deinen starken Armen umschließt. Auf diese Weise erfreuten Sich Kṛṣṇa und Balarāma zusammen mit den Kälbern und Kühen am Ufer der Yamunā der Bewohner von Vṛndāvana. Meistens wurden Kṛṣṇa und Balarāma auch von Ihren Kuhhirtenfreunden begleitet. Die Jungen sangen, während sie Kṛṣṇa und Balarāma Gesellschaft leisteten, wobei sie manchmal das Summen der Hummeln nachahmten. Zuweilen, wenn sie spazierengingen, machten die Jungen auch die quäkenden Stimmen der Schwäne auf den Seen nach, oder wenn sie die Pfauen tanzen sahen, imitierten sie deren Gebaren vor Kṛṣṇa. Und auch Kṛṣṇa bewegte Seinen Hals hin und her, wie ein tanzender Pfau, und brachte so Seine Freunde zum Lachen. Die Kühe, die Kṛṣṇa behütete, hatten bestimmte Namen, und Kṛṣṇa rief sie manchmal mit liebevollem Ton zu Sich. Wenn die Kühe Kṛṣṇa rufen hörten, antworteten sie sogleich mit vernehmlichem Muhen, und die Jungen genossen in ihrem Innersten diesen liebevollen Austausch zur vollsten Zufriedenheit. Gelegentlich ahmten sie auch die Stimmen verschiedener Vogelarten nach, besonders die der cakoras, Pfauen, Kuckucke und bhāradvājas. Wenn sie sahen, wie schwächere Tiere aus Furcht vor dem Gebrüll der Löwen und Tiger die Flucht ergriffen, imitierten die Freunde sie und liefen mit ihnen um die Wette. Wenn sie sich müde fühlten, setzten sie sich auf den Boden, und Balarāma legte gewöhnlich Seinen Kopf auf den Schoß eines Jungen, um Sich auszuruhen. Kṛṣṇa begann dann, Balarāmas Beine zu massieren, und manchmal nahm Er auch einen Fächer aus Palmblättern in die Hand und fächelte dem erhitzten Körper Balarāmas Luft zu, um Ihm etwas Kühlung zu spenden. Während Balarāma Sich so ausruhte, tanzten oder sangen manche Jungen vor Freude, und manchmal rangen sie miteinander oder veranstalteten Bockspringen. Wenn die Jungen so vergnügt herumtollten, lief Kṛṣṇa augenblicklich hinzu, und indem Er sie bei den Händen zu fangen versuchte, erfreute Er Sich ihrer Gemeinschaft, lachte und lobte ihr Tun. Wenn Kṛṣṇa dann müde wurde, nahm Er meist im Schatten eines großen Baumes Zuflucht und legte Sich mit der Baumwurzel oder dem Körper eines der Knaben als Kopfkissen nieder. Dann begannen die Jungen sogleich, Seine Beine zu massieren und Ihm mit Blättern Luft zuzufächeln, während die begabtesten von ihnen mit süßen Stimmen sangen, um Kṛṣṇa zu erfreuen; dadurch verflog Seine Müdigkeit natürlich sehr schnell. Der Höchste Persönliche Gott, dessen Beine von der Glücksgöttin behütet werden, verhielt Sich unter den Kuhhirtenjungen wie einer der ihren, während Er Seine innere Energie spielen ließ, um wie ein Dorfjunge zu erscheinen. Doch obwohl Er Sich wie ein einfaches Dorfkind verhielt, gab es Gelegenheiten, da Er Sich als der Höchste Persönliche Gott bestätigte. Manchmal erklären sich gewöhnliche Menschen für Gott und betrügen die Ahnungslosen, doch sie können nur täuschen; die Macht Gottes entfalten können sie nicht. Während Kṛṣṇa so bei Seinen überaus glücklichen Freunden Seine inneren Energien offenbarte, ereignete sich wieder ein Zwischenfall, der Ihm Gelegenheit gab, Seine übermenschlichen Kräfte zu entfalten. Seine engsten Freunde, Śrīdāmā, Subala und Stokakṛṣṇa, sprachen Ihn und Balarāma nämlich einst höchst liebevoll mit folgenden Worten an: »Lieber Balarāma, Du bist sehr mächtig, und Deine Arme sind von unglaublicher Stärke. Lieber Kṛṣṇa, Du hast schon oft Deine Fähigkeit bewiesen, mit allen Arten übler Dämonen fertig zu werden. Wisset, daß sich nicht weit von hier ein großer Wald namens Tālavana befindet. Dieser Wald steht voller Obstbäume, die mit den herrlichsten Früchten beladen sind. Die Früchte sind jetzt gerade voll ausgereift und müssen köstlich schmecken; einige beginnen bereits abzufallen. Es ist also ein wirklich schöner Ort, aber weil ein großer Dämon namens Dhenukāsura dort haust, ist es ziemlich gefahrvoll, den Wald zu betreten. Niemand wagt es, sich diesen Bäumen auch nur zu nähern, um ein paar Früchte aufzusammeln. Der Dämon weilt dort ständig in der Form eines Esels, umgeben von dämonischen Freunden in ähnlichen Gestalten, deren Stärke so gefürchtet ist, daß niemand sich in den Wald traut. Liebe Brüder, Kṛṣṇa und Balarāma, Ihr seid die einzigen, die mit solchen Dämonen fertig werden können; niemand sonst kann dorthin gehen, ohne befürchten zu müssen, getötet zu werden. Selbst die Tiere meiden den Ort, und kein Vogel baut dort sein Nest. Sie alle haben den Wald verlassen. Man kann nur noch die süßen Düfte riechen, die von weitem herüberwehen, und bis heute hat noch niemand von den nektargleichen Früchten probiert. Offen gesagt, lieber Kṛṣṇa, die süßen Düfte locken uns sehr. Lieber Balarāma, laß uns gemeinsam hingehen und uns an den Früchten laben. Die verlockenden Düfte dringen bereits bis hier her. Könnt Ihr sie nicht riechen?» Als Kṛṣṇa und Balarāma so von ihren lächelnden Freunden gedrängt wurden, konnten Sie nicht widerstehen und machten Sich, umgeben von all Ihren Gefährten, auf den Weg zum Wald. Kaum hatten sie den Tālavana-Wald betreten, da begann der starkarmige Balarāma mit der Kraft eines Elefanten an den erstbesten Bäumen zu rütteln, worauf eine Unzahl reifer Früchte geräuschvoll niederprasselte. Der Dämon Dhenukāsura eilte, als er den Lärm der fallenden Früchte vernahm, in seiner Eselsgestalt zornentbrannt zum Ort der Störung – so ungestüm, daß die Bäume zitterten wie bei einem Erdbeben. Der Dämon näherte sich als erstes Balarāma und trat mit seinen Hinterhufen gegen dessen Brust. Anfangs sagte Balarāma nichts dazu, aber der wutschnaubende Dämon trat Ihn ein zweites Mal mit noch größerer Heftigkeit. Da ergriff Balarāma die Hinterbeine des Esels, schleuderte ihn einige Male herum und warf ihn in den nächsten Baumwipfel. Schon während der Dämon in der Luft herumgewirbelt wurde, hauchte er sein Leben aus. Balarāma warf ihn in die höchste Palme, und der Körper des Dämonen war so gewichtig, daß die Palme umfiel und mehrere andere Bäume mit sich riß. Es war wie bei einem gewaltigen Orkan, bei dem ein Baum nach dem anderen umstürzt. Die außergewöhnliche Kraft Balarāmas ist im Grunde nicht erstaunlich, denn Balarāma ist der Persönliche Gott, auch Ananta Śeṣanāga genannt, der auf Seinen Millionen von Häuptern alle Planeten in der Schwebe hält. Die gesamte kosmische Manifestation wird von Ihm erhalten, wie zwei Schnüre beim Webstuhl das Gewebe des Tuches festhalten. Als sie den Dämon über die Bäume fliegen sahen, rotteten sich die Freunde Dhenukāsuras zusammen und stürmten voller Wut auf Kṛṣṇa und Balarāma zu. Sie waren entschlossen, den Tod ihres Kumpanen zu rächen, und den Jungen den Garaus zu machen. Aber Kṛṣṇa und Balarāma bekamen jeden der Esel bei den Hinterbeinen zu fassen, schleuderten sie, genau wie Sie es mit Dhenukāsura gemacht hatten, durch die Luft und warfen die toten Ungeheuer in die Bäume. Hinterher boten die leblosen Eselsleiber einen einzigartigen Anblick. Sie glichen Wolken verschiedener Färbungen, die sich in den Bäumen niedergelassen hatten. Die Halbgötter von den höheren Planeten begannen, als sie von dieser Tat hörten, Blumen auf Kṛṣṇa und Balarāma regnen zu lassen, ihre Trommeln zu schlagen und Ihnen hingebungsvolle Gebete darzubringen. Schon wenige Tage nach dem Tode Dhenukāsuras betraten wieder Menschen den Tālavana-Wald, um Früchte zu sammeln, und auch die Tiere kehrten ohne Furcht zurück, um sich an dem saftigen Gras, das dort wuchs, gütlich zu tun. Einzig durch das Hören und Chanten der transzendentalen Taten und Spiele der Brüder Kṛṣṇa und Balarāma kann man so große Vorteile erhalten, wie man sie sonst nur durch viele fromme Werke erlangt. Kṛṣṇa und Balarāma spielten, als Sie ins Dorf einzogen, auf der Flöte, und die Jungen priesen Ihre unvergleichlichen Taten im Wald. Ihre Gesichter waren mit tilaka geschmückt und von dem Staub bedeckt, den die Kühe aufgewirbelt hatten. Sowohl Kṛṣṇa, dessen Haar eine Pfauenfeder zierte, als auch Balarāma spielten unvorstellbar schön auf Ihrer Flöte, und die jungen gopīs von Vṛndāvana freuten sich sehr, als sie Kṛṣṇa heimkehren sahen. Sie waren während Kṛṣṇas Abwesenheit immer sehr bedrückt. Den ganzen Tag weilten sie mit ihren Gedanken bei Kṛṣṇa, wie Er im Wald umherzog, oder wie Er die Kühe auf den Weidegründen hütete. Doch wenn sie Kṛṣṇa dann zurückkehren sahen, waren all ihre Ängste augenblicklich verflogen, und sie sahen in der gleichen Weise in Sein Antlitz, wie Bienen den Honig betrachten, wenn sie die Lotosblume umschweben. Als Kṛṣṇa das Dorf betrat, lächelten und lachten die jungen gopīs. Kṛṣṇa wiederum erfreute Sich, während Er auf Seiner Flöte spielte, an der Schönheit der lächelnden gopīs. Daraufhin wurden Kṛṣṇa und Balarāma von ihren liebevollen Müttern Yaśodā und Rukmiṇī in Empfang genommen, die sogleich begannen, sich je nach den Bedürfnissen ihrer Söhne um deren Wohlergehen zu kümmern. Die Mütter dienten ihren transzendentalen Söhnen und behüteten Sie gleichzeitig. Sie sorgten gut für ihre Kinder, indem sie die beiden badeten und ankleideten. Kṛṣṇa wurde in ein gelbes Gewand gekleidet und Balarāma in ein blaues, und dann wurde Ihnen vieler Art Schmuck und Blumengirlanden umgehängt. Befreit von den Anstrengungen des Tages waren Sie nun erfrischt und von lieblicher Schönheit. Ihre Mütter setzten Ihnen dann schmackhafte Speisen vor, die Sie mit großem Behagen restlos verzehrten. Nach dem Essen wurden Sie in ein frisches sauberes Bett gelegt, und die Mütter sangen verschiedene Lieder, die von Ihren Spielen handelten. Kaum ins Bett gelegt, fielen Sie auch schon in tiefen Schlaf. So pflegten Kṛṣṇa und Balarāma Ihr Leben in Vṛndāvana als Kuhhirtenjungen zu genießen. Manchmal ging Kṛṣṇa zusammen mit Seinen Freunden und Balarāma hinaus, und manchmal ging nur Er mit Seinen Freunden zum Ufer der Yamunā, um dort die Kühe zu hüten. Allmählich kam der Sommer näher, und als die Kuhhirtenjungen und Kühe eines schönen Tages wieder auf der Weide waren, verspürten sie großen Durst, weshalb sie zur Yamunā liefen, um ein wenig Wasser zu trinken. Der Fluß jedoch war von dem Gift einer riesigen Schlange, die als Kāliya gefürchtet war, vergiftet worden. Das Wasser war so giftig, daß sich bei den Jungen und den Kälbern bald die Wirkungen bemerkbar machten. Ganz plötzlich fielen sie, offensichtlich tot, zu Boden. Doch sogleich warf Kṛṣṇa, der das Leben allen Lebens ist, einfach Seinen barmherzigen Blick über sie, worauf die Jungen und die Kühe ihr Bewußtsein wiedererlangten und einander mit großem Erstaunen ansahen. Sie ahnten, daß sie durch das giftige Wasser der Yamunā gestorben waren, und daß sie durch den barmherzigen Blick Kṛṣṇas ihr Leben wiedererlangt hatten. Auf diese Weise erfuhren sie die Wirkung der mystischen Kraft Kṛṣṇas, der als Yogeśvara, der Herr aller mystischen yogīs, bekannt ist. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 15. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Der Dämon Dhenukāsura wird getötet«. 16. KAPITEL Kṛṣṇa bezwingt die Schlange Kāliya Als Śukadeva Gosvāmī die Geschichte vom Dhenukāsura-Dämonen erzählte, wurde Mahārāja Parīkṣit immer begieriger, von den Kindheitsspielen Kṛṣṇas zu hören. Er fragte Śukadeva Gosvāmī, auf welche Weise Kṛṣṇa die schwarze Schlange Kāliya bestrafte, die schon seit vielen Jahren in der Yamunā lebte. Tatsächlich begeisterte sich Mahārāja Parīkṣit immer mehr für die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas, und mit großem Eifer stellte er seine Fragen. Śukadeva Gosvāmī erzählte daraufhin die Geschichte: Der Fluß Yamunā bildet an einer Stelle einen großen See, und in diesem See hatte sich Kāliya eingenistet. Von dem Gift der Schlange war die ganze Umgebung so verseucht, daß unablässig giftige Dämpfe aufstiegen. Flog zufällig ein Vogel über den See, stürzte er augenblicklich ins Wasser und verendete. Durch die giftigen Dämpfe der Yamunā waren alle Bäume und Gräser an den Flußufern abgestorben. Śrī Kṛṣṇa sah die Verheerung, die das Gift der großen Schlange angerichtet hatte: Der ganze Fluß vor Vṛndāvana war ein totes Gewässer. Kṛṣṇa, der erschienen war, um alle störenden Elemente auf der Welt zu beseitigen, kletterte daraufhin sofort auf einen großen kadamba-Baum, der am Ufer der Yamunā stand. Die kadamba ist eine runde, gelbe Blüte, die nur im Gebiet von Vṛndāvana zu finden ist. Nachdem Er die Krone des Baumes erklommen hatte, band Er Sein Gürteltuch fester, und während Er wie ein Ringkämpfer Seine Arme schwang, sprang Er weit in den giftigen See hinein. Der kadamba-Baum, von dem Kṛṣṇa sprang, war der einzige Baum, der nicht abgestorben war. Einige Kommentatoren der Veden sagen, der Baum sei auf der Stelle lebendig geworden, als er von den Lotosfüßen Kṛṣṇas berührt wurde; in manchen Purāṇas dagegen steht, daß Garuḍa, der ewige Träger Viṣṇus, wußte, daß Kṛṣṇa Kāliya töten würde, und daß er aus diesem Grunde etwas Nektar auf den Baum träufelte, um ihn am Leben zu erhalten. Als Kṛṣṇa in das Wasser hineinsprang, trat der Fluß über seine Ufer, als wäre etwas sehr Großes und Schweres hineingefallen. Dieses Zeichen der Kraft Kṛṣṇas ist im Grunde nicht erstaunlich, denn Er ist ja die Quelle aller Kräfte. Kṛṣṇa schwamm wie ein großer, starker Elefant im Fluß umher und verursachte dadurch ein gewaltiges Getöse, das bis an die Ohrlöcher der gewaltigen Kāliya-Schlange drang. Die aufgeschreckte Schlange wußte, daß der Lärm nur eines bedeuten konnte: Jemand wagte einen Angriff auf ihre Behausung. Weil sie die freche Störung nicht dulden konnte, zeigte sie sich augenblicklich vor Kṛṣṇa. Überrascht gewahrte Kāliya die überaus köstliche Schönheit Kṛṣṇas. Seine Hautfarbe glich der Tönung einer Gewitterwolke, und Seine Beine waren wie Lotosstengel. Er war mit dem Śrīvatsa-Zeichen und mit Juwelen geschmückt und in ein gelbes Gewand gekleidet. Ein Lächeln spielte auf Seinem lieblichen Gesicht, während Er Sich mit kraftvoller Gewandtheit im Yamunā-Fluß bewegte. Doch trotz der wunderschönen Erscheinung Kṛṣṇas fühlte Kāliya grimmigen Ärger in seinem Herzen, und deshalb schnellte er auf Kṛṣṇa zu und packte Ihn mit seinen mächtigen Fängen. Die Kuhhirtenjungen und die anderen Bewohner Vṛndāvanas, die voller Liebe zu Kṛṣṇa waren, sahen das Unglaubliche – Krṣṇa in der tödlichen Umklammerung der Schlange –, und lähmendes Entsetzen überfiel sie. Alles, was sie besaßen, hatten sie Kṛṣṇa hingegeben – ihre Zuneigung, ihr Eigentum, ihre Handlungen, ihr ganzes Leben –, und als sie Ihn in dieser Lage sahen, sanken sie von Furcht überwältigt zu Boden. Die Kühe, die Stiere und die kleinen Kälber hielten voller Verzweiflung nach Kṛṣṇa Ausschau, doch sie konnten in ihrer Angst nur bitterlich weinen und standen bewegungslos am Ufer, unfähig, ihrem geliebten Kṛṣṇa zu helfen. Während dieser Geschehnisse am Ufer der Yamunā waren unheilvolle Zeichen zu sehen. Die Erde bebte, Meteore fielen vom Himmel, und die Körper der Menschen erschauerten. All dies sind Anzeichen einer schrecklichen, unmittelbaren Gefahr. Als die Kuhhirten und auch Mahārāja Nanda und Mutter Yaśodā die düsteren Zeichen wahrnahmen, wurden sie von großer Besorgnis erfüllt, besonders da sie erfuhren, daß Kṛṣṇa ohne Seinen älteren Bruder Balarāma zu den Weidegründen gegangen war. Diese Nachricht steigerte ihre Angst nur noch mehr. In ihrer großen Zuneigung für Kṛṣṇa wurden sie, die sie sich über das Ausmaß der Energien Kṛṣṇas nicht bewußt waren, von Kummer und Besorgnis übermannt, denn nichts liebten sie mehr als Kṛṣṇa, und sie waren bereit, alles für Ihn zu geben – ihr Leben, ihren Besitz, ihre Zuneigung, ihre Gedanken und ihre Handlungen. Weil sie so sehr an Kṛṣṇa hingen, dachten sie, »heute ist Kṛṣṇa bestimmt etwas passiert!«, und gemeinsam verließen die Bewohner von Vṛndāvana das Dorf, um Kṛṣṇa zu suchen. Die Schar bestand aus Kindern, jungen und alten Männern, Frauen, Tieren und allen Arten von Lebewesen; sie wußten, daß Krṣṇa ihr einziger Beschützer war. Während dieser Vorgänge stand Balarāma, der Meister allen Wissens, ruhig lächelnd dabei. Er wußte, wie mächtig Sein jüngerer Bruder Kṛṣṇa war, und daß es keinen Grund zur Aufregung gab, wenn dieser mit einer gewöhnlichen Schlange der materiellen Welt kämpfte. Deshalb unternahm Er persönlich nicht das geringste. Aber die Bewohner Vṛndāvanas suchten um so verzweifelter nach Kṛṣṇa, indem sie Seinen Fußspuren auf dem weichen Boden folgten, die durch bestimmte Zeichen erkenntlich waren, und nach einiger Zeit erreichten sie schließlich das Flußufer, wo sie die Kühe und die Knaben weinen sahen, weil sie hilflos zusehen mußten, wie die schwarze Schlange Kṛṣṇa in ihrer Umklammerung zu erdrücken versuchte. Das steigerte die Angst der Bewohner Vṛndāvanas nur noch mehr. Während Balarāma lächelnd zusah, wie sie wehklagten, tauchten die Einwohner von Vrajabhūmi in ein Meer des Jammers ein, denn sie dachten, nun sei es um Kṛṣṇa geschehen. Obwohl die Einwohner von Vṛndāvana nicht viel über Kṛṣṇa wußten, kannte ihre Liebe zu Ihm keine Grenzen. Sobald sie Kṛṣṇa in der Umklammerung der Schlange Kāliya und die Jungen und Kühe am Ufer klagen sahen, konnten sie nur noch an Kṛṣṇas Freundschaft denken, an Sein lächelndes Gesicht, Seine süßen Worte und ihre Erlebnisse mit Ihm. Während sie sich so erinnerten und glaubten, Kṛṣṇa befinde Sich nun in der Gewalt Kāliyas, schienen ihnen die drei Welten öde und leer geworden zu sein. Auch Śrī Caitanya sagte später einmal, daß Ihm in Seiner Trennung von Kṛṣṇa alle drei Welten trostlos und leer erschienen. Das ist die höchste Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Fast alle Einwohner von Vṛndāvana hatten die höchste Ekstase, die Liebe zu Kṛṣṇa, erreicht. Mutter Yaśodā wollte sich, als sie herbeigelaufen kam, sofort in den Yamunā-Fluß stürzen, und fiel in Ohnmacht, als man sie daran hinderte. Andere, die ebenso verzweifelt waren, weinten so sehr, daß ihnen die Tränen wie Regengüsse oder Wasserfälle aus den Augen strömten, aber um Mutter Yaśodā wieder zu Bewußtsein zu bringen, sprachen sie mit lauter Stimme über die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas. Mutter Yaśodā jedoch regte sich nicht, als sei sie tot, denn ihr ganzes Bewußtsein war auf das Gesicht Kṛṣṇas konzentriert. Nanda und die anderen Hirten, die alles, selbst ihre Leben, Kṛṣṇa hingegeben hatten, wollten sich ebenfalls in das Wasser der Yamunā begeben, doch Balarāma hinderte sie daran, denn Er besaß vollkommenes Wissen, und so wußte Er, daß keine Gefahr drohte. Zwei Stunden lang blieb Kṛṣṇa im Griff der Würgearme Kāliyas und verhielt Sich wie ein gewöhnliches Kind, doch als Er sah, daß alle Einwohner von Vṛndāvana – Seine Mutter und Sein Vater, die gopīs, die Jungen und die Kühe – nahe daran waren, ihr Leben aufzugeben, und daß sie nichts anderes mehr vor dem unmittelbaren Tod bewahren konnte, befreite Er Sich augenblicklich. Er straffte Seinen Körper, und als die Schlange versuchte, Ihn festzuhalten, spürte sie einen starken Druck, der sie bald zwang, die Umklammerung zu lockern, so daß ihr schließlich keine andere Möglichkeit blieb, als den Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, aus ihrem Griff zu entlassen. Daraufhin geriet Kāliya in rasende Wut, und seine Hauben blähten sich auf. Giftige Dämpfe stieß er aus seinen Nüstern, seine Augen loderten wie Feuer, und Flammen züngelten aus seinem Schlund. Für kurze Zeit verhielt er und beobachtete Kṛṣṇa in unbeweglicher Haltung. Die Lippen mit gespaltenen Zungen leckend, beäugte die vielköpfige Schlange Kṛṣṇa mit giftigem Blick. Kṛṣṇa jedoch ging blitzschnell auf sie los, ähnlich wie Garuḍa, wenn er auf eine Schlange herabstößt. Kāliya suchte, als er so unversehens angegriffen wurde, nach einer Gelegenheit, Kṛṣṇa zu beißen, aber dieser schwamm in schnellen Kreisen um ihn herum, so daß Kāliya Ihn nicht fangen konnte. Während Kāliya Kṛṣṇa im Kreise jagte, ermüdete die Schlange allmählich, und es war zu bemerken, daß ihre Kraft beträchtlich nachließ. Kṛṣṇa drückte nun geschwind einen der Schlangenköpfe herunter und sprang auf ihn. Die Lotosfüße des Herrn wurden durch die Strahlen, die von den Juwelen auf den Schlangenhäuptern ausgingen, rot gefärbt. Dann begann Kṛṣṇa, der ursprüngliche Künstler aller schönen Künste, zu denen auch das Tanzen gehört, auf den Häuptern der Schlange zu tanzen, obwohl ihre vielen Köpfe sich ständig hin und her bewegten. Als die Halbgötter auf den höheren Planeten dies sahen, ließen sie Blumen vom Himmel regnen, schlugen ihre Trommeln, spielten auf vielerlei Flöten und sangen viele Lieder und Gebete. Auf diese Weise zeigten die Bewohner des Himmels wie die Gandharvas, Siddhas und andere Halbgötter ihre Freude. Während Kṛṣṇa auf den Köpfen der Kāliya-Schlange tanzte, versuchte sie ständig, Ihn mit einem ihrer Köpfe herunter zu stoßen. Kāliya besaß zwar ungefähr einhundert Köpfe, aber Kṛṣṇa behielt sie alle unter Kontrolle. Er fing an, Kāliya mit Seinen Lotosfüßen zu treten, und das war mehr, als die Schlange ertragen konnte. Allmählich war Kāliya so weit, daß er nur noch um sein nacktes Leben kämpfte. Er spie üblen Geifer und stieß sengende Feuerflammen aus. Während er giftige Substanzen aus seinem Inneren hervorwürgte, verringerten sich die Reaktionen auf seine Sündenlast. Mit verzweifelter Wut kämpfte er um sein Leben, während er immer wieder versuchte, einen seiner Köpfe zu erheben, um den Herrn zu töten. Der Herr aber bemerkte sofort jeden Versuch und verhinderte ihn, indem Er beim Tanzen gegen den Kopf trat. Im Grunde glich die Szene mehr und mehr einer Verehrung des Höchsten Persönlichen Gottes Śrī Viṣṇu, und das Gift, das dem Rachen der Schlange entströmte, ähnelte einer Blumenopferung. Bald jedoch begann Kāliya, statt Gift Blut zu spenden; er war völlig erschöpft, und sein ganzer Körper schien von den Tritten des Herrn wie zerbrochen. In seinem Inneren aber begann er allmählich zu verstehen, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, und so ergab er sich Ihm schließlich. Kāliya erkannte, daß Kṛṣṇa, der Höchste Gott, der Meister aller Meister ist. Als die Frauen Kāliyas, die Nāgapatnīs, sahen, daß ihr Mann durch die Fußtritte des Herrn, in dessen Körper das gesamte Universum ruht, bezwungen war, schickten sie sich an, den Herrn zu verehren, wobei ihnen in der Eile Kleidung, Haar und Schmuck durcheinandergerieten. Auch sie ergaben sich dem Höchsten Herrn und machten sich daran, Ihm ihre Gebete darzubringen. Sie erschienen vor Ihm, ihre Kinder vor sich herschiebend, und erwiesen Ihm mit Ehrfurcht ihre respektvollen Ehrerbietungen, indem sie am Ufer der Yamunā vor Ihm zu Boden fielen. Die Nāgapatnīs wußten, daß Kṛṣṇa die Zuflucht aller hingegebenen Seelen ist, und sie wollten ihren Mann vor der drohenden Gefahr einer harten Bestrafung bewahren, indem sie den Herrn mit ihren Gebeten erfreuten. Die Nāgapatnīs sprachen: »O lieber Herr, Du bist jedem gleichgesinnt. Für Dich gibt es keinen Unterschied zwischen Söhnen, Freunden oder Feinden. Deshalb hast Du auch mit der Bestrafung, die Du Kāliya gütigerweise erteilt hast, völlig gerecht gehandelt. O Herr, Du bist mit der besonderen Absicht erschienen, alle störenden Elemente auf der Welt zu vernichten, und weil Du die Absolute Wahrheit bist, gibt es keinen Unterschied zwischen Deiner Barmherzigkeit und Deiner Strafe. Wir wissen daher, daß die Bestrafung Kāliyas im Grunde eine Segnung ist. Wir betrachten Deine Strafe als große Gnade für uns, denn man muß wissen, daß, wenn Du jemanden bestrafst, die Reaktionen auf seine sündigen Handlungen getilgt werden. Es ist uns völlig klar, daß das Geschöpf, das hier im Körper einer Schlange vor uns schwimmt, früher ungeheuer viele Sünden auf sich geladen haben muß; denn warum sonst mußte es den Körper einer Schlange annehmen? Durch das Tanzen auf seinen Köpfen hast Du alle Reaktionen auf sein sündhaftes Handeln vernichtet, zu denen er verleitet wurde, weil er den Körper einer Schlange besitzt. Es ist deshalb ein großes Glück, daß Du zornig geworden bist, und ihn auf diese Weise bestraft hast. Doch wundern wir uns sehr, daß Du so gütig zu Kāliya bist; er muß Dich wohl in seinen früheren Leben durch vielerlei religiöse Handlungen erfreut haben. Die Bußen und Entsagungen, die er auf sich nahm, müssen sogar so groß gewesen sein, daß jeder ihn dafür rühmte, und er muß wohltätige Werke zum Wohl aller Lebewesen vollbracht haben.« Die Nāgapatnīs bestätigen hier, daß man nicht mit Kṛṣṇa in Verbindung kommen kann, ohne Ihm in seinen früheren Leben hingebungsvoll und fromm gedient zu haben. Wie Śrī Caitanya in Seinen Śrī Śikṣāṣṭaka rät, muß man hingebungsvolles Dienen praktizieren, indem man demütig den Hare-Kṛṣṇa-mantra chantet, sich niedriger dünkend als das Stroh in der Gasse und niemals Ehre für sich selbst erwartend, doch immer bereit, allen anderen Ehre zu erweisen. Die Nāgapatnīs fragten sich, wie es möglich sein konnte, daß Kāliya einerseits als Folge schwerer sündiger Handlungen den Körper einer Schlange erhalten hatte und andererseits mit dem Herrn in Verbindung kommen konnte, ja sogar von den Lotosfüßen des Herrn berührt wurde. Zweifellos konnte es sich hierbei nicht um gewöhnliche Ergebnisse auf fromme Werke handeln. Diese beiden widersprüchlichen Tatsachen verwunderten sie also, und deshalb beteten sie: »O Herr, wir sind verwundert, daß Kāliya so vom Glück begünstigt ist, daß er den Staub Deiner Lotosfüße auf seinem Kopf tragen darf. Dieses Glück ersehnen sich große Heilige, und selbst die Göttin des Glücks nahm harte Entsagungen auf sich, um mit dem Staub Deiner Lotosfüße gesegnet zu werden. Wie kommt es also, daß Kāliya diesen Staub so leicht erhielt? Wir haben aus maßgeblicher Quelle gehört, daß jene, die mit dem Staub Deiner Lotosfüße gesegnet sind, nicht einmal die höchste Daseinsform innerhalb dieses Universums, das Leben als Brahmā, erstreben, und daß sie sich auch nicht nach der Herrschaft über die Erde sehnen. Solche Menschen begehren nicht, über die himmlischen Planeten zu herrschen, die sich über dieser Erde befinden, wie z. B. Siddhaloka, noch begehren sie mystische Kräfte, die man durch bestimmte yoga-Übungen erhält. Auch versuchen die reinen Gottgeweihten nicht, durch Befreiung eins mit Dir zu werden. Herr, obwohl Kāliya in einer Lebensform geboren wurde, die von den abscheulichsten Erscheinungsweisen der materiellen Natur bestimmt wird, begleitet von der Eigenschaft des Ärgers, hat dieser König der Schlangen etwas erreicht, was man nur äußerst selten erlangt. Die Lebewesen, die innerhalb des materiellen Universums von Planet zu Planet wandern und eine Lebensform nach der anderen annehmen, können allein durch Deine Barmherzigkeit sehr leicht die höchste aller Segnungen erhalten.« Im Śrī Caitanya-caritāmṛta wird bestätigt, daß die Lebewesen im materiellen Universum von einer Lebensform zur anderen wandern, daß aber durch die Barmherzigkeit Kṛṣṇas und des geistigen Meisters der Same des hingebungsvollen Dienens in ihnen aufgehen und damit der Pfad zur Befreiung geebnet werden kann. Die Nāgapatnīs fuhren fort: »Wir bringen Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar, lieber Herr, denn Du bist die Höchste Person, der Du als die Überseele in jedem Lebewesen wohnst; obwohl Du transzendental bist zur kosmischen Manifestation, ruht alles in Dir. Du bist die personifizierte, unüberwindliche ewige Zeit. Die gesamte Zeitenergie existiert in Dir, und daher bist Du der Beobachter und die Verkörperung der gesamten Zeit, die wahrgenommen wird in Form von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Monaten, Tagen, Stunden, Augenblicken. Mit andern Worten, o Herr, Du kannst in vollkommener Weise alle Ereignisse sehen, die sich in jeder Sekunde, in jeder Stunde, an jedem Tag, in jedem Jahr, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ereignen. Du Selbst bist die universale Form, und dennoch bist Du verschieden von diesem Universum. Du bist gleichzeitig eins mit und verschieden von ihm. Wir bringen Dir deshalb unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. Du Selbst bist das gesamte Universum und dennoch bist Du der Schöpfer des Universums. Du bist der Kontrollierende und der Erhalter des Universums, und Du bist seine ursprüngliche Ursache. Obwohl Du in diesem Universum durch Deine drei qualitativen Inkarnationen, Brahmā, Viṣṇu und Maheśvara, Śiva, gegenwärtig bist, bist Du dennoch transzendental zur materiellen Schöpfung. Obwohl Du die Ursache für das Erscheinen aller Arten von Lebewesen bist – samt ihrer Sinne, ihres Lebens, ihres Geistes und ihrer Intelligenz –, bist Du nur durch Deine innere Energie zu erkennen. Wir wollen Dir daher unsere respektvollen Ehrerbietungen darbringen, der Du unbegrenzt, feiner als das Feinste, das Zentrum der gesamten Schöpfung und der Allwissende bist. Viele verschiedene spekulierende Philosophen versuchen, Dich zu erreichen. Du bist das letzliche Ziel aller philosophischen Bemühungen, und im Grunde bist Du es, den alle Philosophien und die verschiedenen Lehren beschreiben. Wir wollen deshalb Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen erweisen, denn Du bist der Ursprung aller Schriften und die Quelle des Wissens. Du bist die Wurzel aller Beweise und Du bist die höchste Person, die uns das höchste Wissen geben kann. Du bist die Ursache aller Arten von Verlangen und Du bist die Ursache jeglicher Zufriedenstellung. Du bist die Veden in Person. Deshalb bringen wir Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. O lieber Herr, Du bist der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, und Du bist auch der höchste Genießer, der Du nun als der Sohn Vasudevas, einer Manifestation des reinen Zustandes der Güte, erschienen bist. Du bist die über den Geist und die Intelligenz herrschenden Gottheiten, Pradyumna und Aniruddha, und Du bist der Herr aller Vaiṣṇavas. Durch Deine Erweiterung als caturvyūha – als Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Aniruddha und Pradyumna – bist Du die Ursache für die Entwicklung von Geist und Intelligenz. Durch Deinen Willen wird ein Lebewesen von Vergessen bedeckt oder entdeckt seine wirkliche Identität, wie es in der Bhagavad-gītā im 15. Vers des Fünfzehnten Kapitels bestätigt wird: Der Herr weilt als die Überseele im Herzen eines jeden Lebewesens, und nur aufgrund Seiner Anwesenheit vergißt ein Lebewesen seine Identität oder belebt sein ursprüngliches Bewußtsein. Wir können bis zu einem gewissen Maße verstehen, daß Du Dich in unseren Herzen als der Zeuge aller unserer Handlungen aufhältst, aber es ist sehr schwierig, Deine Anwesenheit richtig zu würdigen, denn wir sind uns dessen nicht immer vollständig bewußt. Du bist der höchste Gebieter über die materielle und die spirituelle Energie. Deshalb bist Du, obwohl Du von der kosmischen Manifestation verschieden bist, der höchste Kontrollierende auch der Vorgänge in der materiellen Natur. Du bist der Schöpfer, der Beobachter und die Substanz der kosmischen Manifestation. Deshalb bringen wir Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar. O Herr, mit der Schöpfung der materiellen Manifestation hast Du direkt nichts zu tun; vielmehr kannst Du einfach, indem Du verschiedene Energien – die Erscheinungsweise der Reinheit, die der Leidenschaft und die der Unwissenheit – erzeugst, die gesamte Manifestation erschaffen, erhalten und vernichten. Einfach durch Deinen Blick über die materielle Energie kannst Du, der Gebieter über die Zeit, die Universen erschaffen und die verschiedenen Kräfte der materiellen Natur ins Dasein rufen, die auf verschiedene Weise in den unterschiedlichen Wesen wirken. Niemand kann begreifen, auf welche Weise Dein Wille in dieser Welt geschieht. Lieber Herr, obwohl Du Dich in drei Haupt-Gottheiten des Universums erweiterst, nämlich in Brahmā zur Schöpfung, Viṣṇu zur Erhaltung und Śiva zur Zerstörung, ist Deine besondere Erscheinung als Viṣṇu für alle lebenden Geschöpfe die wirklich segenbringende. Denn es wird für diejenigen, die bereits voller Glück sind und die nach der höchsten Reinheit streben, die Verehrung Deiner gütigen Erscheinung als Śrī Viṣṇu empfohlen. O Herr, demütig bringen wir Dir unsere Gebete dar. Du weißt, was es für uns bedeutet, daß diese arme Schlange nun ihren Körper aufgibt. Du weißt, daß wir Frauen von unseren Ehemännern abhängig sind; deshalb flehen wir Dich an, Kāliya, unserem Ehemann, gütigerweise zu verzeihen, denn wenn diese Schlange stirbt, geraten wir in große Schwierigkeiten. Um unseretwillen, bitte, vergib dem armseligen Frevler! O Herr, jedes lebende Geschöpf stammt von Dir ab, und Du erhältst es wie der Vater sein Kind. Ebenso ist es mit Kāliya, und deshalb wirst Du ihm gewiß vergeben, der Dich zweifellos nur so schwer beleidigte, weil er die absolute Natur Deiner Kräfte nicht kannte. Wir bitten Dich also, ihm für dieses eine Mal noch zu vergeben. O Herr, Du weißt, daß wir jeglichen Dienst, den Du von uns erwartest, mit Liebe für Dich tun werden, weil wir die ewigen Diener Deiner Herrlichkeit sind. Du kannst uns befehlen und von uns verlangen, was immer Dir beliebt. Ein Lebewesen kann von jeglicher Verzweiflung frei werden, wenn es bereit ist, stets Deinen Anweisungen zu folgen.« Nachdem Śrī Kṛṣṇa lächelnd die Gebete der Nāgapatnīs angehört hatte, erlöste Er Kāliya von seiner Strafe. Kāliya war durch die Tritte des Herrn bewußtlos geworden, doch als die Strafe von ihm genommen war, erlangte er gleichzeitig mit seinem Bewußtsein seine volle Lebenskraft und die Lebendigkeit seiner Sinne zurück. Mit gefalteten Händen begann auch er, demütig zum Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa zu beten: »Mein lieber Herr, ich bin in einer solch abscheulichen Lebensform geboren worden, in der ich von Natur aus niederträchtig und bösartig bin, da ich mich in diesem Körper in finsterster Unwissenheit befinde. Du weißt sehr gut, o Höchster Herr, daß es sehr schwierig ist, die triebhaften Instinkte aufzugeben, obwohl das Lebewesen durch solche Triebe gezwungen ist, von einem Körper zum andern zu wandern.« Auch in der Bhagavad-gītā wird bestätigt, daß es äußerst schwierig ist, der Gewalt der materiellen Natur zu entkommen, daß aber die materielle Natur keine Macht mehr über den hat, der dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa hingegeben ist. Kāliya fuhr fort: »Lieber Herr, Du bist der Ursprung der Erscheinungsweisen der materiellen Natur, durch die dieses Universum geschaffen wird, und Du bist die letztliche Ursache für die verschiedenen Geisteshaltungen der Lebewesen, durch die sie ihre verschiedenen Körper erlangen. O Herr, ich bin als Schlange geboren worden, und deshalb bin ich aufgrund meiner niederen Instinkte von Natur aus bösartig. Wie sollte es mir also ohne Deine Barmherzigkeit möglich sein, diese Eigenschaften, die ich nun einmal habe, aufzugeben? Es ist sehr schwierig, der Gewalt māyās zu entkommen; denn da māyā Deine Energie ist, kann sie uns für Ewigkeiten gefesselt halten. Deshalb, lieber Herr, vergib mir bitte gütigerweise meine unvermeidbaren materiellen Neigungen. Nun kannst Du mich ganz nach Deinem Belieben bestrafen oder erlösen.« Nachdem Er dieses Gebet gehört hatte, gab der Höchste Persönliche Gott in der Gestalt eines kleinen menschenähnlichen Kindes der Schlange folgenden Befehl: »Verlaß augenblicklich diesen Ort und begib dich zum Ozean. Alle deine Kinder, deine Frauen und deine Besitztümer kannst du mit dir nehmen, doch mußt du dich jetzt ohne Verzögerung auf den Weg machen. Vergifte in Zukunft nie mehr das Wasser der Yamunā, denn es soll für die Kühe und Kuhhirtenjungen ohne Gefahr zu trinken sein.« Der Herr sagte darauf, daß der Befehl, den Er der Kāliya-Schlange erteilt habe, von jedem gehört und weitergesagt werden solle, damit sich niemand mehr vor Kāliya zu fürchten brauche. Jeder, der diese Erzählung von der Schlange Kāliya und ihrer Bestrafung vernimmt, wird nicht mehr die Bösartigkeiten der Schlangen zu fürchten brauchen. Der Herr erklärte auch: »Wenn jemand im Kāliya-See badet, wo einst Ich und Meine Kuhhirtenfreunde gebadet haben, oder wer, nachdem er für einen Tag gefastet hat, den Vorvätern von diesem Wasser opfert, wird von allen Reaktionen auf sündhaftes Tun frei.« Der Herr versicherte Kāliya außerdem: »Du kamst hierher, weil du dich vor Garuḍa fürchtetest, als er zu deinem paradiesischen Eiland im Ozean kam, um dich zu fressen. Wenn Garuḍa aber die Markierung sieht, die Ich mit Meinen Lotosfüßen auf deinem Kopf hinterlassen habe, wird er dich nicht länger behelligen.« Und der Herr konnte mit Kāliya und seinen Frauen sehr zufrieden sein: Gleich nachdem sie Seinen Befehl vernommen hatten, begannen die Frauen Kāliyas, Ihn mit reichen Opfergaben wie schönen Gewändern, Blumengirlanden, Juwelen, Geschmeide, Sandelholzpasten, Lotosblüten und wohlschmeckenden Früchten zu verehren. Auf diese Weise verehrten sie den Herrn Garuḍas, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatten. Dann verließen sie dem Befehl Kṛṣṇas folgend die Yamunā. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 16. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa bezwingt die Schlange Kāliya«. 17. KAPITEL Kṛṣṇa verschluckt den Waldbrand Nachdem König Parīkṣit von der Bestrafung Kāliyas gehört hatte, waren ihm zwei Dinge noch unklar, und so fragte er Śukadeva Gosvāmī, warum Garuḍa Kāliya so feindlich gesinnt war, und warum Kāliya das paradiesische Eiland, von dem die Rede war, verließ. Śukadeva Gosvāmī berichtete dem König darauf von einer Insel, die als Nāgālaya bekannt war, und die von Schlangen bewohnt wurde, von denen Kāliya einer der Führer war. Garuḍa, der es liebt, Schlangen zu essen, pflegte diese Insel zu besuchen und viele Schlangen nach seinem Willen zu töten. Einige von ihnen aß er tatsächlich auf, aber viele wurden auch unnötig getötet. Die Schlangengemeinschaft wurde dadurch so verängstigt, daß Vāsuki, ihr Führer, Brahmā um Schutz bat. Brahmā riet den Schlangen daraufhin zu einer Vorkehrung, die Garuḍa künftig davon abhalten würde, die Schlangen zu behelligen: In jeder Halbmondnacht sollte die Schlangengemeinschaft Garuḍa eine Schlange als Opfer unter einen Baum legen. Garuḍa war damit zufrieden und tat von da an keiner anderen Schlange etwas zuleide. Aber nach einiger Zeit schon mischte sich Kāliya in diese Angelegenheit, der die Situation geschickt zu nutzen verstand. Durch die Giftmenge, die er angesammelt hatte, und durch seine materielle Macht hochmütig geworden, dachte er: »Warum soll gerade Garuḍa dieses Opfer erhalten?« Er verhinderte deshalb jede Opferung und aß statt dessen selbst die Schlange, die für Garuḍa bestimmt waren. Als Garuḍa, der große Gottgeweihte und gefiederte Träger Viṣṇus erkannte, daß Kāliya sich seine Opfergaben geholt hatte, überfiel ihn gewaltiger Zorn und ergrimmt stürzte er auf die Insel nieder, um die frevlerische Schlange zu töten. Zuerst wagte Kāliya, gegen Garuḍa zu kämpfen, und bot ihm mit seinen vielen Häuptern Widerstand, indem er ihn mit seinen scharfen Giftzähnen zu beißen versuchte, aber Garuḍa, der Sohn Tārksyas, schlug mit der gewaltigen Kraft, die dem Träger Viṣṇus einzig ist, voll Ingrimm den Körper Kāliyas mit seinen strahlenden goldenen Schwingen. Kāliya, der auch als Kadrūsuta, der Sohn Kadrūs bekannt ist, floh daraufhin zu einem See, der am Unterlauf des Yamunā-Flusses liegt, und dem sich Garuḍa nicht nähern konnte. Dieser See, der später den Namen Kāliyadaha erhielt, war aus folgendem Grund für Garuḍa nicht zugänglich: So wie Garuḍa die Insel der Kāliya-Schlange aufsuchte, liebte er es, zur Yamunā zu fliegen, um dort Fische zu fangen. Es lebte dort jedoch der große yogī Saubhari Muni, der im Wasser zu meditieren pflegte und den Fischen sehr zugeneigt war. Er bat Garuḍa, die Fische in Frieden zu lassen. Weil Garuḍa der gefiederte Träger Viṣṇus ist, kann ihm niemand etwas befehlen, doch wollte er nicht die Weisung des großen yogīs mißachten, und so verließ er, statt zu bleiben und sich an den Fischen gütlich zu tun, den Ort und trug nur einen großen Fisch mit sich fort, der unglücklicherweise der Führer aller anderen war. Saubhari Muni war bekümmert, daß einer seiner Schützlinge durch Garuḍa umkommen mußte, und um die Fische für die Zukunft zu schützen, sprach er folgenden Fluch über Garuḍa: »Vom heutigen Tag an soll Garuḍa nie mehr hierherkommen. Erscheint er doch an diesem Ort, so soll er – und das sage ich mit aller Macht, die ich besitze – augenblicklich sterben.« Von diesem Fluch wußte nur Kāliya, und da es ihm sicher schien, daß Garuḍa sich dem See nicht zu nähern wagte, hielt er es für das klügste, sich in Saubhari Munis Bereich zu flüchten. Doch auch das konnte Kāliya nicht retten, denn er wurde, wie wir bereits erfahren haben, später von Kṛṣṇa, dem Herrn Garuḍas, aus der Yamunā vertrieben. Man muß wissen, daß Garuḍa eine direkte Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott hat und daher so mächtig ist, daß ihm keine Verwünschung etwas anhaben kann. Im Grunde beging Saubhari Muni deshalb ein schweres Vergehen, als er Garuḍa verfluchte, der, wie im Śrīmad-Bhāgavatam gesagt wird, von gleichem Rang ist wie Bhagavān, der Höchste Persönliche Gott. Obwohl Garuḍa nicht versuchte, sich zu rächen, blieben die Folgen auf den Frevel des Munis gegen den großen Vaiṣṇava nicht aus. Saubhari fiel wegen seines Vergehens von seiner fortgeschrittenen Stufe als yogī herunter und wurde bald ein Haushälter und Sinnengenießer in der materiellen Welt. Der Fall Saubhari Munis, von welchem gesagt wird, er habe durch seine Meditation bereits die Stufe ständiger spiritueller Glückseligkeit erreicht, ist eine Lehre für diejenigen, die sich gegen die Vaiṣṇavas vergehen. Als Kṛṣṇa schließlich dem See Kāliyas entstieg, sahen Ihn alle Seine Freunde und Verwandten, die Ihm am Ufer der Yamunā entgegenkamen. Er war prächtig geschmückt, von Kopf bis Fuß mit candana-Paste bestrichen, mit wertvollen Juwelen und Edelsteinen bedeckt und fast völlig in Gold eingehüllt. Bei dem Anblick Kṛṣṇas, wie Er gerade der Yamunā entstieg, war es den Einwohnern von Vṛndāvana, den Kuhhirtenjungen und -männern, Mutter Yaśodā, Nanda Mahārāja und den Kühen und Kälbern, als hätten sie ihr Leben wiedergewonnen. Wenn ein Mensch zu neuem Leben gelangt, ist es ganz natürlich, daß er von Freude und Glück erfüllt wird. Sie alle drückten Kṛṣṇa deshalb an ihre Brust, wobei sie große Erleichterung fühlten. Mutter Yaśodā, Rohiṇī, Mahārāja Nanda und die Kuhhirten waren so glücklich, daß sie Kṛṣṇa immer wieder umarmten und es ihnen vorkam, als liege darin ihr endgültiges Lebensziel. Auch Balarāma umarmte Kṛṣṇa, doch Er lachte, weil Er die ganze Zeit über gewußt hatte, was mit Kṛṣṇa geschehen würde, während alle anderen von Angst überwältigt waren. Alle Bäume am Ufer der Yamunā, alle Kühe, Stiere und Kälber waren überglücklich, weil Kṛṣṇa wieder bei ihnen war. Die brāhmaṇas von Vṛndāvana kamen mit ihren Frauen herbei, um Kṛṣṇa und Seine Angehörigen zu beglückwünschen, und sie gaben Kṛṣṇa und Seiner Familie zu Seiner glücklichen Rettung ihren Segen. Die brāhmaṇas werden als die geistigen Meister der Gesellschaft angesehen. In diesem Fall schlugen sie Nanda Mahārāja vor, ihnen anläßlich des Ereignisses Spenden zu überreichen, und weil Mahārāja Nanda über Kṛṣṇas Wiederkehr so froh war, schenkte er den brāhmaṇas viele Kühe und eine Menge Gold. Während sich Nanda Mahārāja den brāhmaṇas widmete, umarmte Mutter Yaśodā Kṛṣṇa einfach und hielt ihn auf ihrem Schoß, während sie unaufhörlich Tränen vergoß. Weil es schon dämmerte und alle Einwohner von Vṛndāvana einschließlich der Kühe und Kälber sehr müde waren, beschlossen sie, am Ufer des Flusses im Schutz der Bäume zu übernachten. Mitten in der Nacht jedoch, als sie alle fest schliefen, brach plötzlich ein ungeheurer Waldbrand aus, und es schien, als würde das Feuer bald alle Einwohner von Vṛndāvana verschlingen. Sowie sie von der Hitze des Feuers erwachten, suchten sie beim Höchsten Persönlichen Gott Zuflucht, obwohl Er immer noch die Rolle ihres Kindes spielte. Sie beteten: »Lieber Kṛṣṇa, o Höchster Persönlicher Gott! Lieber Balarāma, o Besitzer aller Kraft! Bitte versucht, uns vor diesem alles verschlingenden und verwüstenden Feuer zu retten; wir haben keine andere Zuflucht als Euch.« So beteten sie zu Kṛṣṇa, und sie sagten, daß sie nirgends Zuflucht suchen könnten als bei Seinen Lotosfüßen. Śrī Kṛṣṇa, der Mitleid mit den Bewohnern Vṛndāvanas hatte, verschluckte daraufhin den gesamten Waldbrand, und sie waren gerettet. Dies war leicht möglich für Kṛṣṇa, denn Er ist unbegrenzt. Er besitzt unbegrenzte Kräfte, um alles zu tun, was Ihm beliebt. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 17. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa verschluckt den Waldbrand«. 18. KAPITEL Der Dämon Pralambāsura wird getötet Nachdem Er das schreckliche Feuer ausgelöscht hatte, zog Kṛṣṇa umgeben von Seinen Verwandten, Freunden, Kühen, Kälbern und Stieren, die Ihn auf dem Weg fortwährend durch ihr Singen und Muhen priesen, wieder in Vṛndāvana ein, das Dorf, das immer voller Kühe ist. Während Kṛṣṇa und Balarāma das Leben in Vṛndāvana inmitten der Kuhhirtenjungen und -mädchen genossen, zog der Sommer ins Land. Der Sommer wird in Indien nicht sehr begrüßt, weil es dort zu dieser Zeit ganz besonders heiß ist, aber in Vṛndāvana war das Klima auch zu dieser Jahreszeit für jeden angenehm, denn der Sommer erschien dort ganz wie der Frühling. Dies war nur möglich, weil Śrī Kṛṣṇa und Balarāma dort wohnten, die selbst Brahmā und Śiva beherrschen. In Vṛndāvana gibt es viele Wasserfälle, von denen ständig Wasser fließt, und ihr Plätschern klingt so lieblich, daß es sogar das Zirpen der Grillen übertönt. Und weil überall das Wasser hinfließt, blüht der ganze Vṛndāvana-Wald stets in köstlichem Grün. Die Einwohner von Vṛndāvana wurden niemals von hohen Sommertemperaturen und sengender Hitze geplagt. Die Seen von Vṛndāvana sind von grünen Gräsern umgeben und verschiedenartige Lotosblumen wie die kalhāra-kañjotpala blühen auf ihnen, deren duftender Blütenstaub von den sanften Winden, die in Vṛndāvana wehen, überallhin getragen wird. Wenn die Wasserpartikelchen von den Wellen der Yamunā, von den Seen und den Wasserfällen die Körper der Einwohner von Vṛndāvana benetzten, wurden sie durch die kühlende Wirkung erfreut. So verbrachten sie also völlig unbeschwert die Sommerzeit. Vṛndāvana ist ein schöner Ort. Ständig blühen dort Blumen, und viele verschiedene Arten stattlichen Wildes sind dort anzutreffen. Die Vögel zwitschern, die Pfauen rufen und tanzen, die Bienen summen, und die Kuckucke singen dort lieblich in fünf Tonfolgen. Oft zog Kṛṣṇa, der Quell aller Freude, begleitet von Seinem älteren Bruder Balarāma und den anderen Kuhhirtenjungen mit ihren Kühen, auf Seiner Flöte spielend in den schönen Wald von Vṛndāvana, um Sich an der Atmosphäre zu erfreuen. Sie wandelten durch das frische Blattwerk der Bäume, an denen auch Blüten waren, die Pfauenfedern ähnelten. Alle hatten sie Blumengirlanden um den Hals und waren mit safranfarbener Kreide bemalt. Manchmal tanzten und sangen sie gemeinsam, und manchmal rangen sie auch miteinander. Während Kṛṣṇa tanzte, sangen einige Kuhhirtenjungen dazu und andere spielten ihre Flöten; manche bliesen Büffelhörner oder klatschten in die Hände und priesen dabei Kṛṣṇa: »Lieber Bruder, Du tanzt wunderbar.« Im Grunde waren all diese Jungen Halbgötter, die von höheren Planeten herabgekommen waren, um an Kṛṣṇas Spielen teilzunehmen. Die Halbgötter in Gestalt von Kuhhirtenjungen spornten Kṛṣṇa beim Tanzen an, so wie ein Künstler den anderen ansport, um ihn noch mehr zu begeistern. Bis zu dieser Zeit hatten Sich weder Balarāma noch Kṛṣṇa der Haarschneidezeremonie unterzogen, und deshalb war Ihr Haar so verwildert wie das Gefieder der Krähen. Sie spielten oft mit Ihren Freunden Verstecken, sprangen übereinander und veranstalteten Ringkämpfe. Manchmal rühmte Kṛṣṇa auch Seine Freunde, wenn sie chanteten und tanzten: »Mein lieben Freunde, ihr tanzt und singt ganz wunderbar.« Mit glockenförmigen Früchten und runden āmalakī spielten die Jungen Fangball, und manchmal spielten sie blinde Kuh, wobei sie sich neckten und einander haschten. Manchmal imitierten sie die Waldtiere und die verschiedenen Vogelarten oder ahmten scherzhaft die quakenden Frösche nach. Viel Freude bereitete es ihnen auch, unter den Baumwipfeln zu schaukeln oder König und Untertan zu spielen. In dieser Weise vergnügten Sich Balarāma und Kṛṣṇa mit Ihren Freunden bei allen möglichen Spielen und genossen die angenehme Atmosphäre von Vṛndāvana, das voller Flüsse, Seen, Bäche und prächtiger Bäume mit einzigartigen Früchten und Blüten war. Als sie wieder einmal in ihre transzendentalen Spiele vertieft waren, schlich sich ein großer Dämon mit Namen Pralambāsura in ihre Gemeinschaft ein, der Kṛṣṇa und Balarāma entführen wollte. Obwohl Kṛṣṇa die Rolle eines Kuhhirtenjungen spielte, kannte Er, der Höchste Persönliche Gott, dennoch alles – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als sich Pralambāsura also zu ihnen gesellte, begann Kṛṣṇa schon darüber nachzudenken, wie der Dämon zu töten sei, aber nach außen hin empfing Er ihn als einen Freund. »O mein lieber Freund«, sagte Er, »wie schön, daß du gekommen bist, um an unseren Spielen teilzunehmen!« Kṛṣṇa rief daraufhin all Seine Freunde zusammen und verkündete: »Nun laßt uns Reiterkampf spielen! Wir werden uns gegenseitig in Paaren herausfordern.« Sogleich stellten sich einige der Jungen auf die Seite Kṛṣṇas, andere stellten sich auf die Seite Balarāmas, und beide Parteien machten sich zum Kampf fertig. Unter anderem wurde bestimmt, daß die Jungen der besiegten Partei die der siegreichen Partei auf dem Rücken tragen mußten. Dann begannen sie das Spiel, doch vergaßen sie nicht, gleichzeitig auf die Kühe zu achten, während sie kämpfend durch den Bhāṇḍīravana-Wald zogen. Die Partei Balarāmas, zu der Śrīdāmā und Vṛṣabha gehörten, ging schließlich siegreich aus dem Kampf hervor, und Kṛṣṇas Leute mußten sie daher auf dem Rücken durch den Bhāṇḍīravana-Wald tragen. Weil der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, besiegt wurde, mußte Er Śrīdāmā auf dem Rücken tragen, und Bhadrasena trug Vṛṣabha. Pralambāsura, der immer noch wie ein Kuhhirtenjunge erschien, ahmte ihr Spiel nach und nahm Balarāma auf den Rücken. Pralambāsura war einer der größten Dämonen, und er hatte sich überlegt, daß Śrī Kṛṣṇa der mächtigste der Kuhhirtenjungen war. Um daher ein Zusammentreffen mit Kṛṣṇa zu vermeiden, trug Pralambāsura Balarāma weit weg. Der Dämon war zweifellos sehr stark und mächtig, aber er trug Balarāma, der oft auch mit einem Berg verglichen wird, und deshalb begann er bald unter der drückenden Last zu keuchen, so daß er schließlich gezwungen war, seine wirkliche Form anzunehmen. Als er in seiner eigentlichen Gestalt erschien, war er mit einem goldenen Helm und Ohrringen geschmückt und sah aus wie eine wetterleuchtende Wolke, die den Mond trägt. Balarāma sah, wie der Körper des Dämonen anwuchs, bis er die Wolken berührte; seine Augen loderten wie Feuer, und in seinem Mund blitzten scharfe Zähne. Anfangs war Balarāma durch das Erscheinen des Dämonen überrascht, und Er wunderte Sich: »Wie ist es nur möglich, daß Mein Träger sich auf einmal so gänzlich verändert hat?« Aber mit Seinem klaren Geist begriff Er schnell, daß Er von einem Dämonen, der die Absicht hatte, Ihn zu töten, von Seinen Freunden fortgetragen wurde. Sogleich versetzte Er deshalb dem Dämonen mit Seiner starken Faust einen Schlag auf den Kopf, gleich dem König des Himmels, wenn dieser einen Blitz auf einen Berg niederschleudert. Getroffen von der Faust Balarāmas stürzte der Dämon tot zu Boden wie eine Schlange mit zerschmettertem Kopf, und das Blut quoll ihm aus dem Schlund. Beim Aufprall entstand ein donnerndes Getöse, als wäre ein riesiger Berg durch einen Blitz Indras gespalten worden, und alle Jungen rannten sofort zum Ort des Geschehens. Überrascht von dem ungeheuren Anblick begannen sie Balarāma zu rühmen: »Gut gemacht! Gut gemacht!« Ein jeder von ihnen umarmte Balarāma, von dem sie glaubten, Er sei gerade dem Tod entronnen, voller Zuneigung und überhäufte Ihn mit Lob und Segenswünschen. Die Halbgötter auf den himmlischen Planeten waren überaus erfreut und ließen Blumen auf den transzendentalen Körper Balarāmas herabregnen, um Ihm ebenfalls ihre Segnungen und Glückwünsche zu bekunden, weil Er den großen Dämon Pralambāsura getötet hatte. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 18. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Der Dämon Pralambāsura wird getötet«. 19. KAPITEL Kṛṣṇa verschlingt ein weiteres Waldbrandfeuer Während Kṛṣṇa, Balarāma und Ihre Freunde von dem soeben geschilderten Abenteuer in Anspruch genommen waren, begannen die unbewachten Kühe nach eigenem Gutdünken weiterzuwandern und entfernten sich, verlockt von frischen Gräsern, immer weiter in die dichtesten Teile des Waldgebietes. Von einem Wald zum anderen zogen die Ziegen, Kühe und Büffel, bis sie schließlich in den Wald kamen, der als »Iṣikāṭavi« bekannt ist. Sie waren vom saftiggrünen Gras angelockt worden; aber als sie sich mitten im Wald befanden, sahen sie, daß dort ein Waldbrand wütete, und deshalb fingen sie sogleich an zu schreien. Inzwischen hatten Balarāma, Kṛṣṇa und Ihre Freunde die Tiere nicht finden können und waren deshalb sehr bekümmert. Schließlich sahen sie, wohin die Tiere ihren Weg genommen hatten, indem sie den Spuren der Kühe und dem Pfad folgten, der durch das abgeweidete Gras entstanden war. Die Jungen befürchteten, daß es nun um ihren Lebensunterhalt, die Kühe, geschehen sei. Bald jedoch vernahmen sie das Muhen und Meckern, und Kṛṣṇa begann sogleich, mit lauter Stimme die Kühe bei ihren jeweiligen Namen zu rufen. Mit freudigem Muhen antworteten die Kühe auf die Rufe Kṛṣṇas, doch schon hatte der Waldbrand sie allesamt eingeschlossen, und ihre Lage erschien äußerst bedrohlich. Als der Wind noch heftiger blies, wuchsen die Flammen immer stärker an, und es schien, als werde alles Bewegliche und Unbewegliche in den Flammen umkommen. Die Kühe und die Jungen überkam Entsetzen, und sie sahen Balarāma an, wie ein Sterbender auf das Bildnis des Höchsten Persönlichen Gottes schaut. Sie sagten: »Lieber Kṛṣṇa, lieber Balarāma, wir spüren bereits die brennende Hitze des lodernden Feuers. Laßt uns bei Euren Lotosfüßen Zuflucht nehmen! Wir wissen, daß Ihr uns vor jeder Gefahr beschützen könnt. Lieber Freund Kṛṣṇa, wir sind Deine lieben Freunde. Es ist nicht richtig, daß wir auf diese Art und Weise leiden sollen. Wir sind völlig von Dir abhängig, und Du bist der Kenner allen religiösen Lebens. Wir kennen niemanden als Dich.« Als der Höchste Persönliche Gott das Flehen Seiner Freunde hörte, antwortete Er ihnen, indem Er ihnen einen wohltuenden Blick zuwarf. Durch die Sprache Seiner Augen teilte Er ihnen mit, daß sie sich nicht zu fürchten brauchten. Dann verschluckte Kṛṣṇa, der höchste Mystiker, der mächtige Persönliche Gott, im Nu alle Flammen. So wurden die Kühe und Jungen vor der drohenden Gefahr bewahrt. Vor Angst waren Kṛṣṇas Freunde fast bewußtlos geworden, aber als sie ihr Bewußtsein wiedererlangten und die Augen öffneten, sahen sie, daß sie wieder zusammen mit Kṛṣṇa und Balarāma und den Kühen im grünen Wald waren. Sie konnten es kaum fassen, daß sie den Angriff des lodernden Feuers heil überstanden hatten, und daß auch den Kühen nichts geschehen war. Insgeheim dachten sie, daß Kṛṣṇa kein gewöhnlicher Junge sein könne, sondern irgendein Halbgott sei. Am Abend kehrten Kṛṣṇa und Balarāma zusammen mit den Jungen und Kühen nach Vṛndāvana zurück, wobei Sie Ihre Flöten spielten. Als Sie Sich dem Dorf näherten, wurden alle gopīs überaus heiter und froh. Den ganzen Tag lang dachten die gopīs an Kṛṣṇa, der im Wald umherzog, und in Seiner Abwesenheit erschien ihnen ein Augenblick so lang wie zwölf Jahre. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 19. Kapitel des Buches Kṛṣṇā: »Kṛṣṇa verschlingt einen weiteren Waldbrand.« 20. KAPITEL Herbst in Vṛndāvana Der Tod Pralambāsuras und das Verschlingen des verheerenden Waldbrandes durch Kṛṣṇa und Balarāma waren zu täglichen Gesprächsthemen in Vṛndāvana geworden. Die Kuhhirten schilderten ihren Frauen und jedem, der es hören wollte, diese wunderbaren Taten, und alle wurden in Erstaunen versetzt, als sie vernahmen, was im Wald von Vṛndāvana geschehen war. Sie schlossen daraus, daß Kṛṣṇa und Balarāma Halbgötter seien, die gütigerweise in Vṛndāvana als ihre Kinder erschienen waren. Bald darauf kündigte sich die Regenzeit an. Nach der Hitze des Sommers ist die Regenzeit in Indien sehr willkommen, und die Wolken, die sich am Himmel zusammenziehen und Sonne und Mond verdecken, erfreuen die Menschen, die jeden Augenblick den Regen erwarten. Nach dem Sommer wird der Beginn der Regenzeit als eine lebensspendende Quelle für jeden empfunden. Selbst Donner und Blitz werden freudig begrüßt. Die Symptome der Regenzeit sind den Symptomen der Lebewesen vergleichbar, die von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur bedeckt sind. Der unbegrenzte Himmel ist wie das Höchste Brahman, und die winzigen Lebewesen sind wie der bedeckte Himmel – nämlich Brahman, das von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur bedeckt ist. Ursprünglich ist jedes Lebewesen ein winziges Teilchen des Brahman. Der unbegrenzte Himmel, das Höchste Brahman, kann niemals ganz von einer Wolke bedeckt werden, sondern nur teilweise. Wie in der Bhagavad-gītā gesagt wird, sind die Lebewesen zwar Teilchen des Höchsten Persönlichen Gottes, doch sind sie nur winzig kleine Bestandteile des Höchsten. Daher können sie von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur bedeckt werden, und aus diesem Grunde befinden sich einige der Lebewesen in der materiellen Welt. Das brahmajyoti, die spirituelle Ausstrahlung des Herrn, ist wie das Sonnenlicht. Ähnlich wie dieses sich aus leuchtenden Partikeln zusammensetzt, besteht das brahmajyoti aus winzigen Teilchen des Höchsten Persönlichen Gottes. Von der unbegrenzten Anzahl der winzigen Teile des Höchsten Herrn sind einige durch den Einfluß der materiellen Natur bedeckt, während andere frei davon sind. Wolken sind Ansammlungen von Wasser, das durch die Sonnenwärme von Land und Gewässern aufsteigt. Nachdem die Sonne acht Monate lang Wasser auf allen Teilen der Welt hat verdunsten lassen, bilden sich Wolken, die als Wasser verteilt werden, wenn es benötigt wird. In ähnlicher Weise zieht eine Regierung Steuern von den Bürgern ein, die diese entsprechend dem Gewinn aus ihren materiellen Tätigkeiten in Landwirtschaft, Handel und Industrie zu zahlen haben. Die Regierung kann auch Abgaben in Form von Einkommensteuern und Gewerbesteuern fordern. Hierbei trifft der Vergleich mit der Sonne zu, die das Wasser aus der Erde zieht. Weil das Wasser von der Erde benötigt wird, verwandelt die Sonnenwärme das Wasser in Wolken um und verteilt es überall auf dem Erdplaneten. Ebenso müssen auch die Steuern, die von der Regierung eingezogen werden, wieder dem Volk in Form von Ausbildungsmöglichkeiten, öffentlichen Institutionen sanitären Einrichtungen usw. zugutekommen. Das ist sehr wesentlich für eine gute Regierung. Die Regierung sollte nicht einfach Steuern einsammeln, um sie danach sinnlos zu verschwenden; die Steuern müssen vielmehr für das Wohl der Allgemeinheit verwendet werden. Während der Regenzeit stürmen kräftige Winde über das ganze Land und treiben die Wolken von Ort zu Ort, um das Wasser zu verteilen. Wenn nach dem Sommer das Wasser dringend benötigt wird, sind die Wolken wie ein reicher Mann, der in Zeiten der Not sein Geld verteilt, auch wenn er dabei all seine Mittel erschöpft. Ebenso erschöpfen sich die Wolken, um das Wasser auf der Erdoberfläche zu verteilen. Von Mahārāja Daśaratha, dem Vater Rāmacandras, heißt es, daß er, wenn er mit seinen Feinden kämpfte, wie ein Ackersmann auf sie losging, der die unnützen Pflanzen und Bäume ausreißt, und daß er, wenn Not herrschte, das Geld zu verteilen pflegte wie eine Wolke den Regen. Die Wolken verteilen den Regen so, daß man dies mit der großzügigen Spendenverteilung eines reichen, freigiebigen Mannes vergleichen kann. Sie vergießen das Wasser so reichlich, daß der Regen selbst auf Felsen, Hügel, Seen und Meere fällt, wo Wasser überhaupt nicht nötig ist. Es ist wie mit einem wohltätigen Menschen, der seine Schatzkammer zur Verteilung freigibt und nicht lange unterscheidet, ob die Spende benötigt wird oder nicht. Er verschenkt mit offener Hand. Vor dem Regen ist die gesamte Erdoberfläche fast aller Energien beraubt und scheint gehörig ausgelaugt zu sein; doch nach dem Regenfall blüht die Erde in neuem Grün und wird sichtlich gesund und kräftig. Hierzu paßt der Vergleich von einem Menschen, der sich große Entbehrungen auferlegt hat, so daß ihm ein materieller Wunsch erfüllt wird. Das Blühen der Erdvegetation nach der Regenzeit wird mit der Erfüllung materieller Verlangen verglichen. Wenn ein Land einer unerwünschten Regierung unterworfen ist, erlegen sich die Bürger und Parteien oftmals schwere Bußen und Entbehrungen auf, um über die Regierung Herr zu werden, und wenn sie Erfolg haben, geht es ihnen meist prächtig – aufgrund der großzügigen Gehälter, die sie sich selbst gewähren. Auch das ist mit dem Aufblühen der Vegetation während der Regenzeit vergleichbar. Im Grunde aber sollte man sich nur schwere Entbehrungen und Bußen auferlegen, um spirituelles Glück zu verlangen. Das Śrīmad-Bhāgavatam rät uns, tapasyā oder Bußen nur anzunehmen, wenn sie förderlich sind, den Höchsten Herrn zu erkennen. Wenn man im hingebungsvollen Dienen Entbehrungen auf sich nimmt, erhält man sein spirituelles Leben zurück, und sowie man in sein spirituelles Leben zurückgekehrt ist, erfreut man sich unbegrenzter spiritueller Glückseligkeit. Aber wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, sind die Ergebnisse von Opfern, die man sich auferlegt, um ein materielles Ziel zu erreichen, vergänglich, und sie werden nur von weniger intelligenten Menschen angestrebt. Während der Regenzeit kann man am Abend viele Glühwürmchen beobachten, die die Baumwipfel umflattern, und die wie kleine Lichter glitzern. Die großen Leuchtkörper des Himmels wie die Sterne und der Mond indessen sind nicht sichtbar. Ebenso gewinnen im Zeitalter des Kali in zunehmendem Maße Atheisten und andere Gauner an Berühmtheit, wohingegen Menschen, die wirklich die vedischen Prinzipien befolgen und um spirituelle Befreiung bemüht sind, immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden. Dieses Zeitalter, das Kali-yuga, wird auch die wolkige Jahreszeit der Lebewesen genannt. In diesem Zeitalter ist das wirkliche Wissen durch den Einfluß des materiellen Fortschritts der Zivilisation verdeckt. Die schäbigen Spekulanten, Atheisten und Erfinder sogenannter religiöser Prinzipien treten hervor wie die Glühwürmchen im Dunkeln, wohingegen Menschen, die strikt den vedischen Prinzipien oder den Anweisungen der Schriften folgen, von den Wolken dieses Zeitalters verhüllt werden. Die Menschen sollten lernen, die wirklichen Leuchtquellen am Himmel, die Sonne, den Mond und die Sterne, zu nutzen, statt sich mit dem Licht der Glühwürmer zufriedenzugeben. Im Grunde kann nämlich der Glühwurm gar kein Licht spenden. Wie sich die Wolkendecke manchmal selbst während der Regenzeit öffnet, so daß der Mond, die Sterne oder die Sonne sichtbar werden, so bietet sich auch im gegenwärtigen Zeitalter des Kali ab und zu eine günstige Gelegenheit. Die vedische Bewegung Śrī Kṛṣṇa Caitanyas – die Verbreitung des Chantens von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« – ist als eine solche Gelegenheit zu verstehen. Menschen, die aufrichtig darum bemüht sind, das wirkliche Leben zu finden, sollten diese Bewegung nutzen, statt sich vom Licht weltlicher Spekulanten und Atheisten verblenden zu lassen. Wenn es nach dem ersten Regenfall in den Wolken donnert, fangen alle Frösche an zu quaken wie Schüler, die plötzlich wieder beginnen, ihre Studien zu lesen. Die Schüler müssen im allgemeinen früh morgens aufstehen. Aber sie stehen gewöhnlich nicht von allein auf, sondern nur, wenn in dem Tempel oder dem kulturellen Gebäude, in dem sie leben, eine Glocke ertönt. Auf diese Weise an die Anordnung des geistigen Meisters gemahnt stehen sie augenblicklich auf und setzen sich nach Erledigung ihrer morgendlichen Pflichten nieder, die Veden zu studieren oder vedische mantras zu chanten. Jeder schläft in der Dunkelheit des Kali-yugas, aber allein auf die Mahnung eines großen ācāryas hin beginnt ein jeder mit dem Studium der Veden, um wirkliches Wissen zu erwerben. Während der Regenzeit füllen sich viele kleine Teiche, Seen und Bäche mit Wasser, die den Rest des Jahres über trocken bleiben. Ähnlich verhält es sich mit den materialistischen Menschen: Sie sind trocken, doch manchmal, wenn sie das geworden sind, was man wohlsituiert nennt, mit einem Haus oder Kindern oder einem kleinen Bankkonto, scheinen sie aufzublühen, doch danach werden sie schnell wieder trocken wie die kleinen Bäche und Teiche. Der Dichter Vidyāpati sagte, daß man, umgeben von Freunden, Familie, Kindern, Frau usw. sicherlich ein wenig Freude erfahren könne, daß aber diese Freude mit einem Wassertropfen in der Wüste zu vergleichen sei. Jeder sehnt sich nach Glück, ebenso wie sich in der Wüste jeder nach Wasser sehnt. Wenn man in der Wüste einen Tropfen Wasser erhält, handelt es sich dabei natürlich um Wasser, aber der Nutzen ist unbedeutend. Wir sehnen uns in unserem materiellen Leben nach einem Ozean des Glücks, aber in Form von Gesellschaft, Freunden und weltlicher Liebe erhalten wir nicht mehr als einen unbedeutenden Tropfen. Im materiellen Leben können wir niemals zufrieden werden, ebensowenig wie die kleinen Bäche, Seen und Teiche während der Trockenzeit mit Wasser gefüllt werden können. Durch den Regenfall erhalten die Gräser, die Bäume und alle übrigen Pflanzen eine kräftige grüne Farbe. Manchmal läßt sich eine gewisse Art rötlicher Insekten auf dem Gras nieder, und wenn in dem Gemisch aus Grün und Rot die schirmähnlichen Pilze auftauchen, hat sich die ganze Landschaft verändert, gleich einem Menschen, der plötzlich reich geworden ist. Die Bauern sind sehr glücklich, wenn sie ihre Felder voller Getreide sehen, aber die Kapitalisten, die solche Vorgänge niemals als das Wirken einer übernatürlichen Kraft anerkennen wollen, werden unzufrieden, weil sie Angst vor Konkurrenzpreisen bekommen. In einigen Teilen der Welt hindern gewisse Kapitalisten, die ein hohes Amt in der Regierung bekleiden, die Bauern daran, zu viel Getreide zu produzieren, weil sie nicht wissen, daß alles Getreide in Wirklichkeit vom Höchsten Persönlichen Gott beschert wird. Wie wir aus den Weisungen der Veden erfahren, erhält der Höchste Persönliche Gott die gesamte Schöpfung (eko bahūnāṁ yo vidadhāti kāmān). Er also sorgt für alles, was die Lebewesen benötigen. Wenn die Bevölkerung anwächst, obliegt es dem Höchsten Herrn, sie mit Essen zu versorgen. Aber Atheisten und Schurken lieben nicht die reiche Produktion von Getreide – ganz besonders, wenn ihr Geschäft dabei zu kurz kommen könnte. Während der Regenzeit werden alle Lebewesen auf dem Lande, in der Luft und im Wasser erfrischt, gleich jemandem, der sich im transzendentalen liebevollen Dienen für den Herrn beschäftigt. Das haben wir bei unseren Schülern in der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein praktisch erfahren können. Bevor sie Gottgeweihte wurden, machten sie einen unsauberen Eindruck, obwohl sie von Natur aus ansprechende persönliche Eigenschaften besaßen. Weil sie noch nichts vom Kṛṣṇa-Bewußtsein wußten, schienen sie sehr unrein und elend, doch nachdem sie sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zugewandt hatten, besserte sich ihre Verfassung, und weil sie die Regeln und Regulierungen befolgen, hat sich ihr Äußeres sehr zum Positiven gewandelt. Wenn sie in safranfarbene Gewänder gekleidet sind und frischen tilaka auf der Stirn tragen, mit der Gebetskette in der Hand und Perlen um den Hals, sehen sie aus, als kämen sie gerade von Vaikuṇṭha. Wenn die Flüsse in der Regenzeit anschwellen und sich in die Ozeane und Meere ergießen, scheinen sie die Wogen aufzuwühlen. Ähnlich wird ein Mensch, der sich mit mystischen yoga-Vorgängen befaßt, jedoch im spirituellen Leben noch nicht sehr fortgeschritten ist, leicht von sexuellen Wünschen erregt. Hohe Berge dagegen wanken nicht, auch wenn sie von Regengüssen überschüttet werden, und ebenso ist ein Mensch, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein fortgeschritten ist, selbst durch größte Schwierigkeiten nicht in Verwirrung zu bringen; denn ein Mensch, der spirituell fortgeschritten ist, nimmt jeden widrigen Umstand als die Barmherzigkeit des Herrn an und wird es daher leicht haben, das spirituelle Königreich zu erreichen. In der Regenzeit werden manche Wege lange nicht benutzt und deshalb von hohem Gras überwuchert. Das gleiche geschieht einem brāhmaṇa, der nicht regelmäßig die in den Veden vorgeschriebenen Reinigungsmethoden studiert und praktiziert – auch er wird mit dem dichten Gestrüpp māyās überdeckt. In diesem Zustand vergißt er seine wesenseigene Identität, d. h., er vergißt seine Position als ewiger Diener des Höchsten Persönlichen Gottes. Weil solch ein Mensch durch die von māyā erzeugte zeitbedingte Verwucherung des Weges vom rechten Pfad abgebracht worden ist, identifiziert er sich mit Vorspiegelungen māyās und erliegt, sein spirituelles Leben vergessend, der Illusion. Während der Regenzeit ist es oft so, daß das Gewitterleuchten erst in einer bestimmten Wolkengruppe erscheint und unmittelbar darauf in einer anderen. Dieses Phänomen wird mit einer lustvollen Frau verglichen, die ihren Geist nicht auf einen Mann richten kann. Die Wolke wird mit einem vermögenden Menschen verglichen, denn sie vergießt Regen und ernährt dadurch viele Menschen; ebenso ernährt ein vermögender Mann viele Lebewesen, wie z. B. seine Familienangehörigen oder die Arbeiter in seinem Geschäft. Schlimm ist es nur, wenn seine Frau sich von ihm trennt; das kann ihn völlig zugrunde richten. Wenn der Familienvater leidet, wird die gesamte Familie ruiniert. Die Kinder gehen aus dem Hause oder das Geschäft wird geschlossen – alles wird davon betroffen. Deshalb lautet die Regel, daß eine Frau, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein Fortschritte machen möchte, einträchtig mit ihrem Ehemann zusammenleben soll, und daß sich das Paar unter keiner Bedingung trennen darf. Mann und Frau sollten ihr Geschlechtsleben beherrschen und ihren Geist im Kṛṣṇa-Bewußtsein vertiefen, so daß ihr Leben erfolgreich sein kann. Denn es ist nun einmal so, daß in der materiellen Welt ein Mann eine Frau braucht und eine Frau einen Mann. Wenn sie zusammen sind, sollten sie einträchtig im Kṛṣṇa-Bewußtsein leben, und nicht unstet wie die Blitze sein, die von einer Wolkengruppe zur anderen wechseln. Manchmal kann man außer dem dumpfen Donnern der Wolken auch einen Regenbogen wahrnehmen, der wie ein Bogen ohne Sehne am Himmel steht. Der Bogen hat eine geschwungene Form, weil zwischen seinen beiden Enden eine Bogensehne gespannt ist, aber der Regenbogen wird von keiner Sehne gespannt und dennoch steht er so farbenprächtig am Himmel. Ebenso erscheint der Höchste Persönliche Gott in der materiellen Welt wie ein gewöhnliches menschliches Wesen, doch ist Er von keinen materiellen Bedingungen abhängig. In der Bhagavad-gītā sagt der Herr, daß Er durch Seine innere Energie erscheint, die nicht durch die äußere Energie gebunden ist. Was Gebundenheit für das gewöhnliche Geschöpf ist, ist Freiheit für den Persönlichen Gott. In der Regenzeit ist das Mondlicht meist von Wolken verdeckt und wird nur ab und zu sichtbar. Manchmal scheint sich der Mond mit den Wolken zu bewegen, aber in Wirklichkeit bleibt der Mond an seinem Ort; nur weil sich die Wolken bewegen, scheint der Mond zu wandern. Ebenso ist das spirituelle Licht eines Menschen, der sich mit den Vorgängen in der materiellen Welt identifiziert, von Illusion verborgen, so daß er denkt, er bewege sich mit den Bewegungen der materiellen Handlungen durch verschiedene Lebenssituationen. Dies ist auf das falsche Ich zurückzuführen, das die Trennungslinie zwischen dem spirituellen und dem materiellen Dasein ist, genau wie die sich bewegende Wolke die Trennungslinie zwischen Mondlicht und Dunkelheit bildet. Wenn zu Beginn der Regenzeit die ersten Wolken am Himmel auftauchen, beginnen die Pfaue, sobald sie sie erblicken, vor Freude zu tanzen. Sie können mit Menschen verglichen werden, die vom materialistischen Leben ganz zermürbt sind, doch die, wenn sie die Gemeinschaft von Leuten finden können, die im liebevollen gottgeweihten Dienen beschäftigt sind, beseelt werden wie die Pfauen, die zu tanzen anfangen. Wir haben dies praktisch erfahren, denn viele unserer Schüler waren, bevor sie zum Kṛṣṇa-Bewußtsein kamen, ausgetrocknet und verdrießlich, aber in der Gemeinschaft Gottgeweihter tanzen sie nun wie jubilierende Pfaue. Die Pflanzen und Bäume wachsen, indem sie das Wasser aus dem Boden ziehen. Ebenso ist es mit jemandem, der die trockene Auferlegung von Bußen hinter sich hat und nun das Ergebnis erhält: Er beginnt ein Leben der Sinnenfreude mit Familie, Gesellschaft, Liebe, Haushalt usw. zu genießen. Manchmal kann man beobachten, daß Kraniche und Enten ständig an den Ufern der Seen und Flüsse umherstolzieren, obwohl der Boden von schlammigem Abfall und dornigen Sträuchern bedeckt ist. Ebenso beharren Haushälter ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein trotz aller Unbequemlichkeiten auf ihrem Dasein im materiellen Leben. Man kann weder im Familienleben noch in irgendeinem anderen Lebensumstand ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein vollkommen glücklich sein. Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura, ein großer Gottgeweihter, bittet daher in einem seiner Gebete darum, immer mit jemandem zusammensein zu dürfen – sei es ein Haushälter oder ein Entsagungsvoller –, der im transzendentalen liebevollen Dienst des Herrn tätig ist und immer die heiligen Namen Śrī Caitanyas ruft. Der materialistische Mensch wird stark von den weltlichen Geschehnissen angegriffen, während ein Gottgeweihter im Kṛṣṇa-Bewußtsein alles als glückliche Fügung ansieht. Die Erdwälle, die die Äcker oder Felder umgeben, brechen manchmal durch sehr starke Regengüsse. In ähnlicher Weise durchbricht die unautorisierte Propaganda der Atheisten im Zeitalter des Kali die Gesetze der vedischen Anweisungen. Dadurch degenerieren die Menschen allmählich zur Gottlosigkeit. In der Regenzeit spenden die vom Wind getriebenen Wolken reichlich Wasser, das so willkommen ist wie Nektar. Wenn die Befolger der Veden, die brāhmaṇas, reiche Männer wie Könige und wohlhabende Kaufleute dazu anregen, bei großen Opferungen Spenden zu geben, ist die Verteilung solchen Reichtums ebenfalls nektarhaft. Die vier Gruppen der menschlichen Gesellschaft, nämlich brāhmaṇas, kṣatriyas, vaiśyas und śūdras, sind dazu bestimmt, in Frieden zusammenzuleben und einträchtig zusammenzuarbeiten; dies ist nur möglich, wenn sie von erfahrenen vedischen brāhmaṇas geführt werden, die Opferungen durchführen und den Reichtum gerecht verteilen. Der Vṛndāvana-Wald war durch die Regenfälle noch herrlicher geworden und hing voller reifer Datteln, Mangos, Brombeeren und anderer Früchte. Der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa und Seine jungen Freunde, auch Balarāma, betraten den Wald, um sich an der Frische der neuen Jahreszeit zu erfreuen. Die Kühe wurden, da sie so junges, saftiges Gras zu fressen bekamen, überaus kräftig, und ihre Euter waren alle prall gefüllt. Wenn Kṛṣṇa sie bei ihren Namen rief, kamen sie voller Zuneigung sofort zu Ihm gelaufen, und in ihrer Freude floß ihnen Milch aus den Eutern. Śrī Kṛṣṇa war frohen Sinnes, als Er durch den Vṛndāvana-Wald am Govardhana-Hügel vorbeizog. Am Ufer der Yamunā sah Er, daß die Bäume mit Bienennestern geschmückt waren, von denen Honig tropfte. An dem Govardhana-Hügel gab es viele Wasserfälle, deren liebliches Rauschen Kṛṣṇa hören konnte, wenn Er in die Höhlen des Hügels hineinschaute. Als die Regenzeit noch nicht ganz vorüber war, sondern sich erst allmählich in den Herbst wandelte, setzten Sich Kṛṣṇa und Seine Gefährten – besonders, wenn es im Wald regnete – unter einen Baum oder in die Höhlen des Govardhana-Hügels und genossen es, die reifen Früchte zu essen und sich mit großem Vergnügen zu unterhalten. Wenn Sich Kṛṣṇa und Balarāma den ganzen Tag über im Wald aufhielten, ließ Ihnen Mutter Yasodā Reis vermischt mit Yoghurt, Früchten und Süßigkeiten bringen. Kṛṣṇa setzte Sich dann sofort zum Essen auf einen flachen Felsen am Ufer der Yamunā nieder, und während Kṛṣṇa, Balarāma und Ihre Freunde gemeinsam schmausten, beobachteten sie die Kühe, Kälber und Stiere. Die Kühe schienen wegen ihrer schweren Milcheuter vom Stehen ermüdet zu sein, doch als sie sich niederließen und das Gras wiederkäuten, wurden sie wieder fröhlich, und auch Kṛṣṇa freute Sich bei ihrem Anblick. Er war stolz auf die Schönheit des Waldes, die nichts anderes war, als die Manifestation Seiner eigenen Energie. Bei solchen Gelegenheiten liebte es Kṛṣṇa besonders, das Wirken der Natur während der Regenzeit zu preisen. In der Bhagavad-gītā heißt es, daß die Natur, d. h. die materielle Energie, nicht unabhängig in ihrem Wirken ist. Die Natur bewegt sich unter der Oberaufsicht Kṛṣṇas. In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, daß die materielle Natur, die auch als »Durgā« bekannt ist, sich wie der Schatten Kṛṣṇas verhält. Die materielle Natur gehorcht jedem Befehl, der ihr von Kṛṣṇa erteilt wird. Daher wurde auch die besondere Schönheit der Natur zur Regenzeit nach den Anweisungen Kṛṣṇas geschaffen. Schon bald wurden die Bäche, Teiche und Seen sehr klar und erquickend, und überall wehten erfrischende Herbstwinde. Der Himmel war gänzlich reingefegt von allen Wolken und hatte seine natürliche blaue Farbe zurückerhalten. Der blühende Lotos im klaren Wasser des Waldes glich einem Menschen, der von der Stufe des yoga heruntergefallen war, aber nun im wiedergewonnenen spirituellen Leben aufblüht. Mit dem Erscheinen des Herbstes entfaltet alles seine natürliche Schönheit. Ebenso ist es mit einem materialistischen Menschen, der sich dem spirituellen Leben im Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet und so rein wird wie der Himmel und das Wasser im Herbst. Der Herbst verjagt die grollenden Gewitterwolken am Himmel und reinigt das Wasser von allen Verunreinigungen. Selbst der Erdboden wird von schmutzigen Ablagerungen gesäubert. Dieses trifft als Vergleich auf jemanden zu, der sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet und damit sofort innerlich wie äußerlich von allen schmutzigen Dingen gereinigt wird. Kṛṣṇa ist deshalb als »Hari« bekannt. »Hari« bedeutet, »derjenige, der fortnimmt«. Sehr schnell nimmt Kṛṣṇa alle unreinen Gewohnheiten von einem Menschen, der sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwendet. Die Wolken des Herbstes sind von weißer Farbe, denn sie führen kein Wasser mit sich. Ihnen gleicht ein Mann, der auf der zurückgezogenen Stufe des Lebens steht und von allen Sorgen um Familienangelegenheiten, nämlich das Haus, die Frau und die Kinder zu erhalten, befreit ist: Er sieht weiß aus wie die Wolken im Herbst. Manchmal ergießen sich im Herbst die Wasserfälle von den Bergeshöhen und bringen sauberes Wasser, doch manchmal hören sie auch auf zu fließen. Ebenso verschenken die großen Heiligen manchmal reines Wissen und ein anderes Mal halten sie sich zurück. Die kleinen Teiche, die sich während der Regenzeit mit Wasser gefüllt haben, trocknen im Herbst allmählich aus. Die winzigen Wassertiere, die in den Teichen leben, können nicht begreifen, daß sich die Anzahl ihrer Artgenossen mit jedem Tag verringert. Sie gleichen den in der Materie versunkenen Menschen, die auch nicht wahrhaben wollen, daß sich ihr Leben mit jedem Tag verkürzt. Solche Menschen sorgen sich nur um die Erhaltung von Kühen, Besitz, Kindern, Frau, Gesellschaft und Freundschaften. So wie die kleinen Wassertiere wegen der sengenden Hitze und dem Versiegen des Wassers in qualvolle Not geraten, so sind auch unbeherrschte Menschen immer unglücklich, weil sie nicht imstande sind, das Leben zu genießen oder ihre Familienmitglieder zu erhalten. Die schlammige Erde trocknet im Herbst allmählich aus, und das frischgewachsene Gemüse beginnt zu verdorren, wie für einen Menschen, der sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zugewandt hat, allmählich das Verlangen nach Familienglück verdorrt. Wenn der Herbst ins Land zieht, wird der Ozean ruhig und sanft, so daß er einem Menschen gleicht, der die Stufe der Selbstverwirklichung erlangt hat und nicht länger von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur verwirrt wird. Im Herbst bewahren die Bauern das Regenwasser auf den Feldern, indem sie starke Erdwälle bauen, so daß das Wasser nicht von den Feldern fließen kann. Es besteht kaum Aussicht auf neue Regenfälle, und deshalb wollen sie alles Wasser retten, das sich auf den Feldern angesammelt hat. Ebenso bewahrt ein Mensch, der in der Selbstverwirklichung fortgeschritten ist, sorgsam seine Energie, indem er die Sinne meistert. Es wird empfohlen, nach dem fünfzigsten Lebensjahr dem Familienleben zu entsagen und die Energie des Körpers für den Fortschritt im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu erhalten. Solange man nicht imstande ist, die Sinne zu beherrschen und sie im transzendentalen, liebevollen Dienst Mukundas zu gebrauchen, kann man unmöglich Befreiung erlangen. Im Herbst verbreitet die Sonne tagsüber eine glühende Hitze, nachts aber werden die Menschen durch den klaren Mondschein von der Beschwerlichkeit des Tages erlöst. Wenn ein Mensch Zuflucht bei Mukunda oder Kṛṣṇa sucht, kann er von aller Beschwerlichkeit erlöst werden, die ihm durch seine fälschliche Identifizierung des Körpers mit dem Selbst entstanden ist. Mukunda ist auch die Quelle des Trostes für die Mädchen von Vṛndāvana. Die Mädchen von Vrajabhūmi leiden ständig unter dem Trennungsschmerz in Gedanken an Kṛṣṇa, doch wenn sie mit Kṛṣṇa in der mondhellen Herbstnacht zusammenkommen, wird auch ihr Leid gestillt. Wenn der Himmel wolkenlos und klar ist, leuchten die Sterne des Nachts in voller Schönheit; wenn ein Mensch wirklich im Kṛṣṇa-Bewußtsein gefestigt ist, ist er von allen Verunreinigungen befreit und wird schön wie die Sterne am herbstlichen Himmel. Die vedischen Schriften schreiben zwar nebenbei auch karma in Form von Opfern vor, doch ihre letztliche Aussage wird in der Bhagavad-gītā folgendermaßen definiert: Man muß Kṛṣṇa-Bewußtsein praktizieren, nachdem man den gesamten Inhalt der Veden verstanden hat. Aus diesem Grunde ist das reine Herz eines Gottgeweihten im Kṛṣṇa-Bewußtsein, der von aller Unwissenheit frei ist, mit dem klaren Himmel des Herbstes vergleichbar. Im Herbst erstrahlen der Mond wie auch die Sterne in besonders hellem Licht am klaren Himmel. Śrī Kṛṣṇa erschien am Himmel der Yadu-Dynastie, und Er war, umgeben von den Angehörigen der Yadu-Dynastie, genau wie der von Sternen umringte Mond. Die frischen, duftenden Lüfte, die von den weiten Flächen blühender Blumen in den Waldgärten wehen, verschaffen einem Menschen, der unter Sommer und Regenzeit gelitten hat, große Erleichterung. Leider jedoch konnten die gopī an solchen kühlen Winden keinen Trost finden, denn ihre Herzen weilten bei Kṛṣṇa. Die meisten Menschen erfreuten sich an diesen wunderbaren Herbstwinden, aber die gopīs konnten es nicht, da sie nicht von Kṛṣṇa umarmt wurden. So wie mit dem Einzug des Herbstes alle weiblichen Tiere wie Kühe und Hirschkühe trächtig werden, weil zu dieser Jahreszeit der Paarungstrieb der Männchen besonders stark ist, so wird das Lebensziel der Transzendentalisten durch die Gnade des Herrn erfüllt. Śrīla Rūpa Gosvāmī lehrt uns in seinem Upadeśāmṛta, den hingebungsvollen Dienst mit großer Begeisterung, Geduld und Überzeugung zu befolgen, die Regeln und Regulierungen einzuhalten, uns von materieller Verunreinigung freizuhalten und immer in der Gemeinschaft von Gottgeweihten zu bleiben. Durch das Befolgen dieser Prinzipien wird man mit Sicherheit das ersehnte Ergebnis des hingebungsvollen Dienens erlangen. Ein Gottgeweihter, der mit Geduld den regulierenden Prinzipien des hingebungsvollen Dienens folgt, wird zu gegebener Zeit das Ergebnis erhalten, so wie der Wunsch der Weibchen erfüllt wird, indem sie trächtig werden. Im Herbst sprießen Lotosblumen in großer Zahl auf den Seen, weil zu dieser Zeit keine Lilien mehr wachsen; sowohl die Lilien als auch die Lotosse wachsen durch den Sonnenschein, aber während des Herbstes gedeiht bei der starken Sonnenhitze nur der Lotos. Dieses Beispiel wird für die Situation eines Landes gegeben, in dem der König oder die Regierung mit starker Hand regiert: Üble Elemente wie Diebe und Räuber haben keine Möglichkeit, sich zu entwickeln, und die Bürger, die darauf vertrauen können, daß sie nicht von Verbrechern bedroht werden, gedeihen in bester Weise. Bei diesem Vergleich steht die sengende Sonnenglut des Herbstes für die starke Regierung; die Lilien werden mit den gefürchteten Elementen wie Räuber verglichen und die Lotosblumen mit den zufriedenen Bürgern. Die Felder füllen sich im Herbst mit reifem Getreide; dann freuen sich die Menschen über die Ernte und begehen verschiedene Zeremonien, wie z. B. Navānna-Opfer an frischem Getreide, die dem Höchsten Persönlichen Gott dargebracht werden. Das neue Getreide wird zuerst den Bildgestalten Gottes in den verschiedenen Tempeln geopfert, und dann werden alle Menschen zu süßem Milchreis eingeladen, der von diesem Getreide zubereitet wurde. Es gibt noch andere religiöse Zeremonien und Methoden der Verehrung, vor allem in Bengalen, wo die größte dieser Zeremonien, die Durgā-pūjā, abgehalten wird. In Vṛndāvana war der Herbst damals ganz besonders schön, weil der Höchste Persönliche Gott Kṛṣṇa und Balarāma anwesend waren. Mit dem Einzug des Herbstes war es der Kaufmannsgemeinschaft, dem königlichen Stand und den großen Weisen wieder möglich, überallhin zu reisen, um ihre gesetzten Ziele zu erfüllen. Ebenso erreichen auch die Transzendentalisten, wenn sie aus der Gefangenschaft im materiellen Körper befreit sind, ihr ersehntes Ziel. Während der Regenzeit können die Kaufleute nicht von einem Ort zum anderen ziehen und deshalb auch keine Gewinne verzeichnen; die Edlen des königlichen Standes können keine Reisen unternehmen, um Steuern einzuziehen, und auch die Heiligen, die reisen müssen, um transzendentales Wissen zu predigen, werden von der Regenzeit an einem Ort festgehalten. Wenn aber der Herbst kommt, verlassen sie alle ihre Unterkünfte. Was nun den Transzendentalisten betrifft – sei er ein jñāni, ein yogī oder ein Gottgeweihter –, so kann er sich nicht wirklich am spirituellen Fortschritt erfreuen, solange er einen materiellen Körper hat. Aber sowie er den Körper aufgibt, d. h. beim Tode, verschmilzt der jñāni mit der spirituellen Ausstrahlung des Herrn; der yogī begibt sich auf einen der mannigfachen höheren Planeten, und der Gottgeweihte geht zum Planeten des Höchsten Herrn, Goloka Vṛndāvana, oder zu den Vaikuṇṭhas und genießt dort sein ewiges spirituelles Leben. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 20. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Herbst in Vṛndāvana«. 21. KAPITEL Die gopīs sind von Kṛṣṇas Flötenspiel bezaubert Kṛṣṇa freute Sich sehr an der Schönheit des Waldes, in dem die Blumen blühten und die Bienen und Hummeln vergnügt summten. Während die Vögel, Bäume und Zweige alle sehr glücklich aussahen, ließ Kṛṣṇa, der begleitet von Śrī Balarāma und den Kuhhirtenjungen die Kühe hütete, Seine transzendentale Flöte ertönen. Die gopīs in Vṛndāvana, die den Klang von Kṛṣṇas Flöte vernahmen, erinnerten sich Seiner und begannen einander davon zu erzählen, wie schön Kṛṣṇa auf der Flöte spielte. Als die gopīs die süßen Klänge von Kṛṣṇas Flöte beschrieben, erinnerten sie sich auch an ihre Begegnungen mit Ihm; dadurch wurden sie ganz durcheinandergebracht, und sie waren außerstande, die wunderbaren Klangschwingungen in verständlicher Weise zu beschreiben. Während sie miteinander über die transzendentalen Klänge sprachen, erinnerten sie sich daran, daß Kṛṣṇa wie ein Tänzer gekleidet war, mit einer Pfauenfeder im Haar und mit blauen Blumen geschmückt, die Er Sich über das Ohr steckte. Sein Gewand leuchtete goldgelb, und Er trug um den Hals eine vaijayantī-Halskette. So anziehend gekleidet war Kṛṣṇa, und Er füllte die Tonlöcher Seiner Flöte mit dem Nektar, der von Seinen Lippen strömte. Die gopīs erinnerten sich an Ihn, wie Er gerade den Wald von Vṛndāvana betrat, der immer mit seinen Fußspuren und denen Seiner Gefährten gesegnet ist. Kṛṣṇa spielte die Flöte wirklich meisterhaft, und die gopīs wurden von den Klängen der Flöte bezaubert, die nicht nur auf sie eine Anziehungskraft ausübten, sondern auch auf alle anderen Lebewesen, die sie vernahmen. Eine der gopīs sagte zu ihren Freundinnen: »Die höchste Vollkommenheit der Augen ist es, Kṛṣṇa und Balarāma zu sehen, wie Sie gerade den Wald betreten und Ihre Flöten spielen, während sie gemeinsam mit Ihren Freunden die Kühe hüten.« Menschen, die fortwährend in transzendentale Meditation über Kṛṣṇa versunken sind und dabei daran denken, wie Er auf der Flöte spielend den Vṛndāvana-Wald betritt, sehen Kṛṣṇa innerlich und äußerlich, und sie haben wirklich die Vollkommenheit des samādhi erreicht. Samādhi (Trance) bedeutet, daß alle Sinnesaktivitäten auf ein bestimmtes Objekt konzentriert sind, und die gopīs deuten an, daß die Spiele Kṛṣṇas die Vollkommenheit aller Meditation und sogar die des samādhi darstellen. In der Bhagavad-gītā wird bestätigt, daß der immer in Gedanken an Kṛṣṇa Versunkene der höchste aller yogīs ist. Eine andere gopī war der Meinung, daß Kṛṣṇa und Balarāma, wenn Sie die Kühe hüteten, Schauspielern glichen, die sich für ihren Bühnenauftritt bereit machten. Kṛṣṇa war in leuchtendgelbe Gewänder gekleidet, Balarāma in blaue, und in Ihren Händen hielten Sie frische Zweige vom Mangobaum, Pfauenfedern und Sträuße von Blumen. Sie trugen Ketten von Lotosblumen um den Hals, und manchmal sangen Sie mit melodischer Stimme in der Gemeinschaft Ihrer Freunde. Eine gopī fragte ihre Freundin: »Wie kommt es nur, daß Kṛṣṇa und Balarāma so schön aussehen?« Eine andere gopī sagte: »Liebe Freundin, wir können uns die Natur der Bambusflöte nicht einmal vorstellen. Was für fromme Werke die Bambusflöte vollbracht haben muß, daß sie nun den Nektar der Lippen Kṛṣṇas genießen darf! Kṛṣṇa küßt manchmal die gopīs; daher ist der transzendentale Nektar Seiner Lippen nur ihnen allein zugänglich; Seine Lippen werden als ihr Eigentum angesehen. Die gopīs fragten sich also: »Wie nur ist es möglich, daß die Flöte, die nichts als ein Bambusrohr ist, immerzu den Nektar von Kṛṣṇas Lippen genießen darf? Weil die Flöte im Dienst des Höchsten Herrn beschäftigt ist, müssen auch die Mutter und der Vater der Flöte sehr glücklich sein.« Die Seen und Flüsse werden als die Mütter der Bäume betrachtet, weil die Bäume von ihrem Wasser leben. Deshalb waren die Wasser der Seen und Flüsse Vṛndāvanas voll von glückverheißenden Lotosblumen; die Wasser dachten nämlich: »Wie kommt es nur, daß unser Sohn, der Bambusstab, den Nektar von Kṛṣṇas Lippen genießt? Die Bambusstäbe am Ufer der Flüsse und Seen waren ebenfalls glücklich, ihren Abkömmling auf diese Weise im Dienst des Herrn beschäftigt zu sehen, genau wie sich auch ein fortgeschrittener Transzendentalist freut, wenn er sieht, daß sich seine Nachkommen im Dienst des Herrn betätigen. Die Bäume waren von Freude überwältigt und lieferten ständig Honig, der aus den Bienennestern floß, die in ihren Zweigen hingen. Manchmal sprachen die gopīs zu ihren Freundinnen folgendermaßen über Kṛṣṇa: »Liebe Freundinnen, unser Vṛndāvana repräsentiert die Herrlichkeit der gesamten Erde, denn dieser Planet ist durch die Abdrücke der Lotosfüße des Sohnes von Devakī geheiligt. Die Pfauen werden auf der Stelle wie verrückt, wenn Govinda auf Seiner Flöte spielt. Wenn die Tiere, Bäume und Pflanzen auf dem Govardhana-Hügel und in seinem Tal dann den Tanz der Pfaue beobachten, verhalten sie in ihren Bewegungen und lauschen mit großer Aufmerksamkeit dem transzendentalen Klang der Flöte. Wir glauben nicht, daß dieser Segen auf irgendeinem anderen Planeten erhältlich ist.« Obwohl die gopīs einfache Kuhhirtenfrauen und -mädchen waren, wußten sie von Kṛṣṇa. Auch wir können die höchsten Wahrheiten erfahren, indem wir einfach von den maßgeblichen Quellen die Weisungen der Veden vernehmen. Eine andere gopī sagte: »Meine lieben Freundinnen, seht nur die Rehe! Obwohl sie unwissende Tiere sind, nähern sie sich dem Sohne Mahārāja Nandas. Sie sind nicht nur von Kṛṣṇas und Balarāmas Gewändern angezogen, sondern bringen, sowie sie Sein Flötenspiel hören, dem Herrn gemeinsam mit ihren Gefährten ihre respektvollen Ehrerbietungen dar, indem sie Ihn mit großer Zuneigung anschauen.« Die gopīs beneideten die Rehe, weil die Rehe in der glücklichen Lage waren, Kṛṣṇa gemeinsam mit ihren Männern zu dienen. Sie selbst hielten sich nicht für so begünstigt, denn immer, wenn sie zu Kṛṣṇa gehen wollten, waren ihre Ehemänner sehr unzufrieden. Eine andere gopī sagte: »Liebe Freundinnen, Kṛṣṇa ist so schön gekleidet, daß Er der Anlaß für verschiedene Zeremonien zu sein scheint, die von den Frauen abgehalten werden. Sogar die Frauen der Halbgötter werden von dem transzendentalen Klang Seiner Flöte angezogen. Obwohl sie mit ihren Himmelsfahrzeugen in der Luft umherreisen und dabei das Zusammensein mit ihren Ehemännern genießen, werden sie sofort verwirrt, wenn sie die Töne von Kṛṣṇas Flöte vernehmen. Ihr Haar löst sich, und ihre fest gewickelten Kleider geraten durcheinander.« Die transzendentalen Klänge von der Flöte Kṛṣṇas drangen also in alle Winkel des Universums. Auch ist es von Bedeutung, daß die gopīs über die verschiedenen Luftschiffe, die am Himmel flogen, Bescheid wußten. Wieder eine andere gopī sagte zu ihren Freundinnen: »Meine lieben Freundinnen, auch die Kühe werden ganz bezaubert, sobald sie den transzendentalen Klang von Kṛṣṇas Flöte hören. Er klingt ihnen wie ein Strom von Nektar, und so strecken sie sogleich ihre langen Ohren aus, um den flüssigen Nektar der Flötenklänge aufzufangen. Die Kälber sieht man zwar noch die Euter ihrer Mütter in den Mäulern halten, aber sie sind nicht imstande, die Milch zu saugen. Sie sind wie erstarrt vor Hingabe, und Tränen rollen aus ihren Augen, die deutlich zeigen, wie sie Kṛṣṇa im Herzen umarmen.« All das deutet darauf hin, daß selbst die Kühe und die Kälber in Vṛndāvana die Kunst kannten, nach Kṛṣṇa zu weinen und Ihn im Innersten ihres Herzens zu umarmen. Tatsächlich kann die Zuneigung im Kṛṣṇa-Bewußtsein im Vergießen von Tränen gipfeln. Eine jüngere gopī sagte zu ihrer Mutter: »Liebe Mutter, die Vögel, die alle Kṛṣṇa beim Flötenspielen zuschauen, sitzen mit aufmerksamem Schweigen auf den Zweigen und Ästen der Bäume. An ihrem Aussehen kann man erkennen, daß sie alles vergessen haben und nur noch Kṛṣṇas Flöte zuhören. Das zeigt, daß sie keine gewöhnlichen Vögel sind; sie sind große Weise und Gottgeweihte und nur um Kṛṣṇas Flöte zu hören, sind sie im Wald von Vṛndāvana als Vögel erschienen.« Die großen Weisen und Gelehrten befassen sich mit dem vedischen Wissen, und die Essenz des vedischen Wissens lautet, wie in der Bhagavad-gītā gesagt wird, vedaiś ca sarvair aham eva vedyaḥ. »Durch das Wissen der Veden muß Kṛṣṇa verstanden werden.« Aus dem Verhalten der Vögel wurde deutlich, daß es sich bei ihnen um große Gelehrte im vedischen Wissen handelte, die Kṛṣṇas transzendentales Flötenspiel allen Zweigen des vedischen Wissens vorzogen. Der Yamunā-Fluß schließlich, der sich danach sehnte, die Lotosfüße Kṛṣṇas zu umarmen, nachdem er das transzendentale Spiel Seiner Flöte gehört hatte, brach seine wilden Wellen, um sehr sanft mit Lotosblumen in den Händen vor Mukunda zu fließen und Ihm in tiefer Zuneigung Blumen darzubringen. Die glühende Hitze der Herbstsonne wurde manchmal unerträglich, und deshalb sammelten sich die Wolken aus Wohlwollen über Kṛṣṇa und Balarāma und Ihren jungen Freunden, während diese ihre Flöten spielten. Die Wolken dienten als schattenspendende Schirme über ihren Köpfen, weil sie Freundschaft mit Kṛṣṇa schließen wollten. Auch die ausgelassenen einheimischen Mädchen waren sehr glücklich, wenn sie sich ihre Gesichter und Brüste mit dem Staub von Vṛndāvana einrieben, der sich durch die Berührung mit Kṛṣṇas Lotosfüßen gerötet hatte. Die Eingeborenenmädchen hatten sehr üppige Brüste, und sie waren auch voller Lebenslust, aber wenn ihre Liebhaber ihre Brüste berührten, bereitete ihnen das gar kein sehr großes Vergnügen. Als sie jedoch einmal tief in den Wald hineingingen, sahen sie, daß einige Blätter und Sträucher Vṛndāvanas sich von dem kuṅkuma-Puder gerötet hatten, das von Kṛṣṇas Lotosfüßen stäubte, während Er vorbeiging. Die gopīs hatten bisweilen Seine Lotosfüße an ihre Brüste gedrückt, die dadurch ebenfalls vom kuṅkuma-Puder rot gefärbt wurden, doch nun, als Kṛṣṇa mit Balarāma und Seinen jungen Freunden im Vṛndāvana-Wald umherstreifte, sahen die lebenslustigen Eingeborenenmädchen, daß das rötliche Puder auf den Waldboden fiel; deshalb nahmen sie es, sobald sie es entdeckten, vom Boden auf und rieben es sich über Gesicht und Brüste, während sie Kṛṣṇa betrachteten, der auf der Flöte spielte. Auf diese Weise wurden sie völlig zufrieden, obwohl sie nicht zufrieden waren, wenn ihre Liebhaber ihre Brüste berührten. Alle materiellen lustvollen Verlangen können augenblicklich gestillt werden, wenn man mit dem Kṛṣṇa-Bewußtsein in Berührung kommt. Eine andere gopī begann die einzigartige Situation des Govardhana-Hügels mit folgenden Worten zu preisen: »Wie gesegnet der Govardhana-Hügel ist! Er genießt das Zusammensein mit Kṛṣṇa und Balarāma, die oft über ihn wandern. So wird der Govardhana-Hügel immer wieder von den Lotosfüßen des Herrn berührt, und weil er Kṛṣṇa und Balarāma so dankbar ist, liefert er verschiedene Arten von Früchten, Wurzeln und Kräutern wie auch äußerst wohltuendes, kristallklares Wasser von seinen Seen als Geschenk für den Herrn.« Das beste Geschenk jedoch, das der Govardhana-Hügel anbot, war das frische Gras für die Kühe und Kälber. Der Govardhana-Hügel wußte den Herrn zu erfreuen, indem er dessen geliebte Gefährten, die Kühe und Kuhhirtenjungen, erfreute. Eine andere gopī sagte, daß alles wunderbar aussehe, wenn Kṛṣṇa und Balarāma auf Ihren Flöten spielend durch den Wald von Vṛndāvana zögen und enge Freundschaften mit allen sich bewegenden und sich nicht bewegenden Lebewesen schlössen. Wenn Kṛṣṇa und Balarāma auf Ihren transzendentalen Flöten spielten, verharrten die sich bewegenden Geschöpfe regungslos, und die sich nicht bewegenden Geschöpfe, wie die Bäume und andere Pflanzen, begannen in Ekstase zu zittern. Kṛṣṇa und Balarāma trugen wie gewöhnliche Kuhhirtenjungen Stricke zum Binden der Kühe über den Schultern und in den Händen. Bevor die Jungen die Kühe melkten, banden sie ihnen nämlich die Hinterbeine mit einem kurzen Seil zusammen. Solche Seile hatten die Jungen fast immer über den Schultern hängen, und sie fehlten auch nicht auf den Schultern von Kṛṣṇa und Balarāma. Obwohl Sie der Höchste Persönliche Gott waren, spielten Sie genau wie kleine Kuhhirtenjungen, und das machte alles so einmalig wunderbar. Während Kṛṣṇa dabei war, die Kühe im Wald von Vṛndāvana oder auf dem Govardhana-Hügel zu hüten, waren die gopīs im Dorf stets in Gedanken bei Ihm und plauderten über Seine verschiedenen Spiele. Das ist das vollkommene Beispiel für Kṛṣṇa-Bewußtsein: auf irgendeine Weise immer in Gedanken an Kṛṣṇa versunken zu sein. Die gopīs geben mit ihrem Verhalten stets ein Beispiel. Śrī Caitanya erklärte daher, daß niemand den Herrn auf bessere Weise verehren könne, als die gopīs dies tun. Die gopīs waren nicht in hochgestellten brāhmaṇa- oder kṣatriya-Familien geboren worden; sie stammten aus Familien der vaiśyas, die nicht einmal zu einer großen Gemeinschaft von Kaufleuten gehörten, sondern alle Familien von Kuhzüchtern waren. Sie besaßen keine besonders hohe Bildung, obwohl sie von den brāhmaṇas, den Autoritäten des vedischen Wissens, alle Arten von Wissen vernommen hatten. Der einzige Wunsch der gopīs war es, immer in Gedanken bei Kṛṣṇa zu sein. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 21. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die gopīs sind von Kṛṣṇas Flötenspiel bezaubert.« 22. KAPITEL Kṛṣṇa stiehlt die Kleider der unverheirateten gopī-Mädchen Nach den Bräuchen der vedischen Zivilisation sollen die unverheirateten Mädchen vom 10. bis zum 14. Lebensjahr entweder Śiva oder die Göttin Durgā verehren, um einen guten Ehemann zu bekommen. Die unverheirateten Mädchen von Vṛndāvana waren bereits von der Schönheit Kṛṣṇas gefangengenommen; nichtsdestoweniger verehrten auch sie am Anfang der hemanta-Zeit (der Zeit vor dem Winter) die Göttin Durgā. Der erste Monat der hemanta-Periode, der von Ende November bis Anfang Dezember währt, wird Agrahāyana genannt, und zu dieser Zeit begannen alle unverheirateten gopīs von Vṛndāvana mit der Verehrung der Göttin Durgā, indem sie ein Gelübde ablegten. Zuvor aßen sie haviṣyānna – eine Speise, die zubereitet wird, indem man Mungdahl (eine Erbsenart) und Reis ohne jegliches Gewürz in Wasser kocht. Die Anweisungen der Veden empfehlen dieses Essen zur Reinigung des Körpers, bevor man eine rituelle Zeremonie durchführt. Alle unverheirateten gopīs in Vṛndāvana pflegten die Göttin Kātyāyanī täglich früh morgens zu verehren, nachdem sie ihr Bad in der Yamunā genommen hatten. »Kātyāyanī« ist ein anderer Name für Durgā. Diese Göttin wird verehrt, indem man als erstes aus Sand, vermischt mit Erde vom Ufer der Yamunā, eine Puppe herstellt. Die Anweisungen in den vedischen Schriften erlauben, die Bildgestalt einer Gottheit aus verschiedenen Elementen herzustellen; sie kann entweder gemalt werden, aus Metall, Juwelen, Holz, Erde oder Stein geformt oder vom Anbetenden im Herzen wahrgenommen werden. Die Māyāvādī-Philosophen halten all diese Formen der Gottheiten für Einbildung, aber die vedischen Schriften erklären, daß solche Formen mit dem Höchsten Herrn oder mit dem betreffenden Halbgott identisch sind. Die unverheirateten gopīs pflegten eine Bildgestalt der Göttin Durgā herzustellen, die sie mit candana-Salbe, Blumengirlanden, Räucherlampen und allen möglichen Geschenken, wie Früchten, Getreide und junge Zweigen, verehrten. Nach der Verehrung bittet man dann gewöhnlich um eine Segnung. Die unverheirateten Mädchen beteten immer mit großer Hingabe zur Göttin Kātyāyanī, indem sie sie folgendermaßen anflehten: »O höchste ewige Energie des Persönlichen Gottes, o höchste mystische Kraft, o höchste Kontrollierende der materiellen Welt, o Göttin, bitte sei uns barmherzig und bewirke unsere Heirat mit dem Sohn Nanda Mahārājas, Kṛṣṇa.« Die Vaiṣṇavas verehren im allgemeinen keine Halbgötter. Besonders Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura hat jedem, der im reinen hingebungsvollen Dienen Fortschritt machen möchte, jegliche Art der Verehrung von Halbgöttern streng verboten. Dennoch verehrten die gopīs, die sich in ihrer Zuneigung zu Kṛṣṇa unseren Maßstäben entziehen, die Halbgöttin Durgā. Die Verehrer der Halbgötter argumentieren manchmal, daß auch die gopīs die Göttin Durgā verehrten, aber wir müssen dabei beachten, mit welcher Absicht die gopīs dies taten. Gewöhnlich verehren die Menschen Durgā, um eine materielle Segnung zu erhalten. In diesem Falle aber beteten die gopīs zu der Göttin, um die Frauen Śrī Krṣṇas zu werden. Die Erklärung hierzu lautet, daß ein Gottgeweihter jedes Mittel anwenden kann, um sein Ziel zu erreichen, weil Kṛṣṇa das Zentrum seines Strebens ist. Den gopīs war jedes Mittel erlaubt und recht, um Kṛṣṇa zu erfreuen oder Ihm zu dienen. Das ist ihre hervorragendste Besonderheit. Einen Monat lang verehrten die gopīs die Göttin Durgā, um Kṛṣṇa zum Ehemann zu bekommen. Jeden Tag beteten sie, daß Kṛṣṇa, der Sohn Nanda Mahārājas, Ihr Ehemann werden möge. Früh am Morgen pflegten die gopīs ans Ufer der Yamunā zu gehen, um zu baden. Sie versammelten sich dann alle, faßten sich gegenseitig bei den Händen, und sangen laut von den wunderbaren Spielen Śrī Kṛṣṇas. Es ist ein alter Brauch bei den indischen Mädchen und Frauen, daß sie, bevor sie ihr Bad im Fluß nehmen, ihre Kleidungsstücke an das Ufer legen und dann völlig nackt im Wasser baden. Der Zutritt zu dem Teil des Flusses, an dem die Mädchen und Frauen baden, ist jeder männlichen Person streng verboten, und so wird es auch heute noch gehalten. Der Höchste Persönliche Gott, der die Gedanken der unverheirateten jungen gopīs kannte, segnete sie, indem Er ihnen das Ersehnte gewährte. Sie hatten darum gebeten, daß Kṛṣṇa ihr Ehemann werden möge, und Kṛṣṇa wollte ihren Wunsch erfüllen. Am Ende des Monats erschien Kṛṣṇa zusammen mit Seinen Freunden an diesem Ort. Ein anderer Name für Kṛṣṇa ist »Yogeśvara« oder »der Herr über alle mystischen Kräfte«. Der yogī kann durch Meditation die psychischen Vorgänge in anderen Menschen beobachten, und zweifellos konnte auch Krṣṇa den Wunsch der gopīs ergründen. Kṛṣṇa sammelte, als Er plötzlich auftauchte, sogleich sämtliche Kleider der gopīs zusammen, kletterte, nicht weit entfernt, auf einen Baum und begann mit lächelnder Miene zu ihnen zu sprechen. »Meine lieben Mädchen«, sagte Er, »bitte kommt eine nach der anderen hierher und bittet um eure Kleider. Dann könnt ihr sie wiederhaben. Glaubt nicht, daß Ich scherze, Ich sage die reine Wahrheit. Ich habe nicht die Absicht, Meinen Spaß mit euch zu treiben, denn ihr habt einen Monat lang die strikten Prinzipien befolgt, die bei der Verehrung der Göttin Kātyāyanī zu beachten sind. Bitte kommt nicht alle auf einmal hierher. Kommt allein; Ich möchte jede von euch in ihrer ganzen Schönheit sehen, denn ihr alle habt schmale Hüften. Ich habe euch gebeten, eine nach der anderen hierherzukommen. Fügt euch also bitte.« Als die Mädchen im Wasser diese scherzenden Worte Kṛṣṇas hörten, sahen sie sich gegenseitig an und lächelten. Sie freuten sich sehr, solch eine Aufforderung von Kṛṣṇa zu hören, denn sie waren bereits in Ihn verliebt. Aber aus Keuschheit sahen sie sich nur gegenseitig an, doch konnten sie nicht aus dem Wasser kommen, weil sie nackt waren. Als sie so eine lange Zeit im Wasser ausgeharrt hatten, froren sie entsetzlich und zitterten, aber die scherzhaften und ermunternden Worte Govindas erfreuten ihr Gemüt. Sie versuchten, mit Kṛṣṇa zu reden: »Lieber Sohn Nanda Mahārājas, bitte treibe nicht in dieser Weise Deinen Scherz mit uns. Das haben wir sicherlich nicht verdient. Du bist ein sehr ehrenwerter Junge, denn Du bist der Sohn Nanda Mahārājas und Du bist uns allen sehr lieb. Aber Du solltest uns nicht solche Streiche spielen, weil wir nun schon vor Kälte im Wasser zittern. Sei also so gut und gib uns unsere Kleider wieder, sonst müssen wir noch weiter leiden.« Dann begannen sie Kṛṣṇa mit großer Demut zu drängen: »Lieber Śyāmasundara«, sagten sie, »wir alle sind Deine ewigen Dienerinnen. Wir sind dazu verpflichtet, alles was Du uns befiehlst, ohne Zögern zu tun, denn dies sehen wir als unsere religiöse Pflicht an. Aber wenn Du weiter auf dieser Forderung beharrst, der wir unmöglich folgen können, werden wir zu Nanda Mahārāja gehen müssen, um uns über Dich zu beklagen. Wenn Nanda Mahārāja nichts zu Deiner Bestrafung unternimmt, werden wir zu König Kaṁsa gehen und ihm von Deinem schlechten Betragen berichten.« Als Kṛṣṇa die Mahnung der unverheirateten gopīs hörte, erwiderte Er: »Meine lieben Mädchen, wenn ihr glaubt, daß ihr Meine ewigen Dienerinnen seid, und wenn ihr immer bereit seid, Meine Befehle auszuführen, dann möchte Ich von euch, daß ihr mit euren lächelnden Gesichtern bitte allein, eine nach der anderen, hierherkommt und euch eure Kleider zurückholt. Wenn ihr jedoch nicht zu Mir kommt und euch bei Meinem Vater beschwert, so macht Mir das überhaupt nichts aus, denn Ich weiß, daß Mein Vater alt ist und Mir nichts anhaben kann.« Als die gopīs sahen, daß Kṛṣṇa fest entschlossen blieb, sahen sie keine andere Möglichkeit, als Seinem Befehl zu folgen. Sie kamen eine nach der anderen aus dem Wasser heraus, aber weil sie völlig nackt waren, versuchten sie, ihre Nacktheit zu bedecken, indem sie die linke Hand über ihre Schamgegend hielten. In dieser Haltung standen sie da und zitterten alle. In ihrer Einfachheit schienen sie so rein, daß Kṛṣṇa Sich augenblicklich über sie freute. Alle unverheirateten gopīs, die zu Kātyāyanī gebetet hatten, Kṛṣṇa als ihren Ehemann zu haben, wurden auf diese Weise zufriedengestellt. Eine Frau darf sich vor keinem Mann nackt zeigen, außer vor Ihrem Ehemann. Die unverheirateten gopīs hatten sich Kṛṣṇa als ihren Ehemann gewünscht, und Er erfüllte ihren Wunsch auf diese Weise. Weil Er mit ihnen sehr zufrieden war, nahm Er ihre Kleider auf Seine Schulter und begann folgendermaßen zu sprechen: »Meine lieben Mädchen, ihr habt ein großes Vergehen begangen, als ihr nackt in dem Yamunā-Fluß badetet. Deshalb ist die herrschende Gottheit der Yamunā, Varuṇadeva, sehr verärgert über euch. Bitte berührt also eure Stirn mit gefalteten Händen und verbeugt euch vor dem Halbgott Varuṇa, damit euch dieses Vergehen verziehen wird.« Die gopīs waren alle einfache Seelen, und sie nahmen alles, was Kṛṣṇa sagte, für wahr an. Um von dem Zorn Varuṇadevas befreit zu werden, wie auch, um das ersehnte Ziel ihrer Gelübde zu erreichen, und letztlich, um ihren Herrn, Śrī Kṛṣṇa zu erfreuen, gehorchten sie unverzüglich Seiner Anweisung. So wurden sie die innigsten Geliebten Kṛṣṇas und Seine gehorsamsten Dienerinnen. Nichts kann mit dem Kṛṣṇa-Bewußtsein der gopīs verglichen werden. Im Grunde kümmerten sich die gopīs nicht um Varuṇa oder irgendeinen anderen Halbgott; sie wollten einzig und allein Kṛṣṇa erfreuen. Kṛṣṇa stimmte die schlichte Art der gopīs sehr fröhlich und zufrieden, und so gab Er sogleich einer nach der anderen ihre trockenen Gewänder zurück. Obwohl Kṛṣṇa die jungen unverheirateten gopīs hinters Licht geführt und sie veranlaßt hatte, nackt vor Ihm zu stehen, während Er Seine Freude daran hatte, mit ihnen zu scherzen, und obwohl Er sie wie Puppen behandelte und ihnen die Kleider stahl, waren sie dennoch voll Zuneigung zu Ihm und führten niemals Klagen über Ihn. Diese Haltung der gopīs gab Śrī Caitanya Mahāprabhu in Seinem Gebet wieder, in dem es heißt: »Mein lieber Herr, Śrī Kṛṣṇa, Du kannst Mich umarmen und mit Deinen Füßen treten, oder Du kannst Mir das Herz brechen, indem Du niemals vor Mir gegenwärtig bist. Alles, was Du möchtest, kannst Du tun, denn Dir steht es vollkommen frei, nach Belieben zu handeln. Aber bei allen Handlungen bleibst Du dennoch ewiglich Mein Herr, und es gibt für Mich kein anderes Ziel der Verehrung.« Dies ist die Haltung der gopīs gegenüber Kṛṣṇa. Śrī Kṛṣṇa hatte Seine Freude an ihnen, und weil sie Ihn alle als Ehemann begehrten, sagte Er zu den gopīs: »Meine lieben braven Mädchen, Ich kenne eure Sehnsucht nach Mir und weiß deshalb, warum ihr die Göttin Kātyāyanī verehrt; Ich billige eure Handlungen ganz und gar. Jeder, dessen Bewußtsein ausschließlich auf Mich gerichtet ist, wird, selbst wenn er voll Lust ist, erhoben. So wie ein Same, der geröstet ist, nicht fruchten kann, so können Verlangen, die in Verbindung mit liebevollem Dienst für Mich stehen, keine Reaktionen als Ergebnis erzeugen, wie es bei gewöhnlichem karma der Fall ist.« In der Brahma-saṁhitā ist folgende Aussage zu finden: karmāṇi nirdahati kintu ca bhakti-bhājām. Jedes Lebewesen ist durch seine fruchtbringenden Handlungen gebunden, aber weil die Gottgeweihten ausschließlich zur Freude des Herrn handeln, erleiden sie keine Reaktionen. Ebenso sollte man die Haltung der gopīs gegenüber Kṛṣṇa, obwohl sie von Lust bestimmt scheint, nicht mit dem lüsternen Verlangen einer gewöhnlichen Frau vergleichen. Der Grund dafür wird von Śrī Kṛṣṇa Selbst gegeben: Die Handlungen im hingebungsvollen Dienen für Kṛṣṇa sind transzendental zu jedem fruchtbringenden Ergebnis. »Meine lieben gopīs«, fuhr Kṛṣṇa fort, »euer Verlangen, Mich zum Ehemann zu haben, wird erfüllt werden, weil ihr mit diesem Verlangen die Halbgöttin Kātyāyanī verehrt habt. Ich verspreche euch, daß ihr während des nächsten Herbstes die Möglichkeit bekommen werdet, euch mit Mir zu treffen, und daß ihr Mich dann als euren Ehemann haben werdet.« Als Kṛṣṇa Sich daraufhin in den Schatten der Bäume zurückzog, wurde Er sehr fröhlich. Während Er durch den Wald ging, sprach Er die Einwohner von Vṛndāvana auf folgende Weise an: »Mein lieber Stokakṛṣṇa, Mein lieber Varūthapa, mein lieber Bhadrasena, Mein lieber Sudāmā, Mein lieber Subala, Mein lieber Arjuna, Mein lieber Viśāla, Mein lieber Ṛṣabha – seht euch nur diese glücklichen Bäume von Vṛndāvana an. Sie haben ihr ganzes Leben dem Wohl anderer gewidmet. Sie selbst müssen die vielen Witterungseinflüsse wie Wirbelstürme, Gewitterregen, sengende Hitze und eisige Kälte ertragen, aber trotzdem sind sie sehr darum bemüht, uns mit ihrem Schatten Erleichterung zu schenken und Schutz zu gewähren. Meine lieben Freunde, Ich meine, daß diese Lebewesen in den Körpern von Bäumen des Rühmens wert sind. Sie sind so darauf bedacht, anderen Zuflucht zu gewähren, daß sie vornehmen, wohltätigen Menschen gleichen, die niemandem, der sich ihnen mit Bitten nähert, eine milde Gabe versagen. Die Bäume verwehren niemandem den Schutz. Sie schenken der menschlichen Gesellschaft viele nützliche Dinge wie Blätter, Blüten, Früchte, Schatten, Wurzeln, Rinde, Duftextrakte und Brennholz. Sie geben das vollkommene Beispiel für ein edles Leben. Sie sind wie edle Menschen, die alles, was sie besitzen – ihren Körper, ihren Geist, ihre Werke, ihre Intelligenz und ihre Worte –, zum Wohl aller anderen Lebewesen einsetzen.« Mit solchen Worten wanderte der Höchste Persönliche Gott am Ufer der Yamunā entlang, wobei Er die Blätter, Früchte, Blüten und Zweige an den Bäumen berührte und ihre rühmenswerte wohltätige Verhaltensweise lobte. Je nach ihren wechselnden Ansichten mögen die verschiedenen Menschen bestimmte Wohltätigkeitsbemühungen als besonders segensreich für die menschliche Gesellschaft ansehen, doch die Verbreitung der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein ist die Wohltat, von der alle Menschen ewigen Nutzen erfahren, und jeder sollte dazu bereit sein, diese Bewegung zu verbreiten. Nach den Anweisungen Śrī Caitanyas sollte man demütiger sein als das Gras auf dem Boden und duldsamer als ein Baum. Die Duldsamkeit, die der der Bäume gleich kommt, wird von Śrī Kṛṣṇa Selbst erklärt, und diejenigen, die das Kṛṣṇa-Bewußtsein predigen, sollten die in den Lehren Śrī Kṛṣṇas und Śrī Kṛṣṇa Caitanyas enthaltenen Unterweisungen durch die direkte Nachfolge von geistigen Männern empfangen. Als Kṛṣṇa also mit Seinen Freunden eine Weile am Ufer der Yamunā entlang durch den Wald von Vṛndāvana gewandert war, setzte Er Sich an einer schönen Stelle nieder und ließ die Kühe das kühle, klare Wasser der Yamunā trinken. Da sie sich müde fühlten, tranken auch die Kuhhirtenjungen, Kṛṣṇa und Balarāma aus der Yamunā. Nach Seinem Erlebnis mit den jungen, im Yamunā-Fluß badenden Mädchen, verbrachte Kṛṣṇa den Rest des Morgens mit den Jungen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 22. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa stiehlt die Kleider der unverheirateten gopī-Mädchen.« 23. KAPITEL Die Frauen der brāhmaṇas erlangen Befreiung Der Morgen verstrich, und die Kuhhirtenjungen wurden allmählich hungrig, denn sie hatten noch nicht gefrühstückt. Sie wandten sich sofort an Kṛṣṇa und Balarāma und sagten: »Lieber Kṛṣṇa und lieber Balarāma, Ihr beide seid allmächtig; Ihr könnt viele Dämonen töten, aber heute haben wir ein anderes Problem, denn wir werden vom Hunger geplagt, der uns sehr zu schaffen macht. Bitte sorgt dafür, daß wir etwas zu essen bekommen, das unseren Hunger stillt.« Als Kṛṣṇa und Balarāma diese Bitte Ihrer Freunde vernahmen, dachten Sie sogleich an einige brāhmaṇa-Frauen, denen Sie Barmherzigkeit erweisen wollten, und deren Männer gerade Opferungen durchführten. Diese Frauen waren große Geweihte des Herrn, und Kṛṣṇa nutzte die Gelegenheit, um sie zu segnen. Er sagte: »Meine lieben Freunde, bitte geht in die Häuser der brāhmaṇas, die nicht weit von hier wohnen. Sie sind gerade dabei, vedische āṅgirasa-Opfer zu begehen, denn sie wollen zu den himmlischen Planeten erhoben werden. Geht bitte alle zu ihnen.« Zuvor warnte Śrī Kṛṣṇa Seine Freunde noch: »Diese brāhmaṇas sind keine Vaiṣṇavas; sie können nicht einmal Unsere Namen 'Kṛṣṇa' und 'Balarāma' chanten. Sie sind sehr eifrig im Chanten der vedischen Hymnen, obwohl es der eigentliche Sinn des vedischen Wissens ist, Mich zu finden. Sie fühlen sich jedoch nicht zu Mir hingezogen, und deshalb bittet ihr sie besser nicht in Meinem Namen um etwas. Bittet sie lieber in Balarāmas Namen um eine milde Gabe.« Spenden werden im allgemeinen vor allem den hochqualifizierten brāhmaṇas gegeben, doch Kṛṣṇa und Balarāma erschienen nicht in einer brāhmaṇa-Familie. Balarāma war als Sohn Vasudevas, eines kṣatriya, bekannt, und Śrī Kṛṣṇa war in Vṛndāvana als der Sohn Nanda Mahārājas bekannt, der ein vaiśya war. Keiner der beiden gehörte also zur Gemeinschaft der brāhmaṇas. Kṛṣṇa überlegte Sich daher, daß die brāhmaṇas, die gerade mit Opferungen beschäftigt waren, wahrscheinlich nicht dazu bewegt werden könnten, für einen kṣatriya und einen vaiśya eine Spende zu geben. »Aber wenn ihr den Namen Balarāmas erwähnt«, sagte Er, »werden sie vielleicht Ihm als kṣatriya eher eine Spende geben als Mir, der Ich nur ein vaiśya bin.« Auf diese Anweisung des Höchsten Persönlichen Gottes hin begaben sich die Jungen zu den brāhmaṇas und baten sie um eine milde Gabe. Sie näherten sich ihnen mit gefalteten Händen und fielen vor ihnen zu Boden, um ihnen ihre Ehrerbietungen zu erweisen. »O Götter auf Erden«, sprachen sie, »bitte vernehmt, was uns Kṛṣṇa und Balarāma aufgetragen haben. Wir hoffen, daß ihr die beiden gut kennt, und wir möchten euch die besten Segenswünsche ausrichten. Kṛṣṇa und Balarāma hüten in der Nähe die Kühe, und wir sind Ihre Gefährten. Wir sind hierhergekommen, um etwas Essen von euch zu erbitten. Ihr seid alle brāhmaṇas und kennt die religiösen Prinzipien, und wenn ihr damit einverstanden seid, uns eine Spende zu geben, dann gebt uns bitte etwas Nahrung, so daß wir zusammen mit Kṛṣṇa und Balarāma essen können. Ihr zählt zu den ehrwürdigsten brāhmaṇas der menschlichen Gesellschaft, und deshalb kennt ihr gewiß auch die Prinzipien religiösen Verhaltens.« Obwohl die Jungen nur Dorfknaben waren und von ihnen nicht zu erwarten war, daß sie alle vedischen Prinzipien religiöser Rituale kannten, zeigen ihre Worte doch, daß sie durch das Zusammensein mit Kṛṣṇa und Balarāma über all diese Prinzipien Bescheid wußten. Wenn der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa und Balarāma, sie z. B. um etwas Essen bat, gaben sie Ihm sogleich, ohne zu zögern, alles, was sie besaßen, denn in der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß man yajñas oder Opfer einzig und allein zur Freude Viṣṇus darbringen soll. Die Jungen sagten weiter: »Śrī Viṣṇu steht als Kṛṣṇa und Balarāma wartend in der Nähe, und daher solltet ihr augenblicklich geben, was ihr an Nahrung vorrätig habt.« Sie erklärten den brāhmaṇas außerdem, wie Speisen entgegengenommen werden sollten. Im allgemeinen beteiligen sich die Vaiṣṇavas oder die reinen Geweihten des Herrn nicht an gewöhnlichen Opferdarbringungen. Dennoch kennen sie derartige Zeremonien sehr gut, die als dīkṣā, paśusamtha und sautrāmnya bekannt sind. Bei der dīkṣā-Zeremonie ist es erlaubt, vor der eigentlichen Opferung Nahrung zu sich zu nehmen; bei der paśusamtha, der Tieropferung, darf man es ebenfalls, und auch bei der sautrāmnya-Zeremonie, in der berauschende Tränke dargebracht werden, darf man vor der eigentlichen Opferhandlung essen. Die Jungen sagten: »Wir können schon jetzt, in der gegenwärtigen Phase der Zeremonie, das Essen an uns nehmen, denn das verstößt nicht gegen die Regeln. Ihr könnt uns also ruhig das Essen geben.« Obwohl die Gefährten Kṛṣṇas und Balarāmas einfache Kuhhirtenjungen waren, befanden sie sich dennoch in der Position, sogar den brāhmaṇas, die von hohem Range waren und sich mit den vedischen Opferzeremonien befaßten, Anweisungen zu geben. Aber die smārta brāhmaṇas, deren Denken auf die Opfer beschränkt war, konnten nicht die Anordnungen der transzendentalen Geweihten des Herrn verstehen. Sie wußten nicht einmal den Umstand zu würdigen, daß der Höchste Herr, Kṛṣṇa und Balarāma, persönlich bettelte. Obwohl sie alle Argumente hörten, die Kṛṣṇa und Balarāma betrafen, kümmerten sie sich nicht darum und ließen sich nicht dazu herab, mit den Jungen zu sprechen. Obgleich solche nicht gottgeweihten brāhmaṇas in dem Wissen über die vedischen Opferriten sehr bewandert sein mögen, sind sie doch alle Dummköpfe, auch wenn sie sich für sehr weit fortgeschritten halten. All ihre Bemühungen sind nutzlos, denn sie kennen nicht das Ziel der Veden, das in der Bhagavad-gītā erklärt wird, nämlich Kṛṣṇa zu verstehen. Trotz ihres Fortschritts im vedischen Wissen und in der Durchführung von Ritualen verstehen sie nicht Kṛṣṇa, und daher ist all ihr Wissen über die Veden oberflächlich. Śrī Caitanya erklärte daher, daß es nicht wichtig ist, ob ein Mensch in einer brāhmaṇa-Familie geboren wurde. Wenn er Kṛṣṇa oder die Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins kennt, ist er mehr als ein brāhmaṇa, und er ist dazu geeignet, geistiger Meister zu werden. Es gibt verschiedene Faktoren, die bei der Durchführung eines Opfers zu beachten sind, und die man unter dem Begriff »deśa« zusammenfaßt. Sie lauten wie folgt: »kāla« bedeutet »die Zeit«, »pṛthak dravia« »die verschiedenartigen einzelnen Utensilien«, »mantra« »Hymnen«, »tantra« »Aussagen der Schriften, »agni« »Feuer«, »ṛtvij« »gelehrter Vollzieher von Opfern«, »devatā« »die Halbgötter«, »vajamāna« »derjenige, der die eigentlichen Opfer ausführt«, »kratu« »das Opfer selbst« und »dharma« »die Vorgänge«. All diese Dinge sind dazu bestimmt, Kṛṣṇa zu erfreuen. Tatsächlich bestätigen die Schriften, daß Er der eigentliche Genießende aller Opfer ist, weil Er der Höchste Persönliche Gott ist und die Höchste Wahrheit – weit jenseits des Wahrnehmungs- und Spekulationsvermögens der materiellen Sinne. Als Er auf der Erde erschien, glich Er einem gewöhnlichen menschlichen Jungen, und für diejenigen, die sich mit ihrem Körper identifizieren, ist es äußerst schwierig, Ihn zu verstehen. Die brāhmaṇas waren vor allem an Annehmlichkeiten für den materiellen Körper und am Erreichen von Orten auf den himmlischen Planeten, die svarga-vāsa genannt werden, interessiert. Sie waren völlig außerstande, die Stellung Kṛṣṇas zu verstehen. Als die Jungen erkannten, daß die brāhmaṇas nicht gewillt waren, mit ihnen zu sprechen, waren sie sehr enttäuscht. Sie kehrten also zu Kṛṣṇa und Balarāma zurück und berichteten Ihnen, was geschehen war. Als Kṛṣṇa ihre Schilderung vernahm, begann Er, die Höchste Persönlichkeit, zu lächeln. Er sagte Ihnen, sie sollten nicht darüber betrübt sein, daß die brāhmaṇas sie abgewiesen hätten, denn das sei zu erwarten, wenn man bettle. Er machte ihnen klar, daß man, wenn man sammelt oder bettelt, nicht glauben solle, daß man überall erfolgreich sein könne. Man mag vielleicht manchmal erfolglos bleiben, aber das sollte keinen Anlaß zu Enttäuschung geben. Śrī Kṛṣṇa bat darauf alle Jungen, es noch einmal zu versuchen, aber diesmal zu den Frauen jener mit Opferungen beschäftigten brāhmaṇas zu gehen. Er verriet ihnen auch, daß diese Frauen große Gottgeweihte seien. »Sie sind immer in Gedanken an uns vertieft. Geht zu ihnen und bittet sie in Meinem Namen und im Namen Balarāmas um etwas Essen; Ich bin sicher, daß sie euch so viel Nahrung geben werden, wie ihr begehrt.« Die Jungen folgten Kṛṣṇas Anordnungen und suchten also die Frauen der brāhmaṇas auf. Als sie ankamen, saßen die Frauen in ihren Häusern. Sie hatten sich mit prächtigem Geschmeide geschmückt. Nachdem die Jungen ihnen ihre respektvollen Ehrerbietungen dargebracht hatten, sagten sie: »Liebe Mütter, bitte nehmt unsere demütigen Ehrerbietungen entgegen und schenkt unseren Worten Gehör. Wisset, daß Śrī Kṛṣṇa und Balarāma Sich in der Nähe aufhalten. Sie ziehen mit den Kühen über die Weidegründe, und auf Ihre Anweisung hin sind wir nun zu euch gekommen. Wir sind nämlich alle sehr hungrig und wollen euch daher um etwas Essen bitten, bitte, gebt uns etwas – für Kṛṣṇa, Balarāma und uns selbst!« Sowie die Frauen der brāhmaṇas dies hörten, erwachte in ihnen Sehnsucht nach Kṛṣṇa und Balarāma. Ihre Reaktionen waren völlig spontan. Sie brauchten gar nicht erst von der Bedeutung Kṛṣṇas und Balarāmas überzeugt zu werden; sowie sie Ihre Namen hörten, wurden sie begierig danach, Sie zu sehen. Sie waren so fortgeschritten, daß sie ständig an Kṛṣṇa dachten, was die höchste Form mystischer Meditation darstellt. Die Frauen wurden also plötzlich alle sehr geschäftig und füllten in Eile viele Töpfe mit den schönsten Speisen. Weil die Speisen für ein Opfer bestimmt waren, waren sie alle äußerst schmackhaft. Nachdem sie ein wahres Festmahl zusammengestellt hatten, machten sich die Frauen bereit, zu Kṛṣṇa zu gehen, den sie über alles liebten; sie waren dabei wie die Flüsse, die eifrig dem Meer zufließen. Lange Zeit schon hatten sich die Frauen danach gesehnt, Krṣṇa sehen zu dürfen. Als sie sich jedoch fertigmachten, das Haus zu verlassen, wurden sie von ihren Ehemännern, Vätern, Söhnen und den übrigen Verwandten bedrängt, nicht wegzugehen. Die Frauen aber hörten nicht auf sie. Wenn einen Gottgeweihten die Zuneigung zu Krṣṇa ruft, kümmert er sich nicht um körperliche Bindungen. Die Frauen gingen also in den Wald von Vṛndāvana an das Ufer der Yamunā, wo sich eine blühende Pflanzenwelt mit grünenden Weinranken und bunten Blumen dem Auge des Ankömmlings erschließt. In diesem Wald sahen sie Kṛṣṇa und Balarāma gemeinsam mit Ihren lieben Freunden. Die brāhmaṇa-Frauen erblickten Kṛṣṇa, als Er Sich gerade ein Gewand anzog, das wie Gold glitzerte. Er trug eine wunderschöne Girlande von Waldblumen, und eine Pfauenfeder steckte in Seinem Haar. Auch war Er mit verschiedenen Mineralien bemalt, so daß Er aussah wie ein tanzender Schauspieler auf einer Theaterbühne. Als sie Ihn sahen, hatte Er gerade eine Hand auf die Schulter eines Seiner Freunde gelegt, während Er in der anderen eine Lotosblume hielt. Seine Ohren schmückten Lilien, Seinen Körper tilaka-Zeichen, und ein anziehendes Lächeln spielte auf Seinem Gesicht. Die Frauen der brāhmaṇas sahen mit eigenen Augen den Höchsten Persönlichen Gott, von dem sie so viel gehört hatten, der ihnen so lieb war und mit dem sich ihre Gedanken ständig beschäftigten. Nun sahen sie Ihn direkt von Angesicht zu Angesicht, und Kṛṣṇa trat durch ihre Augen in ihre Herzen ein. Sie umarmten Kṛṣṇa zu ihrer vollsten Zufriedenheit, und augenblicklich linderte sich das Leid der Trennung. Sie waren wie die großen Weisen, die durch ihren Fortschritt im Wissen mit dem Höchsten verschmelzen. Als die Überseele, die im Herzen eines jeden weilt, konnte Kṛṣṇa ihre Gedanken verstehen; sie waren trotz aller Einwände ihrer Verwandten, wie Väter, Ehemänner und Brüder, und trotz aller Haushaltspflichten zu Ihm gekommen. Sie waren nur gekommen, um Ihn zu sehen, der ihr Leben und ihre Seele war. Sie hatten damit im Grunde auch Kṛṣṇas Anweisung in der Bhagavad-gītā befolgt: »Man sollte sich Ihm hingeben und alle Arten vorgeschriebener oder religiöser Pflichten aufgeben. Die Frauen der brāhmaṇas befolgten also die Anweisungen der Bhagavad-gītā in vollkommener Weise. Kṛṣṇa begann deshalb zu ihnen zu sprechen, während Er überaus barmherzig lächelte. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß weder der Höchste Herr Śrī Kṛṣṇa noch die individuellen Frauen ihre Identität verloren, als Kṛṣṇa in die Herzen der Frauen einging und sie Ihn umarmten und die transzendentale Glückseligkeit erfuhren, mit Ihm verschmolzen zu sein. Die Individualität des Herrn und die der Frauen blieb weiter bestehen, und dennoch fühlten sie, daß ihre Existenz eins geworden war. Wenn sich eine Geliebte dem Geliebten ohne Rückhalt hingibt, wird dies Einheit genannt. Śrī Caitanya hat uns dieses Gefühl des Einsseins in Seinem Śikṣāṣṭaka gelehrt. Kṛṣṇa kann tun und lassen was Er will, aber der Gottgeweihte sollte immer in Einheit mit Seinen Wünschen handeln. Diese Einheit erfuhren die Frauen der brāhmaṇas in ihrer Liebe zu Kṛṣṇa. Kṛṣṇa begrüßte sie mit folgenden Worten: »Meine lieben Frauen der brāhmaṇas, ihr seid wirklich vom Glück begünstigt, und Ich heiße euch hier willkommen. Bitte sagt Mir, was Ich für euch tun kann. Ihr habt völlig richtig daran getan, hierherzukommen und alle Widerstände und Behinderungen seitens eurer Väter, Brüder, Ehemänner und Anverwandten zu übergehen, um Mich zu sehen. Wer in dieser Weise handelt, kennt sein wahres Selbstinteresse, denn Mir ohne Motiv und ohne Einschränkung in Hingabe zu dienen, ist wirklich glückbringend für die Lebewesen.« Śrī Kṛṣṇa bestätigt hier, daß es für die bedingte Seele die höchste Stufe der Vollkommenheit ist, sich Ihm hinzugeben. Man muß alle anderen Verantwortlichkeiten aufgeben. Solche Hingabe an den Höchsten Persönlichen Gott ist der glücklichste Pfad für die bedingte Seele. Letztlich liebt jeder Kṛṣṇa, aber die Verwirklichung dieser Tatsache hängt davon ab, wie weit man im Wissen fortgeschritten ist. Wenn man versteht, daß das Selbst spirituelle Seele ist, und daß die Seele nichts anderes ist als ein winziges Teil des Höchsten Herrn, erkennt man bald, daß der Höchste Herr das endgültige Ziel der Liebe ist, und daß man sich Ihm daher hingeben muß. Diese Hingabe gilt als wirklich segensreich für die bedingte Seele. Unser Leben, unser Besitz, unser Zuhause, unsere Kinder, unser Land, unsere Gesellschaft und alles, was uns lieb ist, und woran wir sehr hängen, sind Erweiterungen des Höchsten Persönlichen Gottes. Er ist das zentrale Ziel aller Liebe, denn Er gibt uns allen Glückseligkeit, indem Er Sich Selbst entsprechend unserer verschiedenen Situationen, seien sie körperlich, geistig oder spirituell, auf unvorstellbar viele Arten erweitert. »Meine lieben Frauen der brāhmaṇas«, sagte Kṛṣṇa schließlich, »ihr könnt nun nach Hause zurückkehren. Helft bei der Durchführung der Opferungen und beschäftigt euch weiterhin in dem Dienst eurer Ehemänner und im Haushalt, so daß eure Ehemänner mit euch zufrieden sind und das Opfer, das sie begonnen haben, auf richtige Weise zu Ende geführt wird. Denn – sei es wie es will – eure Ehemänner sind Haushälter, und wie könnten sie ohne eure Hilfe ihre vorgeschriebenen Pflichten erfüllen?« Die Frauen der brāhmaṇas entgegneten darauf: »Lieber Herr, eine solche Anweisung hätten wir nicht von Dir erwartet. Du hast versprochen, Deine Geweihten ewig zu beschützen, und Du mußt dieses Versprechen halten. Jeder, der zu Dir kommt und sich Dir hingibt, geht niemals in das bedingte Leben des materiellen Daseins zurück. Wir erwarten von Dir, daß Du nun Dein Versprechen erfüllst. Wir haben uns Deinen Lotosfüßen hingegeben, die mit tulasī-Blättern bedeckt sind, und daher verspüren wir nicht das geringste Verlangen, in die Gemeinschaft unserer sogenannten Verwandten, Freunde und Landsleute zurückzukehren und die Zuflucht Deiner Lotosfüße aufzugeben. Und was sollen wir tun, wenn wir wieder zu Hause sind? Unsere Ehemänner, Brüder, Väter, Mütter, Söhne und Freunde erwarten nicht, uns noch einmal wiederzusehen, denn wir haben sie bereits verlassen. Deshalb gibt es für uns keine Bleibe. Bitte uns daher nicht, nach Hause zurückzukehren, sondern richte es so ein, daß wir unter Deinen Lotosfüßen bleiben und ewig in Deiner Obhut leben können.« Der Höchste Persönliche Gott erwiderte: »Meine lieben Frauen, seid dessen gewiß, daß weder eure Ehemänner euch bei eurer Rückkehr abweisen werden, noch eure Väter, Söhne und Brüder sich weigern werden, euch wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Weil ihr Meine reinen Geweihten seid, werden nicht nur eure Verwandten, sondern alle Menschen und auch alle Halbgötter mit euch zufrieden sein.« Kṛṣṇa weilt im Herzen jedes Lebewesens. Wenn daher jemand ein reiner Geweihter Śrī Kṛṣṇas wird, ist er sofort jedem anderen Wesen angenehm. Der reine Geweihte Śrī Kṛṣṇas ist niemals irgend jemandem feindlich gesinnt. Ein vernünftiger Mensch kann nicht der Feind eines reinen Gottgeweihten sein. Weiterhin erklärte Śrī Kṛṣṇa: »Transzendentale Liebe zu Mir hängt nicht von einer körperlichen Verbindung ab, denn jeder, dessen Geist ständig in Gedanken an Mich vertieft ist, wird ohne Zweifel sehr bald zu Mir kommen und ewig mit Mir zusammen sein.« Nachdem die Frauen vom Höchsten Persönlichen Gott diese Anweisungen empfangen hatten, kehrten sie wieder nach Hause zu ihren jeweiligen Ehemännern zurück. Die brāhmaṇas, die sehr froh waren, ihre Ehefrauen wieder bei sich zu Hause zu sehen, führten die Opferhandlungen durch, indem sie sich, wie es in den śāstras vorgeschrieben wird, zusammensetzten und gemeinsam die Opfer darbrachten. Nach dem vedischen Prinzip müssen die religiösen Rituale von Ehemann und Ehefrau zusammen ausgeführt werden. Als die Frauen der brāhmaṇas nun zurückkehrten, konnten die Opfer daher ordnungsgemäß vollzogen werden. Eine der brāhmaṇa-Frauen jedoch, die man mit Gewalt daran gehindert hatte, zu Kṛṣṇa zu gehen, erinnerte sich an Ihn, als sie von Seiner körperlichen Erscheinung hörte. Während sie vollkommen in Gedanken an Ihn vertieft war, gab sie ihren durch die Gesetze der Natur bedingten Körper auf. Śrī Govinda, der ewig glückselige Persönliche Gott, offenbarte Seine transzendentalen Spiele, indem Er wie ein gewöhnliches Wesen erschien, und genoß die Speisen, die Ihm von den Frauen der brāhmaṇas dargebracht wurden. Auf diese Weise gewann Er viele Menschen für das Kṛṣṇa-Bewußtsein. Alle Kühe, Kuhhirtenjungen und Mädchen in Vṛndāvana fühlten sich zu Seinen Worten und zu Seiner Schönheit hingezogen. Nachdem ihre Frauen von Kṛṣṇa zurückgekehrt waren, bereuten die brāhmaṇas ihr sündiges Verhalten. Sie bereuten vor allem, daß sie die Bitte des Höchsten Persönlichen Gottes abgeschlagen und sich geweigert hatten, Ihm etwas zu essen zu geben. Ihnen wurde deutlich bewußt, daß sie einen großen Fehler gemacht hatten, denn während sie ihre vedischen Rituale durchführten, hatten sie den Höchsten Persönlichen Gott, das Ziel ihrer Opfer, vergessen, der in einer menschenähnlichen Form erschienen war und sie um ein wenig Nahrung gebeten hatte. Die brāhmaṇas machten sich um so größere Vorwürfe, da sie den Glauben und die Hingabe ihrer Frauen sahen, und sie bedauerten es sehr, daß sie selbst nicht im geringsten wußten, wie man die Höchste Seele verstehen und Ihr in Liebe dienen kann, wohingegen ihre Frauen bereits die Ebene des reinen hingebungsvollen Dienens erreicht hatten. Daher sprachen sie zueinander: »Was nutzt unsere brahmanische Herkunft? Was nutzt unser erlerntes Wissen über alle vedischen Schriften? Was sollen alle Opferungen, Regeln und Vorschriften, die wir befolgten? Zur Hölle mit unserer Familie und unserer Fachkundigkeit bei der Durchführung von Ritualen, die wir genau nach den Beschreibungen der Schriften zelebrierten! Zur Hölle damit, denn all dies konnte uns nicht helfen, Zuneigung für den Höchsten Persönlichen Gott zu gewinnen, der Sich jenseits der Grenzen unserer Spekulationen befindet.« Das Klagen der gelehrten brāhmaṇas war durchaus nicht übertrieben, denn solange man durch die Ausübung religiöser Pflichten kein Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt, verschwendet man nur kostbare Zeit und Energie. Die brāhmaṇas fuhren fort: Die illusionierende Energie Kṛṣṇas ist so mächtig, daß sie sogar die größten Mystiker und yogīs verwirrt. Und so wurden auch wir von dieser Energie getäuscht, obwohl wir brāhmaṇas als die Lehrer der anderen Gesellschaftsklassen angesehen werden. Doch seht nur, wie sehr dagegen unsere Frauen vom Glück gesegnet sind! Sie haben ihr Leben völlig dem Höchsten Persönlichen Gott, Śrī Kṛṣṇa, geweiht und konnten daher mit Leichtigkeit ihre Familienverbindungen aufgeben, was gewöhnlich äußerst schwierig ist. Das Familienleben gleicht einem dunklen Brunnen, in dem man gezwungen ist, immer wieder geboren zu werden und materielle Leiden zu ertragen.« Weil Frauen im allgemeinen ein einfaches Gemüt besitzen, fällt es ihnen nicht schwer, sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuzuwenden. Wenn sie dann Liebe für Kṛṣṇa entwickeln, können sie sehr leicht aus der Gewalt māyās befreit werden, der selbst die sogenannten intelligenten und gebildeten Menschen nur mit größter Mühe entkommen können. Die vedischen Schriften erlauben es den Frauen nicht, durch die Reinigungszeremonie und die anschließende Übergabe der geheiligten Schnur eingeweiht zu werden, noch dürfen sie als brahmacāriṇīs im āśrama des geistigen Meisters leben. Es wird ihnen auch nicht geraten, strenge Bußen auf sich zu nehmen, geschweige denn über hohe Philosophie und Selbstverwirklichung zu diskutieren; dazu kommt, daß sie von Natur aus nicht sehr rein sind und sich auch nicht sonderlich zu glückverheißenden Tätigkeiten hingezogen fühlen. »Ist es deshalb nicht um so wundervoller, daß sie trotz all dieser Hindernisse transzendentale Liebe zu Śrī Kṛṣṇa, dem Herrn aller mystischen yogīs, entwickelten?« riefen die brāhmaṇas begeistert aus. »Sie haben uns durch ihren festen Glauben und ihre Hingabe an Kṛṣṇa weit übertroffen. Obwohl man uns als die Meister aller Reinigungsvorgänge ansieht, hatten wir das eigentliche Ziel vergessen, da wir zu materialistisch waren. Es kann daher nur ein barmherziger Wink des Höchsten Persönlichen Gottes gewesen sein, Seine Freunde mit dem Auftrag hierherzuschicken, uns um etwas Speise zu bitten, denn eigentlich braucht Krṣṇa niemanden um Essen zu bitten. Schon Sein Wille hätte ausgereicht, den Hunger der Jungen augenblicklich zu stillen.« Es wird gewiß Menschen geben, die nicht glauben wollen, daß Kṛṣṇa in Sich Selbst vollkommen ist, wenn sie hören, daß der Höchste Herr Kühe hütete, um für Seinen »Lebensunterhalt zu sorgen«, und solche Ungläubigen werden auch bezweifeln, daß Kṛṣṇa kein Essen benötigte, und denken, Er sei tatsächlich hungrig gewesen. Sie wissen nicht, daß selbst die Glücksgöttin Seine ewige Dienerin ist, und daß sie in Seiner Gegenwart ihre schlechte Angewohnheit, unstet und rastlos zu sein, ablegt. Dies wird in mehreren vedischen Schriften, wie z. B. der Brahma-saṁhitā, bestätigt, in der es heißt, daß Kṛṣṇa in Seinem ewigen Reich nicht nur von einer, sondern von Hunderttausenden von Glücksgöttinnen mit großem Respekt verehrt wird. Deshalb ist es ein Fehler zu denken, Kṛṣṇa habe Seine Freunde zu den brāhmaṇas geschickt, um Essen von ihnen zu erbetteln. Es war tatsächlich nur eine List, mit der Er ihnen zeigen wollte, was für eine Gnade es bedeutet, Ihm in reiner Hingabe zu dienen. Zu einer vedischen Zeremonie gehören die Hymnen, die dabei gechantet werden, der Priester, dem die richtige Durchführung obliegt, das Opferfeuer, der geeignete Ort und die geeignete Zeit, die Halbgötter, der Darbringende und die religiösen Prinzipien, die dabei eingehalten werden, – all dies sind Hilfen, Krṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, zu verstehen. Er ist der Höchste Herr, Viṣṇu, und der Meister aller mystischen yogīs. Die brāhmaṇas fuhren fort: »Weil Kṛṣṇa als ein Kind in der Yadu-Dynastie erschien, wollten wir törichterweise nicht glauben, daß Er der Höchste Persönliche Gott ist. Unsere Frauen jedoch waren intelligenter als wir, und wir können stolz auf sie sein, denn sie entwickelten, ohne sich durch unsere uneinsichtige Haltung hindern zu lassen, transzendentale Hingabe für den Dienst des Herrn. Doch laßt uns nun den Lotosfüßen des Höchsten Persönlichen Gottes unsere respektvollen Ehrerbietungen darbringen, durch dessen illusionierende Energie, māyā, wir nach materiellen Gütern streben, und zum Herrn beten, so gütig zu sein, uns zu vergeben. Wir waren von Seiner äußeren Energie verwirrt und mißachteten deshalb Seine Anweisungen, ohne Seine transzendentale Herrlichkeit zu kennen.« Die brāhmaṇas bereuten offensichtlich ihr sündiges Verhalten, und sie wollten auch gern persönlich zu Kṛṣṇa gehen, um Ihm ihre demütigen Ehrerbietungen zu erweisen und sich bei Ihm zu entschuldigen, aber aus Furcht vor Kaṁsa wagten sie sich nicht auf den Weg. Die Begebenheit mit den brāhmaṇas und ihren Frauen zeigt deutlich, wie schwierig es für Menschen ist, die nicht durch hingebungsvolles Dienen gereinigt sind, sich dem Höchsten Herrn hinzugeben. Weil die Frauen der brāhmaṇas von reinem hingebungsvollem Dienen durchdrungen waren, gab es für sie keine derartigen Hindernisse, und so gingen sie trotz aller Verbote zu Kṛṣṇa. Die brāhmaṇas erkannten zwar die Oberhoheit des Höchsten Herrn an, aber weil sie zu sehr an materiell-einträglichen Tätigkeiten hafteten, konnten sie ihre Furcht vor König Kaṁsa nicht überwinden. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 23. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Frauen der brāhmaṇas erlangen Befreiung.« 24. KAPITEL Die Verehrung des Govardhana-Hügels Nachdem Kṛṣṇa und Balarāma von den brāhmaṇas zurückgekehrt waren, die zu sehr mit den vedischen Opferriten beschäftigt gewesen waren, sahen die beiden Brüder, daß die Kuhhirten in Vṛndāvana eine ähnliche Zeremonie vorbereiteten. Sie wollten mit ihrem Opfer Indra, den König des Himmels, erfreuen, der die Wasservorräte im Universum verwaltet. Kṛṣṇa gefiel es nicht, daß Seine Geweihten Halbgötter verehrten, denn wie auch im Śrī Caitanya-caritāmṛta erklärt wird, ist jemand, der im Kṛṣṇa-Bewußtsein in Kṛṣṇas transzendentalem liebevollen Dienst tätig ist, von allen anderen Verpflichtungen befreit. Ein reiner Gottgeweihter braucht keine der rituellen Zeremonien zu vollziehen, wie sie in den vedischen Schriften vorgeschrieben werden, noch hat er es nötig, irgendeinen der Halbgötter zu verehren. Die Geweihten Śrī Kṛṣṇas haben nämlich bereits alle Arten der Verehrung und alle Opferungen durchgeführt. Dadurch, daß man lediglich die vedischen Rituale durchführt oder die Halbgötter verehrt, kann man keine Hingabe für den Dienst an Kṛṣṇa entwickeln; doch wenn man sich vorbehaltlos im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, erfüllt man damit alle vedischen Unterweisungen. Kṛṣṇa gab den Kuhhirten daher den Rat, von der Verehrung der Halbgötter abzulassen, denn Er war in Vṛndāvana erschienen, um hingebungsvolles Dienen als ausschließliche und einzige Tätigkeit einzuführen. Als allwissender Höchster Persönlicher Gott wußte Kṛṣṇa natürlich alles über das Opfer, das die Kuhhirten vorbereiteten, doch um die Form zu wahren, fragte Er Nanda Mahārāja und die anderen älteren Bewohner des Dorfes mit großem Respekt, welche Bewandtnis es damit habe. Kṛṣṇa wandte Sich also mit folgenden Worten an Seinen Vater: «Weshalb bereiten die Kuhhirten ein derartig großes Opfer vor? Was versprechen sie sich davon, und für wen ist es bestimmt? Wie soll es durchgeführt werden? Bitte laß Mich all diese Dinge wissen, denn Ich möchte sehr gern lernen, was es mit solchen Opferzeremonien auf sich hat.« Nanda Mahārāja schwieg zuerst auf die Fragen seines kleinen Sohnes, denn er dachte, Kṛṣṇa könne die komplizierten Rituale einer vedischen Opferhandlung doch nicht verstehen. Kṛṣṇa aber drängte weiter: «Lieber Vater, Menschen, die großherzig und heilig sind, kennen keine Geheimnisse. Für sie gibt es weder Freund noch Feind, denn sie sind jedem gegenüber offen. Aber auch wenn man nicht so weitherzig und heilig ist, sollte man doch zumindest vor seinen Familienangehörigen und Freunden keine Geheimnisse haben, obwohl Zurückhaltung gegenüber feindlich gesinnten Menschen durchaus angebracht ist. Du solltest daher nichts vor Mir geheimhalten. Alle Menschen gehen gewinnbringenden Tätigkeiten nach. Einige sind sich des Wesens und Ergebnisses ihres Tuns bewußt, andere nicht. Doch nur ein Mensch, der in vollkommenem Wissen handelt, kann ein vollkommenes Ergebnis erwarten; wer dagegen in Unwissenheit handelt, muß sich mit einem dementsprechend schlechten Ergebnis zufriedengeben. Erkläre Mir daher bitte den Sinn des geplanten Opfers. Wird es in den Veden vorgeschrieben, oder ist es nur ein volkstümlicher Brauch? Bitte sage Mir alles, was du darüber weißt.« Als Nanda Mahārāja die Wißbegierde seines Sohnes sah, gab er schließlich nach und antwortete: »Mein liebes Kind, diese Zeremonie ist mehr oder weniger ein alter Brauch. Wir wollen Indra, dem Gebieter der Wolken und des Regens, unsere Dankbarkeit zeigen, denn er hat uns in seiner Güte so viel Regen geschickt, daß wir eine reiche Ernte einbringen konnten. Wasser ist lebensnotwendig, denn ohne Wasser können wir nicht unser Land bebauen und Getreide anpflanzen. Dazu kommt noch, daß Wasser für die erfolgreiche Durchführung religiöser Zeremonien, für die wirtschaftliche Entwicklung und letztlich für Befreiung durch ein spirituelles Leben unbedingt erforderlich ist. Wenn jemand die seit jeher gebräuchlichen Zeremonien aufgibt, weil er von Lust, Gier oder Furcht getrieben wird, schafft er sich eine düstere Zukunft.« Als Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, Seinen Vater so sprechen hörte, beschloß Er, König Indra herauszufordern, und so riet Er Seinem Vater und den anderen Hirten, das geplante Opfer zu unterlassen. Für diesen Vorschlag gab Er zwei Gründe an: Zunächst einmal ist es, wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, nicht notwendig, die Halbgötter zu verehren, um Fortschritte im materiellen Leben zu machen. Alle Ergebnisse, die man durch die Verehrung der Halbgötter erhält, sind zeitweilig, und daher sind nur weniger intelligente Menschen an ihnen interessiert. Zweitens müssen Segnungen, die die Halbgötter erteilen, vom Höchsten Persönlichen Gott bewilligt werden; denn ohne die Erlaubnis des Höchsten Herrn kann niemand einem anderen eine Gunst erweisen. Diese Tatsache wird in der Bhagavad-gītā eindeutig bestätigt: mayaiva vihitān hi tān. Doch manchmal werden die Halbgötter durch den Einfluß der materiellen Natur hochmütig, so daß sie sich selbst für die höchsten Kontrollierenden halten und die erhabene Stellung des Höchsten Persönlichen Gottes vergessen wollen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird an dieser Stelle eindeutig gesagt, daß Kṛṣṇa König Indra bewußt erzürnen wollte. Um dies verstehen zu können, ist es wichtig zu wissen, daß Kṛṣṇa nur erscheint, um die Gottgeweihten zu beschützen und die Dämonen zu vernichten. Indra war zwar kein Dämon, doch war er zu stolz geworden auf seine hohe Stellung als König des Himmels. Dies war der Grund, warum Kṛṣṇa ihm eine Lektion erteilen wollte und die Indra-pūjā abbrach. Nachdem der Herr also beschlossen hatte, Indra zurechtzuweisen, begann Er zu den Hirten in einer Weise zu reden wie ein Atheist, der die Philosophie des karma-mīmāṁsā vertritt. Die Verfechter dieser Lehre weigern sich nämlich, die höchste Autorität des Persönlichen Gottes anzuerkennen. Nach ihrer Vorstellung braucht man nur redlich zu handeln, um ein gutes Ergebnis zu erhalten. »Selbst wenn es einen Gott gäbe, der den Menschen das Ergebnis ihres Tuns zukommen ließe«, argumentieren sie, »bestünde dennoch nicht der geringste Anlaß, Ihn zu verehren, denn solange der Mensch nicht rechtschaffen handelt, kann Gott ihm auch kein gutes Ergebnis gewähren. Man sollte vielmehr, statt Gott oder einen Halbgott zu verehren, seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Pflichten richten, denn so ist einem ein gutes Ergebnis sicher.« Kṛṣṇa sagte also: »Mein lieber Vater, ich glaube nicht, daß du einen Halbgott verehren mußt, um eine gute Ernte und saftiges Gras für die Kühe zu erhalten. Jedes Lebewesen wird entsprechend seinem karma in einer bestimmten Lebensform geboren und nimmt, wenn es seinen Körper aufgibt, die Folgen seines Tuns in den neuen Körper mit, der sich gemäß seiner Handlungsweise im vorherigen Leben manifestiert. Daher sind die unterschiedlichen Arten von Glück und Leid, von Vorteilen und Nachteilen, die wir erhalten, Reaktionen auf Handlungen, die wir entweder in einem unserer früheren oder im jetzigen Leben begangen haben.« Nanda Mahārāja und die anderen älteren Hirten waren jedoch anderer Ansicht. Sie entgegneten Kṛṣṇa, daß es unmöglich sei, nur durch materielle Tätigkeiten und ohne Gott oder einen zuständigen Halbgott zufriedenzustellen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Und das ist auch tatsächlich richtig, denn es geschieht z. B. manchmal, daß ein Patient trotz aller Bemühungen eines hervorragenden Arztes stirbt. Ärztliche Hilfe allein reicht also nicht aus, einen Kranken zu heilen. Seine Genesung ist letzten Endes von der Einwilligung des Höchsten Persönlichen Gottes abhängig. Ebenso können auch Eltern nicht allein das Wohlergehen ihrer Kinder bestimmen, denn zuweilen kommt es vor, daß die Kinder trotz ihrer Mühe schlecht geraten oder sogar dem Tod erliegen. Wie man deutlich sieht, reichen materielle Ursachen allein nicht aus, ein gutes Ergebnis herbeizuführen. Entscheidend ist allein der Wille des Höchsten Persönlichen Gottes. Nanda Mahārāja vertrat also den Standpunkt, man müsse Indra, den Halbgott des Regens, verehren, um eine gute Ernte einzubringen, doch Śrī Kṛṣṇa widerlegte dieses Argument, indem Er ihm erklärte, daß die Halbgötter ihre Segnungen nur Menschen geben können, die ihre vorgeschriebenen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt haben. »Daher«, so erklärte der Herr, »sind die Halbgötter letztlich davon abhängig, ob und wie wir unseren Pflichten nachkommen.« »Mein lieber Vater«, fuhr Kṛṣṇa fort, »niemand braucht einen Halbgott wie Indra zu verehren, denn jeder ist selbst seines Glückes Schmied. Handeln nicht alle Lebewesen gemäß ihrer natürlichen Neigung und erhalten dementsprechende Ergebnisse? Aufgrund dieser unterschiedlichen Tätigkeiten bekommen sie auch ihre jeweiligen Körper, in denen sie sich durch ihre entsprechende Handlungsweise Freunde und Feinde schaffen. Man sollte sich daher bemühen, seine Pflichten sorgfältig und in Übereinstimmung mit seiner natürlichen Neigung auszuführen, und seine Aufmerksamkeit nicht auf die Verehrung der Halbgötter lenken. Erfüllt man nur seine Pflicht, sind die Halbgötter schon zufrieden, so daß es nicht mehr notwendig ist, sie zu verehren. Niemand kann glücklich sein, ohne seinen Pflichten nachzukommen. Die brāhmaṇas haben die Pflicht, die Veden zu studieren: die kṣatriyas sind für die Sicherheit der Bürger verantwortlich; den vaiśyas obliegt es, sich um Ackerbau, Viehzucht und Handel zu kümmern, und die śūdras schließlich haben die Aufgabe, den anderen drei Kasten zu dienen. Wir gehören der vaiśya-Gemeinschaft an, und daher ist es unsere Pflicht, das Land zu bebauen, mit unseren Erträgen Handel zu treiben, die Kühe zu beschützen und uns um das öffentliche Geldwesen zu kümmern.« Kṛṣṇa fühlte Sich der vaiśya-Gemeinschaft zugehörig, da Sein Vater Nanda Mahārāja viele Kühe besaß, die Kṛṣṇa auf den Weiden von Vṛndāvana hütete. Er riet daher den Einwohnern Seines Dorfes, einfach ihre vier Pflichten, nämlich Ackerbau, Viehzucht, Handel und die Verwaltung der Finanzen, gewissenhaft zu befolgen. Die vaiśyas sind zwar in jedem dieser Bereiche tätig, doch kümmerten sich die Männer von Vṛndāvana in erster Linie um den Schutz der Kühe. Kṛṣṇa erklärte Seinem Vater als nächstes: »Die kosmische Manifestation steht unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen der Natur, die auch die Ursache der Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung des Unīversums sind. Die Erscheinungsweise der Leidenschaft erzeugt unter anderem die Wolken, deren Wasser für eine ertragreiche Ernte so wichtig ist. Indra hat also im Grunde mit dem Regen überhaupt nichts zu tun. Was könnte er schon gegen uns unternehmen, wenn wir ihn nicht verehrten? Er nützt uns ohnehin nicht viel. Und selbst wenn der Regen von ihm beherrscht würde – schüttet er ihn nicht auch in den Ozean, wo er völlig überflüssig ist, und wo ihn niemand darum gebeten hat? Das beweist doch eindeutig, daß der Regenfall keineswegs davon abhängt, ob wir Indra verehren oder nicht. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit deshalb lieber auf Vṛndāvana lenken, das uns mit allem Notwendigen versorgt, so daß wir niemals in fremde Städte oder Länder ziehen müssen. Dort mag es zwar große Paläste geben, doch wir sind damit zufrieden, im Wald von Vṛndāvana zu bleiben. Hier gibt es alles, was wir zum Leben brauchen, und daher sollten wir uns bewußt werden, daß wir in Wirklichkeit nur dem Govardhana-Hügel und dem Wald von Vṛndāvana zu Dank verpflichtet sind. Lieber Vater, Ich bitte dich daher, ein großes Opfer zu Ehren der hiesigen brāhmaṇas und des Govardhana-Hügels durchzuführen. Um Indra kümmern wir uns am besten gar nicht.« »Mein lieber Junge«, sagte Nanda Mahārāja, »weil Du mich so inständig darum bittest, werde ich Deinen Wunsch erfüllen und alles für ein besonderes Opfer zu Ehren des Govardhana-Hügels und der brāhmaṇas von Vṛndāvana veranlassen. Zunächst einmal aber will ich das geplante Opfer, nämlich den Indra-yajña, vollziehen.« Doch Kṛṣṇa gab Sich mit diesem Vorschlag nicht zufrieden, sondern entgegnete: »Lieber Vater, warum zögerst Du? Die Vorbereitungen für das Opfer zur Freude der brāhmaṇas und des Govardhana-Hügels werden viel Zeit in Anspruch nehmen. Daher ist es das beste, einfach die Opfergaben zu nehmen, die du schon für das Indra-Opfer bereitgestellt hast.« Nanda Mahārāja gab schließlich dem Bitten seines Sohnes nach, und so fragten die Hirten Kṛṣṇa, wie Er Sich die Darbringung des yajña im einzelnen vorstelle, worauf ihnen der Herr folgende Anweisungen erteilte: »Bereitet von dem bereitgestellten Getreide und dem Butterfett sämtliche köstlichen Gerichte zu, die euch bekannt sind. Kocht vor allem Reis, dahl, halavah, pākorās, purīs, süßen Milchreis, »sweetballs«, sandeśa, rasagullā und lāḍḍus. Ladet dann alle brāhmaṇas ein, die sich darauf verstehen, Gaben im Feuer zu opfern und vedische Hymnen zu chanten, und .spendet ihnen Getreide und Gold. Schmückt auch die Kühe und füttert sie reichlich. Im Anschluß daran kann die Govardhana-pūjā beginnen. Dieses Opfer wird Mich sehr erfreuen. Gegen Ende des Opfers gebt bitte auch den niederen Tieren wie den Hunden und auch den unteren Kasten wie den cāṇḍālas [*Hunde-Esser; sie bilden die fünfte Klasse unter den Menschen und werden als unberührbar angesehen*] reichlich prasāda«. Mit diesen Worten beschrieb Śrī Kṛṣṇa gleichsam den gesamten Tätigkeitsbereich der vaiśyas. In allen Gesellschaften, in der menschlichen wie in der tierischen, ist jedem Mitglied eine ganz bestimmte Rolle zugedacht. Dies bedeutet, daß jedes einzelne mit allen anderen für das Gemeinwohl zusammenarbeiten muß. Diese Zusammenarbeit schließt nicht nur die lebendigen Wesen mit ein, sondern auch die unbeseelten Objekte, wie z. B. die Hügel und das Land. Die vaiśyas sind besonders für den wirtschaftlichen Fortschritt der Gesellschaft verantwortlich, und so erzeugen sie Getreide, beschützen die Kühe, transportieren, wenn nötig, Nahrung und kümmern sich um die geldlichen Dinge. Aus Kṛṣṇas Worten geht weiter hervor, daß selbst Katzen und Hunde, obwohl gesellschaftlich nicht so bedeutend, nicht vernachlässigt werden dürfen. Tatsächlich ist es jedoch weitaus wichtiger, die Kühe zu beschützen als Katzen und Hunde. Der Herr weist uns außerdem darauf hin, daß die cāṇḍālas, die Unberührbaren, von den höheren Kasten nicht mißachtet werden dürfen. Jeder ist wichtig, doch sind einige unmittelbar für den Fortschritt der Gesellschaft verantwortlich, während andere nur eine mittelbare Rolle einnehmen. In einer Kṛṣṇa-bewußten Gesellschaft ist für das Wohlergehen aller gesorgt. Die Govardhana-pūjā wird auch in der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein gefeiert. Śrī Caitanya lehrte, daß Vṛndāvana und der Govardhana-Hügel ebenso verehrungswürdig seien wie Kṛṣṇa Selbst. Um diese Aussage zu bestätigen, sagte Śrī Kṛṣṇa, die Verehrung des Govardhana-Hügels sei ebenso gut wie die Verehrung Seiner Selbst. Seitdem ist die Govardhana-pūjā, die auch als annakūṭa bekannt ist, immer wieder gefeiert worden. Bei diesem Opfer werden in allen Tempeln von Vṛndāvana und auch außerhalb Vṛndāvanas gewaltige Mengen köstlicher Speisen zubereitet, die nach der Zeremonie an die Anwesenden verteilt werden. Zuweilen werden die Speisen auch unter die Menschen geworfen, die dann erfreut das köstliche prasāda vom Boden aufsammeln. An diesem Brauch wird deutlich, daß Speisen, die Kṛṣṇa geopfert wurden, niemals verschmutzt oder verunreinigt werden können – selbst dann nicht, wenn sie den Boden berührt haben. Die Menschen lesen sie daher sogar von der Erde auf und essen sie mit großer Zufriedenheit. Noch heute führen die Einwohner von Vṛndāvana entsprechend der Anweisung Kṛṣṇas die Govardhana-pūjā aus. An diesem Tag kleiden sie sich in ihre besten Gewänder und versammeln sich am Govardhana-Hügel, um Ihm Ehre zu erweisen und Ihn zusammen mit ihren Kühen zu umwandern. Der Höchste Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa, gab den Hirten also den Rat, alle Vorbereitungen zum Indra-yajña abzubrechen und unverzüglich mit der Govardhana-pūjā zu beginnen. Auf diese Weise wollte Er Indra bestrafen, der auf seine Stellung als Herr der himmlischen Planeten allzu stolz geworden war. Die ehrlichen und einfachen Hirten nahmen Kṛṣṇas Vorschlag ohne Bedenken an und führten unverzüglich Seine Anweisungen aus. Als erstes riefen sie die gelehrten brāhmaṇas zusammen, die gleich, nachdem sie sich versammelt hatten, mit der Verehrungszeremonie begannen, indem sie vedische Hymnen chanteten und dem Govardhana-Hügel prasāda opferten. Inzwischen hatten sich auch alle Einwohner von Vṛndāvana am Fuße des Hügels eingefunden, und nachdem sie ihre Kühe geschmückt und mit saftigem Gras gefüttert hatten, begannen sie, mit den Tieren vornweg, den Govardhana-Hügel zu umkreisen. Die gopīs, die zu diesem festlichen Anlaß ihre schönsten Gewänder angelegt hatten, liefen nicht zu Fuß, sondern wurden auf Ochsenkarren um den Govardhana gezogen und priesen die ganze Fahrt über Kṛṣṇas ruhmreiche Taten und Spiele. Und da die brāhmaṇa-Priester die Prozession so glücklich den Hügel umkreisen sahen, gaben sie erfreut den Kuhhirten und deren Frauen ihren Segen. Als die Zeremonie ihrem Ende zuging, nahm Śrī Kṛṣṇa eine gewaltige transzendentale Form an und erklärte den Einwohnern von Vṛndāvana, daß Er vom Govardhana-Hügel nicht verschieden sei. Auf diese Weise wollte Er den Gottgeweihten zeigen, daß Er mit dem transzendentalen Berg identisch ist. Alsdann begann der Höchste in dieser Form alle Speisen zu essen, die von den Dorfbewohnern geopfert worden waren. Auch heute noch wird Kṛṣṇas Identität mit dem Govardhana in Ehren gehalten, und deshalb nehmen Gottgeweihte manchmal Steine vom Hügel und verehren sie ebenso wie die Bildgestalten Kṛṣṇas im Tempel. Einige Gottgeweihte sammeln also kleine Felsbrocken oder Steine vom Govardhana-Hügel und verehren sie zu Hause, denn diese Verehrung ist ebenso gut wie die Verehrung der Bildgestalten Gottes. Die Form, in die Sich Kṛṣṇa erweiterte, um das prasāda-Opfer anzunehmen, war eine getrennte Manifestation Seiner Selbst, und so erwies Er dieser Form mit allen anderen Einwohnern Vṛndāvanas Seine respektvollen Ehrerbietungen. Als Kṛṣṇa Seiner gewaltigen Erweiterung Respekt erwiesen hatte, erklärte Er dem Hirtenvolk: »Seht nur, welch gewaltige Form der Govardhana-Hügel angenommen hat! Ist es nicht eine große Gnade von Ihm, daß Er auf diese Weise unsere Zubereitungen annimmt? Wer sich weigert, die Govardhana-pūjā zu begehen, wie Ich es Selbst hier zeige, wird nicht glücklich werden können. Im Gegenteil – er wird irgendwann von einer der vielen Schlangen, die auf dem Hügel leben, gebissen werden. Es ist also unbedingt notwendig, daß alle Menschen, die in der Nähe des Govardhana hier in Vṛndāvana wohnen, den Govardhana-Hügel nach Meinen Anweisungen verehren, um so sich selbst und den Kühen ein glückliches Dasein zu sichern.« Nach Beendigung des Govardhana-pūjā-Opfers bei dem sie alle Anweisungen Kṛṣṇas befolgt hatten, kehrten die Einwohner von Vṛndāvana nach Hause zurück. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 24. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Verehrung des Govardhana-Hügels«. 25. KAPITEL Vṛndāvana wird von furchtbaren Unwettern heimgesucht Als Indra bemerkte, daß das Opfer, das eigentlich für ihn bestimmt war, von Kṛṣṇa abgebrochen wurde, überfiel ihn fürchterlicher Zorn, und so beschloß er, obgleich er sehr wohl wußte, daß die Gottgeweihten stets unter Kṛṣṇas persönlichem Schutz stehen, sich an den Einwohnern von Vṛndāvana zu rächen. Als Gebieter über Wind, Wolken und Regen rief er augenblicklich die sāṁvartaka-Wolke herbei, die eigentlich nur zur Vernichtung der gesamten kosmischen Manifestation eingesetzt wird. Der König des Himmels hielt sich dämonischerweise für die allmächtige, höchste Persönlichkeit, und wenn Dämonen sehr mächtig werden, wagen sie es sogar, dem Höchsten Kontrollierenden, dem Absoluten Persönlichen Gott, zu trotzen. Indra war zwar kein Dämon im eigentlichen Sinne des Wortes, doch hatte ihn seine hohe, verantwortungsvolle Stellung so hochmütig werden lassen, daß er den Höchsten Kontrollierenden herausfordern wollte. Der Halbgott regte sich auf: »Was bilden sich diese unverschämten Einwohner von Vṛndāvana überhaupt ein? Es sind einfache Waldbauern, und nur weil ihr Freund Kṛṣṇa sie überredete – der im Grunde ein ganz gewöhnlicher Mensch ist –, haben sie es gewagt, sich mir zu widersetzen.« Kṛṣṇa erklärt in der Bhagavad-gītā, daß die Verehrer der Halbgötter nicht sehr klug sind. Er empfiehlt, alle Arten solcher Verehrung aufzugeben und die ganze Aufmerksamkeit auf Ihn zu richten. Diese Aufforderung wird hier indirekt wiederholt, denn dadurch, daß der Herr erst den Zorn Indras heraufbeschwor und dann den Halbgott bestrafte, machte Er Seinen Geweihten deutlich, daß diejenigen, die im Kṛṣṇa-Bewußtsein handeln, niemals einen Halbgott zu verehren brauchen – auch dann nicht, wenn der Halbgott einmal erzürnt ist. Kṛṣṇa gewährt Seinen Geweihten jeglichen Schutz, und daher sollen sie ganz auf Seine Gnade vertrauen. Indra geriet jedoch immer mehr in Wut über das Verhalten der Einwohner von Vṛndāvana und sprach: »Die Einwohner von Vṛndāvana haben es gewagt, die Autorität der Halbgötter zu mißachten. Dafür werden sie büßen. Da sie es versäumten, den Halbgöttern Opfer darzubringen, werden sie den Ozean der materiellen Leiden niemals überqueren. Die Dörfler haben mich vernachlässigt, weil ihnen Kṛṣṇa, ein schwatzhafter Junge, dazu riet. Den Worten eines Kindes, eines kleinen Jungen, schenkten sie Glauben, und das versetzt mich so in Wut.« Indra befahl der sāṁvartaka, nach Vṛndāvana zu ziehen und dort allen Wohlstand zu vernichten. »Mir scheint«, ärgerte er sich weiter, »die Männer von Vṛndāvana sind durch ihren Reichtum und ihr Vertrauen, das sie in ihren lachhaften Freund Kṛṣṇa setzen überheblich geworden. Wer ist denn dieser Kṛṣṇa überhaupt? Er hält Sich für sehr gescheit, doch Er redet nur viel, ist kindisch und weiß nicht das geringste über den Aufbau und die Verwaltung des Universums. Weil die Hirten Seine Worte ernst nahmen, müssen sie bestraft werden, und deshalb habe ich die sāṁvartaka-Wolke angewiesen, nach Vṛndāvana zu ziehen und das ganze Land zu überschwemmen. Mögen sie samt ihren Kühen zugrunde gehen.« Aus dem letzten Satz Indras wird deutlich, daß der Wohlstand der Menschen auf dem Lande im wesentlichen von den Kühen abhängt. Gehen die Kühe ein, verlieren sie die Grundlage für ihren Lebensunterhalt. Als König Indra der sāṁvartaka und mehreren anderen Wolken befahl, Vṛndāvana zu verwüsten, hatten die Wolken zuerst einige Befürchtungen, seiner Anordnung zu folgen, doch Indra ermutigte sie, indem er ihnen versicherte, daß er selbst ihnen in Begleitung schwerer Stürme auf seinem Elefanten nach Vṛndāvana folgen und seine ganze Kraft aufbieten werde, die Dörfler zu bestrafen. Wenig später zogen sich die von Indra gesandten Wolken drohend über Vṛndāvana zusammen und begannen mit aller Macht unablässig Wasser vom Himmel zu schütten, das gleich einem Regen spitzer Pfeile auf Vṛndāvana niederfiel. Es blitzte, donnerte und stürmte ständig, und da die Wolken ohne Unterlaß Wasser in säulengleichen Strömen vergossen, wurde nach und nach ganz Vṛndāvana überflutet, so daß man nicht länger zwischen Tal und Hügel unterscheiden konnte. Am meisten gefährdet waren die Tiere, die nirgends Schutz zu finden wußten, und da das Unwetter von eisigen Windböen begleitet wurde, zitterte alles Lebende vor Kälte. Besonders schwer litten die Kühe unter dem Unwetter, die mit hängenden Köpfen im strömenden Regen standen. Nachdem sie vergeblich versucht hatten, der Wasserflut zu entkommen, nahmen sie mit ihren Kälbern, die sie mit ihren Leibern vor dem Regen zu schützen versuchten, und den anderen Tieren Zuflucht bei den Lotosfüßen Govindas, Kṛṣṇas. Auch die Menschen von Vṛndāvana schwebten in großer Gefahr, und so flehten sie Kṛṣṇa um Hilfe an. »Lieber Kṛṣṇa«, beteten sie, »Du bist allmächtig und Deinen Geweihten ganz besonders zugeneigt. Bitte beschütze uns vor dem erzürnten Indra, der unser Leben bedroht.« Als Kṛṣṇa ihr Gebet hörte, wußte Er bereits, daß Indra für die Regengüsse und die Hagelstürme aus schweren Eisstücken verantwortlich war, zumal diese durchaus nicht in die Jahreszeit paßten. Er verstand, daß sich der König des Himmels auf diese Weise dafür rächen wollte, daß man ihn um seine Opfergaben gebracht hatte, und so sagte Er Sich: »Dieser überhebliche Halbgott, der sich einbildet, allmächtig zu sein, hat lange genug mit seiner Macht geprahlt. Ich werde ihm zeigen, wer der Höchste ist, und ihn lehren, daß er nicht unabhängig die Geschehnisse im Universum lenken kann. Ich bin der Höchste Herr, der Alles-Beherrschende, und daher werde Ich seine falsche Anmaßung, die aus materieller Macht entstand, von ihm nehmen. In der Tat ist es mir unverständlich, wie Indra sich derart vermessen und wahnsinnig gebärden kann, denn die Halbgötter sind eigentlich Meine Geweihten und vergessen niemals Meine Erhabenheit. Doch nun will Ich ihn von seinem Dünkel befreien und zugleich Meine reinen Geweihten in Vṛndāvana beschützen, die ganz von Meiner Barmherzigkeit abhängig sind. Ich werde sie durch Meine mystische Kraft erretten. Noch während Śrī Kṛṣṇa diesen Entschluß faßte, hob Er den Govardhana-Hügel mit einer Hand empor, wie ein Kind einen Pilz vom Boden pflückt und sprach zu seinen Geweihten: »Meine lieben Brüder, lieber Vater, liebe Bewohner von Vṛndāvana, die Gefahr ist vorüber; ihr könnt euch getrost unter den Govardhana-Hügel stellen, den ich gerade emporgehoben habe. Habt keine Angst, der Hügel könnte Mir aus der Hand fallen; Ich halte ihn schon, und er soll euch wie ein großer Schirm vor dem tobenden Unwetter schützen. Ich glaube, dies genügt, um euch vor der größten Not zu bewahren. Vergeßt deshalb unter dem sicheren Schirm gemeinsam mit den Tieren alle Sorge.« Als Kṛṣṇa den Einwohnern von Vṛndāvana auf diese Weise Mut gemacht hatte, traten sie schließlich zusammen mit den Kühen und ihrem Hab und Gut unter den großen Hügel, wo sie in Sicherheit waren. Eine Woche lang blieben die Dorfbewohner mit ihren Tieren unter dem Govardhana-Hügel, ohne von Hunger, Durst oder irgendwelchen anderen widrigen Umständen geplagt zu werden. Erstaunt beobachteten sie, wie Kṛṣṇa den schweren Berg die ganze Zeit ohne zu ermüden auf dem kleinen Finger Seiner linken Hand trug. Als schließlich auch Indra auf die außergewöhnliche mystische Kraft Kṛṣṇas aufmerksam wurde, hielt er, wie vom Donner gerührt, in seinem Wutausbruch inne. Er rief sogleich alle Wolken zusammen und befahl ihnen, sich unverzüglich zurückzuziehen, und als sich dann der Himmel aufklärte und die Sonne wieder hervorkam, legten sich auch die heftigen Stürme. Daraufhin sagte Śrī Kṛṣṇa, der seit dieser Zeit als »Giridharī«, »der Heber des Govardhana-Hügels«, bekannt ist: »Meine lieben Kuhhirten, ihr könnt jetzt zusammen mit euren Frauen, Kindern und Kühen wieder ins Freie treten; das Unwetter ist vorüber. Auch die Überschwemmung ist zurückgegangen, und die Flüsse folgen wieder ihrem gewohnten Lauf.« Frohen Mutes beluden die Männer ihre Karren und kamen dann langsam mit ihren Familien und den Kühen unter dem Hügel hervor, und als schließlich der Raum unter dem Govardhana gänzlich frei war, setzte Śrī Kṛṣṇa ihn behutsam an seinen alten Platz zurück. Selig umarmten Ihn die Einwohner von Vṛndāvana voller Ekstase. Die gopīs, die Kṛṣṇa innig liebten, brachten Ihm mit ihren Tränen vermischten Quark dar und überschütteten Ihn mit immer neuen Segenswünschen, und auch Mutter Yaśodā, Mutter Rohiṇī, Nanda Mahārāja und Balarāma, der Stärkste unter den Starken, freuten sich sehr über Kṛṣṇas außergewöhnliche Tat und schlossen Ihn nacheinander in die Arme, wobei sie Ihm, wie die gopīs, immer wieder ihren Segen aussprachen. Auf den himmlischen Planeten wie Siddhaloka, Gandharvaloka und Cāraṇaloka brachen die Halbgötter in freudigen Jubel aus und überschütteten die Erde mit Blumen. Sie ließen ihre Muschelhörner erschallen, rührten die Trommeln, und die Einwohner von Gandharvaloka, die von göttlichen Empfindungen inspiriert wurden, holten sogar ihre Tampuras herbei und begannen zur Freude des Herrn zu musizieren. Als dann der Höchste Persönliche Gott, umgeben von Seinen lieben Freunden und Tieren, nach Vṛndāvana zurückkehrte, begannen die gopīs wie immer Seine transzendentalen Spiele aus übervollem Herzen zu preisen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 25. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Vṛndāvana wird von furchtbaren Unwettern heimgesucht.« 26. KAPITEL Wunderbarer Kṛṣṇa Auf dem Rückweg nach Vṛndāvana sprachen die Hirten die ganze Zeit über die wundervollen Taten Śrī Kṛṣṇas, die alle menschlichen Fähigkeiten weit in den Schatten stellen. Weder war ihnen dabei bewußt, daß Śrī Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, noch kannten sie Seine unvergleichliche spirituelle Fülle und Vielgestalt. »Liebe Freunde«, sagte einer der Hirten, »wenn wir einmal über Kṛṣṇas unvergleichliche Taten nachdenken, müssen wir uns doch fragen, wie es kommt, daß solch ein ungewöhnlicher Junge zu uns gekommen ist und mit uns in Vṛndāvana lebt. Es ist wirklich unglaublich! Stellt euch vor, Er ist gerade erst sieben Jahre alt! Wie konnte Er nur den Govardhana-Hügel mit solcher Leichtigkeit hochheben? Wie der König der Elefanten, der mit seinem Rüssel eine Lotosblume hochhält. Und damals, als Er noch ein Säugling war und noch nicht einmal richtig sehen konnte, tötete Er die große Hexe Pūtanā, indem Er ihr gleichzeitig mit der Milch die Lebenskraft aus der Brust saugte. Kṛṣṇa vernichtete diesen Dämon wie die ewige Zeit, die ein Lebewesen zu einem festgesetzten Zeitpunkt aus dem Leben ruft. Als Er nur drei Monate alt war, schlief Er einmal unter einem Handkarren, und da Er hungrig wurde und Ihn nach der Brust Seiner Mutter verlangte, fing Er an zu weinen und stieß mit Seinen Beinchen ungeduldig in die Luft. Seine Tritte waren so heftig, daß der Karren auseinanderbrach und der Inhalt sich überallhin verstreute. Dann, als Er ein Jahr alt war, wurde Er von dem Dämonen Tṛṇāvarta entführt, der die Form eines Wirbelsturms angenommen hatte. Als das Ungeheuer mit Ihm hoch in die Lüfte flog, hängte Er Sich einfach an den Hals des Dämonen, wodurch dieser vom Himmel stürzte und am Boden zerschmettert wurde. Ein anderes Mal verärgerte Er Seine Mutter, als Er ihre frische Butter stahl und diese an die Affen verteilte, und zur Strafe band Yaśodā Ihn an einen hölzernen Mörser, den Er zwischen zwei hohe yamala-arjuna-Bäume hindurchzerrte. Dabei riß Er die Bäume zu Boden. Während Kṛṣṇa einmal zusammen mit Seinem älteren Bruder Balarāma im Wald Kälber hütete, erschien der Dämon Bakāsura in der Gestalt eines entenähnlichen Monsters und wollte Kṛṣṇa töten, doch der wundervolle Junge riß ihm einfach den Schnabel auseinander und tötete ihn. Dann schlich sich Vatsāsura unter die Kälber, aber Kṛṣṇa entdeckte den Dämon und brachte ihn ums Leben, indem Er ihn durch die Luft wirbelte und in den nächsten Baum warf. Als die beiden Brüder einmal in den Tālavana-Wald gingen, griff Sie Dhenukāsura in der Gestalt eines Esels an; doch auch er wurde sogleich umgebracht, da ihn Balarāma, ähnlich wie es Kṛṣṇa mit Vatsāsura getan hatte, kurzerhand bei den Hinterläufen ergriff und in den nächsten Baum schleuderte. Daraufhin wollten Dhenukāsuras Eselsfreunde den Tod ihres Führers rächen, aber auch sie wurden von den beiden mühelos bezwungen, so daß der Tālavana-Wald von da an für uns und die Tiere frei war. Auch der Dämon Pralambāsura hätte wohl lieber nicht versuchen sollen, die beiden Brüder zu entführen, denn er wurde dafür von Balarāma erschlagen. Danach zwang Kṛṣṇa die Schlange Kāliya, die sich in der Yamunā eingenistet hatte und dort das Wasser vergiftete, den Fluß zu verlassen und rettete Seine Freunde und die Kühe vor einem Waldbrand.« Ein anderer Freund Nanda Mahārājas sagte: »Mein lieber Nanda, wir können uns nicht erklären, warum wir uns so sehr zu deinem Sohn hingezogen fühlen. Auch wenn wir ihn vergessen wollten, könnten wir Ihn nicht aus unseren Gedanken verbannen. Warum nur empfinden wir eine solch natürliche Zuneigung zu Ihm? Sieh nur, wie wunderbar Er ist! Obwohl nur ein Knabe von sieben Jahren, ist Er doch imstande, einen so großen Hügel wie den Govardhana ohne Mühe hochzuheben. Er kann einfach kein gewöhnliches Kind sein! O Nanda Mahārāja, dein Sohn muß ein Halbgott sein — wenn nicht gar der Höchste Persönliche Gott Selbst.« Als Nanda Mahārāja die Lobreden der Kuhhirten hörte, entgegnete er: »Meine lieben Freunde, als Antwort auf eure Vermutungen kann ich nur die Prophezeiung Gargamunis wiederholen. Als Gargamuni nach Vṛndāvana kam, um die Namengebungszeremonie für Kṛṣṇa durchzuführen, sagte er, daß mein Sohn regelmäßig von Zeit zu Zeit erscheine, und daß Er diesmal mit einer dunklen Hautfarbe als Kṛṣṇa erschienen sei. In früheren Inkarnationen sei Er nacheinander von weißer, roter und schließlich von gelber Hautfarbe gewesen. Einstmals, so sagte mir Gargācārya, sei mein Junge einmal der Sohn Vasudevas gewesen, weshalb Ihn diejenigen, die von Seiner vergangenen Geburt wissen, auch Vāsudeva nennen. Der Priester erklärte damals, Kṛṣṇa trage entsprechend Seinen Eigenschaften und Taten viele verschiedene Namen, und Er werde meine Familie und euch Kuhhirten samt den Kühen in transzendentale Glückseligkeit versetzen. Auch all die Schwierigkeiten, die in der Zukunft auf uns zukämen, würden wir durch die Gnade Kṛṣṇas heil überstehen. Er sagte weiter, Kṛṣṇa habe früher einmal die Erde aus einer unnatürlichen Lage errettet, und Er beschütze alle redlichen Menschen vor den Gottlosen. Jeder, der so glücklich sei und Zuneigung zu Kṛṣṇa gewänne, könne niemals von Feinden vernichtet oder besiegt werden. Er gleicht also in jeder Hinsicht Śrī Viṣṇu, der immer auf der Seite der Halbgötter steht, so daß sie niemals von den Dämonen besiegt werden können. Bevor sich Gargācārya von mir verabschiedete, sagte er noch, Kṛṣṇa werde nach und nach an transzendentaler Schönheit, Eigenschaften, Handlungsweise, Einfluß und Reichtum genau wie Viṣṇu werden, und wir bräuchten daher nicht erstaunt zu sein, wenn Er wundervolle Taten vollbringe. Seitdem hat Kṛṣṇa, wie jeder von uns bestätigen kann, tatsächlich viele Wunder gezeigt. Wenn ich mir daher Gargācāryas Worte durch den Kopf gehen lasse, glaube ich fast, daß mein Sohn Nārāyaṇa oder zumindest eine vollständige Erweiterung Nārāyaṇas ist.« Als die Hirten diese Worte vernahmen, konnten sie Kṛṣṇas wundervolle Taten sehr viel besser verstehen, und so priesen sie erfreut und zufrieden Nanda Mahārāja, der ihre Zweifel beseitigt hatte; sie sagten: »Möge Śrī Kṛṣṇa, der so unsagbar schön, freundlich und gütig ist, uns beschützen. Als wir von den Regen- und Eisstürmen des zornigen Indra heimgesucht wurden, hatte Er sofort Mitleid und rettete unsere Familien, unsere Kühe und unser Hab und Gut, indem Er gleich einem Kind, das einen Pilz vom Boden pflückt, den Govardhana-Hügel wie einen schützenden Schirm in die Luft hob. Möge Er auch weiterhin mit Seinem barmherzigen Blick über uns und unsere Kühe wachen und uns für immer unter Seinem Schutz leben lassen.« Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 26. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Wunderbarer Kṛṣṇa«. 27. KAPITEL Die Gebete des Himmelskönigs Indra Nach der wundersamen Rettung Vṛndāvanas erschienen am nächsten Tag eine der surabhi-Kühe aus Goloka Vṛndāvana und König Indra von den himmlischen Planeten an einem abgelegenen Ort im Wald vor Kṛṣṇa. Indra, der König des Himmels, hatte sich inzwischen besonnen und wollte Kṛṣṇa für sein Vergehen um Vergebung bitten. Sowie er den Herrn erblickte, warf er sich Ihm zu Füßen, obwohl seine eigene Krone hell wie die Sonne glänzte. Indra war sich im Grunde immer über die erhabene Stellung Kṛṣṇas bewußt gewesen, doch konnte er sich nicht vorstellen, daß sein Herr auf die Erde herabgekommen war, um in Vṛndāvana unter Kuhhirten zu leben. Er wurde daher sehr zornig, als Kṛṣṇa Sich seiner Autorität widersetzte, denn er wähnte sich als der Höchste im Universum und glaubte, niemand sei mächtiger als er. Nachdem aber dann Kṛṣṇa Seine wahre Macht gezeigt hatte, wurde sich Indra seiner untergeordneten Position wieder bewußt, und so begab er sich jetzt mit gefalteten Händen zu Śrī Kṛṣṇa, um Ihm seine Gebete darzubringen. Indra sagte: »Mein Lieber Herr, selbstherrlich geworden durch meine hohe Position fühlte ich mich beleidigt, als Du den Kuhhirten die Durchführung des Indra-yajña untersagtest. Ich glaubte, Du wolltest, unter dem Vorwand, eine Govardhana-pūjā auszuführen, meinen mir zustehenden Anteil an der Ernte der Kuhhirten genießen, und diese anmaßende Vermutung ließ mich Deine wirkliche Stellung völlig vergessen. Durch Deine Gnade jedoch habe ich meine Einsicht wiedergewonnen, und daher kann ich verstehen, daß Du der Höchste Persönliche Gott bist, der transzendental ist zu allen materiellen Eigenschaften. Du bist in viśuddha-sattvam, in spiritueller Reinheit, verankert, die der materiellen Erscheinungsweise der Reinheit als transzendentale Eigenschaft gegenübersteht, und Dein spirituelles Reich liegt jenseits des störenden Einflusses der materiellen Energie. Dein Name, Dein Ruhm, Deine Eigenschaften, Deine Gestalt und Deine Spiele haben nichts mit der materiellen Natur gemein und werden deshalb niemals von den drei Erscheinungsweisen beeinflußt. Dein ewiges Reich ist nur denen zugänglich, die sich strenge Entbehrungen und Bußen auferlegen, und die vom Einfluß der materiellen Erscheinungsweisen, wie Leidenschaft und Unwissenheit befreit sind. Wer denkt, Du würdest von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur bedeckt, wenn Du in der materiellen Welt erscheinst, befindet sich im Irrtum, denn die Netze der materiellen Erscheinungsweisen können Dich niemals fangen. Du wirst von ihnen nicht berührt, wenn Du in dieser Welt erscheinst; die Gesetze der materiellen Natur können Dich niemals binden. Lieber Herr, Du bist der ursprüngliche Vater der kosmischen Manifestation; Du bist der höchste geistige Meister, und Du bist der ursprüngliche Eigentümer aller Dinge. Als ewige Zeit züchtigst Du die Sündigen. Hier in der materiellen Welt gibt es viele Toren wie mich, die sich einbilden, Gott zu sein oder die Höchsten im Universum, doch Du bist so barmherzig, sie nicht zu bestrafen, sondern Mittel und Wege zu finden, diese Vermessenheit von ihnen zu nehmen, so daß sie verstehen können, daß Du allein der Höchste Persönliche Gott bist. Mein lieber Herr, Du bist der höchste Vater, der höchste geistige Meister und der höchste König. Deshalb hast Du das Recht, jedes Lebewesen, das sich unangemessen verhält, zu bestrafen. Der Vater, der geistige Meister und das Staatsoberhaupt sind stets um das Wohl ihrer Söhne, Schüler oder Bürger bemüht, und deshalb steht es ihnen zu, ihre Abhängigen zurechtzuweisen. Du erscheinst aus freiem Willen in Deinen ewigen glückverheißenden Formen auf der Erde, um den ganzen Planeten zu segnen und die Menschen zu bestrafen, die sich fälschlich für Gott ausgeben. In der materiellen Welt kämpft jeder mit jedem um den Posten des Führers, und die Törichten behaupten, nachdem sie in ihrem Streben gescheitert sind, sie seien Gott, die höchste Persönlichkeit. Es gibt viele solche Dummköpfe, zu denen leider auch ich zähle, doch nachdem sie schließlich von Dir bestraft worden sind, kommen sie wieder zu Sinnen und beschäftigen sich mit Hingabe in Deinem transzendentalen Dienst. Lieber Herr, ich beging einen schweren Frevel gegen Deine Lotosfüße, als ich in meinem falschen Stolz auf meinen materiellen Reichtum Deine unbegrenzte Macht verkannte. Ich bin ein großer Narr, bitte verzeih mir und gib mir gütigerweise Deinen Segen, so daß ich nicht noch einmal eine solche Dummheit begehe. Solltest Du jedoch mein Vergehen für zu schwer erachten, als daß Du es entschuldigen könntest, so möchte ich Dich bitten zu berücksichtigen, daß ich Dein ewiger Diener bin. Du erscheinst in der materiellen Welt, um Deine ewigen Diener zu beschützen und die Dämonen zu vernichten, die sich große Streitheere halten, mit denen sie der ganzen Welt zur Last fallen. Vergib deshalb bitte mir, Deinem ewigen Diener! Lieber Herr, Du bist der Höchste Persönliche Gott, die Höchste Person und die Höchste Seele; ich erweise Dir meine respektvollen Ehrerbietungen. Du bist der Sohn Vasudevas, der Höchste Herr, Śrī Kṛṣṇa, der Meister aller reinen Gottgeweihten; ich werfe mich Dir zu Füßen. Du bist das höchste Wissen in Person, und Du kannst ganz nach Belieben zu jeder Zeit in irgendeiner Deiner ewigen Formen erscheinen. Du bist die Wurzel der Schöpfung und die Überseele im Herzen eines jeden Wesens. Obwohl ich all dies weiß, war ich so verblendet, Dich zu mißachten und mich von meinem unbeherrschten Zorn dazu verleiten zu lassen, Regen- und Hagelstürme nach Vṛndāvana zu schicken, die dort großen Schaden anrichteten. Aus blinder Wut handelte ich, denn ich konnte es nicht ertragen, daß das für meinen Genuß bestimmte Opfer einem anderen zuteil wurde. Trotzdem warst Du barmherzig und zerstörtest meinen falschen Stolz. O mein Herr, Du bist nicht nur der Höchste Kontrollierende, sondern auch der geistige Meister aller Lebewesen. Laß mich bitte bei Deinen Lotosfüßen Schutz suchen. Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, lächelte sanft, als er so gepriesen wurde und erwiderte: »Mein Lieber Indra, du hast ganz recht. Ich habe das dir zugedachte Opfer abgebrochen, um dir Meine grundlose Barmherzigkeit zu erweisen und dich daran zu erinnern, daß Ich dein ewiger Meister bin; auch die anderen Halbgötter sind Mir untergeordnet. Du solltest niemals vergessen, daß du alle deine materiellen Güter nur durch Meine Barmherzigkeit erhalten hast. Jeder soll sich stets daran erinnern, daß Ich der Höchste Herr bin. Ich kann jedem Meine Gunst erweisen und jeden bestrafen, denn niemand steht über Mir. Wenn Ich sehe, daß jemand von falschem Stolz befallen ist, nehme Ich ihm aus Barmherzigkeit seinen Reichtum fort.« Es ist hier anzumerken, daß Kṛṣṇa einem begüterten Menschen oft den ganzen Besitz fortnimmt, um ihm hierdurch zu helfen, sich Ihm völlig hinzugeben. Dies ist eine besondere Gunst des Herrn. Nicht selten geschieht es, daß ein Mensch plötzlich all seinen materiellen Reichtum verliert, wenn er sich im hingebungsvollen Dienst des Höchsten beschäftigt. Es wäre jedoch falsch, daraus zu schließen, man würde zum Bettler werden, sobald man dem Höchsten Herrn diene. Die richtige Erklärung lautet vielmehr: Wenn ein Gottgeweihter aufgrund falscher Vorstellungen immer noch die materielle Natur beherrschen möchte, erweist ihm der Herr Seine ganz besondere Gnade und nimmt die Last materieller Besitztümer von ihm, so daß ihm schließlich nichts anderes übrigbleibt, als sich dem Höchsten Herrn gänzlich hinzugeben. Nachdem der Herr den Halbgott Indra unterwiesen hatte, bat Er ihn, in sein Königreich auf den himmlischen Planeten zurückzukehren, doch künftig immer daran zu denken, daß er niemals selbst der Höchste werden könne, sondern der Höchsten Person stets untergeordnet bleibe. Zwar sollte er König über den Himmel bleiben, doch warnte ihn Kṛṣṇa davor, erneut ein Opfer falschen Stolzes zu werden. Alsdann trat die transzendentale surabhi-Kuh, die zusammen mit Indra auf die Erde gekommen war, um Śrī Kṛṣṇa zu sehen, auf den Herrn zu und brachte Ihm ihre respektvollen Ehrerbietungen und Gebete dar. Sie sagte: »Lieber Kṛṣṇa, Du bist der mächtigste aller yoga-Mystiker, denn als Überseele durchdringst Du das gesamte Universum, und alle kosmischen Manifestationen finden in Dir ihren Ursprung. Obgleich Indra alles versuchte, meine Abkömmlinge, die Kühe von Vṛndāvana, zu vernichten, hast Du sie alle wohl behütet. Nur Du allein bist unser Höchster Herr; wir werden niemals eine andere Gottheit um Schutz bitten, denn Du bist unser ›Indra‹, Du bist der Vater der kosmischen Manifestation, und Du bist der Beschützer und wohlmeinende Freund der Kühe und brāhmaṇas, der Halbgötter und reinen Gottgeweihten. Du erscheinst nur, um die Welt von allen Unreinheiten zu befreien. O Seele des Universums, bitte erlaube uns, Dich in unserer Milch zu baden, denn Du bist unser ›Indra‹«. Und so wurde Kṛṣṇa mit der Milch der surabhi-Kühe gebadet, während Indra im Wasser des himmlischen Ganges reingewaschen wurde, das sein Elefant mit dem Rüssel über ihn sprühte. Dann umringten der König des Himmels, die surabhi-Kühe und einige andere Halbgötter, die in Begleitung ihrer Mütter nach Vṛndāvana gekommen waren, gemeinsam den Höchsten Herrn Śrī Kṛṣṇa und badeten Ihn noch einmal mit dem Wasser des Ganges und der Milch der Kühe. Śrī Govinda, Kṛṣṇa, war über diese wundervolle Verehrung sehr glücklich, um so mehr, als die Halbgötter auf den höheren Planeten wie Gandharvaloka, Pitṛloka, Siddhaloka und Cāraṇaloka nun begannen, vereint den heiligen Namen des Herrn zu chanten, während ihre Frauen und Töchter voller Seligkeit tanzten. Als die Halbgötter dann auch noch schier endlos Blumen vom Himmel schütteten, kannte Kṛṣṇas Zufriedenheit keine Grenzen. Nach dieser freudvollen Zeremonie, als alles wieder in schönster Ordnung war, überfluteten die Kühe die Erdoberfläche mit ihrer Milch, die Flüsse folgten wieder ihrem gewohnten Lauf und bewässerten das Land, so daß die Bäume saftige Früchte trugen und überall farbenprächtige Blumen hervorsprossen. Von den Ästen der Bäume tropfte sogar Honig, und die Hügel und Berge waren so erfreut, daß sie wirksame Heilkräuter und herrliche Edelsteine erzeugten. All diese wunderbaren Dinge konnten natürlich nur durch Kṛṣṇas Anwesenheit geschehen, die überall solche Harmonie erzeugte, daß selbst die niederen, gewöhnlich bösartigen Tiere ihre Mißgunst vergaßen. Nachdem Indra so Govinda, den Herrn aller Kühe in Vṛndāvana, versöhnt hatte, bat er Ihn, zu seinem himmlischen Königreich zurückkehren zu dürfen. Umgeben von vielen Halbgöttern, die ihn durch das Weltall begleiteten, verließ er Vṛndāvana. Diese Begebenheit beweist sehr anschaulich, wie segensreich das Kṛṣṇa-Bewußtsein für die ganze Welt ist. Seine Macht ließ auch die niedersten Tiere ihren Neid und ihre Eifersucht vergessen und verlieh ihnen die Eigenschaften von Halbgöttern. Hiermit endet die Erklärung Bhaktivedantas zum 27. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Gebete des Himmelskönigs Indra«. 28. KAPITEL Kṛṣṇa befreit Nanda Mahārāja aus der Gewalt Varuṇas Die Govardhana-pūjā-Zeremonie wurde am Tag nach Neumond gefeiert; danach ließ König Indra sieben Tage lang ungeheure Wassermengen vom Himmel regnen und verheerende Hagelstürme toben, und am zehnten Tag brachte er Kṛṣṇa seine Gebete dar. Am elften Tag nach Neumond war Ekādaśī. An diesem Tag fastete Nanda Mahārāja und ging dann am nächsten Morgen (Dvādaśī) an die Yamunā hinunter, um sein Bad zu nehmen. Doch kaum hatte er die ersten Schritte in den tiefen Fluß getan, als ganz unerwartet die Diener Varuṇadevas vor ihm erschienen, ihn in die Mitte nahmen und zu ihrem Herrn, dem Halbgott Varuṇa, schleppten, wo sie ihn beschuldigten, zur falschen Zeit in der Yamunā gebadet zu haben. Nach astronomischen Berechnungen, so erklärten sie, gelte die Zeit, zu der Nanda Mahārāja sein Bad genommen habe, als dämonisch. Das entsprach tatsächlich der Wahrheit, denn obwohl Nanda Mahārāja eigentlich die Absicht gehabt hatte, kurz vor Sonnenaufgang (einer sehr glückverheißenden Zeit) zu baden, war er doch, ohne es zu merken, zu früh aufgestanden und hatte deshalb zu einer unheilvollen Zeit in der Yamunā gebadet. Als nun Nanda Mahārāja von den Dienern Varuṇas abgeführt wurde, begannen seine Freunde laut nach Kṛṣṇa und Balarāma zu rufen. Es war für die Einwohner von Vṛndāvana ganz natürlich, Kṛṣṇa um Hilfe anzuflehen, denn als reine Gottgeweihte kannten sie keine andere Zuflucht. Sie waren wie Kinder, die nur bei ihren Eltern Schutz finden. Sowie die beiden Brüder die Hilferufe der Hirten vernahmen, wußten Sie, was mit Nanda Mahārāja geschehen war, und so machten Sie Sich gleich auf den Weg zum Reich Varuṇas, denn Sie waren um sein Wohl besorgt. Der Halbgott empfing Kṛṣṇa und Balarāma mit großem Respekt und bekannte sogleich: »Lieber Herr, in Deiner Anwesenheit fühle ich mich höchst unbedeutend; obwohl ich der Besitzer aller Reichtümer des Wassers bin, weiß ich doch, daß alle materiellen Schätze mir nicht im geringsten helfen können, die Vollkommenheit des Lebens zu erreichen. Nur durch Deine Gegenwart ist mein Leben in jeder Hinsicht erfolgreich geworden, denn wer Dich von Angesicht zu Angesicht sieht, braucht nie wieder einen materiellen Körper anzunehmen. O Höchster Persönlicher Gott, o Höchstes Brahman, o Überseele in allen Wesen, ich bringe Dir meine respektvollen Ehrerbietungen dar. Du allein, o Herr, bist die höchste transzendentale Persönlichkeit, und Du gerätst niemals unter den Einfluß der materiellen Natur. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich in meiner Torheit versehentlich Deinen Vater Nanda Mahārāja gefangen nehmen ließ, und so bitte ich Dich für das Vergehen meiner Diener vielmals um Vergebung. Mir scheint, daß es Dein Plan war, mir mit Deiner persönlichen Anwesenheit Deine Gnade zu erweisen. Lieber Herr, o Govinda, bitte hab Erbarmen mit mir – hier ist Dein Vater, er ist natürlich frei, und Du kannst ihn ohne weiteres zurück nach Vṛndāvana bringen.« Auf diese Weise befreite Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, Seinen Vater und brachte ihn jubelnd zu seinen Freunden zurück. Nanda Mahārāja war sehr erstaunt, daß der mächtige Halbgott Varuṇa trotz seines außerordentlichen Reichtums Kṛṣṇa solchen Respekt entgegenbrachte, und kopfschüttelnd erzählte er seinen Freunden und Verwandten davon. Doch obschon Śrī Kṛṣṇa so viele Wundertaten vollbrachte, konnten sich Nanda Mahārāja und Mutter Yaśodā nicht vorstellen, daß Er der Höchste Persönliche Gott ist. Sie sahen in Ihm immer ihren geliebten Sohn, und so verstand Nanda Mahārāja natürlich auch nicht, daß Varuṇa Kṛṣṇa nur deshalb verehrt hatte, weil Er der Höchste Persönliche Gott ist. Nanda dachte sich einfach, daß Varuṇa Kṛṣṇa alle Ehre erwiesen habe, weil Kṛṣṇa so ein wundervolles Kind war. Die Freunde Nanda Mahārājas, all die anderen Hirten fragten sich, ob Kṛṣṇa tatsächlich der Höchste Persönliche Gott ist, und ob Er gekommen war, um sie alle zu erlösen. Als sie sich einmal über dieses Thema unterhielten, beschloß Śrī Kṛṣṇa, der ihre Gedanken lesen konnte, ihnen die spirituelle Welt zu zeigen, um ihnen Gewißheit zu geben, daß sie schon bald für immer dorthin gelangen würden. Die meisten Menschen verschwenden ihre Zeit damit, in der materiellen Welt schwer zu arbeiten; sie wissen nicht, daß es noch eine andere Welt gibt, eine transzendentale Welt, in der das Leben ewig, voller Glückseligkeit und voller Wissen ist. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, kehrt ein Mensch, der einmal diese spirituelle Sphäre erreicht hat, niemals wieder in die materielle Welt von Tod und Leid zurück. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ist deshalb stets darum bemüht, den bedingten Seelen bewußt zu machen, daß es den spirituellen Himmel jenseits der unzähligen materiellen Universen, gibt. Kṛṣṇa ist natürlich allen Lebewesen gleichgesinnt, doch ist Er auch, wie in der Bhagavad-gītā zu lesen steht, Seinen Geweihten besonders zugeneigt. Als Er daher die Fragen der Kuhhirten hörte, hielt Er es für angebracht, ihnen den spirituellen Himmel mit den Vaikuṇṭha-Planeten zu zeigen. Alle bedingten Seelen in der materiellen Welt haben ihre wirkliche, spirituelle Identität vergessen und halten in finsterster Unwissenheit den materiellen Körper für das Selbst. Sie glauben zur materiellen Welt zu gehören und beschäftigen sich infolgedessen in den verschiedenen Formen des Lebens mit Tätigkeiten zur Befriedigung der materiellen Sinne. Diese Tätigkeiten nennt man »karma« oder »fruchtbringende Handlungen«. Lebewesen, die eine körperliche Auffassung vom Leben haben, sind gezwungen, in Entsprechung zu ihrem jeweiligen Körper zu handeln, und bereiten dabei ihr nächstes Leben vor. Weil diese unglücklichen Seelen keine Kenntnis von der spirituellen Welt haben, sind sie auch kaum geneigt, bhakti-yoga zu praktizieren, d. h. sich spirituellen Tätigkeiten zu widmen. Wer durch bhakti-yoga Kṛṣṇa-bewußt geworden ist, kann mit Leichtigkeit die Natur des spirituellen Himmels verstehen und geht nach dem Tode direkt zur spirituellen Welt zurück und bleibt dort auf einem der Vaikuṇṭha-Planeten. Die Einwohner von Vṛndāvana sind alle reine Gottgeweihte. Sie gehen nach Verlassen ihres Körpers nach Kṛṣṇaloka. Sie lassen sogar die Vaikuṇṭhalokas hinter sich. Fortgeschrittene Gottgeweihte erhalten nach ihrem Tod die Möglichkeit, in der materiellen Welt mit Kṛṣṇa zusammenzusein, der, wie die Sonne, fortwährend an einem anderen Ort aufgeht, ständig in einem anderen Universum erscheint und Seine līlā offenbart. Die gereiften Gottgeweihten also, die Kṛṣṇa ständig in reiner Hingabe dienen und unerschütterlich im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert sind, werden gleich nach Verlassen ihres Körpers in das Universum gebracht, in dem Kṛṣṇa gerade erscheint. Sie erhalten dort zum ersten Male die Gelegenheit, mit Śrī Kṛṣṇa persönlich zusammenzusein, und wie wir es auch bei Śrī Kṛṣṇas Vṛndāvana-līlā sehen können, wird dabei ihre spirituelle »Ausbildung« fortgesetzt. Kṛṣṇa offenbarte deshalb die wahre Natur der Vaikuṇṭha-Planeten, damit die Einwohner von Vṛndāvana ihren Bestimmungsort sehen konnten. Somit zeigte Kṛṣṇa ihnen den ewig-existierenden spirituellen Himmel, der unbegrenzt und voller Wissen ist. In der materiellen Welt befinden sich die Lebewesen auf unterschiedlich hohen Entwicklungsstufen, und entsprechend diesen Stufen ist auch ihr Wissen unterschiedlich. So ist z. B. das Wissen eines Kindes nicht so vollkommen wie das eines erwachsenen Mannes. Diese Unterschiede existieren bei den Wasserlebewesen, den Pflanzen und Bäumen, den Reptilien, den Insekten, den Säugetieren, den unzivilisierten und zivilisierten Menschen und selbst unter den Halbgöttern wie den Cāraṇas, den Siddhas und den Bewohnern des Brahmaloka, des Planeten, auf dem Brahmā lebt. Gemäß diesen unterschiedlichen Entwicklungsstufen verfügen alle Lebewesen über ein unterschiedliches Maß an Wissen. Doch jenseits der materiellen Welt, im Vaikuṇṭha-Himmel, gibt es solche Unterschiede nicht mehr. Dort ist jeder Bewohner voller Wissen und dient ständig dem Höchsten Herrn in hingegebener Liebe – entweder auf den Vaikuṇṭha-Planeten oder auf Kṛṣṇaloka. Die Bhagavad-gītā erklärt, daß vollkommenes Wissen bedeutet, Kṛṣṇa als den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen. In den Veden und in der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß im brahmajyoti, im spirituellen Himmel, weder Sonnen- noch Mondlicht, noch Elektrizität erforderlich sind, da alle Planeten aus sich selbst heraus leuchten. Auch kann im brahmajyoti weder Schöpfung noch Vernichtung stattfinden, denn alles im spirituellen Himmel existiert ewiglich. Nur von großen Weisen und Heiligen, die bereits den Einfluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur überwunden haben, kann man von der Existenz des spirituellen Himmels erfahren. Solange man nicht auf der transzendentalen Ebene verankert ist, ist es nicht möglich, die spirituelle Natur zu verstehen. Aus diesem Grunde wird auch empfohlen, bhakti-yoga zu praktizieren und sich vierundzwanzig Stunden täglich im Kṛṣṇa-Bewußtsein zu beschäftigen; denn nur so kann man dem Einflußbereich der drei materiellen Erscheinungsweisen entkommen. Wer Kṛṣṇa-bewußt ist, kann die Natur des spirituellen Himmels und der Vaikuṇṭhalokas leicht verstehen. Da die Einwohner von Vṛndāvana ständig im Kṛṣṇa-Bewußtsein tätig waren, konnten sie die transzendentale Natur der Vaikuṇṭhalokas sehr leicht verstehen. Um den Kuhhirten nun die Vaikuṇṭha-Planeten zu zeigen, führte Kṛṣṇa sie an den See, wo Er später auch Akrūra die Vaikuṇṭhas offenbarte. Als die Männer, allen voran Nanda Mahārāja, das Ufer des Sees erreichten, nahmen sie dort sogleich ein Bad, und während sie im Wasser standen, sahen sie plötzlich den spirituellen Himmel mit den Vaikuṇṭhalokas, dessen Anblick so erhaben war, daß sich die Hirten in einen Ozean der Glückseligkeit getaucht fühlten. Als sie wieder aus dem Fluß stiegen, sahen sie Kṛṣṇa, den sie sogleich mit einzigartigen Gebeten verehrten. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 28. Kapitel des Buches Kṛṣṇa:»Kṛṣṇa rettet Nanda Mahārāja aus der Gewalt Varuṇas 29. KAPITEL Erklärungen zum rāsa-Tanz Aus dem Śrīmad-Bhāgavatam ist zu ersehen, daß der rāsa-Tanz in der Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit stattfand. Die Govardhana-pūjā wurde, wie bereits erwähnt, gleich nach der mondlosen Nacht des Monats Kārttika vollzogen, und am zweiten Tag nach Neumond fand die Bhrātṛdvitīya-Zeremonie (ein traditioneller Festtag) statt. Danach ließ Indra mit Regengüssen und Hagelstürmen seine Wut an Vṛndāvana aus, worauf Śrī Kṛṣṇa sieben Tage lang, bis der neunte Tag nach Neumond verstrichen war, den Govardhana-Hügel trug. Am zehnten Tag sprachen die Einwohner Vṛndāvanas über die wundervollen Taten Kṛṣṇas, und am nächsten Tag war Ekādaśī, weshalb Nanda Mahārāja fastete. Am darauffolgenden Morgen, dem Dvādaśī-Tag, ging Nanda Mahārāja zur Yamunā hinunter, um ein Bad zu nehmen, und wurde von den Dienern Varuṇas gefangengenommen; doch Kṛṣṇa befreite ihn wieder, und schließlich zeigte Er Nanda Mahārāja und den anderen Kuhhirten den spirituellen Himmel. Damit ging die Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit zu Ende, die man als śārad-pūrṇimā bezeichnet, und die im Monat Āśvina liegt. Kṛṣṇa mußte also ein Jahr lang auf die nächste Mondnacht dieser Art warten, bevor Er mit den gopīs tanzte, und folglich fand der rāsa-Tanz* [* Wenn ein junger Mann, z. B. ein Ballettänzer, mit vielen Mädchen tanzt, nennt man dies »rāsa-Tanz«] während Seines achten Lebensjahres statt. Als Kṛṣṇa nach einem Jahr sah, daß sich die Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit ankündigte, schmückte Er Sich mit farbenprächtigen Blumen, vor allem mit der wohlriechenden mallikā. Er erinnerte Sich nämlich daran, daß die gopīs vor einem Jahr zur Göttin Kātyāyanī gebetet hatten, Ihn als Ehemann zu bekommen. »Ich will ihren Wunsch in der Vollmondnacht des śarat erfüllen«, dachte Er damals, »denn diese Nacht eignet sich ganz besonders zum Tanzen.« Ihr Wunsch, Kṛṣṇa als Gemahl zu haben, würde dann in Erfüllung gehen. An dieser Stelle werden im Śrīmad-Bhāgavatam die Worte »bhagavān api« gebraucht, die darauf hindeuten, daß Kṛṣṇa, obwohl Er der Höchste Persönliche Gott ist, keinerlei Verlangen hegt, da Er durch die sechs unermeßlichen Füllen in Sich Selbst vollkommen ist. — Dennoch wollte Er Sich der Gemeinschaft der gopīs erfreuen. Die Worte »bhagavān api« weisen in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, daß der rāsa-Tanz keinesfalls mit einem gewöhnlichen Tanz in der materiellen Welt zu vergleichen ist. Zur näheren Erläuterung werden im Śrīmad-Bhāgavatam die Worte »yoga-māyām upāśritaḥ« gebraucht, was bedeutet, daß der Tanz mit den gopīs auf der Ebene der yoga-māyā stattfand, und nicht auf der der mahā-māyā, wie es bei Jungen und Mädchen in der materiellen Welt der Fall ist. Der Unterschied zwischen yoga-māyā und mahā-māyā wird im Śrī Caitanya-caritāmṛta mit dem Unterschied zwischen Gold und Eisen verglichen. In gewisser Hinsicht besteht zwischen Gold und Eisen kein Unterschied, denn beide sind Metalle, doch an Qualität sind sie voneinander völlig verschieden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem rāsa-Tanz. Auf den ersten Blick erscheint Kṛṣṇas Tanz mit den gopīs wie der gewöhnliche Austausch zwischen Jungen und Mädchen; aber in Wirklichkeit besteht, von der Qualität her, ein gewaltiger Unterschied. Diesen Unterschied können jedoch nur die großen Vaiṣṇavas wahrnehmen, die den Unterschied zwischen Liebe zu Kṛṣṇa und Sinneslust erkennen. Auf der Ebene der mahā-māyā haben Tänze das Ziel, die eigenen Sinne zu befriedigen. Als aber die gopīs zu der Stelle liefen, an der Kṛṣṇa auf Seiner Flöte spielte, um sie zum rāsa-Tanz zu rufen, hatten sie nur den einen, transzendentalen Wunsch – Kṛṣṇas Sinne zu erfreuen. Wie Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī im Śrī Caitanya-caritāmṛta erklärt, bedeutet Lust Sinnenfreude, und auch Liebe bedeutet Sinnenfreude – aber für Kṛṣṇa. Alles Tun, auf der materiellen wie auf der spirituellen Ebene, beruht auf dem Prinzip der Sinnenfreude, doch auf der spirituellen Ebene werden ausschließlich die Sinne Kṛṣṇas erfreut, wohingegen auf der materiellen Ebene jeder versucht, seine eigenen Sinne zu befriedigen. Ein Diener auf der materiellen Ebene versucht z. B. nicht, die Sinne des Meisters zufriedenzustellen, sondern vielmehr die eigenen, denn er würde den Dienst verweigern, bekäme er kein Geld mehr. Auf der spirituellen Ebene hingegen dient der Gottgeweihte dem Herrn ohne Bezahlung, und er versieht seinen Dienst unter allen Umständen. Das ist der Unterschied zwischen Kṛṣṇa-Bewußtsein und materiellem Bewußtsein. Kṛṣṇa war acht Jahre alt, als Er Sich mit den gopīs im rāsa-Tanz vergnügte, und zu der Zeit waren die meisten der gopīs bereits verheiratet, denn in Indien werden die Mädchen, besonders in jenen Tagen, schon sehr früh in die Obhut eines Mannes gegeben. Es wird sogar von Mädchen berichtet, die schon im Alter von zwölf Jahren ein Kind zur Welt brachten. Doch obgleich die gopīs bereits verheiratet waren, hegten sie im stillen immer noch die Hoffnung, Kṛṣṇa eines Tages als Gemahl zu umarmen. Sie sehnten sich also nach Kṛṣṇa wie nach einem Geliebten. Diese Beziehung zu Kṛṣṇa wird parakīya-rasa genannt. Unter parakīya-rasa versteht man das Begehren eines bzw. einer Verheirateten nach einem anderen Partner. Tatsächlich ist Kṛṣṇa der Gemahl eines jeden, denn Er ist der höchste Genießende. Die gopīs wünschten sich Kṛṣṇa als ihren Gemahl, doch weil Kṛṣṇa nicht alle gopīs heiraten konnte, sie aber die natürliche Neigung hatten, Ihn als Gemahl zu lieben, wird die Beziehung der gopīs zu Kṛṣṇa parakīya-rasa genannt. Diese Beziehung besteht in der spirituellen Welt auf Goloka Vṛndāvana in reiner Form, frei von allen Unreinheiten, die für den parakīya-rasa in der materiellen Welt kennzeichnend sind. In der materiellen Welt ist der parakīya-rasa verabscheuenswert, wohingegen der Austausch zwischen Kṛṣṇa und den gopīs von erhabener Vollkommenheit ist. Von allen Beziehungen zu Kṛṣṇa, der Beziehung als Diener, als Freund, als Vater oder Mutter oder als Geliebte, ist der parakīya-rasa, die Beziehung als Geliebte, die vortrefflichste. Die materielle Welt ist eine verzerrte Spiegelung der spirituellen Welt. Ähnlich wie ein Baum am Ufer eines Sees mit der Krone, dem obersten Teil, nach unten widergespiegelt wird, so wird der parakīya-rasa, die höchste Beziehung in der spirituellen Welt, zur niedrigsten und verabscheuenswertesten Beziehung, wenn er sich in der materiellen Welt reflektiert. Es ist nicht möglich, den transzendentalen parakīya-rasa in der materiellen Welt zu genießen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird deshalb wiederholt darauf hingewiesen, daß man diese gänzlich spirituelle Liebesbeziehung nicht einmal im Traum oder in Gedanken nachahmen soll. Wer es dennoch tut, trinkt das tödlichste Gift. Noch im selben Moment, da Śrī Kṛṣṇa, der höchste Genießende, in jener Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit mit den gopīs tanzen wollte, zeigte sich der Mond, der Herr aller Sterne, in seiner ganzen Pracht. Die Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit gilt als die schönste im ganzen Jahr und wird deshalb auch heute noch bewundert. In dieser Nacht besuchen viele Touristen das Taj Mahal, ein weltbekanntes Grabmal in Agra, Indien, das ganz aus feinstem Marmor gebaut ist, um das Schauspiel der sich spiegelnden Mondstrahlen zu sehen, die die Wasserfläche auf die schneeweiße Kuppel wirft. Als der Vollmond im Osten aufging, tauchte sein Licht alles in einen sanften, rötlichen Schimmer, und er färbte, wie ein Ehemann, der nach langer Reise zurückkehrt und das Gesicht seiner Frau mit rotem kuṅkuma bemalt, den östlichen Himmel mit seinem rötlichen Licht. Das Erscheinen des Mondes steigerte Kṛṣṇas Wunsch, mit den gopīs zu tanzen, nur noch mehr. Der Wald war erfüllt vom Duft der verschiedensten Blumen, und die Atmosphäre war wohltuend kühl und festlich. Als Kṛṣṇa Seine Flöte zu spielen begann, hielten die gopīs in Vṛndāvana wie verzaubert in ihren Bewegungen inne. Der aufgehende Mond, der rötliche Horizont, die kühle und stille Atmosphäre und die überall aufblühenden Blumen verstärkten die Anziehungskraft der Flötenklänge tausendfach, und so wurden die gopīs, die sich ohnehin sehr zu Kṛṣṇas Schönheit hingezogen fühlten, überaus begierig, die Sinne Kṛṣṇas zu erfreuen. Als sie den Klang der Flöte hörten, ließen sie daher alles stehen und liegen und eilten mit hin- und herschwingenden Ohrringen so schnell sie konnten zum vamśīvaṭa-Baum. Einige melkten gerade die Kühe; doch sie ließen die Eimer einfach stehen und liefen zu Kṛṣṇa. Andere hatten die frisch gemolkene Milch schon zum Kochen auf den Ofen gestellt, doch sowie sie Kṛṣṇas Flöte hörten, verließen sie das Haus, ohne sich darum zu kümmern, daß die Milch überkochen würde. Wieder andere säugten gerade ihre Babys oder saßen mit ihrer Familie zu Tisch, doch sie unterbrachen ihre jeweiligen Tätigkeiten und machten sich unverzüglich auf zu Kṛṣṇa. Manche wollten sich noch mit Kosmetika verschönern und sich für Kṛṣṇa anziehend kleiden, aber leider konnten sie sich weder fertig schminken, noch konnten sie sich richtig kleiden, denn ihr Verlangen, Kṛṣṇa zu sehen, war zu stark. So liefen sie denn mit halb geschminkten Gesichtern hinaus, und manche hatten in der Eile sogar die Oberteile ihrer Kleider mit den Unterteilen verwechselt und die Unterteile mit den Oberteilen. Als die gopīs eilig ihre Häuser verließen, fragten ihre Verwandten verwundert, wohin sie gehen wollten; schließlich waren sie junge Mädchen und mußten von ihren Ehemännern, Vätern und älteren Brüdern sorgfältig behütet werden. Diese verbaten ihnen dann auch strikt, zu Kṛṣṇa zu gehen, doch die gopīs ließen sich durch nichts zurückhalten. Wenn sich jemand so wie sie zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt und völlig Kṛṣṇa-bewußt ist, kümmert er sich nicht länger um weltliche Pflichten – auch wenn diese noch so dringlich erscheinen: Dieses Beispiel zeigt, daß Kṛṣṇa-Bewußtsein so mächtig ist, daß es jedes Lebewesen von allen materiellen Bindungen befreien kann. Śrīla Rūpa Gosvāmī verfaßte einmal einen sehr schönen Vers, in dem eine gopī ihrer Gefährtin rät: »Liebe Freundin, wenn du immer noch an materieller Gesellschaft, Freundschaft und Liebe hängst, dann geh lieber nicht zu dem lächelnden Jüngling Govinda, der am Ufer der Yamunā auf Seiner Flöte spielt und dessen Lippen dabei von den Strahlen des Vollmondes beschienen werden.« Śrīla Rūpa Gosvāmī will damit sagen, daß jeder, der von dem wunderbaren, lächelnden Gesicht Kṛṣṇas bezaubert wird, jegliche Anziehung zu materiellen Freuden verliert. Wie fortgeschritten man im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist, kann man daran sehen, inwieweit man das Interesse an materiellen Tätigkeiten und eigener Sinnenbefriedigung verliert. Einige der gopīs wurden von ihren Ehemännern mit Gewalt daran gehindert, zu Kṛṣṇa zu gehen, und in ihre Zimmer eingesperrt. Da sie nicht mit Ihm persönlich zusammensein durften, schlossen sie die Augen und begannen, über Seine transzendentale Gestalt zu meditieren; auf diese Weise konnten sie wenigstens in Gedanken mit Ihm zusammen sein. Die Meditation der gopīs bestätigt, daß sie in spiritueller Hinsicht weit fortgeschritten waren, denn wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, ist ein Mensch, der ständig mit Glauben und Liebe an Kṛṣṇa in Seinem Herzen denkt, der größte yogī. Jeder wahre yogī richtet seinen Geist auf die transzendentale Gestalt Viṣṇus, und weil Kṛṣṇa der Ursprung aller Viṣṇu-tattvas ist, sind gopīs, die in ihren Zimmern über Kṛṣṇa meditierten, als vollkommene Transzendentalisten anzusehen. Im bedingten Zustand erhält das Lebewesen durch sein fruchtbringendes Handeln zwei Arten von Ergebnissen: Geht es sündigen Tätigkeiten nach, muß es leiden, handelt es dagegen fromm, erhält es als Lohn materiellen Genuß. In jedem Fall aber – beim Leiden wie beim Genießen – wird es durch die materielle Natur bedingt. Die gopīs, die sich nun zu dem Ort begaben, an dem Kṛṣṇa auf Seiner Flöte spielte, waren von zweierlei Art. Die meisten waren ewige Gefährtinnen des Herrn, die überall dort erscheinen, wo Kṛṣṇa erscheint. In der Brahma-saṁhitā wird erklärt: ānanda-cin-maya-rasa pratibhāvitābhiḥ. »Śrī Kṛṣṇas Gespielinnen in der spirituellen Welt, besonders die gopīs, sind Manifestationen der Freuden-Energie des Herrn, d. h. Erweiterungen von Śrīmatī Rādhārāṇī.« Wenn Kṛṣṇa allerdings Seine transzendentalen Spiele in den Universen der materiellen Welt entfaltet, nehmen nicht nur Seine ewigen Gefährtinnen daran teil, sondern auch gopīs, die aus der materiellen Welt kommen und zu dieser Stufe erhoben wurden. Das bedeutet also, daß die gopīs, die sich Kṛṣṇas Spielen in der materiellen Welt anschlossen, in ihrem letzten Leben gewöhnliche Menschen gewesen waren. Und wenn einige doch noch nicht ganz frei waren von allen fruchtbringenden Handlungen, so hatte dies keine nachteiligen Folgen für sie, denn die fortwährende Meditation über Kṛṣṇa befreite sie von allen Reaktionen des karma. Das sehnsüchtige Verlangen nach Kṛṣṇa, das sie peinigte, da es ihnen in jener Nacht nicht vergönnt war, mit dem Herrn zusammenzusein, befreite sie von allen Reaktionen auf frühere Sünden, und die Ekstase, die sie während Seiner Abwesenheit ergriff, war transzendental zu allen Reaktionen auf fromme Tätigkeiten. Die bedingten Seelen werden durch frommes oder sündiges Handeln an den sich wiederholenden Kreislauf von Geburt und Tod gebunden, doch die gopīs, die über Kṛṣṇa zu meditieren begannen, wurden transzendental zur materiellen Natur. Ihre Meditation läuterte sie so sehr, daß sie auf die gleiche Ebene erhoben wurden wie die gopīs, die bereits Erweiterungen der ewigen Freuden-Energie Kṛṣṇas waren; einige gaben sogar ihren Körper auf, den sie unter dem Einfluß der drei materiellen Erscheinungsweisen entwickelt hatten. Als Mahārāja Parīkṣit hörte, daß einige der gopīs vom Kreislauf der Geburten und Tode frei geworden waren, indem sie ständig an Kṛṣṇa als ihren Geliebten dachten, unterbrach er Śukadeva Gosvāmī und sagte: »Erkläre mir diesen Punkt bitte etwas ausführlicher. Wie konnten die gopīs durch Meditation über Kṛṣṇa vom materiellen Dasein befreit werden, wenn sie sich nicht einmal darüber bewußt waren, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, sondern Ihn statt dessen nur für einen wunderbaren Jüngling hielten, in den sie sich verliebt hatten?« Man muß wissen, daß die Lebewesen Teile Kṛṣṇas sind und sich daher qualitätsmäßig nicht von Ihm unterscheiden. Sie sind wie Kṛṣṇa Brahman, von spiritueller Natur, doch ist Kṛṣṇa Parabrahman, das Höchste Brahman, das Höchste Spirituelle Wesen. Mahārāja Parīkṣit fragte also mit anderen Worten: Wenn es für die Gottgeweihten möglich ist, durch ständiges Denken an Kṛṣṇa aus der materiellen Gefangenschaft befreit zu werden, warum gelangen dann nicht auch Menschen zur Befreiung, die fortwährend an irgendjemanden in der materiellen Welt denken? Wenn alle Lebewesen Brahman sind, warum wird dann nicht auch jemand, der an seine Frau, seinen Sohn usw. denkt, von der materiellen Bedingtheit erlöst? Dies ist eine sehr wichtige Frage, da es immer Atheisten geben wird, die Kṛṣṇa nachahmen. Besonders in der heutigen Zeit, dem Kali-yuga, gibt es viele Betrüger, die sich für ebenso bedeutend halten wie Kṛṣṇa und anderen Menschen weismachen wollen, man könne ebensogut an sie denken wie an Kṛṣṇa. Weil Mahārāja Parīkṣit voraussah, in welcher Gefahr sich die blinden Anhänger solcher dämonischen Heuchler befinden würden, stellte er diese Frage. Glücklicherweise ist die Antwort im Śrīmad-Bhāgavatam festgehalten, so daß unschuldige Menschen erkennen können, daß es keinesfalls das gleiche ist, wenn man statt an Kṛṣṇa an einen gewöhnlichen Menschen denkt. Nicht einmal die Meditation über einen Halbgott läßt sich mit der Meditation über Kṛṣṇa vergleichen. In diesem Zusammenhang wird im Vaiṣṇava Tantra darauf hingewiesen, daß ein Mensch, der Viṣṇu, Nārāyaṇa oder Kṛṣṇa auf die Stufe der Halbgötter stellt, als pāsaṇḍa, als »Schurke« zu bezeichnen ist. Als Mahārāja Parīkṣits geistiger Meister beantwortete Śukadeva Gosvāmī natürlich die Frage seines Schülers, doch tadelte er den König auch, da dieser die gleiche Frage schon einmal gestellt hatte. »Die Antwort habe ich dir bereits gegeben«, sagte er; »warum bist du nur so vergeßlich?« Der geistige Meister befindet sich immer in einer höheren Position als der Schüler und hat deshalb auch das Recht, ihn zurechtzuweisen. Śukadeva war sich jedoch zur gleichen Zeit auch darüber bewußt, daß Mahārāja Parīkṣit diese Frage nicht für sich selbst stellte, sondern zum Wohl der unschuldigen Menschen in der Zukunft, die denken könnten, gewöhnliche Sterbliche seien Kṛṣṇa ebenbürtig. Er erinnerte deshalb Mahārāja Parīkṣit an die Erlösung Śiśupālas. Śiśupāla war auf Kṛṣṇa immer neidisch gewesen, bis dieser ihn schließlich tötete; doch weil Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist und Śiśupāla Ihn von Angesicht zu Angesicht sah, wurde er befreit. Wenn selbst Kṛṣṇas Feinde von der materiellen Verunreinigung befreit und eins mit dem Höchsten wurden, weil sie einmal ihre Gedanken auf Ihn richteten oder Ihn sahen, kann man sich vorstellen, was die gopīs erwartete, die Kṛṣṇa sehr lieb waren und die ständig an Ihn dachten. »Außerdem«, so erklärte Śukadeva Gosvāmī, »ist Kṛṣṇa Hṛṣīkeśa, die Überseele, wohingegen der gewöhnliche Mensch eine bedingte, von einem materiellen Körper bedeckte Seele ist.« Kṛṣṇa und Sein Körper sind identisch, weil Er, wie die Bhagavad-gītā bestätigt, Hṛṣīkeśa ist. Jeder, der zwischen Kṛṣṇa und dem Körper Kṛṣṇas einen Unterschied macht, ist der größte Dummkopf. Kṛṣṇa ist Hṛṣīkeśa und Adhokṣaja. Diese beiden Namen nannte auch Mahārāja Parīkṣit in seiner Frage. Hṛṣīkeśa ist die Überseele, und Adhokṣaja ist der Höchste Persönliche Gott, der transzendentalen ist zur materiellen Natur. In Seiner grundlosen Gnade erscheint Er zum Wohl der bedingten Seelen, wie Er ist, in Seiner ursprünglichen transzendentalen Gestalt. Unglücklicherweise halten Ihn törichte Menschen für einen der ihren und verfallen somit der Hölle. Śukadeva Gosvāmī betonte deshalb noch einmal, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, unzerstörbar, unvergänglich und frei von aller materiellen Verunreinigung. Er fuhr sodann fort, Mahārāja Parīkṣit zu erklären, daß Kṛṣṇa keine gewöhnliche Person ist. Er ist der Höchste Persönliche Gott, voller spiritueller Eigenschaften. Er erscheint in der materiellen Welt aus Seiner grundlosen Barmherzigkeit, und wann immer Er kommt, erscheint Er wie Er ist, ohne Sich zu wandeln. Dies wird ebenfalls in der Bhagavad-gītā bestätigt, wo der Herr sagt, daß Er in Seiner ganzen spirituellen Energie erscheint. Er erscheint nicht unter dem Zwang der materiellen Energie. Die materielle Energie steht unter Seiner Kontrolle. Wie Er Selbst in der Bhagavad-gītā feststellt, ist die materielle Energie unter Seiner Oberaufsicht aktiv. In der Brahma-saṁhitā wird hierzu erklärt, daß die materielle Energie, Durgā, wie ein Schatten ist, der sich mit der Substanz bewegt. Daraus ist zu schließen, daß jeder, der auf irgendeine Weise eine Anhaftung an Kṛṣṇa gewinnt oder sich zu Ihm hingezogen fühlt – entweder wegen Seiner Schönheit, Seines Charakters, Seines Reichtums, Seiner Berühmtheit, Seiner Kraft oder Seines Wissens oder gar aus Lust, Ärger oder Furcht –, von der materiellen Verunreinigung befreit wird. Im Achtzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā erklärt der Herr, daß Ihm jeder, der Kṛṣṇa-Bewußtsein predigt, d. h. verbreitet, sehr lieb ist. Ein Prediger muß bei seinem Versuch, reines Kṛṣṇa-Bewußtsein zu verkünden, oft mit vielen Schwierigkeiten kämpfen, und manchmal geschieht es sogar, daß er leiblichen Schaden nimmt oder gar das Leben einbüßt. All dies nimmt er freiwillig als Opfer für Kṛṣṇa auf sich, und deshalb, so sagt Kṛṣṇa Selbst, ist Ihm ein solcher Prediger sehr, sehr teuer. Wenn schon Kṛṣṇas Feinde befreit werden, da sie ständig an den Herrn denken, was erwartet dann erst Gottgeweihte, die Kṛṣṇa so lieb sind? Solchen Gottgeweihten, die Kṛṣṇa-Bewußtsein auf der ganzen Welt predigen, ist die Erlösung sicher. Andererseits ist es ihnen ganz gleich, ob sie Erlösung erlangen, denn wer sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein befindet, d. h. im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, ist bereits befreit. Śukadeva Gosvāmī gab Mahārāja Parīkṣit deshalb den Rat, sich ständig daran zu erinnern, daß jeder, der sich zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt, von der materiellen Bedingtheit befreit wird, da Kṛṣṇa der transzendentale Meister aller mystischen Kräfte ist. Als sich die gopīs vor Kṛṣṇa einfanden, hieß Er sie erfreut willkommen, doch verstand Er es, Seine Worte so geschickt zu wählen, daß Er sie zur gleichen Zeit entmutigte. Kṛṣṇa ist der vollkommenste Redner. Er verkündete die Bhagavad-gītā, und Er kann über alle möglichen Themen, wie Philosophie, Politik und Ökonomie, in wundervollster Weise sprechen. Kṛṣṇa wollte die gopīs, die Ihm über alle Maßen lieb waren, durch Wortspielereien bezaubern, und so sagte Er zu ihnen: »O ihr Damen von Vṛndāvana, Ich freue Mich sehr, euch hier zu sehen und hoffe, daß daheim alles in bester Ordnung ist. Ich stehe ganz zu eurer Verfügung. Laßt Mich also bitte wissen, was Ich für euch tun kann. Nehmt doch bitte Platz und sagt Mir vor allem, was euch mitten in der Nacht hierherführt.« Die gopīs hatten Vṛndāvana verlassen, um mit Kṛṣṇa zusammenzusein: sie wollten mit Ihm tanzen, Ihn umarmen und küssen, und deshalb wunderten sie sich sehr, daß der Herr sie mit derart förmlichen Worten nach allen Regeln der Etikette empfing – ganz so, wie man gewöhnlich die Damen der Gesellschaft begrüßt. Sie lächelten sich also erstaunt an und lauschten gespannt Seinen weiteren Worten. Als Kṛṣṇa sah, daß Ihn die gopīs anlächelten, sagte Er: »Meine lieben Freundinnen, wißt ihr nicht, daß es bereits späte Nacht ist, und daß es sehr gefährlich ist, um diese Zeit in den Wald zu gehen? Überall lauern wilde Tiere wie Tiger, Bären, Schakale und Wölfe; jeden Augenblick könnt ihr auf eines dieser Raubtiere treffen, die auf der Suche nach Beute umherstreifen. Seid ihr nicht auch der Ansicht, daß ihr in großer Gefahr schwebt, wenn ihr zu dieser späten Stunde hier verweilt. Ich möchte euch deshalb bitten, unverzüglich nach Vṛndāvana zurückzukehren; dort seid ihr in Sicherheit.« Als Kṛṣṇa die gopīs auf die Gefahren des nächtlichen Waldes aufmerksam machte, wollte Er ihnen zu verstehen geben, daß sie noch nicht alt genug seien, um allein auf sich achtzugeben. »Ihr müßtet eigentlich ständig behütet werden«, hielt Er ihnen entgegen, »und daher war es nicht sonderlich klug von euch, mitten in der Nacht zu Mir zu kommen.« Als Kṛṣṇa sah, daß die gopīs immer noch lächelten, fuhr Er fort: »Ich muß gestehen, daß ihr wirklich überaus hübsch seid mit euren zierlichen Taillen.« Die gopīs, die sich um Kṛṣṇa versammelt hatten, waren tatsächlich außergewöhnlich schön, und daher werden sie im Śrīmad-Bhāgavatam mit dem Wort »sumadhyamā« beschrieben. Eine Frau wird als sumadhyamā bezeichnet, wenn ihre Taille sehr schmal ist. Kṛṣṇa deutete an, daß Er und die Hirtenmädchen doch noch recht jung waren. »Es schickt sich nicht, daß Mädchen und Jungen in unserem Alter mitten in der dunklen Nacht zusammenkommen«, hielt Er ihnen vor. Doch als Kṛṣṇa auf dieses Thema zu sprechen kam, machten die gopīs keine glücklichen Gesichter, und so erklärte Er diesen Punkt noch von einem anderen Gesichtspunkt aus. »Meine lieben Freundinnen«, sagte Kṛṣṇa, »Ich weiß, daß ihr eure Familien ohne Erlaubnis verlassen habt; eure Mütter, Väter, eure älteren Brüder und selbst eure kleinen Söhne, ganz zu schweigen natürlich von euren Ehemännern, werden deshalb sehr in Sorge sein. Während ihr hier bei Mir sitzt, suchen sie gewiß schon voller Unruhe nach euch. Haltet euch also nicht länger auf, sondern kehrt zu ihnen zurück, so daß sie sich nicht länger zu ängstigen brauchen.« Als die gopīs solche Worte hörten, schienen sie ein wenig verwirrt und gekränkt zu sein, und so ließen sie ihre Blicke verlegen über die Schönheit des Waldes schweifen. Die Bäume waren in jener Nacht vom hellen Mondschein überflutet; der Wind strich sanft über die blühenden Blumen, und die grünen Blätter der Bäume bewegten sich säuselnd in der leichten Brise. Kṛṣṇa nutzte die Gelegenheit und sagte zu den gopīs: »Vermutlich seid ihr nur hierher gekommen, um den wunderschönen Wald von Vṛndāvana zu betrachten. Doch einmal müßt ihr euch zufriedengeben; kehrt also eilends nach Hause zurück. Ich weiß, daß ihr alle sehr sittsam seid, und deshalb möchte Ich euch bitten – da ihr ja nun die herrliche Atmosphäre des Vṛndāvana-Waldes reichlich genossen habt –, zu euren Familien zurückzukehren und euren Ehemännern treu zu dienen. Einige von euch müssen trotz ihrer Jugend bereits Kinder haben. Ihr werdet sie zu Hause zurückgelassen haben, so daß sie jetzt hungrig sein und schreien werden. Geht daher bitte unverzüglich nach Hause zurück und stillt sie mit eurer Milch. Ich weiß auch, daß ihr sehr viel Zuneigung für Mich empfindet, und daß ihr, als ihr Mein Flötenspiel hörtet, aus dieser transzendentalen Zuneigung heraus hierher geeilt seid. Eure Gefühle der Liebe und Zuneigung zu Mir sind durchaus natürlich, denn Ich bin der Höchste Persönliche Gott. Alle Lebewesen sind Meine Teile, und daher ist es nur natürlich, daß sie sich zu Mir hingezogen fühlen. Diese Zuneigung ist also etwas Erfreuliches, und Ich beglückwünsche euch hierzu. Nun könnt ihr nach Hause zurückkehren. Ein weiterer Punkt, den Ich euch erklären muß, ist folgender: Für eine keusche Frau ist es das wichtigste religiöse Prinzip, ihrem Mann ohne Falschheit zu dienen. Eine Frau sollte jedoch nicht nur keusch sein und ihrem Mann treu dienen; sie sollte auch den Freunden ihres Mannes gegenüber freundlich sein, dem Vater und der Mutter ihres Gatten gehorchen und die jüngeren Brüder ihres Mannes liebevoll behandeln. Vor allem aber muß die Frau sich um die Kinder kümmern.« In dieser Weise erklärte Kṛṣṇa die Pflichten einer Frau. Ganz besonders hob Er dabei hervor, daß die Frau ihrem Mann treu dienen muß: »Auch wenn er keinen guten Charakter hat, oder wenn er nicht sehr wohlhabend oder erfolgreich ist, und auch wenn er durch fortwährende Krankheit alt und gebrechlich ist – ganz gleich, in welcher Lage sich der Ehemann befindet –, eine Frau sollte sich niemals von ihrem Mann trennen, wenn sie tatsächlich nach Verlassen des Körpers zu den himmlischen Planeten erhoben werden will. Abgesehen davon wird eine Frau, die ihrem Gatten untreu ist und sich einen anderen Mann sucht, als äußerst verabscheuungswürdig angesehen. Durch ihr lasterhaftes Verhalten verliert sie die Möglichkeit, zu den himmlischen Planeten erhoben zu werden, und die Folgen ihres Tuns sind äußerst entwürdigend. Eine verheiratete Frau sollte sich keinen Liebhaber halten, denn dies wird von den vedischen Lebensprinzipien nicht gebilligt. Ich kann verstehen, daß ihr sehr an Mir hängt und mit Mir zusammensein wollt, doch möchte Ich euch raten, nicht zu versuchen, Mich persönlich zu genießen. Es ist besser für euch, wenn ihr nach Hause geht und einfach über Mich sprecht und an Mich denkt. Wenn ihr euch auf diese Weise ständig an Mich erinnert und Meinen Namen chantet, werdet ihr gewiß auf die spirituelle Ebene erhoben. Es ist nicht nötig, in Meiner Nähe zu stehen. Die Anweisungen, die der Höchste Persönliche Gott den gopīs gab, waren durchaus nicht sarkastisch gemeint. Sie sollten von allen ehrbaren Frauen sehr ernst genommen werden. Besonders die Keuschheit der Frau wird vom Höchsten Herrn betont. Deshalb sollte dieses Prinzip von jeder ernsthaften Frau, die auf eine höhere Lebensstufe erhoben werden will, befolgt werden. Kṛṣṇa ist das Zentrum aller Zuneigung für alle Lebewesen. Wenn diese Zuneigung für Kṛṣṇa entwickelt wird, erhebt man sich über alle vedischen Vorschriften, d, h., man transzendiert sie. Dies war den gopīs möglich, weil sie Kṛṣṇa von Angesicht zu Angesicht sahen. Es ist nicht möglich für eine Frau im bedingten Zustand. Unglücklicherweise nimmt manchmal ein Halunke, der die Philosophie des Monismus oder Einsseins vertritt, die Position Kṛṣṇas ein, indem er das Verhalten Kṛṣṇas gegenüber den gopīs nachahmt, und verführt, unverantwortlich wie er ist, leichtgläubige Frauen unter dem Deckmantel spiritueller Erkenntnis. Als Warnung weist Śrī Kṛṣṇa an dieser Stelle darauf hin, daß das, was für die gopīs möglich war, nicht für gewöhnliche Frauen möglich ist. Eine Frau kann zwar durch fortgeschrittenes Kṛṣṇa-Bewußtsein auf diese Stufe erhoben werden, doch muß sie stets auf der Hut vor Betrügern sein, die sich für Kṛṣṇa ausgeben. Wie Kṛṣṇa Selbst rät, sollte sie ihre Hingabe durch Chanten und Meditieren auf Kṛṣṇa richten. Sie sollte nicht auf Männer hereinfallen, die man sahajiyā nennt, sogenannte Gottgeweihte, die alles sehr leicht nehmen. Als Kṛṣṇa solche entmutigenden Worte sprach, wurden die gopīs sehr traurig, denn sie befürchteten, ihr Wunsch, mit Kṛṣṇa den rāsa-Tanz zu genießen, ginge nicht in Erfüllung. In ihrer Traurigkeit begannen sie schwer zu atmen, und statt Kṛṣṇa anzuschauen, senkten sie betrübt den Blick zu Boden und zeichneten mit den Zehen allerlei Linien in den Sand. Dabei weinten sie so heftig, daß die Kosmetika von ihren Gesichtern gewaschen wurden; die Tränen vermischten sich mit dem kuṅkuma auf ihren Brüsten und fielen schließlich zu Boden. Sie konnten nichts sagen, sondern standen schweigend da, und durch ihr Schweigen gaben sie Ihm zu verstehen, daß sie in ihren Herzen zutiefst verwundet waren.« Die gopīs waren keine gewöhnlichen Frauen. Im wesentlichen befanden sie sich auf der gleichen Ebene wie Kṛṣṇa. Sie sind Seine ewigen Gefährtinnen. Wie in der Brahma-saṁhitā bestätigt wird, sind sie Erweiterungen der Freuden-Energie Kṛṣṇas, und als Seine Energie sind sie nicht verschieden von Ihm. Obschon Seine Worte sie niedergeschlagen machten, wollten sie Ihm nicht in kränkendem Ton antworten. Dennoch wollten sie Ihn für Seine unfreundlichen Worte tadeln, und so begannen sie mit bebenden Stimmen zu sprechen. Sie mochten keine groben Worte gegen Kṛṣṇa gebrauchen, da Er ihr Liebstes war, ihr Herz und ihre Seele. Die gopīs hatten nur Kṛṣṇa in ihren Herzen. Sie waren Ihm gänzlich hingegebene und geweihte Seelen. Als sie Seine herzlosen Worte vernahmen, versuchten sie natürlich etwas zu entgegnen, doch sowie sie nur den Mund öffneten, traten ihnen wieder Tränen in die Augen. Schließlich gelang es ihnen, trotzdem zu sprechen. »Kṛṣṇa«, sagten sie, »Du bist sehr gefühllos! Du sollst nicht so reden. Wir sind Dir ganz und gar hingegebene Seelen. Bitte nimm uns an, und sprich nicht solch grausame Worte. Natürlich, Du bist der Höchste Persönliche Gott, und Du kannst tun, was Dir beliebt, doch es ist Deiner nicht würdig, zu uns so unbarmherzig zu sein. Wir sind zu Dir gekommen, indem wir alles hinter uns ließen, um Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen zu suchen. Wir wissen, daß Du völlig unabhängig bist, und daß Du tun kannst, was Dir beliebt; wir flehen Dich an, bitte, weise uns nicht von Dir. Wir sind Deine Geweihten. Du solltest uns annehmen, ebenso wie Śrī Nārāyaṇa Seine Geweihten annimmt. Viele weihen sich Nārāyaṇa und verehren Ihn, um Befreiung zu erlangen, und Er gewährt sie ihnen. Wie kannst Du uns also zurückweisen, die wir keine andere Zuflucht kennen als Deine Lotosfüße?« »O lieber Kṛṣṇa«, fuhren die gopīs fort, »Du bist der höchste Lehrer; darüber besteht kein Zweifel. Deine Anweisungen für die Frauen, nämlich den Männern treu zu bleiben, zu den Kindern gütig zu sein, sich um den Haushalt zu kümmern und die älteren Familienangehörigen zu ehren, stimmen zweifellos mit allen Grundsätzen der śāstras überein, doch wissen wir auch, daß all diese Anweisungen in vollkommener Weise erfüllt werden, wenn man bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht sucht. Unsere Ehemänner, Freunde, Kinder und übrigen Familienangehörigen sind uns nur deshalb so lieb, weil Du in ihnen anwesend bist, denn Du bist die Überseele in allen Geschöpfen. Ohne Deine Gegenwart ist man wertlos. Wenn Du den Körper verläßt, stirbt dieser sogleich, und nach den Anordnungen der śāstra muß ein toter Körper so bald wie möglich in den Fluß geworfen oder verbrannt werden. Deshalb bist letzten Endes Du die liebenswerteste Persönlichkeit in dieser Welt. Wenn wir unseren Glauben und unsere Liebe auf Dich richten, werden wir niemals unserer Ehemänner, Söhne oder Töchter beraubt sein. Nimmt eine Frau Dich als den höchsten Gemahl an, wird sie niemals ihren Gatten verlieren, wie es im materiellen Leben der Fall ist. Wenn wir Dich als unseren endgültigen Gatten annehmen, gibt es keine Frage von Trennung, Scheidung oder Witwenschaft. Du bist der ewige Gatte, der ewige Sohn, der ewige Freund und der ewige Meister, und wer eine der Beziehungen zu Dir aufnimmt, ist für immer glücklich. Da Du der Lehrer aller religiösen Prinzipien bist, müssen Deine Lotosfüße verehrt werden. In den śāstras heißt es daher: ācārya-upāsanā – ›Deine Lotosfüße zu verehren ist das erste Prinzip.‹ Dazu kommt noch, daß Du, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, der einzige Genießende bist, der einzige Besitzer und der einzige Freund. Deshalb sind wir zu Dir gekommen und haben sogenannte Freunde, Gesellschaft und Liebe verlassen. Nun bist Du unser Genießer geworden. Mögen wir für immer von Dir genossen werden. Sei unser Besitzer, denn darauf hast Du ganz natürlich Anspruch; sei unser höchster Freund, denn auch das bist Du von Natur aus. Laß uns Dich also als den höchsten Geliebten umarmen.« Weiter sagten die gopīs zu dem lotosäugigen Kṛṣṇa: »Bitte verurteile nicht unser langgehegtes Verlangen, Dich als unseren Gemahl zu haben. Jeder intelligente Mensch, der sich über sein eigentliches Selbstinteresse Gedanken macht, wird all seine Liebe auf Dich richten. Nur Menschen, die von der äußeren Energie irregeführt sind, und die sich deshalb mit falschen Vorstellungen zufriedengeben, versuchen getrennt von Dir zu genießen. Die sogenannten Gatten, Freunde, Söhne, Töchter oder auch Väter und Mütter sind im Grunde nur Quellen materiellen Leids. Niemand wird in der materiellen Welt glücklich, nur weil er einen Vater, eine Mutter, einen Ehepartner, einen Sohn, eine Tochter und Freunde hat. Obwohl vom Vater und von der Mutter erwartet wird, daß sie für die Kinder sorgen, gibt es viele Kinder, die darunter leiden, daß sie nicht genügend zu essen bekommen und nicht richtig behütet werden. Es gibt viele gute Ärzte, doch wenn ein Patient stirbt, kann ihn kein Arzt wieder zum Leben erwecken. Es gibt viele Mittel, sich zu schützen, doch wenn einem etwas bestimmt ist, kann keine Schutzmaßnahme helfen, und ohne Deinen Schutz werden alle sogenannten Schutzmittel zu Ursachen fortgesetzten Leids. Wir flehen Dich daher an, o Herr aller Herren, bitte zerstöre nicht unser langgehegtes Verlangen, Dich als unseren höchsten Gemahl zu haben. Lieber Kṛṣṇa, als Frauen sind wir gewiß zufrieden, wenn unsere Herzen familiären Angelegenheiten gewidmet sind, doch hast Du bereits unsere Herzen gestohlen, und wir können sie nicht länger mit Familienangelegenheiten beschäftigen. Auch bittest Du uns immer wieder, nach Hause zurückzukehren, und diese Anweisung ist durchaus angemessen, aber leider sind wir wie gelähmt. Unsere Beine haben nicht die Kraft, sich auch nur einen Schritt von Deinen Lotosfüßen zu entfernen. Aber auch wenn wir auf Deine Bitte hin nach Hause gingen, was sollten wir dort tun? Wir haben jegliche Fähigkeit verloren, ohne Dich zu handeln. Statt unsere Herzen, wie es sich für Frauen gehört, familiären Dingen zu widmen, haben wir eine andere Art von Lust entwickelt, die wie Feuer in unseren Herzen brennt. Nun möchten wir Dich bitten, lieber Kṛṣṇa, dieses Feuer mit Deinem liebevollen Lächeln und der transzendentalen Klangschwingung, die von Deinen Lippen ausgeht, zu löschen. Wenn Du nicht bereit bist, uns diese Gunst zu erweisen, werden wir gewiß im Feuer der Trennung verbrennen. Dabei werden wir an Dich und Deine Schönheit denken, während wir unsere Körper aufgeben. Auf diese Weise, so hoffen wir, wird es uns möglich sein, wenigstens im nächsten Leben einen Platz bei Deinen Lotosfüßen zu erhalten. Lieber Kṛṣṇa, falls Du nun sagst, unsere Ehemänner würden, wenn wir nach Hause gingen, die lustvolle Flamme unseres Verlangens löschen, so können wir nur sagen, daß dies nicht länger möglich ist. Du hast uns Hoffnung gegeben, im Wald von Dir genossen zu werden, und vor einiger Zeit berührtest Du sogar unsere Brüste, was wir damals als Segnung auffaßten, wie es auch die Glücksgöttinnen taten, die von Dir auf den Vaikuṇṭhas genossen werden. Seitdem wir diesen transzendentalen Genuß gekostet haben, sind wir nicht länger daran interessiert, zur Erfüllung unserer Lust zu irgend jemand anderem zu gehen als zu Dir. Lieber Kṛṣṇa, die Lotosfüße der Glücksgöttin werden von den Halbgöttern stets verehrt, obwohl die Göttin des Glücks auf den Vaikuṇṭha-Planeten ständig an Deiner Brust ruht. Sie nahm große Opfer und Bußen auf sich, um sich zumindest ein wenig im Schutz Deiner Lotosfüße aufhalten zu dürfen, die immer von tulasī-Blättern bedeckt sind. Deine Lotosfüße sind die geeignete Zuflucht für Deine Diener, und die Glücksgöttin kommt, statt an Deiner Brust zu verweilen, manchmal herunter und verehrt Deine Lotosfüße. Wir haben uns nun unter den Staub Deiner Füße geflüchtet; bitte weise uns nicht von Dir, denn wir sind Dir ganz und gar hingegebene Seelen. Lieber Kṛṣṇa, Du bist als Hari bekannt. Du zerstörst alle Leiden aller Lebewesen, besonders derjenigen, die die Anhaftung an Heim und Familie aufgegeben und sich gänzlich Dir anvertraut haben. Wir haben unsere Familien in der Hoffnung verlassen, daß wir unsere Leben Deinem Dienst voll und ganz hingeben und weihen können. Wir bitten nur darum, als Deine Dienerinnen beschäftigt zu werden. Wir möchten Dich gar nicht bitten, uns als Deine Frauen anzunehmen. Nimm uns einfach nur als Deine Dienerinnen an. Da Du der Höchste Persönliche Gott bist und es liebst, den parakīya-rasa zu genießen, und da Du als transzendentaler Frauenliebhaber berühmt bist, sind wir gekommen, um Deine transzendentalen Verlangen zu befriedigen. Es geht uns natürlich auch um unsere eigene Befriedigung, denn als wir nur Dein lächelndes Gesicht anschauten, wurden wir von Lust erfüllt. Wir sind in unseren schönsten Kleidern und unserem wunderbarsten Schmuck zu Dir gekommen, doch solange Du uns nicht in Deine Arme schließt, bleiben all unsere Kleider und unser schönes Äußeres unvollständig. Du bist die Höchste Person, und wenn Du unseren Versuch, uns schön herzurichten, als der puruṣa-bhūṣaṇa, als »das männliche Schmuckstück«, vervollständigst, werden alle unsere Wünsche erfüllt, und unsere körperliche Schmückung wird vollkommen sein. Lieber Kṛṣṇa, wir sind einfach von Dir bezaubert worden, als wir Dich mit tilaka und Ohrringen sahen, und als wir Dein wunderschönes von einzelnen Haarsträhnen verziertes Gesicht und Dein außergewöhnliches Lächeln sahen. Nicht nur das, wir fühlen uns auch zu Deinen Armen hingezogen, die den hingegebenen Seelen stets Geborgenheit geben. Und obwohl es uns auch Deine Brust angetan hat, die immer von der Glücksgöttin umfangen wird, hegen wir nicht das Verlangen, den Platz Lakṣmīs einzunehmen. Wir sind schon zufrieden, wenn wir Deine Dienerinnen sein dürfen. Solltest Du uns jedoch vorwerfen, wir würden zur Prostitution ermuntern, können wir nur fragen: Wo in den drei Welten ist die Frau zu finden, die nicht von Deiner Schönheit und den rhythmischen Melodien Deiner Flöte betört wird? Innerhalb der drei Welten gibt es in Beziehung zu Dir keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, denn Männer wie Frauen gehören zur mittleren Energie oder prakṛti. In Wirklichkeit ist niemand Genießer oder männlich; vielmehr ist jeder dazu bestimmt, von Dir genossen zu werden. Es gibt keine Frau innerhalb der drei Welten, die es vermeiden könnte, vom Pfad der Keuschheit abzuweichen, wenn sie sich einmal zu Dir hingezogen fühlt, denn Deine Schönheit ist so erhaben, daß nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Kühe, Vögel, Tiere und selbst Bäume, Früchte und Blumen – kurz alles und jedes – bezaubert werden, ganz zu schweigen von uns. Es steht jedoch ebenfalls fest, daß Du, so wie Śrī Viṣṇu stets eingreift, um die Halbgötter vor Angriffen der Dämonen zu schützen, in Vṛndāvana erschienen bist, um die Einwohner vor allen Nöten zu bewahren. O lieber Freund der Leidenden, sei so gütig und lege Deine Hände auf unsere heißen Brüste und auf unsere Köpfe, denn wir haben uns Dir als Deine ewigen Dienerinnen hingegeben. Solltest Du jedoch befürchten, daß Deine lotosgleichen Handflächen zu Asche verbrannt würden, wenn Du sie auf unsere glühenden Brüste legtest, laß uns Dir versichern, daß Deine Handflächen Freude statt Schmerz empfinden werden, ebenso wie die Lotosblumen, obwohl sie sehr zart und sanft sind, die sengende Hitze der Sonne genießen. Als der Höchste Persönliche Gott das sehnsüchtige Bitten der gopīs hörte, lächelte Er, und da Er den gopīs sehr gütig gesinnt war, begann Er, obwohl Er völlig in Sich Selbst zufrieden ist, sie zu umarmen und zu küssen, ganz wie sie es sich wünschten. Als Kṛṣṇa lächelnd die gopīs ansah, vergrößerte sich die Schönheit ihrer Gesichter um ein Hundertfaches, und als Er Sich in ihrer Mitte mit ihnen vergnügte, sah Er aus wie der Vollmond, der von Millionen funkelnder Sterne umringt wird. Somit begann der Höchste Persönliche Gott, umgeben von Hunderten von gopīs und bekränzt mit einer farbenprächtigen Blumengirlande, durch den Wald von Vṛndāvana zu ziehen, wobei Er manchmal allein und manchmal zusammen mit den gopīs sang. Auf diese Weise erreichten der Herr und die gopīs das kühle, sandige Ufer der Yamunā, wo viele Lilien und Lotosblumen standen. In dieser transzendentalen Atmosphäre begannen sich die gopīs und Kṛṣṇa aneinander zu erfreuen. Während sie am Ufer der Yamunā entlangschlenderten, legte Kṛṣṇa zuweilen den Arm um den Kopf, die Brüste oder die Hüfte einer gopī, oder sie kniffen sich, scherzten miteinander und sahen sich in die Augen. Wenn Kṛṣṇa die Körper der gopīs berührte, nahm ihre Lust, Ihn zu umarmen, noch mehr zu. Sie alle genossen diese Spiele. Die gopīs waren vom Höchsten Persönlichen Gott mit aller Barmherzigkeit gesegnet worden, da sie sich Seiner Gemeinschaft ohne eine Spur weltlicher Sexualität erfreuten. Indessen begannen sie sich schon nach kurzer Zeit sehr stolz zu fühlen und hielten sich für die glücklichsten Frauen im Universum, da sie das Glück hatten, mit Kṛṣṇa zusammenzusein. Kṛṣṇa jedoch, der auch als Keśava bekannt ist, erkannte sogleich ihren Stolz, der entstanden war, weil sie die Gelegenheit erhalten hatten, Ihn persönlich zu genießen, und so verschwand Er von dem Schauplatz – in der Absicht, ihnen Seine grundlose Barmherzigkeit zu erweisen und ihnen den falschen Stolz zu nehmen. Damit zeigte Er zugleich Seine transzendentale Fülle der Entsagung. Der Höchste Persönliche Gott birgt stets sechs unermeßliche Füllen in Sich, und bei dieser Begebenheit offenbarte Er Seine Fülle der Entsagung. Diese Entsagung bestätigt Kṛṣṇas völlige Freiheit von aller Anhaftung. Er ist immer in Sich Selbst zufrieden und somit von nichts abhängig. Das ist die Ebene, auf der die transzendentalen Spiele stattfinden. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 29. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Erklärungen zum rāsa-Tanz.« 30. KAPITEL Kṛṣṇā verbirgt Sich vor den gopīs Als Kṛṣṇa plötzlich aus der Mitte der gopīs verschwand, begannen sie sogleich, überall nach Ihm zu suchen, doch als sie Ihn nirgends finden konnten, bekamen sie es mit der Angst zu tun und wurden fast verrückt nach Ihm. In ihrer Verzweiflung konnten sie nur noch voller Liebe und Zuneigung an Ihn denken, und da sie völlig in Gedanken an Ihn versunken waren, vergaßen sie alles andere. Sie erinnerten sich mit tränenfeuchten Augen an Kṛṣṇas transzendentale Spiele, an Seine wunderbaren Gespräche mit ihnen, Seine Umarmungen, Seine Küsse und so vieles mehr. Und weil sie sich so sehr zu Ihm hingezogen fühlten, begannen sie, Seine Art zu tanzen, Seine Art zu gehen und Sein Lächeln nachzuahmen, als seien sie selbst Kṛṣṇa. Kṛṣṇas Abwesenheit machte sie alle verrückt; jede begann den anderen zu erzählen, sie selbst sei Kṛṣṇa. Schließlich versammelten sie sich alle und chanteten laut Kṛṣṇas Namen, und dann begannen sie, den ganzen Wald nach Ihm abzusuchen. Kṛṣṇa ist alldurchdringend: Er ist im Himmel, und Er ist im Wald; Er ist im Herzen eines jeden Lebewesens, und Er ist immer überall. Die gopīs begannen daher, selbst die Bäume und Pflanzen nach Kṛṣṇa zu fragen. Es gab verschiedene Arten von großen Bäumen und kleinen Pflanzen im Wald, und die gopīs begannen mit ihnen zu sprechen. »Lieber Banyanbaum«, sagten sie, »hast du den Sohn Nanda Mahārājas gesehen? Ist er hier vorbeigekommen, lachend und auf Seiner Flöte spielend? Er hat unsere Herzen gestohlen und ist dann einfach davongelaufen. Falls du Ihn gesehen hast, sag uns bitte, wohin Er gegangen ist. Lieber aśoka-Baum, lieber nāga-Blütenbaum und lieber campaka-Baum, habt ihr den jüngeren Bruder Balarāmas hier vorbeilaufen sehen? Er verließ uns, weil wir so eingebildet waren.« Die gopīs wußten sehr wohl, warum Kṛṣṇa so plötzlich verschwunden war; als sie sich nämlich mit Kṛṣṇa vergnügt hatten, hielten sie sich für die glücklichsten Frauen im Universum, und weil sie darauf sehr stolz waren, verschwand Kṛṣṇa aus ihrer Mitte, um sie von ihrem Stolz zu befreien. Kṛṣṇa mag es nicht, wenn Seine Geweihten auf ihren Dienst für Ihn stolz werden. Er nimmt jedermanns Dienst entgegen, aber Er liebt es nicht, wenn jemand sich etwas Besseres dünkt als der andere. Wenn solche Gefühle trotzdem einmal entstehen, beseitigt Kṛṣṇa sie, indem Er Seine Haltung gegenüber dem Gottgeweihten ändert. Die gopīs wandten sich daraufhin an die tulasī-Pflanzen: »Liebe tulasī, du wirst von Kṛṣṇa sehr geliebt, denn deine Blätter bedecken stets Seine Lotosfüße. Liebe mālatī-Blume, liebe mallikā-Blume, lieber Jasminstrauch, ihr alle müßt von Kṛṣṇa berührt worden sein, als Er hier vorbeikam, nachdem Er uns transzendentale Freude bereitet hatte. Habt ihr Mādhava nicht gesehen? O Mangobäume, o Brotfruchtbäume, o Birnbäume und asana-Bäume! O Brombeersträucher, bael-Bäume und kadamba-Blüten, ihr alle seid sehr fromm, da ihr am Ufer der Yamunā leben dürft. Kṛṣṇa muß hier vorbeigekommen sein. Würdet ihr uns gütigerweise verraten, wohin Er gegangen ist?« Alsdann begannen sie den Boden nach Kṛṣṇas Fußspuren abzusuchen, und sagten dabei zur Erde: »Lieber Erdenplanet, wir wissen nicht, wie viele Opfer und Bußen du auf dich nehmen mußtest, daß du nun mit den Fußabdrücken Kṛṣṇas auf dem Rücken leben darfst. Du mußt sehr vergnügt sein, denn die Haare auf deinem Körper sind all die jubilierenden Bäume und Pflanzen hier. Śrī Kṛṣṇa muß mit dir sehr zufrieden sein; wie sonst hätte Er dich in Seiner Form als Varāha, der Eber, umarmen können? Als du in den Garbhodaka-Ozean getaucht warst, hob Er dich, schwer wie Du bist, mit Seinen Hauern aus dem Wasser und setzte dich an deinen alten Platz zurück.« Nachdem die gopīs die zahllosen Bäume und Pflanzen gefragt hatten, wandten sie sich den Rehen zu, die sie verwundert ansahen: »Es scheint«, sagten die gopīs, »daß Kṛṣṇa, welcher der Höchste Nārāyaṇa Selbst ist, mit Seiner Gefährtin Lakṣmī, der Glücksgöttin, hier vorbeigekommen ist. Wie sonst ist es möglich, daß der Wind, der hier weht, den Duft Seiner Girlande mit sich trägt, die vom kuṅkuma auf Lakṣmīs Busen rötlich gefärbt ist? Es scheint, daß die beiden hier hergegangen sind und euch berührt haben, und daß ihr euch deshalb so wohl fühlt und uns mit solcher Zuneigung betrachtet. Würdet ihr uns deshalb bitte sagen, in welche Richtung Kṛṣṇa gegangen ist? Kṛṣṇa ist der Freund und Beschützer von Vṛndāvana. Er ist euch ebenso zugetan wie uns; also muß Er, nachdem Er uns verlassen hat, mit euch zusammen gewesen sein. O ihr glücklichen Bäume, wir denken ständig an Kṛṣṇa, den jüngeren Bruder Balarāmas. Als Er hier vorbeikam, die eine Hand auf der Schulter der Glücksgöttin und in der anderen spielerisch eine Lotosblume drehend, muß Er sehr erfreut gewesen sein, eure Ehrerbietungen entgegenzunehmen, und Er wird euch gewiß mit großer Freude angeschaut haben. Einige der gopīs wandten sich an ihre Gefährtinnen und sagten: »Liebe Freundinnen, warum fragt ihr nicht die Schlingpflanzen, die die großen Bäume so jubelnd umfangen, als seien sie ihre Ehemänner? Es scheint, daß die Blüten der Schlingpflanzen von Kṛṣṇas Fingernägeln berührt wurden; wie sonst könnten sie so fröhlich sein?« Nachdem die gopīs hier und dort nach Kṛṣṇa gesucht hatten und ganz erschöpft waren, begannen sie wie Verrückte zu reden. Sie konnten sich nur dadurch Erleichterung verschaffen, daß sie die verschiedenen Spiele Kṛṣṇas nachahmten, und so tat z. B. eine von ihnen, als sei sie die Hexe Pūtanā, während eine andere Kṛṣṇa imitierte und an ihrer Brust saugte. Zwei andere gopīs spielten, wie Kṛṣṇa den Dämonen Śakaṭāsura tötete, als Er einen Handkarren durch das Strampeln Seiner kleinen Lotosfüße zerstörte. Hierzu legte sich eine der gopīs unter eine andere, die den Karren darstellte, und stieß ihre Beine in die Luft, wobei sie gegen die »Räder« des »Karrens« trat. Wieder zwei andere spielten, wie der kleine Kṛṣṇa von Tṛṇāvarta gewaltsam in die Lüfte entführt wurde, und eine gopī ahmte Kṛṣṇas erste Gehversuche nach, bei denen Seine Hand- und Fußglöckchen lieblich klingelten. Zwei gopīs imitierten Kṛṣṇa und Balarāma, während die anderen Ihre Hirtenfreunde spielten. Eine gopī tat so, als sei sie der Dämon Bakāsura, und eine, andere zwang sie, zu Boden zu fallen, wie Bakāsura, als Er getötet wurde. In ähnlicher Weise tat eine andere gopī, als besiege sie Vatsāsura. Kṛṣṇa pflegte Seine Kühe bei ihren jeweiligen Namen zu rufen, und die gopīs machten Ihn auch darin nach und riefen die Kühe bei ihren Namen. Eine der gopīs begann auf einer Flöte zu spielen, worauf eine andere sie ebenso lobte, wie die Freunde Kṛṣṇa zu loben pflegten, wenn Er auf Seiner Flöte spielte. Wieder eine andere gopī nahm ihre Freundin auf die Schulter, wie Kṛṣṇa es mit Seinen Spielkameraden des öfteren getan hatte; dabei war sie so sehr in Gedanken an den Herrn vertieft, daß sie sich einbildete, selbst Kṛṣṇa zu sein, und rief: »He, ihr Mädchen, achtet einmal auf meine Bewegungen!« Eine der gopīs hielt sich mit einer Hand den oberen Teil ihres saris über den Kopf und verkündete den anderen: »Fürchtet euch nicht vor Regengüssen und tosenden Wirbelstürmen. Ich werde euch retten!« Auf diese Weise wollte sie das Hochheben des Govardhana-Hügels nachahmen. Wieder eine andere setzte ihren Fuß mit Gewalt auf den Kopf einer Gefährtin und rief: »Du Halunke, Kāliya! Ich werde dich hart bestrafen. Verlasse diesen Ort auf der Stelle. Ich bin auf die Erde gekommen, um alle Schurken zu strafen!« Eine andere gopī rief ihren Gefährtinnen zu: »Seht nur! Die Flammen des Waldbrandes kommen direkt auf uns zu, um uns zu verschlingen. Schließt nur die Augen! Ich werde euch vor der drohenden Gefahr bewahren.« Das Gebaren der gopīs zeigt, wie sehr sie unter der Trennung von Kṛṣṇa litten. Sie fragten selbst die Bäume und Pflanzen nach Ihm. An einigen Stellen fanden sie Fußspuren, die nur von Kṛṣṇa stammen konnten, da sie die charakteristischen Zeichen Seiner Fußsohle zeigten, nämlich Flagge, Lotosblume, Dreizack und Blitz. Als sie die Fußabdrücke sahen, riefen sie erstaunt aus: »O seht einmal, hier sind die Abdrücke der Symbole auf Kṛṣṇas Fußsohlen. Alle Zeichen – Flagge, Lotosblume, Dreizack und Blitz – sind ganz deutlich zu sehen.« Sie begannen, den Fußspuren zu folgen, als sie plötzlich ein weiteres Paar Fußabdrücke bemerkten. Das stimmte sie sogleich traurig, und so sagte eine der gopīs: »Seht nur, liebe Freundinnen! Wem gehören diese anderen Fußabdrücke? Sie befinden sich direkt neben den Fußspuren des Sohnes von Nanda Mahārāja. Gewiß ist Kṛṣṇa hier mit einer anderen gopī entlanggegangen, genau wie ein Elefant an der Seite seines geliebten Weibchens geht, und hat dabei Seine Hand auf Ihre Schulter gelegt. Wir können daraus schließen, daß diese gopīs Kṛṣṇa mit größerer Liebe diente als wir. Aus diesem Grunde konnte Er Sich nicht von Ihr trennen, obwohl Er uns allein ließ, und führte sie mit Sich fort. Liebe Freundinnen, stellt euch nur einmal vor, wie herrlich transzendental der Staub an diesem Platz ist. Der Staub von den Lotosfüßen Kṛṣṇas wird selbst von Brahmā, Śiva und der Glücksgöttin Lakṣmī verehrt. Doch zugleich sind wir sehr betrübt darüber, daß diese eine gopī mit Kṛṣṇa zusammen sein darf, denn Sie trinkt den Nektar von Kṛṣṇas Küssen und läßt uns hier klagend zurück. O liebe Freundinnen, seht nur! An dieser Stelle sind die Fußabdrücke dieser gopī nicht mehr zu sehen. Es scheint, als habe Kṛṣṇa Rādhārāṇī auf Seine Schultern genommen, weil das trockene Gras Ihren Füßen zu weh tat. Sie ist Ihm so lieb! Und hier wird Kṛṣṇa ein paar Blüten von den Bäumen gepflückt haben, um Rādhārāṇī eine besondere Freude zu bereiten, denn hier ist nur ein halber Fußabdruck zu sehen; Er muß Sich auf die Zehenspitzen gestellt haben, um die Blüten an den höheren Ästen zu erreichen. Und seht nur hier, liebe Freundinnen, an dieser Stelle hat Sich Kṛṣṇa bestimmt mit Rādhārāṇī niedergesetzt und versucht, Ihr Blumen ins Haar zu stecken. Ihr könnt sicher sein, daß die beiden hier saßen. Kṛṣṇa ist in Sich Selbst vollkommen; Er ist nicht auf jemand anderes angewiesen, wenn Er Sich vergnügen will, aber weil Er Rādhārāṇī, Seine Geweihte, erfreuen wollte, war Er zu Ihr wie ein ausgelassener junger Bursche zu seinem Mädchen ist. Dabei ist Kṛṣṇa so gütig, daß Er Verdruß, den Ihm Seine Freundinnen bereiten, geduldig hinnimmt.« Mit diesen Worten begannen die gopīs, auf die Fehler der bestimmten gopī hinzuweisen, die von Kṛṣṇa allein fortgeführt worden war. Sie sagten: »Die Haupt-gopī, Rādhārāṇī, die Kṛṣṇa allein mit Sich nahm, muß auf Ihre Stellung sehr stolz sein und Sich für die Größte der gopīs halten. Andererseits muß Sie jedoch tatsächlich außergewöhnlich schön sein und besondere Eigenschaften besitzen, denn wie sonst hätte Kṛṣṇa Sie allein mit Sich nehmen und uns einfach zurücklassen können. Sie wird Kṛṣṇa in den tiefen Wald geführt haben und zu Ihm gesagt haben: ›Mein lieber Kṛṣṇa, Ich bin sehr müde. Ich kann nicht weiterlaufen. Bitte trage Mich, wohin Du willst.‹ Als Sie so zu Kṛṣṇa sprach, wird Er wohl erwidert haben: ›Gut, komm nur her auf Meine Schulter.‹ Doch im gleichen Augenblick wird Er verschwunden sein, und nun wird Rādhārāṇī um Ihn klagen: ›Mein Geliebter, Mein Liebster, Du bist so schön und so mächtig. Wo bist Du nur hingegangen? Ich bin nichts weiter als Deine gehorsamste Dienerin. Ich bin so bekümmert, bitte komm wieder zu Mir zurück!‹ Kṛṣṇa aber wird Ihren Wunsch nicht erfüllt haben. Er wird Sie sicherlich aus einiger Entfernung beobachten und an Ihrem Kummer Sein Vergnügen haben.« Die gopīs liefen auf ihrer Suche nach Kṛṣṇa immer tiefer in den Wald hinein, doch als ihnen Fußspuren bestätigten, daß Kṛṣṇa Rādhārāṇī tatsächlich allein gelassen hatte, tat Sie ihnen sehr leid. Das ist das Zeichen für ihr Kṛṣṇa-Bewußtsein. Zu Beginn waren sie ein wenig neidisch gewesen, weil Kṛṣṇa Rādhārāṇī allein mit Sich genommen und sie, die anderen gopīs, allein gelassen hatte. Doch sobald sie erkannten, daß Kṛṣṇa auch Rādhārāṇī verlassen hatte, und daß Sie nun irgendwo allein saß und nach Ihm weinte, empfanden sie Mitleid mit Ihr. Die gopīs fanden Rādhārāṇī schließlich, die ihnen erzählte, was geschehen war: wie Sie Sich Kṛṣṇa gegenüber falsch betragen hatte und stolz geworden war, und wie Sie für Ihren Stolz bestraft wurde. Als die gopīs Ihre Worte hörten, wurde ihr Mitgefühl für Rādhārāṇī noch größer. Alsdann gingen sie alle gemeinsam weiter, bis sie das Licht des Mondes nicht mehr sehen konnten. Als sie bemerkten, daß es immer finsterer wurde, blieben sie stehen. Ihr Gemüt und ihr Verstand gaben sich immer stärker den Gedanken an Kṛṣṇa hin, und so begannen sie noch einmal Seine Taten und Seine Worte nachzuahmen. Sie hatten sich Kṛṣṇa mit Herz und Seele hingegeben und so chanteten sie nun von seinem Ruhm, ihre Familie völlig vergessend. Alle gopīs versammelten sich am Ufer der Yamunā, und in der Erwartung, daß Kṛṣṇa zu ihnen zurückkehren würde, chanteten sie Ihm zum Ruhm: »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 30. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa verbirgt Sich vor den gopīs«. 31. KAPITEL Die Lieder der gopīs Eine gopī sagte: »Lieber Kṛṣṇa, seitdem Du im Land von Vrajabhūmi erschienen bist, scheint alles so herrlich geworden zu sein. Das ganze Land scheint durch Deine Anwesenheit geheiligt, und man könnte meinen, die Glücksgöttin sei hier ständig persönlich anwesend. Wir sind die einzigen, die unglücklich sind, denn alle unsere Versuche, Dich zu finden, blieben erfolglos. Unser Leben ist ganz von Dir abhängig, und deshalb bitten wir Dich, wieder zu uns zurückzukommen.« Eine andere gopī sagte: »Lieber Kṛṣṇa, Du bist sogar das Leben und die Seele der Lotosblumen, die auf den Seen blühen, deren Wasser durch die Regenfälle des Herbstes kristallklar geworden ist. Ohne Deinen Blick müßten die jetzt so farbenprächtigen Lotosblumen verwelken, und auch wir können ohne Dich nicht leben. Wir sind zwar weder Deine Frauen noch Deine Sklavinnen, und Du gibst daher auch niemals Geld für uns aus, doch zieht uns Dein Blick so sehr an, daß wir Dir hilflos ausgeliefert sind. Wenn wir nun sterben, weil wir Dich nicht mehr sehen, bist Du schuld an unserem Tod. Frauen zu töten ist eine schwere Sünde, und wenn Du nicht zu uns zurückkommst, und wir deshalb sterben müssen, wirst Du die Folgen zu tragen haben. Glaube ja nicht, man könne nur durch bestimmte Waffen getötet werden. – Wir sterben auch durch Deine Abwesenheit. Bedenke dies bitte. Wir sind Dir trotz allem für immer zu Dank verpflichtet, denn Du hast uns oft vor großem Unheil bewahrt – vor dem giftigen Wasser der Yamunā, vor der Schlange Kalīya, vor Bakāsura, vor dem Zorn Indras und seinen verheerenden Regenstürmen, vor dem Waldbrand und vor so vielen anderen Gefahren. Du bist der Größte und Mächtigste von allen Lebewesen. Es ist einfach wunderbar, daß Du uns vor so vielen Gefahren beschützt hast; deshalb überrascht es uns um so mehr, daß Du uns in dieser Stunde von Dir weist. Lieber Kṛṣṇa, lieber Freund, wir wissen sehr wohl, daß Du im Grunde nicht der Sohn von Mutter Yaśodā und Nanda Mahārāja bist. Du bist der Höchste Persönliche Gott, die Überseele in allen Lebewesen. Aus Deiner grundlosen Barmherzigkeit bist Du auf die Erde herabgekommen, weil Brahmā Dich bat, die Welt zu retten. Nur aus Deiner Güte bist Du in der Yadu-Dynastie erschienen. O Bester der Yadus, wenn jemand der materialistischen Lebensweise entflieht und Zuflucht sucht bei Deinen Lotosfüßen, weigerst Du Dich niemals, ihn zu beschützen. Du besitzt alle außergewöhnlichen Merkmale: Deine Bewegungen sind überaus anmutig; Du bist ganz und gar unabhängig, und mit der einen Hand streichelst Du die Glücksgöttin, während Du in der anderen eine Lotosblume hältst. Bitte erfreue uns mit Deiner Gegenwart, und segne uns mit der Lotosblume in der Hand. Lieber Kṛṣṇa, Du nimmst den Einwohnern von Vṛndāvana alle Ängste; Du bist der mächtigste Held, und wir wissen, daß Du durch Dein wunderschönes Lächeln allen unnötigen Stolz Deiner Geweihten und auch unseren Hochmut vertreiben kannst. Wir sind Deine ewigen Dienerinnen und Sklavinnen. Bitte sei barmherzig und zeige uns Dein lotosgleiches Antlitz. Lieber Kṛṣṇa, wir müssen Dir gestehen, daß wir voller Lebenslust sind, seitdem Du uns mit Deinen Lotosfüßen berührt hast. Wer bei Deinen Lotosfüßen Schutz sucht, wird vor allen Sünden bewahrt, und Du bist so gütig, daß Du selbst den Tieren Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen gewährst. Obwohl Deine Lotosfüße der Aufenthaltsort der Glücksgöttinnen ist, hast Du auf Kāliyas Köpfen getanzt. Nun bitten wir Dich, unsere Brust gütigerweise mit Deinen Lotosfüßen zu berühren und somit unser Verlangen nach Deiner Berührung zu stillen. O Herr, der Anblick Deiner Lotosaugen ist überaus wohltuend, und Deine süßen Worte sind so faszinierend, daß selbst die größten Gelehrten sich an ihnen erfreuen und von großer Zuneigung zu Dir erfüllt werden. Auch wir sind von Deinen Worten und von der Schönheit Deines Antlitzes und Deiner Augen bezaubert. Bitte stille unser Verlangen durch Deine nektargleichen Küsse. Lieber Herr, Worte, die von Dir gesprochen werden, und auch Worte, die Dich beschreiben, sind voller Nektar, und jeder, der einfach Deine Worte wiederholt oder sie nur hört, kann aus dem lodernden Feuer des materiellen Daseins gerettet werden. Große Halbgötter wie Brahmā und Śiva chanten ständig von Deinem Ruhm, um so die Sünden aller Lebewesen in der materiellen Welt auszulöschen. Bereits der Versuch, Deinen transzendentalen Worten zu lauschen, kann einen fromm und rechtschaffen machen. Den Vaiṣṇavas bereiten Deine Worte transzendentale Freude, und die Heiligen, die Deine transzendentalen Botschaften überall auf der Welt verbreiten, sind die größten Wohltäter.« [* Dies wurde von Śrīla Rūpa Gosvāmī bestätigt, der Śrī Kṛṣṇa Caitanya als die großmütigste Inkarnation bezeichnete; denn der Herr verteilte die Worte Kṛṣṇas und Liebe zu Kṛṣṇa, ohne ein Entgelt zu erwarten.*] »Lieber Kṛṣṇa«, fuhren die gopīs fort, »Du ahnst nicht, wie bekümmert wir sind, wenn wir uns an Dein verschmitztes Lächeln, Deinen wohltuenden Blick, Deine Spaziergänge mit uns im Wald von Vṛndāvana und die Äußerungen Deiner glückverheißenden Gedanken erinnern. Und wenn wir daran denken, wie wir uns oftmals mit Dir an einsamen Orten trafen und wie Deine vertraulichen Worte unsere Herzen erwärmten, überkommt uns Wehmut. Bitte rette uns. Lieber Kṛṣṇa, sicherlich weißt Du, wie traurig wir sind, wenn Du das Dorf von Vṛndāvana verläßt, um die Kühe im Wald zu hüten, und wie sehr wir von dem Gedanken gequält werden, daß Deine sanften Lotosfüße von trockenen Halmen und spitzen Steinen gestochen werden könnten. Wir hängen so sehr an Dir, daß wir ständig an Deine Lotosfüße denken. O Kṛṣṇa, wenn Du mit den Kühen von den Weidegründen zurückkehrst, ist Dein von Locken umrahmtes Gesicht von dem Staub bedeckt, den die Hufe der Kühe aufwirbelten. Jedesmal, wenn wir Dein sanftes Lächeln sehen, vergrößert sich unser Verlangen, uns mit Dir zu erfreuen. O lieber Kṛṣṇa, Du bist der Höchste Geliebte, und stets gewährst Du den Dir hingegebenen Seelen Zuflucht. Du erfüllst die Verlangen aller Lebewesen, und Deine Lotosfüße werden sogar von Brahmā, dem Schöpfer des Universums, verehrt. Jedem, der Deine Lotosfüße verehrt, erteilst Du bereitwillig Deinen Segen. Sei also bitte so gnädig, Deine Lotosfüße auf unsere Brüste zu setzen, und erlöse uns dadurch von unseren Leiden. Lieber Kṛṣṇa, wir sehnen uns nach Deinen Küssen, die Du sogar Deiner Flöte gewährst. Der Klang Deiner Flöte bezaubert die ganze Schöpfung und auch unsere Herzen. Kehre deshalb bitte schnell zurück, und küsse uns mit Deinem Nektarmund.« Als Kṛṣṇa schließlich erschien und die gopīs sich um Ihn sammelten, sah Er schöner aus als je zuvor – gerade wie einer, der alle transzendentalen Füllen in sich birgt. In der Brahma-saṁhitā heißt es: ānanda-cin-maya-rasa-pratibhāvitābhiḥ: Kṛṣṇa allein ist nicht außergewöhnlich schön, doch wenn Er Seine Energie – insbesondere Seine Freuden-Energie, die von Rādhārāṇī repräsentiert wird – erweitert, sieht Er unvergleichlich schön aus. Die Māyāvāda-Vorstellung, die Absolute Wahrheit besitze keine Energie, zeugt von unzureichendem Wissen. Ohne die Entfaltung unzähliger Kräfte und Energien wäre die Absolute Wahrheit unvollkommen. Ānanda-cin-maya-rasa bedeutet, daß Sein Körper von ewiger Glückseligkeit und ewigem Wissen ist. Kṛṣṇa ist stets von mannigfachen Energien umgeben, und deshalb ist Er wirklich vollkommen und unsagbar schön. Aus der Brahma-saṁhitā und aus dem Skanda Purāṇa erfahren wir, daß Kṛṣṇa ständig von Tausenden von Glücksgöttinnen umringt wird, und daß Er mit den gopīs, die alle Glücksgöttinnen sind, Hand in Hand am Ufer der Yamunā spazierengeht. Im Skanda Purāṇa wird auch gesagt, daß von den Hunderttausenden von gopīs 16108 führend sind. Von diesen 16108 ragen 108 ganz besonders hervor, und von diesen 108 gopīs werden acht von Kṛṣṇa ganz besonders bevorzugt. Von diesen acht gopīs sind Rādhārāṇī und Candrāvalī die vortrefflichsten, und von diesen beiden ist wiederum Rādhārāṇī die beste. Als Kṛṣṇa den Wald am Ufer der Yamunā betrat, vertrieb das Mondlicht die Dunkelheit der Nacht. Der süße Duft der kunda- und kadamba-Blumen, die überall blühten, wurde von einer milden Brise durch den ganzen Wald getragen, so daß selbst die Bienen wieder hervorkamen und summend in der Brise mitflogen, da sie den starken Duft für flüssigen Nektar hielten. Die gopīs stellten einen Sitz für Kṛṣṇa her, indem sie den weichen Sand am Ufer der Yamunā zu einem kleinen Hügel anhäuften und ihre Kleider darüberlegten. Die meisten von ihnen waren in einem ihrer früheren Leben, während Śrī Rāmacandras Erscheinen, vedische Gelehrte gewesen, die sich gewünscht hatten, mit Rāmacandra in inniger Liebe vereint zu sein. Rāmacandra hatte ihnen die Segnung erteilt, zusammen mit Śrī Kṛṣṇa zu erscheinen, der ihre Verlangen erfüllen würde. Als Kṛṣṇa dann erschien, wurden auch diese Gelehrten in Vṛndāvana geboren und erhielten als gopīs die Gelegenheit, persönlich mit Ihm zusammenzusein. So ging ihr Wunsch in Erfüllung, und sie erreichten das höchste Ziel und hegten keine weiteren Verlangen mehr; so glücklich waren sie. In der Bhagavad-gītā heißt es dazu: »Wenn jemand den Höchsten Persönlichen Gott erreicht; wird er frei von allen weiteren Verlangen.« Als die gopīs wieder mit Kṛṣṇa zusammenwaren, verflogen ihr Kummer und ihr Klagen sofort. Sie waren selig, wieder mit Kṛṣṇa zusammenzusein, und breiteten ihre Kleider auf dem Boden aus, damit Er Sich setzen konnte. Ihre Kleider waren aus feinstem Leinen gewebt und an einigen Stellen rot gefärbt vom kuṅkuma-Puder, mit dem ihre Brüste betupft waren. Kṛṣṇa war ihr Leben und ihre Seele, und so bereiteten sie Ihm einen bequemen Sitz. Als Er dann in ihrer Mitte saß, vergrößerte sich Seine Schönheit um ein Vielfaches. Große yogīs wie Brahmā, Śiva und sogar Śrī Śeṣa bemühen sich ständig, ihren Geist auf Kṛṣṇa in ihrem Herzen zu richten; die gopīs aber sahen Ihn nachdenklich vor sich sitzen. Umringt von all den gopīs sah Kṛṣṇa unbeschreiblich schön aus. Sie waren die schönsten Mädchen im ganzen Universum, und sie alle waren nur gekommen, um mit Kṛṣṇa zusammenzusein. In Seiner Güte setzte Sich Kṛṣṇa neben jede einzelne gopī und blieb zugleich allein in ihrer Mitte sitzen. Man mag sich fragen, wie dies möglich ist; die Antwort lautet: Kṛṣṇa ist als īśvara bekannt. Īśvara bezeichnet den Höchsten Herrn, der Sich als Paramātmā, als Überseele, in das Herz eines jeden Lebewesens erweitert. Auch in der Gemeinschaft der gopīs manifestierte Kṛṣṇa diese Macht, Sich zu erweitern, doch war Er so gütig, Sich direkt neben jede einzelne gopī zu setzen, ohne daß die anderen gopīs Ihn sahen, statt in ihren Herzen zu bleiben, wo Er nur durch yoga-Meditation wahrgenommen werden kann. Indem Er Sich ihnen von außen zeigte und Sich neben sie setzte, erwies Er ihnen, die sie die auserwähltesten Schönheiten der ganzen Schöpfung waren, Seine besondere Gunst. Und in Erwiderung begannen die gopīs, die glücklich waren, ihren Geliebten wieder bei sich zu haben, Ihn zu erfreuen, indem sie ihre Augenbrauen hin- und herbewegten, Ihm liebevoll zulächelten und ihren Unmut über Seine lange Abwesenheit unterdrückten. Einige nahmen auch Seine Lotosfüße auf ihren Schoß und massierten sie, und während sie Ihn anlächelten, begannen sie vorsichtig, ihren unterdrückten Ärger anzudeuten; sie sagten: »Lieber Kṛṣṇa, wir sind einfache Hirtenmädchen; wir verstehen nicht viel vom vedischen Wissen, und daher können wir auch nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden. Wir möchten Dir deshalb eine Frage stellen; Du bist sehr gelehrt und kannst uns sicherlich die richtige Antwort geben. Es gibt drei Arten von Liebenden: Die einen erwidern Liebe nur in dem Maße, wie sie Liebe empfangen; die anderen bringen dem Partner stets viel Zuneigung entgegen, auch wenn er einmal eigensinnig ist, und die dritten sind weder zurückweisend noch erwidern sie die Gefühle ihres Partners mit viel Liebe. Welche dieser drei Arten ziehst Du vor, oder welche würdest Du als hochherzig bezeichnen?« »Meine lieben Freundinnen«, entgegnete Kṛṣṇa, »wer die Liebe des anderen lediglich erwidert, gleicht einem Händler. Er gibt nur soviel, wie er erhält. Im Grunde kann bei dieser Art der Beziehung von Liebe keine Rede sein. Es ist ein Geschäft, bei dem das eigene Selbstinteresse im Vordergrund steht. Weitaus besser sind diejenigen, die den Partner trotz seiner Widerspenstigkeit lieben; selbst diejenigen, die gar keine Liebe empfinden, sind besser als solche, die aus der Liebe ein Geschäft machen. Aufrichtige Liebe findet man z. B. bei Eltern, die ihre Kinder lieben, obwohl sie von ihnen abweisend behandelt werden. Zur dritten Gruppe gehören jene, die weder mit Liebe erwidern noch abweisend sind. Sie sind wiederum nach zwei Kategorien zu unterscheiden. Die einen sind in sich selbst zufrieden und daher auf die Liebe anderer nicht angewiesen. Sie werden ātmārāma genannt, was bedeutet, daß sie ständig in Gedanken an den Höchsten Persönlichen Gott versunken sind, so daß es ihnen gleichgültig ist, ob man sie liebt oder nicht. Die anderen sind die Undankbaren oder Gefühllosen. Ein Sohn z. B. ist, obwohl seine Eltern alles für ihn tun, manchmal undankbar und gefühllos und erwidert ihre Liebe nicht. Menschen dieser Art werden auch gurudruha genannt, was bedeutet, daß sie den geistigen Meister oder ihre Eltern trotz allem, was diese für sie tun, mißachten.« Kṛṣṇa beantwortete damit indirekt die eigentliche Frage der gopīs, die andeuten wollten, daß Er ihre Liebe nicht in rechter Weise erwidere. Er gab ihnen durch Seine Antworten zu verstehen, daß Er als der Höchste Persönliche Gott in Sich Selbst zufrieden ist. Er benötigt niemandes Liebe, und demnach ist Er niemals undankbar zu nennen. »Meine lieben Freundinnen«, fuhr Kṛṣṇa fort, »Meine Worte und Mein Verhalten mögen euch betrübt haben, doch wisset, daß Ich zuweilen die Liebe Meiner Geweihten nicht sogleich erwidere. Sie mögen sich sehr zu Mir hingezogen fühlen und alles für Mich tun, doch manchmal erwidere Ich ihre Empfindungen nicht in angemessener Weise, um ihre Liebe zu Mir noch mehr anwachsen zu lassen. Könnten sie sich Mir ohne weiteres nähern, würden sie vielleicht denken, ›Kṛṣṇa ist ja leicht zu haben‹, und so gehe ich zuweilen auf ihr liebevolles Werben nicht ein. Wenn ein Mensch, der kein Geld besitzt, plötzlich zu Reichtum kommt, ihn jedoch kurz darauf wieder verliert, wird er vierundzwanzig Stunden am Tag an nichts anderes mehr denken können, als an seinen verlorenen Besitz. Und so scheine Ich manchmal für Meine Geweihten verloren zu sein, nur um ihre Liebe für Mich zu steigern, und statt Mich zu vergessen, fühlen sie, wie ihre Zuneigung für Mich mehr und mehr wächst. Meine lieben Freundinnen, denkt niemals, Ich hätte euch wie gewöhnliche Gottgeweihte behandelt. Ich weiß sehr wohl um eure unvergleichliche Hingabe an Mich. Ihr habt alle gesellschaftlichen und religiösen Verpflichtungen aufgegeben, habt eure Eltern einfach verlassen, seid zu Mir gekommen und einfach liebevoll zu Mir gewesen, ohne euch um irgendwelche Gebote oder Verbote zu kümmern. Ich fühle Mich euch so zu Dank verpflichtet, daß ich euch niemals wie gewöhnliche Gottgeweihte behandeln könnte. Denkt also bitte nicht, Ich sei euch jemals fern gewesen. Ich war immer in eurer Nähe. Ich habe beobachtet, wie sehr ihr euch in Meiner Abwesenheit nach Mir gesehnt habt. Versucht also bitte nicht, Fehler in Mir zu finden. Und wenn Ich irgend etwas falsch gemacht habe, so verzeiht Mir bitte. Ich weiß, daß Ich euch eure unaufhörliche Liebe zu Mir niemals werde vergelten können – selbst dann nicht, wenn Ich solange hier leben würde, wie die Halbgötter auf den himmlischen Planeten. Es ist Mir nicht möglich, eure Liebe zu belohnen oder euch Meine Dankbarkeit zu zeigen; seid daher bitte mit eurer eigenen Hingabe zufrieden. Eure Zuneigung zu Mir ist beispielhaft. Die größten Schwierigkeiten, wie eure Verpflichtungen gegenüber euren Familien, habt ihr überwunden. Bitte seid daher mit eurem großartigen und beispiellosen Charakter zufrieden, denn Ich sehe Mich außerstande, euch Meine Schuld wiederzuerstatten.« Die Gottgeweihten von Vṛndāvana gaben in ihrem Dienst für Kṛṣṇa das beste Beispiel für reinste Hingabe. In den śāstras wird bestätigt, daß wirkliches hingebungsvolles Dienen ahaituka und apratihata ist, d. h., daß der Dienst für Kṛṣṇa durch keine politischen oder religiösen Gebote und Verbote aufgehalten werden kann. Die dienende Hingabe der gopīs war besonders rein und transzendental, so sehr, daß selbst Kṛṣṇa in ihrer Schuld blieb. Śrī Caitanya erklärte daher, das hingebungsvolle Dienen der gopīs in Vṛndāvana übertreffe alle anderen Methoden der Gottesvergegenwärtigung. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 31. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Lieder der gopīs.« 32. KAPITEL Der rāsa-Tanz Als die gopīs die besänftigenden Worte Kṛṣṇas, des Höchsten Persönlichen Gottes, vernahmen, schmolzen ihre Herzen vor Freude. Und als sie dann die Hände und Füße des Höchsten Persönlichen Gottes berührten, verflog ihr heftiger Trennungsschmerz vollends. Kurz darauf begann der Höchste Persönliche Gott Seinen rāsa-Tanz. Wenn ein Junge mit vielen Mädchen tanzt, nennt man dies rāsa-Tanz. Kṛṣṇa begann also, umgeben von den schönsten und glücklichsten Mädchen der drei Welten, zu tanzen. Die gopīs von Vṛndāvana, die sich so sehr zu Ihm hingezogen fühlten, tanzten mit Kṛṣṇa, Hand in Hand. Kṛṣṇas rāsa-Tanz sollte niemals mit einem weltlichen Tanz verglichen werden, wie z. B. mit einem der auf Bällen und Gesellschaften üblichen Tänze. Der rāsa-Tanz ist völlig spirituell, und um diese Tatsache zu bestätigen, erweiterte Sich Kṛṣṇa, der höchste Mystiker, so viele Male, wie gopīs anwesend waren. Er stellte Sich neben jedes der Mädchen, legte jeweils zwei gopīs, zur Rechten und zur Linken, Seine Hände auf die Schultern und begann mit ihnen zu tanzen, wobei jede gopī dachte, Kṛṣṇa tanze nur mit ihr allein, da sie Seine mystischen Erweiterungen, die mit den anderen tanzten, nicht wahrnehmen konnte. Die Bewohner des Himmels waren von Kṛṣṇas Tanz mit den gopīs sehr angezogen, und so versammelten sie sich in ihren Himmelsfahrzeugen über dem Schauplatz, um Kṛṣṇa bei Seinem wunderbaren rāsa-Tanz zuzuschauen. Die Gandharvas und Kinnaras begannen zu singen, und zusammen mit ihren Frauen schütteten die Gandharvas Blumen über die tanzenden Paare. Als die gopīs und Kṛṣṇa miteinander tanzten, ertönte ein glückseliges Klingen von ihren Glöckchen, Schmuckstücken und Armreifen. Kṛṣṇa glich einem bläulichen Saphir, eingefaßt in eine goldene, mit kostbaren Edelsteinen besetzte Halskette, und während Er und die gopīs tanzten, entfalteten sie außergewöhnliche körperliche Symptome, die sich in den Bewegungen ihrer Beine ausdrückten, der Art und Weise, wie sie die Hände aufeinanderlegten, den Bewegungen ihrer Augenbrauen, ihrem Lächeln, den Bewegungen der Brüste der gopīs, ihren Gewändern, ihren Ohrringen, ihren Wangen und ihrem Haar, in welchem wundervolle Blumen steckten. Als sie so gemeinsam sangen und tanzten, glichen sie Wolken, aus denen es gleichzeitig blitzte, donnerte und schneite. Kṛṣṇas Aussehen glich dem einer Gruppe von Wolken; die Schönheit der gopīs glich Blitzen am Himmel; ihre Lieder waren wie Donner, und die Schweißperlen auf ihren Gesichtern erinnerten an fallenden Schnee. So waren die gopīs wie auch Kṛṣṇa ganz in den Tanz vertieft. Als das Verlangen der gopīs nach Kṛṣṇa immer größer wurde, überzog ein Hauch von Rot ihre Hälse, und um sie zu erfreuen, begleitete Kṛṣṇa ihr Singen mit rhythmischem Händeklatschen. Im Grunde ist die ganze Welt erfüllt von Kṛṣṇas Gesang, nur nehmen dies die verschiedenen Lebewesen in unterschiedlichem Maße wahr. In der Bhagavad-gītā heißt es dazu: ye yathā māṁ prapadyante. Kṛṣṇa tanzt – und auch die Lebewesen tanzen –, doch besteht ein großer Unterschied zwischen dem Tanzen in der spirituellen Welt und dem Tanzen in der materiellen Welt. Der Verfasser des Śrī Caitanya-caritāmṛta erklärt, daß Kṛṣṇa der Meistertänzer ist, und daß alle anderen Seine Diener sind. Jeder versucht, Kṛṣṇas Tanzen nachzuahmen. Diejenigen, die Kṛṣṇa-bewußt sind, verhalten sich richtig: Sie versuchen nicht, unabhängig von Kṛṣṇa zu tanzen. Die Lebewesen in der materiellen Welt jedoch versuchen, Kṛṣṇa zu imitieren und selbst der Höchste Persönliche Gott zu sein. Obwohl sie unter der Aufsicht māyās tanzen, glauben sie, Kṛṣṇa ebenbürtig zu sein. Doch dem ist nicht so. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein gibt es diese falsche Auffassung nicht, denn ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch weiß, daß Kṛṣṇa der Höchste Meister und daß jeder Sein Diener ist. Man muß zur Freude Kṛṣṇas tanzen, und nicht, um Ihn zu imitieren oder Ihm ebenbürtig zu werden. Die gopīs wollten Kṛṣṇa erfreuen, und so lobten und ermutigten sie Ihn, als Er ihnen ein Lied vortrug, indem sie sagten: »Du singst wunderschön, einfach wunderbar.« Und wenn sie manchmal selbst sangen, um Ihm eine Freude zu bereiten, dann pries Śrī Kṛṣṇa ihr Singen. Als einige der gopīs vom Singen und Tanzen müde wurden, legten sie ihre Hände auf Kṛṣṇas Schultern, worauf sich ihr Haar öffnete und die darinsteckenden Blumen zu Boden fielen. Der Wohlgeruch Seines Körpers, der betörende Duft der Lotosblüten wie auch anderer Blumen in Seiner Girlande und der Duft der Sandelholzpaste erfüllte sie mit großer Zuneigung, und so begannen sie Kṛṣṇa zu küssen. Manche gopīs berührten Kṛṣṇa Wange an Wange, und Kṛṣṇa bot ihnen dann gekaute Betelnüsse aus Seinem Mund, die sie im Kuß mit großer Freude austauschten. Die Entgegennahme der Betelnüsse aus dem göttlichen Mund erfüllte die gopīs mit neuem spirituellem Bewußtsein. Als die gopīs nach geraumer Zeit vom vielen Singen und Tanzen erschöpft waren, ergriffen sie zur Erquickung Kṛṣṇas Hände und legten sie auf ihre erhobenen Brüste. Kṛṣṇas Hände wie auch die Brüste der gopīs sind ewiglich glückverheißend, und wenn sie sich gegenseitig berühren, verstärkt sich ihre spirituelle Qualität nur noch mehr. Die gopīs erfüllte das Zusammensein mit Kṛṣṇa, dem Gemahl der Glücksgöttin, mit solcher Glückseligkeit, daß sie vergaßen, jemals Ehemänner besessen zu haben. Und als Kṛṣṇa sie dann in Seine Arme schloß und mit ihnen sang und tanzte, verloren sie ihr Erinnerungsvermögen vollends. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird die Schönheit der gopīs während des rāsa-Tanzes wie folgt beschrieben: »Sie trugen Lotosblumen im Haar; ihre Gesichter waren mit Sandelholzpaste bestrichen; ihre Stirn schmückte tilaka, und auf ihren lächelnden Lippen standen Schweißperlen. Hell klingelten ihre Fußglöckchen und Armreifen, und wenn die Blumen aus ihrem Haar vor die Lotosfüße Śrī Kṛṣṇas fielen, war Er sehr zufrieden.« Wie in der Brahma-saṁhitā gesagt wird, sind die gopīs Erweiterungen der Freuden-Energie Kṛṣṇas. Indem der Herr ihre Körper mit Seinen Händen berührte und in ihre strahlenden Augen sah, erfreute Er Sich an ihnen, ähnlich wie ein Kind seine Freude daran hat, mit seinem eigenen Spiegelbild zu spielen. Als Kṛṣṇa ihre Körper berührte, fühlten sich die gopīs von spiritueller Energie durchdrungen, und in ihrer Ekstase gelang es ihnen trotz aller Bemühungen nicht, die lose gewordenen Kleider wieder zu ordnen. Ihr Haar und ihre Gewänder gerieten schließlich völlig durcheinander, und auch ihr Schmuck löste sich, als sie sich in der Gemeinschaft Kṛṣṇas vergaßen. Während Sich Kṛṣṇa mit den gopīs im rāsa-Tanz vergnügte, versammelten sich die erstaunten Halbgötter mit ihren Gemahlinnen am Himmel. Auch der Mond, der von einer Art Lust ergriffen wurde, begann den rāsa-Tanz zu beobachten und war wie gebannt vor Verwunderung. Die gopīs hatten zur Göttin Kātyāyanī gebetet, Kṛṣṇa zum Gemahl zu bekommen, und nun erfüllte Kṛṣṇa ihnen diesen Wunsch, indem Er Sich nach der Zahl der gopīs in ebenso viele Formen erweiterte und Sich wie ein Ehemann ihrer erfreute. Śrīla Śukadeva Gosvāmī bemerkte an dieser Stelle, daß Kṛṣṇa in Sich Selbst zufrieden ist – Er ist ātmārāma. Er benötigt niemand anderes, um zufrieden zu sein. Nur weil sich die gopīs danach gesehnt hatten, mit Ihm als Ehemann zusammenzusein, erfüllte Er ihren Wunsch. Als Kṛṣṇa nun sah, daß die gopīs vom langen Tanzen ermüdet waren, liebkoste Er ihre Gesichter mit Seinen Lotoshänden, um sie zu erfrischen. Dankbar beschenkten Ihn die gopīs mit liebevollen Blicken. Sie waren durch die glückverheißende Berührung Seiner Hände überglücklich. Ihre lächelnden Wangen glühten vor Schönheit, und in transzendentaler Freude begannen sie von den ruhmvollen Taten und Spielen Kṛṣṇas zu singen. Als reine Gottgeweihte wurden sie sich, je länger sie mit Kṛṣṇa zusammenwaren, immer mehr Seiner überweltlichen Herrlichkeit bewußt, und so erwiderten sie Seine Liebe, indem sie Ihm zur Freude Seine transzendentalen Spiele rühmten. Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott, der Meister aller Meister, und die gopīs verherrlichten Ihn aus Dankbarkeit für die ungewöhnliche Barmherzigkeit, mit der Er sie gesegnet hatte. Zur Erquickung nach so langem Tanzen begaben Sich Kṛṣṇa und die gopīs schließlich in das Wasser der naheliegenden Yamunā. Die Girlanden aus Lilien, die die gopīs um den Hals trugen, waren durch die Umarmung Kṛṣṇas ganz zerdrückt, und das kuṅkuma-Puder von ihren Brüsten hatte die Blumen rötlich gefärbt. Einige Hummeln, die trotz der späten Stunde noch umhersummten, versuchten den Nektar aus den am Boden verstreuten Blüten zu holen. Als Kṛṣṇa mit den gopīs ins Wasser der Yamunā watete, glich Er einem Elefanten, der mit Seinen weiblichen Gefährtinnen ein Bad nimmt. Die gopīs wie auch Kṛṣṇa vergaßen ihre wirkliche Identität, als sie im Wasser miteinander spielten, und so spritzten die gopīs Kṛṣṇa naß, wobei sie Ihm liebevoll zulächelten und Ihm scherzende Worte zuriefen, was Kṛṣṇa großes Vergnügen bereitete. Als die Halbgötter auf den himmlischen Planeten sahen, wie sehr Sich Kṛṣṇa daran erfreute, mit den gopīs zu scherzen und sie mit Wasser zu bespritzen, überschütteten sie die Badenden mit einem wahren Blumenregen. Auf diese Weise wollten sie den einzigartigen rāsa-Tanz Śrī Kṛṣṇas, des Höchsten Genießenden, und Seine transzendentalen Spiele mit den gopīs im Wasser der Yamunā preisen. Nach einiger Zeit stiegen Kṛṣṇa und die gopīs wieder aus dem Wasser und begannen am Ufer der Yamunā entlangzuschlendern, wo ein angenehmer Wind wehte, der den Duft der verschiedensten Blumen über Wasser und Land trug. Während sie so am Ufer entlanggingen, trug Kṛṣṇa wunderbare Gedichte vor und erfreute Sich somit im wohltuenden Mondlicht des Herbstes der Gesellschaft der gopīs. Sexuelles Verlangen tritt ganz besonders stark im Herbst auf, doch das Wundervolle an Kṛṣṇas Zusammensein mit den gopīs ist, daß hier bei Ihnen von sexuellem Verlangen keine Rede sein konnte. Śukadeva Gosvāmī bestätigt diese Tatsache mit den Worten avaruddha-saurataḥ, die darauf hinweisen, daß der Geschlechtstrieb beim rāsa-Tanz völlig kontrolliert war. Es besteht nämlich, wie bereits erklärt, ein Unterschied zwischen Kṛṣṇas Tanzen mit den gopīs und dem Tanzen gewöhnlicher Lebewesen in der materiellen Welt. Um weitere Mißverständnisse über den rāsa-Tanz und die liebende Beziehung zwischen Kṛṣṇa und den gopīs zu klären, sagte Mahārāja Parīkṣit zu Śukadeva Gosvāmī: »Kṛṣṇa erschien auf der Erde, um die regulierenden Prinzipien der Religion wieder einzuführen, und um die Vorherrschaft der Irreligion zu beenden. Sein Verhältnis zu den gopīs indessen scheint mir die irreligiösen Prinzipien in der materiellen Welt beinahe zu befürworten. Es überrascht mich daher zu hören, daß Er Sich mitten in der Nacht mit verheirateten Frauen vergnügte.« Śukadeva Gosvāmī freute sich sehr über diese verwunderte Feststellung Mahārāja Parīkṣits, denn so bot sich ihm die Gelegenheit, in seiner Antwort vor den abscheulichen Handlungen der Māyāvādīs zu warnen, die Kṛṣṇa imitieren wollen und sich mit jungen Mädchen und Frauen vergnügen. Eine der grundlegenden Anweisungen der Veden verbietet es strikt, mit einer anderen Frau als der eigenen sexuell zu verkehren. Kṛṣṇas Liebesverhältnis mit den gopīs schien diese Vorschrift zu verletzen, und so erkundigte sich Mahārāja Parīkṣit nach den näheren Zusammenhängen. Im Grunde wußte er über diese Dinge Bescheid, denn Śukadeva Gosvāmī hatte ihm alles genau erklärt, doch weil er die transzendentale Natur von Kṛṣṇas rāsa-Tanz noch klarer herausstellen wollte, stellte er sich überrascht. Seine Frage ist sehr wichtig, um den ungezügelten sexuellen Ausschweifungen der prakṛta-sahajiyās [* Pseudo-Gottgeweihte, die Kṛṣṇas Liebesbeziehung mit den gopīs grobweltlich nachahmen. *] entgegenzuwirken. Mahārāja Parīkṣit gebrauchte mehrere wichtige Worte, die der näheren Erläuterung bedürfen. Das erste dieser Worte, jugupsitam, bedeutet »verabscheuenswert«. Mahārāja Parīkṣits erster Zweifel lautete also: Śrī Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott, und Er erschien, um die religiösen Prinzipien wieder festzusetzen. Warum traf Er Sich also mitten in der Nacht mit verheirateten Frauen und vergnügte Sich mit ihnen, indem Er mit ihnen tanzte, sie umarmte und küßte? Nach den vedischen Unterweisungen ist dies nicht statthaft. Er Selbst hatte anfangs, als die gopīs zu Ihm kamen, zu ihnen gesagt, sie sollten wieder nach Hause gehen. Nach den Grundsätzen der Veden ist es ausgesprochen verabscheuungswürdig, verheiratete Frauen oder junge Mädchen zu sich zu rufen, um dann leidenschaftlich mit ihnen zu tanzen. Was also war der Grund für Kṛṣṇas sonderbares Verhalten? Ein anderes wichtiges Wort, das Mahārāja Parīkṣit gebrauchte, ist āptakāma. Einige Menschen werden gewiß glauben, Kṛṣṇa sei voller Lust gewesen, als Er von so vielen schönen Mädchen umringt war, doch Mahārāja Parīkṣit erklärte, daß dies nicht möglich ist. Kṛṣṇa konnte nicht wollüstig gewesen sein, denn erstens war Er, nach materiellen Gesichtspunkten, erst acht Jahre alt, und in diesem Alter kann ein Junge noch nicht von Lust ergriffen werden, und zweitens besagt das Wort »āptakāma«, daß Er, der Höchste Persönliche Gott, in Sich Selbst zufrieden ist. Selbst wenn Er lustvolle Wünsche gehegt hätte, hätte Er nicht die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen, um Sein Verlangen zu stillen. Eine andere Auffassung geht dahin, daß Kṛṣṇa, auch wenn Er Selbst nicht lustvoll gewesen sei, vielleicht durch das sehnsüchtige Verlangen der gopīs verführt worden sei. Doch Mahārāja Parīkṣit verwendete auch das Wort yadu-pati, welches darauf hinweist, daß Kṛṣṇa die vortrefflichste Persönlichkeit in der Yadu-Dynastie war. Die Könige der Yadu-Dynastie waren als die frommsten Menschen der damaligen Zeit angesehen, und ihre Nachkömmlinge standen ihnen natürlich in dieser Hinsicht in nichts nach. Kṛṣṇa, der in dieser frommen Familie geboren wurde, konnte also unmöglich verführt werden – nicht einmal von solch schönen Mädchen wie den gopīs. Unter diesen Gesichtspunkten steht es also ganz fest, daß Kṛṣṇa nichts Abscheuliches tun konnte. Indessen fragte sich Mahārāja Parīkṣit, warum Kṛṣṇa so handelte. Welcher Grund verbarg sich dahinter? Ein anderes Wort, das Mahārāja Parīkṣit gebrauchte, als er sich an Śukadeva Gosvāmī wandte, ist »suvrata«, was soviel bedeutet wie »das Gelübde auf sich zu nehmen, fromm zu handeln.« Śukadeva Gosvāmī war als brahmacārī erzogen worden, und daher war es ausgeschlossen, daß er sich mit sexuellen Themen befaßte. Dies ist den brahmacārīs nämlich streng untersagt, und erst recht einem vorbildlichen brahmacārī wie Śukadeva Gosvāmī. Da aber Mahārāja Parīkṣit die äußerliche Form des rāsa-Tanzes höchst fragwürdig vorkam, bat er Śukadeva Gosvāmī um eine klärende Erläuterung. Śukadeva Gosvāmī antwortete sogleich, daß eine Verletzung der religiösen Prinzipien durch den höchsten Kontrollierenden nur ein weiterer Beweis Seiner unbegrenzten Macht sei. Es sei wie mit dem Feuer, das jede Unreinheit verbrennen könne; darin zeige sich die überlegene Macht des Feuers. Ebenso habe die Sonne die Kraft, aus Kot und Urin Wasser zu ziehen, ohne dabei selber verunreinigt zu werden; vielmehr werde der unreine, schmutzige Ort durch die reinigende Kraft ihrer Strahlen entkeimt. Man mag nun einwenden: Wenn Kṛṣṇa die höchste Autorität ist, soll man dann nicht Seinem Beispiel folgen? Doch als vorbeugende Antwort sagte Śukadeva Gosvāmī unmißverständlich, daß Iśvara, der höchste Kontrollierende, nicht an Seine Unterweisungen gebunden sei und sie daher ganz nach Seinem Willen aufheben könne, daß dies aber nur dem Kontrollierenden Selbst möglich sei, nicht den Kontrollierten. Die außergewöhnlichen und unvergleichlichen Taten des Kontrollierenden können von niemandem nachgemacht werden. Śukadeva Gosvāmī warnte deshalb die bedingten Seelen, die im Grunde genommen nichts kontrollieren können, sich auch nur vorzustellen, sie könnten die außerordentlichen Tätigkeiten des Kontrollierenden nachahmen. Ein Māyāvādī-Philosoph mag zwar von sich behaupten, Gott oder Kṛṣṇa zu sein, doch kann er nicht wie Kṛṣṇa handeln. Er wird seine Anhänger vielleicht überreden können, mit ihm den rāsa-Tanz nachzuahmen, doch wird er niemals fähig sein, den Govardhana-Hügel hochzuheben. Schon in früheren Zeiten gab es viele Māyāvādī-Betrüger, die ihre Anhänger täuschten, indem sie sich als Kṛṣṇa ausgaben, um den rāsa-līlā zu genießen. In vielen Fällen jedoch konnte die Regierung eingreifen und sie einsperren und bestrafen. Auch Thākura Bhaktivinoda hatte einmal mit einer sogenannten Inkarnation Viṣṇus zu tun, die junge Mädchen dazu verführte, mit ihm rāsa-līlā abzuhalten. Es wurden viele Klagen gegen diesen Wüstling erhoben, und daher beauftragte die Regierung Thākura Bhaktivinoda, der zu jener Zeit Richter in Orissa war, diesem das Handwerk zu legen. Thākura Bhaktivinoda konnte ihn schließlich festnehmen und bestrafte ihn in gehöriger Weise. Der rāsa-līlā-Tanz kann also von niemandem imitiert werden, und Śukadeva Gosvāmī warnt sogar davor, auch nur daran zu denken, dies zu tun. Er sagte zu Mahārāja Parīkṣit, daß jeder, der aus Verblendung den rāsa-Tanz Kṛṣṇas nachahme, sterben werde – ebenso wie ein Mensch, der versuche, Śiva nachzuahmen, wie dieser einen Ozean von Gift ausleerte. Śiva trank einmal einen Ozean voll Gift aus und behielt das Gift in seiner Kehle. Es färbte lediglich seine Kehle blau, und deshalb wird er auch Nīlakaṇta genannt, doch wenn ein gewöhnlicher Mensch versuchte, Śiva zu imitieren, indem er Gift tränke oder gañja rauchte, würde er mit Sicherheit zugrunde gehen. Śrī Kṛṣṇas Liebesbeziehungen zu den gopīs sind erst recht etwas ganz und gar Außergewöhnliches. Die meisten der gopīs waren in ihren vorangegangenen Leben große, mit den vedischen Schriften wohlvertraute Weise gewesen, in denen, als Śrī Kṛṣṇa als Rāmacandra erschien, der Wunsch entstand, sich mit Ihm zu erfreuen. Rāmacandra nahm Sich damals vor, sie zu segnen und ihr Verlangen zu erfüllen, wenn Er als Kṛṣṇa erscheinen würde. Daher war der Wunsch der gopīs, sich mit Kṛṣṇa zu erfreuen, langgehegt. Sie hatten sogar zur Göttin Kātyāyanī gebetet, um Kṛṣṇa als ihren Ehemann zu bekommen. Es gibt noch viele andere Besonderheiten, die die höchste Autorität Śrī Kṛṣṇas beweisen, und die zeigen, daß Er nicht an die Regeln und Regulierungen der materiellen Welt gebunden ist. In besonderen Fällen tut Er sogar etwas, das gegen alle Regeln verstößt, nur um Seinen Geweihten eine Gunst zu erweisen. Dies ist Ihm nur möglich, weil Er der höchste Kontrollierende ist. Gewöhnliche Menschen aber sollten sich an Kṛṣṇas Anweisungen in der Bhagavad-gītā halten und nicht einmal im entferntesten daran denken, Kṛṣṇa im rāsa-Tanz nachzuahmen. Daß Kṛṣṇa den Govardhana-Hügel hochhob und große Dämonen wie Pūtanā und andere tötete, ist zweifellos etwas Außergewöhnliches, aber auch der rāsa-Tanz ist etwas gänzlich Ungewöhnliches, das von keinem gewöhnlichen Sterblichen nachgeahmt werden kann. Ein gewöhnlicher Mensch, der wie Arjuna gemäß seiner vorgeschriebenen Pflicht handelt, sollte dieser Pflicht zur Freude Kṛṣṇas nachkommen; das liegt im Bereich seiner Möglichkeiten. Arjuna war ein Krieger, und Kṛṣṇa verlangte von ihm, daß er zu Seiner Zufriedenheit kämpfe. Arjuna erklärte sich deshalb dazu bereit, obwohl er zuerst nicht gewillt war zu kämpfen. Pflichten sind für gewöhnliche Menschen unerläßlich. Diese sollten nicht hochmütig werden und versuchen, Kṛṣṇa zu imitieren, sich im rāsa-līlā vergnügen und sich somit zugrunderichten. Man sollte sich darüber im klaren sein, daß Kṛṣṇa bei allem, was Er zur Freude der gopīs tat, kein persönliches Interesse verfolgte. In der Bhagavad-gītā heißt es dazu: na māṁ karmāṇi limpanti. »Kṛṣṇa genießt oder erleidet niemals das Ergebnis Seines Tuns.« Infolgedessen kann Er unmöglich irreligiös handeln. Er ist transzendental zu allen Aktivitäten und religiösen Prinzipien. Er ist unberührt von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Er ist der höchste Beherrschende aller Lebewesen, ganz gleich, ob sie zur menschlichen Gesellschaft, zur Gesellschaft der Halbgötter auf den himmlischen Planeten oder zu niederen Formen des Lebens gehören. Er ist der höchste Beherrschende aller Lebewesen und der materiellen Natur; deshalb ist Er erhaben über religiöse oder irreligiöse Prinzipien. Śukadeva Gosvāmī erklärte Mahārāja Parīkṣit weiter, daß sich die großen Weisen und Gottgeweihten, die vom bedingten Leben reingewaschen sind, selbst in der unreinen materiellen Welt frei bewegen können, da sie sich ständig Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, in ihrem Herzen vergegenwärtigen. Diese Meditation erhebt sie sogar über die Gesetze von Freude und Leid, die den Erscheinungsweisen der materiellen Natur unterstehen. Wie könnte also Kṛṣṇa, der in Seiner inneren Kraft erscheint, jemals den Gesetzen des karma unterworfen sein? In der Bhagavad-gītā sagt der Herr eindeutig, daß Er, wenn Er in die materielle Welt herabkommt, mit Hilfe Seiner inneren Energie erscheint. - Er wird nicht, wie ein gewöhnliches Lebewesen, durch das Gesetz des karma gezwungen, einen materiellen Körper anzunehmen. Jedes andere Lebewesen ist gezwungen, entsprechend seinen vorangegangenen Handlungen einen bestimmten Körper anzunehmen, doch wenn Kṛṣṇa erscheint, erscheint Er in Seinem Körper – dieser wird Ihm nicht aufgrund früherer Handlungen aufgezwungen. Sein Körper dient als Träger für Seine transzendentale Freude, die von Seiner inneren Energie entfaltet wird. Er ist nicht an die Gesetze des karma gebunden. Der Māyāvādī-Monist dagegen muß, gezwungen von den Gesetzen der Natur, einen bestimmten Körper annehmen; das zeigt, daß seine Behauptung, mit Kṛṣṇa, Gott, eins zu sein, reine Spekulation Natur ist. Solche Menschen, die verkünden, eins mit Kṛṣṇa zu sein, und sich im rāsa-līlā ergehen, stellen für die Allgemeinheit eine große Gefahr dar. Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, ist bereits als Überseele in den Herzen der gopīs wie auch in den Herzen ihrer Ehemänner gegenwärtig. Er ist der Führer aller Lebewesen, wie in der Kaṭha Upaniṣad bestätigt wird: nityo nityānām cetanaś cetanānām. Die Überseele lenkt die individuelle Seele, in bestimmter Weise zu handeln, und damit ist die Überseele der eigentliche Handelnde, und Sie ist auch der Zeuge aller Handlungen. In der Bhagavad-gītā wird bestätigt, daß Kṛṣṇa im Herzen jedes Lebewesens weilt, und daß Er die Ursache aller Handlungen, aller Erinnerungen und allen Vergessens ist. Er ist die ursprüngliche Person, die durch das Studium der Veden zu erkennen ist; Er ist der Verfasser der Vedānta-Philosophie, und Er kennt die Vedānta-Philosophie in Vollkommenheit. Die sogenannten Vedāntisten und Māyāvādīs können Kṛṣṇa nicht verstehen, wie Er ist; statt dessen führen sie ihre Anhänger in die Irre, indem sie die Handlungen Kṛṣṇas auf unautorisierte Weise nachahmen. Kṛṣṇa, die Überseele eines jeden, weilt bereits im Körper eines jeden; wenn Er daher jemanden ansieht oder umarmt, gibt es keine Frage von Anstand oder Schicklichkeit. Man mag sich nun fragen, warum Kṛṣṇa, wenn er doch in Sich Selbst vollkommen ist, überhaupt Spiele mit den gopīs manifestierte, die den sogenannten Moralisten unserer Welt anstößig erscheinen? Die Antwort lautet, daß solche Offenbarungen eine besondere Barmherzigkeit für die gefallenen, bedingten Seelen darstellen. Die gopīs sind eigentlich Erweiterungen Seiner inneren Energie, doch weil Kṛṣṇa den rāsa-līlā entfalten wollte, erschienen sie, ebenso wie Er Selbst, wie gewöhnliche Menschen. Die höchste Genußfreude in der materiellen Welt entsteht durch den sexuellen Austausch zwischen Mann und Frau. Der Mann lebt nur, um sich von Frauen betören zu lassen, und die Frau lebt nur, um von Männern betört zu werden. Auf diesem Prinzip beruht das materielle Leben. Sowie die gegenseitige Anziehung zustandekommt, werden die Menschen mehr und mehr ins materielle Dasein hineingezogen. Um ihnen eine besondere Gunst zu erweisen, entfaltete Kṛṣṇa deshalb Seinen rāsa-līlā. Auf diese Weise wollte Er die bedingten Seelen faszinieren, denn da sie sich so sehr zur Sexualität hingezogen fühlen, würde es ihnen gewiß große Freude bereiten, von Kṛṣṇas liebender Beziehung zu den gopīs zu hören, wodurch sie den Wunsch entwickeln könnten, selbst an Kṛṣṇas Spielen teilzunehmen; auf diese Weise würden sie aus der materiellen Welt befreit werden. Im Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam erklärt Mahārāja Parīkṣit, daß die Spiele und Taten Krṣṇas wie Medizin für die bedingten Seelen sind, denn schon, wenn sie nur über Kṛṣṇa hören, können sie von der materiellen Krankheit geheilt werden. Sie sind dem materiellen Genuß verfallen und es gewohnt, Liebesgeschichten zu lesen; doch wenn sie von den transzendentalen Spielen Kṛṣṇas mit den gopīs hören, werden sie von aller materiellen Verunreinigung befreit. Wie und von wem sie hören sollen, wird ebenfalls von Śukadeva Gosvāmī erklärt. Die einzige Schwierigkeit liegt darin, daß es auf der Welt so viele Māyāvādīs gibt. Wenn die Menschen, ohne die Wirkung der Māyāvāda-Philosophie zu kennen, solchen Leuten, die sich eins mit Gott glauben und die das Śrīmad-Bhāgavatam nur vortragen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, zuhören, werden sie verwirrt werden. Es wird nicht empfohlen, daß gewöhnliche Menschen untereinander über den rāsa-līlā sprechen, da sie fast immer von der Māyāvāda-Philosophie beeinflußt sind. Wenn jedoch ein fortgeschrittener Gottgeweihter den rāsa-līlā erklärt, werden die Zuhörer allmählich zur Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben und von der materiellen Verunreinigung befreit werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß sich die gopīs, die mit Kṛṣṇa tanzten, nicht in ihren materiellen Körpern befanden. Sie tanzten mit Kṛṣṇa in ihren spirituellen Körpern, während ihre Ehemänner dachten, daß ihre Frauen an ihrer Seite schliefen. Die sogenannten Ehemänner der gopīs waren nämlich vom Einfluß der äußeren Energie Kṛṣṇas bezaubert, so daß sie nicht verstehen konnten, daß ihre Frauen fortgelaufen waren, um mit Kṛṣṇa zu tanzen. Welchen Grund gibt es dann noch, Kṛṣṇa vorzuwerfen, mit verheirateten Frauen getanzt zu haben? Die Körper der gopīs, die ihren Ehemännern gehörten, lagen im Bett; es waren die spirituellen Bestandteile Kṛṣṇas, die mit Ihm tanzten. Kṛṣṇa ist die höchste Person, das spirituelle Ganze, und Er tanzte mit den spirituellen Körpern der gopīs. Es besteht also nicht die geringste Berechtigung, Kṛṣṇa in irgendeiner Weise der Unmoral zu beschuldigen. Nachdem der rāsa-Tanz zu Ende war, brach die brāhma-muhūrta an. Die brāhma-muhūrta beginnt ungefähr anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang, und es wird empfohlen, zu dieser Zeit aufzustehen und sich, nachdem man die tägliche Körperreinigung beendet hat, spirituellen Tätigkeiten zu widmen, wie an der maṅgala-ārātrika-Zeremonie teilzunehmen und den Hare Kṛṣṇa-mantra zu chanten. Die Zeit der brāhma-muhūrta eignet sich nämlich besonders gut zur Durchführung spiritueller Tätigkeiten. Als nun diese günstige Stunde gekommen war, bat Kṛṣṇa die gopīs, Ihn zu verlassen. Obgleich sie Seine Gesellschaft nicht gern aufgaben, waren sie doch sehr gehorsam und Ihm daher sehr lieb. Sowie Kṛṣṇa sie bat, nach Hause zu gehen, verließen sie Ihn sogleich und kehrten nach Vṛndāvana zurück. Śukadeva Gosvāmī beendete die Schilderung des rāsa-Tanzes, inden er Mahārāja Parīkṣit darauf hinwies, daß jeder, der durch die richtige Quelle von den Spielen Kṛṣṇas erfahre, der Viṣṇu Selbst ist, und von den gopīs als den Erweiterungen Seiner inneren Energie höre, von der gefährlichsten Krankheit, nämlich der der Lust, geheilt werde. Wenn jemand solchen Beschreibungen der rāsa-līlā aufmerksam zuhört, wird er vollständig von dem lüsternen Verlangen nach Sexualität befreit und auf die höchste Ebene der spirituellen Verwirklichung erhoben. Doch weil die Menschen fast ausschließlich von Māyāvādīs hören und selbst ebenfalls Māyāvādīs sind, verfallen sie immer mehr der sinnlichen Begierde. Die bedingte Seele sollte die Beschreibung des rāsa-lilā-Tanzes nur von einem autorisierten geistigen Meister hören und von ihm geschult werden, um dieses Thema völlig verstehen zu können. Auf diese Weise kann sie zur höchsten Stufe des spirituellen Lebens erhoben werden; andernfalls wird sie noch tiefer verstrickt. Die materielle Lust ist eine Art Krankheit des Herzens, und als Heilmittel gegen die materielle Herzkrankheit der bedingten Seele wird empfohlen, über Kṛṣṇa zu hören –, doch nicht von den Māyāvādī-Halunken. Nur wenn man aus der richtigen Quelle empfängt und so das richtige Verständnis erreicht, kann einem geholfen werden. Śukadeva Gosvāmī bezeichnete jemanden, der im spirituellen Leben geschult ist, als śraddhānvita. Śraddhā oder Vertrauen bildet die Grundvoraussetzung für spirituelles Leben, denn nur jemand, der auf Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, die Höchste Spirituelle Seele, vertraut, ist in der Lage, von Ihm zu hören und Ihn zu beschreiben. Śukadeva Gosvāmī gebrauchte an dieser Stelle auch das Wort »anuśṛṇuyāt«. »Anu« bedeutet »immer« und »śṛṇuyāt« wird mit »folgen« übersetzt. Man muß demnach stets von der Nachfolge der geistigen Meister hören, und nicht von irgendeinem hergelaufenen berufsmäßigen Sprecher, einem Māyāvādī oder einem anderen gewöhnlichen Menschen. Anuśṛṇuyāt bedeutet also mit anderen Worten, daß man einem autorisierten geistigen Meister folgen soll, der sich in der Nachfolge der geistigen Meister befindet, und der ständig im Kṛṣṇa-Bewußtsein tätig ist. Wenn man bereit ist, die Botschaft von einem solchen Menschen zu hören, wird sich der gewünschte Erfolg mit Sicherheit einstellen. Durch das Hören der rāsa-līlā wird man zur höchsten Ebene des spirituellen Lebens erhoben. Śukadeva Gosvāmī gebrauchte außerdem die beiden Worte »bhaktim« und »parām«. »Bhaktim parām« bedeutet »hingebungsvolles Dienen, das über der Anfänger-Stufe steht.« Diejenigen, die sich lediglich zur Tempelverehrung hingezogen fühlen, jedoch nicht mit der Philosophie der bhakti vertraut sind, befinden sich noch auf der Anfangsstufe, d. h. diese Form der bhakti bildet noch nicht die Stufe der Vollkommenheit. Die vollkommene Stufe der bhakti, des hingebungsvollen Dienens, ist gänzlich frei von aller materiellen Verunreinigung. Der weitaus gefährlichste Aspekt der Verunreinigung ist die Lust oder sexuelle Begierde. Bhaktim parām, »hingebungsvolles Dienen« ist jedoch so mächtig, daß man in dem Maße, wie man Fortschritte auf diesem Pfad macht, seine Anziehung zum materiellen Leben verliert. Wer den wirklichen Nutzen aus dem Hören der rāsa-līlā ziehen kann, erreicht mit Sicherheit die transzendentale Ebene. Er wird frei von aller Lust, die sich in seinem Herzen angesammelt hat. Śrīla Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura, ein autorisierter Kommentator, weist darauf hin, daß nach der Aussage der Bhagavad-gītā jeder Tag und jede Nacht Brahmās eine Zeitspanne von 4 300 000 X 1000 Sonnenjahren umfaßt. Nach Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura fand der rāsa-Tanz während des langen Zeitraums von Brahmās Nacht statt, ohne daß die gopīs dies bemerkten. Nur um das Begehren der gopīs zu erfüllen, dehnte Kṛṣṇa die Nacht über eine solch lange Periode aus. Man mag sich nun fragen, wie dies möglich war, und Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura erinnert uns daran, daß Kṛṣṇa, obwohl Er sogar einmal mit Stricken gefesselt wurde, Seiner Mutter das ganze Universum in Seinem Mund offenbarte. Wie war das möglich? Die Antwort lautet, daß Kṛṣṇa alles zur Freude Seiner Geweihten tun kann. Weil die gopīs den Wunsch hatten, sich mit Kṛṣṇa zu vergnügen, wurde ihnen die Gelegenheit gegeben, mit Ihm für so lange Zeit zusammenzusein. Damit löste Kṛṣṇa Sein Versprechen ein, das Er ihnen vor langer Zeit gegeben hatte, als sie einmal am Cirghat in der Yamunā badeten. Er stahl damals ihre Kleider und versprach ihnen, in einer zukünftigen Nacht ihr Verlangen nach Ihm zu erfüllen. Beim rāsa-Tanz erhielten sie endlich die Gelegenheit, Kṛṣṇa als ihren geliebten Gemahl in die Arme zu schließen. Aber diese Nacht war keine gewöhnliche Nacht; es war eine Nacht Brahmās, die Millionen und Abermillionen von Jahren währte. Für Kṛṣṇa ist alles möglich, denn Er ist der Höchste Kontrollierende. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 32. Kapitel des Buches Kṛṣṇa; »Der rāsa-Tanz«. 33. KAPITEL Vidyādhara wird befreit und der Dämon Śaṅkhacūḍa getötet Eines Tages beschlossen die Kuhhirten von Vṛndāvana, die von Nanda Mahārāja angeführt wurden, nach Ambikāvana zu gehen, um an der Śivarātri-Zeremonie teilzunehmen. Nach dem rāsa-līlā, der während des Herbstes stattfand, ist der nächste große Festtag Holi, der Tag der Dolayātrā-Zeremonie. Zwischen der Dolayātra-Zeremonie und dem rāsa-līlā liegt jedoch noch das ebenfalls wichtige Śivarātri-Fest, das ganz besonders von den Śivaiten, den Geweihten Śivas, gefeiert wird. Manchmal begehen auch die Vaiṣṇavas dieses Fest, denn sie betrachten Śiva als den größten Vaiṣṇava, doch für gewöhnlich wird die Śivarātri-Zeremonie von den bhaktas, den Geweihten Kṛṣṇas, nicht gefeiert. Deshalb wird im Śrīmad-Bhāgavatam gesagt, daß die Kuhhirten und ihr Führer Nanda Mahārāja eines Tages dieses beschlossen. Das bedeutet, daß sie an der Śivarātri-Zeremonie nicht regelmäßig teilnahmen, sondern eines Tages aus Neugierde nach Ambikāvana gehen wollten. Die Stadt Ambikāvana liegt irgendwo in der Gujarat-Provinz. Man sagt, sie sei am Fluß Sarasvatī gelegen, doch seltsamerweise gibt es nirgends in der Provinz Gujarat einen Fluß namens Sarasvatī; der einzige Fluß dort heißt Savarmati. In Indien liegen alle berühmten Pilgerorte an großen Flüssen wie dem Ganges, der Yamunā, Sarasvatī, Narmadā, Godāvarī und Kāverī. Ambikāvana befand sich am Ufer der Sarasvatī, und alle Kuhhirten zogen gemeinsam mit Nanda Mahārāja dorthin. Gleich nach ihrer Ankunft begannen sie mit viel Hingabe die Bildgestalten Śivas und Ambikās zu verehren. Es ist allgemein der Brauch, daß überall dort, wo ein Tempel Śivas steht, auch ein Tempel Ambikās (Durgā) stehen muß, denn Ambikā ist die Gattin Śivas und die Keuscheste aller Frauen. Sie lebt niemals getrennt von ihrem Gatten. Als die Kuhhirten Ambikāvana erreichten, badeten sie zunächst einmal im Fluß Sarasvatī. Wenn man zu einer Pilgerstätte kommt, ist es die erste Pflicht, ein Bad zu nehmen, und manchmal sogar, sich den Kopf zu rasieren. Das ist das erste, was man zu tun hat. Nachdem die Männer also ein Bad genommen hatten, verehrten sie die Bildgestalten Śivas und Ambikās und verteilten anschließend an allen heiligen Plätzen Spenden. Nach vedischem Brauch müssen Spenden den brāhmaṇas gegeben werden. In den śāstras wird gesagt, daß nur die brāhmaṇas und sannyāsīs berechtigt sind, Spenden anzunehmen, und somit gaben ihnen die Hirten aus Vṛndāvana Kühe, die mit goldenen Ornamenten und wunderschönen Blütenkränzen geschmückt waren. Den brāhmaṇas werden Spenden gegeben, weil sie keiner gewinnbringenden Tätigkeit nachgehen. Dafür erwartet man von ihnen, daß sie den brahmanischen Pflichten nachkommen, die in der Bhagavad-gītā aufgezählt werden, d. h., daß sie sich Wissen aneignen und sich Opfer und Bußen auferlegen. Sie müssen indessen nicht nur selbst gelehrt sein, sondern sind auch verpflichtet, ihr Wissen an andere weiterzugeben. Brāhmaṇas sollen nicht nur brāhmaṇas sein; sie sollen auch andere zu brāhmaṇas machen. Wenn nämlich jemand bereit ist, der Schüler eines brāhmaṇa zu werden, hat er die Möglichkeit, selbst ein brāhmaṇa zu werden. Brāhmaṇas sind stets mit der Verehrung Viṣṇus beschäftigt, und daher ist es ihnen erlaubt, alle möglichen Spenden entgegenzunehmen. Und sollten sie einmal mehr bekommen, als sie brauchen, ist es ihre Pflicht, alles Überschüssige für den Dienst an Viṣṇu zu verteilen. In den vedischen Schriften wird deshalb empfohlen, den brāhmaṇas Spenden zu geben, denn so erfreut man Viṣṇu und alle Halbgötter. Die Pilger müssen also ein Bad nehmen, die Bildgestalten verehren und Spenden geben; außerdem wird ihnen geraten, einen Tag lang zu fasten. Wenn sie einen Wallfahrtsort besuchen, sollen sie wenigstens drei Tage lang dort bleiben. Am ersten Tag fasten sie, und erst am Abend dürfen sie ein wenig Wasser trinken, da Wasser das Fasten nicht unterbricht. Die Hirten und ihr Führer, Nanda Mahārāja, verbrachten die erste Nacht am Ufer der Sarasvatī. Sie hatten den ganzen Tag gefastet und tranken nun ein wenig Wasser, dann legten sie sich zur Ruhe. Während sie schliefen, kam aus dem nahegelegenen Wald eine große Schlange gekrochen, die sich plötzlich auf Nanda Mahārāja stürzte und ihn gierig zu verschlingen begann. Nanda war hilflos und schrie deshalb: »Mein lieber Sohn, Kṛṣṇa, bitte komm und rette mich aus dieser Gefahr! Eine große Schlange will mich fressen!« Sowie die Hirten Nanda Mahārājas Hilferufe hörten, fuhren sie von ihrem Lager auf, und als sie sahen, was mit ihrem Führer geschah, holten sie lodernde Holzscheite aus dem Feuer und schlugen damit wild auf die Schlange ein, um sie zu töten. Doch obwohl das Ungeheuer mit brennenden Scheiten geschlagen wurde, wollte es nicht von Nanda Mahārāja ablassen. Endlich erschien Kṛṣṇa auf dem Schauplatz und berührte die Schlange mit Seinen Lotosfüßen. Sowie das Ungetüm die Füße des Herrn spürte, warf es seinen Reptilkörper ab, und zum Vorschein kam ein Halbgott mit Namen Vidyādhara. Seine körperliche Erscheinung war so schön, daß er der Verehrung würdig zu sein schien. Ein Strahlen und Leuchten ging von seinem Körper aus, und er war mit einer goldenen Halskette geschmückt. Vidyādhara brachte Śrī Kṛṣṇa sogleich seine Ehrerbietungen dar und stellte sich in demütiger Haltung vor den Herrn. Kṛṣṇa fragte ihn: »Du scheinst ein Halbgott zu sein und überdies in der Gunst der Glücksgöttin zu stehen. Wie konntest du solche Scheußlichkeiten begehen, und weshalb hast du den Körper einer Schlange erhalten?« Daraufhin erzählte der Halbgott die Geschichte seines vorangegangenen Lebens. »Mein Lieber Herr«, sprach er, »in meinem letzten Leben hieß ich Vidyādhara, und ich war auf der ganzen Welt für meine Schönheit berühmt. Weil ich eine gefeierte Persönlichkeit war, pflegte ich in meinem Luftfahrzeug überallhin zu reisen. Auf einem dieser Flüge sah ich den großen Weisen Āṅgirā. Er war sehr häßlich, und da ich mir viel auf meine Schönheit einbildete, lachte ich ihn aus. Zur Strafe für diese Sünde verfluchte mich der Weise, den Körper einer Schlange anzunehmen.« Hierzu ist zu bemerken, daß ein Lebewesen, solange es nicht von Kṛṣṇa begünstigt wird, unter dem Einfluß der materiellen Erscheinungsweisen steht, ganz gleich, wie fortgeschritten es in materieller Hinsicht auch sein mag. Vidyādhara war ein mächtiger Halbgott, und er war von großer Schönheit. Zudem erfreute er sich einer hohen materiellen Stellung und war in der Lage, mit seinem Himmelsfahrzeug überallhin zu reisen. Dennoch wurde er dazu verflucht, in seinem nächsten Leben eine Schlange zu werden. Jeder Mensch, der eine hohe materielle Stellung innehat, kann, wenn er nicht vorsichtig ist, dazu verdammt werden, in eine abscheuliche Lebensform einzugehen. Es ist ein Irrtum zu glauben, man falle nie wieder in eine niedere Lebensform zurück, wenn man einmal einen menschlichen Körper erhalten habe. Vidyādhara selbst bestätigt, daß er verdammt wurde, eine Schlange zu werden, obwohl er ein Halbgott war. Doch weil er von den Lotosfüßen Krṣṇas berührt wurde, erwachte er augenblicklich zum Kṛṣṇa-Bewußtsein. Er bekannte indessen, daß er in seinem vorangegangenen Leben sehr sündig gewesen sei. Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch weiß, daß er immer der Diener von Kṛṣṇas Diener ist; er sieht sich als höchst unbedeutend an, und wenn ihm einmal etwas gut gelingt, ist er sich bewußt, daß dies nur durch die Barmherzigkeit Kṛṣṇas und des geistigen Meisters möglich war. Der Halbgott Vidyādhara sagte weiter zu Śrī Kṛṣṇa: »Weil ich auf die ausnehmende Schönheit meines Körper sehr stolz war, verspottete ich das häßliche Äußere des großen Weisen Āṅgirā. Er verfluchte mich für diese Sünde, und so wurde ich zu einer Schlange. Doch nun erkenne ich, daß der Fluch des Heiligen in Wirklichkeit gar kein Fluch war, sondern eine große Segnung. Hätte er mich nämlich verflucht, wäre ich niemals von Deinen Lotosfüßen getreten und dadurch von aller materiellen Verunreinigung befreit worden.« Im materiellen Dasein gelten vier Dinge als sehr wertvoll: in einer ehrbaren Familie geboren zu sein, sehr reich zu sein, sehr gelehrt zu sein und sehr schön zu sein. Diese Dinge werden als materielle Werte angesehen. Unglücklicherweise werden diese materiellen Werte ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein manchmal zur Ursache von Sünde und Entartung. Das beste Beispiel ist Vidyādhara: Obwohl er ein Halbgott war und einen wunderschönen Körper besaß, wurde er so stolz, daß er dazu verdammt wurde, den Körper einer Schlange anzunehmen. Die Schlange ist als das grausamste und neidischste Lebewesen bekannt, doch neidische Menschen sind sogar noch tückischer als Schlangen. Eine Schlange läßt sich durch beschwörende mantras und durch besondere Kräuter zähmen, doch ein neidischer Mensch ist unberechenbar. »Lieber Herr«, fuhr Vidyādhara fort, »nun, da ich glaube, von allen Sünden befreit worden zu sein, bitte ich Dich um die Erlaubnis, in mein Reich auf den himmlischen Planeten zurückzukehren.« Diese Bitte zeigt uns, daß Menschen, die an fruchtbringenden Tätigkeiten haften und sich wünschen, materielle Annehmlichkeiten auf höheren Planetensystemen zu genießen, ihr Ziel nicht ohne die Einwilligung des Höchsten Persönlichen Gottes erreichen können. In der Bhagavad-gītā wird dazu gesagt, daß die weniger Intelligenten nach materiellen Vorteilen streben und deshalb die Halbgötter verehren, doch daß sie die Segnungen der Halbgötter im Grunde nur mit der Einwilligung Viṣṇus oder Kṛṣṇas erhalten. Halbgötter besitzen nicht selbst die Macht, materielle Reichtümer zu vergeben. Wenn daher jemand an materiellen Schätzen haftet, sollte er Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, verehren und Ihn darum bitten. Kṛṣṇa ist durchaus in der Lage, auch materielle Segnungen zu erteilen. Es ist jedoch ein Unterschied, ob man die Halbgötter um einen materiellen Nutzen bittet oder Kṛṣṇa. Dhruva Mahārāja z. B. verehrte den Höchsten Persönlichen Gott aus materiellen Motiven, doch als er dann die Gunst des Höchsten Herrn erlangte und Ihn vor sich sah, war er so zufriedengestellt, daß er nicht gewillt war, irgendeine materielle Segnung anzunehmen. Ein intelligenter Mensch bittet nicht die Halbgötter um Gefälligkeiten oder verehrt sie; er wird direkt Kṛṣṇa-bewußt, und wenn er dennoch ein Verlangen nach materiellem Nutzen hegt, bittet er Kṛṣṇa darum, und nicht die Halbgötter. Vidyādhara, der auf Kṛṣṇas Erlaubnis wartete, zu den himmlischen Planeten zurückzukehren, erklärte weiter: »Nun, da mich Deine Lotosfüße berührten, bin ich von allen materiellen Qualen befreit. Du bist der mächtigste aller Mystiker; du bist der ursprüngliche Höchste Persönliche Gott; Du bist der Herr über alle Gottgeweihten, und Du bist der Erhalter aller Planetensysteme. Deshalb bitte ich Dich um die Erlaubnis, in mein Reich zurückzukehren. Bitte nimm mich als eine Dir völlig hingegebene Seele an. Ich weiß sehr wohl, daß Menschen, die ständig Deinen heiligen Namen chanten, von allen sündigen Reaktionen erlöst werden, und daher sind gewiß auch diejenigen befreit, die das Glück haben, von Deinen Lotosfüßen berührt zu werden. Ich bin mir sicher, daß ich nun vom Fluch der brāhmaṇas erlöst bin, da ich von Deinen Lotosfüßen berührt wurde.« Alsdann erhielt Vidyādhara von Kṛṣṇa die Erlaubnis, in seine Heimat auf den himmlischen Planeten zurückzukehren. Dankbar umkreiste er den Herrn zur Verehrung, und nachdem er Ihm seine respektvollen Ehrerbietungen erwiesen hatte, machte er sich auf zu seinem Planeten. Auf diese Weise wurde Nanda Mahārāja vor der fürchterlichen Schlange gerettet. Die Kuhhirten, die nach Ambikāvana gepilgert waren, um Śiva und Ambikā zu verehren, beendeten ihre Opferhandlungen und traten die Rückreise nach Vṛndāvana an. Unterwegs erinnerten sie sich gegenseitig an Kṛṣṇas wundervolle Taten, und als schließlich ihr Gespräch auf Vidyādharas Befreiung kam, vergrößerte sich ihre Zuneigung für Kṛṣṇa nur noch mehr. Sie waren nach Ambikāvana gezogen, um Śiva und Ambikā zu verehren, doch hatten sie mehr und mehr Zuneigung für Kṛṣṇa gewonnen. Auch die gopīs hatten früher einmal die Göttin Kātyāyanī verehrt, um noch mehr Liebe für Kṛṣṇa zu entwickeln. In der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß Menschen, die Halbgötter wie Brahmā, Śiva, Indra und Candra verehren, um einen persönlichen Nutzen daraus zu ziehen, weniger intelligent sind und das eigentliche Ziel des Leben vergessen haben. Doch die Hirten, die Einwohner von Vṛndāvana, waren keine gewöhnlichen Sterblichen. Alles, was sie taten, taten sie für Kṛṣṇa. Wenn man Halbgötter wie Śiva und Brahmā verehrt, um seine Liebe für Kṛṣṇa zu vergrößern, ist dies zu befürworten, doch wenn man sich aus selbstsüchtigen Motiven an sie wendet, ist dies zu verurteilen. Einige Zeit nach diesem Vorfall begaben Sich Kṛṣṇa und Balarāma, die beide unvorstellbar mächtig sind, in einer milden Nacht zusammen mit den Mädchen aus Vrajabhūmi, mit denen Sie sich gern vergnügten, in den Wald von Vṛndāvana. Die jungen Mädchen aus Vraja waren alle sehr schön gekleidet und mit Sandelholzsalbe und Blumen geschmückt. Der Mond leuchtete am Himmel, umringt von funkelnden Sternen, und ein sanfter Wind trug den süßen Duft von mallika-Blumen mit sich, nach dem die Hummeln ganz verrückt wurden. Kṛṣṇa und Balarāma nutzten die angenehme Atmosphäre und begannen sehr melodisch zu singen. Die gopīs wurden so sehr von ihrem rhythmischen Singen bezaubert, daß sie sich fast vergaßen; ihr Haar löste sich, ihre Kleider verrutschten, und ihre Blumengirlanden fielen zu Boden. Während die Mädchen so sehr in das Hören vertieft waren, daß sie fast wahnsinnig dabei wurden, erschien ein dämonischer Bekannter Kuveras, des Schatzmeisters der himmlischen Planeten, auf der Szene. Der Dämon hieß Śaṅkhacūḍa, da er auf dem Kopf einen kostbaren Juwel trug, der einem Muschelhorn glich. Genau wie die beiden Söhne Kuveras, die sehr stolz auf ihre Macht und ihren Reichtum geworden waren und den großen Gottgeweihten Nārada Muni nicht beachtet hatten, war auch Śaṅkhacūḍa durch seinen materiellen Reichtum hochmütig geworden. Er dachte, Kṛṣṇa und Balarāma seien zwei gewöhnliche Hirtenjungen, die sich in der Gesellschaft vieler schöner Mädchen vergnügten. In der materiellen Welt ist es für gewöhnlich so, daß jemand, der sehr reich ist, glaubt, alle schönen Frauen seien für ihn bestimmt. Und so dachte auch Śaṅkhacūḍa, weil er zur reichen Gefolgschaft Kuveras gehöre, sei es nur recht und billig, wenn er, und nicht Kṛṣṇa und Balarāma, sich an so vielen hübschen Mädchen erfreue. Er beschloß daher, sie zu rauben. Unvermittelt trat er vor Kṛṣṇa und Balarāma und die Mädchen aus Vrajabhūmi und führte die gopīs in Richtung Norden mit sich fort. Er befahl ihnen, als wäre er ihr Besitzer und Ehemann, obwohl Kṛṣṇa und Balarāma dabei waren. Als die Mädchen aus Vraja von Śaṅkhacūḍa gewaltsam entführt wurden, riefen sie laut nach Kṛṣṇa und Balarāma um Hilfe. Sogleich nahmen die beiden Brüder große Holzknüppel vom Boden auf und folgten ihnen. »Habt keine Angst, habt keine Angst«, riefen Sie den gopīs zu, »wir kommen sofort, um den Dämonen zu bestrafen!« Gleich darauf hatten Sie Śaṅkhacūḍa eingeholt. Der Dämon, dem die beiden Brüder zu mächtig erschienen, ließ die gopīs zurück und floh aus Furcht um sein Leben. Aber Kṛṣṇa wollte ihn nicht entkommen lassen. Er vertraute die gopīs der Obhut Balarāmas an und verfolgte Śaṅkhacūḍa, dem Er den wertvollen muschelhornähnlichen Juwel abnehmen wollte. Nachdem Er ihm eine kurze Strecke nachgesetzt hatte, packte Er ihn, schlug ihm mit der Faust auf den Kopf und tötete ihn. Dann nahm Er den kostbaren Edelstein an Sich und kehrte zu Balarāma und den gopīs zurück. Vor den Augen der Mädchen aus Vraja überreichte Er Seinem älteren Bruder das wertvolle Schmuckstück. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 33. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Vidyādhara wird befreit und der Dämon Śaṅkhacūḍa getötet«. 34. KAPITEL Die Trennungsgefühle der gopīs Die gopīs aus Vṛndāvana liebten Kṛṣṇa so sehr, daß sie nicht damit zufrieden waren, nur nachts, während des rāsa-Tanzes, mit Ihm zusammenzusein. Sie wollten sich auch tagsüber Seiner Gesellschaft erfreuen. Wenn Kṛṣṇa zusammen mit Seinen Kuhhirtenfreunden und den Kühen in den Wald zog, konnten die gopīs zwar nicht leiblich bei Ihm sein, doch ihre Herzen waren bei Ihm. Und weil ihre Herzen mit Ihm gingen, war es ihnen möglich, sich Seiner Gemeinschaft in ihren starken Trennungsgefühlen zu erfreuen. Śrī Caitanya und Seine direkten Nachfolger, die Gosvāmīs, lehren uns, dieses starke Gefühl der Trennung zu entwickeln. Wenn wir auch nicht physisch mit Kṛṣṇa zusammen sind, so können wir doch mit Ihm, wie die gopīs, durch Trennungsgefühle verbunden werden. Kṛṣṇas transzendentale Gestalt, Seine Eigenschaften, Seine Spiele und alles, was noch zu Ihm gehört, sind mit Ihm identisch. Es gibt neun verschiedene Arten des hingebungsvollen Dienens. Hingebungsvolles Dienen für Kṛṣṇa in Gefühlen der Trennung erhebt den Gottgeweihten auf die höchste Stufe der Vollkommenheit, auf die Stufe der gopīs. Śrīnivāsācārya sagt in seinen Gebeten zu den sechs Gosvāmīs, daß die Gosvāmīs ihre materiell einträglichen Regierungsämter niederlegten und das damit verbundene fürstliche Leben aufgaben, um nach Vṛndāvana zu gehen, wo sie wie gewöhnliche Bettelmönche von Tür zu Tür zogen. Doch waren sie so sehr von den Trennungsgefühlen der gopīs erfüllt, daß sie in jedem Augenblick transzendentale Freude genossen. So fühlte auch Śrī Caitanya, der, als Er Sich in Jagannātha Purī aufhielt, das Wesen Rādhārāṇīs annahm, die Trennung von Kṛṣṇa. Die Gottgeweihten, die sich in der Nachfolge der Mādhva-Gauḍīya-sampradāya befinden, sollten ebenfalls Trennung von Kṛṣṇa empfinden, Seine transzendentale Gestalt verehren und über Seine transzendentalen Lehren, Seine Spiele, Seine Eigenschaften, Seine Gefährten und alles, was sonst noch mit Ihm verbunden ist, sprechen. Und die geistigen Meister müssen die Gottgeweihten zur höchsten Vollkommenheit der Hingabe führen. Ständige Trennung zu empfinden, während man im Dienst des Herrn beschäftigt ist, bildet die Vollkommenheit des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Um sich an Kṛṣṇa zu erinnern, während Er abwesend war, pflegten die gopīs über Ihn zu sprechen. »Liebe Freundinnen«, sagte eine gopī, »wußtet ihr schon, daß Sich Kṛṣṇa auf dem linken Ellenbogen ausruht, wenn Er Sich auf dem Boden niedergelassen hat, und daß Er dann Seinen Kopf auf die linke Hand stützt? Während Er mit Seinen zarten Fingern Flöte spielt, spielen Seine Augenbrauen hin und her, und der Klang Seiner Flöte erzeugt eine solch wunderbare Stimmung, daß die Bewohner der himmlischen Planeten, die mit ihren Frauen und Lieben im Weltraum reisen, ihre Himmelsfahrzeuge anhalten, da sie vom Klang der Flöte überwältigt sind. Die Frauen der Halbgötter schämen sich jedesmal ihrer Musikalität und ihres Gesangs. Und nicht nur das, es überkommt sie solch starkes Liebessehnen, daß sich ihr Haar löst und ihre Kleidung verrutscht.« Eine andere gopī sagte: »Meine lieben Freundinnen, Kṛṣṇa ist immer mit einer goldenen Halskette geschmückt und Er ist so schön, daß die Glücksgöttin stets an Seiner Brust bleibt. Kṛṣṇa spielt nur auf Seiner Flöte, um die Herzen Seiner vielen Geweihten zu beleben. Er ist der einzige Freund der leidenden Lebewesen. Wenn Er auf Seiner transzendentalen Flöte spielt, nehmen die Kühe und alle anderen Tiere in Vṛndāvana, obwohl sie gerade fressen wollen, nur noch einen kleinen Bissen Nahrung in ihre Mäuler und hören dann auf zu kauen. Ihre Ohren stellen sich auf, und sie erstarren in ihren Bewegungen. Sie scheinen dann nicht mehr lebendig zu sein, sondern sehen aus wie gemalt. Kṛṣṇas Flötenspiel ist so bezaubernd, daß selbst die Tiere wie gebannt stehen, von uns ganz zu schweigen.« Eine andere gopī sagte: »Meine lieben Freundinnen, nicht nur die Tiere, sondern auch die unbeseelten Dinge wie die Flüsse und Seen von Vṛndāvana werden reglos, wenn Kṛṣṇa mit Pfauenfedern im Haar und am ganzen Körper mit Erdfarben aus Vṛndāvana bemalt an ihnen vorbeiwandert. Mit den Blättern und Blumen, die Ihn schmücken, sieht Er aus wie ein Held. Wenn Er auf Seiner Flöte spielt und mit Balarāma die Kühe zusammenruft, hört die Yamunā auf zu fließen und wartet darauf, daß der Wind den Staub von Seinen Lotosfüßen zu ihr herüberweht. Doch die Yamunā ist ebenso unglücklich wie wir; auch sie erhält nicht Kṛṣṇas Barmherzigkeit. Der Fluß bleibt nur wie erstarrt stehen und hält seine Wellen zurück, wie auch wir manchmal aufhören zu weinen, weil wir zu traurig darüber sind, weil wir mit Kṛṣṇa nicht zusammensein können.« In Kṛṣṇas Abwesenheit vergossen die gopīs ständig Tränen, und nur wenn sie Kṛṣṇa aus dem Wald zurückerwarteten, hielten sie inne. Wenn sie dann aber sahen, daß Kṛṣṇa nicht kam, wurden sie erneut betrübt und begannen wieder zu weinen. Kṛṣṇa ist der ursprüngliche Persönliche Gott, der Ursprung aller Viṣṇu-Formen, und die Kuhhirtenjungen sind alle Halbgötter. Śrī Viṣṇu wird ständig verehrt und umgeben von verschiedenen Halbgöttern wie Śiva, Brahmā, Indra, Candra und vielen anderen. Wenn Kṛṣṇa durch den Wald von Vṛndāvana zog oder auf dem Govardhana-Hügel spazierenging, wurde Er immer von den Kuhhirtenjungen begleitet. Auf Seinen Ausflügen spielte Er oft auf Seiner Flöte, um die Kühe zu Sich zu rufen. Schon durch Seine Gegenwart wurden die Bäume, Sträucher und andere Pflanzen im Wald augenblicklich Kṛṣṇa-bewußt. Ein Kṛṣṇa-bewußter Gottgeweihter opfert alles für Kṛṣṇa. Obwohl Bäume und Sträucher kein sehr hoch entwickeltes Bewußtsein haben, werden auch sie, wenn sie mit Kṛṣṇa und Seinen Freunden in Berührung kommen, Kṛṣṇa-bewußt. Sie wollen dann alles geben – was sie haben mögen –, ihre Früchte, ihre Blüten und den Honig, der fortwährend von ihren Ästen tropft. Kṛṣṇa ging oft am Ufer der Yamunā entlang, die Stirn wunderschön mit tilaka geschmückt, eine Girlande aus Waldblumen um den Hals und den Körper mit Sandelholzpaste und tulasī-Blättern bestrichen. Die Hummeln wurden ganz verrückt nach dem köstlichen Schatz und dem süßen Nektar, dessen Duft Seine Nähe erfüllte. Weil Sich Kṛṣṇa über das Summen der Bienen freute, spielte Er dazu auf Seiner Flöte, und vereinigt wurden die Klänge so betörend, daß auch die Wassertiere, die Kraniche, Schwäne, Enten und noch viele andere Vögel wie verzaubert verharrten. Statt weiter zu schwimmen oder zu fliegen, hielten sie überwältigt inne. Sie schlossen die Augen und fielen in Trance, wobei sie Kṛṣṇa in tiefer Meditation verehrten.« Eine andere gopī sagte: »Liebe Freundinnen, Kṛṣṇa und Balarāma sind mit Ihren Ohrringen und Perlenketten herrlich anzusehen. Sie vergnügen Sich oben auf dem Govardhana-Hügel, und alles versinkt in einen Ozean transzendentaler Freude, wenn Kṛṣṇa auf Seiner Flöte spielt und die ganze Schöpfung bezaubert. Sowie Er zu spielen beginnt, stellen die Wolken aus Furcht vor Ihm ihr lautes Donnern ein. Und statt Kṛṣṇa bei Seinem Flötenspiel zu stören, antworten sie Ihm mit ganz sanftem Gedonner und überbringen so Kṛṣṇa, ihrem Freund, ihre Grüße. Kṛṣṇa gilt als Freund der Wolken, weil die Wolken wie auch Kṛṣṇa die Menschen erfreuen, wenn diese sich unwohl fühlen. Wenn die Menschen im Sommer unter sengender Hitze leiden, erquicken die Wolken sie mit Regengüssen, und wenn sie im materiellen Leben vom lodernden Feuer der materiellen Qualen geplagt werden, verschafft Kṛṣṇa ihnen Erleichterung. Da die Wolken und Kṛṣṇa zudem die gleiche Körperfarbe haben, werden sie als Freunde angesehen, und wenn die Wolken ihren höhergestellten Freund beglückwünschen wollten, ließen sie nicht Wasser, sondern kleine Blumen vom Himmel regnen und schwebten über Seinem Haupt, um Ihn vor der heißen Sonne zu schützen.« Eine der gopīs sagte zu Mutter Yaśodā: »Meine liebe Mutter, Dein Sohn ist einer der geschicktesten Hirtenjungen. Er kennt die verschiedensten Künste — wie man die Kühe hütet, wie man Flöte spielt und vieles mehr. Er komponiert sogar eigene Lieder, und wenn Er sie singen will, setzt Er Seine Flöte an die Lippen. Wenn Er abends und morgens auf Seiner Flöte spielt, neigen alle Halbgötter, wie Śiva, Brahmā, Indra und Candra, ihre Häupter und lauschen mit großer Aufmerksamkeit. Obwohl sie sehr erfahren und gelehrt sind, können sie den musikalischen Aufbau von Kṛṣṇas Melodien nicht begreifen. Sie versuchen es zwar und hören Ihm aufmerksam zu, aber sie werden nur verwirrt.« Eine andere gopī sagte: »Meine lieben Freundinnen, wenn Kṛṣṇa mit Seinen Kühen heimkehrt, vertreiben die Abdrücke Seiner Fußsohlen, die mit Flagge, Blitz, Stab und Lotosblume gezeichnet sind, die Schmerzen, die die Erde fühlt, wenn die Kühe über sie hinweg ziehen. Er sieht beim Gehen so anmutig aus, und Er trägt ständig Seine Flöte bei Sich. Wir brauchen Ihn nur anzuschauen und werden schon von Lust ergriffen und möchten Seine Gesellschaft genießen. In solchen Momenten hören all unsere Bewegungen auf. Wir werden genau wie die Bäume und stehen ganz still. Wir vergessen sogar, wie wir aussehen.« Kṛṣṇa hütete viele Tausende von Kühen, die je nach der Farbe des Fells in verschiedene Gruppen aufgeteilt waren. Sie trugen auch unterschiedliche Namen, die sich ebenfalls nach ihrer Zeichnung richteten. Wenn Kṛṣṇa von den Weidegründen nach Hause aufbrechen wollte, hatten sich gewöhnlich die Kühe bereits versammelt. Ebenso wie die Vaiṣṇavas auf 108 Perlen chanten, die die 108 individuellen gopīs repräsentieren, so hatte auch Kṛṣṇa 108 verschiedene Kuhherden, die Er einzeln mit Namen rief. »Wenn Kṛṣṇa aus dem Wald zurückkehrt«, sagte eine gopī zu ihrer Freundin, »trägt Er eine Girlande aus tulasī-Blättern. Er legt Seine Hand dann auf die Schulter eines Freundes und beginnt auf Seiner transzendentalen Flöte zu spielen. Die Frauen der schwarzen Hirsche sind jedesmal wie verzaubert, wenn sie den Klang Seiner Flöte hören, der dem der vīṇā gleicht. Sie laufen dann zu Kṛṣṇa und werden so betört, daß sie stehen bleiben und ihr Zuhause und ihre Gatten vergessen. So wie wir vom Ozean der transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas bezaubert werden, werden die Hirschkühe von den Klängen Seiner Flöte betört.« Eine gopī erzählte Mutter Yaśodä: »Meine liebe Mutter, wenn Dein Sohn ins Dorf zurückkehrt, schmückt Er Sich mit den Blüten der kunda-Blume und spielt, um Seine Freunde zu erleuchten und zu erfreuen, auf Seiner Flöte. Der Wind, der von Süden her weht, macht alles so angenehm in seiner aromatischen Kühle. Halbgötter wie die Gandharvas und Siddhas nutzen die wohltuende Atmosphäre und bringen Kṛṣṇa Gebete dar, indem sie ihre Posaunen und Trommeln ertönen lassen. Kṛṣṇa ist sehr gütig zu den Einwohnern von Vrajabhūmi, und wenn Er mit Seinen Kühen und Freunden ins Dorf zurückkehrt, erinnern sich alle Bewohner daran, wie Er den Govardhana-Hügel in die Luft hob. Selbst die mächtigsten Halbgötter, wie Brahmā und Śiva, nutzen die Gelegenheit, um von den himmlischen Planeten herunterzukommen und dem Höchsten ihre Abendgebete darzubringen, und zusammen mit den Hirtenjungen rühmen sie die Eigenschaften Śrī Kṛṣṇas.« Kṛṣṇa wird auch mit einem Mond verglichen, der im Ozean Devakīs geboren wurde. Wenn Er abends heimkehrt, scheint Er müde zu sein, aber dennoch versucht Er, die Einwohner von Vṛndāvana durch Seine glückspendende Anwesenheit zu erfreuen. Wenn Kṛṣṇa mit Blumen bekränzt zurückkehrt, sieht Sein Gesicht unbeschreiblich schön aus. Mit dem weiten Gang eines Elefanten zieht Er in Vṛndāvana ein, bis Er langsamen Schrittes zu Hause angelangt. Bei Seiner Rückkehr vergessen die Männer, Frauen und Kühe die sengende Hitze des Tages.« An all diese transzendentalen Spiele und Taten Kṛṣṇas erinnerten sich die gopīs während Seiner Abwesenheit von Vṛndāvana. Sie geben uns eine gewisse Vorstellung davon, wie anziehend Kṛṣṇa ist. »Jeder und alles fühlt sich zu Kṛṣṇa hingezogen« – das ist die vollkommene Beschreibung der Anziehungskraft Kṛṣṇas. Das Beispiel der gopīs ist sehr lehrreich für alle, die versuchen, sich in das Kṛṣṇa-Bewußtsein zu vertiefen. Es zeigt uns, daß man sehr leicht mit Kṛṣṇa zusammensein kann, indem man sich an Seine transzendentalen Spiele erinnert. Jeder hat die Neigung, jemanden zu lieben. Diese Liebe auf Kṛṣṇa zu richten, bildet den Zentralpunkt des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Wenn man ständig den Hare-Kṛṣṇa-mantra chantet und sich an die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas erinnert, kann man völlig im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert werden und auf diese Weise sein Leben erhaben und erfolgreich machen. Hiermit enden die Erklärungen Bhaktivedantas zum 34. Kapitel des Buches Kṛṣṇa: »Die Trennungsgefühle der gopīs.« Erklärung der wichtigsten Sanskritwörter und Eigennamen A Ācārya – geistiger Meister, der durch sein eigenes Beispiel lehrt. Acintya-bhedābheda tattva – Śrī Kṛṣṇa Caitanyas Lehre, nach der die Absolute Wahrheit »unvorstellbar gleichzeitig eins und verschieden« ist, d. h. sowohl persönlich als auch unpersönlich. Acyuta – »einer, der niemals herunterfällt«, ein Name Kṛṣṇas. Aghāsura – ein Dämon, der in Form einer riesigen Schlange in Vṛndāvana eindrang. Ajita – »der Unbezwingbare«, ein Name Kṛṣṇas. Ambikā – ein Name für Śivas Frau Durgā. Ānanda – transzendentale Glückseligkeit. Ārātrika – Zeremonie, in der Kṛṣṇa mit kīrtana gepriesen und willkommen geheißen wird, und in der ihm verschiedene Opfergaben dargeboten werden. Arjuna – einer der fünf Pāṇdavas, ein Freund Kṛṣṇas; Kṛṣṇa offenbarte ihm die Bhagavad-gītā vor der Schlacht von Kurukṣetra. Arjunabäume – zwei Bäume, in die die beiden Halbgötter Nalakūvara und Maṇigrīva eingehen mußten. Ātma – das Selbst (bezieht sich manchmal auf den Körper, den Geist, die Seele oder die Sinne). Ātmārāma – Transzendentalist, der in sich selbst zufrieden ist. Avatāra – (wörtl. jemand, der herabsteigt) eine Inkarnation des Herrn, die mit einer ganz bestimmten Botschaft, die in den Schriften beschrieben wird, von der spirituellen Welt in die materielle Welt herabsteigt. B Bakāsura – ein Dämon, der als entenähnliches Ungeheuer versuchte, Kṛṣṇa zu töten. Balarāma – der ältere Bruder Kṛṣṇas, eine Erweiterung des Herrn. Bali Mahārāja – König, der über das ganze Universum herrschte und alles, was er besaß, einschließlich seiner selbst, Kṛṣṇa hingab. Bhagavān – (bhaga–Fülle + van–besitzen) der Besitzer aller Füllen – Reichtum, Kraft, Ruhm, Schönheit, Wissen und Entsagung; ein Beiname der Höchsten Person. Bhagavad-gītā – Essenz der vedischen Schriften; vor der Schlacht von Kurukṣetra von Kṛṣṇa zu Arjuna gesprochen. Bhakta – ein Gottgeweihter; jemand, der sich hingibt. Bhakti – Liebe zu Gott; gereinigtes Dienen der eigenen Sinne zur Freude der Sinne Kṛṣṇas. Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja Prabhupāda – der geistige Meister von Seiner Göttlichen Gnade A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda. Bhaktivinoda Ṭhākura – ein geistiger Meister in der guru paramparā; der Vater von Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja Prabhupāda. Bhakti-yoga – die Methode, bhakti, reines hingebungsvolles Dienen, zu entwickeln, das frei von Sinnenbefriedigung oder philosophischer Spekulation ist. Bhāva – die erste Stufe der transzendentalen Liebe zu Gott. Brahmā – das erste erschaffene Lebewesen im Universum; der mächtigste Halbgott; er hat die Manifestationen im Universum geschaffen. Brahmacārī – ein Schüler, der im Zölibat lebt und sich unter der Aufsicht eines echten geistigen Meisters befindet. Brahmajyoti – (brahma– spirituell + jyoti-Licht) die unpersönliche Ausstrahlung, die vom Körper Kṛṣṇas ausgeht. Brahman – 1. die winzig kleine Seele; 2. der alldurchdringende unpersönliche Aspekt Kṛṣṇas; 3. der Höchste Persönliche Gott; 4. die gesamte materielle Substanz. Brāhmaṇa – nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die intelligente Gruppe der Menschen. Brahma-saṁhitā – eine sehr alte Sanskritschrift mit den Gebeten Brahmās an Govinda, Kṛṣṇa, in der Brahmā dem Herrn seine Ehrerbietungen darbringt. Sie wurden von Śrī Kṛṣṇa Caitanya in einem Tempel in Südindien wiederentdeckt. C Caitanya-caritāmṛta – die autoritative Schrift von Kṛṣṇadāsa Kavirāja, die die Lehre und das Leben Śrī Kṛṣṇa Caitanyas beschreibt. Caitanya Mahāprabhu – eine Inkarnation Kṛṣṇas, die im 15. Jahrhundert in Navadvīpa, Bengalen, erschien. Er führte das gemeinsame Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantras ein, und Sein Leben war das vollkommenste Beispiel dafür, wie man die Lehren der Bhagavad-gītā praktizieren kann. Caṇḍālas – Hunde-Esser, die niedrigste Gruppe der Menschen. Cāraṇaloka – einer der himmlischen Planeten, wird von den Cāraṇas bewohnt. Chanten – das Lobpreisen der heiligen Namen Kṛṣṇas, Seiner Taten, Seiner Form usw. D Devakī – die Mutter Śrī Kṛṣṇas. Wenn Kṛṣṇa in der materiellen Welt erscheint, sendet Er einige Seiner Geweihten voraus, die die Rolle Seines Vaters, Seiner Mutter usw. spielen. Dharma – die wesenseigene Aktivität des Lebewesens, Kṛṣṇa zu dienen. Dhenukāsura – Dämon in der Form eines Esels, der zusammen mit seinen Freunden von Kṛṣṇa getötet wurde. Dhoti – Kleidungsstück der Männer. Durgā – die Halbgöttin, die die illusionierende Energie beherrscht. Dvādaśī – der Morgen nach Ekādaśī. Dvārakā – die Festungsstadt Kṛṣṇas, im Meer gelegen. E Ekādaśī – ein besonderer Tag, der dazu dient, sich mehr an Kṛṣṇa zu erinnern, indem man fastet und von den Herrlichkeiten des Herrn hört und sie lobpreist. Die Gottgeweihten feiern diesen Tag zweimal im Monat. G Gadādhara – einer der vertrauten Gefährten Śrī Caitanyas. Gandharvaloka – himmlischer Planet, auf dem die Gandharvas leben. Ganges – der heilige Fluß, der den Lotosfüßen Viṣṇus entspringt und durch das gesamte Universum fließt. Es wird empfohlen, im Ganges zu baden, um sich zu läutern. Garbhodakaśāyī Viṣṇu – die Viṣṇu-Erweiterung des Höchsten Herrn, die in jedes Universum eingeht, um dort Mannigfaltigkeit zu schaffen. Garuḍa – der gefiederte Träger Viṣṇus. Giridharī – »der Heber des Govardhana-Hügels«, ein Name Kṛṣṇas. Gokula – Dorf, in das Kṛṣṇa gleich nach der Geburt von Seinem Vater getragen wurde. Goloka – ein Name von Kṛṣṇas Planeten. Gopāla – »der Hirtenjunge«, ein Name Kṛṣṇas. Gopī – (wörtl. »Kuhhirtenmädchen«) Gottgeweihte in der Beziehung der vertrauten Geliebten des Herrn. Gosvāmī – (go–Sinne + svāmī–Meister) Meister der Sinne. Govardhana – Hügel in Vṛndāvana, den Kṛṣṇa sieben Tage lang wie einen Schirm in die Luft hob, um die Kuhhirten und ihre Familien vor dem Unwetter Indras zu schützen. Govardhana-pūjā – Opfer für den Govardhana-Hügel, der mit Kṛṣṇa identisch ist. Govinda – »einer, der das Land, die Kühe und die Sinne erfreut«, ein Name Kṛṣṇas. Gṛhasta – Haushälter. Ein Mann, der Gottes-bewußt lebt und zu gleicher Zeit verheiratet ist und eine Familie im Kṛṣṇa-Bewußtsein aufzieht. Guṇa – materielle Erscheinungsweise; es gibt drei Erscheinungsweisen: Unwissenheit, Leidenschaft und Reinheit. Guru – der geistige Meister. H Hanumān – ein berühmter Gottgeweihter in der Gestalt eines Affen, der dem Höchsten Herrn in Seiner Inkarnation als Rāmacandra diente und Ihm dabei half, den Dämonen Rāvaṇa zu besiegen. Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare – der mahā-mantra, der Gesang der Befreiung; Kṛṣṇa und Rāma sind Namen des Herrn, und Hare richtet sich an die innere Energie des Herrn. Das Chanten dieser Namen ist der für das gegenwärtige Zeitalter empfohlene Vorgang der Gotteserkenntnis. Hari – eine Name Kṛṣṇas; »Hari« bedeutet soviel wie »einer, der alle unreinen Angewohnheiten und alle Leiden von Seinen Geweihten nimmt«. Hṛṣīkeśa – »der Meister aller Sinne«, ein Name Kṛṣṇas. I Īśvara – Kontrollierender; Kṛṣṇa ist parameśvara, der höchste Kontrollierende. J Jīva (jīvātma) – die Seele, das winzig kleine Lebewesen. Jñāna – Wissen. Materielles jñāna geht nicht über die Grenzen des materiellen Körpers hinaus. Transzendentales jñāna unterscheidet zwischen Materie und spiritueller Natur. Vollkommenes jñāna ist das Wissen vom Körper, von der Seele und vom Höchsten Herrn. Jñāni – jemand, der bestrebt ist, sein Wissen zu erweitern (besonders durch philosophische Spekulation). Wenn ein jñāni die Vollkommenheit erreicht, gibt er sich Kṛṣṇa hin. K Kadamba – Baum mit einer runden gelben Blüte, wächst im allgemeinen nur in Vṛndāvana. Kāliya – dämonische Giftschlange, die von Kṛṣṇa bezwungen und aus der Yamunā vertrieben wurde. Kali-yuga – das Zeitalter des Streites; das vierte und letzte Zeitalter im Kreislauf eines mahā-yugas. Es ist das Zeitalter, in dem wir jetzt leben, und es währt 432000 Jahre, von denen 5000 Jahre bereits vergangen sind. Kalpa – ein Tag in der Zeitrechnung Brahmās. Kāraṇodakaśāyī Viṣṇu (Mahā-Viṣṇu) – die Erweiterung Śrī Kṛṣṇas, von der alle materiellen Universen ausgehen. Karma – 1. materielle Handlungen, die nach den Regulierungen der Schriften ausgeführt werden; 2. die Handlungen, die mit der Entwicklung des materiellen Körpers zusammenhängen; 3. jede materielle Handlung, die eine Reaktion nach sich zieht; 4. die materiellen Reaktionen, die man aufgrund furchtbringender Aktivitäten erhält. Karma-yoga – 1. Handlungen im hingebungsvollen Dienen; 2. Handlungen eines Mannes, der weiß, daß Kṛṣṇa das Ziel des Lebens ist, der sich aber von den Früchten seiner Aktivitäten nicht lösen kann. Kaumāra – Kṛṣṇas Kindheit bis zum fünften Lebensjahr. Kīrtana – die Ruhmpreisung Śrī Kṛṣṇas. Kṛṣṇa – »der Alles-Anziehende«, der ursprüngliche Name des Höchsten Herrn in Seiner ursprünglichen transzendentalen Gestalt; der Höchste Persönliche Gott. Kṛṣṇa-kathā – Geschichten, die von oder über Kṛṣṇa gesprochen wurden. Kṛṣṇaloka – der Planet in der spirituellen Welt, auf dem Kṛṣṇa weilt. Kṣatriya – nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die verwaltende Klasse. Kṣīrodakaśāyī Viṣṇu – die Viṣṇu-Erweiterung des Höchsten Herrn, die in jedes Atom des Universums und in das Herz jedes Lebewesens eingeht. Sie wird auch Paramātma, Überseele, genannt. L Lakṣmī – die Göttin des Glücks, die Gefährtin des Höchsten Herrn. Līlā – transzendentales Spiel. Līlāvatāras – unzählige Inkarnationen, wie Matsya, Kurma, Rāma und Nṛsiṁha, die in der materiellen Welt erscheinen, um die spirituellen Spiele des Höchsten Persönliches Gottes zu offenbaren. Loka – Planet. M Madana-mohana – »jemand, der anziehender ist als tausend Liebesgötter«, ein Name Kṛṣṇas. Mahābhāva – die höchste Ekstase der Gottesliebe, Stufe der gopīs. Mahā-mantra – der große Gesang der Befreiung: »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare – Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Mahā-māyā – siehe Māyā. Mahat-tattva – die gesamte materielle Energie. Mahā-Viṣṇu – siehe Kāraṇodakśāyī-Viṣṇu. Mantra – (man–Geist + tra–befreien) eine reine Klangschwingung, die den Geist von seinen materiellen Neigungen reinigt. Māyā oder Mahā-māyā – (ma–nicht + ya–dieses) Illusion; eine Energie Kṛṣṇas, die die Lebewesen verwirrt, so daß sie den Höchsten Herrn vergessen. Māyāvādīs – die Unpersönlichkeitsanhänger oder Anhänger der Lehre vom Nichts. Sie vertreten den Glauben, daß Gott formlos und unpersönlich sei. Mukti – Befreiung von der materiellen Fessel. Mukunda – »derjenige, der Befreiung gewährt«, ein Name Kṛṣṇas. Muni – ein Weiser, eine selbstverwirklichte Seele. N Nalakūvara und Maṇigrīva – die beiden Halbgötter-Söhne Kuveras, die von dem Weisen Nārada Muni dazu verflucht wurden, zu Bäumen zu werden. Nāgapatnīs – die Frauen der Kāliya-Schlange. Nanda Mahārāja – der Pflegevater Śrī Kṛṣṇas. Nārada Muni – ein großer Geweihter des Höchsten Herrn, der in jeden beliebigen Teil der spirituellen oder materiellen Welt reisen kann, um die Herrlichkeiten des Herrn zu verbreiten. Nārāyaṇa – eine Erweiterung Kṛṣṇas, die in verschiedenen Aspekten über jeden der unzähligen spirituellen Planeten herrscht. Nityānanda Prabhu – einer der vertrautesten Gefährten Śrī Caitanyas, eine Inkarnation Balarāmas. Nirguṇa – (nir–ohne + guṇa–Eigenschaft) ohne Eigenschaften (wenn es sich auf Gott bezieht, bedeutet »nirguṇa«, »ohne materielle Eigenschaften«). P Paramātma – »die Überseele«, der an einem bestimmten Ort befindliche Aspekt des Höchsten Herrn im Herzen aller Lebewesen. Parā-prakṛti – die höhere, spirituelle Energie des Höchsten Herrn. Prakṛta-sahjiyās – Pseudo-Gottgeweihte, die ihre materielle Lust befriedigen wollen, indem sie Rādhā und Kṛṣṇa, die gopīs und den rāsa-Tanz imitieren. Prakṛti – Natur (wörtlich: das, was beherrscht wird). Es gibt zwei prakṛtis – aparā prakṛti, die materielle Natur, und parā prakṛti, die spirituelle Natur (die Lebewesen), die beide vom Höchsten Persönlichen Gott beherrscht werden. Pralambāsura – Dämon, der in der Form eines Kalbes versuchte, Kṛṣṇa und Balarāma zu entführen, und der von Balarāma getötet wurde. Prasāda – Kṛṣṇa geopferte Speise, die durch die Opferung spirituell wird und somit das Lebewesen reinigt. Purāṇas – achtzehn sehr alte Bücher, die die Geschichte unseres und anderer Planeten beinhalten. Puruṣa – der höchste Genießende, ein Beiname Kṛṣṇas. Puruṣāvatāras – die ursprünglichen Viṣṇu-Erweiterungen Śrī Kṛṣṇas, die die Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung der materiellen Welt bewirken. Pūtanā – Hexe, die Kṛṣṇa vergiften wollte. Nach ihrem Tod wurde sie befreit. R Rādhā oder Rādhārāṇī – die ewige Gefährtin Śrī Kṛṣṇas; Sie ist eine Manifestation Seiner Freuden-Energie. Rāma – der Name der Absoluten Wahrheit als die Quelle unendlicher Freude für die Transzendentalisten. Rāmacandra – Inkarnation Kṛṣṇas vor 5 Millionen Jahren. Rasa – die Beziehung zwischen dem Herrn und den Lebewesen. Es gibt fünf grundlegende Arten: die neutrale Beziehung (śānta-rasa), die Beziehung als Diener (dāsya-rasa), als Freund (sākhya-rasa), als Elternteil (vatsālya-rasa) und als vertraute Geliebte (madhūrya-rasa). Rāsa-līlā – Kṛṣṇas Tanz mit den gopīs, bei dem Sich der Herr in so viele Formen erweiterte, wie gopīs zugegen waren, um mit jeder einzelnen zu tanzen. Rohiṇī – eine Frau Vasudevas, die Mutter Balarāmas. Sie hatte in Vṛndāvana Zuflucht gesucht, um vor Kaṁsas Verfolgungen sicher zu sein. Rūpa Gosvāmī – das Oberhaupt der sechs großen geistigen Meister aus Vṛndāvana, die von Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu ermächtigt wurden, die Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins niederzuschreiben und zu verbreiten. S Sac-cid-ānanda vigraha – (sat–ewiges Dasein + cit–Wissen, ānanda–Glückseligkeit; vigraha–Gestalt) die ewige Gestalt des Höchsten Herrn, die voller Glückseligkeit und Wissen ist; auch: die ewige transzendentale Gestalt des Lebewesens. Samādhi – Trance, Versenkung in das Gottesbewußtsein. Sanātana Gosvāmī – einer der sechs großen geistigen Meister aus Vṛndāvana, die von Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu ermächtigt wurden, die Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins niederzuschreiben und zu verbreiten. Saṅkarṣaṇa – ein anderer Name für Balarāma. Śaṅkhacūda – Dämon, der versuchte, die gopīs zu entführen, doch von Kṛṣṇa getötet wurde. Sāṅkhya – 1. der yoga-Vorgang der Hingabe, der von Kapila im Śriṁad-Bhāgavatam beschrieben wird; 2. das analytische Verstehen des Körpers und der Seele. Sannyāsa – die Lebensstufe der Entsagung, auf der man alle Familienbeziehungen aufgegeben hat und alle Aktivitäten vollständig Kṛṣṇa geweiht werden. Śāradia-pūrṇimā – Vollmondnacht der śarat-Jahreszeit, während der Sich Kṛṣṇa mit den gopīs im rāsa-Tanz vergnügte. Sari – Bekleidung der Frauen. Śāstras – die offenbarten Schriften. Satya-yuga – das erste der vier Zeitalter eines mahā-yugas. Das Satya-yuga wird durch Tugend, Weisheit und Religion gekennzeichnet und währt 1728 000 Jahre. Siddhaloka – himmlischer Planet, auf dem die Bewohner alle mystischen Kräfte besitzen. Śiva – die Persönlichkeit, die für die Erscheinungsweise der Unwissenheit und die Zerstörung des materiellen Universums verantwortlich ist, ein großer Geweihter des Herrn. Smṛti – die Schriften, die von Lebewesen unter transzendentaler Anleitung zusammengestellt wurden. Śrīmad-Bhāgavatam – die Schrift, die von Vyāsadeva verfaßt wurde, um die Spiele Kṛṣṇas zu beschreiben und zu erklären. Śrūti – die Schriften, die direkt von Gott empfangen wurden. Śūdra – nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die körperlich arbeitende Klasse der Menschen. Śukadeva Gosvāmī – ein großer Gottgeweihter, der König Parīkṣit das Śrīmad-Bhāgavatam vortrug, als der König nur noch sieben Tage zu leben hatte. Surabhi – die Kühe in Kṛṣṇaloka. Sie können unbegrenzte Mengen Milch geben. Svāmī – jemand, der Geist und Sinne kontrollieren kann. Śyāmasundara – (śyāma–schwarz + sundara–wunderschön) ein Name der ursprünglichen Gestalt Śrī Kṛṣṇas. T Tapasyā – das freiwillige Aufsichnehmen von Unbequemlichkeiten, um Fortschritt im spirituellen Leben zu machen. Tilaka – U-förmiges Zeichen aus Lehm, das an verschiedenen Körperstellen aufgetragen wird, um den Körper als Tempel Viṣṇus zu kennzeichnen, wird sowohl von Kṛṣṇa als auch von Seinen Geweihten getragen. Tretā-yuga – das zweite Zeitalter im Kreislauf eines mahā-yugas. Es währt 1 296 000 Jahre. Tṛṇāvarta – Dämon in der Form eines Wirbelsturms, der Kṛṣṇa in die Luft entführte. Tulasī – eine große Gottgeweihte in der Gestalt einer Pflanze. Diese Pflanze ist dem Herrn sehr lieb, und ihre Blätter werden Seinen Lotosfüßen geopfert. U Universale Form – Form Kṛṣṇas, die alle Manifestationen im Universum beinhaltet. Upaniṣaden – der philosophische Teil der Veden, Īśa Upaniṣad, Kaṭha Upaniṣad usw., es gibt 108 Upaniṣaden. V Vaikuṇṭhas – (wörtl. ohne Angst) die ewigen Planeten des spirituellen Himmels. Vaiṣṇava – ein Geweihter des Höchsten Herrn Viṣṇu bzw. Kṛṣṇa. Vaiśya – nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die Kaufleute und Bauern. Vānaprasta – das zurückgezogene Leben, bei dem man sein Heim verläßt und von einem heiligen Ort zum andern reist, um sich auf die Lebensstufe der Entsagung vorzubereiten. Varuṇa – der Halbgott des Wassers. Vatsāsura – Dämon, der sich in der Form eines Kalbes in Kṛṣṇas und Balarāmas Herde schlich, um die Brüder zu töten. Vasudeva – der Vater Kṛṣṇas. Vāsudeva – »der Sohn Vasudevas«, ein Name Śrī Kṛṣṇas. Vedānta-sūtra (Brahma-sūtra) – eine philosophische Abhandlung, die von Vyāsadeva geschrieben wurde, um die Schlußfolgerung aller Veden zu geben. Veden – die vier verschiedenen Schriften (Ṛg-, Yajur-, Sāma- und Atharva-veda) und ihre Ergänzungen wie die Upaniṣaden, die Purāṇas, das Mahābhārata, das Vedānta-sūtra usw. Viyadhāra – Halbgott, der von einem Weisen verflucht worden war, den Körper einer Schlange anzunehmen, und der von Kṛṣṇa erlöst wurde. Viṣṇu – der alldurchdringende Persönliche Gott (eine vollständige Erweiterung Kṛṣṇas), der vor der Schöpfung in jedes materielle Universum eingeht. Viṣṇu-tattva – unzählige ursprüngliche bzw. Viṣṇu-Erweiterungen Kṛṣṇas. Vrajabhūmi – das Land von Vṛndāvana. Vṛndāvana – der Ort, an dem Kṛṣṇa Seine transzendentalen Spiele offenbarte, als Er vor 5000 Jahren auf der Erde erschien. Vyāsadeva – der bedeutendste Philosoph der Vorzeit. Er war eine Inkarnation Viṣṇus und zu literarischer Tätigkeit ermächtigt; er stellte die Veden, die Upaniṣaden, die Purāṇas, das Mahābhārata, das Vedānta sūtra usw. zusammen. Y Yajña – Opfer. Yajñeśvara – »Herr des Opfers«, ein Beiname Kṛṣṇas. Yamunā – heiliger Fluß, der an Vṛndāvana vorbeifließt. Yaśodā – Kṛṣṇas Pflegemutter. Yoga – der Vorgang, das Bewußtsein des winzig kleinen Lebewesens mit dem höchsten Lebewesen, Kṛṣṇa, zu verbinden. Yogeśvara – »der Meister aller mystischen Kräfte«, ein Name Kṛṣṇas. Yuga – eines der vier Zeitalter, die sich in ihrer Dauer voneinander unterscheiden, und die sich wie die Jahreszeiten abwechseln. Siehe auch Satya-yuga, Tretā-yuga, Dvāpara-yuga und Kali-yuga. Yugāvatāras – die Inkarnationen des Herrn, die in jedem einzelnen der vier verschiedenen Zeitalter erscheinen, um die geeignete Form der spirituellen Verwirklichung für das jeweilige Zeitalter zu lehren.