Śrī Īśopaniṣad - im HTML Format zum Online Lesen


Sri Isopanisad

von A.C Bhaktivedanta Swami Prabhupāda
 


Śrī Īśopaniṣad | Fünfter Mantra

तद् एजति तन् नैजति तद् दूरे तद् व् अन्तिके।
तद् अन्तर् अस्य सर्वस्य तद् उ सर्वस्यास्य बाह्यतः॥ ५॥

tad ejati tan naijati tad dūre tad v antike |
tad antar asya sarvasya tad u sarvasyāsya bāhyataḥ || 5 ||

tat – der höchste Herr; ejati – bewegt Sich; tat – Er; na – nicht; ejati – bewegt Sich; tat – Er (ist); dūre – weit entfernt; tat – Er (ist); u – auch; antike – ganz nah; tat – Er (ist); antaḥ – in; asya – von dem; sarvasya – alle; tat – Er (ist); u – auch; sarvasya – alle; asya – hiervon; bāhyataḥ – außerhalb von.

ÜBERSETZUNG

Der höchste Herr bewegt Sich und bewegt Sich nicht. Er ist weit entfernt, und doch ist Er ganz nah. Er ist in allen Dingen, und dann wiederum ist Er jenseits aller Dinge.

ERKLÄRUNG

Hier findet sich eine Erklärung des überweltlichen Wirkens des höchsten Herrn durch Seine unvorstellbaren Kräfte. Zwei Gruppen sich widersprechender Worte werden hier erwähnt, um die unvorstellbare Kraft Gottes zu bekunden. Er bewegt sich, und Er bewegt sich nicht. Diese beiden Wendungen widersprechen sich. Wenn jemand sich bewegen kann, dann ist es falsch zu sagen, daß er sich nicht bewegen kann. Diese Widersprüche zeigen die unvorstellbare Macht Gottes. Mit unserem begrenzten Wissen können wir diese Dinge nicht in Einklang bringen, und deshalb wird Gott vom Standpunkt unseres begrenzten Verstandesvermögens begriffen. Die Philosophen, die Anhänger der Lehre vom Unpersönlichen, die der Māyā-vāda-Schule angehören, akzeptieren nur den unpersönlichen Aspekt von Gottes Wirken und bestreiten Seine persönlichen Eigenschaften. Die Bhāgavata-Lehre jedoch erkennt beide Seiten Gottes, die persönliche und die unpersönliche. Und die Bhāgavatas akzeptieren auch Seine unvorstellbaren Kräfte. Ohne unermeßliche Kraft verlieren die Worte höchster Herr ihre Bedeutung.

Wir dürfen es nicht als erwiesen betrachten, daß es ein persönliches Dasein Gottes nicht gibt, nur weil wir Gott nicht vor uns sehen können. Um dieses Argument zu widerlegen, weist die Śrī Īśopaniṣad darauf hin, daß der Herr weit fort von uns und ebenfalls ganz nahe bei uns ist. Das Reich Gottes befindet sich jenseits dieser stofflichen Welt. Uns ist es noch nicht einmal möglich, dieses Weltall der Materie zu messen. Wenn schon das Weltall der Materie so unglaublich fern von uns ist, wie fern muß dann erst das überweltliche Reich sein, das ganz und gar jenseits der stofflichen Welt liegt. Daß das überweltliche Reich unglaublich fern dieses Weltalls der Materie liegt, wird auch in der Bhagavad-gītā bestätigt. Aber obgleich der Herr so weit fort ist, kann Er doch augenblicklich, in weniger als einer Sekunde, vor uns erscheinen, mit einer Schnelligkeit, die gewaltiger ist als die des Geistes oder der Luft. Er kann sich so schnell fortbewegen, daß niemand Ihn übertreffen kann. Das wurde schon in der vorherigen Strophe beschrieben.

Wenn jedoch Gott in Seiner Gestalt unter uns sichtbar wird, dann mißachten wir Ihn. In der Bhagavad-gītā mißbilligt der Herr diese Mißachtung von verblendeten Menschen. Der Herr sagt, daß die Verblendeten Ihn verspotten und Ihn für einen der Sterblichen halten. Aber Er ist kein Sterblicher, noch erscheint Er unter uns mit einem Leib von grobstofflicher Beschaffenheit. Viele sogenannte Gelehrte sagen, daß Gott ebenso wie die gewöhnlichen Lebewesen in einem Körper aus Materie herabsteigt. Diese verblendeten Menschen stellen Gott, dessen unvorstellbare Macht sie nicht erfassen können, auf die gleiche Stufe wie den gewöhnlichen Menschen.

Weil Gott von unvorstellbaren Kräften erfüllt ist, kann Er unser Dienen durch jegliches Medium entgegennehmen, und Er kann Seine verschiedenen Kräfte nach Seinem Willen wandeln. Die Zweifler behaupten, Gott kann sich nicht verkörpern, oder wenn überhaupt, dann erscheint Er in einer der stofflichen Seinsformen. Diese Behauptung wird nichtig, sobald wir Seine unvorstellbaren Kräfte als Realitäten akzeptieren. Sollte Er in einer der stofflichen Seinsformen vor uns erscheinen, dann kann Er ohne weiteres die stoffliche Kraft in geistige Kraft umwandeln. Da der Ursprung der Kräfte ein und derselbe ist, können die Kräfte ganz nach dem Willen des Kraftursprungs verwendet werden. Zum Beispiel erscheint Gott in den Arcās, den Bildgestalten, die dem Anschein nach aus Erde und Stein hergestellt sind. Diese Formen jedoch – aus Holz, Stein oder irgendwelchen anderen Materialien geformt – sind keine Götzenbilder, wie von den Bilderstürmern behauptet wird.

Im jetzigen Zustand unseres unvollkommenen physischen Daseins können wir den höchsten Herrn mit unserem unvollkommenen Sehvermögen nicht wahrnehmen. Dennoch wird den Gottgeweihten, die Ihn durch die physische Sehkraft wahrnehmen wollen, von Gott Gnade erwiesen, der dem Anschein nach in physischer Form erscheint, um das Dienen der sich Ihm Weihenden entgegenzunehmen. Das bedeutet aber nicht, daß diese Gottgeweihten, die sich auf der untersten Stufe des liebevollen Dienens befinden, ein Götzenbild anbeten. Sie verehren Gott, den Herrn, der bereit ist, in einer ihnen zugänglichen Form zu erscheinen. Diese Arcā-Form wird nicht nach der Laune oder auf Bestellung des Anbetenden angefertigt. Diese Form, mit all ihrem Zubehör, existiert ewiglich. Von einem aufrichtig sich Hingebenden kann das auch tatsächlich wahrgenommen werden, nicht jedoch von einem Atheisten.

In der Bhagavad-gītā sagt der Herr, daß Er die sich Ihm Weihenden nach dem Grad ihrer Hingabe behandelt. Er behält Sich das Recht vor, Sich, außer dem sich Ihm Weihenden, nicht jedem zu offenbaren. Deshalb ist Er für die sich Ihm hingebende Seele ständig in Reichweite, während Er für die sich Ihm nicht hingebende Seele weit weit entfernt ist und nicht erreicht werden kann. Es gibt zwei Worte in den Offenbarungsurkunden, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind: Saguṇa und Nirguṇa, mit Eigenschaften und ohne Eigenschaften. Saguṇa bedeutet nicht, daß der Herr den Gesetzen der stofflichen Natur unterliegt, wenn Er sichtbar wird, obgleich Er voller Eigenschaften ist und obgleich Er in der physischen Form erscheint. Für Ihn gibt es keinen Unterschied zwischen stofflichen und geistigen Kräften, weil Er der Ursprung aller solcher Kräfte ist. Er ist der Regler aller dieser verschiedenen Kräfte, und als solcher ist Er nie, so wie wir, ihrem Einfluß ausgesetzt. Die stoffliche Kraft wirkt sich gemäß Seinen Anweisungen aus, und deshalb kann Er die stoffliche Kraft für Seine Zwecke gebrauchen, ohne jedoch von irgendwelchen Eigenschaften Seiner Kräfte beeinflußt zu werden. Noch wird Er für diese Zwecke je ein gestaltloses Wesen. Allerletztlich ist Er der Inbegriff der Gestalt, der urerste Herr. Der eigenschaftslose Aspekt, der Glanz des Brahman, ist das Leuchten der Strahlen, die von Seiner Gestalt ausgehen, ebenso wie die Sonnenstrahlen vom Sonnengott ausgehen.

Als der junge Heilige Prahlāda Mahārāj in Anwesenheit seines gottlosen Vaters von diesem gefragt wurde: ‹Wo ist denn nun dein Gott?›, antwortete der Knabe Prahlāda, daß Gott überall sei. Darauf fragte ihn der Vater zornentbrannt, ob sein Gott auch in den Säulen des Palastes sei. Der Knabe bejahte das. Daraufhin zertrümmerte der gottlose König die nächstbeste Säule, und sofort erschien der Herr als Nṛsiṁha (die Verkörperung in Halb-Mensch-, Halb-Löwengestalt) aus dem Inneren der Säule und tötete den gottlosen König. Das bedeutet, daß der Herr in allen Dingen, die durch Seine verschiedenen Kräfte erschaffen sind, gegenwärtig ist. Und durch Seine unvorstellbare Macht kann Er überall sichtbar werden, um dem sich Ihm aufrichtig Weihenden Gnade zu erweisen. Der Herr als Nṛsiṁha erschien nicht auf Befehl des gottlosen Königs aus dem Inneren der Säule, sondern auf Wunsch des Gottgeweihten Prahlāda. Ein Atheist kann dem Herrn nicht befehlen zu erscheinen, aber um dem sich Ihm hingebungsvoll Weihenden Gnade zu erweisen, kann der Herr überall und zu jeder Zeit sichtbar werden.

Die Bhagavad-gītā sagt als Bestätigung dazu, daß der Herr erscheint, um die Ungläubigen zu vernichten und die Gläubigen zu beschützen. Natürlich hat der Herr genügend Kräfte und Bevollmächtigte, die die Ungläubigen vernichten können, doch bereitet es Ihm Freude, den Gottgeweihten Gnade zu erweisen, und so steigt Er als eine der Inkarnationen herab. Er tut das also nur, um den sich Ihm Weihenden Gnade zu erweisen und aus keinem anderen Grund.

In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, daß Govinda, der urerste Herr, durch Seine uneingeschränkten Teilaspekte alles durchdringt. Er durchdringt sowohl das Universum wie auch die Atome des Universums. Jenseits ist Er in der Virāṭa-Gestalt und diesseits als der Antaryāmi gegenwärtig. Als Antaryāmi ist Er Zeuge all unseren Tuns, und in Form des Karma-phala läßt Er uns das Ergebnis unseres Tuns zukommen. Wir selbst mögen wohl vergessen, was wir in unseren früheren Leben getan haben, aber da der Herr als Zeuge unseres Tuns gegenwärtig ist, bleibt auch die Auswirkung unseres Tuns nie aus, und wir haben somit die Reaktionen zu erdulden.

In Wirklichkeit gibt es diesseits und jenseits nichts außer Gott. Alles ist eine Offenbarung Seiner verschiedenen Kräfte, gleich der Wärme und dem Licht des Feuers. Das bedeutet, daß es ein Einssein zwischen den verschiedenen Kräften gibt. Trotz dieses Einsseins jedoch genießt der Herr in Seiner persönlichen Gestalt all das, was die unvollkommenen Sinnesorgane der winzigen Teile, der Lebewesen, genießen können. » weiter

 

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