- Christus, Krischto, Kṛṣṇa -    
Original Version - Erste Auflage 1975
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von Seiner Göttlichen Gnade A.C Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Gründer und ācārya der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein


Christus Krischto Krishna Krnsa

Vorwort .................................................................... 7

Zen, christliche Lehre und Kṛṣṇa-Bewußtsein ............... 9

Morgenspaziergang .................................................. 45

Von Christus zu Kṛṣṇa ............................................... 49

Das Chanten der heiligen Namen Gottes in der Bibel ... 58

Die Prinzipien des Gottesbewußtseins ........................ 74

Die Friedensevangelien .............................................. 81

Wie man meditiert .................................................. 113

Anhang .................................................................. 119


 

Zen, christliche Lehre und Kṛṣṇa-Bewußtsein

Śrīla Prabhupāda spricht mit Prof. Karlfried Graf Dürckheim,
Prof. Pater Porsch und Dr. P. J. Saher

Śrīla Prabhupāda: Ich habe gehört, Sie lehren ein yoga-System?

Graf  Dürckheim: Nein,  ich  habe  nie yoga  gelehrt.  Ich  war  vielmehr  Professor  für  Philosophie  und Psychologie. Ich verbrachte den Krieg in Japan. Mein geistiger Meister ist Meister Eckhart, der große deutsche Mystiker des 13. Jahrhunderts.

In Japan traf ich auf Zen und entdeckte die gleiche Wahrheit; wieder einmal sah ich, daß es nur eine Wahrheit gibt. Von Japan zurückkehrend lehnte ich alle Angebote zu einer erneuten Professur ab und begann in einem kleinen Tal in den Bergen des Schwarzwaldes zu arbeiten und Bücher zu schreiben. Heute haben wir dort, was Sie einen kleinen Ashram nennen würden; es leben dort etwa 50-60 Personen. Menschen kommen und gehen, die versuchen, ihr wirkliches Selbst zu finden. Das ist unsere Arbeit.

Śrīla Prabhupāda: Die Absolute Wahrheit wird in drei Aspekten erkannt:

vadanti tat tattva-vidas
tattvaṁ yaj jñānam advayam
brahmeti paramātmeti
bhagavān iti śabdyate

„Gelehrte Transzendentalisten, die die Absolute Wahrheit kennen, nennen diese nicht-duale Substanz Brahman, Paramātma oder Bhagavān." (Bhāg. 1.2.11)
Manche verwirklichen die Absolute Wahrheit also als unpersönliches Brahman; andere verwirklichen die Absolute Wahrheit als lokalisierten Paramātma, und die endgültige Verwirklichung ist die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes. Wir bemühen uns um die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes, Kṛṣṇas - kṛṣṇas tu bhagavān svayam, wie es in den vedischen Schriften heißt "Kṛṣṇa ist der Höchste Persönliche Gott." (Bhāg. 1.3.28).
Welchen Aspekt der Absoluten Wahrheit versuchen Sie zu verwirklichen? Den Paramātma, das unpersönliche Brahman oder den Höchsten Persönlichen Gott?

Graf Dürckheim: Letztlich verwirklicht man ohnehin alle drei.

Śrīla Prabhupāda: Nein, alle drei sind zwar eins, doch es gibt Unterschiede entsprechend der Sichtweise. Ein Berg z. B. erscheint aus der Ferne betrachtet als dunstige Wolke. Kommt man ein wenig näher, sieht man eine grüne Erhebung, und wenn man den Berg besteigt, erkennt man den Berg wie er ist, mit Tieren, Bäumen usw. Das Objekt ist dasselbe, nur die Sicht ist verschieden. In Indien, d. h. heutzutage eigentlich überall, sehen manche die Absolute Wahrheit als unpersönlich an, ohne jede Vielfalt.

Graf Dürckheim: Die Buddhisten zum Beispiel.

Śrīla Prabhupāda: Deren Philosophie ist es sogar, jede Form der Verwirklichung zu beenden - nirvāṇa -, sie wollen keine Verwirklichung. Sie wollen die Verwirklichung beenden, um zum „Nichts" zu werden.

Graf Dürckheim: Hm. „Nichts" vom Standpunkt des alten Egos aus gesehen, aber dieses Nichts ist alles von der anderen Seite her betrachtet. Vom Standpunkt des alten Egos aus gesehen ist es Nichts, aber wenn wir es berühren, ist es die Fülle; es ist alles. Es ist jenseits von etwas und allem, soweit ich es verstehe.

Śrīla Prabhupāda: Dieses Jenseits wird, wie ich Ihnen erklärte, in verschiedener Weise erkannt. Einige verwirklichen es als unpersönlich und ohne Mannigfaltigkeit, einige als lokalisierten Paramātma-Aspekt und einige verwirklichen es als das Höchste Wesen, das sitzen und sprechen kann wie Sie und ich. Die Absolute Wahrheit ist eine Person, die höchste Person, das höchste Wesen, und wir, die Mitglieder der Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein, nähern uns Ihm - das nennt man Kṛṣṇa-Verwirklichung. Am Beginn steht oft die Negation materieller  Vielfalt,  dann  kommt  die  Wahrnehmung  des  Unpersönlichen,  dann  die Verwirklichung  des lokalisierten Aspektes, des Paramātma, und schließlich die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes.
Es ist wie bei einem kranken Menschen, der zuerst geheilt werden muß, bevor er die Tätigkeit des gesunden Lebens wieder aufnehmen kann. Auch der Kranke ist aktiv: Er ißt, er schläft, er entleert sich, aber all sein Tun ist leidvoll. Enttäuscht will er daher alles Handeln zum Nullpunkt bringen. Und wenn er hört, daß man auch im gesunden Leben ißt, schläft und sich entleert, glaubt er, das sei ebenso leidvoll wie in seinem kranken Zustand. In ähnlicher Weise versuchen manche Philosophen, die krankhafte Bedingtheit des Lebens ohne jede Kenntnis vom gesunden Leben zu negieren. Die buddhistische Philosophie spricht vom nirvāṇa, von der Negation der krankhaften Bedingtheit des Lebens, der Leiden und der Freuden. Habe ich recht?

Graf Dürckheim: Ja, sicherlich haben Sie recht. Ich glaube, die Buddhisten erkennen das, was von der einen Seite her gesehen als negativ erscheint, wie Krankheit z. B. oder Tod, und was vom natürlichen Ego aus gesehen gewiß auch nicht geschätzt wird; aber wenn wir weitergehen, ist dies gerade die Schwelle zu einer davon völlig verschiedenen Realität.

Śrīla Prabhupāda: Sicherlich verschieden, wie auch in dem Beispiel, das ich Ihnen gab: die Realität des krankhaften Zustandes unterscheidet sich von der Realität des gesunden Zustandes.
Wenn wir aber die Realität des gesunden Lebens an der Realität des erkrankten Lebens messen, werden wir zu falschen Schlüssen kommen. (Kurzes Schweigen)

Graf Dürckheim: Der Tod. - Was ist der Tod?

Śrīla Prabhupāda: Wir sagen, daß der Körper immer und unter allen Umständen tot ist. Um ein Beispiel zu geben: Das Mikrophon hier ist aus Metall. Es ist aus totem Metall - ob es nicht arbeitet, oder ob es in Funktion ist. Der Körper lebt nur, weil Lebenskraft in ihm ist. Wenn die Lebenskraft den Körper verläßt, sagt man, der Körper sei tot - in Wirklichkeit aber war er immer tot. Die spirituelle Kraft allein ist von Bedeutung, denn nur sie läßt den Körper leben. Der Körper selbst - ob lebend oder tot - ist zu allen Zeiten Materie und damit tot. Die Lebenskraft ist das aktive Prinzip, das den  Körper  als  tot  oder  lebend  in  Erscheinung  treten  läßt  -,  in Wirklichkeit aber ist er immer tot. Das ist der Beginn der Lehre der Bhagavad-gītā. Arjuna klagte um den Körper, der Körper jedoch ist tot. Es heißt dort:

aśocyān anvaśocas tvaṁ
prajñā-vādāṁś ca bhāṣase
gatāsūn agatāsūṁś ca
nānuśocanti paṇḍitāḥ

„Während du gelehrte Worte sprichst, betrauerst du, was des Kummers nicht wert ist. Die Weisen klagen weder um die Lebenden noch um die Toten." (Bg. 2.11)
Der Körper ist kein Studienobjekt - sei er tot oder lebend. Thema und Studienobjekt ist vielmehr das aktive Prinzip, das den toten Körper bewegt. Das ist der Beginn der Unterweisung der Bhagavad-gītā. Was ist Ihre Meinung?

Graf Dürckheim: Vielleicht darf ich eine Frage stellen. Wie lehren Sie Ihre Schüler, sich dessen bewußt zu werden, was keine Materie ist und die Materie belebt?

Śrīla Prabhupāda: Das aktive Prinzip, die Seele?

Graf Dürckheim: Ja.  Wie  machen  Sie  das  Ihren  Schülern  bewußt?  Ich  verstehe  Ihre  Philosophie,  die sicherlich die Wahrheit enthält - daran besteht kein Zweifel -, wie aber kann ich das den Menschen fühlen lassen?

Śrīla Prabhupāda: Das ist sehr einfach. Der eine Körper bewegt sich, und der andere Körper bewegt sich nicht. In dem einen ist ein aktives Prinzip gegenwärtig, das den Körper sich bewegen läßt; wenn es abwesend ist, bewegt der Körper sich nicht. Nun muß also die Frage lauten: Was ist dieses aktive Prinzip? Athāto brahma jijñāsā.1 Zuerst müssen die Schüler zwischen einem lebenden und einem toten Körper unterscheiden lernen. Wenn sich der Schüler darüber klar geworden ist, kann er verstehen, daß der Körper sich aufgrund des aktiven Prinzips bewegt und verändert, und daß er sich in Abwesenheit des aktiven .Prinzips weder verändert noch bewegt. Ebenso wie eine Maschine, die tot ist, aber zu arbeiten beginnt, sobald der Knopf gedrückt wird, reagiert auch der Körper, solange das aktive Prinzip im Körper anwesend ist. Wenn ich z. B. einen Schüler rufe, dann kommt er zu mir. Sobald aber das aktive Prinzip den Körper verlassen hat, mag ich ihn für Tausende von Jahren rufen, er wird nicht kommen. So einfach ist es, den Unterschied zu erkennen.
Nun müssen wir uns fragen: Was ist dieses aktive Prinzip? Das ist das Thema, das es zu verstehen gilt, und das ist der Beginn spirituellen Wissens. Darum geht es uns.

1 Vedānta-sūtra 1.1

Graf Dürckheim: Vielleicht darf ich eine Frage stellen: Für unseren rationalen Geist ist es ziemlich einfach zu verstehen, daß der Körper tot ist, und daß in ihm etwas sein muß, das ihn als lebendig in Erscheinung treten läßt. Die Schlußfolgerung also ist, daß Körper und aktives Prinzip zwei verschiedene Dinge sind. Nun aber war meine Frage, wie kann man sich dessen bewußt werden, als Erfahrung - nicht als Schlußfolgerung? Ich sehe, daß es auf dem Weg nach innen immer wichtiger wird, tiefere und tiefere Realitäten zu sehen, weshalb ich in meiner Arbeit immer den Unterschied mache zwischen dem Körper, der man ist, und dem Körper, den man hat. Die deutsche Sprache spricht von „Jemandem" und „Etwas". Der Körper, den man hat, ist die Gesamtheit der Gebärden, durch die man das wirkliche Selbst ausdrückt, präsentiert, realisiert oder vermißt.

Śrīla Prabhupāda: Wie ich sagte, besteht der Unterschied zwischen einem lebenden und einem toten Körper in der Anwesenheit oder Nichtanwesenheit des aktiven Prinzips. Wenn es nicht anwesend ist, ist der Körper tot. Eben dieses aktive Prinzip bin ich - so'haṁ. Ich bin Brahman - ahaṁ brahmāsmi. Ich habe den materiellen Körper angenommen; diese Erkenntnis ist Selbstverwirklichung. In der Bhagavad-gītā (18.54) heißt es dazu:

brahma-bhūtaḥ prasannātmā
na śocati na kāṅkṣati
samaḥ sarveṣu bhūteṣu
mad-bhaktiṁ labhate parām

„Wer auf diese Weise in der Transzendenz verankert ist, verwirklicht augenblicklich das Höchste Brahman. Er klagt niemals, noch verlangt er danach, irgendetwas zu besitzen. Er ist jedem Lebewesen gleichgesinnt. In diesem Zustand erreicht er reines hingebungsvolles Dienen."
Wer selbstverwirklicht ist, ist voller Freude - prasannātmā -, er ist niemals verdrossen; na śocati na kāṅkṣati - er kennt weder Klagen noch Verlangen; samaḥ sarveṣu bhūteṣu - er ist jedem gleichgesinnt - Menschen, Tieren - allen und: mad-bhaktiṁ labhate parām - er beginnt das Leben des gottgeweihten Dienens.
Ohne Selbstverwirklichung kann von einem Leben im gottgeweihten Dienen keine Rede sein. Diese Jungen und Mädchen (weist auf seine Schüler) werden darin geübt, sich stets im hingebungsvollen Dienst für Gott zu beschäftigen. Einer, der sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, muß selbstverwirklicht sein, weil er verstanden hat, wer er ist; und nur dann ist es ihm möglich, beim hingebungsvollen Dienen zu bleiben - sonst nicht. Wer sich für den Körper hält, kann sich nicht im hingebungsvollen Dienen beschäftigen. Wer sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, weiß: „Ich bin nicht der Körper, ich bin spirituelle Seele, ich bin ein Teil Gottes, und meine Aufgabe ist es, Gott zu dienen." - Das ist Selbstverwirklichung.

Graf Dürckheim: Ein anderer mag vielleicht schon glauben und dadurch wissen, daß er an der großen Göttlichen Person Anteil hat, es jedoch noch nicht erfahren haben.

Śrīla Prabhupāda: Warum nicht erfahren? Er weiß, daß er das aktive Prinzip ist. Eigentlich weiß jeder, daß er nicht der Körper ist. Ich sage z. B. „dies ist mein Finger", ich sage nicht „ich Finger". Wer also bin ich? Die Lösung dieser Frage bringt die Selbstverwirklichung. Selbstverwirklichung bedeutet zu verstehen, daß ich ein Teil Gottes bin, und daß es daher meine Pflicht ist, Gott zu dienen. Die Jungen und Mädchen hier beschäftigen sich im Dienst Gottes; deshalb sind sie selbstverwirklicht.
Solange man nicht selbstverwirklicht ist, kann man sich nicht im Dienst des Höchsten Selbst beschäftigen. Sogar im gewöhnlichen Leben weiß ein Diener, daß er im Dienst des Meisters steht. Der Meister gibt dem Diener zu essen, er gibt ihm Schutz, er gibt ihm alles was er braucht, und so gibt sich der Diener alle Mühe.

In der Bhagavad-gītā (14.26) heißt es:

māṁ ca yo' vyabhicāreṇa
bhakti-yogena sevate
sa guṇām samatītyaitān
brahma-bhūyāya kalpate

„Wer sich völlig im hingebungsvollen Dienen beschäftigt und niemals fehlt, transzendiert augenblicklich die Erscheinungsweisen der materiellen Natur und erreicht somit die Ebene des Brahman."

Graf Dürckheim: Ein langer Weg, dorthin zu gelangen!

Śrīla Prabhupāda: Und den Vorgang können wir hören: das Chanten1  der heiligen Namen Kṛṣṇas,  Gottes. (Während des Gespräches hört man aus dem Tempelraum ständig kīrtana.)2 Durch  diesen  Vorgang  verwirklichen die Schüler in Vollkommenheit den Herrn, das Höchste Wesen, und beschäftigen sich daher ständig in Seinem Dienst. Wenn keine Verwirklichung vorhanden wäre, warum würden sie ihre Zeit in solcher Weise verbringen?  Sie  sind  keine  Dummköpfe,  die  ihre  Zeit  vergeuden.  Bereits  als  junge  Menschen  haben  sie keinerlei materielle Anhaftung. Sie folgen strikt vier grundlegenden Prinzipien: Keiner meiner Schüler unterhält unerlaubte sexuelle Beziehungen; keiner ißt Fleisch, Fisch oder Eier, sondern nur Kṛṣṇa-prasāda; keiner nimmt  Rauschmittel  zu  sich  wie  Tee,  Kaffee,  Alkohol,  Nikotin  oder  Drogen,  und  keiner  nimmt  an Glücksspielen teil. Sie leben dieses Leben, obwohl sie in einem anderen Land geboren sind als ich, und obwohl sie unter ganz anderen Umständen aufgewachsen sind. Wieso also konnten sie all diese Dinge aufgeben, wenn sie keinen Geschmack am spirituellen Leben gefunden hätten? Wie könnten sie sonst zufrieden sein?
Bhakti bedeutet, daß man an unnötigen materiellen Dingen kein Interesse mehr hat. Nicht, daß sie nicht essen, aber sie essen nicht die allgemein üblichen, sogenannten leckeren Dinge zur Befriedigung der Zunge. Um zu essen, begehen sie keine sündigen Handlungen, wie etwa Tiere zu töten; sie sind zufrieden mit dem, was Gott ihnen gibt. Tyena tyaktena bhuñjītāh, heißt es in den Veden3. „Iß, was dir als Anteil bestimmt ist." Gott spricht: „Du bist ein menschliches Wesen, Ich habe dir Früchte gegeben, Ich habe dir Gemüse gegeben, Ich habe dir Getreide gegeben und Milch, die nahrhaft ist und alle Vitamine enthält. Warum also willst du Tiere töten? Warum willst du den Tieren Leid zufügen?" Selbstverwirklichung bedeutet auch, zu sehen, daß hier ein anderes Selbst ist. Das aktive Prinzip ist auch hier gegenwärtig - der Körper ist lediglich ein anderer. Warum ihn töten? Sie verwirklichen es - samaḥ sarveu bhūtesu4 -, allen Lebewesen gegenüber gleich zu sein.
Das Selbst, das aktive Prinzip, befindet sich in den Fischen, den Insekten, den Vögeln, den Säugetieren und auch in mir - das ist Selbstverwirklichung. Dieses aktive Prinzip ist die Seele, die von einem Körper in den andern wandert, ebenso wie ich in diesem Körper von Kindheit zu Jugend und zu Alter wanderte.
Die Seele ist dieselbe, der Körper ist verschieden. - Der Körper ist materiell und die Seele ist spirituell. Wenn man zu diesem Verständnis kommt - das ist Selbstverwirklichung.

1 Chanten - Singen und Sprechen
2 Kīrtana - Chorgesang, von Musik begleitet, zum Lobpreis Gottes

3 Śrī Īśopaniṣad, 1. Mantra
4 Bg. 18.54

Graf Dürckheim: Darf ich eine Frage stellen, verehrter Meister? - Auf dem inneren Weg sollte Fortschritt stattfinden, innerer Fortschritt. Wie läßt sich erkennen, daß Fortschritt stattfindet? Ich meine, folgendes ist bedeutsam: daß es drei Formen des Leids in der Welt des Menschen gibt - Angst vor der Vernichtung, Verwirrung durch eine absurde Situation, von der man eingefangen wird, und Einsamkeit, wenn man allein ist. Und ich sehe, daß der Mensch einen bedeutenden Schritt auf seinem inneren Weg macht, wenn er Leben fühlt im Moment, da er sterben muß; wenn er die große Bedeutung spürt im Moment der Verwirrung, und wenn er große Liebe für die Person Gottes empfindet, wenn er verlassen in der Welt ist. Und ich sehe, daß wir nun in der westlichen Welt eine entscheidende Phase erreicht haben, da zum ersten Mal die Menschen Westeuropas und der Vereinigten Staaten gewisse Erfahrungen - innere Erfahrungen - ernst zu nehmen beginnen, in denen der Tod sein schreckenerregendes Image verliert und Schwelle zu einem größeren Leben wird. So sehe ich denn auch bei meinen Schülern, daß sie stets zu einer neuen Ebene der Erfahrung erwachen, sobald sie lernen, durch eine Form von Tod hindurchzugehen, wenn sie ihre gewöhnlichen Nöte, ihre gewöhnlichen Ängste, ihre gewöhnlichen Handlungsweisen überschreiten und innerlich eine neue Ebene berühren, um zu sehen, daß da ein völlig andersartiges Prinzip am Werk ist, als sie es normalerweise in ihrem Verstand zu sehen gewohnt sind.

Śrīla Prabhupāda: Dieses Prinzip ist für den Gottgeweihten bereits verwirklicht, weil ein Gottgeweihter niemals denkt, daß er der Körper ist. Er weiß: ahaṁ  brahmāsmi - „ich bin spirituelle Seele." Ohne diese Verwirklichung kann von hingebungsvollem Dienen keine Rede sein. Das muß zuerst verstanden werden. Dieselbe Unterweisung gab Kṛṣṇa in der Bhagavad-gītā an Arjuna: „Du sorgst dich sehr um den Körper, aber der Weise mißt dem Körper - tot oder lebend - keine besondere Bedeutung bei." Jeder beschäftigt sich mit dem Körper - sei dieser nun lebendig oder tot -, und jeder ist der festen Überzeugung, der Körper sei das Selbst. Solange der Körper lebt, wird er geschminkt, geschmückt und gekämmt, und wenn er tot ist, wird über ihm ein Denkmal errichtet. Die Menschen sorgen sich um den Körper selbst nach dem Tod, indem sie Gedenkstätten errichten,  aber  sie  haben  kein  Wissen,  wohin  sich  das  aktive  Prinzip  verloren  hat!  Das  nennt  man Unwissenheit.

Graf Dürckheim: Als junger Mann kämpfte ich im 1. Weltkrieg 4 Jahre - fast 48 Monate - an der vordersten Front, und ich war einer der beiden Offiziere meines Regiments, die nicht verwundet wurden. Dort traf ich den Tod auf Schritt und Tritt und sah die Menschen neben mir fallen - plötzlich war es aus, genau wie Sie sagen - der Körper ohne Seele. Tatsächlich verwirklichte man etwas in sich, wenn der Tod nahe war und man sich mit dem Tod abgefunden hatte, was nichts mit Tod zu tun hatte.

Śrīla Prabhupāda: Das ist Selbstverwirklichung.

Graf Dürckheim: Diese Jahre des Weltkrieges prägten mich sehr und sind der Beginn meines inneren Weges.

Śrīla Prabhupāda: Es heißt in den Schriften: nānān aparā sarveṇa bhūtaśana vidyate. „Eine Gott-bewußte Seele hat vor nichts Angst - was immer es sein mag." Wer also selbstverwirklicht ist, kennt keine Angst und mißt den körperlichen Notwendigkeiten des Lebens wenig Bedeutung bei. Das ist Befreiung. Schlaf z. B. ist eine Notwendigkeit des Körpers, aber es ist keine spirituelle Notwendigkeit. Im Śrī-Śrī-Ṣaḍ-Gosvāmy-Aṣṭaka, einem Lied über die sechs Gosvāmīs von Vṛndāvana, wird gesagt: nidrāhāra-vihārakādi-vijitan - „sie siegten über  Schlaf,  Essen,  Sexualität".  Das  sind  die  Symptome  der  Selbstverwirklichung.  Je  mehr  man  in  der Selbstverwirklichung fortschreitet, desto mehr werden sich körperliche Bedürfnisse verringern und schließlich praktisch zum Nullpunkt kommen. Da der Körper von dem aktiven Prinzip verschieden ist, unterscheidet sich auch das Bedürfnis des aktiven Prinzips von den  körperlichen Bedürfnissen, nämlich: Kṛṣṇa-Bewußtsein, Gottesbewußtsein zu erlangen. Solange wir den Körper haben, müssen wir essen, schlafen usw.; doch in dem Maße,  wie  wir  fortschreiten,  werden  sich  diese  Bedürfnisse  verringern.  Schlaf  z.  B.  ist  für  die selbstverwirklichte Seele Zeitverschwendung.

Graf Dürckheim: Der Fortschritt in der Selbstverwirklichung ist eine Abfolge von Erfahrungen, nicht wahr? Es ist der Fortschritt innerer Erfahrungen. Ich glaube, daß der Reichtum der Europäer, die durch Krieg, Konzentrationslager, Schlachtfelder und Bombennächte hindurchgingen, sich in ihren Herzen verbirgt. Es sind gewisse Momente, in denen sie - dem Tod nahe - verwundet und oft fast in Stücke gerissen waren. Weil sie eine gewisse Erfahrung machten, durch die sie mit der göttlichen Realität in Berührung kamen, verwirklichten sie plötzlich, daß es etwas gibt, was über den Körper hinausgeht.

Śrīla Prabhupāda: Das können wir jede Nacht verwirklichen. Wenn ich träume, lasse ich den Körper zurück und gehe an diesen oder jenen Ort. Wir erfahren also, daß wir vom Körper verschieden sind. Nachts vergesse ich meinen Körper, der auf dem Bett liegt, und handle in einer völlig verschiedenen Umgebung, und tagsüber wiederum vergesse ich, daß ich des Nachts in einem anderen Körper war, diesen oder jenen Ort besuchte, durch die Luft flog usw. Nachts vergesse ich den einen Körper, und tagsüber vergesse ich den anderen Körper - ich unterliege nur einer Verstrickung auf der Ebene des Geistes. In Wirklichkeit aber bin ich verschieden von meinem Geist. - Das ist Selbstverwirklichung. In der Bhagavad-gītā (3.42) wird dazu gesagt:

indriyāṇi parāny āhur
indriyebhaḥ paraṁ manaḥ
manasas tu parā buddhir
yo buddheḥ paratas tu saḥ

„Die Sinne sind toter Materie überlegen; der Geist steht über den Sinnen; die Intelligenz steht über dem Geist, und er (die Seele) befindet sich sogar noch über der Intelligenz."

Graf Dürckheim: Darf ich eine Frage an Sie richten, werter Meister, die Frage nach der Zeit, der Bedeutung der Zeit? Ich glaube, es gibt zwei Möglichkeiten, die Zeit und die Ewigkeit zu sehen.

Śrīla Prabhupāda: Die Zeit ist ewig, aber wir denken in Zeitbegriffen, d. h. in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, weil unser materieller Körper nur zeitweilig existiert. Die Vergangenheit und Gegenwart für eine Ameise ist verschieden von der Vergangenheit und Gegenwart, wie ich sie empfinde. Ich bin ein menschliches Wesen und lebe vielleicht 100 Jahre, während die Ameise nur einige Tage lebt. Meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist also von der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ameise verschieden. Ebenso hat Brahmā eine andere Auffassung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, da Millionen und Abermillionen von Jahren für ihn ein Tag sind. Zeit ist ewig, aber in der Weise, in der wir Raum und Zeit in unser Denken integrieren, sehen wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Graf Dürckheim: Hm. Wenn wir über die Ewigkeit sprechen, müssen wir meiner Meinung nach zwei Auffassungen gleichzeitig berücksichtigen. Die eine besagt, daß sich das endliche Leben unbegrenzt, für Millionen von Jahren fortsetzt; aber es gibt noch ein anderes ...

Śrīla Prabhupāda: Ewigkeit bedeutet - wie wir sagen - ohne Beginn und ohne Ende. Das ist Ewigkeit.

Graf Dürckheim: Gibt es nicht auch eine andere Sicht, wenn z. B. Jesus sagt: „Ich war, bevor Abraham war, das bin ich." Da ist eine Form der Ewigkeit, die überhaupt nichts mit Vergangenheit und Zukunft zu tun hat. Sie ist jenseits von Vergangenheit und Zukunft.

Śrīla Prabhupāda: Vergangenheit und Zukunft existieren nur in bezug zum Körper.

Graf Dürckheim: Genau, sie betreffen nur den Körper und dieses Ego, für das es ein vorher und ein nachher, ein 'rauf und 'runter gibt. Und wenn wir dieses Ego fortnehmen, was bleibt? Ich würde sagen ...

Śrīla Prabhupāda: Das ist das reine Ego. Ich wurde vor nicht ganz 80 Jahren in Indien geboren und habe diesen indischen Körper bekommen; ich habe das falsche Ego erlangt, daß ich Inder, daß ich mein Körper bin - dies ist die falsche Auffassung.

Graf Dürckheim: Das ist der eine Weg, auf die Zeit zu sehen, aber ...

Śrīla Prabhupāda: Zeit ist ewig, aber weil ich einen zeitweiligen, vergänglichen Körper angenommen habe, denke ich in Begriffen wie „Vergangenheit",  „Gegenwart"  und  „Zukunft".  Der  zeitweilige  Körper  wird vergehen, ich werde einen neuen zeitweiligen Körper annehmen, und aufs neue beginnt das Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. - Das wird Illusion genannt.
Zeit ist ewig, sie hat weder Anfang noch Ende. Anfang und Ende hat nur der Körper, und wir wechseln von einem Körper zum anderen und denken daher irrtümlich: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Graf Dürckheim: Aber ohne den Körper würden wir uns nicht bewußt werden können über die Dinge, die jenseits vom Körper sind.

Śrīla Prabhupāda: Ich bin immer bewußt. Wenn ich z. B. schlafe und träume, nehme ich einen anderen Körper an als während des Tages; dennoch bin ich bewußt. Tagsüber wiederum habe ich den Traumkörper verlassen, aber ich bin immer noch bewußt. Dieses Bewußtsein ist jedoch unrein, weil ich den vergänglichen materiellen Körper für das Selbst halte. Wenn ich aber schließlich zum reinen Bewußtsein vordringe - das ist Kṛṣṇa-Bewußtsein.

Graf Dürckheim: Doch als Erfahrung, das reine Bewußtsein als Erfahrung muß einen Hintergrund haben, der nicht reines Bewußtsein ist; andernfalls könnte es nicht bewußt werden.

Śrīla Prabhupāda: Nein. Reines Bewußtsein ist, was Sie in Wirklichkeit sind. Ein Beispiel: Wasser ist ursprünglich, wenn es vom Himmel kommt, kristallklar, sobald es jedoch auf den Boden fällt, wird es verschmutzt. Ebenso sind wir als spirituelle Seele rein, doch sobald wir mit der Materie, mit der materiellen Existenz, in Berührung kommen, werden wir verunreinigt. Es gibt drei Stufen der Unreinheit: Unwissenheit, Leidenschaft und (materielle) Reinheit oder Güte. Solange man nicht auf die Stufe spirituellen Bewußtseins kommt, ist man von diesen Eigenschaften,  die  auch  Erscheinungsweisen  der  Natur  genannt  werden, verunreinigt - bestenfalls von der Eigenschaft der Reinheit oder Güte, weil man sich z. B. für einen guten Menschen hält. Ein anderer wird von der Erscheinungsweise der Unwissenheit beherrscht: Er weiß überhaupt nicht, was er ist; er ist wie ein Tier - auch das ist Unreinheit. Wenn Sie jedoch zum reinen Bewußtsein kommen, wenn Sie nämlich erkennen, daß Sie ein Teil Gottes sind, und daß es Ihre Pflicht ist, Ihm zu dienen, das ist Kṛṣṇa-Bewußtsein! Solange man sich mit dem materiellen Bewußtsein identifiziert, ist man unrein. Wir sehen die Menschen kämpfen: „Ich bin Deutscher, ich bin Engländer, ich bin dieses, ich bin jenes, ich  bin schwarz, ich bin weiß, ich bin Brahmane, ich bin śūdra ...." so viele Namen und Bezeichnungen! Erst wenn ich zur reinen spirituellen Seele vordringe, wenn ich körperliche Bezeichnungen wie „Amerikaner", „Deutscher", „dieses", „jenes" oder was auch immer, abgelegt habe, befinde ich mich in reinem Bewußtsein.

Graf Dürckheim: Aber die Bedeutung des Unreinen ist Hintergrund für das Bewußtsein der Reinheit. Ohne das Leid in der Unreinheit erfahren zu haben ...

Śrīla Prabhupāda: Reines Bewußtsein ist bedeckt durch Unreinheit, ebenso wie Gesundheit durch Krankheit bedeckt ist; das Symptom ist Leid. Doch das ist nur die Bedeckung, das ist nicht der gesunde Zustand des Lebens. Wenn ich weiß, daß ich weder Amerikaner noch Deutscher, noch dieses, noch jenes, sondern vielmehr Teil Gottes bin, das ist reines Bewußtsein.

Graf Dürckheim: Um aber dorthin zu gelangen, muß man zuerst gelitten haben durch den Gedanken, dieses oder jenes gewesen zu sein.

Śrīla Prabhupāda: Dieses Leid ist wie das Leid, das man erfährt, wenn man träumt, von einem Tiger angegriffen zu werden. In Wirklichkeit gibt es keinen Tiger, es gibt kein Leid, aber aufgrund meiner Unwissenheit denke ich, daß der Tiger mich fresse. Solche Erfahrungen sind materiell, nicht spirituell, und haben kein Ende, solange wir an der Materie haften. In der materiellen Welt wechseln wir unseren Körper ständig. Ihre Welt als Kind ist verschieden von Ihrer Welt heute. Wie wir also unseren Körper wechseln, kommen wir zu verschiedenen Erfahrungen, und all diese Erfahrungen werden im Geist photographisch aufgezeichnet. Manchmal treten bestimmte Erfahrungen hervor und mischen ein Bild, und wir sehen wie im Traum die widersprüchlichsten Dinge: Das ist geistige Spekulation, das Schweben auf der mentalen Ebene; es ist nicht die spirituelle Ebene, wie wir aus der Bhagavad-gītā wissen (indriyāṇi parāṇy āhur, s.o.). - Es ist eine materielle Ebene. Wir müssen auch die Ebene der Intelligenz überschreiten, um auf die Ebene spiritueller Verwirklichung zu gelangen. Das ist die Unterweisung der Bhagavad-gītā.
Wenn wir unsere wirkliche Aufgabe erfüllen, nämlich von all diesen Namen und Bezeichnungen frei zu werden, erreichen wir die Ebene wirklichen Bewußtseins, auf der wir erkennen, daß wir ewig sind, daß Gott ewig ist, daß wir Teile Gottes sind, und daß es unsere Pflicht ist, Ihm zu dienen.
Auch jetzt dienen wir -  wir  sind  nicht  frei  vom  Dienen -,  doch  jetzt  dienen  wir  unter  Namen  und Bezeichnungen, wie Sie z. B., als Sie in den Krieg zogen, weil Sie glauben, Deutscher zu sein, der kämpfen muß, um seinem Land zu dienen. Ein anderer denkt, daß er seiner Gemeinschaft dienen muß, daß er seiner Familie dienen muß, usw., und wenn es niemanden gibt, dem er dienen kann, macht er sich zum Diener eines Hundes. Auch Arjuna dachte in der Bhagavad-gītā (1.32-35) verwirrt durch die körperliche Auffassung: „Ich gehöre zu einer bestimmten Familie; auf der anderen Seite stehen meine Verwandten. Sie gehören zur gleichen Familie; warum soll ich kämpfen?" Vom materiellen Standpunkt aus gesehen, war das edel gedacht, aber Kṛṣṇa verurteilte ihn: aśocyān anvaśocas, prajñā-vādāṁś ca bhāṣate. „Du hältst gelehrte Reden, aber du bist der größte Narr!" (Bg. 2.11)
Das ist die erste Unterweisung, denn Arjuna befand sich in der Illusion der körperlichen Lebensauffassung. Aber nachdem er die Bhagavad-gītā gehört hatte, verstand er, daß er nicht der Körper, sondern ewiger Diener Gottes ist, und daß es seine Pflicht ist, den Anweisungen Gottes zu folgen. Oberflächlich gesehen blieb er der gleiche Krieger, aber zu Beginn war er Krieger unter der Designation des Körpers, und später wurde er Krieger, um die Befehle des Höchsten auszuführen. Das muß das Ziel sein. Wenn wir nicht auf der Ebene des Körpers handeln, sondern vielmehr, um die Anweisungen des Höchsten auszuführen, das ist Selbstverwirklichung.

Graf Dürckheim: Es gibt nur einen Weg zum Frieden, zur Selbstverwirklichung: verantwortlich zu handeln. Śrīla Prabhupāda: Ja. Selbstverwirklichung bedeutet zu verstehen, wie es in der Bhagavad-gītā heißt, daß man nicht Genießer oder vielmehr, daß niemand außer Gott Genießer ist. Die Lebewesen versuchen, bemühen sich vergeblich darum, die Welt zu genießen. Der wirkliche Genießer aber ist der Höchste Herr. Wir versuchen dieses Land oder jenes Land als unser Eigentum zu beanspruchen, erklären dieses für Deutschland, halten jenes Land für England, Frankreich oder Indien, aber wir müssen verstehen, daß uns kein Land dieser Erde gehört, weil alles Gottes Eigentum ist. Das ist eine Tatsache: Wir haben das Land nicht geschaffen, wir haben den Ozean nicht geschaffen - wie kommen wir also dazu zu sagen, daß dieser Ozean deutsch und jener englisch sei? Das sind falsche Vorstellungen. Wenn wir zu dem Verständnis kommen, daß uns nichts gehört, erkennen wir, daß wir nichts zu vereinigen haben. Die Vereinten Nationen kämpfen seit fast dreißig Jahren, aber sie kämpfen auf der falschen Ebene,, weil jeder denkt, dieses Land ist mein." Sie haben keine Selbstverwirklichung - sie finden keinen Frieden. Unser Bestreben geht deshalb dahin, jedem bewußt zu machen, daß wir alle Diener Gottes, Söhne Gottes sind, daß Gott alles gehört, und daß wir das Eigentum unseres Vaters in dem Maße für unseren Unterhalt gebrauchen dürfen, wie es notwendig ist, und nicht darüber hinaus. Wenn wir in dieser Weise denken, sind wir Kṛṣṇa-bewußt, und es wird nie wieder Krieg, sondern immer Frieden geben.

Graf Dürckheim: In meiner Arbeit sehe ich immer wieder eine große Schwierigkeit: daß es nämlich ein Unterschied ist, zu glauben und zu erfahren, daß man ein Sohn Gottes ist. Solange es nur Glauben ist, ist es nur eine gute Intention. Wie kann man es den Schülern ermöglichen, die Erfahrung zu machen? Das ist das Problem bei meiner täglichen Arbeit.

Śrīla Prabhupāda: So schwierig ist das nicht. Nehmen wir an, Sie seien ein Waisenkind und hätten ihren Vater nie gesehen. Sie müßten glauben, daß es einen Vater gibt, denn ohne Vater kann niemand sein. Das ist Glauben.

Graf Dürckheim: Ich muß es erfahren!

Śrīla Prabhupāda: Das ist bereits die Erfahrung! Die Christen gehen in die Kirche und beten: „Vater, gib uns unser täglich Brot." - Es ist also ein Höchster Vater da. Dies finden wir in der Bhagavad-gītā (14.4) bestätigt. Kṛṣṇa, Gott,  sagt:  „Ich  bin  der  samengebende  Vater  aller  Lebewesen  in  den  verschiedenen  Formen  des Lebens."

Graf Dürckheim: Ein Problem ist, daß im östlichen Teil der Welt, wie ich es in Japan gesellen habe, Vater und Mutter geehrt und geliebt werden, in der westlichen Welt der Vater im allgemeinen seinen Sohn nicht mehr versteht, so daß der Sohn sich von seinem Vater befreien muß, um sich zu verwirklichen. Das größte Hindernis unserer Jugendlichen ist oft das Bild des Vaters oder der Mutter, weil diese ihre Kinder niemals verstanden haben. Das Wort „Vater" wird also in der westlichen Welt...

Śrīla Prabhupāda: . . . falsch verstanden . . .

Graf Dürckheim: . . . und ist etwas, dem man nicht zustimmen kann. Mit allen Autoritäten ist es heute das gleiche, nämlich, daß sie weder Verständnis zeigen noch Liebe aufbringen. Viele Väter sagen in ihren Familien (lächelt ironisch): „Ich weiß nicht, wieso ihr immer von Freiheit redet; in meiner Familie kann jeder tun, was ich will." Den gleichen Trend der Schwächung der Autorität erkennen wir in der Entwicklung der Religion heute.

Śrīla Prabhupāda: Wir sprechen nicht von Religion, wir sprechen von Tatsachen, denn Religion wird heute häufig als eine Sache des Gefühls verstanden. Hier aber haben wir es mit Tatsachen zu tun. Ohne Vater kann es keinen Sohn geben, ebenso wie ohne Sohn von der Existenz eines Vaters keine Rede sein kann.

Graf Dürckheim: Richtig.

Śrīla Prabhupāda: Deshalb haben wir es hier mit keiner Religion zu tun; es ist eine Wissenschaft. Sobald wir vom Vater sprechen, bedeutet das, daß Kinder existieren müssen, und wenn wir von Kindern sprechen, muß es einen Vater geben. Es ist eine Sache der Logik, und keine Sache des Gefühls.

Graf Dürckheim: Einer der großen Sätze des Johannesevangeliums, den die Kirche vergessen hat, lautet: „Jesus sagte: ,Ich bin der Sohn Gottes, und ihr seid meine Brüder, Söhne Gottes, wie ich es bin'."

Śrīla Prabhupāda: Sehen Sie? Die heutigen sogenannten Christen befinden sich in Unwissenheit. Sobald man sagt, daß wir Söhne Gottes sind, werden sie ablehnend. Christus ist für sie der einzige Sohn, obwohl er selbst sagte, daß auch wir Söhne Gottes sind.
Das  ist  eine  Wahrheit,  denn  auch  Kṛṣṇa sagt,  daß  alle  Lebewesen  Seine  Söhne  sind.  Er  sagt  in  der Bhagavad-gītā (14.4):

sarva yoniṣu kaunteya
mūrtayaḥ sambhavanti yaḥ
tāsāṁ brahma mahad yonir
ahaṁ bīja-pradaḥ pitā

„O Sohn Kuntīs, man sollte verstehen, daß alle Arten des Lebens durch Geburt in der materiellen Welt ermöglicht werden, und daß Ich der samengebende Vater bin."

Graf Dürckheim: Wunderbar.

Śrīla Prabhupāda: Die materielle Natur ist die Mutter, d. h., der Körper wird von der materiellen Natur gegeben, doch die Seele ist Teil Gottes. Die Seelen werden in die materielle Natur gezeugt, und so kann die Vielfalt der Lebewesen entstehen - wie einfach es erklärt ist! Selbstverwirklichung bedeutet also, wie wir aufgezeigt haben, samaḥ sarveu bhūteṣu - „allen Lebewesen gegenüber gleich zu sein." (Bg. 18.54) Aber weil die materialistischen Menschen kein spirituelles Wissen besitzen, heißt Wohltätigkeit für sie im besten Falle, den Menschen alle Möglichkeiten zu geben, und den Tieren nicht. Sie sprechen von Nationen, aber statt jedem Schutz zu geben, der in ihrem Land geboren wurde - wie es eigentlich der Definition des Wortes  „Nation" entspräche -, gewähren sie nur den Menschen Hilfe und Schutz, während sie die armen Tiere ins Schlachthaus führen. Aufgrund falscher Vorstellungen begehen sie nur Fehler. Wenn wir verstehen, daß  wir nicht der Körper, sondern spirituelle Seele sind, werden wir von der ursächlichen falschen Vorstellung frei und beginnen den Pfad der spirituellen Verwirklichung, den Pfad der Selbsterkenntnis.

Graf Dürckheim: Und dieses Verstehen muß Erfahrung sein.

Śrīla Prabhupāda: Ja. Jeder hat es bereits erfahren, aber aufgrund von Torheit meint jemand, er habe es nicht erfahren. Ich weiß, daß ich nicht der Körper bin. Warum? Weil ich mich jetzt in dem Körper eines alten Mannes befinde, aber vor 50 Jahren noch nicht in diesem Körper war. Daher bin ich nicht der Körper. Der Körper mag sich wandeln - dieser Körper oder jener Körper - doch ich bleibe der gleiche. Deshalb bin ich vom Körper verschieden. Das ist eine einfache Erfahrung. Ich existierte im Körper eines Säuglings, ich existierte im Körper eines Kindes, eines Jugendlichen, ich habe so viele Körper gewechselt, doch ich bin immer noch dieselbe Person - also bin ich nicht der Körper. Jetzt haben Sie z. B. einen schwarzen Anzug an; morgen tragen Sie vielleicht einen grauen; aber Sie sind nicht der Anzug, Sie wechseln ihn nur. Ebenso habe ich schon viele Male den Körper gewechselt, doch ich bin nicht der Körper - das ist Selbstverwirklichung.
Zuerst muß man verstehen, daß man nicht mit dem Körper identisch ist, sondern nur in dem Körper lebt. Sie sind nicht Ihr Anzug; wenn ich Sie als „Herr Anzug" anspreche, so ist das meine Dummheit. Sie sind weder „Herr Schwarzanzug" noch „Herr Grauanzug"; das zu verstehen ist Selbstverwirklichung.

Graf Dürckheim: Und dennoch ist da eine Schwierigkeit: man kann nicht wirklich verstanden haben, daß man nicht der Körper ist, solange man z. B. noch Angst vor dem Tod hat, denn dann hat man noch nicht durch Verwirklichung verstanden. Sobald man durch Verwirklichung verstanden hat, daß man nicht der Körper ist, hat man keine Angst mehr vor dem Tod, weil man weiß, daß man nicht sterben kann.

Śrīla Prabhupāda: Verwirklichung wird durch höheres Wissen empfangen; Verwirklichung bedeutet höheres Wissen. Je mehr man in höherem Wissen fortgeschritten ist, desto vollkommener ist die Verwirklichung.

Graf Dürckheim: Ich würde eher umgekehrt sagen: Je weiter man in der Verwirklichung ist, desto weiter ist man in höherem Wissen.

Śrīla Prabhupāda: Doch höheres Wissen kann man direkt erfahren. Statt für Jahre zu experimentieren, um herauszufinden, daß Sie nicht der Körper sind, nehmen Sie das Wissen von Kṛṣṇa, dem Vollkommenen, und Ihre Erfahrung wie auch Ihre Verwirklichung sind vollkommen.

Graf Dürckheim: Ja, ich verstehe.

Śrīa Prabhupāda: Deshalb lautet die Unterweisung der vedischen Schriften: „Wende dich an einen guru, wenn du erfahren willst, worin die Vollkommenheit des Lebens besteht." Wer aber ist der guru? Wem soll ich mich nähern? In den Veden heißt es dazu: „Guru ist, wer von seinem guru in vollkommener Weise gehört hat." Wer keine Möglichkeit hatte, von einem vollkommenen guru zu hören, kann nicht guru sein. Das wird guru paramparā genannt, die Nachfolge der geistigen Meister. Ich höre von einer vollkommenen, selbstverwirklichten Seele und gebe dieses Wissen unverändert, wie ich es gehört habe, weiter. Kṛṣṇa offenbart uns Wissen in der Bhagavad-gītā, und wir verbreiten dieses Wissen, wie wir es empfangen haben.
Direkte, sinnliche Erfahrung ist unvollkommen. Ich erfahre zwar ständig, aber mein Erfahrungsbereich ist nur klein. Wenn ich dagegen die Erfahrung einer vollkommenen Person in Anspruch nehme, wird auch meine Erfahrung vollkommen sein. Wenn ein Kind etwas nicht kennt, fragt es seinen Vater. Der Vater sagt: „Mein liebes Kind, dies ist ein Mikrophon", und so weiß das Kind, daß dies ein Mikrophon ist. Sein Wissen ist vollkommen, obwohl das Begriffsvermögen des Kindes unvollkommen ist. Das ist der vollkommene Weg der Erkenntnis - Sie wenden sich an eine vollkommene Person, nehmen Wissen entgegen, und ihre Erfahrung ist vollkommen. Persönlich mag ich nicht vollkommen sein, aber weil ich Wissen vom Vollkommenen entgegennehme, ist mein Wissen vollkommen - das ist unser Vorgang.
Wir empfangen Wissen von Kṛṣṇa, dem Vollkommensten. Ein anderer empfängt Wissen von Jesus Christus; das ist ebenfalls vollkommen, weil die Quelle vollkommen ist. Ich nehme Wissen von Gott entgegen, und ein anderer empfängt Wissen vom Sohn Gottes. Ob Sie das Wissen direkt von Gott oder von Seinem Sohn nehmen, das Wissen ist dasselbe. In jedem Fall aber muß das Wissen aus einer vollkommenen Quelle kommen, man kann  es  nicht  durch  den  aufsteigenden  Vorgang,  durch  Empirie,  Forschung  oder  Experimente  erlangen. Versuch, Fehlschlag, Versuch, Fehlschlag, Versuch, Fehlschlag kann uns nicht  helfen  - es würde zu lange dauern. Wenn man also vollkommen werden will, muß man sich dem Vollkommenen nähern und Wissen von Ihm entgegennehmen. Auf diese Weise werden Sie die Vollkommenheit erreichen; das ist die Anweisung der Schrift:  evam  paramparā-prāptam  imaṁ  rājarṣayo  viduḥ  -  „diese  höchste  Wissenschaft  wird  durch  die Nachfolge der geistigen Meister weitergegeben." (Bg. 4.2)

Graf Dürckheim: Doch ich sehe seit 20, 30 Jahren in der westlichen Welt ein großes Erwachen. Wissenschaft und technologischer Fortschritt, die die menschlichen Lebewesen befreien sollten, bewirkten das Gegenteil, denn Menschen werden, indem sie sich der technischen Welt anpassen, zu Sklaven von Mitteln, die sie befreien sollten, zu Rädern im Räderwerk einer großen Maschine, die sie zwingt aufzuhören, Menschen zu sein.
Die Menschen rebellieren dagegen, nur durch die Brille der Wissenschaft und nicht mit den Augen des wirklichen Selbst gesehen zu werden. Das ist der Wendepunkt, an dem wir uns befinden.

Śrīla Prabhupāda: Seit 5000 Jahren steht im Śrīmad-Bhāgavatam geschrieben, daß diese Schurken das Ziel des Lebens nicht kennen. Das Ziel des Lebens ist Gottesverwirklichung, aber sie wissen es nicht, weil sie glauben, durch die äußeren Manifestationen der materiellen Energie glücklich werden zu können. Gerade in den westlichen Ländern können wir sehen, daß die Menschen glauben, ihre Zivilisation sei durch die Konstruktion von Hochhäusern, durch große Maschinen und technologische Möglichkeiten fortgeschritten. Doch das wirkliche Ziel des Lebens kennen sie nicht. Das wirkliche Ziel des Lebens ist es, Gott zu verstehen. Statt dessen suchen sie in utopischen Hoffnungen Zuflucht, die sich niemals erfüllen werden, und glauben, indem sie Stahl und Beton anhäufen, glücklich zu werden. Das wird nie eintreten. Wenn wir uns fragen, wer die Gesellschaft führt, werden wir feststellen, daß die Führer Blinde sind! Die sogenannten Wissenschaftler, Technologen, Philosophen und andere wissen nicht, was das Ziel des Lebens ist. Blinde versuchen Blinde zu führen, das erleben wir heute. Wenn ein blinder Mensch versucht, andere Blinde zu führen, was kann dabei Gutes herauskommen? Weil sie nicht wissen, was ihre wirklichen Bedürfnisse sind, machen sie keinen Fortschritt, deshalb ist jeder enttäuscht.

Graf Dürckheim: Heute erleben wir gerade hier eine Veränderung. Vor kurzem hielt ich einen Vortrag vor etwa 1000 Ärzten und Psychotherapeuten, und ich machte sie darauf aufmerksam, daß es zwei Leiden in der Welt gibt: das eine Leid beruht auf unzureichender Leistungsfähigkeit in der modernen Welt - weswegen die Menschen zum Arzt gehen, um sich ihre Maschine reparieren zu lassen -, das andere Leid ist, nicht mit dem göttlichen Selbst in uns eins zu sein, und dies ist etwas völlig anderes, was mit Leistungsfähigkeit in der Welt nichts zu tun hat. Die Doktoren wurden nervös bei dieser Feststellung.

Śrīla Prabhupāda: Leistungsfähigkeit beruht auf der Diagnose oder niddham, wie es im Ayur-veda, in der vedischen medizinischen Wissenschaft, genannt wird. Bevor man behandelt, muß man die Krankheit diagnostizieren, dann erst kann man wirkliche Hilfe geben. Aber diese Leute können keine wirkliche Diagnose stellen.
Die Diagnose ist, daß wir die Höchste Absolute Wahrheit verwirklichen müssen, denn die Krankheit ist, daß wir Gott vergessen haben. Die Menschen leiden, die Symptome sind verschieden, aber man behandelt nur die Symptome, nicht die Ursache -  man  dringt  nicht  zur  Wurzel  des  Übels  vor.  Die  Bewegung  für Kṛṣṇa-Bewußtsein versucht, dem Menschen von der Ursache seiner Krankheit her zu helfen. Die  Menschen haben Gott vergessen. Laßt sie sich an Gott erinnern - alles weitere wird kommen.

Graf Dürckheim: Richtig, jede Krankheit der Menschen, die wir bei Tieren nicht finden, hat diese Ursache. Jede Form der menschlichen Krankheit hat stets die gleiche Ursache, nämlich, vom innersten Selbst getrennt zu sein.

Śrīa Prabhupāda: Nicht nur das: Niedere Tiere wie Vögel und andere Tiere haben keine Probleme. Sie haben keine Nahrungsprobleme; Tausende von Spatzen hüpfen draußen umher, fliegen und haben zu fressen - die menschliche Gesellschaft sollte fortgeschrittener sein. Wenn selbst die Vögel zu ihrer Ernährung nicht zu töten brauchen, warum sollen wir fortgeschrittenen Menschen, um zu essen, töten müssen? Gott hat uns genug Nahrung gegeben. Dennoch halten sie große Reden über den Fortschritt der Zivilisation. Sie kennen keine menschlichen Gefühle. Die armen Kühe geben uns Milch, die nahrhafteste Nahrung, aus der wir so viele Dinge herstellen können. Laßt sie doch leben, und wenn ihr sie überhaupt essen wollt, dann laßt sie eines natürlichen Todes sterben. Warum töten? Aber sie haben keine Einsicht. Sie führen ein sündiges Leben, und obwohl sie einen Krieg nach dem anderen erleiden - Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg und bald Dritter Weltkrieg, sind sie stolz auf ihre Zivilisation. Und nicht einmal ohne Krieg gibt es Frieden! Tausende von Kindern werden im Leib ihrer Mütter getötet! Das ist es, was wir heute erleben. Wenn sie töten, werden sie selbst getötet werden - so lautet das Gesetz der Natur. Wenn sie im Mutterleib töten, werden sie nie mehr das Licht der Welt erblicken. Sie werden in einen Mutterleib eingehen, getötet werden, wieder in einen Mutterleib eingehen und wieder getötet werden - das ist das Gesetz der Natur. Solche Dinge nehmen in der modernen Gesellschaft immer mehr zu. Selbst Vater und Mutter wollen ihr Kind nicht mehr lebend sehen, sie töten es lieber, und in wenigen Jahren werden sie sich gegenseitig umbringen. Die Menschen schrecken nicht einmal vor den sündigsten Handlungen zurück. Das wird die Natur nicht dulden; Kṛṣṇa, Gott, wird es nicht zulassen, denn Er sagt, daß Er der Vater aller Lebewesen ist.1  Wenn der intelligente Sohn den weniger intelligenten Sohn tötet, wird das den  Vater freuen? Der Vater ist der Vater des intelligenten wie auch der des unwissenden Sohnes.
Aber der intelligente Sohn denkt, „dieser einfältige Sohn ist nutzlos, laß mich ihn töten" - doch das wird dem Vater nicht gefallen. Gott ist der Höchste Vater, und Er wird es uns, die wir intelligent sind, nicht erlauben, die weniger intelligenten Lebewesen zu töten.
Tena tyaktena bhuñjīthā heißt es - „was Ich dir an Nahrung gegeben habe, das iß, und sei gottesbewußt." Die Tiere kommen nicht und essen unsere Nahrung. Die Kühe geben uns sogar Nahrung, nämlich Milch - sie erzeugen die Milch nicht, um sie selbst zu trinken, sondern sie geben sie uns, und wir brauchen nicht einmal dafür zu bezahlen. Sie geben uns ihre Milch, nach dem Tod ihre Haut, der Kuhdung wird zum Düngen benutzt - sie dienen dem Menschen in so vieler Hinsicht, und wir töten diese armen Tiere - was ist das für eine menschliche Zivilisation?
Als vor langer Zeit die Menschen viele Tiere töteten, erschien Buddha, um dem grausamen Tiermorden ein Ende zu bereiten. Im Buddhismus ist es daher streng verboten, Tiere zu töten. Heute töten die Buddhisten natürlich auch, aber ursprünglich bedeutet Buddhismus Gewaltlosigkeit. Auch Jesus lehrte: „Du sollst nicht töten." Buddha lehrte „ahiṁsa", Gewaltlosigkeit, in keiner Religion ist das unnötige Töten von Tieren erlaubt. Im Islam finden wir das Wort kaukrovani. Kaukrovani bedeutet, daß die Gläubigen höchstens einmal im Jahr in der Moschee Tiere töten dürfen. In allen heiligen Schriften ist das Töten von Tieren also untersagt!

1 Bg. 14.4, 10.6, 11.39

Graf Dürckheim: Vielleicht darf ich eine Frage dazu stellen? Woher wollen wir wissen, daß Pflanzen, Blumen usw. nicht ebenso leiden, wenn wir sie abschneiden?

Śrī1a Prabhupāda: Auch Pflanzen haben Empfindungen. Das wurde durch den Wissenschaftler Dr. Jagadisha Chandra Bose bewiesen; auch Bäume fühlen.

Graf Dürckheim: Wenn wir also einen Baum töten . . .

Śrīla Prabhupāda: Nein, wir töten nicht, wir nehmen die Frucht.

Graf Dürckheim: Aber wenn wir ihn abhacken . . .

Śrīla Prabhupāda: Das ist nicht erlaubt - solange es nicht absolut notwendig ist.

Graf Dürckheim: Aber Gemüse muß man doch abschneiden.

Śrīla Prabhupāda: Das ist ein Gesetz der Natur. Daher heißt es in den vedischen Schriften, daß die Lebewesen ohne Hände Nahrung für die mit Händen sind, und die ohne Beine dienen denen als Nahrung, die vier Beine haben. Gras z. B. hat keine Beine, deshalb dient es den Kühen und Ziegen als Nahrung. Ein mächtiges Tier wie der Tiger reißt ein schwächeres Tier und frißt es, das ist das Gesetz der Natur. Ein Tier dient einem anderen als Nahrung. Der Tiger aber frißt niemals Gras. Gegenwärtig essen menschliche Lebewesen alles, was kreucht und fleucht, und halten sich dabei für fortgeschritten. Unsere Philosophie aber lautet, nur Nahrung zu essen, die zuvor Kṛṣṇa geopfert und von Ihm gegessen wurde: Kṛṣṇa-prasāda. Wir essen nicht alles mögliche -wir essen kein Gras, keine Tiere - wir essen nur Kṛṣṇa-prasāda. Kṛṣṇa erklärt in der Bhagavad-gītā:

patraṁ puṣpaṁ phalaṁ toyaṁ
yo me bhaktyā prayacchati
tad ahaṁ bhakty-upahṛtam
aśnāmi prayatātmanaḥ

„Wenn jemand Mir mit Liebe und Hingabe ein Blatt, eine Blume, eine Frucht oder ein wenig Wasser opfert, werde Ich es annehmen." (Bg. 9.26)

yajña-śiṣṭāśinaḥ santo
mucyante sarva-kilbiṣaiḥ
bhuñjate te tv agham pāpā
ye pacanty ātma-kāraṇāt

„Die Geweihten des Herrn werden von allen Sünden befreit, denn sie nehmen nur Nahrung zu sich, die zuvor als Opfer dargebracht wurde. Andere, die Nahrung zu ihrer eigenen Sinnenfreude zubereiten, essen wahrlich nur Sünde." (Bg. 3.13)
Wir essen also nicht auf der materiellen Ebene, wir essen auf der spirituellen Ebene. Wenn an unserer Nahrung irgend etwas sündhaft wäre, wäre das Kṛṣṇas Sache, denn es ist unsere Philosophie, nur die Reste der Nahrung zu uns zu nehmen, die Ihm geopfert wurde. Wir sprechen nicht für die Vegetarier oder die Nicht-Vegetarier, wir sprechen dafür, nur Kṛṣṇa-prasāda zu essen - Reste der Nahrung, die Kṛṣṇa geopfert wurde; das ist unsere Philosophie.
Und abgesehen von der Philosophie: Weil ein Lebewesen das andere ißt, bedeutet das noch lange nicht, daß ich z. B. meine Kinder essen darf. Die menschlichen Lebewesen sollen, wie es in den Schriften heißt, nur Nahrung wie Milch, Früchte, Gemüse und Getreide zu sich zu nehmen, die zuvor Gott, Kṛṣṇa, geopfert wurde - das ist menschliche Zivilisation. Es ist nicht menschlich, zur Befriedigung des Gaumens riesige Schlachthäuser  zu unterhalten. Die wirkliche Aufgabe der menschlichen Gesellschaft besteht darin, Gott zu verwirklichen. Wenn man versteht, daß jedes Lebewesen Teil Kṛṣṇas ist, wie kann man dann überhaupt essen? Die Antwort lautet: Wenn wir das essen, was von Kṛṣṇa zuvor angenommen wurde, dann liegt die Verantwortung bei Kṛṣṇa - das ist unsere Philosophie.
Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein wird nach den Weisungen Kṛṣṇas geführt; in allen Dingen, die ich Ihnen sage, kann ich mich auf die Aussagen der Bhagavad-gītā berufen. Es sind nicht meine Erfahrungen, es sind die Erfahrungen, die ich vom Vollkommenen vermittelt bekommen habe.

Graf Dürckheim: Ich sehe.

Śrīla Prabhupāda: Und das ist unser Punkt. Wir treiben keine Forschungsarbeit, um zu Ergebnissen zu kommen; das ist nicht unser Weg. Ohne irgendwelche Forschungsarbeit nähern wir uns der vollkommenen Person und empfangen Wissen von Ihr - das ist die einzige Möglichkeit. Daher kommt Gott von Zeit zu Zeit Selbst, oder Er sendet Seinen Sohn oder Diener, oder Er läßt das Wissen in einem Buch zurück, so daß die menschliche Gesellschaft aus dieser direkten und vollkommenen Erfahrung ihren Vorteil ziehen und in Frieden leben möge.

Graf Dürckheim: Ich verstehe.

Śrīla Prabhupāda: Deshalb publizieren wir all diese Bücher, die von Kṛṣṇa oder Seinen Repräsentanten, die gewiß  nicht  spekulierten,  gesprochen  wurden.  Wir  haben  das  tiefe  Wissen,  das  von  Kṛṣṇa und  Seinen Repräsentanten gegeben wurde, bereits vorliegen. - Man braucht nicht zu spekulieren. Wenn man nur die Dinge in Anspruch nähme, die bereits da sind, würde man vollkommen werden.

Graf Dürckheim: Ich sehe.

Śrīla Prabhupāda: Ich habe bis jetzt 23 Bücher dieser Art veröffentlicht. (Śrīla Prabhupāda weist auf die Bhagavad-gītā).

Graf Dürckheim: Phantastisch!

(Es treten einige Professoren der theologischen Hochschule Königstein ein)

Schüler: Śrīla Prabhupāda, diese Herren sind Professoren an der theologischen und philosophischen Fakultät der theologischen Hochschule Königstein, und dies ist Dr. Saher, Leiter der Gesellschaft für Yoga und integrale Religionsphilosophie.

Śrīla Prabhupāda: Ich freue mich, Sie zu sehen. Wir sprechen gerade mit Herrn Graf Dürckheim darüber, wie die menschliche Gesellschaft geführt werden soll. Ich erklärte Herrn Graf Dürckheim, daß die Menschen in der materiellen Welt zu allen Zeiten das Ziel des Lebens nicht kennen. Deshalb gibt es so viele verschiedene Philosophien und verschiedene Lebensweisen, und deshalb tauchen so viele Schwierigkeiten auf. Wenn das Ziel des Lebens bekannt ist, sind alle Probleme gelöst. Was ist also das Ziel des Lebens? - Das ist meine Frage. Wir sind jetzt Menschen, wir haben menschliche Intelligenz, was ist also das Ziel des menschlichen Lebens, das es zu erreichen gilt?
Das Ziel des menschlichen Lebens kann nicht unterschiedlich sein, es ist eines, und wir sagen, wie wir es den vedischen Schriften entnehmen, daß es das Ziel des Lebens ist, Gott zu verstehen, und daß es der Fehler der Menschen ist, das Ziel des Lebens nicht zu kennen.
Verschiedene Menschen, verschiedene Philosophen unterbreiten verschiedene Vorschläge in bezug auf das Ziel des Lebens. Verschiedene Politiker haben ihre verschiedenen Vorstellungen. Wir aber behaupten, daß das Ziel des menschlichen Lebens eines ist: Gott zu verstehen. Alle weiteren Probleme sind damit gelöst. Das ist Selbstverwirklichung.
Und wir schreiben diese Bücher, die 80 Bände umfassen werden; 23 Bände sind bereits erschienen, wie auch etwa zwei Dutzend Taschenbücher. Der einzige Inhalt unseres Schreibens ist das Ziel des Lebens.

Graf Dürckheim: Vielleicht darf ich wiederum zu meiner Frage kommen, Meister, nach der Beziehung zwischen Glaube und Erfahrung, denn dies ist heute besonders in den Kreisen der Theologen, Priester und Mönche die große Frage.

Śrīla Prabhupāda: Vertraue der Autorität! Das ist besser als Erfahrung!

Graf Dürckheim: Wir haben heute eine große Kontroverse bei den Menschen in den Klöstern und den Kirchen, die erkennen, daß Glaube durch Erfahrung erneuert werden muß, und sie suchen nach einer neuen Quelle, einem neuen Beginn in ihrem Herzen. Sie können nicht glauben, was man ihnen sagt; sie wollen es fühlen, sie wollen es erfahren. Und heute erfahren wir einen großen Wandel in dieser Richtung. Die Hinwendung zur Meditation hat nur den einen Grund, daß es besser ist zu fühlen als zu glauben. Das ist die Situation in Deutschland heute, nicht wahr?

Dr. Saher: Ja, so ist es.

Śrīla Prabhupāda: Am Anfang steht der Glaube. Natürlich stellt sich die Frage, wem wir glauben sollen. Wenn die Person, der ich glaube, vollkommen ist, dann ist auch mein Glaube vollkommen; wenn ich aber einer nicht vertrauenswürdigen Person Glauben schenke, hat auch mein Glaube keinen Wert. Also muß ich herausfinden, welcher Person oder welcher Aussage ich Glauben schenken will. In der vedischen Kultur wird das vedische Wissen als vollkommen akzeptiert. Wenn man im vedischen Wissen vollkommen ist - veda bedeutet „Wissen" -, dann ist auch der Glaube vollkommen.
Wir z. B. glauben an Kṛṣṇa - Kṛṣṇa wird als vollkommen anerkannt, als der Höchste Vollkommene  -,  und soweit es Indien betrifft, sagen alle großen Autoritäten und ācāryas, wie Śaṅkārācārya,  Madhvācārya und Rāmanujācārya, die im eigentlichen Sinne der indischen Kultur die Richtung weisen, daß Kṛṣṇa die höchste und vollkommene Person ist.

Graf Dürckheim: Vielleicht darf ich etwas zur Erörterung stellen, werter Meister. Der Glaube, das Verstehen, beruht stets auf der Ebene desjenigen, der verstehen will, und es gibt die Ebene unseres natürlichen normalen Geistes einer gewöhnlichen, durchschnittlichen Person, wie es auch eine andere Ebene gibt, auf der gewisse Erfahrungen die Tore zu tieferen Erlebnissen öffnen. Und eines der Schlüsselworte, die wir in den christlichen Evangelien finden, ist, daß wir umkehren müssen zur Metanoia, eine gewisse Schicht durchbrechen müssen, um auf eine ganz andere Ebene zu gelangen, von der aus sich der Himmel für diejenigen öffnet, die nicht verstanden, was Himmel bedeutet, weil sie sich hinter den Wolken dachten.
Es gibt einen natürlichen Weg, Gott zu schauen, und dieser natürliche Weg ist verloren gegangen; solange die Menschen durch den natürlichen Geist gehen, gibt es keine andere Möglichkeit der Erkenntnis als ein persönliches initiatorisches Erlebnis. Wir sprechen von Initiative, wenn Menschen fähig sind, durch einen gewissen Tod hindurchzugehen und eine andere Ebene zu entdecken. Und ich bin sicher, daß so gesehen das große Wissen, von dem Sie sprechen, die Menschen auch auf zwei Ebenen berührt.
Da ist der ehrbare Mensch, der glauben mag, daß eine tiefergehende Ebene existiert, auf der die Dinge beginnen, ihn zu verändern, ihn in tiefere Erlebnisse hineinzuführen ...

Śrīla Prabhupāda: Das ist der Beginn der Unterweisungen der Bhagavad-gītā. Kṛṣṇa sagt:

dehino'smin yathā dehe
kaumāraṁ yauvanaṁ jarā
tathā dehāntara-prāptir
dhīras tatra na muhyati

„Wie die bedingte Seele im Körper von Kindheit zu Jugend und zu Alter wandert, so geht sie auch beim Tod in einen anderen Körper ein. Die selbstverwirklichte Seele wird von einem solchen Wechsel nicht verwirrt." (Bg. 2.13)
Das ist das grundlegende Prinzip des Wissens: Ich bin nicht mit meinem Körper identisch; ich bin das aktive Prinzip im Körper. Erst wenn wir das begreifen, können wir weiteres Wissen erfahren. Diese Erkenntnis legt den Grundstein für wirkliches Wissen. Gegenwärtig halten wir den Körper für das Selbst, und Selbstinteresse bedeutet körperliches Interesse. Daher beginnt Kṛṣṇa von dieser Ebene aus das Wissen zu erklären.  Zuerst einmal müssen wir verstehen, daß wir nicht der Körper sind. Wenn wir dieses Grundprinzip des  Wissens begreifen, können wir in weiterem Wissen fortschreiten. Das wird in dem Buch Bhagavad-gītā  Schritt für Schritt deutlich gezeigt.

Graf Dürckheim: Darf ich eine Frage stellen, Meister? Wenn Sie uns diese Weisheit vermitteln, werden Sie dann nicht in der westlichen Welt Opposition von der christlichen Seite erfahren, deren Schlüsselwort ist, daß die Seele Körper wird, daß der Geist Fleisch wird?

Śrīla Prabhupāda: Das ist durchaus richtig, dem stimmen wir zu.

Graf Dürckheim: Die Inkarnation, wie verstehen Sie die Inkarnation?

Śrīla Prabhupāda: Darauf komme ich gleich zu sprechen. Wie die spirituelle Seele Fleisch wird, läßt sich für uns verstehen, wenn wir sehen, wie die Seele in den Mutterleib eintritt. Sobald die Seele in die Gebärmutter eingeht, entwickelt sich ein Kindeskörper. Es ist leicht zu verstehen, daß nicht allein durch sexuellen Verkehr das Kind geboren wird; andernfalls würde jeder Beischlaf Schwangerschaft zur Folge haben. Solange die spirituelle Seele nicht gegenwärtig ist, kann sich ein materieller Körper nicht entwickeln. Daß die spirituelle Seele Fleisch, Knochen usw., eben einen materiellen Körper entwickelt, ist nicht schwer zu verstehen.

Graf Dürckheim: Im Prinzip - so erscheint es mir jedenfalls, und ich mag mich täuschen -, besteht ein Unterschied zwischen dem östlichen und dem westlichen, christlichen Weg, indem man nämlich auf dem östlichen Weg vom Körper frei werden möchte, während man im christlichen Sinne den Geist im Körper realisieren möchte.

Śrīla Prabhupāda: Aus der Bhagavad-gītā haben wir bereits erfahren, daß ich Seele bin, daß ich mich im Körper befinde. Meine Leiden haben ihre Ursache im Körper - das ist nicht zu leugnen. Weil ich in den materiellen Körper eingetreten bin, muß ich leiden, und daher sollte es meine Bemühung sein, aus diesem Körper herauszukommen. Verstehen Sie?

Graf Dürckheim: Ja.

Śrīla Prabhupāda: Inkarnation heißt also, daß ich spirituelle Seele bin, und daß ich im nächsten Leben in einen anderen Körper eintreten werde -, es mag dies der Körper eines Hundes, einer Katze oder eines Königs sein. Und das Maß der Leiden findet in Geburt, Krankheit, Alter und Tod seinen Ausdruck, den Leiden des Lebens. Um also diesen vier Grundformen des Leids zu entkommen, muß ich dem Körper entkommen - das ist das Problem.

Graf Dürckheim: Durch viele Leben hindurch?

Śrīla Prabhupāda: Viele Leben oder dieses Leben: Wenn ich in diesem Leben verstehe, daß meine Leiden ihre Ursache im Körper haben, muß ich mich fragen, wie ich herauskommen kann. Wenn Sie dieses Wissen erlangen, haben Sie den Schlüssel gefunden - zur sofortigen Befreiung.

Graf Dürckheim: Wenn Sie sagen, daß Sie oder ich den Körper verlassen wollen, bedeutet das wohl nicht, daß ich meinen Körper töten muß, um zu realisieren, daß die Seele vom Körper unabhängig ist?

Śrīla Prabhupāda: Nein, nein, von Töten kann keine Rede sein. Sie müssen zwar eines Tages den Körper verlassen und einen anderen Körper annehmen - das ist das Gesetz der Natur, wir können es nicht vermeiden -, doch ist es nicht nötig, zuerst zu sterben, um die Verschiedenheit vom Körper zu erfahren.

Graf Dürckheim: Ich kann aber von meinem Körper unabhängig werden?

Śrīla Prabhupāda: Ja.

Besucher: Ich sehe da einige Gemeinsamkeiten mit dem Christentum.

Śrīla Prabhupāda: Christentum, Hinduismus oder Islam haben in diesem Sinne keine Bedeutung - Wissen ist Wissen. Dieses Wissen hat keine Farbe, denn dieses Wissen besagt, daß jedes Lebewesen in seinen Körper eingeschlossen ist; es geht nicht um Christentum, Hinduismus oder Islam - das Wissen ist für Christen, Hindus, Moslems und andere das gleiche: Die Seele ist in den Körper eingeschlossen, und das Problem ist deshalb Geburt, Krankheit, Alter und Tod.
Wir wollen ewig leben, wir wollen in Wissen leben, wir wollen Glückseligkeit, und um dieses Leben, um das Ziel des Lebens, zu erreichen, müssen wir den materiellen Körper hinter uns lassen - wie? - das ist das Problem.

Prof. Pater Porsch: Es stellt sich die Frage, ob diese These richtig ist. Mir scheint hier ein großes Mißverständnis vorzuliegen und eben nicht die Annahme des Menschen wie er ist, sondern eher gerade der Versuch einer Flucht vor dem Menschsein. Ich kann mir natürlich einen reinen Geist vorstellen, und das erinnert mich sehr an die hellenistische Philosophie, eben die Gnosis, die natürlich den Leib als Kerker ansah, aus dem sie befreit werden mußte, um zur vollen Erkenntnis Gottes zu kommen.
Aber das ist nicht der Mensch. Menschsein bedeutet ja gerade die Einheit von Körper und Seele. Es wäre ein Mißverständnis, da eine Gemeinsamkeit mit dem Christentum zu sehen, denn wenn wir überhaupt so etwas im Christentum haben, dann rührt es aus hellenistischem Einfluß her, aus Manichäismus, Gnosis, Gnostizismus und so weiter.
Im christlichen Sinne ist es das Ziel des Lebens, unseren Leib und seine Kräfte gut zu gebrauchen; das ist das Ziel. Nicht ihn nicht zu gebrauchen, denn dann sehe ich nicht ein, warum wir nicht die Konsequenz ziehen und unseren Körper sofort töten, damit unser Geist befreit wird.

Śrīla Prabhupāda: Glauben Sie, daß Ihre Existenz im Körper vollkommen ist?

Prof. Pater Porsch: Nein, ich glaube nicht, daß sie vollkommen ist, da haben Sie recht, wir leiden darunter; aber das ist eben unser jetziger Zustand, und es hat auch nicht viel Sinn, eine Idealkonstruktion zu machen, wie der Mensch sein könnte, wenn er vom Körper befreit wäre. Wir müssen uns jetzt mit unserem Leben, wie wir auf die Welt gekommen sind, abfinden.

Śrīla Prabhupāda: Nein. - Sie sind nicht vollkommen, und daher muß es das Ideal sein, vollkommen zu werden.

Prof. Porsch: Als Mensch oder als Seele? Wenn ich als Mensch vollkommen werden will, in welchem Maß kann ich das, und woran kann ich das sehen? Wo ist denn ein erlöster Mensch in diesem Sinne?

Śrīla Prabhupāda: Sie geben zu, daß das menschliche Leben unvollkommen ist; warum halten Sie dann an diesem unvollkommenen Leben fest? Inwiefern gefällt Ihnen diese menschliche Körperform? Was ist Ihr Ziel? Prof. Porsch: Für mich ist der Körper ein Mittel zur Kommunikation und eine Möglichkeit überhaupt, meinen Geist auszudrücken. Ich mag mich ja vielleicht im Geiste mit jemandem verbinden können, aber er weiß davon nichts. Dadurch aber, daß ich einen Leib habe, kann ich mit ihm in Kommunikation treten.

Śrīla Prabhupāda: Das ist den wilden Tieren und den Vögeln ebenfalls möglich; die sprechen auch: „Kischi, kischi, kischi, kischi . . ."

Prof. Porsch: Da ist wohl ein Unterschied. Soweit ich in der Tierpsychologie Bescheid weiß, erkennen sich Tiere z. B. nicht selber und auch wohl nicht einander; sie haben kein Selbstbewußtsein - das gilt nur für die höheren Primate. Daß es eine solche Kommunikation des Geistes mit Hilfe des Körpers bei den Tieren gibt, weiß ich nicht, und wenn es sie gibt, gut, ich habe nichts dagegen. Ich glaube aber, daß der Grad der Kommunikation zwischen Menschen und Tieren wohl ganz verschieden ist.

Śrīla Prabhupāda: Das ist der wesentliche Punkt -, daß Sie versuchen können, Ihre Identität zu verstehen, während Vögel und wilde Tiere in Unwissenheit bleiben müssen. Daher müssen unsere menschlichen Möglichkeiten für diese Verwirklichung genutzt werden. - Wir sollten nicht wie die Tiere handeln. Daher lautet die Anweisung des Vedānta-sūtra: athāto brahma jijñāsā. „Das Leben des Menschen ist dazu bestimmt, Fragen über die Absolute Wahrheit zu stellen", nicht dazu, wie die Tiere nur zu schlafen und zu essen. Vielmehr ist uns besondere Intelligenz und besondere Verantwortung gegeben, die Absolute Wahrheit zu verstehen. Im Śrīmad-Bhāgavatam (1.2.10) heißt es:

kāmasya nendriya-prītir
lābho jīveta yāvatā
jīvasya tattva-jijñāsā
nārtho yaś ceha karmabhiḥ

„Das Begehren des Menschen sollte sich nicht auf die Befriedigung der Sinne richten. Er sollte nur danach verlangen zu leben, weil das menschliche Leben die Möglichkeit bietet, Fragen nach der Absoluten Wahrheit zu stellen. Das sollte das Ziel all seiner Werke sein."
Das zum Leben Notwendige wird ihm ohnehin von Gott gegeben; selbst die Vögel und Tiere werden versorgt. Obwohl sie keine Organisation schaffen, keine Geschäfte betreiben und nicht in die Fabrik gehen, werden ihnen alle zum Leben notwendigen Dinge gegeben. Daher sagt das Bhāgavatam, daß die Sicherstellung materieller Belange nicht das eigentliche Problem darstellt. Unsere einzige Aufgabe besteht darin, nach der Absoluten Wahrheit zu fragen. Jīvasya tattva jijñāsā - „nach der Absoluten Wahrheit zu fragen ist die einzige Aufgabe des Menschen."

Graf Dürckheim: Darf ich etwas zur Erörterung stellen? Ich glaube, daß es drei Formen von Bewußtsein über den Körper gibt. Der eine sieht nur auf seine Gesundheit, der zweite denkt nur an seine Schönheit, und der dritte versucht, die Transparenz des körperlichen Bewußtseins zu sehen, um im Körper und durch den Körper die Absolute Wahrheit zu schauen - das gehört zusammen.

Śrīla Prabhupāda: Wenn das Leben auf die falsche Auffassung „ich bin der Körper", gegründet ist, dann sind auch die körperlichen Wertschätzungen von Schönheit oder was auch immer falsch. Wenn ich nicht Körper bin, dann ist alles, was in Verbindung mit dem Körper erfahren wird, ebenfalls falsch.

Graf Dürckheim: Das ist vielleicht nicht ganz so, denn wir sehen zwar den Körper gewöhnlich in Gesundheit oder Schönheit - und insofern bleiben wir zweifellos am Körper haften -, aber es gibt auch eine dritte Möglichkeit, daß nämlich der Körper als transparent erfahren wird, zu etwas anderem hin.

Śrīla Prabhupāda: Das wird hier erklärt: jīvasya tattva jijñāsā - man soll, solange man den menschlichen Körper besitzt, keine Zeit verlieren, wie die Vögel und Tiere, sondern ihn gebrauchen, Fragen über die Absolute Wahrheit zu stellen.

Prof. Pater Porsch: Nicht nur, um die Absolute Wahrheit zu finden, sondern auch, um miteinander in Kommunikation zu treten. Denken Sie an das Lächeln eines Kindes, an die erste Kommunikation zwischen ihm und der Mutter. Der Körper ist nicht nur ein Instrument, die ewige Wahrheit zu erfahren, sondern . . .

Śrīla Prabhupāda: Doch! Man muß lernen, die Energie des Körpers zu nutzen, die Absolute Wahrheit zu verstehen und seine Beziehung zur Absoluten Wahrheit wiederherstellen.

Prof. Pater Porsch: Ist es denn eine Verschwendung, wenn ich den Körper benutze, um z. B. anderen Gutes zu tun? Wenn ich lächle, wenn ich mich freue, wenn ich etwas ausdrücke, ist das eine Verschwendung?

Śrīla Prabhupāda: Sie denken an Gutes im Rahmen des Körpers! Aber der Körper als Identität ist falsch. Daher ist auch Ihre Auffassung vom Guten falsch. Der Körper sind nicht Sie! Sie sind im Irrtum, wenn Sie glauben, der Körper sei das Selbst; er ist es nicht!

Prof. Pater Porsch: Ich denke doch! Ich lebe meine Identität mit dem Körper.

Śrīla Prabhupāda: ... mit dem Körper, aber Sie sind nicht der Körper. Sie bewohnen den Körper nur - ebenso wie ich dieses Zimmer bewohne. Wenn sich Ihr Interesse allein auf das Zimmer richtet, begehen Sie einen Fehler. Wenn ich nur meinen Körper schmücke oder, um bei dem Vergleich zu bleiben, mein Zimmer, jedoch nicht für mich selbst sorge, mache ich einen Fehler. Ich lenke meine Aufmerksamkeit in die falsche Richtung. Wir bekleiden unseren Körper mit großer Sorgfalt, aber den Körper bekleiden, wenn der Körper tot ist, ist das sehr intelligent?

Prof. Pater Porsch: Gerade dieses Beispiel scheint mir zu zeigen, daß es falsch ist, zwischen einem Zimmer, das ich bewohne, und dem Körper in Beziehung zur Seele zu vergleichen. Das Zimmer bleibt bestehen, wenn ich es verlasse, der Körper jedoch nicht.

Śrīla Prabhupāda: Wenn ich dieses Zimmer verlasse, bleibt es vielleicht einige Jahre bestehen, aber in absehbarer Zeit wird es verfallen, ebenso wie der Körper in absehbarer Zeit, innerhalb weniger Stunden oder Tage verwest, wenn ich ihn verlassen habe - es ist nur eine Frage von Jahren oder Stunden. Die Seele ist jedenfalls vom Körper verschieden.

Prof. Pater Porsch: Solange wir leben, bilden Seele und Körper eine Einheit!

Śrīla Prabhupāda: Es gibt keine Einheit! Mein Zimmer ist solange von Bedeutung, wie ich mich darin aufhalte, andernfalls hat es keine Bedeutung. Ebenso verhält es sich mit meinem Körper - wenn ich den Körper verlasse, und sei er mir noch so lieb, wird er fortgeschafft. Sie müssen den Unterschied zwischen Körper und Seele erkennen. Sobald der Tod kommt, wird Ihr Körper von Ihren Verwandten fortgeworfen.

Graf Dürckheim: Ich glaube, die Meinungsverschiedenheit hat ihre Ursache darin daß Prof. Pater Porsch nur von unserer jetzigen Lebenszeit spricht, während der eine enge Verbindung zwischen Körper und Seele besteht. Es gibt keinen Zweifel, daß die Seele vom Körper verschieden ist, und daß der Körper kein Leben mehr hat, wenn die Seele ihn verläßt.

Dr. Saher: Der Unterschied in der Auffassung ist darin zu suchen, daß der Meister sagt: „Ich bin die Seele, ich habe einen Körper", wohingegen der Professor denkt; „Ich bin der Körper, ich habe eine Seele."

Śrīla Prabhupāda: Richtig, der Fehler ist, daß Herr Prof. Pater Porsch denkt, er sei der Körper und besitze die Seele. Er scheint nicht zu verstehen, daß er Seele ist und vom Körper bedeckt wird. Ein Anzug ist nur so lange von Bedeutung, wie Sie ihn tragen; wenn Sie ihn nicht mehr tragen, hat er keine Bedeutung mehr. Wenn Sie sich vom Körper trennen und einen anderen annehmen - dieses Phänomen wird auch Tod genannt -, ist der Körper, den Sie vorher hatten, unwichtig. Wichtig ist der Körper, den Sie jetzt bewohnen. Wir kümmern uns zu sehr um den Körper, den wir alle Jahre ohnehin wechseln. Das ist das Problem.

Graf Dürckheim: Ich möchte den Meister einmal etwas entscheidendes fragen: Wie verwirklichen Sie die endgültige, ewige Wahrheit, und was meinen Sie damit, die ewige Wahrheit zu verwirklichen?

Prof. Pater Porsch: Ich möchte ein Beispiel aus dem Johannesevangelium geben, um auch einmal die Gemeinsamkeit zu sehen. Dort heißt es, und das ist quasi eine Definition: „Das ist das ewige Leben, daß wir Dich erkennen." Das Leben besteht darin, den Vater zu erkennen.

Graf Dürckheim: Den Vater durch den Sohn verwirklichen, so heißt es auch im Johannesevangelium, und das ist auch genau das, was Sie sagen: Verwirklichen bedeutet nichts anderes, als den Vater durch den Sohn verwirklichen.

Śrīla Prabhupāda: Das ist die eigentliche Aufgabe des Menschen. Wir haben uns so viele überflüssige Aufgaben geschaffen, aber wir haben die wirkliche Aufgabe, den Vater zu erkennen, beiseite geschoben. Das ist der Fehler dieser Zivilisation. Die einfachste Methode der Verwirklichung besteht darin, mit dem Vater, der Absoluten Wahrheit, in Verbindung zu sein. Diese Verbindung ist möglich. Gott, Seine Namen, Seine Gestalt, Seine transzendentalen Beschäftigungen, Sein Reich und Seine Beigesellten - all das ist Gott, weil absolut. Zuerst müssen wir diese Absolute Wahrheit verstehen. Hier in dieser relativen Welt ist der Name vom Objekt verschieden. Wenn ich in der Wüste „Wasser" rufe, wird mein Durst nicht gestillt. Aber in der absoluten Welt ist der Name und die Person dasselbe. Unsere Lehre also ist, daß man mit Gott zusammensein kann, sobald man den heiligen Namen Gottes chantet (spricht, singt, preist). Und wenn man mit Gott zusammen ist, nimmt man göttliche Eigenschaften an, ebenso wie Eisen, das ins Feuer gehalten wird, immer wärmer wird, bis es schließlich die Eigenschaften des Feuers annimmt.
Wenn ich mit Gott Gemeinschaft habe, werde ich allmählich göttlich, kann Gott verstehen, und mein Leben wird vollkommen.

Graf Dürckheim: Sie meinen, Gemeinschaft mit Gott durch den heiligen Namen Kṛṣṇas?

Śrīla Prabhupāda: Einen beliebigen heiligen Namen Gottes! Wenn Sie nicht den Namen Kṛṣṇas  chanten wollen, chanten Sie in Ihrer Weise, aber chanten Sie einen Namen Gottes. Wenn Sie den Namen  Gottes kennen, chanten Sie ihn - wenn Sie ihn nicht kennen, dann nehmen Sie ihn von mir.
Sri Kṛṣṇa Caitanya sagt dazu, daß Gott viele Tausende von Namen oder auch keinen Namen hat, was bedeutet, daß Er so viele Tausende und Millionen von Namen hat, daß Sie nicht sagen können, daß dieser oder jener der einzig richtige ist. Gottes Name kann durch Sein Handeln verstanden werden. „Kṛṣṇa" z. B.  bedeutet der „Allesanziehende". Gott ist allesanziehend; das ist eines der Attribute Gottes.
Wenn Sie einen Namen Gottes kennen, der ein bzw. mehrere Attribute Gottes ausdrückt, dann ist das ebenfalls ein echter Name Gottes. Auch Jesus sagte: „Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name." Auch hier sehen wir, daß Gott einen Namen hat. Suchen Sie sich also einen Namen Gottes aus und chanten Sie ihn. Und wenn Sie keinen kennen, dann nehmen Sie ihn von uns. Das ist unsere ganze Predigtarbeit: Gott hat einen Namen, Gott ist nicht unpersönlich.

Prof. Pater Porsch: Darf ich dazu etwas sagen? Mir scheint, hier liegt fast die gleiche Anschauung zu Grunde wie im Alten Testament in der israelitischen Religion. Wenn Christus sagt, „Geheiligt werde Dein Name", oder wenn es heißt, „den Namen Gottes heiligen", dann wird damit die Scheu zum Ausdruck gebracht, Gott direkt oder indirekt mit einem Namen, einem definitiven Namen oder einem Wort anzusprechen, und deshalb sagt man „in Seinem Namen". Als Moses fragte „Wie heißt Du? ", da hat er keine Antwort bekommen sondern Gott sagte ihm in der Offenbarung des Alten Testaments: „Ich bin, der Ich bin oder der Ich sein werde. Ich habe eigentlich keinen Namen wie alle Götter und Götzen Namen haben." Man meinte, Macht über einen Gott zu haben wenn man seinen Namen kannte.

Śrīla Prabhupāda: Wie kann es sein, daß Gott keinen Namen hat? Wenn es heißt: „Geheiligt werde Dein Name", dann hat Er einen Namen, schließlich wird von einem Namen gesprochen. Es mag kein Name gegeben oder verzeichnet sein, doch wenn Jesus sagt: „Geheiligt werde Dein Name," dann bedeutet das, daß Gott einen Namen hat. Wenn Sie also den Namen Gottes nicht kennen, dann seien Sie intelligent und nehmen Sie ihn von uns. Warum sagen Sie, Gott habe keinen Namen? Jesus sagt: „Geheiligt werde Dein Name", also muß es einen Namen geben. Sie kennen ihn nur nicht.

Prof. Pater Porsch: „Name Gottes", dieser Ausdruck an sich steht im Judentum für Gott, weil man gerade die Distanz zu Gott wahren will. Deshalb gibt man Ihm keinen bestimmten Namen.

Śrīla Prabhupāda: Selbst wenn in den Schriften kein bestimmter Name gegeben ist, Gott hat einen Namen in Entsprechung zu Seinem Handeln. Auch Kṛṣṇa ist in dem Sinne kein Name, sondern bedeutet „der  Allesanziehende".

Graf Dürckheim: Genau wie „Buddha" kein Name ist.

Śrīla Prabhupāda: Ja, Buddha bedeutet „ einer, der vollkommenes Wissen besitzt". Wenn wir z. B. sagen: „Gepriesen werde der Name des Präsidenten", bedeutet das, daß der Präsident einen Namen hat - auch wenn wir diesen nicht kennen.

Dr. Saher: Hat der Name eine besondere, esoterische Bedeutung, und verfolgt die Technik des Chantens ein spezielles, verborgenes Ziel?

Śrīla Prabhupāda: Nichts ist verborgen, vielmehr ist alles offen weil das Absolute von Seinem Namen nicht verschieden ist. Wenn Sie daher den Namen des Absoluten chanten, treten Sie mit Ihm in Verbindung. Und sobald Sie mit dem Absoluten in Verbindung sind, werden Sie geläutert. In den vedischen Schriften heißt es:

harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva nāsty eva gathir anyathā

Um die Vollkommenheit zu erreichen muß man den Namen Gottes chanten - harer bedeutet „des Herrn", und nāma bedeutet „Name". Das wird dreimal wiederholt, um die Bedeutsamkeit der Aussage hervorzuheben. Kalau - im gegenwärtigen Zeitalter des Kali, dem Zeitalter der Uneinigkeit und der Heuchelei - nāsty eva nāsty eva nāsty eva - gibt es keinen anderen Weg, keinen anderen Weg, keinen anderen Weg - gathir anyathā - zur Selbstverwirklichung. Hier wird also zum Ausdruck gebracht, daß jeder den Namen Gottes chanten soll. Kali ist das Zeitalter des Zankes und der Heuchelei, denn niemand ist in dieser Zeit auf der Suche nach der Absoluten Wahrheit, sondern vertut seine Zeit mit Streiten und Kämpfen. „Kali" bedeutet „Kampf".

Graf Dürckheim: Die Antwort auf die Frage also, wie Sie Gott verwirklichen, ist: Sie singen oder sprechen den Namen Gottes, Kṛṣṇas.

Dr. Saher: Würden Sie bitte so freundlich sein und ein wenig eingehender Ihre Technik, Ihren Weg des Chantens des heiligen Namen Gottes, erklären, und welche Bedeutung es im vollständigen System Ihrer ehrwürdigen Lehre hat?

Śrīla Prabhupāda: Der erste Schritt ist śravaṇam - Hören; deswegen sind diese Bücher geschrieben worden, um nämlich den Menschen die Möglichkeit zu geben, über Gott zu hören. Wenn Sie gut zugehört haben, dann sind Sie imstande, über Gott zu sprechen - kīrtanam. Wir hören aus diesen Büchern und gehen zu den Menschen und sprechen mit ihnen über Kṛṣṇa, das wird kīrtanam genannt. Durch den Vorgang des Hörens und Chantens, durch śravaṇam und kīrtanam können Sie sich an Gott erinnern - smaraṇam. Sich erinnern bedeutet Gemeinschaft mit Gott. Śravaṇam, kirtanam, smaraṇam, pāda-sevanam - man verehrt die  Bildgestalten im Tempel, bringt den Lotosfüßen des Herrn Blumen dar, bekleidet den mūrti - arcanam oder bringt Gebete dar - vandanam. Es gibt insgesamt neun Vorgänge des hingebungsvollen Dienens. Die christliche Methode, Gebete darzubringen - vandanam - ist auch bhakti.

Besucher: Was bedeutet Kali-yuga?

Śrīla Prabhupāda: Kali-yuga bedeutet Kampf. Niemand fragt nach der Wahrheit, statt dessen wird gekämpft - meine Meinung, Ihre Meinung, so viele törichte Meinungen und Streitigkeiten. In diesem Zeitalter gibt es keine festen Maßstäbe oder Werte - jeder hat seine eigenen Vorstellungen. Statt zu Lösungen zu kommen, wird gestritten. Es gibt keinen Standard des Wissens.
Daher sagt das Brahma-sūtra: athāto brahma jijñāsā - „man muß sich bemühen, nach der Absoluten Wahrheit zu forschen." Die Antwort auf die Frage nach der Absoluten Wahrheit wird im nächsten Vers des Brahma-sūtra gegeben: janmādy asya yataḥ - „die Absolute Wahrheit ist das, von dem alles ausgeht".
Finden Sie heraus, was die höchste Ursache allen Seins ist. Das muß das Ziel sein! Wenn Sie dieser Weisung folgen, ist Ihr Kampf aussichtsreich. Tattva jijñāsā heißt es weiter - „in der Gesellschaft sollte es immer eine Klasse von intelligenten Menschen geben, die die Absolute Wahrheit kennen." Ihre Aufgabe ist es, die anderen zu unterweisen. Wenn aber, wie hier bei uns, jeder die Absolute Wahrheit sein will, bedeutet das Kampf.

Graf Dürckheim: Ist es nicht schon immer so gewesen, daß man geglaubt hat - wie Plato sagt -, daß die Könige Weise sein sollten und die Weisen Könige? Hat man sich das nicht schon immer gewünscht?

Śrīla Prabhupāda: Ja, das Problem ist nur, daß jeder Wünsche hat. Wessen Wunsch aber ist maßgeblich? Wir müssen verstehen: Jeder hat Wünsche. Wessen Wunsch sollen wir also folgen? Was ist das wirkliche, tatsächliche Interesse aller?
Solange wir keinen Maßstab haben, wird der Kampf andauern. - Sie haben bestimmte Wünsche, ich habe bestimmte Wünsche ...

Graf Dürckheim: Der Wunsch ist nicht entscheidend, sondern das Wissen. Der Wunsch ist überall der gleiche, aber das Wissen ist verschieden.

Śrīla Prabhupāda: Das Wissen richtet sich nach dem, der es besitzt. Wenn derjenige ein Halunke ist - was ist sein Wissen dann wert? Wir wollen nicht von Halunken Wissen empfangen. Die Definition des vollkommenen Menschen findet man in der Bhagavad-gītā (18.42):

śamo damas tapaḥ śaucaṁ
kṣāntir ārjavam eva ca
jñānaṁ vijñānam āstikayaṁ
brahma-karma svabhāva-jam

„Friedfertigkeit, Selbstbeherrschung, Enthaltsamkeit, Reinheit, Duldsamkeit, Ehrlichkeit, Gelehrsamkeit, Weisheit und Religiosität sind die Eigenschaften, die die Handlungsweise der brāhmaṇas1, bestimmen." (Bg. 18.42)

1 Brāhmaṇas - die intelligente, die Gesellschaft führende Klasse

Prof. Pater Porsch: Sind wir auch alle davon überzeugt?

Śrīla Prabhupāda: Wer nicht selbstbeherrscht ist, kann nicht überzeugt sein.

Graf Dürckheim: Diese Tugenden sind immer von der christlichen Kirche gefordert worden. Heute aber erkennen wir dort, daß Tugenden auf der gleichen Ebene wie Laster sind. Aber da gibt es noch etwas anderes: Wenn wir auf einer gewissen Ebene durchbrechen, können wir z.B. verstehen, was Jesus meint, wenn er sagt: „Laßt die Toten ihre Toten begraben." Ich meine, dies weist auf eine andere Ebene hin. Daher denke ich ...

Śrīla Prabhupāda: Nicht auf eine andere Ebene. Diese Unterweisung wurde der Zeit und den Umständen entsprechend gegeben. Wenn Sie also Jesus und seinen Anweisungen folgen, ist das ebenfalls vollkommen. Aber die Menschen folgen nicht! Andernfalls - ob sie der Bhagavad-gītā oder der Bibel folgen - würden sie allmählich vollkommen werden. Doch niemand folgt! Darin liegt die Schwierigkeit. Und dennoch erklären sie: „Ich  bin  Christ,  ich  bin  Hindu,  ich  bin  Moslem",  usw.  Wir  finden  in  ihnen  jedoch  keine  wertvollen Eigenschaften - das ist der Fehler.

Graf Dürckheim: Ich sagte, daß diese Tugenden immer von Christus und der Kirche gefordert wurden. Aber Tugenden im Sinne der Ethik sind auf einer Ebene mit den Lastern. Und wir hören von Christus immer wieder Sätze, die diese Ebene der Tugenden und Laster durchbrechen, wenn er z. B. sagt: „Laßt die Toten ihre Toten begraben ...", „ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert ..." Es gibt also eine Ebene ...

Śrīla Prabhupāda: Zuerst müssen Sie die materiellen Qualifikationen erwerben, dann sprechen Sie von spirituellen Qualifikationen. Es ist wie auf der Universität: Um Jura zu studieren, muß man das Abitur bestan- den haben; erst muß man das Abitur bestehen, dann kann man vom Gesetz sprechen. Ebenso muß man zuerst brāhmaṇa werden, bevor man verstehen kann, was Brahman, das Absolute, ist. Wie kann ich etwas verstehen, ohne brāhmaṇa zu sein?

Graf Dürckheim: Ich glaube übrigens, Ihre Botschaft wird sehr von der Jugend der heutigen Zeit geschätzt, die ihren Eltern sagen: „Ihr habt uns ausgebildet, unsere Position in der Welt zu finden, wie wir dem Allgemeinwohl dienen und gutes Verhalten an den Tag legen können, aber ihr habt uns niemals gesagt, wer wir sind und wer wir werden sollen."

Śrīla Prabhupāda: Das war der Beginn unseres Gespräches: Sie sind nicht der Körper, Sie sind spirituelle Seele. - Das war der Beginn des Gespräches.

Prof. Pater Porsch: Es scheint mir, daß sich hier doch ein großer Unterschied zeigt. Sie sprechen vom allmählichen Vorgang der Selbstverwirklichung, vom Annehmen der brahmanischen Eigenschaften. Ich vermisse, ob es nicht möglich ist, unmittelbar, durch Gottes Gnade erleuchtet zu werden, rein zu werden, ohne sich ...

Śrīla Prabhupāda: Chanten Sie Hare Kṛṣṇa!

Prof. Pater Porsch: Ohne, daß ...?

Śrīla Prabhupāda: Ja, Sie brauchen sich nicht dieser oder jener Entsagung zu unterziehen. Chanten Sie einfach, und Sie werden vollkommen werden. Es ist so einfach! Und dennoch werden Sie es nicht annehmen. Das ist die Schwierigkeit. Auch wenn man Ihnen den einfachsten Weg zeigt - Sie werden ihm nicht folgen. Der einfachste Weg ist, wie ich Ihnen empfahl, den heiligen Namen Gottes zu chanten. Tun Sie es!

Graf Dürckheim: Die Selbsterlösung ist also das große Mißverständnis.

Prof. Pater Porsch: Deshalb frage ich ja auch mit Vorbehalt!

Graf Dürckheim: Der einfachste Weg.

Śrīla Prabhupāda: Nicht, daß Sie unbedingt den Namen „Kṛṣṇa" chanten sollen. Wenn Sie Ihren Namen für Gott haben, chanten Sie den! Beginnen Sie wenigstens.

Prof. Pater Porsch: Da habe ich noch eine Frage . . .

Śrīla Prabhupāda: Und wenn Sie es nicht tun, wie kann ich Ihnen helfen? Gott hat einen Namen, oder wissen Sie das nicht? Daher ist unsere Empfehlung, nicht meine Empfehlung, sondern die Empfehlung Gottes in der Bhagavad-gītā (9.14):

satataṁ kīrtayanto māṁ
yatantaś ca dṛḍha-vratāḥ
namasyantaś ca māṁ bhaktyā
nitya-yuktā upāsate

„Ohne Unterlaß preisen sie Meine Herrlichkeit, bemühen sich mit großer Entschlossenheit und bringen Mir ihre Ehrerbietungen das. So verehren Mich die großen Seelen unaufhörlich mit Hingabe."
Alles können wir hier finden! Ich sagte, daß in diesem Zeitalter viele Dinge unmöglich geworden sind. Aber jeder kann den heiligen Namen Gottes chanten - Worin liegt das Problem?

Prof. Pater Porsch: Zu wissen ... ich denke, weil ich ...

Śrīla Prabhupāda: Zu wissen? Warum haben Sie Zweifel? Es gibt einen Namen, und wenn Sie ihn nicht kennen, dann nehmen Sie ihn von uns. Warum sträuben Sie sich?

Prof. Pater Porsch: Da gibt es Tausende und Millionen von Namen ...

Śrīla Prabhupāda: Das stimmt. Hier ist einer von ihnen, warum nehmen Sie ihn nicht?

Prof. Pater Porsch: Weil ich nicht überzeugt bin, daß es der richtige Name ist.

Śrīla Prabhupāda: Das ist Ihr Mißgeschick. Wie soll ich Ihnen helfen?

Prof. Pater Porsch: Gott hat keinen Namen für mich, aber Jesus hat mir das Wesen gegeben.

Śrīla Prabhupāda: Sie kennen den Namen nicht, jemand informiert Sie, hier ist der Name, und Sie nehmen ihn nicht an - das ist Ihr Mißgeschick. (Kurzes Schweigen) Selbst Jesus sagte: „Geheiligt werde Dein Name." Die Jungen und Mädchen hier kommen aus Europa, aus christlichen Familien. Sie kommen nicht aus Indien, ich habe sie nicht mitgebracht. Sie chanten den Namen Gottes und sind voller Freude, Sie können es selbst sehen. Urteilen Sie nach dem Ergebnis. Sehen Sie, was sie tun, nicht die Theorie.

Prof. Pater Porsch: Die Christen haben dieselbe ...

Śrīla Prabhupāda: Das ist in Ordnung; wenn Sie den christlichen Prinzipien wirklich folgen, werden Sie vollkommen werden. Die Schwierigkeit ist nur, daß niemand diesen Unterweisungen folgt. Jeder folgt seiner eigenen Meinung - meine Meinung, Ihre Meinung. Wer aber sind Sie? Was ist Ihre Meinung wert? - Da liegt die Schwierigkeit.

Graf Dürckheim: „Was immer Du tust, tu es in meinem Namen", sagt Jesus.

Śrīla Prabhupāda: Also dann! Tun Sie es! Tun Sie es im Namen Jesu Christi. Der einfachste Weg ist, den heiligen Namen Gottes zu chanten.

Dr. Saher: Ich sah selten so viele glückliche Gesichter wie hier heute abend.

Śrīla Prabhupāda: Das ist der Beweis. In Amerika schrieb ein christlicher Priester: „Diese Jungen, die unsere Jungen sind, kamen früher nicht zur Kirche, sie wollten von Gott nichts wissen, und nun haben sie nur noch Gott zum Ziel. Wie ist das möglich?" Junge Menschen haben so viele Abwechslungsmöglichkeiten: Mädchen, Autos, Kinos, Restaurants, usw. Warum haben sie das alles aufgegeben? Wie ist das möglich, solange keine spirituelle Verwirklichung dahinter steht?

Foto1
 Śrīla Prabhupāda im Gespräch mit Graf Dürckheim


Foto 2
 „Zuerst muß man verstehen, daß man nicht mit dem
Körper identisch ist, sondern nur in dem Körper lebt."


Foto 3
 „Laßt die ganze Welt Hare Kṛṣṇa, die Namen Gottes, chanten -
es ist kein Verlust, sondern nur ein Gewinn."


Foto 4
 ... es gibt Millionen von Personen, und Gott ist die höchste Person."

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