Die Lehren
Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

Die Lehren Sri krsna Caitanyas

Die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

Eine Abhandlung
über wirkliches spirituelles Leben

von
Seine Göttliche Gnade
A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda

Gründer-Ācārya der Internationalen Gesellschaft
für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V.

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THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST BBT

 

Titel der Originalausgabe:
Teachings of Lord Caitanya

Für die Übersetzung aus dem Englischen verantwortlich:

Vedavyāsa dāsa brahmacārī (Christian Jansen)
Śacīnandana dāsa brahmacārī (Thorsten Pettersson)
Nikhilānanda dāsa brahmacārī (Nikolay Jankowsky)

1. Auflage 1.-10. Tausend

Copyright © THE BHAKTIVEDANTA BOOK TRUST
Alle Rechte vorbehalten

Herausgeber:
Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein e.V.
6241 Schloß Rettershof/i. Ts.
Tel.: 06174/21357

Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck

Für seine unersetzliche Hilfe bei der Herausgabe dieses Werkes gilt unser
besonderer Dank Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay Associate Professor
Emeritus of German and Linguistics at the University of Southern California.
Die Übersetzer

Gewidmet

dem heiligen Dienst
Śrīla Sac-cid-ānanda Bhaktivinoda Ṭhākuras
der die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas im Jahre 1896
dem Jahr meiner Geburt
in die westliche Welt brachte
(McGill University, Canada)

A. C. Bhaktivedanta Swami    

 

Inhalt


Geleitwort .....................................................................................................
Vorwort.........................................................................................................
Prolog............................................................................................................
Einleitung.......................................................................................................
Die Botschaft Śrī Kṛṣṇa Caitanyas - Śrī Śiksāṣṭaka........................................
Die Unterweisung Rūpa Gosvāmīs.................................................................
Sanātana Gosvāmī...........................................................................................
Die Unterweisung Sanātana Gosvāmīs............................................................
Der Weise .......................................................................................................
Wie man Gott näherkommt.............................................................................
Kṛṣṇas unzählige Formen sind eins ................................................................
Die unzähligen Formen Gottes .......................................................................
Die Avatāras ..................................................................................................
Die unermeßlichen Füllen Kṛṣṇas...................................................................
Die Schönheit Kṛṣṇas.....................................................................................
Der Dienst für den Herrn ...............................................................................
Der Gottgeweihte............................................................................................
Hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung..............................
Die Ekstase des Herrn und Seiner Geweihten ................................................
Die Erklärung des ātmārāma-Verses aus dem Śrīmad-Bhāgavatam ................
Śrī Caitanya beendet Seine Unterweisung Sanātana Gosvāmīs .......................
Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der Ursprüngliche Persönliche Gott ................................
Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī............................................................
Das Ziel des Vedānta ......................................................................................
Die Māyāvādī-Philosophen werden überzeugt ...............................................
Weitere Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī..............................................
Prakāṣānanda Sarasvatī gibt sich hin...............................................................
Das Śrīmad-Bhāgavatam .................................................................................
Gespräche mit Sārvabhauma Bhaṭṭācārya .......................................................
Persönliche und unpersönliche Verwirklichung...............................................
Sārvabhauma Bhaṭṭācārya ist überzeugt .........................................................
Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya ................................................................
Die Erhabenheit des hingebungsvollen Dienens .............................................
Die transzendentale Beziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa ..........................
Reine Liebe zu Kṛṣṇa......................................................................................
Die höchste Vollkommenheit .........................................................................
Schlußfolgerung..............................................................................................
Erklärung der wichtigsten Sanskritwörter und Eigennamen ..........................
16 farbige Bildtafeln aus dem Buch



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Geleitwort

Als Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu vor fünfhundert Jahren erschien, um den Weg aus der Gottesleere und Gottferne der Menschen zur Gottesnähe zu weisen, hatte das Zeitalter, das die Veden als das Kali-yuga bezeichnen, die materielle Welt schon lange in seinem Bann gehalten. Auch wir Heutigen befinden uns in dieser Ära des Haders und der Heuchelei, deren Ende als das eines Schöpfungszyklus den vedischen Schriften zwar wohlbekannt ist, jedoch noch in unendlich weiter, Jahrtausende ferner Zukunft liegt.

Aus der apokalyptischen Tiefe und Vielfalt der vedischen Sicht steigt die Lehre Śrī Caitanyas als ein kindhaft Leichtes und Faßbares. Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der nach der maßgeblichen Aussage des Śrīmad-Bhāgavatam die Inkarnation Gottes im gegenwärtigen Zeitalter ist, lehrte durch Sein persönliches Beispiel die Unterweisung der uralten Offenbarungsurkunden:

harer nāma harer nāma harer namaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva nāsty eva gatir anyathā.

»Chantet den heiligen Namen, chantet den heiligen Namen, chantet den heiligen Namen, denn im Kali-yuga gibt es keinen anderen Weg zur Selbstverwirklichung.« (Bṛhan-Naradīya Purāṇa)

In der Gestalt des Gottgeweihten lebte der Meister täglich und stündlich das Vorbild der Gottergebenheit, die heiligen Namen des Herrn stets auf den Lippen: „Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.“ Der moderne Mensch ist leicht geneigt, Gott als ein imaginäres Wesen abzulehnen, ohne auch nur das geringste von Ihm zu wissen. So erscheint ihm auch die dem Chanten des mahā-mantras innewohnende Kraft nur in der Einbildung einiger „sentimentaler Phantasten“ zu existieren. Das Leben und Wirken Śrī Caitanyas, wie es in dem vorliegenden Werk beschrieben wird, beweist jedoch in eindringlicher Klarheit die universale Anwendbarkeit und Wirksamkeit dieser erhabenen und zugleich einfachen Methode der Gotteserkenntnis. Somit weist Er uns allen den Weg zurück nach Hause, zurück zu Gott.

Prof. Dr. W. H. Wolf-Rottkay

Vorwort

Zwischen den Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas, die in diesem Buch dargelegt werden, und den Lehren, die Śrī Kṛṣṇa in der Bhagavad-gītā offenbart, besteht kein Unterschied, denn die Lehren Śrī Caitanyas bilden eine konkrete Veranschaulichung der Anweisungen Śrī Kṛṣṇas. In einem der letzen Verse der Bhagavad-gītā fordert Śrī Kṛṣṇa jeden auf, sich einfach Ihm hinzugeben, und Er verspricht, Sich jeder Ihm hingegebenen Seele besonders anzunehmen. Śrī Kṛṣṇa kümmert Sich zwar schon in Seiner vollständigen Erweiterung als Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu um die Erhaltung der gesamten Schöpfung, doch diese Erhaltung ist nur allgemeiner Natur. Kṛṣṇas Versprechen, daß Er eine Ihm ergebene Seele in Seine Obhut nehmen werde, bezieht sich insbesondere auf den reinen Gottgeweihten. Unter einem reinen Gottgeweihten versteht man eine dem Höchsten Herrn auf ewig hingegebene Seele. Er ist wie ein Kind, das sich seinem Vater bedingungslos anvertraut hat. Diese Hingabe äußert sich in sechs Verhaltensmerkmalen: 1) alles anzunehmen, was für die Ausübung des hingebungsvollen Dienens von Vorteil ist, 2) alles abzulehnen, was für die Ausübung des hingebungsvollen Dienens nachteilig ist, 3) fest darauf zu vertrauen, daß der Herr Seinen Geweihten stets beschützen wird, 4) sich ganz und gar von der Barmherzigkeit des Höchsten Herrn abhängig zu wissen, 5) kein anderes Interesse außer dem Interesse des Herrn zu kennen und 6) immer demütig und bescheiden zu sein.

Śrī Kṛṣṇa forderte jeden auf, sich Ihm durch das Befolgen der oben genannten sechs Vorgänge hinzugeben, doch weniger intelligente Menschen und sogenannte Gelehrte mißverstanden Seine Aufforderung und verleiteten die Allgemeinheit genau zum Gegenteil. In der Bhagavad-gītā gibt uns Kṛṣṇa am Ende des Neunten Kapitels die direkte Anweisung, ständig an Ihn zu denken, sich Ihm zu weihen, nur Ihn zu verehren und Ihm allein Ehrerbietungen zu erweisen, und Er versichert uns, daß wir durch solche spirituellen Bemühungen in Sein transzendentales Reich gelangen können. Sogenannte Gelehrte indessen, die in Wirklichkeit nichts weiter als Halunken sind, wollen den Menschen weismachen, daß sie sich nicht dem Höchsten Persönlichen Gott hinzugeben brauchen, sondern der »unpersönlichen, nicht manifestierten, ewigen, ungeborenen Wahrheit« in Kṛṣṇa. Die Māyāvādīs, die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre, wollen nämlich nicht anerkennen, daß die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes die höchste Verwirklichung der Absoluten Wahrheit darstellt. Die Absolute Wahrheit wird in drei Aspekten erkannt: als Brahman, als Paramātma und als Bhagavān. Unter »Brahman« versteht man die unendliche Lichtfülle, die vom transzendentalen Körper des Höchsten Gottes ausgeht; »Paramātma« ist der lokalisierte, alldurchdringende Überseelen-Aspekt der Absoluten Wahrheit, und »Bhagavān« bezeichnet den Höchsten Persönlichen Gott Selbst, den Ursprung des Brahman und des Paramātma. Die Māyāvādīs befinden sich auf einer unteren Stufe der Erkenntnis, denn sie sind vom gleißenden Licht des Brahman geblendet und halten es für die Absolute Wahrheit; doch die Upaniṣaden bestätigen, daß man die Strahlen des Brahman durchdringen muß, wenn man das wirkliche Wesen der Absoluten Wahrheit erkennen will, und daß man danach das transzendentale Antlitz des Höchsten Persönlichen Gottes sehen wird.

Śrī Caitanya lehrt uns daher, direkt Śrī Kṛṣṇa zu verehren, der als Sohn Nanda Mahārājas erschien, und Er erklärt auch, daß z. B. das transzendentale Land von Vṛndāvana ebensogut ist wie der Herr Selbst, da Kṛṣṇa die Absolute Wahrheit ist, der Höchste Persönliche Gott, und somit kein Unterschied besteht zwischen Ihm und Seinem Namen, Seinen Eigenschaften, Seiner Gestalt, Seinen transzendentalen Spielen, Seiner Umgebung und allem, was sonst noch direkt zu Ihm in Beziehung steht. Der Herr lehrt auch, daß sich das hingebungsvolle Dienen der gopīs, der Mädchen von Vṛndāvana, auf der höchsten Stufe der Gottesliebe befindet, da sie Kṛṣṇa ohne irgendein Verlangen nach materiellem oder spirituellem Gewinn lieben. Weiter verkündet Er, daß das Śrīmad Bhāgavatam transzendentales Wissen in reinster Form offenbart, und daß der größte Gewinn im menschlichen Leben darin besteht, reine Liebe zu Śrī Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, zu entwickeln.

Śrī Caitanyas Lehren unterscheiden sich im Grunde nicht von denen Śrī Kapilas, dem Begründer des sāṅkhya-yoga. Die Grundlage des sāṅkhya-yoga bildet die Meditation über die transzendentale Gestalt des Herrn. Śrī Kapila empfahl niemals, über etwas Leeres oder Unpersönliches zu meditieren. Wenn man schließlich die Stufe erreicht hat, auf der man immer und überall - auch ohne in einer bestimmten Sitzstellung zu verharren - über die transzendentale Gestalt Viṣṇus meditiert, hat man die Vollkommenheit, d. h. samādhi erreicht. In der Gītā wird diese Stufe am Ende des Sechsten Kapitels beschrieben; Śrī Kṛṣṇa sagt dort: »Wer ständig im Innersten seines Herzens mit Liebe und Hingabe an Mich denkt, ist der größte aller yogīs.« Śrī Caitanya lehrte die Philosophie des sāṅkhya, die auch bekannt ist als »acintya-bhedābheda tattva« (die Absolute Wahrheit ist unfaßbar gleichzeitig eins mit und verschieden von der gesamten Schöpfung), anhand einer für jeden anwendbaren Methode, indem Er nämlich das Chanten* der heiligen Namen Gottes verbreitete. Er erklärte dazu: »Der heilige Name des Herrn ist Seine Klang-Gestalt. Da Kṛṣṇa das Absolute Ganze ist, besteht kein Unterschied zwischen Seinem transzendentalen Namen und Seiner transzendentalen Gestalt, und wenn man daher Seinen Namen chantet, kann man mit Ihm durch diese Klangschwingung zusammensein.« Beim Chanten gibt es drei Stufen: 1) die Stufe der Vergehen, 2) die Stufe der Läuterung und 3) die transzendentale Stufe. Auf der ersten Stufe ist man noch um materielles Glück und Leid besorgt; auf der zweiten Stufe wird man allmählich von aller materieller Verunreinigung befreit, und auf der transzendentalen Stufe erreicht man die höchste Vollkommenheit - Liebe zu Gott. Śrī Caitanya erklärte, daß diese Stufe die höchste Voll- kommenheit sei, die ein Mensch erreichen könne.

* chanten - singen oder sprechen

Das eigentliche Ziel des yoga ist die Beherrschung der Sinne. Da die Sinne unter der Kontrolle des Geistes stehen, muß man als erstes lernen, die Gedanken zu beherrschen. Dies ist am einfachsten und wirksamsten zu verwirklichen, indem man sie in Kṛṣṇas Dienst stellt. Die Wirkungsweise des Geistes zeigt sich einmal in groben Aktivitäten, d. h. durch die Sinne, die entweder rein mechanisch Eindrücke aufnehmen und Wissen sammeln oder zielgerichtet unter der Direktive des Willens tätig sind, und zum anderen in feinen Aktivitäten, d. h. in Denken, Fühlen und Wollen, das vom jeweiligen Bewußtseinszustand abhängt. Das Bewußtsein ist entweder getrübt oder klar. Wenn der Geist auf Kṛṣṇa gerichtet ist - auf Seinen Namen, Seine Eigenschaften, Seine Gestalt, Seine Spiele, Sein transzendentales Reich usw., wirken sich seine groben wie auch feinen Aktivitäten vorteilhaft für uns aus und helfen uns, von der materiellen Bedingtheit befreit zu werden. Zur Läuterung des Bewußtseins empfiehlt das Śrīmad-Bhāgavatam, den Geist auf Kṛṣṇa zu richten, indem man über Seine transzendentalen Taten spricht, Seinen Tempel reinigt, Seinen Tempel besucht, Seine prachtvoll geschmückte transzendentale Gestalt betrachtet, von Seinen transzendentalen Herrlichkeiten hört, von den zu Ihm geopferten Speisen kostet, den Duft der Blumen und tulasī-Blätter riecht, die Ihm dargebracht wurden, die Gesellschaft von Gottgeweihten aufsucht, sich im Interesse des Herrn beschäftigt und zornig auf diejenigen wird, die den Gottgeweihten übelwollen. Niemand kann den Tätigkeiten des Geistes und der Sinne Einhalt gebieten, doch man kann sie läutern, indem man das Bewußtsein, mit dem man sie ausführt, verändert. Wie dies geschehen kann, wird in der Bhagavad-gītā beschrieben: »O Sohn Kuntīs, alles, was du tust, alles, was du ißt, alles, was du opferst und fortgibst, sowie alle Bußen, die du dir auferlegst, sollen Mir als Opfer dargebracht werden.« (Bg. 9.27)

Weniger intelligente Menschen wissen nicht, wie sie Geist und Sinne positiv beherrschen können, und wollen deshalb entweder die Aktivität beider gänzlich beenden oder sich von den Wogen der Sinnenfreude davontragen lassen.

Die acht Methoden im yoga-System, nämlich das Befolgen bestimmter Regeln und regulierender Prinzipien, die Übung verschiedener Sitzstellungen, Atemübungen usw., durch die man lernt, die Sinne von ihren Objekten zurückzuziehen, sind nur für Menschen bestimmt, die zu sehr dem körperlichen Bewußtsein verhaftet sind. Intelligente Menschen sollten nicht versuchen, die Sinne gewaltsam zu unterdrücken, sondern sie im Dienste Kṛṣṇa gebrauchen. Die Sinne werden oft mit einem lebhaften Kind verglichen: Man kann ein solches Kind auf die Dauer nicht von unsinnigen Spielen zurückhalten, indem man es untätig herumsitzen läßt, sondern nur, indem man ihm eine sinnvolle Beschäftigung gibt. Die künstliche Zügelung der Sinne durch bestimmte yoga-Übungen wird also nur Menschen empfohlen, die sich auf einer unteren Bewußtseinsebene befinden. Die Intelligenteren sollten höheren Tätigkeiten im Kṛṣṇa-Bewußtsein nachgehen - auf diese Weise verlieren sie ganz von selbst den Geschmack an materiellem Sinnengenuß.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya lehrt uns anhand dieser Grundsätze die absolute Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Die intellektuellen Spekulanten versuchen zwar, sich vor der Anhaftung an die materielle Welt durch trockene Zurückhaltung zu bewahren, doch sie werden in den meisten Fällen von ihren Gedanken, über die sie nicht Herr zu werden vermögen, wieder in den Sumpf der Sinnenfreude heruntergezogen. Für einen Kṛṣṇa-bewußten Gottgeweihten besteht diese Gefahr nicht, und deshalb sollte man unbedingt Geist und Sinne in den Dienst Kṛṣṇas stellen. Wie dies praktisch getan werden kann, wird uns vom Herrn Selbst in Seiner Erscheinung als Śrī Kṛṣṇa Caitanya gezeigt. Bevor Śrī Caitanya sannyāsa annahm und damit in die Lebensstufe der Entsagung eintrat, wurde Er Viṣvambhara genannt. »Viṣvambhara« bedeutet soviel wie »der Führer aller Lebewesen, der das gesamte Universum erhält.« Dieser höchste Erhalter und Führer erschien als Śrī Kṛṣṇa Caitanya und lehrte, wie man den eigentlichen Sinn und Zweck des Lebens erfüllen kann. Er verschenkt reine Liebe zu Kṛṣṇa, weshalb Er auch die großmütigste Inkarnation Gottes genannt wird, und Er ist der Ozean aller Barmherzigkeit und allen Glücks. Obwohl Er, wie im Śrīmad-Bhāgavatam, im Mahābhārata und in den Upaniṣaden bestätigt wird, der Höchste Persönliche Gott Śrī Kṛṣṇa ist, erschien Er im Zeitalter der Uneinigkeit in einer Form, in der Er von jedem verehrt werden kann. Jeder kann sich, ohne besonders qualifiziert zu sein, Seiner saṅkīrtana-Bewegung anschließen und durch das Befolgen Seiner Lehren die Vollkommenheit erlangen. Wenn man so glücklich ist, von Seiner Erscheinung angezogen zu sein, wird man gewiß das Ziel des menschlichen Lebens erreichen. Kurz gesagt: Wer daran interessiert ist, ein spirituelles Leben zu führen, kann durch die Gnade Śrī Caitanyas sehr leicht aus der Gewalt māyās befreit werden. Aus diesem Grund stellen wir Śrī Caitanya nun in Form dieses Buches vor, das nicht von Ihm verschieden ist.

Weil die bedingte Seele von ihrem materiellen Körper in Anspruch genommen wird, geht sie selbstvergessen materiellen, zeitweiligen Tätigkeiten nach; doch die Lehren Śrī Caitanyas können ihr helfen, solchem unsinnigen Tun ein Ende zu bereiten und sich zur höchsten Ebene der spirituellen Aktivität zu erheben, die nach der Befreiung von der materiellen Bedingtheit beginnt. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein zur Freude Kṛṣṇas tätig zu sein stellt das Ziel allen menschlichen Strebens nach Vollkommenheit dar. Der Wunsch nach Herrschaft über die materielle Natur ist Illusion; doch durch die Lehren Śrī Caitanyas kann man mit wirklichem Wissen erleuchtet werden und somit im spirituellen Leben fortschreiten.

Die bedingte Seele ist gezwungen, die Folgen ihres Tuns zu genießen oder zu erleiden. Niemand kann dieses Gesetz der materiellen Natur umgehen. Solange man materialistischen, gewinnbringenden Tätigkeiten nachgeht, wird man bei dem Versuch, das endgültige Ziel des Lebens zu erreichen, scheitern. Ich hoffe daher aufrichtig, daß die menschliche Gesellschaft durch die Lehren Śrī Caitanyas ein neues Verständnis vom spirituellen Leben gewinnt, das ihr den Aktivitätsbereich der reinen Seele erschließt.

om tat sat

               A.C. Bhaktivedanta Swami

14. März 1968
Am Erscheinungstag Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus
Śrī Śrī Rādhā-Kṛṣṇa Tempel, New York

 

Prolog

Das Leben Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus

von Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura

Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu erschien in Māyāpura im Stadtteil Nadia (Navadvīpa) am 18. Februar des Jahres 1486 kurz nach Sonnenuntergang. Bei Seinem Erscheinen herrschte eine Mondfinsternis, während der die Einwohner des Ortes, wie es bei solchen Anlässen üblich ist, unter lauten Rufen von »Hari bol! Hari bol!« im Bhāgīrathī badeten. Sein Vater, Jagannātha Miṣra, ein armer brāhmaṇa von vaidischem Stand, und Seine Mutter Śacī-devī, eine vorbildliche Mutter und Ehefrau, stammten beide aus brāhmaṇa-Familien, die ursprünglich in Sylhet beheimatet waren.

Śrī Caitanya war ein bildschönes Kind und wurde häufig von den Frauen der Stadt besucht, die nur kamen, um Ihn anzuschauen, und Ihm bei diesen Gelegenheiten die verschiedensten Geschenke mitbrachten. Der Vater Seiner Mutter, Paṇḍita Nīlāmbara Cakravartī, ein berühmter Astrologe, prophezeite, daß das Kind eine große Persönlichkeit werden würde, und gab Ihm daher den Namen Viṣvambhara. Die Nachbarsfrauen nannten Ihn wegen Seiner goldenen Hautfarbe »Gaura Hari« und Seine Mutter rief Ihn »Nimāi«, da Er unter einem nim-Baum geboren wurde. Weil Caitanya so außergewöhnlich schön war, freute sich jeder, der Ihn sah, und bald entwickelte Er Sich zu einem vergnügten, immer zu Streichen aufgelegten Knaben. Er war überaus intelligent und wurde schon mit fünf Jahren in die Schule aufgenommen, wo Er in erstaunlich kurzer Zeit Bengali lernte. Seine zeitgenössischen Biographen berichten von vielen wundersamen Begebenheiten und Wundertaten, die in Seine frühe Kindheit fallen. So wird z. B. gesagt, daß Er als kleines Kind in den Armen Seiner Mutter unaufhörlich weinte und Sich erst wieder beruhigte, wenn die Nachbarsfrauen und Seine Mutter »Hari bol! Hari bol!« riefen. Daher war im Hause von Jagannātha Miṣra ständig das Chanten von »Hari bol« zu hören, - ein frühes Vorzeichen auf die Botschaft des Herrn. Als Er einmal Tonerde statt Süßigkeiten aß, fragte Ihn Seine Mutter nach dem Grund Seines Verhaltens, worauf Er antwortete, daß jede Süßigkeit in Wirklichkeit nichts anderes sei als umgewandelte Erde, und daß Er daher ebensogut gleich Erde essen könne. Daraufhin erklärte Ihm Seine Mutter, die als Frau eines Paṇḍita, eines Gelehrten, recht verständig war, daß jeder Gegenstand in Seinem jeweiligen Zustand einem ganz bestimmten Zweck diene. »Wenn Tonerde zu einem Wassertopf geformt ist,« so sagte sie, »kann sie zum Kochen verwendet werden, doch in der Form eines Ziegelsteins ist dies nicht möglich. Somit kann Erde in Form von Süßigkeiten als Nahrung verwendet werden, aber nicht in anderen Zustandsformen.« Der Junge ließ Sich durch dieses Argument überzeugen und gestand Seine »Dummheit« ein.

Als einmal ein brāhmaṇa, der auf seiner Pilgerfahrt im Hause von Caitanyas Eltern eingekehrt war, in stiller Meditation sein Essen Kṛṣṇa opferte, kam Śrī Caitanya herbei und aß die Speisen noch während der Opferung auf. Der brāhmaṇa war hierüber nicht wenig erstaunt, doch kochte er auf Bitten Jagannātha Miṣras hin noch einmal. Aber auch bei der zweiten Opferung erschien plötzlich der Junge und verzehrte die noch ungeopferten Speisen. Als der brāhmaṇa schließlich ein drittes Mal sein Essen opferte, nachdem sich bereits alle Bewohner des Hauses zur Ruhe gelegt hatten, offenbarte Sich ihm Śrī Caitanya als Kṛṣṇa und gab ihm Seinen Segen. Sowie der brāhmaṇa erkannte, daß der Persönliche Gott, der Empfänger seiner Opferungen, vor ihm erschienen war, fiel er in Ekstase.

Als der kleine Caitanya einmal vor der Tür Seines Elternhauses spielte, entführten Ihn zwei Diebe, um Seinen Juwelenschmuck zu rauben; doch der Herr entfaltete Seine illusionierende Energie, so daß die beiden Diebe in Verwirrung gerieten und Ihn, ohne es zu merken, wieder nach Hause zurückbrachten. Aus Furcht vor Entdeckung ließen sie sogleich von Ihm ab und entflohen.

Mit acht Jahren wurde Caitanya Mahāprabhu in die tol von Gaṅga dāsa Paṇḍita aufgenommen, der in Gaṅganāra, einem Ort in der Nähe von Māyāpura, lebte. Innerhalb von nur zwei Jahren wurde Er ein ausgezeichneter Schüler in der Grammatik und Rhetorik des Sanskrit. Danach bildete Er Sich allein zuhause weiter, wo Er alle wichtigen Bücher fand, da Sein Vater selbst ein großer Gelehrter war. Er studierte damals nicht nur die smṛti, sondern auch die nyāya im Wettbewerb mit Seinen Freunden, die von dem berühmten Gelehrten Raghunātha Śiromani unterrichtet wurden.

Mit zehn Jahren beherrschte Śrī Caitanya die Grammatik und Rhetorik des Sanskrit vollkommen und war ein Meister der smṛti und der nyāya. Zu dieser Zeit verließ Sein älterer Bruder Viṣvarūpa das Elternhaus und trat die Lebensstufe der Entsagung an, worüber seine Eltern sehr bekümmert waren. Śrī Caitanya, der noch recht jung war, tröstete sie, indem Er ihnen versprach, ihnen weiter zur Freude Gottes zu dienen. Kurze Zeit später verschied Sein Vater, und Seine Mutter setzte ihre ganze Hoffnung in Ihn. Im Alter von fünfzehn Jahren wurde Śrī Caitanya mit Lakṣmī-devī, der Tochter von Vallabhācārya, vermählt. Zu diesem Zeitpunkt galt Caitanya bereits als einer der besten Gelehrten von ganz Nadia, dem berühmten Sitz der nyāya-Philosophie und der Sanskrit-Wissenschaft. Alle nyāyaika-Paṇḍitas, ganz zu schweigen von den smārta-Paṇḍitas, fürchteten sich, Ihm in Diskussionen über die Schriften gegenüberzutreten.

Da Er nun verheiratet war, reiste Er eines Tages nach Ost-Bengalen, um dort Reichtum zu erwerben, und Seine Gelehrtheit verhalf Ihm schon nach kurzer Zeit zu einer ansehnlichen Summe Geldes. Zu jener Zeit begann der Herr auch, bei Gelegenheit Vaiṣṇava-Philosophie zu predigen. Nachdem Er Tapana Miṣra, einen Seiner ersten Schüler, in den Grundsätzen der Vaiṣṇava-Lehre unterwiesen hatte, sandte Er ihn nach Benares mit dem Auftrag, dort zu predigen.

Als Śrī Caitanya nach Nadia zurückkehrte, fand Er Seine Mutter in tiefer Trauer. - Lakṣmī-devi war an den Folgen eines Schlangenbisses gestorben. Kurze Zeit später heiratete Er auf Drängen Seiner Mutter Viṣṇu-priyā, die Tochter des Rāja Paṇḍitas Sanātana Miṣra, und da Er nun wieder in Nadia lebte, schlossen sich Ihm Seine alten Gefährten wieder an. Caitanya Mahāprabhu galt nun als der beste Paṇḍita der Stadt.

Eines Tages kam der berühmte Gelehrte Keṣava Miṣra Kāsmīrī, der sich selbst »der große Digvijāyi« nannte, nach Nadia, um sich mit den Paṇḍitas der Stadt in Diskussionen über die Schriften zu messen. Doch die tol-Professoren von Nadia befürchteten, vor dem sogenannten »siegreichen Paṇḍita« ihren guten Ruf zu verlieren, und verließen daher die Stadt unter dem Vorwand, unaufschiebbaren Einladungen nachkommen zu müssen. So fand Keṣava Miṣra also nur Śrī Caitanya vor, den er bei einem Spaziergang am Barokonaghata in Māyāpura traf. Bereits nach kurzer Diskussion mußte er sich geschlagen geben, und da er diese Demütigung nicht ertragen konnte, sah er sich gezwungen, das Feld zu räumen. Damit war Nimāi Paṇḍita der größte Gelehrte Seiner Zeit.

Mit siebzehn Jahren begab Er Sich mit einigen ausgewählten Schülern nach Gaya und ließ Sich dort von dem großen Vaiṣṇava Iṣvara Purī die spirituelle Einweihung geben. Nach der Rückkehr in Seine Heimatstadt fand eine wundersame Veränderung in Nimāi Paṇḍitas Wesen statt. Er wurde zu einem religiösen Prediger, und seine Religiosität trat so stark hervor, daß sich Advaita Prabhu, Śrīvāsa und viele andere, die schon vor Caitanyas Geburt Vaiṣṇavas gewesen waren, zu dem jungen Mann hingezogen fühlten. Er war nicht länger ein selbstzufriedener nyāyaika, ein zänkischer smārta oder ein kritisierender Rhetoriker. Sowie Er den heiligen Namen »Kṛṣṇa« hörte, wurde Er ohnmächtig, und Er verhielt Sich wie ein Erleuchteter unter dem Einfluß religiöser Empfindungen. Murāri Gupta, ein Augenzeuge, berichtet in seinen Aufzeichnungen, daß Śrī Caitanya Seine göttlichen Kräfte in Śrīvāsa Paṇḍitas Haus in Anwesenheit von Hunderten Seiner Anhänger offenbarte, die größtenteils bedeutende Gelehrte waren.

Zu jener Zeit eröffnete Er auch zusammen mit den ernsthaftesten Seiner Schüler eine nächtliche Kīrtanschule. Dort predigte, sang und tanzte Er und zeigte dabei die verschiedensten Symptome religiöser Ekstase. Nityānanda Prabhu, ein Vaiṣṇava-Prediger, der gerade von weiten Reisen durch ganz Indien nach Nadia zurückgekehrt war, und viele andere ernsthafte Vaiṣṇavas aus verschiedenen Teilen Bengalens schlossen sich Ihm ebenfalls an. Somit wurde Nadia bald zur ständigen Residenz der größten Vaiṣṇava-ācāryas (heilige Lehrer), deren einziges Ziel es war, die gesamte Menschheit durch hingebungsvolles Dienen zu spiritualisieren.

Der erste Auftrag, den Śrī Caitanya Seinen beiden engsten Gefährten, Nityānanda Prabhu und Haridāsa Ṭhākura, gab, lautete: »Geht durch die Straßen der Stadt, klopft an jede Tür, und bittet jeden, den heiligen Namen Haris zu singen und ein gottesbewußtes Leben zu führen. Kommt dann am Abend wieder und berichtet Mir, wie es euch ergangen ist.« Gleich beim ersten Mal trafen Nityānanda Prabhu und Haridāsa Ṭhākura auf Jagāi und Mādhāi, die beiden übelsten Trunkenbolde und Frauenhelden der Stadt. Sowie diese die beiden Prediger kommen sahen und ihre Bitte hörten, begannen sie zu fluchen und zu schimpfen und sogar handgreiflich zu werden, doch Śrī Caitanyas bhakti (Liebe zu Gott) war so stark, daß auch sie schließlich durch Seine Macht bekehrt wurden.

Die Einwohner von Nadia waren über diese Ereignisse in höchstem Maße erstaunt, und so sagten sie: »Nimāi Paṇḍita ist nicht nur ein Genie, sondern auch ein Heiliger - der Allmächtige Selbst muß Ihn geschickt haben.«

Bis zu Seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr predigte Śrī Caitanya die Prinzipien der bhakti in Nadia und den umliegenden Dörfern und Städten. In den Häusern Seiner Anhänger tat Er Wunder, hielt Vorträge über die esoterischen Lehren der bhakti und sang zusammen mit anderen bhaktas (Gottgeweihten) die heiligen Namen Gottes. Als Seine Anhänger begannen, die heiligen Namen Haris auch auf den Straßen und Bazaren von Nadia zu singen, wurde die saṅkīrtana-Bewegung zu einem öffentlichen Diskussionsgegenstand. Die bhaktas begrüßten das Singen auf den Straßen, doch die smārtas, die kastenbewußten brāhmaṇas beneideten Śrī Caitanya um Seine Erfolge und beklagten sich beim Kazi darüber, daß Seine Lehre nicht hinduistisch sei. Somit erschien der Kazi eines Tages im Hause von Śrivāsa Paṇḍita, zerbrach dort eine mṛdaṅga (Trommel, die beim saṅkīrtana gespielt wird) und erklärte, er werde Caitanya Mahāprabhu und Seine Anhänger zwingen, zum Islam überzutreten, wenn diese nicht aufhörten, mit ihrer »wunderlichen Religion« Unruhe zu stiften. Als Śrī Caitanya von dem Vorfall hörte, ordnete Er an, daß sich noch am gleichen Abend alle Einwohner von Nadia mit einer Fackel in der Hand vor der Stadt versammeln sollten. Dies geschah, und so begab Er Sich gefolgt von einer hunderttausend Mann starken saṅkīrtana-Prozession zum Hause des Kazi. In einem langen Gespräch setzte Er ihm die Prinzipien der bhakti auseinander, und als Er schließlich den Körper des Mohammedaners berührte und so in dessen Herz die Liebe zu Gott eingab, wurde der Kazi von Ekstase ergriffen. Weinend bekannte er, daß er einen starken spirituellen Einfluß fühle, der alle Seine Zweifel beseitige und in ihm ein religiöses Gefühl hervorrufe, das ihn in höchste Ekstase versetze. Er fiel dem Herrn zu Füßen und versprach, Ihm in Zukunft jede Unterstützung zu gewähren; danach nahm auch er an der Prozession teil. Jeden erfüllte die spirituelle Macht des Herrn mit Erstaunen, und viele vormals ungläubige und neidische Menschen schlossen sich Seiner saṅkīrtana-Bewegung an.

Nur einige der starrsinnigen und mißgünstigen brāhmaṇas aus Kulia verhielten sich weiter feindselig gegenüber Śrī Caitanya und sammelten eine Schar Gleichgesinnter um sich, mit der Absicht, gegen Ihn zu opponieren.

Nimāi Paṇḍita war von Natur aus weichherzig, doch strikt, wenn es um Prinzipien ging. Er erklärte, daß Parteidenken und Sektierertum die beiden größten Feinde des spirituellen Lebens seien, und daß Seine Mission nicht völlig erfolgreich sein könne, solange Er Einwohner einer bestimmten Stadt und Angehöriger einer bestimmten Familie bliebe. Entschlossen löste Er daher alle Bindungen an Familie, Kaste und Konfession und faßte im Alter von vierundzwanzig Jahren den Entschluß, sannyāsa anzunehmen und damit die Lebensstufe der Entsagung anzutreten. Seine Mutter und Seine Frau versuchten weinend, Ihn von Seinem Vorhaben abzubringen, doch Nimāi Paṇḍita blieb fest und verließ bald darauf die kleine Welt von Nadia, um Sich der unbegrenzten spirituellen Welt Kṛṣṇas und damit zugleich der gesamten Menschheit zuzuwenden.

Nachdem Nimāi Paṇḍita von Keṣava Bhāratī in Katwa zum sannyāsī geweiht geworden war (bei diesem Anlaß erhielt Er den Namen »Caitanya«), wurde Er von Advaita Prabhu nach Śāntipura eingeladen. Advaita hatte alle Freunde und Bewunderer des Herrn aus Nadia wie auch Seine Mutter Śacī-devī kommen lassen. Als Śacī-devī ihren Sohn im Gewand des sannyāsī sah, war ihr Herz von Freude und Schmerz zugleich erfüllt. Śrī Kṛṣṇa Caitanya trug nichts weiter als ein kaupin und ein bagirbas (Tuch, mit dem sich die sannyāsīs bekleiden); Sein Kopf war kahlrasiert, und in den Händen hielt er einen daṇḍa (Stab) und einen kamandalu (Wassertopf der Einsiedler).

Sowie der Herr Seine geliebte Mutter sah, fiel Er ihr zu Füßen und sagte: »Liebe Mutter, Mein Körper gehört dir, und was immer du möchtest, werde Ich tun. Bitte erlaube Mir, nach Vṛndāvana zu gehen, denn die heilige Atmosphäre dort eignet sich ganz besonders gut für ein spirituelles Leben.« Nachdem sich Śacī-devī mit Advaita Prabhu und einigen anderen beraten hatte, bat sie ihren Sohn, Seinen Wohnsitz in Purī, der Stadt Śrī Jagannāthas* aufzuschlagen, so daß sie hin und wieder von Ihm hören könnte. Mahāprabhu erklärte Sich mit Ihrem Vorschlag einverstanden und machte Sich wenige Tage später nach Orissa auf.

* Śrī Jagannātha - die Bildgestalt des Herrn in Seinem Aspekt als der Herr des Universums.

Biographen haben die Reise Śrī Caitanyas von Śāntipura nach Jagannātha Purī in allen Einzelheiten festgehalten: Der Herr wanderte am Ufer des Bhagirathi entlang, bis Er Chatrabhog erreichte, setzte dann Seine Reise mit einem Boot fort und fuhr bis Prayāga-Ghat im Distrikt von Midnapura. Von dort ging Er zu Fuß weiter bis Er schließlich über Balasore und Cuttack nach Purī kam. Gleich nach Seiner Ankunft besuchte Er den Tempel von Jagannātha, wo Er dem Höchsten Herrn sogleich Seine Ehrerbietungen erwies. Dort traf Er auch Sārvabhauma Bhaṭṭācārya, der Ihn einlud, bei sich zu wohnen.

Sārvabhauma war ein überragender Paṇḍita; Seine Belesenheit kannte keine Grenzen; er war der beste nyāyaika seiner Zeit und stand in dem Ruf, der kundigste Gelehrte der Vedānta-Philosophie zu sein, wie sie von Śaṅkarācārya gelehrt wurde. Er stammte ebenfalls aus Nadia, wo er in seiner dortigen tol zahllose Schüler in der nyāya-Philosophie unterwiesen hatte; doch war er schon lange Zeit vor Śrī Caitanyas Erscheinen nach Purī gegangen. Sein Schwiegerbruder Gopīnātha Miṣra stellte ihm den neuen sannyāsī vor, und Sārvabhauma, den die außergewöhnliche Schönheit des Herrn erstaunte, bemerkte, daß es für den jungen Mann nicht leicht sein würde, das ganze Leben hindurch sannyāsī zu bleiben. Doch Gopīnātha Miṣra, der Śrī Kṛṣṇa Caitanya schon aus Nadia kannte und Ihn sehr verehrte, tadelte seinen Schwager sogleich und wies ihn darauf hin, daß Caitanya Mahāprabhu kein gewöhnlicher Sterblicher sei. Sārvabhauma Bhaṭṭācārya konnte diese Auffassung nicht teilen, und so entspann sich eine hitzige Diskussion zwischen den beiden.

Nach diesem Vorfall bat Sārvabhauma den Herrn, Ihm seine Interpretation des Vedānta-sūtra vortragen zu dürfen, womit Sich Śrī Caitanya taktvoll einverstanden erklärte.

Sieben Tage lang sprach Bhaṭṭācārya ununterbrochen und mit großem Ernst über den Vedānta; dann sagte er: »Kṛṣṇa Caitanya, Du scheinst die Vedānta-Philosophie nicht zu verstehen, denn Du hast bisher noch kein Wort zu meinen Ausführungen und Erklärungen gesagt.« Der Herr entgegnete: »Ich verstehe die sūtras sehr gut, doch die Kommentare Śaṅkarācāyas sind Mir unverständlich.« Sārvabhauma verblüffte diese Antwort, und so sprach er ärgerlich: »Wie kannst Du die Bedeutung der sūtras verstehen, wenn du nicht die Kommentare begreifst, die sie erklären? Nun gut, wenn Du tatsächlich die sūtras verstehst, dann sei bitte so freundlich und laß mich Deine Interpretationen hören! «

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte daraufhin alle sūtras auf Seine eigene Weise, ohne dabei den pantheistischen Kommentar Śaṅkarācāryas auch nur zu streifen. Sārvabhauma Bhaṭṭācārya konnte sofort mit seinem scharfen Intellekt die Wahrheit, Schönheit und Harmonie der Erklärungen Caitanyas erkennen und mußte deshalb gestehen, daß dies das erste Mal sei, daß er jemanden gefunden habe, der die Vedānta-sūtras auf solch natürliche Weise erklären konnte. Er sagte auch, daß die Kommentare Śaṅkarācāryas in keiner Weise mit denen von Caitanya an Klarheit zu vergleichen seien. Sārvabhauma Bhaṭṭācārya wurde nach diesem Gespräch zu einem treuen Anhänger des Herrn und wandelte sich innerhalb weniger Tage zu einem der größten Vaiṣṇavas seiner Zeit. Die Nachricht seiner Bekehrung verbreitete sich wie ein Lauffeuer, was zur Folge hatte, daß bald darauf ganz Orissa Śrī Caitanyas Ruhm pries und Tausende von Menschen zu Ihm kamen, um Seine Anhänger zu werden. Währenddessen faßte der Herr den Plan, Südindien zu besuchen, und so machte Er Sich eines Tages in Begleitung des brāhmaṇa Kṛṣṇa dāsa auf die Reise.

Er ging zuerst nach Kurmakṣetra, wo Er das Wunder vollbrachte, den Aussätzigen Vasudeva zu heilen. Am Ufer der Godavarī traf Er Sich mit Rāmānanda Rāya, dem Gouverneur von Vidyanagara, und führte lange philosophische Gespräch mit ihm über premā-bhakti - reine hingebungsvolle Liebe zu Gott. Kurz danach offenbarte Er ein weiteres Wunder, als Er die sieben tal-Bäume berührte und damit augenblicklich zum Verschwinden brachte, durch die Rāmacandra, der Sohn Mahārāja Dāṣarthas, vor langer Zeit einen Pfeil geschossen hatte, der den großen Bali Rāja tötete. Die ganze Zeit über predigte Er, wo immer Sich Ihm eine Gelegenheit bot, Vaiṣṇava-Philosophie und nāma-saṅkīrtana, das Singen der heiligen Namen Gottes.

Als die Regenzeit heranrückte, begab Er Sich nach Rangakṣetra zu einem gewissen Venkata Bhaṭṭa und bekehrte während der vier Monate Seines Aufenthalts die ganze Familie vom Rāmānuja-Vaiṣṇava-Kult zur Kṛṣṇa-bhakti. Unter den Familienmitgliedern befand sich auch Gopāla, ein Junge von zehn Jahren, der später nach Vṛndāvana ging und einer der sechs Gosvāmīs wurde. Gopāla Bhaṭṭa, der von seinem Onkel Prabhodānanda Sarasvatī Sanskrit gelernt hatte, schrieb mehrere Bücher über Vaiṣṇava-Philosophie in dieser Sprache. Nachdem die Regenzeit vorüber war, setzte Caitanya Mahāprabhu Seine Reise fort, die Ihn bis hinunter zum heutigen Kap Komorin führte. Er besuchte viele heilige Orte und kehrte dann nach zwei Jahren über Panderpura nach Purī zurück. In Panderpura gab Er dem Heiligen Tukārāma die spirituelle Einweihung, der daraufhin zu einem der größten Prediger der bhakti-Lehre wurde. Tukārāma beschreibt das transzendentale Treffen mit dem Herrn ausführlich in seinen Abhangas, die später von Satyandra Nath Tagore von der Zivilverwaltung in Bombay in einem besonderen Band zusammengefaßt wurden. Auf Seiner Reise führte der Herr viele Diskussionen mit den Bhuddisten, den Jainas und den Māyāvādīs, bei denen Er alle Seine Gegner zum Vaiṣṇavatum bekehren konnte - zur Verehrung Gottes als Person.

Nachdem Er wieder nach Purī zurückgekehrt war, schlossen sich der König von Orissa, Mahārāja Pratāparudra Deva, und mehrere gelehrte brāhmaṇas Seiner Bewegung an. Caitanya Mahāprabhu war inzwischen siebenundzwanzig Jahre alt.

Ein Jahr später ging Er wieder nach Bengalen, diesmal nach Maldah in Gauḍa, wo Er mit Dabir Khās und Sākara Mallik zusammentraf, zwei Ministern der Regierung Nawab Hussain Schahs. Die beiden Brüder, die ursprünglich aus brāhmaṇa-Familien stammten, waren durch die lange Verbindung mit Hussain Schah, dem damaligen Herrscher von Gauḍa, zu Halb-Mohammedanern geworden. Der Schah hatte ihre Namen in Dabir Khās und Sākara Mallik geändert und liebte die beiden sehr, da sie persisch, arabisch und Sanskrit beherrschten und überdies treue Diener des Staates waren. Dabir Khās und Sākara Mallik, die später als Rūpa und Sanātana Gosvāmī bekannt wurden, hatten keine Möglichkeit gefunden, wieder in die Hindu-Gemeinschaft zurückzukehren, und hatten daher Caitanya Mahāprabhu, während Sich dieser in Purī aufhielt, in einem Brief um spirituelle Hilfe gebeten. Śrī Caitanya hatte ihnen geantwortet, daß Er bald Selbst zu ihnen kommen würde, um ihnen aus ihrer schwierigen Lage zu helfen, und nun, da Er endlich in Gauḍa war, suchten Ihn die beiden Brüder sofort auf und trugen Ihm ihre langgehegten Sorgen vor. Der Herr wies sie an, nach Vṛndāvana zu gehen und dort auf Ihn zu warten.

Anschließend kehrte Er über Śāntipura, wo Er Sich kurz mit Seiner geliebten Mutter traf, nach Purī zurück. Auch hier hielt Er Sich nur kurz auf, um dann in Begleitung von Balabhadra Bhaṭṭācārya nach Vṛndāvana weiterzureisen. Von Vṛndāvana schließlich begab Er Sich nach Prayāga (dem heutigen Allahabad) und bekehrte dort eine große Anzahl von Mohammedanern durch Zitate aus dem Koran zur Vaiṣṇava-Lehre. Die Nachfahren dieser Mohammedaner sind heute als Pathan-Vaiṣṇavas bekannt. In Allahabad stieß auch Rūpa Gosvāmī zu Ihm, den Er bei dieser Gelegenheit zehn Tage lang in spirituellem Wissen unterwies. Danach gab Er ihm den Auftrag, nach Vṛndāvana zu gehen und dort wissenschaftliche Abhandlungen über premā-bhakti (reine Gottesliebe) zu schreiben und die Orte ausfindig zu machen, an denen Kṛṣṇa am Ende des Dvāpara-yuga* Seine līlās, Seine transzendentalen Spiele, zum Segen der gesamten Menschheit offenbarte. Nachdem Rūpa Gosvāmī nach Vṛndāvana aufgebrochen war, reiste Caitanya Mahāprabhu nach Benares weiter, wo Er das Haus von Candraṣekhara als Quartier wählte; Seine tägliche bikṣa (Mahlzeit) nahm Er bei Tapana Miṣra zu Sich. In Benares stieß auch Sanātana Gosvāmī zu Ihm, den Er daraufhin zwei Monate lang in der Vaiṣṇava-Philosophie unterwies.

* Dvāpara-yuga - das dem gegenwärtigen Kali-yuga vorangegangene Zeitalter.

Die verschiedenen Biographen, insbesondere Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī, haben uns die Lehren Śrī Caitanyas an Rūpa und Sanātana Gosvāmī in allen Einzelheiten überliefert. Kṛṣṇadāsa war zwar kein Zeitgenosse Caitanyas, doch erhielt er alle Seine Informationen direkt von den Gosvāmīs, den engsten Schülern des Herrn.

Während Seines Aufenthaltes in Benares wurde Caitanya Mahāprabhu eines Tages in das Haus eines brāhmaṇa eingeladen, bei dem sich alle Māyāvādī-sannyāsīs von Benares zu einem Treffen versammelt hatten. Gleich zu Anfang der Versammlung, die von Prakāṣānanda Sarasvatī, dem Führer der Māyāvādīs, geleitet wurde, offenbarte der Herr ein Wunder, durch das Er alle Anwesenden für Sich einnahm, und in dem darauffolgenden Gespräch überzeugte Er die sannyāsīs davon, daß sie sich von den falschen Kommentaren Śaṅkarācāryas hatten irreführen lassen. Nicht einmal den gebildetsten Gelehrten war es möglich, für längere Zeit gegen Śrī Caitanya standzuhalten, da von Ihm etwas Unerklärliches ausging, das ihre Herzen berührte und in ihnen die Sehnsucht nach spirituellem Fortschritt weckte. Die Māyāvādī-sannyāsīs bildeten keine Ausnahme, sondern fielen Śrī Caitanya schon nach kurzer Zeit zu Füßen und baten Ihn um Seine Barmherzigkeit. In Erwiderung erklärte ihnen der Herr reine bhakti und flößte ihren Herzen spirituelle Liebe zu Kṛṣṇa ein, die sie alle sektiererischen Gefühle vergessen ließ. Als die Einwohner von Benares von der wunderbaren Bekehrung der Māyāvādīs hörten, wurden sie allesamt zu Vaiṣṇavas, und die ganze Stadt hallte wider von gewaltigen saṅkīrtanas, die zu Śrī Caitanyas Ehre stattfanden.

Nachdem der Herr auch Sanātana Gosvāmī nach Vṛndāvana gesandt hatte, kehrte Er durch den Dschungel nach Purī zurück. Sein Gefährte Balabhadra, der ihn auch hier begleitete, berichtet, daß Mahāprabhu unterwegs viele Wunder vollbrachte. So habe Er z. B. Tiger und Elefanten dazu gebracht, den heiligen Namen zu chanten und in Ekstase zu tanzen.

Von dieser Zeit an, d. h. von Seinem einunddreißigsten Lebensjahr an, lebte Śrī Caitanya bei Kāṣī Miṣra in Purī, bis Er mit achtundvierzig Jahren während eines saṅkīrtanas im Tempel von Tota Gopīnātha diese Welt verließ. Die letzten achtzehn Jahre Seines Lebens, die Er in der Mitte Seiner Anhänger verbrachte, waren von gütiger Liebe und Frömmigkeit geprägt. Alle Seine Gefährten waren bedeutende Vaiṣṇavas, die sich von den anderen Menschen insbesondere durch ihren reinen Charakter, durch große Gelehrtheit, feste religiöse Prinzipien und spirituelle Liebe zu Rādhā und Kṛṣṇa unterschieden. Svarūpa-dāmodara, der während der Zeit, als Śrī Caitanya noch in Nadia lebte, als Puruṣottamācārya bekannt war, kam von Benares nach Purī und wurde Sein Sekretär. Alle philosophischen und dichterischen Werke, die Śrī Caitanya gebracht wurden, mußten zuerst von ihm auf Reinheit und Nützlichkeit geprüft werden, bevor sie dem Herrn vorgelegt werden konnten. Zu jener Zeit stieß auch Rāmānanda Rāya, ein anderer großer Gottgeweihter aus Südindien, zu dem Herrn; er und Svarūpa-dāmodara pflegten gemeinsam zu singen, während Caitanya Mahāprabhu bei der Verehrung Kṛṣṇas in Ekstase fiel. Paramānanda Purī war Sein Sekretär für religiöse Angelegenheiten. Von dieser Zeit haben uns die Biographen des Herrn Hunderte von Anekdoten überliefert, die wir an dieser Stelle natürlich nicht wiedergeben können. Mahāprabhu schlief nur wenig. Er widmete Sich ganz der Verehrung Kṛṣṇas, und Sein Streben trug Ihn von Tag zu Tag in immer höhere spirituelle Sphären. Mit Seinen vertrautesten Schülern, den sechs Gosvāmīs in Vṛndāvana, hielt Er engen Kontakt und ließ ihnen so manche Unterweisung zukommen. Während dieser Zeit empfing Er viele religiöse Menschen, die Ihn besuchten, und sprach mit ihnen über Kṛṣṇa-bhakti. Er sang und tanzte und verfiel oftmals in ekstatische Glückseligkeit. Alle, die Ihn sahen, erkannten in Ihm den Ewigen Transzendentalen Gott, der zum Wohl der gesamten gefallenen Menschheit erschienen war. Der Herr blieb Seiner Mutter das ganze Leben hindurch in Liebe zugetan und ließ ihr hin und wieder, wenn die Gottgeweihten nach Nadia gingen, mahā-prasāda (spirituelle Speisen) bringen. Śrī Caitanya wurde von allen geliebt, denn Er war die verkörperte Demut. Niemals versäumte Er es, denen, die Ihn darum baten, Unterweisungen zu geben, und Sein gütiges Wesen richtete jeden auf, der Ihn traf. Seine direkten Nachfolger sind Nityānanda Prabhu, den Er als Missionar für Bengalen einsetzte und die sechs Gosvāmīs von Vṛndāvana, die im Inneren des Landes Liebe zu Gott predigten.

 

Einleitung

In der Zeit vom 10. bis zum 14. April des Jahres 1967 hielt Seine Göttliche Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda vor den Mitgliedern der Internationalen Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein in New York fünf Vorlesungen über das Caitanya-caritāmṛta, die von Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī verfaßte Biographie des Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu:

»Caitanya« bedeutet »Lebenskraft«. Wir können uns bewegen und Widerstand leisten gegen etwas Unerwünschtes, wohingegen ein Tisch z. B. nicht dazu imstande ist, da in ihm keine »Lebenskraft« existiert. »Carita« wird mit »Charakter« oder »Eigenschaft« übersetzt, und »amṛta« meint »unsterblich, ewig«. »Caitanya-caritāmṛta« bedeutet somit »der ewige Charakter der Lebenskraft.«

In uns wohnt also Lebenskraft - wie sonst könnten wir leben und aktiv sein -, doch mag man sich fragen, wieso die Lebenskraft als »ewig« bezeichnet wird, wenn wir doch alle sterben müssen. Die Antwort lautet: Wir sind Lebenskraft, und wir sind auch ursprünglich, vom Wesen her, unsterblich, doch die materielle Atmosphäre, in der wir uns gegenwärtig befinden, erlaubt es uns nicht, diese Eigenschaft zu entfalten. In der Kaṭha Upaniṣad wird gesagt, daß Ewigsein und Lebendigsein Eigenschaften der Lebewesen wie auch Gottes sind, daß aber dennoch ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Gott und den Lebewesen besteht: Die Lebewesen haben nämlich die Neigung, in die materielle Welt herabzufallen, wohingegen Gott frei von dieser Neigung ist. Gott ist allmächtig. Er gerät niemals unter die Kontrolle der materiellen Natur, die nur eine Seiner unzähligen Energien ist. Ein Beispiel mag dies erläutern: Als ich von San Francisco hierher flog, befanden wir uns die ganze Zeit über der Wolkendecke, wo alles vom Sonnenlicht erhellt wurde, und als wir dann auf dem New Yorker Flughafen landeten, war die Sonne nicht mehr zu sehen, und es regnete. Bedeutet dies aber, daß die Sonne über den Wolken nicht mehr schien? Natürlich nicht. Die Wolken können die Sonne niemals bedecken, sondern nur unsere Sicht. Ebensowenig kann māyā, die illusionierende materielle Energie, Gott bedecken. Nur wir, die winzigen Lebewesen, haben die Neigung, unter ihren Einfluß zu geraten. Die Māyāvādīs, die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre, behaupten, weil wir in der materiellen Welt von māyā kontrolliert würden, gerate auch Gott, wenn Er in dieser Welt erscheine, unter die Herrschaft māyās. Das zeigt die Fehlerhaftigkeit ihrer Philosophie.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu ist kein gewöhnliches Lebewesen. Er ist Kṛṣṇa Selbst, das Höchste Wesen, und Er kann deshalb nicht von der Wolke māyās bedeckt werden. Kṛṣṇa und Seine Erweiterungen und auch Seine reinen Geweihten befinden sich niemals in der Gewalt der illusionierenden Energie. Śrī Caitanya erschien, um Kṛṣṇa-bhakti zu predigen, d. h., Śrī Kṛṣṇa kam Selbst, um uns zu lehren, wie wir uns Kṛṣṇa nähern können. Er gleicht einem Lehrer, der sieht, daß sein Schüler nicht zurechtkommt, und deshalb den Federhalter selbst in die Hand nimmt, um ihm zu zeigen, wie man richtig schreibt: »Sieh, so mußt du es machen - A, B, C, . . .« Der Lehrer schreibt zwar A, B, C . . ., doch es wäre ein Fehler deshalb zu glauben, er selbst müsse das Alphabet lernen. Śrī Kṛṣṇa Caitanya befindet Sich in einer ähnlichen Position. Er erschien, um uns zu lehren, wie wir Kṛṣṇa-bewußt werden können, und mit diesem Verständnis sollten wir Ihn betrachten.

In der Bhagavad-gītā sagt der Herr: »Gib all dein unsinniges Tun auf, und gib dich einfach Mir hin.« Doch wir erwidern: »Hingabe? Alles aufgeben? Aber ich habe doch so viele Verpflichtungen.« Und māyā flüstert uns zu: »Gib dich nicht hin, denn dann entkommst du meinen Schlingen. Bleib in meiner Gewalt, so daß ich dich weiterhin treten kann.« Es ist tatsächlich wahr, wir werden von māyā getreten! Und auf welche Weise? Hierzu gibt es einige anschauliche Beispiele: Wenn der Esel voller Lust zur Eselin kommt und sie bespringen will, tritt sie ihm ins Gesicht. Und die Katzen fauchen sich an und beißen sich, wenn sie sich begegnen. Das sind Lektionen, die uns die Natur erteilt. Māyā ist so gerissen. Selbst ein so mächtiges Tier wie der Elefant, kann auf sehr simple Weise gefangen werden: Man braucht nur eine Elefantenkuh dazu abzurichten, den Elefantenbullen anzulocken und zu einer Fallgrube zu führen; er wird ihr mit Sicherheit folgen und in die Grube stürzen. Māyā steckt voller List und Tücke, und ihre Hauptwaffe ist das weibliche Geschlecht. Natürlich bezieht sich die Bezeichnung »männlich« und »weiblich« nur auf die äußere Hülle, den Körper, denn von unserem Wesen her sind wir alle ewige Diener Kṛṣṇas, doch solange wir uns in der materiellen Welt aufhalten, fesseln uns die Ketten māyās - schöne Frauen. Jeder Mann ist von sexueller Begierde gefesselt, die man aus diesem Grunde beherrschen und unter Kontrolle bringen muß. - Ungezügelte Sexualität liefert uns völlig der Gewalt māyās aus. Śrī Caitanya entkam māyā mit vierundzwanzig Jahren. Obwohl Seine Frau erst sechzehn Jahre alt war und Seine Mutter siebzig und die beiden niemanden außer Ihm hatten, der für sie sorgte, nahm Er einfach sannyāsa an und trat in die Lebensstufe der Entsagung ein, ohne Sich weiter um māyā in Form von Frau und Mutter zu kümmern.

Wenn man Kṛṣṇa-bewußt werden will, muß man māyās Ketten sprengen oder zumindest - wenn man mit māyā zusammenbleibt - in solcher Weise leben, daß man frei von Illusion ist. Unter den engsten Gefährten Caitanya Mahāprabhus befanden sich viele Familienväter, die vom Herrn ebenso anerkannt und behandelt wurden wie z. B. die sannyāsīs. Einmal sogar, als Śrī Caitanya erfuhr, daß die Frau eines Seiner liebsten Haushälter-Geweihten schwanger war, bat Er diesen, dem Kind einen bestimmten, glückverheißenden Namen zu geben. Caitanya billigte also durchaus ein Leben als Haushälter, wenn dieses, vor allem in bezug auf Sexualität, reguliert und nach den Unterweisungen der Schriften geführt wurde. Aber Er war strikt und unnachgiebig gegenüber den sannyāsīs, d. h. den in Entsagung Lebenden, die sich und andere auf eine Weise betrogen, die man ironisch als »einen Schluck Wasser unter Wasser trinken, während man an einem Fasttag ein Bad nimmt« bezeichnet. Das beste Beispiel hierfür ist Choṭa Haridāsa, einer der engsten Vertrauten Śrī Caitanyas, der einmal einem jungen Mädchen lustvolle Blicke zuwarf. Caitanya Mahāprabhu bemerkte dies, und schloß ihn sogleich aus der Gemeinschaft Seiner vertrauten Geweihten aus; zur Begründung sagte Er: »Du lebst mit Mir als sannyāsī zusammen und wagst es dennoch, eine Frau lustvoll anzuschauen. Aus Verzweiflung über Seine Trennung von dem Herrn beging Choṭa Haridāsa später Selbstmord. Einige seiner Gefährten hatten den Herrn zuvor mehrmals gebeten, Choṭa Haridāsa zu vergeben, doch Śrī Caitanya hatte erwidert: »Um Meinetwillen könnt ihr zu ihm gehen und ihm vergeben; Ich bleibe hier - wenn es sein muß, allein.« Und als Er vom Tod des gefallenen sannyāsī hörte, sagte Er nur: »Sehr gut, das ist das beste für ihn.«

Aus dem Caitanya-caritāmṛta erfahren wir, daß Kṛṣṇa als Śrī Caitanya die Menschen lehrte, ihre Unsterblichkeit wiederzuerlangen. Zu allen Zeiten verkündet Er diese Wahrheit, weil er die Menschen bemitleidet, die stets darum kämpfen, ihr zeitweiliges Leben zu verlängern, statt zu versuchen, in ihr ursprüngliches ewiges Leben in der spirituellen Welt zurückzukehren.

»Caitanya-caritāmṛta« bedeutet, wie wir schon wissen, »der unsterbliche Charakter der Lebenskraft.« Die höchste Lebenskraft ist der Höchste Persönliche Gott. Wir, die Lebewesen, sind ebenfalls Lebenskraft, doch sind wir nur winzige Teile des höchsten Lebewesens. Da wir individuelle Personen sind, verschieden in Gedanken und Wünschen, ist leicht einzusehen, daß unser Ursprung, die höchste Lebenskraft, ebenfalls eine individuelle Person ist. - Doch im Unterschied zu uns ist Er der Höchste, der Führer aller anderen. Unter uns Menschen gibt es immer jemanden, der über dem anderen steht, doch den Höchsten kann niemand übertreffen, noch kommt Ihm jemand gleich.

Einer von Kṛṣṇas Namen ist »Acyuta« - »der Unfehlbare«. Sogar der mächtige Arjuna unterlag auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra einer Täuschung, doch Kṛṣṇa war auch dort frei von aller Illusion. Gott ist also unfehlbar. In der Bhagavad-gītā sagt Er Selbst: »Ich erscheine in Meiner ursprünglichen transzendentalen Gestalt.« Er gerät demnach nicht unter den Einfluß der materiellen Natur, wenn Er in der materiellen Welt erscheint; Kṛṣṇa und Seine Erweiterungen werden niemals von der materiellen Energie bedeckt - Sie sind ewiglich frei. Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man daher folgende Definition der göttlichen Natur: »Wer in der göttlichen Natur verankert ist, bleibt immer unberührt von māyā - - selbst in der materiellen Welt.« Diese Ebene kann auch ein Gottgeweihter erreichen. Rūpa Gosvāmī erklärte einmal, daß man nur dann unbeeinflußt von der materiellen Verunreinigung bleiben könne, wenn man die Neigung entwickle, sich ständig im Dienste Kṛṣṇas zu beschäftigen. Und wie kann man Kṛṣṇa dienen? Es ist gewiß nicht allein mit Meditation getan, da dies nur eine Aktivität des Geistes ist. - Man muß schon etwas Praktisches für Kṛṣṇa tun; mit anderen Worten: Man muß aktiv sein. Für Kṛṣṇas Dienst sollte man alle Möglichkeiten ausschöpfen. Wir können alles benutzen: Autos, Flugzeuge, ja sogar die Atombombe. Was immer vorhanden ist, welche Fähigkeiten man auch besitzt, - alles sollte in Kṛṣṇas Dienst gestellt werden. Wenn jemand zu anderen über Kṛṣṇa-Bewußtsein spricht, so ist auch das ein Dienst für Kṛṣṇa. Wenn schließlich Geist, Sinne, Worte, Geld und Energie für den Höchsten verwandt werden, steht man nicht mehr unter dem Einfluß der materiellen Natur. Kṛṣṇa, Seine Erweiterungen und auch Seine Geweihten sind unberührt von der materiellen Energie.

»Caitanya-caritāmṛta« bedeutet sowohl, daß die spirituelle Seele unsterblich ist, als auch, daß die Tätigkeiten in der spirituellen Welt unvergänglich sind. Die Māyāvādīs, nach deren Ansicht die Absolute Wahrheit unpersönlich und formlos ist, behaupten, die selbstverwirklichte Seele spreche nicht mehr. Die Vaiṣṇavas jedoch sagen: »Sprechen beginnt erst mit Selbstverwirklichung. Bisher war alles was wir sagten, unsinnig und wertlos; laßt uns nun endlich wirkliche Gespräche führen - Gespräche über Kṛṣṇa.«

Die Māyāvādīs geben, um ihre Behauptung zu erhärten, folgendes Beispiel: »Wenn man gegen einen leeren Wasserkrug schlägt, klingt er hohl, doch der gleiche Krug gibt, wenn er mit Wasser gefüllt ist, keinen Ton mehr von sich.« Aber bin ich etwa ein Wasserkrug? Kann man ein Lebewesen mit einem Krug vergleichen? Der Sinn einer Analogie liegt darin, Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, und je mehr Parallelen zwischen zwei Objekten gezogen werden, desto besser die Analogie. Die Analogie der Māyāvādīs jedoch ist völlig irrelevant, denn ein Wasserkrug ist, wie jeder weiß, keine aktive, lebendige Kraft. Die stille Meditation der Māyāvādīs ist also unzulänglich. Warum? Weil es so viel über Kṛṣṇa zu sagen gibt, daß vierundzwanzig Stunden am Tag nicht dafür ausreichen. Ein Tor bleibt so lange unentdeckt, wie er nicht spricht, doch sobald er den Mund aufmacht, wird seine Unwissenheit offenbar. Der Caitanya-caritāmṛta macht dagegen darauf aufmerksam, daß es für uns noch so viele Dinge zu entdecken gibt, mit denen man den Höchsten preisen kann.

Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī, der Autor des Caitanya-caritāmṛta, schreibt zu Beginn seines großen Werkes: »Ich erweise allen geistigen Meistern meine respektvollen Ehrerbietungen.« Er gebraucht absichtlich die Pluralform, um damit auszudrücken, daß er die ganze Nachfolge der geistigen Meister meint - nicht nur seinen eigenen. Danach bringt er allen Gottgeweihten seine Ehrerbietungen dar, dann den Erweiterungen Gottes und schließlich der ersten Manifestation Seiner Energie. Śrī Kṛṣṇa Caitanya vereinigt alle diese Aspekte in Sich: Er ist Gott, guru, Gottgeweihter und Erweiterung zugleich; Nityānanda ist Seine Manifestation als guru, Advaita Prabhu ist Seine erste Inkarnation; Gadādhara ist Seine innere Energie und Śrīvāsa ist das im Zwischenbereich liegende Lebewesen. Śrī Kṛṣṇa wird niemals allein gesehen, sondern immer in Begleitung Seiner Erweiterungen, Energien usw. Rāmānujācārya erklärt hierzu: Die ṣuddhādvaita-Philosophie besagt, daß Gottes Energien, Erweiterungen und Inkarnation gleichzeitig eins und verschieden sind. Alles zusammen ist in Gott.

Der Caitanya-caritāmṛta ist für die im spirituellen Wissen weiter Fortgeschrittenen bestimmt. Im allgemeinen wird nämlich empfohlen, zuerst die Bhagavad-gītā zu studieren, dann das Śrīmad-Bhāgavatam und erst dann den Caitanya-caritāmṛta. Obwohl sich alle diese Schriften auf der absoluten Ebene befinden, gibt es doch gewisse Abstufungen, und so läßt sich bei einem vergleichenden Studium leicht feststellen, daß der Caitanya-caritāmṛta mit seinen vollendeten Versen auf der höchsten Stufe steht.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya und Nityānanda Prabhu werden mit der Sonne und dem Mond verglichen, die in diesem Falle zur gleichen Zeit aufgegangen sind und in ihrer Güte die Finsternis der Unwissenheit lichten.

Doch wer ist Śrī Kṛṣṇa Caitanya nun eigentlich? In den Upaniṣaden wird die Absolute Wahrheit meistenteils im unpersönlichen Aspekt beschrieben, aber in der Īṣopaniṣad finden wir im 18. mantra folgendes Gebet: »O Herr, Deine wahre Gestalt ist verborgen hinter der leuchtenden Umhüllung des brahmajyoti. Laß mich dieses brahmajyoti durchdringen und mich Dir nähern.« Die Absolute Wahrheit ist also letzten Endes Person, und das unpersönliche brahmajyoti ist die leuchtende Ausstrahlung, die vom Körper dieser Höchsten Person ausgeht. Śrī Kṛṣṇa Caitanya ist mit dieser Höchsten Person identisch; Er ist der Höchste Persönliche Gott Kṛṣṇa, der alle sechs transzendentalen Füllen besitzt: Reichtum, Ruhm, Stärke, Schönheit, Wissen und Entsagung. Niemand kommt Ihm gleich oder ist größer als Er, und es gibt keine Wahrheit über Ihm.

Śrīla Rūpa Gosvāmī, einer der vertrautesten Geweihten Śrī Caitanyas, verfaßte folgenden wunderbaren Vers: »Śrī Kṛṣṇa ist in vielen Inkarnationen erschienen, doch Śrī Caitanya übertrifft sie alle. Er gibt etwas, was keine Inkarnation vor Ihm, nicht einmal Kṛṣṇa Selbst, gab.«

Caitanya Mahāprabhus Lehren beginnen an dem Punkt, an dem das Lebewesen bereit ist, sich Gott hinzugeben, und deshalb befinden sich Seine Unterweisungen von Anfang an auf der spirituellen Ebene.

Auf dieser Stufe hat das Lebewesen sein materielles Dasein bereits beendet und jegliche materielle Anhaftung aufgegeben. In der Bhagavad-gītā beginnt Kṛṣṇa mit dem Unterschied zwischen Seele und Materie und endet mit Hingabe. Hier hört man jedoch nicht auf zu sprechen, wie es die Māyāvādīs irrtümlich annehmen. - Ganz im Gegenteil, im befreiten Zustand beginnt erst wirkliches Sprechen. Im Vedānta-sūtra heißt es dazu: »Jetzt ist die Zeit zum Sprechen gekommen, denn jetzt endlich können wir nach der Absoluten Wahrheit fragen.« Śrīla Rūpa Gosvāmī schrieb weiter über Caitanya Mahāprabhu: »Du bist die barmherzigste aller Inkarnationen, denn Du verschenkst an jeden reine Liebe zu Kṛṣṇa durch hingebungsvolles Dienen.«

Wenn jemand die Existenz des allmächtigen Gottes anerkennt, hat er den ersten Schritt auf dem Pfad des hingebungsvollen Dienens getan, denn die Erkenntnis »Gott ist groß« ist immerhin etwas wert, - wenn auch nicht sehr viel. Eine weitaus höhere Stufe ist die freundschaftliche Beziehung. Durch Śrī Caitanyas Barmherzigkeit kann man Kṛṣṇas Freund werden. Und nicht nur das - Er ermöglicht es uns sogar, eine elterliche Beziehung zum Höchsten Herrn aufzunehmen. Genaueres darüber erfährt man im Śrīmad-Bhāgavatam. Diese Schrift ist die einzige auf der Welt, die Gott als Sohn des Gottgeweihten beschreibt. Gewöhnlich wird Gott als der gütige Vater angesehen, der die Wünsche Seiner Söhne erfüllt, doch Śrī Caitanya lehrt, daß man Gott auch als Sohn behandeln kann. Wie ist dies möglich? Durch Dienen! Gott wünscht Sich etwas, und der Gottgeweihte erfüllt Ihm den Wunsch. Der Gottgeweihte läßt sich also in diesem Falle nicht von Gott versorgen, sondern sorgt vielmehr für Gott. So sagte Yaṣodā, Kṛṣṇas Mutter, einmal, als sie den Herrn fütterte: »Hier, iß schön - sonst wirst Du noch verhungern.« Als Sohn fühlt Sich Kṛṣṇa ganz von der Barmherzigkeit des Gottgeweihten abhängig. So erhaben und wunderbar ist diese Beziehung zu Gott! Darüber noch steht die Beziehung als Geliebte. In diesem vertrauten Liebesverhältnis können die Gottgeweihten eine solch tiefe Zuneigung für Kṛṣṇa empfinden, daß der Herr Sich außerstande fühlt, ihre Liebe in entsprechendem Maße zu erwidern. Die gopīs z. B. befinden sich auf dieser höchsten Stufe der Liebe zu Gott, und sie sind Kṛṣṇa so hingegeben, daß Er manchmal bekennen muß: »Ich weiß nicht, wie Ich eure Liebe erwidern soll; Ich besitze nichts Vergleichbares, das Ich euch geben könnte.« Hingebungsvolles Dienen ist so einzigartig - und diesen Vorgang lehrte Śrī Kṛṣṇa Caitanya. Keine Inkarnation und kein ācārya (geistiger Meister) vor Ihm lehrte, wie man diese innige Liebe zu Gott auf solch einfache Weise entwickeln kann. Deshalb betet Śrīla Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī: »O Śrī Kṛṣṇa Caitanya, hingebungsvolles Dienen stellt die höchste Vollkommenheit des Lebens dar, und Du hast uns damit gesegnet. Du bist Kṛṣṇa in Seiner goldenen Erscheinung als Śacīnandana, der Sohn Śacī-devīs. Mögen Dich die Leser des Caitanyacaritāmṛta immer in ihren Herzen bewahren, denn so wird es ein leichtes für sie sein, Kṛṣṇa durch Deine Barmherzigkeit zu erkennen.« Śrīla Rūpa Gosvāmī betete: »Du bist die großmütigste Persönlichkeit Gottes, denn Du verschenkst Kṛṣṇa-premā reine Liebe zu Kṛṣṇa, und deshalb bringe ich Dir meine demütigen Ehrerbietungen dar. «

Jeder kennt den Ausdruck »Liebe zu Gott«. Wie weit diese Liebe zu Gott entwickelt werden kann, können wir nur durch die Vaiṣṇava-Philosophie erfahren. Theoretisches Wissen von Gottesliebe findet man in vielen Schriften, aber wie diese Liebe zu Gott konkret aussieht, und wie man sie erlangt - das kann man nur aus den Schriften der Vaiṣṇavas lernen.

Caitanya Mahāprabhu lehrt uns, wie wir die höchste Stufe der Gottesliebe erreichen können. Die Liebe, die wir im materiellen Leben kennen, ist in ihrer ursprünglichen, reinen Form Liebe zu Gott. Alles, was wir kennen - auch im bedingten Leben -, befindet sich im Höchsten Herrn, dem Ursprung aller Dinge. In unserer wesenseigenen Beziehung zu Ihm gibt es daher auch Liebe, doch im materiellen Dasein wird diese reine Liebe verzerrt gespiegelt. Wirkliche Liebe ist ewig, ohne Unterbrechung, wohingegen die pervertierte Liebe in der materiellen Welt schwankend und vergänglich ist. Wenn wir uns daher nach wirklicher, transzendentaler Liebe sehnen, sollten wir unsere Zuneigung auf das Höchste Liebenswerte Objekt richten - auf Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott. Das ist das grundlegende Prinzip des Kṛṣṇa-Bewußtseins. Im materiellen Bewußtsein versuchen wir, etwas zu lieben, was nicht im geringsten unserer Liebe wert ist. Manche Menschen schenken z. B. ihre ganze Zuneigung Hunden und Katzen - und laufen dabei Gefahr, zur Stunde des Todes an sie zu denken und deshalb in einer Familie von Hunden oder Katzen wiedergeboren zu werden. Wenn unsere Liebe also nicht auf Kṛṣṇa gerichtet ist, führt sie uns in niedere Bereiche des Daseins. In den Schriften der Hindus wird großer Wert auf die Keuschheit der Frau gelegt, denn eine Frau, die ihren Mann sehr liebt und in der Todesstunde an ihn denkt, erhält in ihrem nächsten Leben den Körper eines Mannes. Das Leben im Körper eines Mannes ist wesentlich vorteilhafter als das im Körper einer Frau, da ein Mann bessere Möglichkeiten hat, die spirituelle Wissenschaft zu verstehen. Im Kṛṣṇa-Bewußtsein indessen wird kein Unterschied zwischen Mann und Frau gemacht, denn es ist völlig transzendental. Kṛṣṇa Selbst sagt in der Bhagavad-gītā: »Auch wenn jemand von niedriger Herkunft ist, wie eine Frau, ein vaiṣya oder ein ṣūdra, kann er Mich erreichen, wenn er bei Mir Zuflucht sucht.« Das ist Sein Versprechen. Und Er sagt weiter: »Wenn schon diese Menschen die höchste Vollkommenheit erlangen können, wieviel eher dann die brāhmaṇas, die Gottgeweihten und die heiligen Könige! Sie werden mit Sicherheit das höchste Ziel erreichen.«

Śrī Caitanya Mahāprabhu erklärte, daß es in jedem Land und in jeder heiligen Schrift Hinweise auf Gottesliebe gebe, daß aber dennoch niemand so recht wisse, was Liebe zu Gott eigentlich bedeute. In diesem Punkt unterscheiden sich die Veden von allen anderen Schriften: In den Veden wird die Liebe zu Gott wissenschaftlich genau beschrieben und analysiert, wohingegen in allen anderen heiligen Schriften nur eine verschwommene Vorstellung von Gottesliebe gegeben wird. Wie diese Liebe aussieht und was Gott ist - darauf wird nicht eingegangen. Es bleibt bei allgemeinen Aussagen. Śrī Caitanya jedoch lehrt an Seinem eigenen Beispiel, wie vertraute Liebe zu Gott beschaffen ist. Er spielt die Rolle Rādhārāṇīs und versucht, Kṛṣṇa ebenso wie Rādhārāṇī zu lieben. Kṛṣṇa konnte nämlich nicht begreifen, warum Rādhārāṇī Ihn so sehr liebte, und so versetzte Er Sich in Ihre Lage und versuchte, Sich Selbst zu verstehen. Das ist das Geheimnis, das sich hinter dem Erscheinen Śrī Caitanyas verbirgt. Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī betet daher als nächstes: »Ich erweise dem Höchsten Herrn, der in das Wesen Rādhārāṇīs versunken ist, meine respektvollen Ehrerbietungen.« Śrī Kṛṣṇa Caitanya ist Kṛṣṇa Selbst, der Rādhās Wesen angenommen hat, um zu zeigen, wie man Kṛṣṇa lieben soll. »Rādhā-Kṛṣṇa« meint den Austausch transzendentaler Liebe. Die Beziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa ist nicht mit einer gewöhnlichen Liebesbeziehung, wie wir sie kennen, zu vergleichen.

Kṛṣṇa besitzt unermeßliche Energien, von denen drei primär sind: die innere, die mittlere und die äußere Energie. Die innere Energie ist wieder dreifach unterteilt: in saṁvit, hlādinī und sandhinī. Die hlādinī-Energie ist die Freuden-Energie Kṛṣṇas. Auch wir besitzen diese Freuden-Energie, und deshalb sucht jeder von uns ständig nach Freude - das ist die Natur des Lebewesens. Doch weil wir uns gegenwärtig in der materiellen Welt befinden, versuchen wir, diese Freude auf der körperlichen Ebene durch körperliche Berührung, d. h. mit Hilfe der materiellen Sinne, zu erfahren. Man muß sich jedoch vor der irrtümlichen Annahme hüten, daß Kṛṣṇa, der ganz und gar spirituell ist, ebenfalls auf der materiellen Ebene nach Freude suche. Das ist eine völlig unsinnige Vorstellung. Kṛṣṇa beschreibt diese Welt als vergänglich und voller Leiden. Warum sollte Er also in einem materiellen Körper nach Freude suchen? Er ist die Überseele, Er ist das Höchste Spirituelle Wesen; wie könnte Er nach Freude in der materiellen Welt begehren?

Um zu verstehen, auf welche Weise Kṛṣṇa Freude erfährt, muß man zunächst einmal die ersten neun Cantos des Śrīmad-Bhāgavatam studieren. Im Zehnten Canto wird dann beschrieben, wie Kṛṣṇa Seine Freuden-Energie entfaltet, indem Er sich mit Rādhārāṇī und den Mädchen von Vraja in transzendentalen Spielen vergnügt. Unglücklicherweise befassen sich törichte Menschen ohne Vorbereitung direkt mit diesem vertraulichsten Canto, ohne zuvor Kṛṣṇa und Seine Energien studiert zu haben. Wenn solche Menschen die Darstellungen von Kṛṣṇa und Rādhārāṇī, die sich liebevoll umarmen, oder die Beschreibung des rāsa-Tanzes erfahren, können sie natürlich nichts damit anfangen, weil sie Kṛṣṇa nicht verstehen. In ihrer Dummheit halten sie den Höchsten Herrn für einen gewöhnlichen Menschen und denken, wenn Er die gopīs umarme, sei dies das gleiche, wie wenn wir ein Mädchen in den Arm nehmen. Aufgrund solcher Irrtümer glauben sie sogar, Kṛṣṇa-Bewußtsein sei eine Religion, in der man der Sexualität frönen und dabei ein religiöser Mensch werden könne. Solchen Pseudo-Gottgeweihten mangelt es an jeglicher Spiritualität. - Sie werden prākṛta-sahajiyā genannt - Menschen, die unter dem Einfluß materialistischer Sinnenlust stehen.

Wie aber ist nun die Beziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa richtig zu verstehen? Der liebevolle Austausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa ist eine Manifestation der Freudenkraft von Kṛṣṇas innerer Energie. Diese Freudenkraft ist jedoch ein außerordentlich schwieriges Thema, solange man nicht weiß, wer Kṛṣṇa eigentlich ist. Daher ist eine kurze Erläuterung an dieser Stelle gewiß angebracht: Wir müssen uns als erstes darüber bewußt werden, daß Kṛṣṇa niemals in der materiellen Welt nach Freude sucht. - Er besitzt alle Freudenkraft in Sich Selbst. Als Seine Teile besitzen auch wir Freudenkraft, doch da wir unter dem Einfluß von Unwissenheit stehen, versuchen wir, Freude durch den Genuß von Materie zu erfahren. Kṛṣṇas Freude aber ist Rādhārāṇī, d. h., Kṛṣṇa entfaltet Seine Kraft oder Energie als Rādhārāṇī und tauscht dann mit Ihr liebevolle Empfindungen aus. Anders ausgedrückt: Kṛṣṇa manifestiert Seine innere Energie, Seine Freudenkraft, in der Gestalt von Rādhārāṇī und erfreut Sich dann an Ihr. Das heißt, Kṛṣṇa manifestiert Sich Selbst als Rādhā. Von Ihm gehen so viele Erweiterungen, so viele Manifestationen aus - und Rādhārāṇī ist die Manifestation Seiner inneren Freudenkraft.

Rādhā ist Kṛṣṇa. - Denn es besteht kein Unterschied zwischen der Energie und dem Energieursprung. Ohne Energie kann es keinen Energieursprung geben und ohne Energieursprung keine Energie. Ebenso kann es ohne Rādhā keinen Kṛṣṇa geben und ohne Kṛṣṇa keine Rādhā. Deshalb wenden sich die Vaiṣṇavas in ihren Gebeten immer zuerst an die innere Freudenkraft des Höchsten Herrn: »Rādhā-Kṛṣṇa«. Diejenigen unter ihnen, die Nārāyaṇa verehren, wenden sich zuerst an Lakṣmī, und die Geweihten Rāmas rufen erst Sītā an: »Sītā-Rāma«, »Lakṣmī-Nārāyana«, »Rādhā-Kṛṣṇa«.

Rādhā und Kṛṣṇa sind also eins. Und als Kṛṣṇa Sich erfreuen wollte, manifestierte Er Sich als Rādhā. Die transzendentalen Liebesspiele von Rādhā und Kṛṣṇa sind eine Entfaltung der inneren Energie, d. h. der Freudenkraft Kṛṣṇas. Wir sagen »als« Kṛṣṇa Sich erfreuen wollte, obwohl man in Verbindung mit Kṛṣṇa eigentlich nicht von Zeit sprechen kann. Wir müssen uns jedoch so ausdrücken, weil im bedingten Leben alles einen Anfang hat. Im absoluten, spirituellen Leben hingegen gibt es keinen Anfang und kein Ende. Wenn wir also verstehen wollen, daß Rādhā und Kṛṣṇa eins sind, und daß Sie zu zwei wurden, müssen wir fragen: »Wann?« - Die Antwort lautet: »Als Kṛṣṇa Sich an Seiner Freudenkraft erfreuen wollte, manifestierte Er Sich als Rādhārāṇī.« Und dann, als Kṛṣṇa Sich mit den Augen Rādhās sehen und Sich so verstehen wollte, vereinigten Sich beide wieder. - Diese Vereinigung ist Śrī Kṛṣṇa Caitanya.

Kṛṣṇa hatte Sich gefragt: »Warum liebt Rādhārāṇī Mich so unermeßlich? Was ist nur der Grund, daß Sie Sich so stark zu Mir hingezogen fühlt? Und welche Empfindungen hat Sie Mir gegenüber?« Wir mögen nun einwenden: » Kṛṣṇa ist doch der Höchste; Er ist vollkommen in Sich Selbst - warum sollte Er Sich zur Liebe Rādhārāṇīs hingezogen fühlen?« Wir sehnen uns nur deshalb danach, von einer Frau geliebt zu werden, weil wir unvollkommen sind - die Liebe einer Frau, diese Kraft, diese Freude fehlt uns; deshalb sehnen wir uns nach ihrer Gemeinschaft. Doch bei Kṛṣṇa ist dies etwas anderes; Er ist einfach überrascht: »Warum fühlt Sich Rādhārāṇī so sehr zu Mir hingezogen? Was ist so einzigartig an Mir, daß Rādhārāṇī so an Mir hängt? Und was empfindet Sie, wenn Ich Ihre Zuneigung erwidere?« Um daher den Geschmack, die Eigenschaft und die Essenz des liebevollen Austausches zwischen Rādhā und Sich zu kosten, erschien Kṛṣṇa wie der Mond aus dem Meer.

Gleich dem Mond, der aus dem schäumenden Meer aufsteigt, ging Kṛṣṇa als Caitanya Mahāprabhu, dessen Gestalt wie der Mond glänzt, aus der aufschäumenden Liebe zwischen Rādhā und Kṛṣṇa hervor.

Der Autor des Caitanya-caritāmṛta beschreibt als nächstes Nityānanda und erweist Ihm seine Ehrerbietungen. Nityānanda ist eine Manifestation Balarāmas, der ersten Erweiterung Kṛṣṇas. Wenn wir »Hare Kṛṣṇa, Hare Rāma« chanten, so ist mit diesem »Rāma« Balarāma, Nityānanda gemeint. Kṛṣṇa erweitert Sich in unzählige Formen - von Balarāma zu Saṅkarṣaṇa, von Saṅkarṣaṇa zu Pradyumna, von Pradyumna zu Aniruddha usw. Wie eine Kerze an einer anderen angezündet wird, so geht eine Erweiterung aus der anderen hervor. In der Brahmasaṁhitā wird dazu erklärt: »Der Höchste Herr, Govinda (Kṛṣṇa), ist »die ursprüngliche Kerze«, und von dieser »urersten Kerze« gehen alle andern »Kerzen« aus, die »Viṣṇu-tattva« genannt werden.« Auch wir sind »Kerzen«, die Kṛṣṇa »entzündete«, denn alles Existierende findet seinen Ursprung in Kṛṣṇa. Doch sind wir im Vergleich zu Viṣṇu, »der großen Kerze«, winzig klein.

Um die materielle Welt zu erschaffen, erweitert Sich Kṛṣṇa als Mahā-Viṣṇu und legt Sich in den Kāraṇa-Ozean, den Ozean der Ursachen. Wenn Er ausatmet, gehen unzählige Universen aus Ihm hervor und schweben dann wie Luftblasen im Ozean der Ursachen. Als Vāmanadeva, eine Inkarnation Kṛṣṇas, einmal mit einem Schritt den gesamten Weltenraum durchmaß und dabei mit Seinem großen Zeh die Ummantelung des Universums durchstieß, tropfte ein wenig Wasser aus dem Ozean der Ursachen durch das Loch und bildete den Ganges. Der Ganges wird deshalb auch als »das heilige Wasser Viṣṇus« bezeichnet, und noch heute verehren die Hindus diesen Fluß - vom Himalaya bis hinunter zum Golf von Bengalen.

Der Verfasser des Caitanya-caritāmṛta beschreibt dann, was sich jenseits der kosmischen Schöpfung befindet. Die kosmische Schöpfung, die materielle Welt, wird »māyā« (Illusion) genannt, weil sie nicht ewig ist. Sie ist manchmal manifestiert und manchmal unmanifestiert. Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī will von dem sprechen, was jenseits von ihr ist. In der Bhagavad-gītā wird im Achten Kapitel erklärt, daß es noch eine andere Natur gibt, die ewig ist, jenseits von vyakta und avyakta, von manifestiert und unmanifestiert. Die materielle Welt befindet sich entweder im manifestierten oder im potentiellen, nicht manifestierten Zustand; doch die andere, höhere Natur, die spirituelle Welt, ist nicht einem solchen Wechsel unterworfen; sie ist unwandelbar und ewig. Wir können uns eine Vorstellung von der höheren Natur machen, wenn wir ihre Wirkungsweise in der materiellen Welt beobachten und verstehen. Die höhere Natur ist in der materiellen Schöpfung als Lebenskraft sichtbar. Unser Körper z. B. besteht aus toter Materie und ist an sich leblos, doch bewegt er sich, weil die Lebenskraft, die Seele, in ihm gegenwärtig ist. Die gesamte kosmische Manifestation ist im Grunde statisch, doch ist sie jetzt in Bewegung, weil sie von der höheren Natur, der spirituellen Energie, manipuliert wird. Das Symptom der höheren Natur ist Bewußtsein. In der spirituellen Welt, die ganz und gar von höherer Natur ist, ist daher alles bewußt. Wir können uns das nicht vorstellen, aber dort sind die Steine bewußt, das Land ist bewußt, die Bäume sind bewußt - alles in der transzendentalen Welt hat Bewußtsein.

Wir haben nicht einmal eine Vorstellung davon, wie groß das Universum ist, in dem wir leben. Es übersteigt unsere Berechnungen und Messungen, die nur mit unvollkommenen Mitteln vorgenommen werden können und ohnehin auf Annahmen beruhen. Doch aus dem Caitanya-caritāmṛta erfahren wir sogar von einer Welt, die jenseits der uns bereits unbegreiflichen materiellen Schöpfung liegt. Diejenigen, die an experimentelle Erkenntnis glauben, werden erstaunt fragen: »Wie ist das möglich? Wir können nicht einmal die Größe des Universums ermessen oder die Anzahl der Planeten und Sterne bestimmen, und ihr wollt von einer Welt Kenntnis haben, die jenseits des Universums liegt?« Unsere Antwort lautet: »Ja. Das, was sich jenseits unseres Begriffsvermögens befindet, wird »acintya« (unbegreiflich) genannt. Über etwas Unbegreifliches läßt sich nicht argumentieren, denn wie könnte man etwas durch Argumentation und Logik erfassen, das sich unserer begrenzten Sinnenwahrnehmung, unserem begrenzten Verstandesvermögen entzieht? Das ist nicht möglich.« Aber wie kann man dann etwas darüber erfahren? - Indem man von denen, die die Wahrheit kennen, das Wissen hört und es einfach annimmt! In der Bhagavad-gītā wird erklärt: »Transzendentales Wissen muß von der Nachfolge der geistigen Meister empfangen werden.« Selbst Brahmā, das erste Geschöpf, erhielt auf diese Weise Kenntnis von der spirituellen Welt. Er wurde von Kṛṣṇa persönlich unterwiesen und gab dann das, was er gehört hatte, an seinen Schüler Nārada weiter, der wiederum Vyāsadeva belehrte. Vyāsadeva erleuchtete Madhva; von Madhva kam das Wissen herunter zu Mādhavendra Purī; Mādhavendra Purī gab es an Īṣvara Purī weiter, und Īṣvara Purī unterwies Caitanya Mahāprabhu darin. Man mag sich nun fragen: Wenn Caitanya Mahāprabhu Kṛṣṇa Selbst ist, warum brauchte Er dann einen geistigen Meister? - Nun, natürlich benötigte Er keinen geistigen Meister, doch weil Er die Rolle eines ācārya spielte und als solcher lehren wollte, wie man ein spirituelles Leben führt, nahm auch Er einen geistigen Meister an. Selbst Kṛṣṇa »lernte« , als Er vor 5000 Jahren auf der Erde erschien, von einem geistigen Meister. Das ist das autorisierte System, wirkliches Wissen zu empfangen. Wenn man etwas über das Unbegreifliche wissen will, muß man sich an einen geistigen Meister wenden, der einer anerkannten Nachfolge von geistigen Meistern angehört. Weil das Wissen ursprünglich vom Höchsten offenbart und dann in einer lückenlosen Folge von Meistern und Schülern überliefert wurde, ist es vollkommen. Nehmen wir einmal an, einer unserer Väter vertraute seinem Sohn ein Geheimnis an, das daraufhin wortgetreu von Generation zu Generation überliefert wurde, bis es schließlich uns erreichte. - Sind wir dann nicht im Besitz der gleichen Wahrheit, obwohl diese vor Hunderten von Jahren offenbart wurde und wir keine direkte Verbindung mehr zum ursprünglichen Sprecher haben?

Auf welche Weise Brahmā das vedische Wissen empfing, wird im Śrīmad-Bhāgavatam berichtet: Kṛṣṇa, die Höchste Absolute Wahrheit, der Ursprüngliche Persönliche Gott, offenbarte Brahmā transzendentales Wissen durch dessen Herz. Es gibt zwei Wege, Wissen zu empfangen: einmal vom Höchsten Persönlichen Gott direkt, der als Überseele im Herzen eines jeden Lebewesens gegenwärtig ist, und zum anderen vom geistigen Meister, der als äußere Manifestation der Überseele Unterweisungen gibt.

Spirituelle Erkenntnis wird also sowohl von innen wie auch von außen vermittelt. - Wir müssen diesen Unterweisungen nur Gehör schenken und sie bereitwillig annehmen. Wenn wir auf diese Weise Wissen empfangen, ist es ohne Bedeutung, daß es unbegreiflich ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam z. B. wird eine ausführliche Beschreibung der Vaikuṇṭha-Planeten gegeben, die im spirituellen Himmel, weit jenseits der materiellen Welt, schweben, und auch im Caitanya-caritāmṛta erfahren wir von so vielen Dingen, die uns unfaßbar erscheinen. Das Wissen ist also bereits vorhanden, wir müssen es nur annehmen. Aber es muß unbedingt durch das guru-paramparā-System, durch die Nachfolge der geistigen Meister, empfangen werden. Wir können uns nicht der Absoluten Wahrheit, die für uns unbegreiflich ist, durch experimentelle Forschung nähern. Wir wollen zwar alles am liebsten mit Hilfe von Experimenten und direkter Beobachtung verstehen, doch das ist Torheit; es ist unmöglich.

Nach vedischem Verständnis ist Klang der Träger von Wissen. In der vedischen Kultur galt es daher als äußerst wichtig, von einem autorisierten geistigen Meister zu hören, denn wenn der Klang rein ist, vermittelt er wirkliches Wissen. In der materiellen Welt erfahren wir vieles durch Klangübertragung: Nachrichten z. B., die im Radio gesendet werden, oder das Telefon klingelt, und wir erhalten einen Anruf von einem Freund, der Tausende von Kilometern entfernt wohnt. Sobald wir seine Stimme hören - »Hallo, hier spricht so und so« -, wissen wir Bescheid. Obwohl unser Freund nicht vor uns steht, können wir doch mit Hilfe der Klangschwingungen Verbindung mit ihm aufnehmen. Klang gilt als die zuverlässigste Quelle der Erkenntnis, und so wird auch das vedische Wissen durch Hören empfangen.

Wie bereits erwähnt erfahren wir aus den Veden, daß es jenseits der materiellen Schöpfung noch eine andere Welt gibt, die die transzendentale Welt oder »Vaikuṇṭha« genannt wird. Die materielle Schöpfung bildet insgesamt nur ungefähr ein Viertel der Gesamtschöpfung. Um dies richtig verstehen zu können, muß man wissen, daß es nicht nur dieses eine Universum gibt, in dem wir jetzt leben, sondern noch unzählige andere. Schon dieses eine Universum ist für unsere Begriffe unermeßlich, doch es gibt unzählige solcher Universen, und sie alle zusammen bilden nur ein Viertel der gesamten Schöpfung. Die anderen drei Viertel bilden Vaikuṇṭha, die spirituelle Welt, und auf jedem der zahllosen Vaikuṇṭha-Planeten, die im spirituellen Himmel schweben, residiert Kṛṣṇa in einer vierarmigen Erweiterung als Nārāyaṇa, Viṣṇu.

Um die materielle Welt zu erschaffen, erweitert Sich Kṛṣṇa als Mahā-Viṣṇu, und ähnlich wie sich Mann und Frau verbinden, um Nachkommenschaft zu zeugen, verbindet Sich Mahā-Viṣṇu mit māyā, der materiellen Natur. In der Bhagavad-gītā sagt Kṛṣṇa: »Die materielle Natur ist die Mutter, von der alle Lebewesen geboren werden, und Ich bin der samengebende Vater.« Und wie befruchtet Viṣṇu die materielle Natur? Auch das wird in der Gītā erklärt: »Er warf einen Blick über die materielle Natur und schwängerte sie mit Lebewesen.« Natürlich ist auch dies spirituell zu verstehen. Wir können nur mit einem einzigen Teil unseres Körpers zeugen, doch Kṛṣṇa oder Viṣṇu kann mit jedem beliebigen Teil Seines Körpers befruchten, ja sogar mit Seinem Blick. Die Erklärung für diese transzendentale Fähigkeit findet man in der Brahma-saṁhitā: »Der spirituelle Körper des Höchsten Herrn ist so mächtig, daß jedes Körperteil die Funktionen jedes anderen erfüllen kann.« Wir können nur mit unserer Hand etwas anfassen, doch Kṛṣṇa kann dies auch mit Seinen Augen tun. Wir können mit unseren Augen ausschließlich sehen; wir können mit ihnen nichts berühren oder riechen, aber Kṛṣṇa kann mit Seinen Augen sowohl riechen als auch essen. Wenn wir Ihm z. B. Speisen opfern, sehen wir nicht, daß Er sie ißt, denn er verspeist unsere Opferung, indem Er über sie blickt.

Weil wir mit dem Mund essen, denken wir, es gebe keine andere Möglichkeit, als auf diese Weise Nahrung aufzunehmen. Doch wir haben vergessen, daß alles spirituell ist. Wir mögen zwar sagen »Ich habe aber doch mit eigenen Augen gesehen, daß Kṛṣṇa nichts gegessen hat«, doch können wir unsere jetzigen, materiell verunreinigten Sinne als Maßstab setzen? Kṛṣṇa ißt, aber Er ißt nicht wie wir. Wir werden jedoch wie Er essen können, wenn wir die spirituelle Ebene erreicht haben. Dann kann auch bei uns jedes Körperteil die Funktion jedes anderen übernehmen.

Auf einer unserer Illustrationen zum Śrīmad-Bhāgavatam ist Garbhodakṣāyī Viṣṇu zu sehen. Aus Seinem Nabel wächst eine Lotosblume, auf der Brahmā geboren wird, und Seine Energie, Lakṣmī, die Glücksgöttin, sitzt an Seiner Seite, immer bereit, Ihm zu dienen. Doch Viṣṇu benötigte Lakṣmī nicht, um Brahmā zu zeugen. Wie kann man also glauben, in der spirituellen Welt gebe es Sexualität, wie wir sie kennen? In der materiellen Welt ist Sexualität notwendig, um Kinder zu zeugen, doch in der spirituellen Welt kann man auch ohne die Hilfe einer Frau so viele Kinder erschaffen wie man will. Viṣṇu z. B. schuf Brahmā ohne Seine Frau. Das ist das Wesen der unbegreiflichen spirituellen Energie, und nur weil wir keine direkte Erfahrung von dieser Energie haben, halten wir solche Beschreibungen für Mythologie, Legende oder symbolhafte Darstellung. Doch in Wirklichkeit mangelt es uns lediglich an Kenntnis und Vorstellungsvermögen; die spirituelle Energie ist so mächtig, daß ihr keine Grenzen gesetzt sind. Sie besitzt völlige Unabhängigkeit. Wenn Mahā-Viṣṇu ausatmet, gehen aus jeder Pore Seines Körpers wie auch aus Mund und Nasenlöchern zahllose Universen hervor, die anfangs samengleich sind und sich dann ausdehnen, und wenn Er einatmet, gehen sie wieder in Ihn ein. Etwas Vergleichbares kennen wir auch in unserer Erfahrung. Im Atem eines Pockenkranken z. B. schweben zahllose Pockenviren. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Solche Dinge sind also durchaus möglich. Es bedarf lediglich ein wenig intellektueller Aufnahmefähigkeit, das scheinbar Unmögliche zu verstehen.

Wenn Mahā-Viṣṇu ausatmet, gehen alle Universen aus Ihm hervor, und wenn Er einatmet, kehren sie in Ihn zurück. Versuchen wir nur einmal, uns das vorzustellen: Die Existenzdauer unseres Universums währt, wie in der Brahma-saṁhitā bestätigt wird, nur einen Atemzug Mahā-Viṣṇus. Wir können zwar Brahmās Lebensdauer berechnen, doch entzieht es sich völlig unserem Vorstellungsvermögen, wie lange auch nur ein Tag Mahā-Viṣṇus dauert. Zwölf Stunden in Brahmās Leben bestehen aus nicht weniger als 4 300 000 000 unserer Sonnenjahre und Brahmā lebt insgesamt 100 solcher Jahre - und zwar während eines Atemzuges von Mahā-Viṣṇu. Welch ungeheure Atemkraft der Höchste Herr also besitzt! Und Mahā-Viṣṇu ist nur eine Teil-Repräsentation Kṛṣṇas.

Garbhodakaṣāyī Viṣṇu, der Brahmā zeugte, ist die Erweiterung Mahā-Viṣṇus, und Er erweitert Sich in Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu. Auf diese Weise gibt es in jedem Universum einen Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und einen Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu.

Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu residiert auf Śvetadvīpa, einem spirituellen Planeten innerhalb des Universums, und Er kontrolliert und erhält alles im Kosmos Existierende. Brahmā ist der Schöpfer, Viṣṇu ist der Erhalter und wenn die Zeit der Auflösung gekommen ist, erscheint Śiva, um das Universum zu vernichten.

Nachdem Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī über Śrī Kṛṣṇa Caitanya und Nityānanda Prabhu gesprochen hat, geht er zu Advaitācārya über. Advaitācārya ist einer der Gefährten Śrī Caitanyas, deren Namen wir in einem unserer Gebete singen:

Śrī Kṛṣṇa Caitanya, Prabhu Nityānanda, Śrī Advaita,
Gadādhara, Śrīvāsādi gaura bhakta vṛnda

All diese Persönlichkeiten sind Erweiterungen des Höchsten Einen. Advaitācārya ist eine Inkarnation Mahā-Viṣṇus. Sein Name bedeutet soviel wie »unteilbar«, denn Er ist nicht verschieden vom Höchsten Herrn, und weil Er Kṛṣṇa-Bewußtsein lehrt, wird Er »ācārya« genannt. In dieser Beziehung gleicht Er Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der, obwohl Er Śrī Kṛṣṇa Selbst ist, als Gottgeweihter erschien, um Liebe zu Gott zu verkünden.

Kṛṣṇa manifestiert Sich also in fünf Erweiterungen, und Er Selbst und alle Seine Gefährten erschienen als Geweihte des Höchsten Herrn. Śrī Kṛṣṇa Caitanya ist die Energiequelle für alle Gottgeweihten. Wenn wir bei Ihm Zuflucht suchen, wird es sehr einfach, Kṛṣṇa-bewußt zu werden. In diesem Zusammenhang gibt es ein sehr schönes Gebet eines großen Gottgeweihten und ācāryas:

»O Śrī Kṛṣṇa Caitanya, bitte sei mir barmherzig. Niemand ist so barmherzig wie Du, denn Du bist nur erschienen, um die gefallenen Seelen zu befreien. Doch Du wirst niemanden finden, der gefallener ist, als ich, und daher flehe ich Dich an, mich als ersten zu befreien. Da Du gekommen bist, um die gefallenen Seelen zu erlösen, und da niemand gefallener ist als ich, habe ich ein Vorrecht, befreit zu werden.«

Als nächstes bringt der Verfasser Śrī Kṛṣṇa seine Ehrerbietungen dar. Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī war ein großer Gottgeweihter und lebte, bevor er nach Vṛndāvana kam, lange Zeit im Kreise seiner Familie in einem Dorf in Bardan, Bengalen. Als es unter den Familienmitgliedern, die ebenfalls Rādhā und Kṛṣṇa verehrten, einige Mißverständnisse gab - nicht über familiäre Angelegenheiten, sondern in bezug auf die Ausführung des hingebungsvollen Dienens -, erschien ihm Nityānanda Prabhu im Traum und riet ihm, seine Familie zu verlassen und nach Vṛndāvana zu gehen. Obwohl Kṛṣṇadāsa Kavirāja schon sehr alt war, machte er sich noch in derselben Nacht auf den Weg in das heilige Dorf, wo er auch mit einigen der sechs Gosvāmīs zusammentraf. Sein Grabmal befindet sich noch heute im Rādhā-Dāmodara Tempel, in dem ich selbst lebe, wenn ich mich in Vṛndāvana aufhalte. Das Caitanya-caritāmṛta entstand nur, weil er von den Gottgeweihten in Vṛndāvana darum gebeten wurde, und obwohl er schon so alt war, war es ihm durch die Gnade Śrī Caitanyas vergönnt, dieses wunderbare und maßgebliche Buch über die Philosophie und das Leben Śrī Kṛṣṇa Caitanyas zu beenden.

In Vṛndāvana stehen drei bedeutende Tempel, die von allen Pilgern besucht werden, der Madana-Mohana-Tempel, der Govinda-Tempel und der Gopīnātha-Tempel. Die anderen Tempel, die sich heute in Vṛndāvana befinden, wurden erst in neuerer Zeit errichtet, als das kleine Dorf zu einer Stadt wuchs. Zur Zeit Kṛṣṇadāsa Kavirājas gab es bis auf wenige andere nur die Haupttempel von Madana-Mohana, Govinda und Gopīnātha. Als Einwohner von Vṛndāvana erweist Kṛṣṇadāsa Kavirāja den Bildgestalten Gottes in diesen Tempeln seinen Respekt, und da er sich für sehr gefallen hält und glaubt, nur langsam Fortschritt im spirituellen Leben zu machen, bittet er den Herrn, ihm gnädig zu sein: »O Herr, mein Fortschritt im spirituellen Leben geht nur äußerst zögernd von statten, und so bitte ich Dich um Beistand.«

Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī bringt den Bildgestalten Kṛṣṇas seine Ehrerbietungen dar, weil sie uns Kṛṣṇa-bewußt machen können, indem sie uns im hingebungsvollen Dienen beschäftigen. Unsere erste Pflicht ist es, Kṛṣṇa und unsere Beziehung zu Ihm zu erkennen. Wer Kṛṣṇa kennt, weiß zugleich auch, welche Beziehung er zu Ihm hat. Man kann seine Beziehung zu Kṛṣṇa sehr schnell wiedererwecken, indem man die Bildgestalt des Herrn im Tempel verehrt, und deshalb nimmt Kṛṣṇadāsa Kavirāja als erstes seine Beziehung zu Madana-Mohana auf. Wenn diese Beziehung heranreift, kann man mit wirklichem hingebungsvollem Dienen beginnen, und dann wendet man sich Govinda zu.

Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī erweist daher als nächstes Govinda seine Ehrerbietungen. Govinda hält sich immer in Vṛndāvana auf, dem Ort der kalpa-vṛkṣas (Wunschbäume). In der Brahma-saṁhitā wird beschrieben, daß das transzendentale Land von Vṛndāvana aus dem Stein der Weisen besteht, und daß die Bäume dort Wunschbäume sind. Kṛṣṇa hütet dort unzählige surabhis, spirituelle Kühe, und ist umgeben von Hunderttausenden von gopīs (Glücksgöttinnen) die Ihm mit Liebe und Hingabe dienen. Wenn Kṛṣṇa erscheint, erscheint Vṛndāvana mit Ihm. Hierin ähnelt Er einem König, der, wenn er irgendwo hingeht, seinen ganzen Hofstaat mit Dienern, Sekretären, Köchen usw. mitbringt. Deshalb wird gesagt, daß sich Vṛndāvana nicht in der materiellen Welt befindet, und aus diesem Grunde suchen die Gottgeweihten Zuflucht in dem heiligen Dorf. Vṛndāvana in Indien wird als ein Abbild des ursprünglichen Vṛndāvana angesehen, und daher sind auch die Bäume dort als spirituelle Wunschbäume zu betrachten. Viele Menschen werden nun fragen: »Oh, kann ich mir also alles, was ich will, von ihnen wünschen?« Die Antwort lautet: »Ja, doch man muß zuerst ein Gottgeweihter werden. Nicht jeder kann einfach nach Vṛndāvana gehen und die Wunschbäume ausprobieren.« Die sechs Gosvāmī z. B. verbrachten jede Nacht unter einem anderen dieser Bäume, und alle ihre Wünsche wurden erfüllt. Sie wurden mit allen Notwendigkeiten versorgt, obwohl sie lediglich unter diesen Bäumen lebten, und je mehr Fortschritt wir im hingebungsvollen Dienen machen, desto mehr werden wir erkennen, daß all dies durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Śrī1a Narottama dāsa Ṭhākura, ein großer Gottgeweihter und ācārya betete: »Wann werde ich endlich von allen unreinen Begehren nach materieller Sinnenfreude frei sein und Vṛndāvana sehen können?« Vṛndāvana kann man also erst dann wirklich wahrnehmen, wenn man jeglichen materiellen Genuß aufgegeben hat. Im Grunde ist alles spirituell. Doch diese Erkenntnis muß uns enthüllt werden; wir können sie nicht erzwingen. In dem Maße, wie wir Kṛṣṇa-bewußt werden, d. h. wie wir Fortschritte machen, werden uns all diese Dinge offenbart werden.

Tatsächlich ist Vṛndāvana in Indien nicht verschieden von Vṛndāvana in der spirituellen Welt, und deshalb sagt Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī, daß unter einem der Wunschbäume in Vṛndāvana ein mit Gold und Edelsteinen verzierter Thron steht, auf dem Rādhā und Kṛṣṇa sitzen und von Ihren Freundinnen, den gopīs, bedient werden: einige singen, während andere tanzen; manche bringen dem göttlichen Paar Betelnüsse und Erfrischungen dar, und wieder andere ziehen Blumenkränze auf. Es gibt insgesamt 108 solcher gopīs, die auf diese Weise als ständige Gefährtinnen im Dienst von Śrī Śrī Rādhā und Kṛṣṇa beschäftigt sind. Im Caitanya-caritāmṛta finden wir eine genaue Beschreibung dieser Szene.

Noch heute ist es in Indien Brauch, zur Erholung zu schaukeln. In jedem Haus hängt eine Schaukel, und wenn der Mann nach einem arbeitsreichen Tag müde nach Hause kommt, schaukelt er eine zeitlang und erfrischt sich so. Etwas ähnliches gibt es auch im hingebungsvollen Dienst für Rādhā und Kṛṣṇa: Während des Monats sravana (Juli) werden in allen Häusern, nicht nur in Vṛndāvana, sondern in ganz Indien, schaukelnde Throne aufgehängt. Nachdem Rādhā und Kṛṣṇa darauf gesetzt und mit Blumen umkränzt worden sind, werden sie hin- und her geschaukelt, während die Menschen Ihnen zur Ehre singen und tanzen. Dieses Fest wird Julun genannt, und hierzu werden alle Tempel geschmückt. - Tausende von Menschen kommen dorthin, um an den Festlichkeiten teilzunehmen.

Kṛṣṇadāsa Kavirāja erweist als nächstes Rādhā und Kṛṣṇa seine Ehrerbietungen. Die Bildgestalten von Rādhā und Kṛṣṇa zeigen uns, wie wir Rādhā und Kṛṣṇa dienen können. Madana-Mohana ermöglicht es uns, die feste Überzeugung zu gewinnen, Kṛṣṇas ewiger Diener zu sein, und Govinda nimmt unseren Dienst dann tatsächlich an.

Die nächste Form Kṛṣṇas in Vṛndāvana ist Gopīnātha. Der Autor segnet den Leser im Namen von Gopīnātha, dem Meister der gopīs, der die Kuhhirtenmädchen durch Sein Flötenspiel herbeilockte, weil Er mit ihnen tanzen wollte. Im Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam finden wir dazu folgende Beschreibung: »Einige der gopīs schliefen gerade an der Seite ihrer Ehemänner; andere melkten die Kühe, und wieder andere versorgten ihre Kinder - sie alle waren also geschäftige junge Mädchen -, doch sowie sie Kṛṣṇas Flöte hörten, ließen sie alles stehen und liegen und eilten zu Ihm.«

In Indien werden die Mädchen mit zwölf und die Jungen mit achtzehn Jahren verheiratet. Kṛṣṇa hatte jedoch noch nicht geheiratet, denn Er war erst ein Knabe von fünfzehn oder sechzehn Jahren. Trotzdem rief Er Seine Freundinnen, die dazu noch verheiratet waren, durch Sein Flötenspiel zu sich, um mit Ihnen den »rāsa-Tanz« zu tanzen. Als die gopīs die transzendentalen Melodien hörten, konnten sie nicht umhin, sogleich zu der Stelle zu laufen, an der Kṛṣṇa stand und Flöte spielte. Dieser Ort wird »vaṁṣivata« genannt und ist noch heute in Vṛndāvana zu sehen. Er gilt als sehr heilig, und viele Pilger kommen dorthin, um ihre Ehrerbietungen darzubringen. Die Bäume stammen noch aus der Zeit Kṛṣṇas; daran ist durchaus nichts Unglaubwürdiges, denn gibt es nicht auch im Redwood Forest in San Francisco Mammutbäume, die über 7000 Jahre alt sind? Kṛṣṇa erschien vor 5000 Jahren, und wenn einige der damaligen Bäume noch existieren, so ist dies also nichts Ungewöhnliches. Der Baum jedenfalls, unter dem Er stand, wenn Er die gopīs herbeirief, um mit ihnen zu tanzen, ist noch immer vorhanden; das wird im Caitanya-caritāmṛta bestätigt.

Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī betet weiter: »Möge Gopīnātha, der Herr der gopīs, euch segnen.« Und so wünscht sich Kṛṣṇadāsa Kavirāja, daß wir uns ebenso stark zu Kṛṣṇa hingezogen fühlen wie die gopīs zu den süßen Tönen aus Gopīnāthas Flöte.

Die Botschaft Śrī Kṛṣṇa Caitanyas

Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu gab Seinen Schülern den Auftrag, Bücher über die Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu schreiben - eine Aufgabe, der sich noch heute viele Seiner Anhänger widmen. Auf diese Weise wuchsen die Ausarbeitungen und Erklärungen zur Philosophie Śrī Caitanyas, vor allem weil sie durch eine ununterbrochene Nachfolge von geistigen Meistern überliefert werden, zur umfangreichsten, genauestens und stichhaltigsten Literatur aller religiösen Kulturen. Obwohl Śrī Caitanya in Seiner Jugend als Gelehrter weithin berühmt war, hinterließ Er uns nur acht Verse - das Śrī Śīkṣāṣṭaka -, in denen Er Seine Botschaft und Seine Grundsätze offenbart. Hier sind diese im höchsten Maße wertvollen Gebete, aus dem Sanskrit übersetzt von Seiner Göttlichen Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda:

Śrī Śīkṣāṣṭaka

ceto-darpana-mārjanaṁ bhava-mahādāvāgni-nirvāpaṇaṁ
ṣreyaḥ kairava-candrikā-vitaraṇaṁ vidyā-vadhū-jīvanam
ānandāmbudhi-vardhanaṁ pratipadaṁ pūrṇāmṛtāsvadanaṁ
sarvātma-snapanaṁ paraṁn vijayate ṣrī-kṛṣṇa-saṅkīrtanam

Höchster Ruhm dem Śrī Kṛṣṇa saṅkīrtana, der das Herz von allen seit undenkbaren Zeiten angesammelten Unreinheiten befreit und das Feuer des bedingten Daseins, der sich wiederholenden Geburten und Tode, löscht. Sie saṅkīrtana-Bewegung ist die größte Segnung für die Menschheit, da sie die Strahlen des segenspendenden Mondes verbreitet. Sie ist das Leben allen transzendentalen Wissens; sie läßt den Ozean der transzendentalen Glückseligkeit ständig anschwellen und befähigt uns, den reinen Nektar zu kosten, nach dem wir uns seit Ewigkeiten sehnen.

nāmnāmakāri bahudhā nija-sarva-ṣaktis
tatrārpitā niyamitaḥ smaraṇe na kālaḥ
etādṛṣī tava kṛpā bhagavān mamāpi
durdaivam īdṛṣam ichājani nānurāgaḥ

O mein Herr, Dein heiliger Name allein kann den Lebewesen allen Segen spenden, und deshalb hast du Millionen und Abermillionen von Namen wie Kṛṣṇa, Govinda und Vāsudeva. In diese transzendentalen Namen hast Du all Deine transzendentalen Energien eingehen lassen. Es gibt nicht einmal starre Regeln für das Chanten dieser Namen. O mein Herr, in Deiner Güte hast Du es uns durch Deinen heiligen Namen so leicht gemacht, Dir näherzukommen, aber unglückselig wie ich bin, verspüre ich keine Anziehung zu ihnen.

tṛṇād api sunīcena
taror api sahiṣṇunā
amāninā mānadena
kīrtanīyaḥ sadā hariḥ

Man soll den heiligen Namen des Herrn in aller Demut chanten, sich niedriger dünkend als das Stroh in der Gasse, duldsamer als ein Baum, frei von allem falschen Geltungsbewußtsein und immer bereit, anderen Ehre zu erweisen. In solcher Geisteshaltung kann man den Namen des Herrn ohne Unterlaß chanten.

na dhanaṁ na janaṁ na sundarīṁ
kavitām vā jagadīṣa kāmaye
mama janmani janmanīṣvare
bhavatād bhaktir ahaitukī tvayi

O allmächtiger Herr, ich trachte nicht nach Reichtum, noch begehre ich schöne Frauen, noch ersehne ich eine große Anzahl Anhänger. Ich wünsche mir nichts anderes als Dir grundlos und voller Hingabe - Geburt auf Geburt - dienen zu dürfen.

ayi nandatanuja kiñkaraṁ
patitaṁ māṁ viṣame bhavāmbudhau
kṛpayā tava pāda-paṅkaja
sthita-dhūlīsadṛṣaṁ vicintaya

O Sohn des Mahārāja Nanda (Kṛṣṇa), ich bin Dein ewiger Diener; aber dennoch bin ich auf irgendeine Weise in den Ozean der Geburten und Tode gefallen. Bitte, hebe mich aus diesem Ozean des Todes und gib mir als Staubkörnchen einen Platz bei Deinen Lotosfüßen.

nayanaṁ galadaṣrudhārayā
vadanaṁ gadgadaruddhayā girā
pulakair nicitaṁ vapuḥ kadā
tava nāmagrahaṇe bhaviṣyati

O mein Herr, wann werden meine Augen mit Tränen der Liebe geschmückt sein, die unaufhaltsam fließen, wenn ich Deinen heiligen Namen chante? Wann wird mir die Stimme ersticken, wenn ich Deinen heiligen Namen ausspreche, und wann werden sich beim Sprechen Deines Namens alle Härchen auf meinem Körper sträuben?

yugāyitaṁ nimeṣeṇa
cakṣuṣā prāvṛṣāyitam
ṣūnyāyitaṁ jagat-sarvaṁ
govinda-viraheṇa me

O Govinda, die Trennung von Dir läßt mir einen Augenblick wie zwölf Jahre und mehr erscheinen, und Tränen strömen von meinen Augen wie Regengüsse. In Deiner Abwesenheit fühle ich mich in dieser Welt verloren und leer.

āṣliṣya vā pādaratāṁ pinaṣṭu mām
adarṣanān marmahatāṁ karotu vā
yathā tathā vā vidadhātu lampaṭo
mat-prāṇa-nāthas tu sa eva nāparaḥ

Außer Kṛṣṇa kenne ich keinen anderen Herrn, und Er wird es immer bleiben - auch wenn Seine Umarmung rauh ist oder Er mir das Herz bricht, da Er nicht vor mir gegenwärtig ist. Ihm steht es gänzlich frei zu tun, was Ihm beliebt, doch immer wird Er mein angebeteter Herr bleiben - geschehe, was da will.

 


1. TEIL

1. KAPITEL

Caitanya

Die Unterweisung Rūpa Gosvāmīs

Als Śrīla Rūpa Gosvāmī, der jüngere Bruder Sanātana Gosvāmīs, mit seinem Bruder Vallabha Bhaṭṭa nach Prayāga, dem heutigen Allahabad, kam, erfuhren sie, daß Sich auch Śrī Caitanya Mahāprabhu in der Stadt aufhielt. Beide freuten sich bei dieser Nachricht sehr und machten sich sogleich auf, den Herrn zu sehen. Sie fanden Ihn, als Er gerade auf dem Weg zum Bindu-mādhava Tempel war. Während Śrī Caitanya chantete und tanzte, folgten Ihm Tausende von Menschen - einige weinten, andere lachten, und viele tanzten und sangen. Manche hatten sich langausgestreckt zu Boden geworfen und brachten dem Herrn ihre Ehrerbietung dar, und aus allen Kehlen erhob sich der heilige Name »Kṛṣṇa« wie eine brausende Woge. Prayāga liegt am Zusammenfluß des Ganges und der Yamunā, und man sagt, die Stadt sei niemals überflutet worden, obwohl sie an zwei Flüssen liege - bis Śrī Caitanya erschienen sei. Da sei Prayāga von der Woge der Liebe zu Kṛṣṇa überflutet worden.

Die beiden Brüder, Rūpa Gosvāmī und Vallabha Bhaṭṭa, beobachteten die riesige Menschenmenge und die wundervolle Szenerie von einem etwas abseits gelegenen, weniger belebten Platz aus. Der Herr tanzte mit erhobenen Armen und rief mit lauter, weithin zu vernehmender Stimme »Hari bol, Hari bol!«. Die Menschen waren gebannt vor Verwunderung, und viele blieben voller Staunen stehen, als sie Śrī Caitanya sahen; doch die tatsächliche Situation zu beschreiben ist so gut wie unmöglich.

Śrī Caitanya besuchte regelmäßig einen befreundeten brāhmaṇa, um bei ihm prasāda zu sich zu nehmen. Der Herr hielt Sich auch an diesem Tage im Hause des brāhmaṇa auf, und als Rūpa Gosvāmī und Vallabha dort ankamen, warfen sie sich schon in einiger Entfernung zu Boden, um dem Herrn ihre Ehrerbietungen zu erweisen, und chanteten dabei Sanskritverse aus den Schriften. Der Herr war sehr erfreut, als Er sah, daß Rūpa Gosvāmī Ihm so demütig seine Ehrerbietungen erwies, und sagte zu ihm: »Mein lieber Rūpa, steh bitte auf.« Dann erklärte Er ihm, er, Rūpa, sei von Kṛṣṇa gesegnet, da Kṛṣṇa ihn von der materialistischen Lebensweise erlöst habe, die sich einzig auf Geld gründe.

Śrī Caitanya nahm die beiden Brüder als Seine Geweihten an und zitierte einen Vers aus den Schriften, in dem es heißt: »Es ist nicht unbedingt sicher, daß ein brāhmaṇa, der die Veden studiert hat, ein Geweihter Kṛṣṇas wird, doch Kṛṣṇa nimmt sogar jemanden aus einer niedrigen Familie an, wenn dieser ein reiner Geweihter ist.« Der Herr umarmte daraufhin die beiden Brüder und berührte in Seiner Barmherzigkeit ihre Köpfe mit Seinen Lotosfüßen. So gesegnet brachten Rūpa Gosvāmī und Vallabha Bhaṭṭa dem Herrn Gebete dar; sie sagten: »Du bist Kṛṣṇa Selbst, der die golden strahlende Gestalt Gaurāngas angenommen hat. Du bist Kṛṣṇas großmütigste Inkarnation, da Du unbeschränkt Liebe zu Kṛṣṇa verschenkst.«

Śrīla Rūpa Gosvāmī trug bei dieser Gelegenheit einen Vers vor, der später auch in sein Buch »Govinda-lilāmṛta« aufgenommen wurde, und der wie folgt lautet: »Ich will mich den Lotosfüßen Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus hingeben, der die größte und gütigste Persönlichkeit Gottes ist; der jene erlöst, die in Unwissenheit versunken sind, und der ihnen das höchste Geschenk in der Form reiner Liebe zu Kṛṣṇa bringt, so daß sie nur noch den Wunsch haben, Kṛṣṇa hingegeben zu dienen.«

Nach dieser Begebenheit wurde der Herr von Vallabha Bhaṭṭa eingeladen, der auf der anderen Seite des Ganges wohnte, und so begab Sich Śrī Caitanya dorthin. Rūpa Gosvāmī folgte Ihm von nun an überallhin und hielt sich ständig in seiner Nähe. Dem Herrn waren mit Menschen überfüllte Orte nicht angenehm, und so bat Er Rūpa Gosvāmī, Ihn zu einem Ort am Gangesufer, Daṣāṣvamedha Ghat genannt, zu begleiten. Zehn Tage lang unterwies Er ihn dort in der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins, in den Prinzipien des hingebungsvollen Dienens und in den transzendentalen rasas* . Alles beschrieb Śrī Caitanya aufs Ausführlichste, so daß Rūpa Gosvāmī später imstande sein würde, die Wissenschaft von Kṛṣṇa in seinem Buch »Bhakti-rasāmṛta-sindhu« genau darzulegen. Im ersten Vers des Bhakti-rasāmṛta-sindhu, wo von der motivlosen Barmherzigkeit gesprochen wird, mit welcher der Herr Rūpa Gosvāmī segnete, beschreibt dieser, wie er von Śrī Kṛṣṇa Caitanya unterwiesen wurde. Der Höchste Persönliche Gott ist allmächtig und allwissend und kann es jedem Lebewesen durch Seine grundlose Gnade ermöglichen, Seine Barmherzigkeit bereitwillig zu empfangen. Im Banne des bedingten Lebens sind die meisten Menschen dem hingebungsvollen Dienen und dem Kṛṣṇa-Bewußtsein abgeneigt. Sie sind sich über den Sinn und Zweck des Kṛṣṇa-Bewußtseins nicht im klaren, das grundsätzlich aus drei Prinzipien besteht: 1) dem Erkennen unserer ewigen (jetzt schlummernden) Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott, 2) dem Erreichen des eigentlichen Lebenszieles, nämlich nach Hause, zu Gott, zurückzukehren und 3) dem Verbreiten der Methode, durch die man in die spirituelle Welt zurückkehren kann. Von diesen Prinzipien weiß die bedingte Seele nicht das geringste.

* das Sanskritwort »rasa« (Saft, Geschmack) bezeichnet in der Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins die Art der Beziehung zu Kṛṣṇa, d.h. die Eigenschaft der Liebe, die der Gottgeweihte mit dem Höchsten Herrn austauscht.

In Seiner motivlosen Gnade unterwies Śrī Caitanya nun Rūpa Gosvāmī in den Prinzipien des hingebungsvollen Dienens; später bot dieser dann die Wissenschaft von Kṛṣṇa in einer für alle Menschen zugänglichen Form dar. Śrīla Rūpa Gosvāmī sagt über Śrī Caitanya im Prolog zum Bhakti-rasāmṛta-sindhu: »Ich bringe den Lotosfüßen des Persönlichen Gottes, Śrī Caitanyadeva, meine respektvollen Ehrerbietungen dar, denn, inspiriert durch Ihn, verspüre ich in meinem Herzen den Drang, etwas über das hingebungsvolle Dienen zu schreiben. Deshalb verfasse ich nun dieses bedeutungsvolle Buch über die Wissenschaft der Hingabe, das den Titel „Bhakti-rasāmṛta-sindhu“ trägt.«

Śrī Caitanya Mahāprabhu unterwies Rūpa Gosvāmī zehn Tage lang. Zu Beginn Seiner Unterweisungen sagte Er: »Mein lieber Rūpa, die Wissenschaft des hingebungsvollen Dienens ist wie ein unermeßlicher Ozean, und es ist nicht möglich, dir diesen Ozean in seiner ganzen Fülle zu beschreiben. Doch Ich werde versuchen, dir das Wesen des Ozeans zu erklären, indem Ich einen Tropfen daraus nehme; du kannst ihn probieren und auf diese Weise verstehen, wie der Ozean des hingebungsvollen Dienens beschaffen ist.«

Innerhalb dieses brahmānda, dieses Universums, gibt es unzählige Lebewesen, die, gezwungen durch die Folgen ihres Tuns, von einer Art des Lebens zur anderen und von Planet zu Planet wandern müssen. Auf diese Weise sind sie schon seit unvordenklichen Zeiten in der materiellen Welt gefangen. Die Lebewesen sind winzige Teile des Höchsten Spirituellen Wesens, und ihre Größe wird im Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam im 36. Vers des 87. Kapitels wie folgt beschrieben: »Wenn man die Spitze eines Haares in 100 Teile teilt und eines dieser Teile wiederum in 100 Teile, dann entspricht ein solches 10000ste1 Teil einer Haarspitze der Größe der Seele.« Dies wird auch in der Śvetāṣvatara Upaniṣad bestätigt.

Die Winzigkeit des individuellen Lebewesens, d. h. der Seele, wird im Śrīmad-Bhāgavatam auch im Elften Canto, im 11. Vers des 16. Kapitels beschrieben. Sanānda, einer der vier Kumāras, sagt dort in seiner Ansprache bei einer großen Opferzeremonie: »O Höchste Wahrheit, wären die Lebewesen nicht winzig kleine Funken des Höchsten Spirituellen Lebens, dann wäre jeder Funke alldurchdringend und müßte nicht von einer höheren Macht beherrscht werden. Wenn man aber anerkennt, daß das Lebewesen von seiner wesenseigenen Position her ein winziges Teil des Höchsten Herrn ist, dann muß man auch einräumen, daß es der höchsten Energie oder Macht untergeordnet ist. Das ist seine wesenseigene Position. Wenn es daher in diesem natürlichen Zustand bleibt, kann es völlige Freiheit erlangen. Wer jedoch fälschlich glaubt, seine wesenseigene Position sei mit der des höchsten Persönlichen Gottes identisch, verfällt der Lehre von der Nicht-Dualität, wodurch Bemühen um Fortschritt im spirituellen Leben erfolglos bleiben müssen.«

Der Herr fuhr in den Belehrungen fort und sprach von den zwei Arten von Lebewesen, nämlich den für alle Zeit und Ewigkeit befreiten und den auf ewig bedingten. Bei den ewig bedingten Lebewesen werden wiederum zwei Arten unterschieden, und zwar die sich bewegenden und die sich nicht bewegenden Lebewesen. Diejenigen, die sich nicht vom Ort bewegen können, wie z. B. die Bäume, bezeichnet man als »ortsgebundene Wesen.« Und diejenigen, die sich bewegen, wie Vögel und Säugetiere, heißen »jangama«, d. h. »sich bewegende Wesen«. Die Wesen, die sich bewegen können, sind erneut in drei Gruppen unterteilt: nämlich in die Wassertiere und -pflanzen, die Landlebewesen und die Vögel. Die tiryak (die Vögel) können in der Luft fliegen, auf dem Wasser schwimmen und sich auf dem Land bewegen. Unter den Millionen und Abermillionen von Landlebewesen sind die Arten der Menschen nur einige wenige. Von diesen wenigen Menschen gibt es viele, die auf dem Gebiet der spirituellen Wissenschaft völlig unerfahren sind und in ihren Lebensgewohnheiten keine Reinlichkeit kennen, die keinen Glauben an die Existenz des Höchsten Persönlichen Gottes haben und somit wie Tiere leben. Sie sind nicht zur menschlichen Gesellschaft, jedenfalls nicht zur zivilisierten menschlichen Gesellschaft zu zählen. Wir werden nur sehr wenige Menschen finden, die an die Schriften und an die Existenz Gottes glauben, oder daran, daß der Mensch sich rechtschaffen verhalten muß. Wer dies tut, wird als »Aryan« bezeichnet, als »jemand, der an den Fortschritt im spirituellen Leben glaubt«.

Unter denen, die an die Schriften und den Fortschritt der menschlichen Zivilisation glauben, gibt es zwei Arten von Menschen: die Rechtschaffenen und die Sündvollen. Die Rechtschaffenen gehen größtenteils fruchtbringenden Tätigkeiten nach, d. h. sie handeln rechtschaffen, um auf diese Weise die Befriedigung ihrer Sinne auf legitimem Wege zu erreichen. Von vielen solcher Menschen, die um der Sinnenbefriedigung willen ein rechtschaffenes Leben führen, bemühen sich einige wenige, etwas über die Absolute Wahrheit zu erfahren. Sie werden »jñānīs« genannt, was soviel bedeutet wie »diejenigen, die nach der Absoluten Wahrheit suchen«. Sie sind größtenteils empirische Philosophen, und von vielen Hunderttausenden solcher Philosophen werden nur einige wenige tatsächlich zur Befreiung gelangen. Befreiung bedeutet in diesem Sinne, daß sie theoretisch verstehen, daß ein Lebewesen nicht aus Materie besteht, sondern von spiritueller Natur ist, die sich von der Materie unterscheidet. Wenn sie diese Tatsache verstehen, sei es auch nur theoretisch, können sie als »mukta« (befreit) bezeichnet werden; doch wirkliche muktas, d. h. wahrhaft befreite Seelen, sind diejenigen, die ihre wesenseigene Position als Teile und ewige Diener Gottes erkennen. Wenn solche befreiten Seelen mit Glauben und Hingabe dem Herrn dienen, werden sie »Kṛṣṇa-bhaktas« oder »Gottgeweihte« genannt.

Kṛṣṇa-bewußte Menschen sind frei von materialistischen Begierden. Wer nur theoretisch befreit ist, hat lediglich verstanden, daß das Lebewesen nicht aus Materie geschaffen ist. Obwohl solche Menschen zu den befreiten Seelen zählen, hegen sie immer noch persönliches Verlangen - sie wollen z. B. mit dem Höchsten Persönlichen Gott eins werden oder legen großen Wert auf die Riten und Zeremonien, die in den Veden dargelegt sind, und bemühen sich, rechtschaffen zu leben, um dadurch materielles Glück zu erlangen. Und selbst wenn einige von ihnen das Streben nach materiellem Genuß aufgegeben haben, so wollen sie doch immer noch in der spirituellen Welt genießen und mit dem Höchsten Herrn eins werden. Andere haben den Wunsch, Vollkommenheit in der Beherrschung mystischer Kräfte zu erlangen. Solange noch solche Wünsche im Herzen eines Menschen brennen, kann er die Natur des reinen hingebungsvollen Dienens nicht verstehen, und getrieben von seinen Begierden findet er keinen Frieden. Solange das Verlangen nach materieller Vollkommenheit unser Denken und Handeln bestimmt, können wir nicht friedvoll werden. Die Geweihten Kṛṣṇas streben nicht nach materiellen Vorteilen, und daher sind sie die einzigen wahrhaft friedvollen Menschen in der materiellen Welt. Das wird im Sechsten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam im 4. Vers des 14. Kapitels bestätigt, wo es heißt: «Unter vielen Millionen befreiter Menschen und solchen, die mystische yoga-Kräfte entwickelt haben, findet man nur selten einen, der dem Höchsten Persönlichen Gott völlig hingegeben und deshalb friedvoll Ist.«

Śrī Caitanya erklärte weiter, daß Millionen und Trillionen von Lebewesen in der materiellen Welt umherwandern und nur einige wenige durch die Gnade Kṛṣṇas und des geistigen Meisters den Samen des hingebungsvollen Dienens empfangen können. Der fromme, d. h. religiöse Mensch neigt im allgemeinen dazu, die Bildgestalten der Halbgötter in den verschiedenen Tempeln zu verehren, und wenn er durch Zufall seine Ehrerbietungen Viṣṇu, dem Höchsten Persönlichen Gott, erweist und die Gunst eines Vaiṣṇavas, eines Gottgeweihten, erwirbt, so hilft ihm das, selbst wenn die Verehrung unbewußt geschah, sich dem Höchsten Herrn zu nähern. Im Śrīmad-Bhāgavatam finden wir in diesem Zusammenhang das Beispiel des großen Weisen Nārada Muni. Nārada hatte die Gelegenheit, Vaiṣṇavas zu dienen, und erwarb sich so ihre Gunst, mit dem Ergebnis, daß er im nächsten Leben selbst ein großer

Gottgeweihter wurde. Die Vaiṣṇavas bzw. Gottgeweihten haben stets großes Mitleid mit den bedingten Seelen, und ein Gottgeweihter geht sogar, ohne von einer bedingten Seele darum gebeten zu werden, von Tür zu Tür, um die Menschen, die im Dunkel der Unwissenheit leiden, mit dem Wissen um ihre wesenseigene Position zu erleuchten, die darin besteht, in hingebungsvollem Dienen bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein zu leben. Solche Gottgeweihte sind vom Herrn ermächtigt und besonders dazu befähigt, allen Arten von Menschen das Bewußtsein der Hingabe, Kṛṣṇa-Bewußtsein, zu vermitteln. Sie werden autorisierte geistige Meister genannt. Nur durch die Barmherzigkeit eines solchen geistigen Meisters kann die bedingte Seele den Samen des hingebungsvollen Dienens empfangen. Man erfährt die motivlose Gnade des Höchsten Persönlichen Gottes zum erstenmal, wenn man mit einem autorisierten geistigen Meister in Berührung kommt, der die bedingte Seele erleuchten und somit zur höchsten Ebene des hingebungsvollen Dienens erheben kann. Deshalb sagt Śrī Caitanya, man könne durch die Gnade des geistigen Meisters die motivlose Barmherzigkeit des Herrn und durch die Barmherzigkeit des Höchsten Persönlichen Gottes die Gnade des geistigen Meisters erlangen.

Durch die Gnade des geistigen Meisters und die Gnade Kṛṣṇas wird einem der Samen des hingebungsvollen Dienens zuteil, den man auf dem Felde des Herzens säen muß, wie ein Gärtner den Samen eines edlen Baumes. Nachdem man den Samen gesät hat, muß man ihn begießen, indem man die heiligen Namen des Höchsten Herrn singt und hört oder an den Gesprächen reiner Gottgeweihter über hingebungsvolles Dienen teilnimmt. Sowie der Keimling des hingebungsvollen Dienens aus dem Samen der Hingabe hervorbricht, beginnt er zu wachsen, und wenn die Pflanze ihre höchste Entwicklung erreicht hat, durchdringt sie die Schale des Universums und geht in die transzendentale, spirituelle Welt ein, in der alles von den Strahlen des brahmajyoti erleuchtet wird. Die Pflanze durchdringt sogar das brahmajyoti und erreicht schließlich den Planeten, der als Goloka Vṛndāvana bekannt ist. Dort sucht sie Zuflucht bei den Lotosfüßen Śrī Kṛṣṇas. Das ist das endgültige Ziel des hingebungsvollen Dienens. Nachdem die Pflanze zu Füßen Śrī Kṛṣṇas zur Ruhe gekommen ist, bringt sie eine Frucht hervor, die Liebe zu Gott genannt wird. Der Gottgeweihte, der transzendentale Gärtner, muß die Pflanze durch den Vorgang des Chantens* und Hörens täglich und regelmäßig begießen, denn wenn er nicht chantet und hört, d. h. wenn er kein Wasser auf die Wurzeln der Pflanze gießt, kann diese leicht vertrocknen.

* singen oder sprechen

Der Herr erklärte weiter, es gebe noch eine andere Gefahr, während man die Pflanze begieße: Zum Beispiel könne es geschehen, daß ein Tier komme und sie auffresse oder niedertrete, wie es auch bei einer gewöhnlichen Pflanze manchmal der Fall sei. Und auch wenn ein Tier nur die Blätter einer Pflanze fresse, verdorre diese gewöhnlich. Man müsse also darauf achten, daß die Pflanze des hingebungsvollen Dienens nicht von Tieren vernichtet werde. Der Begriff »Tier« wird in bezug auf Vergehen gegen die reinen Gottgeweihten gebraucht; diese Vergehen nennt man Vaiṣṇava-aparādha. Sie werden mit einem tollwütigen Elefanten verglichen: Wenn ein tollwütiger Elefant in einen Garten einbricht, richtet er unabsehbaren Schaden unter Pflanzen und Bäumen an. - Ebenso wirkt sich eine Blasphemie der Lotosfüße eines reinen Gottgeweihten verheerend auf den Fortschritt im hingebungsvollen Dienen aus. Man muß deshalb die Pflanze durch eine gute Umzäunung schützen, d. h., man muß sich davor hüten, bei der Ausführung hingebungsvoller Dienste die reinen Gottgeweihten zu kränken. Wenn man darauf achtet, sich keinerlei Vergehen gegen die Gottgeweihten zu Schulden kommen zu lassen, ist die Pflanze des hingebungsvollen Dienens geschützt. Es gibt zehn Vergehen, die auch Vergehen gegen den heiligen Namen genannt werden. Der heilige Name Kṛṣṇas ist von Kṛṣṇa nicht verschieden, und Śrī Kṛṣṇa duldet daher solche Vergehen nicht.

Das erste Vergehen besteht darin, große Gottgeweihte zu beleidigen oder zu beschimpfen, die versucht haben oder versuchen, den Ruhm des heiligen Namens überall auf der Welt zu verbreiten. Wenn jemand auf einen Gottgeweihten neidisch oder ihm mißgünstig gesinnt ist, während dieser versucht, der Anweisung seines geistigen Meisters nachzukommen und den heiligen Namen auf der ganzen Welt zu verbreiten, stellt solcher Neid und solche Mißgunst das größte Vergehen gegen den heiligen Namen dar. Das zweite Vergehen besteht darin zu leugnen, daß Śrī Viṣṇu die Absolute Wahrheit ist. Es gibt keinen Unterschied zwischen Seinem Namen, Seinen Eigenschaften, Seiner Gestalt, Seinen Spielen und Seinen Taten; wer in diesen verschiedenen Wesensformen des Höchsten Herrn einen

Unterschied sieht, ist ebenfalls ein Sünder. Auch kommt niemand dem Höchsten Herrn gleich, und niemand ist größer als Er, denn der Herr ist der Höchste. Wenn also jemand glaubt, der Herr befinde Sich auf der gleichen Ebene wie ein Halbgott, macht er sich eines großen Vergehens schuldig. Das dritte Vergehen begeht jemand, der die Auffassung hegt, der geistige Meister sei ein gewöhnlicher Mensch. Das vierte besteht darin, die vedischen Schriften herabzuwürdigen. Das fünfte Vergehen begeht jemand, der glaubt, der Ruhm des heiligen Namens sei eine Übertreibung. Das sechste Vergehen besteht darin, dem heiligen Namen eine entstellte Bedeutung zu geben. Das siebte Vergehen ist das Begehen von Sünden im Vertrauen auf die reinigende Kraft, die dem Chanten des heiligen Namens innewohnt. Es ist bekannt, daß man von allen sündhaften Reaktionen befreit wird, wenn man den heiligen Namen des Herrn chantet, aber das bedeutet nicht, daß man im Vertrauen auf die reinigende Kraft des heiligen Namens sündhaft handeln darf. Wer dies dennoch tut, macht sich des schwersten Vergehens schuldig. Das achte Vergehen besteht darin zu denken, rituelle religiöse Handlungen wie Bußen, Entsagungen oder die Darbringung von Opfern seien dem Chanten des heiligen Namens ebenbürtig. Das Chanten des heiligen Namens ist der Höchsten Persönlichkeit Gottes gleichgestellt. Andere fromme Tätigkeiten mögen zwar auch helfen, sich dem Höchsten Herrn zu nähern, doch wenn sie zur Erreichung eines materiellen Ziels mißbraucht werden, ist dies ein weiteres Vergehen. Das neunte Vergehen besteht darin, gottlose Menschen über die Herrlichkeit des heiligen Namens zu unterrichten. Das zehnte und letzte Vergehen ist das Haften an materiellen Dingen, obwohl man den heiligen Namen Gottes chantet. Wenn man den heiligen Namen ohne jedes Vergehen chantet, kann man Befreiung erlangen. Befreiung bedeutet in diesem Zusammenhang, von allen materiellen Anhaftungen frei zu werden; deshalb gilt es als Vergehen, noch immer materielles Verlangen zu hegen, obwohl man den heiligen Namen chantet.

Während die Pflanze des hingebungsvollen Dienens wächst, können jedoch noch andere Störungen auftreten. Zusammen mit der Pflanze des hingebungsvollen Dienens wächst nämlich auch Unkraut, das mit materiellen Wünschen verglichen wird. Wenn der Gottgeweihte im hingebungsvollen Dienen Fortschritte macht, ist es nur natürlich, daß viele Menschen zu ihm kommen, die seine Schüler werden wollen, und die ihm materielle Bequemlichkeit bieten. Wenn er durch die wachsende Zahl seiner Schüler und die von ihnen angebotenen Annehmlichkeiten verblendet wird und seine Pflicht als geistiger Meister vergißt, verursacht dies eine weitere Störung im Wachstum der Pflanze des hingebungsvollen Dienens. Denn es kann wohl sein, daß er dem Genuß materieller Bequemlichkeiten zum Opfer fällt, wenn er solche Angebote entgegennimmt.

Ein anderes Hindernis im hingebungsvollen Dienen ist das Streben nach Befreiung. Die Einschränkungen oder Verbote nicht einzuhalten wirkt sich ebenfalls nachteilig aus. Diese Verbote, die in den autorisierten Schriften aufgeführt sind, lauten: Man soll sich nicht der Gesellschaft von Frauen oder unzulässiger geschlechtlicher Betätigung hingeben; man soll sich nicht berauschen; man soll nichts anderes essen als Kṛṣṇa-prasāda (Nahrung, die Kṛṣṇa geopfert wurde), und man soll nicht an Glücksspielen teilnehmen. Dies sind die Einschränkungen, die für wirkliches hingebungsvolles Dienen erforderlich sind; wenn man diese Prinzipien nicht strikt befolgt, können bei der Ausführung des hingebungsvollen Dienens schwere Störungen auftreten.

Eine weitere Störung verursacht der Wunsch, durch die Ausübung des hingebungsvollen Dienens Ruhm zu ernten. Wenn man nicht achtsam ist, können, wie oben geschrieben, beim Begießen der Pflanze des hingebungsvollen Dienens auch andere, unnütze Pflanzen wachsen und den Fortschritt des hingebungsvollen Dienens hemmen. Das bedeutet, daß auch die unnützen Pflanzen durch die Bewässerung üppig wuchern, und daß der unaufmerksame Gärtner übersieht, wie solches Unkraut das Wachstum der Pflanze des hingebungsvollen Dienens beeinträchtigt. Es ist die Pflicht des Neulings, alle unnützen Pflanzen auszujäten. Mit anderen Worten: Wenn man das Heranwachsen unnützer Pflanzen sorgsam verhindert, kann sich die Hauptpflanze frei entfalten und das höchste Ziel erreichen - den Planeten Goloka Vṛndāvana. Es ist das Ergebnis des wirklichen hingebungsvollen Dienens - oder die wahre Frucht der Pflanze des hingebungsvollen Dienens -, zu diesem Planeten Goloka Vṛndāvana zu gelangen. Wenn das Lebewesen, das in liebender Hingabe dient, die Frucht der Liebe zu Gott kostet, vergißt es alle rituellen Betätigungen, alles religiöse Denken und Handeln zur Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die Befriedigung der Sinne und den Wunsch, mit dem Höchsten Herrn eins zu werden und in seine unendliche Lichtfülle einzugehen.

Es gibt viele Vorstufen des spirituellen Wissens und der transzendentalen Glückseligkeit wie etwa die Ausführung ritueller Opferungen, die in den Veden empfohlen werden, die Auferlegung strenger Bußen, die Ausübung religiöser Pflichten und die Praxis des mystischen yoga. Sie alle haben ihre eigenen, unterschiedlichen Ergebnisse, deren sich der Ausführende erfreuen kann; doch diese Ergebnisse behalten ihren anziehenden Glanz nur so lange, bis man zum transzendentalen liebevollen Dienst für Gott erhoben wird. Dazu gibt es einen treffenden Vergleich: Ein Mensch, der von einer Schlange gebissen wird, bleibt so lange bewußtlos, bis er ein bestimmtes Medikament riecht. Sobald er diesen besonderen Duft einatmet, wird dem Gift die Wirkung genommen, und sein Bewußtsein kehrt zurück.

Unsere ursprüngliche Liebe zu Gott kann durch die Ausübung reinen hingebungsvollen Dienens aus ihrem jetzigen Schlafzustand erweckt werden. Was aber ist das Wesen dieses hingebungsvollen Dienens? Was sind seine Symptome? Śrī Caitanya erklärte Rūpa Gosvāmī, daß es im reinen hingebungsvollen Dienen keinen anderen Wunsch gibt als den Willen, im Kṛṣṇa-Bewußtsein fortzuschreiten. In diesem Bewußtsein ist kein Raum für die Verehrung der Halbgötter oder anderer Lebewesen, noch für spekulative, empirische Philosophie oder materiell-einträgliche Betätigung. Man sollte sich von all diesen materiellen Verunreinigungen fernhalten und nur das annehmen, was dazu dient, Leib und Seele zusammenzuhalten, nichts jedoch, was die Ansprüche des Körpers zusätzlich vermehrt. Man sollte lediglich die elementaren Bedürfnisse des Körpers befriedigen, denn das wichtigste ist, daß man durch das Chanten der heiligen Namen Gottes Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt. Reines hingebungsvolles Dienen bedeutet, alle Sinne, die uns gegeben sind, in den Dienst des Herrn zu stellen. Zur Zeit sind unsere Sinne verunreinigt, weil unser Körper im Materiellen gebunden ist und wir uns mit ihm identifizieren. So glauben wir, unser Körper gehöre zu einer bestimmten Gesellschaft, er gehöre einer bestimmten Nation oder einer bestimmten Familie an, und daher bezeichnen wir uns als Deutsche, Amerikaner, Inder, Männer oder Frauen usw. Diese Vorstellungen sind das sichere Zeichen für ein körperliches Bewußtsein. Die Sinne gehören zum Körper, und wenn sie unter solch körperlicher Lebensauffassung stehen, sei sie nun auf Familie, Gesellschaft oder Nation bezogen, kann Kṛṣṇa-Bewußtsein nicht entwickelt werden. Die Sinne müssen also geläutert werden. Wir sollten verstehen, daß wir selbst Kṛṣṇa gehören, daß unser Leben Kṛṣṇa gehört, und daß es unsere Identität ist, Kṛṣṇa auf immer und ewig zu dienen. Reines hingebungsvolles Dienen bedeutet somit, alle Sinne in den Dienst des Herrn zu stellen.

Ein reiner Gottgeweihter gibt sich dem transzendentalen liebevollen Dienst für den Höchsten Persönlichen Gott hin; Befreiung zu persönlicher Sinnenfreude lehnt er ab. Im Dritten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam erklärt Kapiladeva im 10.-12. Vers des 29. Kapitels die reine Natur des hingebungsvollen Dienens wie folgt: »Sobald ein reiner Gottgeweihter von der Herrlichkeit und den transzendentalen Eigenschaften des Höchsten Persönlichen Gottes hört, der im Herzen jedes Lebewesens weilt, strebt sein Geist sofort dem Herrn entgegen wie das Wasser des Ganges dem Meer entgegenfließt.« Diese spontane Hinwendung zum Höchsten Persönlichen Gott ist ein Zeichen für reine dienende Hingabe. Hingebungsvolles Dienen ohne jegliches Gewinnstreben und ohne Hindernisse materieller Natur nennt man reine Hingabe. Der reine Gottgeweihte begehrt nicht danach, mit dem Höchsten Herrn auf demselben Planeten zu leben; er hegt nicht den Wunsch, an der reichen Fülle der Höchsten Göttlichen Persönlichkeit teilzuhaben, und er verlangt auch nicht danach, die gleiche Form wie der Höchste Persönliche Gott zu erhalten. Er sehnt sich nicht danach, mit dem Herrn unmittelbar zusammenzusein, und er möchte erst recht nicht mit der Höchsten Person verschmelzen - selbst wenn Gott ihm all dies anbieten würde. Der Grund hierfür liegt darin, daß ein Gottgeweihter so sehr darin aufgeht, dem Herrn in transzendentaler Liebe zu dienen, daß er gar nicht dazu kommt, über diese Beschäftigung hinaus an seinen persönlichen Vorteil zu denken. Wie ein materialistischer Unternehmer fortwährend nur an sein Geschäft denkt, so ist ein reiner Gottgeweihter, der dem Herrn in seiner Hingabe dient, ständig in Gedanken an den Höchsten versunken.

Wer all diesen Gegebenheiten entspricht, hat die höchste Stufe des hingebungsvollen Dienens erreicht. Und nur durch solch transzendentales liebevolles Dienen kann man den Einfluß māyās überwinden und reine Liebe zu Gott entwickeln. Solange man noch Verlangen nach materiellem Genuß oder nach Befreiung - den beiden »Hexen der Verführung« - hegt, kann man keinen Geschmack am transzendentalen liebevollen Dienst finden.

Es gibt drei Stufen des hingebungsvollen Dienens: die erste wird die Stufe der Entwicklung genannt, d. h. der Neuling beginnt, einen Geschmack für das transzendentale liebevolle Dienen zu entwickeln; auf der zweiten Stufe verwirklicht er seinen Dienst, und auf der dritten, der höchsten Stufe, erlangt er Liebe zu Gott. Es gibt neun Methoden, wie z. B. Chanten, Hören und Sich-Erinnern, mit deren Hilfe man hingebungsvolles Dienen entwickeln kann. Diese Vorgänge kennzeichnen das Anfangsstadium des hingebungsvollen Dienens.

Wenn man mit Hingabe und Vertrauen hört und chantet, verschwinden allmählich alle materiellen Zweifel. Mit der Zeit verstärkt sich der Glaube an den hingebungsvollen Dienst, so daß der Schüler immer höhere Stufen erreicht. Er wird allmählich gefestigt, entwickelt immer mehr Geschmack am hingebungsvollen Dienen, erreicht die Stufe der Anhaftung und erlebt schließlich jene Ekstase, die das Anfangsstadium der Liebe zu Gott genannt wird. Die Ekstase entsteht aus der Entwicklung des hingebungsvollen Dienens. Wenn sie durch die Methode des Hörens und Chantens weiter vervollkommnet wird, konzentriert sie sich allmählich und wird letzten Endes zur »Liebe zu Gott«.

Von dieser Stufe aus sind weitere Entwicklungsstadien möglich, die »transzendentale Zuneigung«, »Emotion«, »Ekstase« und »äußerste, intensive Anhaftung« genannt werden. Im Sanskrit heißen diese Stufen »rāga«, »anurāga«, »bhāva« und »mahābhāva« oder »premā«. Dies sind die technischen Bezeichnungen. Wie sich eine Stufe aus der anderen entwickelt, wird am Beispiel des Zuckersirups deutlich: Zu Beginn ist der Zuckersirup flüssig; wenn dann etwas Wasser verdampft, verdickt er sich, wird zu Melasse, dann zu Kristallzucker und schließlich zu Kandis. Dies sind die verschiedenen Stadien, die der Zuckersaft durchläuft, und ähnlich gibt es auch verschiedene Stufen in der Entwicklung der transzendentalen Liebe zum Höchsten Persönlichen Gott. Wenn man sich auf der transzendentalen Ebene befindet, hat man die Stufe der Stetigkeit erlangt. Wer diese transzendentale Ebene noch nicht erreicht hat, hat im hingebungsvollen Dienen oder der Liebe zu Gott noch keine Beständigkeit erlangt und läuft sehr leicht Gefahr, wieder zurückzufallen. Befindet man sich jedoch auf der transzendentalen Ebene, wird man stetig und braucht einen Rückfall ins materielle Bewußtsein nicht mehr zu befürchten. Diese Stufe der Selbstverwirklichung wird »sthāyi-bhāva« genannt.

Von der Stufe der »sthāyi-bhāva« kann man sich auf noch höhere Stufen erheben, die als »vibhāva«, »anubhāva«, »satvik« und »vyabhicāri-bhāva« bekannt sind. Verbinden sich diese vier mit der »Stetigkeit« des reinen transzendentalen Lebens findet ein Austausch von rasa oder transzendentalem Wohlgeschmack statt. Dieses liebevolle Geben und Erwidern zwischen den Liebenden heißt im allgemeinen »Kṛṣṇa-bhakti-rasa« oder »der transzendentale Geschmack des Austausches von Liebesgefühlen zwischen dem Gottgeweihten und dem Höchsten Persönlichen Gott«. Wir sollten uns jedoch daran erinnern, daß, wie oben erklärt wurde, solche Entwicklung des transzendentalen liebenden Austausches von rasas auf der Stufe der »sthāyī-bhāva« beruht. Das Grundprinzip von »vibhāva« ist »sthāyī-bhāva«; die anderen Aktivitäten sollen lediglich dazu beitragen, transzendentale Liebe für Kṛṣṇa zu entwikkeln.

Die Ekstase der transzendentalen Liebe besteht aus zwei Komponenten: aus der Verbindung und der Ursache der Ekstase. Die Verbindung läßt sich wiederum unterteilen, nämlich in Subjekt und Objekt. Im hingebungsvollen Dienen findet ein liebevoller Austausch zwischen Kṛṣṇa und dem Gottgeweihten statt, und die transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas sind die Ursache der Ekstase, die dabei entsteht. Das bedeutet, daß ein Gottgeweihter sich dafür begeistert, dem Höchsten Persönlichen Gott, Kṛṣṇa, zu dienen, da er von den transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas bezaubert ist. Die Māyāvādī-Philosophen behaupten, die Absolute Wahrheit sei eigenschaftslos, doch die Vaiṣṇava-Philosophen wissen, daß nirguṇa (Eigenschaftslosigkeit) bedeutet, daß die Absolute Wahrheit keine materiellen Qualitäten hat, sondern spirituelle Eigenschaften, die so einzigartig und herrlich sind, daß sich selbst befreite Seelen zum Höchsten Herrn hingezogen fühlen. Diese Tatsache wird im ātmārāma-Vers des Śrīmad-Bhāgavatam sehr schön erklärt. Dort heißt es, daß selbst diejenigen, die selbstverwirklicht sind, von Kṛṣṇas Eigenschaften angezogen werden. Das beweist, daß die Eigenschaften Kṛṣṇas nicht von materieller Art sind - es sind rein transzendentale Eigenschaften.

Die höchste Stufe der Ekstase läßt sich an folgenden dreizehn Symptomen erkennen: 1. Tanzen, 2. sich auf dem Boden wälzen, 3. Singen, 4. in die Hände klatschen, 5. Sträuben der Körperhaare, 6. enormer Stimmaufwand, 7. Gähnen, 8. schweres Atmen, 9. Vergessen gesellschaftlicher Formen, 10. Speichelausfluß, 11. Lachen, 12. Kopfschmerzen und 13. Husten. Diese dreizehn Symptome treten nicht alle gleichzeitig auf, sondern richten sich nach der Art des Austausches von transzendentalem Wohlgeschmack. Manchmal machen sich einzelne Symptome besonders deutlich bemerkbar. Der transzendentale Wohlgeschmack kann fünffach unterteilt werden: die erste Stufe wird im allgemeinen ṣānta-rati genannt. Auf dieser Ebene erkennt man die Größe des Höchsten Persönlichen Gottes, da man von der materiellen Verunreinigung befreit ist; doch man dient Ihm noch nicht in reiner transzendentaler Liebe. Man befindet sich noch im Stadium der Neutralität, d. h. der noch inaktiven Zuneigung zum Höchsten.

Die zweite Stufe beginnt, wenn man erkennt, daß man für ewig dem Höchsten Persönlichen Gott untergeordnet und immer von Seiner Gnade abhängig ist. Zu diesem Zeitpunkt erwacht eine natürliche Zuneigung, ähnlich der, die ein erwachsener Sohn für seinen Vater empfindet, der ihn mit allem versorgt. In diesem Stadium möchte das Lebewesen statt māyā, der Illusion, dem Höchsten Persönlichen Gott dienen. Man nennt dieses Stadium dāsya-rati. Die nächste Stufe der transzendentalen Liebe wird sākhya-rati genannt. Hierbei hat man eine respektvolle und liebevolle Beziehung zum Herrn und befindet sich auf der gleichen Ebene wie Er. Dieses Stadium entwickelt sich weiter im scherzenden Umgang und im entspannten Austausch mit fröhlichem Lachen und dergleichen. Dies wird Freundschaft mit dem Persönlichen Gott ohne dienende Zurückhaltung genannt. Man vergißt auf dieser Stufe gleichsam seine untergeordnete Stellung als Lebewesen, obwohl man der Höchsten Person immer noch den größten Respekt entgegenbringt. Wenn sich der transzendentale rasa der Freundschaft weiterentwickelt, nennt man ihn vātsalya-rati, elterliche Liebe. Auf dieser Stufe versucht das Lebewesen, Gottes Vater oder Mutter zu sein, und statt den Herrn zu verehren, wird das Lebewesen als Vater oder Mutter des Höchsten von diesem verehrt. Der Herr macht Sich in dieser Beziehung von der Gnade Seiner reinen Geweihten abhängig. Er begibt Sich freiwillig in die Obhut Seines Geweihten, um von ihm liebevoll aufgezogen zu werden.

Der Gottgeweihte erlangt eine Position, in der er den Höchsten Persönlichen Gott umarmen oder sogar Sein Haupt küssen kann. Es sind solches Zeichen elterlicher Liebe zum Herrn. Die nächste Stufe ist mādhurya-rati, der Austausch von Wohlgeschmack in vertrauter Liebe. Auf dieser Stufe des transzendentalen liebevollen Dienstes kommt es zu einem Austausch von Blicken, zum Spiel der Mienen, man sagt sich liebe Worte oder lächelt einander liebevoll zu. So tauschten Kṛṣṇa und die Mädchen von Vraja zarte Blicke in vertrauter Liebeszugehörigkeit.

Neben den fünf hauptsächlichen rasas gibt es sieben Beziehungen zweiter Ordnung, und zwar in Heiterkeit, in visionärem Erleben, in ritterlichem Austausch, in Mitleiden, Zorn, Entsetzen und Vernichtung. So tauschte Bhīṣma mit Kṛṣṇa den transzendentalen rasa der ritterlich-kämpfenden Begegnung aus, und Hiraṇyakaṣipu erfuhr die Begegnung mit dem Höchsten in dessen grauenvoll-vernichtenden Form.

Die fünf hauptsächlichen rasas bleiben ständig im Herzen des reinen Gottgeweihten, wohingegen die sieben sekundären durch ihr Erscheinen und Verschwinden die bereits vorhandenen rasas lediglich bereichern. Beispiele für ṣānta-bhaktas, ṣānta-Gottgeweihte, sind die neun yogīs mit den Namen Kavi, Havi, Antarikṣa, Prabuddha, Pippallayāṇa, Havirhotra, Drāvīdā bzw. Drumila, Chamasā und Karabhajāṇa sowie große Weise wie die vier Kumāras Sanaka, Sanāndana, Sanātkumāra und Sanātana. Beispiele für Gottgeweihte in der transzendentalen Beziehung als Diener sind Raktaka, Citrika und Patraka, die Kṛṣṇa in Goloka dienen, Daruka, der Ihm in Dvārakā dient, und Hanumān, der Ihm auf einem der Vaikuṇṭha-Planeten dient. Zu den Gottgeweihten, die eine freundschaftliche Beziehung zu Kṛṣṇa haben, zählen Śrīdāmā in Vṛndāvana und Bhīma und Arjuna in Dvārakā oder auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra. Beispiele von Gottgeweihten, die Kṛṣṇa als Eltern lieben, sind Nanda und Yaṣodā in Vṛndāvana, Sein Onkel und andere Verwandte. Eine Beziehung zum Herrn in vertrauter Liebe haben die Mädchen von Vraja, Vṛndāvana, von denen Rādhārāṇī Kṛṣṇa am nächsten steht, und die Königinnen und Glücksgöttinnen in Dvārakā, von denen Rukmiṇī die Vortrefflichste ist.

Die Zuneigung für Kṛṣṇa ist von zweierlei Art. Die eine trägt die Merkmale der Scheu und Ehrfurcht; solch scheue und ehrfürchtig-liebevolle Beziehung, der es in gewisser Weise an Freiheit mangelt, findet man in Mathurā und auf den Vaikuṇṭha-Planeten. Dort ist der Geschmack am transzendentalen liebevollen Dienst nicht voll entfaltet. In Gokula oder in Vṛndāvana hingegen ist der liebende Austausch völlig zwanglos, und die Kuhhirten von Vṛndāvana, Jungen sowie Mädchen, zeigen keinerlei Zurückhaltung oder Scheu, denn ihre Beziehung zu Kṛṣṇa ist sehr vertraulich und intim. Zurückhaltung oder Scheu sind manchmal sogar hinderlich, wenn es darum geht, die Größe des Herrn zu erkennen oder Ihm vorbehaltlos zu dienen. Bei der freundschaftlichen, der elterlichen und der vertrauten Beziehung machen sich diese Scheu oder Zurückhaltung nur wenig bemerkbar. Als Kṛṣṇa hingegen als der Sohn Vasudevas und Devakīs erschien, verehrten Ihn die beiden voller Scheu und Ehrfurcht, da sie wußten, daß der Höchste Herr, Kṛṣṇa, Viṣṇu, als ihr Kind erschienen war. Es wird dies im Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam im 51. Vers des 44. Kapitels wie folgt beschrieben: «Als Devakī und Vasudeva erkannten, daß der Höchste Persönliche Gott vor ihnen stand, begannen sie, Ihm ihre Gebete darzubringen, obwohl Er als ihr Kind erschienen war.« Und als Arjuna die universale Form des Herrn sah, überkam ihn große Furcht, und er bat Kṛṣṇa um Verzeihung, da er sich Ihm gegenüber als Freund oftmals ungezwungen verhalten hatte. Im Elften Kapitel der Bhagavad-gītā finden wir Arjunas Gebet: »Lieber Kṛṣṇa, ich habe Dich oftmals beleidigt, als ich Dich »meinen lieben Freund« nannte, ohne Deine unvorstellbare Macht zu kennen. Bitte vergib mir, daß ich so töricht war, Dich wie einen gewöhnlichen Freund oder einen gewöhnlichen Menschen zu behandeln.« Und als Kṛṣṇa mit Rukmiṇī scherzte, befürchtete diese, Er könne sie verlassen und war darum verstört. Rukmiṇī fächelte Kṛṣṇa gerade Kühlung zu, und als sie die Furcht überkam, Kṛṣṇa könne sie verlassen, fiel ihr der Fächer aus der Hand, ihr Haar öffnete sich, und sie stürzte wie ein vom Sturm gefällter Bananenbaum ohnmächtig zu Boden. Über Yaṣodā, Kṛṣṇas Mutter in Vṛndāvana, wird im Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam im 36. Vers des 8. Kapitels gesagt: »Der Persönliche Gott, der in allen Veden und Upaniṣaden, in anderen autorisierten Schriften und im sāṅkhya-System der Philosophie verehrt wird, erschien, als sei Er ihr leiblicher Sohn.« Und im Zehnten Canto wird im 12. Vers des 9. Kapitels beschrieben, wie Mutter Yaṣodā den kleinen Kṛṣṇa mit einem Strick festband, damit Er nicht fortlaufen konnte, als sei Er ihr ungezogener Sohn und ein gewöhnliches Kind. Im 24. Vers des 18. Kapitels wird ein ähnliches Beispiel gegeben: »Als Kṛṣṇa von Seinen Freunden besiegt worden war, mußte Er Śrīdāmā auf den Schultern tragen.«

Kṛṣṇas Beziehungen zu den gopīs in Vṛndāvana wird ebenfalls im Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben: »Als Kṛṣṇa Śrīmatī Rādhika beim rāsa-Tanz aus der Mitte der anderen Tänzerinnen mit Sich fortnahm, dachte Śrīmatī Rādhika, Sie sei der Grund dafür, daß Kṛṣṇa all die anderen gopīs verlassen habe. Obwohl alle von gleicher Schönheit waren, glaubte Sie, Kṛṣṇa bevorzuge Sie und wolle Ihr nun Seine Zuneigung zeigen. Voller Stolz dachte Sie: »Kṛṣṇa hat all die wunderschönen gopīs verlassen, um mit Mir allein zu sein.« Laut sagte Sie dann: »Mein lieber Kṛṣṇa, Ich kann nicht mehr weiterlaufen, Meine Füße schmerzen so sehr - nimm Mich doch bitte auf Deine Schultern und trage Mich wohin Du willst.« Als Rādhika dies sagte, erwiderte Kṛṣṇa: »Komm nur zu Mir«, und sowie Er dies sagte, verschwand Er und ließ Śrīmatī Rādhika voller Reue zurück.

Als Kṛṣṇa den rāsa-Tanz verließ, klagten die gopīs verzweifelt: »Lieber Kṛṣṇa, wir haben unsere Gatten, Söhne, Verwandten, Brüder und Freunde verlassen und sind trotz ihrer wohlgemeinten Ratschläge zu Dir gekommen - Du Selbst weißt am besten warum. Du weißt, daß wir hierhergeeilt sind, weil wir vom süßen Spiel Deiner Flöte bezaubert wurden. Es ist sehr grausam von Dir, daß Du uns Mädchen und Frauen mitten in tiefer Nacht hierher gelockt und dann einfach allein gelassen hast! Das ist wirklich nicht schön von Dir.«

Das Wort »sama« bedeutet, die Gedanken nicht wahllos schweifen zu lassen, sondern auf den Höchsten Persönlichen Gott zu richten. Wer daher ständig an den Höchsten Persönlichen Gott denkt, befindet sich auf der Ebene des sama. Auf dieser Ebene versteht der Gottgeweihte, daß Kṛṣṇa das grundlegende Prinzip aller Dinge ist, die inner- und außerhalb unseres Erfahrungsbereiches liegen. Das gleiche wird in der Bhagavad-gītā erklärt; dort heißt es: »Wer nach vielen Geburten zu wahrer Erkenntnis gekommen ist, gibt sich Vāsudeva (Kṛṣṇa) hin, da er versteht, daß Kṛṣṇa allgegenwärtig ist und die gesamte kosmische Manifestation durchdringt.« Alles Existierende ist vom Höchsten Herrn geschaffen worden, und weil alles in Seiner Energie ruht, ist alles von Ihm in Seiner persönlichen Form verschieden. Dies geht auch aus dem Bhakti-rasāmṛtra-sindhu hervor, in welchem gesagt wird: »Wenn der Geist auf Kṛṣṇa gerichtet ist, hat man die Stufe des sama erreicht. Der Höchste Persönliche Gott sagt: samo mannisthata buddhi, was bedeutet, daß niemand, ohne auf die ṣānta-rati-Ebene zu gelangen, die Größe Kṛṣṇas und die Ausbreitung Seiner verschiedenen Energien kennen kann, die die Ursache aller Manifestationen sind. Das gleiche wird im Elften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam im 33. Vers des 19. Kapitel noch ausführlicher erklärt; dort heißt es: »Geistige Ausgeglichenheit (sama) kann nur von dem erreicht werden, der davon überzeugt ist, daß der Höchste Persönliche Gott der Ursprung aller Dinge ist, und der seine Sinne beherrschen kann.« Wenn man bereit ist, alle nur erdenklichen Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, um die Sinne zu beherrschen und den Geist im Gleichgewicht zu halten, nennt man dies »titikṣa« oder »Duldsamkeit«. Und wenn man das Drängen der Zunge und der Genitalien beherrschen kann, wird dies »dhṛti« genannt. Hat man die dhṛti Stufe erreicht, wird man dhīra, friedvoll. Ein friedvoller Mensch wird durch den Drang der Zunge und der Genitalien nicht mehr beunruhigt.

Die unerschütterliche Position im Kṛṣṇa-Bewußtsein, in der man seinen Geist ohne abzuschweifen auf Kṛṣṇa konzentrieren kann, nennt man ṣānta-rasa. Im ṣānta-rasa treten zwei Dinge besonders hervor: Unbeirrbares Vertrauen in Kṛṣṇa und das Aufhören aller materiellen Wünsche. Diese spezifischen Merkmale des ṣānta-rasa, die jedoch noch nichts mit Kṛṣṇa zu tun haben, gibt es auch in allen anderen rasas. Ähnlich wie Klangschwingungen, die aus dem Äther entstehen, auch in allen anderen Elementen wie Luft, Feuer, Wasser und Erde vorhanden sind, so sind die beiden Kennzeichen der ṣānta-rasa, nämlich unbeirrbarer Glaube an Kṛṣṇa und Wunschlosigkeit allem gegenüber, was nicht Kṛṣṇa ist, auch in den anderen tranzendentalen Beziehungen gegenwärtig wie dāsya (Dienerschaft), sākhya (Freundschaft), vātsalya (elterliche Zuneigung) und mādhurya-rasa (innige Liebe).

Wenn wir von etwas sprechen, was nicht Kṛṣṇa ist, so bedeutet das nicht, daß irgend etwas außerhalb von Kṛṣṇa existiert. Es kann nichts geben, was nicht Kṛṣṇa ist, weil alles ein Produkt der Energie Kṛṣṇa ist. Und da Kṛṣṇa und Seine Energien miteinander identisch sind, ist indirekt alles Kṛṣṇa. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Jedes Lebewesen hat ein Bewußtsein. Wenn dieses Bewußtsein vollständig auf Kṛṣṇa gerichtet ist, dann ist es rein und wird Kṛṣṇa-Bewußtsein genannt. Ein anderes Bewußtsein als Kṛṣṇa-Bewußtsein oder ein auf Sinnengenuß gerichtetes Bewußtsein wird »Nicht-Kṛṣṇa-Bewußtsein« genannt. In unreinem Zustand entsteht die Auffassung, es gebe etwas, das nicht Kṛṣṇa ist. Im reinen Zustand jedoch gibt es nichts außer Kṛṣṇa-Bewußtsein. Das aktive Interesse an Kṛṣṇa bei dem man glaubt, »Kṛṣṇa ist mein« oder »ich gehöre Kṛṣṇa, und es ist deshalb meine Aufgabe, Kṛṣṇa zu erfreuen«, ist eine höhere Stufe als die des ṣānta-rasa. Die Stufe des ṣānta-rasa zu erreichen, auf der das unpersönliche Brahman oder der, Paramātma verehrt werden, bedeutet, die Größe Kṛṣṇas zu erkennen. Die Verehrung des unpersönlichen Brahman und des Paramātma gehört zum Bereich der philosophischen Spekulation und des mystischen yoga. Doch wenn man sein Kṛṣṇa-Bewußtsein, d. h. sein spirituelles Verständnis, weiterentwickelt, beginnt man den Paramātma, die Überseele, als das ewig verehrungswürdige Objekt zu schätzen und gibt sich Ihm hin: bahūnāṁ janmanām ante. »Nach vielen, vielen Geburten«. Wenn man sich nach vielen Geburten, die zur Verehrung des Brahman und des Paramātma führten, dem Vāsudeva-Paramātma, dem Höchsten Herrn, hingibt und sich als den ewigen Diener Vāsudevas erkennt, erreicht man die transzendentale Ebene und ist damit eine selbstverwirklichte Seele. Da so die vertraute, enge Beziehung zur Höchsten Absoluten Wahrheit wiederaufgenommen wurde, beginnt man, dem Höchsten Persönlichen Gott in transzendentaler Liebe zu dienen, und so wandelt sich die Stufe des ṣānta-rasa, der neutralen Haltung, in dāsya-rasa Dienen.

Auf der dāsya-rasa-Stufe ist die Beziehung zum Höchsten Herrn von großer Ehrfurcht und Scheu gekennzeichnet. Die Größe des Herrn wird auch auf der Ebene des dāsya-rasa gewürdigt. Es sei hier vermerkt, daß im Zustand des ṣānta-rasa keine spirituelle Aktivität des Dienens ausgeführt wird, daß aber auf der Stufe des dāsya-rasa dieser Dienst beginnt. Deshalb finden wir im dāsya-rasa zwei Merkmale: die Eigenschaft des ṣānta-rasa und das Bewußtsein, der ewige Diener des Höchsten zu sein.

Śānta-rasa und dāsya-rasa sind zweifellos transzendentale Stufen der Liebe zu Gott, doch darüber hinaus gibt es noch die vertrauliche Zuneigung bzw. reine transzendentale Liebe. Dieses Vertrauen in die Höchste Persönlichkeit nennt man viṣrambha. Auf der Stufe des viṣrambha, der Brüderlichkeit, hat der Gottgeweihte keine Ehrfurcht oder Scheu vor dem Höchsten Persönlichen Gott. Somit gibt es in der transzendentalen Beziehung des ṣākhya-rasa drei transzendentale Eigenschaften: die Würdigung der Größe, das Gefühl der Verwandtschaft und die Beziehung der Vertrautheit ohne jede Ehrfurcht oder Scheu. In der Beziehung als Freund gibt es also eine transzendentale Eigenschaft mehr als in der des Dieners.

Die Stufe der elterlichen Zuneigung, vātsalya-rasa, ist von vier Eigenschaften gekennzeichnet; zu den drei oben genannten kommt das Gefühl des Gottgeweihten hinzu, daß der Höchste Herr von seiner Gnade abhängig ist. Als Vater oder Mutter des Höchsten Persönlichen Gottes bestraft der Gottgeweihte den Höchsten Herrn auch manchmal und glaubt, für Ihn sorgen zu müssen. Dieses transzendentale Gefühl, der Erhalter des Höchsten Erhalters zu sein, bereitet sowohl dem Gottgeweihten als auch dem Höchsten Persönlichen Gott große Freude.

Der Herr beauftragte also Śrīla Rūpa Gosvāmī, die transzendentale Schrift Bhakti-rasāmṛta-sindhu (die Wissenschaft des hingebungsvollen Dienens) zu verfassen und darin das Wesen der fünf transzendentalen Beziehungen zu beschreiben. Dort wird genau erklärt, wie sich die transzendentale Eigenschaft des ṣānta-rasa, der unbeirrbare Glaube an Kṛṣṇa, zur Beziehung als Diener, dāsya-rasa, entwickelt, dann zum sākhya-rasa und damit zur unbeirrbaren Freundschaft wird und sich noch weiter entfaltet zum transzendentalen Geschmack der elterlichen Liebe, in der der Gottgeweihte das Gefühl hat, für den Herrn sorgen zu müssen. Alle Beziehungen gipfeln schließlich im mādhurya-rasa, in der innigen Liebe, in der alle verschiedenen transzendentalen Beziehungen gleichzeitig existieren.

2. KAPITEL

Caitanya

Sanātana Gosvāmī

Ich bringe meine respektvollen Ehrerbietungen Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu dar, durch dessen Barmherzigkeit selbst ein Mensch der niedrigsten Schichten zum transzendentalen hingebungsvollen Dienen für den Herrn gelangen kann.

Nachdem Śrī Caitanya Mahāprabhu in die Lebensstufe der Entsagung, sannyāsa, eingetreten war, reiste Er durch ganz Indien und kam eines Tages auch in das Dorf Rāmakeli in Maldah, einem Bezirk in Bengalen. Dort lebten die beiden Brüder Dabir Khās und Sākara Mallik, die als Minister in der Regierung Hussain Shahs tätig waren, und die später als Sanātana Gosvāmī und Rūpa Gosvāmī bekannt wurden. Ihnen bot sich bei Caitanyas Besuch die Gelegenheit, mit dem Herrn persönlich zusammenzutreffen, der einen solch starken Eindruck in ihnen hinterließ, daß sie sich nach dieser Begegnung entschlossen, ihre Regierungsämter niederzulegen und sich Seiner saṅkīrtana-Bewegung anzuschließen. Die beiden Brüder unternahmen sofort alles Notwendige, um sich von ihren materiellen Verpflichtungen zu lösen und beauftragten zwei gelehrte brāhmaṇas, verschiedene religiöse vedische Rituale zu vollziehen, um so vollständige Freiheit für den hingebungsvollen Dienst für Kṛṣṇa zu gewinnen. Diese Vorbereitungen nennt man puraṣcarya. Der rituelle Ablauf dieses Vorgangs besteht aus einer dreimal täglich ausgeführten Verehrung der Vorväter, aus Feueropferungen und der Verteilung von Speisen an gelehrte brāhmaṇas. Im Hari-bhakti-vilāsa, der maßgeblichen Schrift für vedische Unterweisungen, werden diese Rituale näher erläutert.

Nach Beendigung der religiösen Rituale kehrte der jüngere der Brüder, Sākara Mallik (Rūpa Gosvāmī), mit einer ansehnlichen Summe Geldes, die er im Regierungsdienst erworben hatte, nach Hause zurück. Die Silber- und Goldmünzen füllten ein großes Boot, und als Rūpa Gosvāmī zu Hause angekommen war, teilte er den gesamten Reichtum und gab die eine Hälfte den brāhmaṇas und Vaiṣṇavas, die dem Höchsten Herrn ständig in Liebe und Hingabe dienen. Es ist die Aufgabe der brāhmaṇas, die Absolute Wahrheit zu verstehen, und wenn sie dann dem Herrn in tanszendentaler Liebe dienen, werden sie als Vaiṣṇavas bezeichnet. Sowohl die brāhmaṇas als auch die Vaiṣṇavas sollten vierundzwanzig Stunden am Tag im Dienst des Herrn beschäftigt sein, und weil sich Rūpa Gosvāmī ihrer wichtigen transzendentalen Stellung bewußt war, gab er ihnen fünfzig Prozent seines Reichtums. Den Rest teilte er noch einmal in zwei Hälften und gab den einen Teil seinen Verwandten und Familienangehörigen; die andere Hälfte verwahrte er für eventuelle Notfälle.

Diese Aufteilung ist beispielhaft für alle, die im spirituellen Wissen Fortschritte machen wollen. Gewöhnlich hinterläßt ein Mensch seinen gesamten Besitz seinen Angehörigen, wenn er sich von den Familienangelegenheiten zurückziehen und ein rein spirituelles Leben führen will. Doch Rūpa Gosvāmīs Verhalten soll für uns maßgebend sein. Fünfzig Prozent seines Vermögens gab er für spirituelle Zwecke, fünfundzwanzig Prozent ließ er seiner Familie zukommen, und die fünfundzwanzig Prozent, die er für persönliche Notfälle behielt, hinterlegte er bei einer Handelsgesellschaft, da es in jenen Tagen noch keine Banken gab. Weitere zehntausend Goldmünzen wurden für eventuelle Ausgaben seines älteren Bruders Sanātana Gosvāmī zurückgelegt.

Zu jener Zeit erhielt Rūpa Gosvāmī Kenntnis davon, daß Śrī Caitanya Mahāprabhu Vorbereitungen traf, von Jagannātha Purī nach Vṛndāvana zu gehen. Er sandte sofort zwei Boten aus, die verläßliche Nachrichten über die Reisepläne des Herrn einholen sollten, und bereitete sich darauf vor, nach Mathurā zu gehen, um den Herrn dort zu treffen. Soviel man weiß, erhielt Rūpa Gosvāmī vom Nawab die Erlaubnis, sich Śrī Caitanya anzuschließen, aber nicht so Sanātana Gosvāmī. Dieser übergab deshalb die ihm anvertrauten Regierungsgeschäfte seinen engsten Mitarbeitern und blieb zu Hause, um das Śrīmad-Bhāgavatam zu studieren.

Er beschäftigte etwa zehn bis zwanzig gelehrte brāhmaṇas und begann in ihrer Gesellschaft ein intensives Studium des Śrīmad-Bhāgavatam. Während er in seine Studien vertieft war, ließ er sich beim Nawab Hussain Schah wegen Krankheit entschuldigen. Der Herrscher legte jedoch auf Sanātanas Ratschläge in Regierungsfragen großen Wert, und so erschien er eines Tages unvermittelt in Sanātana Gosvāmīs Haus. Als der Nawab das Zimmer betrat, in dem sich Sanātana Gosvāmī und die brāhmaṇas zu versammeln pflegten, erhoben sich alle sofort respektvoll und boten ihm einen Sitz an, doch der Nawab wandte sich sogleich an Sanātana und sprach: »Du hast mir geschrieben, du seist krank, doch mein Arzt, den ich zu dir schickte, hat mir berichtet, daß es dir in Wirklichkeit gut geht. Es ist mir ein Rätsel, warum du vorgibst, krank zu sein, und deinen Dienst nicht versiehst, wenn du doch offensichtlich bei guter Gesundheit bist. Deshalb bin ich selbst gekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Dein Verhalten bereitet mir große Sorge. Wie du weißt, habe ich mein ganzes Vertrauen in dich und deine verantwortungsvolle Arbeit gesetzt, und da ich mich bisher auf dich verlassen konnte, war es mir möglich, mich anderen Dingen zu widmen. Wenn du nun so unerwartet deinen Dienst quittierst, war alles, was du in der Vergangenheit getan hast, vergebens. Laß dir all dies durch den Kopf gehen und sage mir dann bitte, was du zu tun gedenkst.«

Sanātana Gosvāmī erklärte dem Nawab, daß es ihm nicht länger möglich sei, als Minister tätig zu sein, und bat ihn, einen andern mit seinem Amt zu betrauen. Da wurde der Nawab sehr ärgerlich und sagte: »Dein Bruder lebt wie ein Jäger, und wenn auch du dich aus der Verwaltung zurückziehst, ist alles zu Ende.« Es wird gesagt, daß der Nawab Sanātana Gosvāmī wie seinen jüngeren Bruder behandelte. Der Nawab war gerade dabei, verschiedene Landesteile zu erobern, und liebte es außerdem, viel auf die Jagd zu gehen. Deshalb hatte er die Verwaltung des Landes gewissermaßen Sanātana Gosvāmī überlassen, und so bedrängte er ihn: »Wenn auch du dich einfach vom Regierungsdienst zurückziehst, wie soll dann die Verwaltung weitergehen?« Sanātana Gosvāmī antwortete mit Ernst: »Du bist der Herrscher von Bengalen, und du bestrafst verschiedene Verbrecher auf unterschiedliche Weise. Es steht dir also frei, jeden nach seinem Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen.« In dieser Antwort lag ein mißbilligender Hinweis auf des Herrschers Leidenschaft, Tiere zu jagen und Menschen zu töten, um sein Reich zu vergrößern. Der Nawab war intelligent genug, Sanātana Gosvāmīs Andeutung zu verstehen, und verließ zornig das Haus. Kurz darauf machte er sich auf, Orissa zu erobern, doch ordnete er zuvor an, Sanātana Gosvāmī bis zu seiner Rückkehr in den Kerker zu werfen.

Als Rūpa Gosvāmī von der Festnahme seines älteren Bruders erfuhr, sandte er durch einen Boten die Nachricht, daß die zehntausend Goldmünzen in der Verwahrung des Händlers in Bengalen dazu verwendet werden sollten, Sanātana aus dem Gefängnis des Nawab zu befreien. Dann machte er sich zusammen mit seinem jüngeren Bruder Vallabha Bhaṭṭa auf den Weg nach Vṛndāvana, um dort Caitanya Mahāprabhu zu treffen.

Sanātana bot dem Gefängniswärter für seine Freilassung fünftausend Goldmünzen und riet ihm, das Geld ohne Zögern zu nehmen; denn wenn er dieses Angebot annehme, werde er nicht nur sehr reich werden, sondern gleichzeitig etwas Gutes tun, da er Sanātana für spirituelle Aktivitäten befreie.

Der Wächter antwortete: »Natürlich möchte ich dich gehen lassen, denn du hast mir viele Dienste erwiesen und bist zudem noch Regierungsbeamter; ich weiß das, aber ich fürchte mich vor dem Nawab. Wenn er erfährt, daß du frei bist, wird er mich zur Rechenschaft ziehen. Wie kann ich also deinen Vorschlag annehmen?« Sanātana erläuterte dem Wärter daraufhin, wie dieser dem Nawab seine Flucht erklären könne, und erhöhte dann sein Angebot auf zehntausend Goldmünzen. Bei soviel Geld konnte der Wärter nicht länger widerstehen, und so ließ er ihn frei.

Sanātana machte sich sogleich auf den Weg nach Benares, wo Śrī Caitanya Mahāprabhu auf seiner Reise nach Vṛndāvana Station machen wollte. Er benutzte nicht die offenen Straßen, sondern wanderte vorsichtshalber durch die Dschungel, bis er in Pabda, einem Ort in Bihar, ankam, wo er die Herberge aufsuchte, um zu übernachten. Der Wirt, der von einem in der Herberge angestellten Astrologen darüber informiert worden war, daß Sanātana Gosvāmī Goldmünzen bei sich trage, plante, ihn des Geldes zu berauben, und sprach mit geheucheltem Respekt: »Leg dich nur zur Ruhe, o Herr, morgen früh werde ich dafür sorgen, daß du wohlbehalten aus dieser „Dschungelfalle“ herauskommst.« Die übertriebene Freundlichkeit des Wirtes machte Sanātana jedoch mißtrauisch, und so fragte er seinen Diener Iṣan, der ihn begleitete, ob dieser Geld bei sich habe; Iṣan gestand, sieben Goldmünzen mitgenommen zu haben. Es gefiel Sanātana nicht, daß der Diener soviel Geld bei sich trug, und so sagte er ärgerlich: »Warum trägst du dieses Grabgeläute mit dir herum?« Er nahm daher die sieben Goldmünzen und gab sie dem Wirt mit der Bitte, ihm den Weg durch den Dschungel zu zeigen. Er sei mit einer besonderen Mission der Regierung betraut und könne daher nicht auf gewöhnlichem Wege reisen; es wäre deshalb sehr freundlich, wenn der Wirt ihm hülfe, das Dschungelgebirge zu überqueren. Dieser antwortete: »Ich hörte, daß du acht Goldmünzen bei dir hast, und plante, dich deswegen zu töten. Aber ich sehe, daß du ein guter Mensch bist und möchte deshalb das Geld nicht annehmen. Morgen werde ich dir den Weg über die Berge zeigen.« Sanātana aber entgegnete: »Wenn du die Münzen nicht nimmst, wird jemand anderes sie stehlen oder mich sogar dafür ermorden. Deshalb ist es besser, wenn du sie an dich nimmst. Ich bitte dich darum.« Der Gastwirt sicherte ihm daraufhin seine volle Unterstützung zu und half ihm noch in derselben Nacht über die Berge.

Am nächsten Morgen bat Sanātana Gosvāmī seinen Diener, mit der achten Goldmünze, die dieser immer noch bei sich trug, umzukehren - er wolle allein weitergehen. Nachdem der Diener ihn verlassen hatte, fühlte Sanātana sich völlig frei. Mit zerrissener Kleidung und nur einem Wassertopf in der Hand wanderte er weiter. Auf dem Weg traf er seinen reichen Schwager, der ebenfalls Regierungsbeamter war und ihm eine kostbare Decke anbot. Sanātana nahm sie nur auf sein inständiges Bitten hin an; dann trennte er sich rasch von ihm und beeilte sich, nach Benares zu kommen, um endlich Caitanya Mahāprabhu zu sehen.

Als er Benares erreichte, erfuhr er zu seiner Freude, daß der Herr bereits eingetroffen war. Man sagte ihm, Śrī Caitanya Mahāprabhu halte sich im Hause von Candraṣekhara Ācārya auf, und so machte er sich unverzüglich auf den Weg dorthin. Caitanya Mahāprabhu wußte, daß Sanātana gekommen war, und bat daher Candraṣekhara, den Mann hereinzurufen, der vor der Tür saß: »Er ist ein Vaiṣṇava, ein großer Gottgeweihter.« Candraṣekhara ging nach draußen, aber er sah keinen Vaiṣṇava, sondern nur eine zerlumpte Gestalt, die ein Bettelmönch zu sein schien. Der Herr bat daraufhin, den Bettelmönch sehen zu dürfen, und als Sanātana den Innenhof des Hauses betrat, lief ihm Śrī Caitanya mit ausgebreiteten Armen entgegen und umarmte ihn. Als der Herr ihn in Seine Arme schloß, wurde Sanātana von spiritueller Ekstase überwältigt und stammelte: »Mein lieber Herr, bitte berühre mich nicht.« Beide umarmten sich jedoch wieder und weinten. Als Candraṣekhara Sanātana und Śrī Caitanya so sah, war er höchst verwundert. Śrī Caitanya bat Sanātana Gosvāmī, sich mit Ihm auf eine Bank zu setzen, und als Er dabei den Körper Sanātanas wieder berührte, bat dieser Ihn erneut: »O Herr, bitte berühre mich nicht.« Doch Śrī Caitanya erwiderte: »Ich berühre dich nur zu Meiner Läuterung, denn du bist ein großer Gottgeweihter. Durch dein hingebungsvolles Dienen kannst du das ganze Universum erlösen, so daß alle Lebewesen zu Gott zurückkehren können.«

Dann zitierte der Herr einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, der besagt, daß ein Mensch, der sich Kṛṣṇa, dem Herrn, geweiht hat und völlig in seinem Dienst aufgeht, weitaus besser ist als ein mit allen vedischen Schriften vertrauter brāhmaṇa, der dem Herrn nicht in Hingabe dient. Der Gottgeweihte kann jeden Ort und jeden Gegenstand läutern, weil er den Höchsten Herrn in seinem Herzen trägt.

In den vedischen Schriften heißt es, daß der Höchste Persönliche Gott Seine Aufmerksamkeit nicht so sehr einem Menschen schenkt, der lediglich auf allen Gebieten der Veden bewandert ist, daß Er aber einem Ihm Geweihten sehr zugetan ist - auch wenn dieser von niedriger Herkunft ist. Wenn man, statt einem brāhmaṇa, der kein Gottgeweihter ist, einem Gottgeweihten ein Almosen gibt, nimmt der Herr dieses Opfer an. Mit anderen Worten: Wenn man einem Gottgeweihten etwas gibt, opfert man es dem Herrn. Caitanya Mahāprabhu zitierte weiter aus dem Śrīmad-Bhāgavatam: »Ein brāhmaṇa, der kein Geweihter des Höchsten Herrn ist, muß als noch geringer angesehen werden als ein Mensch des niedrigsten Standes, auch wenn er die zwölf Merkmale eines brāhmaṇa besitzt und einer hochgestellten Familie angehört.« Durch hingebungsvolles Dienen kann ein Gottgeweihter seine gesamte Familie 100 Generationen in die Vergangenheit und in die Zukunft läutern, selbst wenn er aus einer caṇḍāla-(Hunde-Esser-)Familie stammt. Ein stolzer brāhmaṇa hingegen kann nicht einmal sich selbst läutern. Im Hari-bhakti-sudhodaya heißt es: »O Geweihter des Herrn, dich zu sehen ist die Vollendung der Augen, deinen Körper zu berühren ist die Vollkommenheit körperlicher Tätigkeiten, und deine Eigenschaften zu preisen ist die Vervollkommnung der Zunge - denn einen reinen Gottgeweihten wie dich findet man nur selten.«

Der Herr sagte dann zu Sanātana: »Kṛṣṇa ist sehr gütig, denn er erlöst die gefallenen Seelen. Er hat auch dich aus der Hölle, dem mahā-raurava, errettet.« Diese Hölle wird im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben. Sie ist für Menschen bestimmt, die Tiere töten. Fleischer und auch Menschen, die Tiere nur essen, verfallen dieser Hölle. Sanātana antwortete: »Ich kenne die Gnade Kṛṣṇas nicht. Aber ich weiß, daß Deine Gnade ohne mein Verdienst über mich gekommen ist, denn Du hast mich aus der Verstrickung des materiellen Lebens befreit.«

Der Herr sagte nichts dazu, sondern fragte: »Wie bist du aus dem Gefängnis entkommen? Ich hörte, daß man dich verhaftet hatte.« Sanātana erzählte Ihm daraufhin die Geschichte seiner Befreiung, und Śrī Caitanya teilte ihm mit, daß Er seine beiden Brüder getroffen und sie nach Vṛndāvana geschickt habe.

Śrī Caitanya stellte Sanātana nun Candraṣekhara vor, der Sanātana freundlich einlud, mit ihm zu Abend zu essen. Der Herr bat Candraṣekhara jedoch, Sanātana erst einmal zu einem Barbier zu bringen, um ihn wieder anständig herrichten zu lassen - Sanātana hatte sich nämlich einen langen Bart wachsen lassen, der Śrī Caitanya Mahāprabhu wenig gefiel. Er ersuchte Candraṣekhara auch, ihm neue Kleider zu geben.

Nachdem Sanātana ein Bad genommen und sich rasiert und gereinigt hatte, bat er Candraṣekhara um einige reine, gebrauchte Kleidungsstücke. Als Śrī Caitanya hörte, daß Sanātana keine neuen Kleider angenommen hatte, sondern nur einige gebrauchte Stücke, war Er sehr froh. Der Herr setzte Sich zu Tisch und bat Candraṣekhara, etwas für Sanātana aufzubewahren. Candraṣekhara bot Sanātana jedoch nicht sofort zu essen an, sondern wartete, bis der Herr Sein Mahl beendet hatte. Nach dem Essen legte sich der Herr zur Ruhe, und die auf Seinem Teller übriggebliebenen Reste wurden Sanātana gegeben.

Danach stellte Śrī Caitanya Sanātana einem gewissen brāhmaṇa aus Maharastria vor, der einer Seiner Anhänger war, und dieser brāhmaṇa lud Sanātana ein, für die Zeit, während der er sich in Benares aufhielt, täglich in seinem Hause zu essen. Sanātana erwiderte jedoch: »Solange ich in Benares bin, werde ich von Tür zu Tür betteln gehen; und der Herr wird die Güte besitzen, deine Einladung zum täglichen Mittagessen anzunehmen.«

Das Verhalten Sanātanas freute Śrī Caitanya sehr, doch Er bemerkte auch die wertvolle Decke, die Sanātana von seinem Schwager auf dem Weg nach Benares geschenkt bekommen hatte. Und obwohl Śrī Caitanya Mahāprabhu die Decke übersah, verstand Sanātana doch, daß der Herr nicht damit einverstanden war, daß er solch ein wertvolles Kleidungsstück trug, und er nahm sich vor, die Decke loszuwerden. Mit diesem Vorhaben begab er sich ans Ufer des Ganges, wo er einen Bettelmönch sah, der gerade seinen zerschlissenen Umhang wusch. Sanātana bat ihn, den alten Umhang gegen seine kostbare Decke zu tauschen, doch der arme Bettelmönch dachte, Sanātana spaße mit ihm und sagte deshalb: »Was soll das heißen? Ich hielt dich für einen ehrenwerten Herrn und nun verhöhnst du mich auf so ungehörige Weise.«

Sanātana antwortete: »Ich spaße nicht mit dir. Würdest du bitte deinen alten Umhang gegen diese Decke tauschen?« Also tauschten die beiden, und Sanātana kehrte zum Haus des Herrn zurück. Als dieser ihn nach der wertvollen Decke fragte, erzählte Sanātana von dem Tausch am Gangesufer. Der Herr war sehr zufrieden mit ihm und lobte die Handlung: »Du bist sehr klug, daß du dich von allem Haften an materiellem Reichtum frei gemacht hast.«

Diese Begebenheit lehrt uns, daß der Herr einem Menschen erst dann Eintritt in Seinen hingebungsvollen Dienst gewährt, wenn dieser sich von allen materiellen Besitztümern gelöst hat. Der Herr sagte zu Sanātana: »Es hätte nicht gut ausgesehen, wenn du als Bettelmönch von Tür zu Tür gezogen wärest und hättest eine solch wertvolle Decke getragen. Das würde deinem Auftreten als Bettler widersprochen haben, und die Leute hätten dies mit Mißtrauen bemerkt.« Sanātana erwiderte: »Alles, was ich tun kann, um mich aus der materiellen Verstrickung zu befreien, verdanke ich Deiner Gnade.« Als der Herr dies hörte, war Er sehr zufrieden mit ihm, und lange noch sprachen beide über die Wege und Möglichkeiten, Fortschritte im spirituellen Leben zu machen. Bevor Śrī Caitanya Sanātana traf, war Er einmal mit Rāmānanda Rāya, einem Haushälter-Gottgeweihten, zusammengekommen. Bei jener Begegnung, die Gegenstand eines späteren Kapitels sein wird, stellte Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya Fragen, die dieser beantwortete, als sei er der Lehrer des Herrn. Hier jedoch war es Sanātana, der die Fragen stellte, und der Herr beantwortete sie ihm.

Die Unterweisungen und Lehren Śrī Caitanyas sind für jeden von größter Bedeutung. Er lehrt uns den Vorgang des hingebungsvollen Dienens, die wesenseigene Aktivität jedes Lebewesens. All diese Themen wurden in den Gesprächen zwischen Śrī Caitanya und Sanātana Gosvāmī eingehend behandelt, und es ist die Pflicht jedes Menschen, in dieser spirituellen Wissenschaft Fortschritte zu machen. Durch die Barmherzigkeit Śrī Caitanyas war es Sanātana möglich, die richtigen Fragen zu stellen, die ihm der Herr dann auch ausführlich beantwortete.

Das Treffen zwischen Sanātana und Śrī Caitanya lehrt uns, daß man sich einem geistigen Meister wie Śrī Caitanya Mahāprabhu nähern und ihm in demütiger Haltung Fragen stellen muß, wenn man die spirituelle Wissenschaft verstehen will. Dies wird auch im Vierten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt, wo es im 34. Vers heißt, daß sich jeder, der die Wahrheit erfahren will, an eine echte Autorität wenden muß.

3. KAPITEL

Caitanya

Die Unterweisung Sanātana Gosvāmīs

Anhand der Unterweisungen, die Sanātana Gosvāmī von Śrī Caitanya empfing, können wir die Wissenschaft von Gott begreifen, besonders insofern, als es Seine transzendentale Form, Seine Fülle und Seinen hingebungsvollen Dienst betrifft; denn alles wird Sanātana Gosvāmī vom Herrn Selbst beschrieben.

Sanātana fiel dem Herrn zu Füßen und fragte Ihn mit großer Demut nach seiner wahren Identität. Er sprach: »Ich bin von niedriger Herkunft, mein Umgang ist abscheulich, ich bin der Sünde verfallen und der Elendste unter den Menschen. Ich litt im finsteren Abgrund materieller Freuden und wußte nichts vom eigentlichen Ziel des Lebens. Ich weiß nicht, was gut für mich ist. Obwohl ich nach weltlichen Gesichtspunkten das bin, was man einen großen Gelehrten nennt, bin ich doch in Wirklichkeit solch ein Narr, daß ich sogar selbst glaubte, gelehrt zu sein. In Deiner grundlosen Gnade hast Du mich als Deinen Diener angenommen und aus der Verstrickung des materiellen Lebens befreit. Sage mir nun bitte, was in diesem befreiten Zustand meine Pflicht ist.«

Diesen Worten kann man entnehmen, daß Befreiung nicht die höchste Stufe der Vollkommenheit ist. Auch wenn man befreit ist, muß man aktiv sein. Sanātana fragte unmißverständlich: »Du hast mich aus der Verstrickung des materiellen Daseins errettet; doch was muß ich nun tun, was ist meine Pflicht? Bitte erkläre mir dies alles.« Er fragte weiter: »Wer bin ich? Warum verursachen die dreifachen Leiden mir ständig Schwierigkeiten? Und letztlich, sage mir bitte, wie ich aus der materiellen Verstrickung frei werden kann. Ich weiß nicht, welche Fragen ich stellen muß, um Fortschritt im spirituellen Leben zu machen, und daher bitte ich Dich, laß mich in Deiner barmherzigen Güte alles wissen, was ich wissen muß.«

Dies ist die Haltung eines Schülers gegenüber seinem geistigen Meister. Er sollte sich dem geistigen Meister in Demut nähern und ihm dann ernsthafte Fragen über den Fortschritt im spirituellen Leben stellen.

Der Herr freute sich sehr über Sanātanas Bescheidenheit und antwortete: »Du hast Śrī Kṛṣṇas Segnungen bereits erhalten, und deshalb weißt du alles und bist frei von den Leiden des materiellen Daseins. Du bist Kṛṣṇa-bewußt und daher ist dir durch Kṛṣṇas Gnade nichts mehr unbekannt; aber weil du ein demütiger Gottgeweihter bist, bittest du Mich, dir zu bestätigen, was du bereits selbst erkannt hast. Das ist ein Zeichen von Kṛṣṇa-Bewußtsein.« Wir sehen hier die Merkmale eines wahren Gottgeweihten. Im Nārada-bhakti-sūtra wird gesagt, daß Kṛṣṇa den Wunsch eines Menschen, dem es damit ernst ist, den Herrn zu verstehen, sehr bald erfüllt. Der Herr fuhr fort: »Du bist geeignet, die Lehre des hingebungsvollen Dienens zu verstehen und zu verbreiten; deshalb ist es Meine Pflicht, dich in der Wissenschaft von Gott zu unterweisen, und so werde Ich dir alles, was du wissen mußt, ausführlich und genau erklären.«

Der Schüler hat die Pflicht, Fragen über seine wesenseigene Position zu stellen, und Sanātana hatte diese Notwendigkeit bereits erkannt, als er fragte: »Wer bin ich, und warum leide ich unter den dreifachen materiellen Leiden?« Die dreifachen Leiden nennt man adhy-ātmika, adhi-bhūtika und adhi-daivika. »Adhy-ātmika« bedeutet »durch den Körper und Geist verursacht«. Manchmal leidet ein Lebewesen körperlich und manchmal geistig - beide Leiden sind adhy-ātmika. Sogar im Leib unserer Mutter leiden wir. Es gibt viele Formen des Leids, die unseren empfindlichen Körper befallen und uns Schmerzen bereiten.

Leiden, die uns von anderen Lebewesen zugefügt werden, wie z. B. Ungeziefer oder auch feinstofflichen Wesen von anderen Planeten, nennt man adhi-bhūtika.

Die adhi-daivika-Leiden werden von den Halbgöttern auf den höheren Planeten verursacht. Zum Beispiel leiden wir manchmal unter kaltem Wetter, unter Erdbeben, Stürmen, Dürren und anderen Naturkatastrophen. Ständig sind wir einer dieser drei Arten des Leidens ausgesetzt. Sanātana fragte: »Was ist die Position der Lebewesen? Warum sind wir ständig diesen drei Arten des Leidens unterworfen?« Er gab also seine Schwäche zu, denn obwohl er der Allgemeinheit als ein großer Gelehrter bekannt war (und er war tatsächlich ein überaus belesener Sanskritgelehrter), und obwohl er die ehrende Bezeichnung »Gelehrter«, die ihm von den Menschen verliehen worden war, nicht ablehnte, wußte er doch in Wirklichkeit nicht um seine ursprüngliche Position, und warum er die dreifachen Leiden ertragen mußte.

Das Aufsuchen eines geistigen Meisters sollte nicht aus einer Laune geschehen, sondern für den bestimmt bleiben, der sich der materiellen Leiden ernstlich bewußt ist und von ihnen frei werden will. Es ist die Pflicht eines solchen Menschen, sich an einen geistigen Meister zu wenden. Wir begegnen ähnlichen Umständen in der Bhagavad-gītā: Als Arjuna die vielen Probleme verwirrte, die die Frage mit sich brachte, ob er kämpfen solle oder nicht, nahm er Śrī Kṛṣṇa als seinen geistigen Meister an. Auch dort war es der Höchste Geistige Meister, der Arjuna über die wesenseigene Position des Lebewesens unterrichtete.

In der Bhagavad-gītā erfahren wir, daß das individuelle Lebewesen vom Wesen her spirituelle Seele ist - das Lebewesen besteht nicht aus Materie -, und daß es daher ein Teil der Höchsten Seele ist, der Absoluten Wahrheit, des Persönlichen Gottes. Wir erfahren außerdem, daß es die Pflicht der Seele ist, sich der Höchsten Seele hinzugeben, denn nur dann kann sie glücklich werden. Die letzte Unterweisung der Bhagavad-gītā besagt, daß die Seele sich der Höchsten Seele, Kṛṣṇa, einfach hingeben soll, um so transzendentale Glückseligkeit zu erfahren.

Als Antwort auf die Fragen Sanātanas wiederholte Śrī Caitanya dieselbe Wahrheit, ohne jedoch näher auf die Seele einzugehen, die bereits ausführlich in der Gītā beschrieben ist. Er begann an der Stelle, an der Kṛṣṇa Seine Unterweisung beendet hatte. Große Gottgeweihte sind sich darin einig, daß Śrī Caitanya Kṛṣṇa Selbst ist. Und an der Stelle, an der Er in der Gītā Seine Unterweisung beendet hatte, fuhr Er nun fort. Diesmal unterwies Er Sanātana. Der Herr sagte: »In deiner ursprünglichen, wesenseigenen Identität bist du eine reine, lebendige Seele. Der materielle Körper ist nicht deine wirkliche Identität, und auch nicht dein Geist oder deine Intelligenz oder dein falsches Ich sind es. Deine Identität ist es, ewiger Diener des Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, zu sein, und daher ist deine Position transzendental. Die höhere Energie Kṛṣṇas ist von spiritueller Natur und die niedere, äußere Energie ist materiell. Du befindest dich zwischen der materiellen und der spirituellen Energie, und deshalb liegt deine Position im Zwischenbereich. Mit anderen Worten: Du gehörst zu Kṛṣṇas am Rande verlaufender bzw. mittlerer Energie. Du bist gleichzeitig eins mit und verschieden von Kṛṣṇa. Weil du von spiritueller Natur bist, bist du vom Wesen her von Kṛṣṇa nicht verschieden; aber weil du nur ein winziges Teilchen Kṛṣṇas bist, unterscheidest du dich gleichzeitig.«

Das Lebewesen ist für ewige Zeiten gleichzeitig eins mit und verschieden von Kṛṣṇa, denn es befindet sich im Zwischenbereich. Es läßt sich mit einem Molekül des Sonnenlichts vergleichen, während Kṛṣṇa wie die leuchtende Sonne ist. Śrī Caitanya verglich die Lebewesen mit aufflammenden Funken und den Höchsten Herrn mit der lodernden Feuerglut der Sonne. In diesem Zusammenhang zitierte Er einen Vers aus dem Viṣṇu Purāṇa, in welchem gesagt wird, daß alles in der kosmischen Welt nur eine Energie des Höchsten Herrn ist. Wie ein Feuer Licht und Wärme in alle Richtungen ausstrahlt, so entfaltet auch der Herr Seine verschiedenen Energien überall, obwohl Er Sich an einem Ort in der spirituellen Welt aufhält. Der gesamte Kosmos besteht nur aus verschiedenen Manifestationen Seiner Energie.

Die Energie des Herrn ist transzendental und spirituell, und die Lebewesen sind winzige Teile dieser Energie. Aber es gibt noch eine andere Energie, die materielle; sie ist von der Wolke der Unwissenheit bedeckt und in drei guṇas (Erscheinungsweisen) unterteilt. Śrī Caitanya zitierte aus dem Viṣṇu Purāṇa, daß all die unvorstellbaren Energien ihren Ursprung in der Höchsten Persönlichkeit des Herrn haben, und daß die gesamte kosmische Manifestation sich aus dieser herleitet.

Der Herr sagte, daß die Lebewesen auch kṣetrajña (die Kenner des Aktionsfeldes) genannt werden. Im Dreizehnten Kapitel der Gītā wird der Körper als das Aktionsfeld beschrieben und das Lebewesen als kṣetrajña, der Kenner dieses Feldes. Obwohl das Lebewesen ursprünglich mit der spirituellen Energie vertraut ist, oder zumindest die Fähigkeit zu ihrem Verstehen besitzt, ist es durch die materielle Energie überlagert und hält folglich den Körper für das Selbst. Das nennt man falsches Ich. Durch dieses falsche Ich getäuscht wechselt das verwirrte Lebewesen im materiellen Dasein verschiedene Körper und muß verschiedene Arten von Leiden ertragen. Die verschiedenartigen Lebewesen sind sich in unterschiedlichem Maße ihrer eigentlichen Identität bewußt.

Man sollte also erkennen, daß man ein winziges Bestandteil der spirituellen Energie des Höchsten Herrn ist. Die materielle Energie ist von niederer Natur, und deshalb kann sich der Mensch aus der Materie befreien und die spirituelle Energie nutzen. In der Bhagavad-gītā heißt es, daß die höhere Energie von der niederen Energie überlagert wird. Aufgrund dieser »Bedeckung« ist das Lebewesen unterschiedlichen Graden des Leidens unterworfen, die es je nach dem Grade der Überlagerung erdulden muß. Wer ein wenig Erleuchtung erfahren hat, leidet weniger, doch letzten Endes unterliegt jeder den materiellen Leiden, da die höhere Energie des Lebewesens von der materiellen Energie ganz oder teilweise überdeckt ist.

Der Herr zitierte dann den vierten Vers aus dem Siebten Kapitel der Gītā, in dem geschrieben steht, daß Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Geist, Intelligenz und falsches Ich die niedere Energie des Höchsten Herrn bilden. Die wirkliche Identität des Lebewesens liegt jedoch in der höheren Energie. Durch diese Energie bewegt sich die gesamte materielle Welt. Die kosmische Manifestation, die aus materiellen Elementen besteht, hat nicht selbst die Fähigkeit, aktiv zu sein, sondern muß von der höheren Energie manipuliert werden. Somit ist das bedingte Leben des Lebewesens im eigentlichen Sinne ein Zustand des Vergessens, in welchem man sich an seine Beziehung zum Höchsten Herrn in der höheren Energie nicht mehr erinnern kann. Wenn diese Beziehung in Vergessenheit gerät, ist bedingtes Leben die Folge. Nur wenn man seine wirkliche Identität als ewiger Diener des Herrn wiedererweckt, kann man befreit werden.

4. KAPITEL

Caitanya

Der Weise

Niemand kann zurückverfolgen, wann und wie sich das Lebewesen in die materielle Energie verstrickte. Deshalb sagte der Herr, der Zustand der Verstrickung kenne keinen Anfang. »Kein Anfang« bedeutet, daß das bedingte Leben schon vor der Schöpfung existierte. - Es manifestiert sich lediglich während und nach dieser. Weil das Lebewesen seine wahre Natur vergißt, muß es die vielen Leiden des materiellen Daseins erdulden, obwohl es eigentlich von spiritueller Natur ist. Es gibt auch Lebewesen, die nicht in die materielle Energie verstrickt sind; sie leben in der spirituellen Welt, und man nennt sie »befreite Seelen«. Sie vergessen Kṛṣṇa niemals und dienen Ihm ständig in hingebungsvoller Liebe.

Die Handlungen der Lebewesen, die dem Gesetz der materiellen Natur unterstehen, werden registriert, und in ihrem nächsten Leben erhalten sie je nach ihren Taten entsprechende Körper. Im bedingten Leben der materiellen Welt ist die Seele gezwungen, unterschiedliche Belohnungen und Strafen entgegenzunehmen. Wenn sie belohnt wird, kommt sie dank eines rechtschaffenen Lebens zu höheren Planeten, wo sie zu einem der vielen Halbgötter wird, und wenn sie für ihre abscheulichen Taten bestraft wird, kommt sie zu höllischen Planeten, wo sie noch heftigere Qualen des materiellen Daseins erleiden muß. Der Herr gab für diese Bestrafung ein treffendes Beispiel: In früheren Zeiten bestrafte der König einen Verbrecher gewöhnlich, indem er ihn in einen Fluß tauchen ließ, um ihn dann für einen Atemzug herauszuheben und daraufhin erneut ins Wasser zu tauchen. Ebenso straft und belohnt auch die materielle Natur das individuelle Lebewesen. Wenn die Natur das Lebewesen bestraft, taucht sie es ins Wasser der materiellen Leiden, und wenn sie es belohnt, hebt sie es für kurze Zeit heraus. Die Erhebung des Lebewesens zu höheren Planeten oder zu einer höheren Lebensstufe ist niemals von Dauer. Es muß früher oder später wieder herunterkommen, um erneut ins Wasser der Leiden getaucht zu werden. Das ist das Prinzip des materiellen Lebens. Manchmal wird man zu höheren Planetensystemen erhoben, und manchmal wird man in höllische Lebensbedingungen versetzt.

In diesem Zusammenhang zitierte der Herr einen treffenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, wo gesagt wird, daß das Vergessen unserer Beziehung zu Kṛṣṇa »māyā« genannt wird. »Māyā« bedeutet »das, was nicht ist«. Die Annahme, das Lebewesen habe mit dem Höchsten Herrn nichts zu tun, ist daher falsch. Manche Menschen glauben nicht an die Existenz Gottes oder denken, sie hätten keine Beziehung zu Gott; doch all das sind Illusionen - māyā. Weil sie von dieser illusionären Lebensauffassung völlig gefangen sind, haben sie ständig Ängste und Sorgen. Mit anderen Worten: Eine gottlose Lebensauffassung ist māyā, und deshalb gibt sich jemand, der die vedischen Schriften gründlich studiert hat, dem Höchsten Herrn hin und erkennt Ihn als das höchste Ziel. Wenn ein Lebewesen die wahre Natur seiner Beziehung zu Gott vergißt, wird es augenblicklich von der äußeren Energie überwältigt, und das ist der Ursprung des falschen Ichs, d. h. der Identifizierung des Körpers mit dem Selbst. Die gesamte Vorstellung, die sich der Mensch vom Universum macht, beruht auf der falschen Auffassung, er sei mit dem Körper identisch, und deshalb haftet er an seinem Körper und den Nachkommen des Körpers. Um aus dieser Verstrickung zu entkommen, braucht er nichts weiter als seine Pflicht zu tun, d. h. sich dem Höchsten Herrn mit Intelligenz, Demut und ernsthaftem Kṛṣṇa-Bewußtsein hinzugeben.

Die bedingte Seele wähnt sich glücklich in der materiellen Welt, doch wenn sie mit der Barmherzigkeit eines reinen Gottgeweihten gesegnet wird, indem sie die Gelegenheit erhält, dessen Unterweisungen zu hören, gibt sie den Wunsch nach materiellem Genuß auf und wird durch das Kṛṣṇa-Bewußtsein erleuchtet. Sowie ein Mensch sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein öffnet, verliert er das Verlangen nach materiellem Genuß und wird allmählich frei von der materiellen Verstrickung. Dort, wo Licht ist, kann es keine Dunkelheit geben, und ebenso kann dort, wo das Licht des Kṛṣṇa-Bewußtseins erstrahlt, die Dunkelheit der materiellen Sinnenfreude nicht standhalten.

Ein Kṛṣṇa-bewußter Mensch unterliegt niemals der falschen Vorstellung, er sei eins mit Gott, noch glaubt er, er könne glücklich werden, wenn er nur für sich selbst bzw. seinen Körper arbeite. Er stellt vielmehr all seine Kraft in den Dienst des Höchsten Herrn und wird so aus den Klauen der illusionierenden materiellen Energie befreit. In diesem Zusammenhang zitierte der Herr einen Vers aus dem Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā, in welchem es heißt, daß die materielle Energie, die aus drei Erscheinungsweisen besteht, sehr mächtig ist. Es ist sehr schwierig, sich dem Einfluß der materiellen Energie zu entziehen, doch wer sich Kṛṣṇa hingibt, kann mit Leichtigkeit den Klauen māyās entkommen.

Der Herr fuhr mit Seinen Unterweisungen fort, indem Er sagte, daß die bedingte Seele in jedem Moment, den sie mit einer materiell-einträglichen Tätigkeit vergeude, ihre wahre Identität vergesse. Wenn sie dann erschöpft ist, ermüdet vom materiellen Streben, sucht sie nach Befreiung und möchte eins werden mit dem Höchsten. Dann wieder glaubt sie, das Glück zu finden, indem sie hart arbeitet, um durch die Sinne genießen zu können. In beiden Fällen ist sie von der materiellen Energie überschattet. Um solche verwirrten Seelen, die nicht wissen, wer sie wirklich sind, in ihrem bedingten Zustand zu erleuchten, hat der Herr uns viele vedische Schriften gegeben, wie die Veden selbst, die Purāṇas und das Vedānta-sūtra - sie alle sollen den Menschen zurück zu Gott führen. In weiteren Unterweisungen empfiehlt der Herr der bedingten Seele, deren sich ein geistiger Meister in Gnaden angenommen hat, und die von der Überseele geleitet wird, daß sie sich nach den verschiedenen vedischen Schriften richtet; denn auf diese Weise findet sie Erleuchtung und vermag in der spirituellen Erkenntnis rasche Fortschritte zu machen. Es ist eine Tatsache, daß Śrī Kṛṣṇa Seinen Geweihten stets gütig gesinnt ist; deshalb hat er uns die vedischen Schriften gegeben, durch die wir unsere Beziehung zu Kṛṣṇa verstehen lernen können. Wenn wir dann dieser Beziehung gemäß handeln, werden wir mit Sicherheit das höchste Ziel des Lebens erreichen.

Tatsächlich ist es die Bestimmung jedes Lebewesens, den Höchsten Herrn zu erreichen, und ein jeder kann seine Beziehung zu Ihm verstehen. Die Ausführung von Pflichten mit dem Ziel, die Vollkommenheit zu erreichen, wird hingebungsvolles Dienen genannt, und im Reifezustand wird solch hingebungsvolles Dienen zur Liebe zu Gott, die das wirkliche Lebensziel jedes Lebewesens ist. Das Lebewesen ist nicht dazu bestimmt, in religiösen Ritualen, im Bemühen um wirtschaftlichen Fortschritt, im Sinnengenuß oder auch selbst in der Befreiung allein Vollkommenheit zu erreichen. Religiosität, wirtschaftliche Entwicklung, Sinnengenuß und Befreiung sollte sich das Lebewesen eigentlich gar nicht wünschen. Das wirkliche Verlangen jedes Wesens sollte es sein, die Stufe des liebevollen transzendentalen Gottdienens zu erreichen.

Die alles-anziehenden Eigenschaften Śrī Kṛṣṇas helfen uns, Kṛṣṇa-bewußt zu werden, und jeder, der sich um Kṛṣṇa-Bewußtsein bemüht, kann seine Beziehung zu Kṛṣṇa erkennen.

In diesem Zusammenhang erzählte der Herr Sanātana eine Geschichte aus dem Kommentar von Madhva, die im Fünften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam zu finden ist. Die Geschichte handelt von den Unterweisungen, die Sarvajña einem armen Mann gab, der zu ihm kam, um sich seine Zukunft prophezeien zu lassen. Als Sarvajña das Horoskop des Mannes sah, war er zuerst erstaunt, daß der Mann so arm war, doch dann sprach er zu ihm: »Warum bist du nur so unglücklich? Ich ersehe aus deinem Horoskop, daß dir dein Vater einen versteckten Schatz hinterlassen hat. Das Horoskop sagt jedoch auch, daß dein Vater dir dies nicht mehr mitteilen konnte, weil er an einem fernen Ort verstarb. Doch nun kannst du den Schatz deines Vaters suchen und glücklich werden.« Der Herr zitierte diese Geschichte, um zu zeigen, daß das Lebewesen wie ein Sohn ist, der leidet, weil er den verborgenen Schatz seines Vaters nicht kennt. Der verborgene Schatz Kṛṣṇas, des Vaters, ist die Liebe zu Gott. In allen vedischen Schriften wird der bedingten Seele der Rat erteilt, diesen Schatz, die Liebe zu Gott, zu finden. In der Bhagavad-gītā steht geschrieben, daß die bedingte Seele nicht weiß, daß sie in Wirklichkeit der Sohn des Reichsten, nämlich, des Persönlichen Gottes, ist, und deshalb sind die vedischen Schriften dazu da, ihr zu helfen, den Vater und das väterliche Eigentum zu finden.

Sarvajña riet dem armen Mann: »Versuch nicht, auf der Südseite des Hauses zu graben, um den versteckten Schatz zu finden, denn dort wirst du vergeblich suchen und schließlich wird dich ein giftiges Insekt anfallen. Auf der Südseite wirst du nur die Rituale der vedischen Schriften finden, auf der Westseite spekulatives Wissen und auf der Nordseite das yoga-System, d. h. die Meditationsvorgänge, die zur Selbsterkenntnis führen sollen. Suche auf der Ostseite, denn dort ist dir der Erfolg gewiß - dort wirst du wirkliches Licht finden in der Gestalt des hingebungsvollen Dienens, des Kṛṣṇa-Bewußtseins.«

Wenn jemand versucht, das höchste Ziel durch die Befolgung von Ritualen zu erreichen, wird er vergeblich suchen. Bei einem solchen Unternehmen werden Rituale unter der Anleitung eines bezahlten Priesters ausgeführt, und es ist ein großer Irrtum zu glauben, man könne durch derlei Handlungen glücklich werden. Selbst wenn man daraus irgendeinen Nutzen zieht, ist dieser »Gewinn« doch nur vorübergehend, und die materiellen Leiden setzen später wieder um so stärker ein. Durch solche rituellen Opferhandlungen kann also niemand wirkliches Glück erlangen; im Gegenteil: die materiellen Leiden verschlimmern sich nur noch.

Das Graben auf der Nordseite wird mit dem Suchen nach Selbsterkenntnis durch verschiedene Formen von Meditationspraktiken verglichen. Das Ergebnis solcher Praktiken ist, daß man sich eins mit dem Höchsten Herrn wähnt. Für das erhoffte Einswerden des Lebewesens mit dem Höchsten wird oft das Beispiel von der großen Schlange gegeben, die eine kleinere Schlange verschluckt. Der nach Vollkommenheit Suchende, der in die spirituelle Existenz des Höchsten eingehen will, ist wie die kleine Schlange, die verschluckt wird.

Auf der Westseite trifft man auf Yakaṣa, einen bösen Geist, der den versteckten Schatz bewacht. Niemand, der Yakaṣa um Hilfe bittet, wird den Schatz finden, sondern statt dessen nur getötet werden. Das heißt also, daß der spekulative Vorgang zur Selbsterkenntnis, auch jñāna genannt, selbstmörderisch ist, ebenso wie der Meditationsvorgang der yogīs, die wie kleine Schlangen verschluckt werden wollen. Man muß auf der Ostseite, die mit dem hingebungsvollen Dienen im vollkommenen Kṛṣṇa-Bewußtsein verglichen wird, nach dem Schatz suchen. Hingebungsvolles Dienen im Kṛṣṇa-Bewußtsein ist der verborgene Schatz, und wer ihn findet, gewinnt ewigen Reichtum. Ein Mensch, dem es an dienender Hingabe bzw. Kṛṣṇa-Bewußtsein mangelt, ist dazu verurteilt, nach materiellem Gewinn zu suchen. Manchmal erleidet er die Bisse giftiger Sinnesobjekte, dann wieder erleidet er Täuschungen und Enttäuschungen; manchmal folgt er der Philosophie des »Einsseinwollens mit Gott« und verliert seine Identität, indem er von »der großen Schlange« verschluckt wird, und ein anderes Mal gibt er sich dem üblen Geist des Spekulierens hin. Wenn er jedoch all diese Dinge aufgibt und fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein bzw. im hingebungsvollen Dienen für den Herrn verankert ist, erreicht er die Vollkommenheit des Lebens.

5. KAPITEL

Caitanya

Wie man Gott näherkommt

Alle vedischen Schriften führen den Menschen letzten Endes zur vollkommenen Stufe der Hingabe. Die Pfade der fruchtbringenden Arbeit, des spekulativen Wissens und der Meditation führen jedoch nicht zur Vollkommenheit; nur durch hingebungsvolles Dienen ist es möglich, sich dem Herrn zu nähern. Deshalb wird in vielen vedischen Schriften immer wieder empfohlen, den Vorgang des hingebungsvollen Dienens anzunehmen. In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, aus dem 14. Kapitel des Elften Cantos, wo der Herr sagt: »Mein lieber Uddhava, weder philosophische Spekulationen noch die Vollkommenheit im Beherrschen der yoga- Kräfte, noch Bußen erfreuen Mich so sehr wie das hingebungsvolle Dienen der Lebewesen.« Den Herrn kann man nur durch hingebungsvolles Dienen erreichen, und die Gottgeweihten sind die einzigen, die Ihn verehren. Selbst wenn ein Mensch in der niedrigsten Familie geboren wurde, kann er, wenn er ein Gottgeweihter wird, von aller Verunreinigung befreit werden. Hingebungsvolles Dienen ist der einzige Weg, den Höchsten Persönlichen Gott zu erreichen.

Es ist der einzige Pfad, der zur Vollkommenheit führt, und das wird von allen vedischen Schriften bestätigt. Ein armer Mann, der einen Schatz findet, wird sogleich glücklich. Ähnlich verschwinden die Leiden des materiellen Daseins augenblicklich, wenn man sich im hingebungsvollen Dienen betätigt. Wenn man dann im hingebungsvollen Dienen fortschreitet, erlangt man Liebe zu Gott, und wenn man in der Liebe zum Höchsten Fortschritte macht, wird man von der materiellen Fessel befreit. Das Ende der Armut bzw. die Befreiung aus der materiellen Bedingtheit sind freilich nicht die Endergebnisse der Liebe zu Kṛṣṇa. Die Liebe zu Kṛṣṇa, die Liebe zu Gott, besteht aus der Freude, die im Austausch des gegenseitigen hingebungsvollen Dienens empfunden wird. In allen vedischen Schriften wird bestätigt, daß es das Ziel des hingebungsvollen Dienens ist, diese liebevolle Beziehung zwischen dem Höchsten Herrn und den Lebewesen wiederzuerwecken. Unsere eigentliche Aufgabe ist hingebungsvolles Dienen, und das Ziel, das wir letztlich erreichen müssen, ist Liebe zu Gott. Deshalb ist Kṛṣṇa der eigentliche Mittelpunkt in allen vedischen Schriften. Besitzt man Wissen über Kṛṣṇa, sind alle Probleme des Lebens gelöst.

In den Purāṇas wird unter anderem erklärt, auf welche Weise die verschiedenen Halbgötter verehrt werden sollen. Solche Informationen verwirren viele Menschen, die schließlich glauben, die Halbgötter seien die höchsten Wesen. Nach einem sorgfältigen Studium der Purāṇas wird man jedoch erkennen, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, als Einziger der Verehrung würdig ist. Zum Beispiel handelt das Markandeya Purāṇa von der Devi-Verehrung, besonders von der Verehrung der Göttin Durga oder Kālī; in derselben Schrift wird jedoch auch gesagt, daß alle Halbgötter - auch Durga oder Kālī - nur verschiedene Energien Viṣṇus sind. Deshalb offenbart selbst das Studium der Purāṇas Viṣṇu, den Höchsten Persönlichen Gott, als den allein Verehrungswürdigen.

Die Schlußfolgerung lautet also, daß alle Arten der Verehrung direkt oder indirekt eine Verehrung des Höchsten Persönlichen Gottes Kṛṣṇas darstellen. In der Bhagavad-gītā wird bestätigt, daß jeder, der die Halbgötter verehrt, in Wirklichkeit Kṛṣṇa verehrt, denn die Halbgötter sind verschiedene Körperteile Viṣṇus bzw. Kṛṣṇas; doch es wird auch gesagt, daß die Verehrung der Halbgötter den intelligenten Menschen nicht empfohlen wird.

Das Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt dies durch die Frage: »Was ist der Zweck der Halbgötterverehrung?« In den vedischen Schriften gibt es verschiedene Kapitel, die rituelle Handlungen zum Thema haben. Eines heißt karma-kāṇḍa* und ein anderes upaṣāṇa-kāṇḍa**. Worin liegt nun der Sinn der Rituale, die in den Veden empfohlen werden, und wozu dienen die verschiedenen Halbgötter? Und was hat es für einen Sinn, philosophische Spekulationen über die Absolute Wahrheit anzustellen? Das Śrīmad-Bhāgavatam antwortet, daß all diese Methoden, die in den vedischen Schriften erklärt werden, direkt oder indirekt eine Verehrung des Höchsten Herrn Viṣṇu darstellen. Opferriten sollen den Höchsten Herrn Viṣṇu erfreuen, denn yajñas, Opfer, dienen eigentlich nur zur Zufriedenstellung Viṣṇus. Aus diesem Grund trägt Viṣṇu auch den Namen Yajñeṣvara (der Herr der Opferdarbringungen).

* Dort werden rein rituelle Aktivitäten behandelt.
** Dieses Kapitel befaßt sich mit Spekulationen über die Höchste Absolute Wahrheit.

Die Neulinge befinden sich nicht alle sogleich auf der transzendentalen Ebene, und deshalb wird ihnen geraten, je nach ihrer Position in den verschiedenen Erscheinungsweisen der materiellen Natur die verschiedenen Halbgötter zu verehren, so daß sie allmählich auf die transzendentale Ebene erhoben werden und schließlich beginnen, Viṣṇu, dem Höchsten Persönlichen Gott, in Hingabe zu dienen. Es kann z. B. sein, daß einige der Neulinge dem Fleischessen verhaftet sind; ihnen schreiben die Purāṇas vor, Fleisch nur dann zu essen, wenn sie es zuvor der Göttin Kālī geopfert haben.

Das Wissen, das in den philosophischen Teilen der vedischen Hymnen gegeben wird, soll es dem Menschen ermöglichen, zwischen māyā und dem Höchsten Persönlichen Gott zu unterscheiden. Wenn man die Position māyās erkannt hat, wendet man sich dem Höchsten Persönlichen Gott in reiner dienender Hingabe zu. Das ist der eigentliche Zweck der philosophischen Spekulationen. Im Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā wird dies bestätigt: bahūnāṁ janmanām ante. »Nachdem die spekulierenden und empirischen Philosophen viele, viele Leben hindurch ihre theoretischen Betrachtungen angestellt haben, erkennen sie, daß der Höchste Herr, Kṛṣṇa, Vāsudeva, alles ist.« Deshalb ist letzten Endes Kṛṣṇa das Ziel aller vedischen Rituale, das Ziel der verschiedenen Arten der Verehrung und auch das Ziel der philosophischen Spekulationen.

Der Herr erzählte Sanātana Gosvāmī dann von Kṛṣṇas unzähligen Formen und Erweiterungen und von Seiner unbegrenzten Fülle. Er beschrieb ebenfalls das Wesen der spirituellen Welt, der materiellen Manifestationen und der Lebewesen. Er belehrte Sanātana Gosvāmī weiterhin darüber, daß die Universen der spirituellen Welt Vaikuṇṭhas genannt würden, und die Universen der materiellen Welt als verschiedenartige Manifestationen zu verstehen seien; denn sie seien Manifestationen zweier verschiedener Energien - der materiellen und der spirituellen Energie. Kṛṣṇa Selbst weile stets in Seiner spirituellen oder inneren Energie.

Um uns den Unterschied zwischen den Manifestationen der spirituellen und der materiellen Energie verständlich zu machen, gibt uns das Śrīmad-Bhāgavatam im Zweiten Canto eine klare Analyse der beiden. Auch Śukadeva Gosvāmī gibt in seinem Kommentar zum 1. Vers des Zehnten Cantos eine ähnlich klare analytische Studie. Śrī Caitanya erkannte Śukadeva Gosvāmī als einen autorisierten Kommentator des Śrīmad-Bhāgavatam an. Deshalb zitierte Er in diesem Zusammenhang aus dessen Schriften und erklärte: »Im Zehnten Canto werden das Leben und die Taten Kṛṣṇas beschrieben, weil Kṛṣṇa alle Manifestationen in Sich birgt. Deshalb verehrt Śukadeva Gosvāmī die Zuflucht alles Existierenden, Kṛṣṇa, und bringt Ihm seine Ehrerbietungen dar.« In dieser Erklärung wird die Feststellung getroffen, daß es zwei verschiedene Prinzipien in dieser Welt gibt: Das erste Prinzip ist der Ursprung oder der Ruheort aller Dinge, und das zweite Prinzip ist eine Ableitung des ersten. Die Höchste Wahrheit birgt alle Manifestationen in Sich und wird deshalb auch »āṣraya« genannt. Alle anderen Prinzipien, die unter der Kontrolle des āṣraya-tattva stehen, werden »āṣṛta« oder »untergeordnete Folgeerscheinungen und Reaktionen« genannt. Die materielle Manifestation dient dem Zweck, der bedingten Seele die Möglichkeit zu geben, befreit zu werden und zum āṣraya-tattva, zur Absoluten Wahrheit, zurückzukehren.

Alles in der kosmischen Schöpfung ist vom āṣraya-tattva, von der Höchsten Absoluten Wahrheit, abhängig. Somit sind die schöpfende Manifestation oder Viṣṇu-Manifestation, die verschiedenen Halbgötter und verschiedenen Manifestationen der Energie, die Lebewesen und die materiellen Elemente alle auf Kṛṣṇa, die Höchste Wahrheit, angewiesen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß alles, direkt oder indirekt, von Kṛṣṇa erschaffen und erhalten wird. Deshalb verfügt derjenige, der Kṛṣṇa verstanden hat, über vollkommenes Wissen.

Śrī Caitanya bat Sanātana Gosvāmī, Ihm aufmerksam zuzuhören, und ging dann zur Beschreibung der verschiedenen Erscheinungsformen Śrī Kṛṣṇas über. Er sagte: »Kṛṣṇa ist ursprünglich der Sohn von Nanda Mahārāja und lebt, obwohl Er die Höchste Absolute Wahrheit, die Ursache aller Ursachen und der Ursprung aller Emanationen und Inkarnationen ist, als Hirtenjunge in Vraja, in Goloko Vṛndāvana. Seine Gestalt ist ewig, glückselig und voll absoluten Wissens. Er ist die Zuflucht alles Existierenden und der Besitzer und Herr aller Dinge.«

In diesem Zusammenhang bezog sich Śrī Caitanya auf die Aussage des 1. Verses im 5. Kapitel der Brahma-saṁhitā, wo bestätigt wird, daß Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist, und daß Sein Körper aus ewigem Wissen und ewiger Glückseligkeit besteht. Er ist die ursprüngliche Person, Govinda, und Er ist die Ursache aller Ursachen. Kṛṣṇa ist also der Ursprüngliche Persönliche Gott; Er besitzt alle sechs Füllen in vollem Ausmaß, und Sein Reich, das höchste Planetensystem im spirituellen Himmel, heißt Goloko Vṛndāvana.

Śrī Caitanya zitierte auch einen Vers aus dem 3. Kapitel des Ersten Cantos, in dem unmißverständlich gesagt wird, daß alle Inkarnationen, entweder direkte Erweiterungen Kṛṣṇas oder indirekte Erweiterungen, d. h. Erweiterungen der Erweiterungen Kṛṣṇas sind. Mit dem Namen »Kṛṣṇa«, der in diesem Zusammenhang gebraucht wird, ist der Ursprüngliche Persönliche Gott gemeint, der auf dieser Erde, in diesem Universum und auch in jedem anderen Universum erscheint, wenn die Dämonen, die ständig versuchen, die Verwaltung der Halbgötter zu stören, zu mächtig werden.

Es gibt drei Wege, Kṛṣṇa zu verstehen: den Weg der empirischen philosophischen Spekulation, den Weg der Meditation im mystischen yoga-System und den Pfad des Kṛṣṇa-Bewußtseins, des hingebungsvollen Dienens. Dementsprechend gibt es auch drei Arten der Verwirklichung: 1.) Durch empirische philosophische Spekulation erkennt man den unpersönlichen Brahman-Aspekt Kṛṣṇas; 2.) durch Meditation bzw. yoga-Mystik erkennt man die Überseele, die alldurchdringende Erweiterung Kṛṣṇas, und 3.) durch hingebungsvolles Dienen in vollkommenem Kṛṣṇa-Bewußtsein erkennt man Kṛṣṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, in Seiner ursprünglichen Gestalt.

In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya aus dem Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam den 11. Vers des 2. Kapitels, in dem es heißt, daß diejenigen, die die Absolute Wahrheit kennen, diese auf dreierlei Weise beschreiben: Einige beschreiben Sie als unpersönliches Brahman, einige beschreiben Sie als die lokalisierte alldurchdringende Überseele und einige wissen, daß der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, die Absolute Wahrheit ist. Mit anderen Worten: Brahman, die unpersönliche Manifestation, Paramātmā, die lokalisierte Manifestation, und Bhagavān, der Höchste Persönliche Gott, sind eins; aber je nach dem Pfad der Erkenntnis, den man beschreitet, erkennt man Kṛṣṇa in verschiedenen Aspekten.

Die unpersönliche Brahman-Erkenntnis ist lediglich die Erkenntnis der Ausstrahlung, die von Kṛṣṇas transzendentalem Körper ausgeht. Dies mag das Beispiel der Sonne erläutern, die ebenfalls drei Aspekte hat: das Sonnenlicht, den Sonnenplaneten und den Sonnengott. Das brahmajyoti, das unpersönliche Brahman, das mit dem Sonnenlicht verglichen wird, ist nichts anderes als die persönliche Ausstrahlung Kṛṣṇas.

Um diese Analyse zu belegen, zitierte Śrī Caitanya einen wichtigen Vers aus der Brahma-saṁhitā, in dem Brahmā sagt: »Ich verehre Govinda, den Höchsten Persönlichen Gott, durch dessen persönliche Ausstrahlung sich das unbegrenzte brahmajyoti manifestiert, in dem unzählige Universen schweben.«

Śrī Caitanya sagte weiterhin, daß der Paramātmā, der alldurchdringende Aspekt, der Sich im Körper jedes Lebewesens befinde, lediglich eine teilweise Manifestation bzw. Erweiterung Kṛṣṇas sei. Weil Kṛṣṇa die Seele aller Seelen ist, nennt man Ihn Paramātmā, das Höchste Selbst.

Śrī Caitanya zitierte einen weiteren Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, diesmal aus den Gesprächen zwischen Mahārāja Parīkṣit und Śukadeva Gosvāmī, aus dem hervorgeht, daß Mahārāja Parīkṣit, während er über Kṛṣṇas transzendentale Spiele in Vṛndāvana hörte, seinen geistigen Meister fragte, warum die Einwohner von Vṛndāvana so sehr an Kṛṣṇa hingen. Śukadeva Gosvāmī antwortete: »Man muß wissen, daß Kṛṣṇa die Seele aller Seelen ist. Er ist die Seele aller individuellen Seelen, und Er ist auch die Seele des lokalisierten Paramātmā. Er spielt die Rolle eines gewöhnlichen Menschen, um alle Lebewesen zu Sich hinzuziehen und jedem zu zeigen, daß Er nicht formlos ist.«

Er ist im Grunde wie jedes andere Lebewesen - nur ist Er der Höchste, und alle anderen sind Ihm untergeordnet. Deshalb können alle Lebewesen in Seiner Gesellschaft spirituelle Glückseligkeit, ewiges Leben und vollkommenes Wissen erfahren. Śrī Caitanya zitierte auch einen Vers aus der Bhagavad-gītā, in welchem der Höchste Herr zu Arjuna über Seine verschiedenen Füllen spricht und sagt, daß Er durch eines Seiner vollständigen Teile, nämlich Garbhodakaṣāyī Viṣṇu, in jedes Universum eingeht und Sich dann als Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu, als Überseele, in das Herz jedes Lebewesens erweitert. Wer also die Höchste Absolute Wahrheit vollkommen verstehen will, muß sich dem hingebungsvollen Dienen in vollem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwenden. - Nur so wird man die Absolute Wahrheit in Ihrem höchsten Aspekt erkennen können.

6. KAPITEL

Caitanya

Kṛṣṇas unzählige Formen sind eins

Durch hingebungsvolles Dienen kann man verstehen, daß Kṛṣṇa Sich als erstes in Seiner transzendentalen Form als svayam-rūpa manifestiert, dann als tadekātma-rūpa und schließlich als aveṣa-rūpa. Der svayam-rūpa-Aspekt Kṛṣṇas ist eine Gestalt, in der Er von demjenigen verstanden werden kann, der vielleicht nicht in der Lage ist, Seine weiteren Aspekte zu begreifen. Mit anderen Worten, die Gestalt, in der man Kṛṣṇa als erstes direkt verstehen kann, wird svayam-rūpa oder Seine persönliche Form genannt. Die tadekātma-rūpa ist eine Form, die der svayam-rūpa sehr stark ähnelt, sich aber in einigen körperlichen Merkmalen unterscheidet. Diese tadekātma-rūpa manifestiert sich in zwei Aspekten: die persönliche Erweiterung und die Erweiterung, welche die transzendentalen Spiele entfaltet. So ermächtigt Kṛṣṇa manchmal ein geeignetes Lebewesen, Ihn zu repräsentieren. Solch einen Stellvertreter des Höchsten Herrn nennt man aveṣa-rūpa oder ṣaktyāveṣāvatāra.

Die persönliche Gestalt Kṛṣṇas ist in zwei weitere Formen unterteilt: in die svayam-rūpa und die svayam-prakāṣa. In Seiner svayam-rūpa (der Gestalt, in der Er Seine transzendentalen Spiele offenbart), bleibt Er immer bei den Einwohnern von Vṛndāvana. Diese persönliche Form teilt sich wieder in zwei Aspekte, die als prabhāva- und vaibhava-Formen bekannt sind. Zum Beispiel erweitert Sich Kṛṣṇa im rāsa-Tanz in mannigfache Gestalten, um mit jeder einzelnen gopī zu tanzen. Und in Dvārakā erweiterte Er Sich, als Er 16 108 Prinzessinnen heiratete, in 16 108 Formen. Es gibt einige große Mystiker, die sich ebenfalls erweitern können, doch mit dieser Art der Expansion, die durch yoga möglich ist, hat Kṛṣṇa nichts zu tun. Saubhari Ṛṣi z. B., ein Weiser, erweiterte sich durch seine yoga-Kräfte in acht Formen, doch diese Ausweitungen waren lediglich eine achtfache Manifestation seines ursprünglichen Körpers. Wenn dagegen Kṛṣṇa Sich in verschiedenartige Gestalten erweitert, ist jede einzelne eine gesonderte individuelle Persönlichkeit. Als Nārada Muni Kṛṣṇa in mehreren Palästen in Dvārakā besuchte, war er erstaunt, Kṛṣṇa in so vielen Formen zu sehen. Nārada wäre niemals erstaunt gewesen, die Erweiterungen eines yogī zu sehen, da er diese Kunst selbst beherrscht; doch er war verwundert, als er sah, daß der Herr in jedem einzelnen der 16 108 Paläste in einer anderen Gestalt mit einer Seiner Königinnen zusammen war. Zum Beispiel sprach Er in einer Form gerade mit einer Seiner Frauen, während Er in einer anderen Form mit Seinen Kindern spielte und in wieder einer anderen Form Pflichten im Hause verrichtete. Diese verschiedenen Aktivitäten nennt man »emotionsbedingte Handlungen«, und wenn Er Sich in diesen »emotionellen Formen« zeigt, nennt man diese Expansionen »vaibhava-prakāṣa«. In ähnlicher Weise gibt es noch unbegrenzt viele andere Erweiterungen der Formen Kṛṣṇas; aber selbst wenn sich diese wiederum unbegrenzt teilen oder ausweiten, bleiben sie doch immer eins; denn weil der Höchste Persönliche Gott absolut ist, besteht kein Unterschied zwischen Seinen verschiedenen Formen.

Im 40. Kapitel des Zehnten Cantos des Śrīmad-Bhāgavatam wird berichtet, wie Akrūra, als er Kṛṣṇa und Balarāma von Gokula nach Mathurā brachte, während einer Rast im Wasser der Yamunā ein Bad nahm und dort plötzlich den spirituellen Himmel mit allen Planeten sah. Er sah auch den Herrn in Seiner Viṣṇu-Form zusammen mit Nārada und den vier Kumāras, die Ihm ihre Gebete darbrachten. In diesem Zusammenhang wird im Śrīmad-Bhāgavatam das Wort »Form« gebraucht. Im Bhāgavata Purāṇa* wird gesagt, daß es viele Menschen gibt, die durch verschiedene Arten der Verehrung geläutert wurden. Zu ihnen gehören die Vaiṣṇavas und Āryans, die den Höchsten Herrn je nach ihrer Überzeugung und ihrem spirituellen Verständnis verehren. Bei jeder Art der Verehrung richtet sich die Aufmerksamkeit auf eine andere Form des Herrn, aber letztlich muß man dazu kommen, den Höchsten Herrn Selbst zu verehren.

*Śrīmad-Bhāgavatam

In Seinem vaibhava-prakāṣa-Aspekt manifestiert Sich Kṛṣṇa als Balarāma. Balarāma ist so gut wie Kṛṣṇa Selbst; Die beiden Formen unterscheiden Sich nur darin, daß Kṛṣṇa eine blauschwarze Hautfarbe hat, während Balarāma weiß ist. Kṛṣṇa zeigte Seine vaibhava-prakāṣa Form ebenfalls, als Er Devakī in Seiner vierarmigen Nārāyaṇa-Form erschien. Auf Bitten Seiner Eltern hin nahm Er schließlich Seine zweiarmige Gestalt an. Manchmal erscheint Er also vierarmig und ein anderes Mal zweiarmig. Wenn Er eine zweiarmige Gestalt annimmt, ist Er vaibhava-prakāṣa, und wenn Er vierarmig erscheint, ist Er vaibhava-vilāsa. In Seiner persönlichen Form sieht Er aus wie ein Hirtenjunge und hält Sich auch für einen solchen; aber wenn Er Sich in Seiner Vāsudeva-Form befindet, sieht Er Sich als Sohn eines kṣatriya und denkt und handelt auch wie ein kṣatriya.

Seine wunderschöne Gestalt, Seine Stärke, Seine Schönheit, Sein Reichtum, Seine Anziehungskraft und Seine Spiele kommen jedoch nur in Seiner Form als Govinda (Kṛṣṇa), als Sohn Nandas, in vollkommener Weise zum Ausdruck. In einigen Vaiṣṇava-Schriften wird erwähnt, daß Er Sich in Seiner Form als Vāsudeva manchmal zu Seiner Form als Govinda in Vṛndāvana hingezogen fühlt. Manchmal wünscht Er Sich als Vāsudeva, Er könnte Sich ebenso erfreuen wie Govinda, obwohl die Govinda-Form und die Vāsudeva-Form im Grunde eins sind. Im 4. Kapitel der Lalita-mādhava sagt Kṛṣṇa zu Uddhava: »Mein lieber Freund, zu Govinda, dem Hirtenjungen, fühle Ich Mich sehr hingezogen, und Ich möchte daher am liebsten eines der Mädchen von Vraja sein, denen es ebenso geht wie Mir.« Und im 8. Kapitel sagt Kṛṣṇa: »Oh, wie wunderschön dieser bläuliche Jüngling ist. Wer ist Er, und wie heißt Er? Seitdem ich Ihn zum ersten Mal sah, fühle Ich Mich sehr zu Ihm hingezogen und möchte Ihn umarmen wie Rādhika.« Wenn sich diese Form Kṛṣṇas ein wenig verändert, nennt man sie tadekātma.

In der tadekātma-Form gibt es wieder zwei Aspekte: der eine wird svaṁṣa und der andere vilāsa genannt. Sowohl in der vilāsa- als auch in der svaṁṣa-Form gibt es wieder viele unterschiedliche Aspekte, die weiter in prabhāva und vaibhava unterteilt werden. Was die vilāsa-Form betrifft, so gibt es unzählige prabhāva-vilāsas: Manchmal sieht Sich Kṛṣṇa als Kuhhirtenjunge und manchmal als der Sohn Vāsudevas, als kṣatriya - und dieses »Sich-Sehen« Kṛṣṇas nennt man »Sein transzendentales Spiel«.

In Seinen prabhāva-prakāṣa- und prabhāva-vilāsa-Formen erscheint Er als Kṛṣṇa und Balarāma. In Seinen Erweiterungen als Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha erscheint Er in der ursprünglichen caturvyuha, der vierarmigen Form.

Auf den unzähligen spirituellen Vaikuṇṭha-Planeten und auch an anderen transzendentalen Orten halten sich zahllose vierarmige Manifestationen Kṛṣṇas auf. Zum Beispiel sind die eben erwähnten vierarmigen Formen in Dvārakā und Mathurā ewiglich gegenwärtig. Von diesen vier Formen gehen die ursprünglichen vierundzwanzig vaibhava-vilāsa-Formen aus, die sich durch die verschiedenen Symbole unterscheiden, die sie in den Händen halten. Auf den Vaikuṇṭha-Planeten manifestiert Sich Kṛṣṇa in einer »Nārāyaṇa« genannten vierarmigen Form, und dieser Nārāyaṇa erweitert Sich weiter in die vier oben genannten Formen (Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha). Nārāyaṇa ist also das Zentrum, der Ursprung, von dem die vier anderen Formen ausgehen.

Jede der vier Formen erweitert sich in drei weitere, und diese insgesamt zwölf Nārāyaṇa-Formen tragen, je nach den verschiedenen Zeichen in Ihren Händen, verschiedene Namen: Die drei Erweiterungen der Vāsudeva-Form heißen Keṣava, Nārāyaṇa und Mādhava; die drei Formen Saṅkarṣaṇas sind Govinda* , Viṣṇu und Madhusūdana; die drei Formen Pradyumnas tragen die Namen Trivikrama, Vāmana und Śrīdhara, und die drei Formen Aniruddhas werden Hṛṣikeṣa, Padmanābha und Dāmodara genannt.

* Diese Govinda-Form ist nicht identisch mit der Govinda-Form, die in Vṛndāvana als Sohn Nandas manifestiert ist.

7. KAPITEL

Caitanya

Die unzähligen Formen Gottes

Die im vorherigen Kapitel aufgeführten zwölf Vaikuṇṭha-Formen Śrī Kṛṣṇas sind die vorherrschenden Gottheiten der zwölf Monate. Bei den Vaiṣṇavas tragen die Monate verschiedene Namen Kṛṣṇas. Ihr Kalender beginnt mit dem Monat Margaṣirṣa, was dem späten Oktober entspricht. Den Monat November nennen die Vaiṣṇavas Keṣava; der Dezember heißt Nārāyaṇa, der Januar Mādhava und der Februar Govinda. März heißt Viṣṇu, April Vāsudeva, Mai Trivikrama und Juni Vāmana; Juli heißt Śrīdhara, August Hṛṣīkeṣa, September Padmanābha, und der Oktober heißt Dāmodara.*

Auch die Zeichen, mit denen die Vaiṣṇavas bestimmte Stellen am Körper markieren, sind mit diesen zwölf Namen des Höchsten Herrn benannt. Das Zeichen auf der Stirn heißt Keṣava, das in der Nabelgegend Nārāyaṇa, das auf der Brust Mādhava, das auf der Kehle Govinda, das auf der rechten Hüfte Viṣṇu, das auf dem unteren Teil des rechten Oberarms Madhusūdana, das auf dem oberen Teil Trivikrama, das auf der linken Hüfte Vāmana, das auf dem unteren Teil des linken Oberarms Śrīdhara, das auf dem oberen Teil Hṛṣīkeṣa, das auf dem Nacken Padmanābha, das auf dem Rückenansatz Dāmodara und das auf dem Scheitel Vāsudeva.

Die vier Formen Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha erweitern sich auch als vilāsa-murtis. Als solche manifestieren sie sich in acht Formen, und zwar als Puruṣottama, Acyuta, Nṛsiṁha, Janārdana, Hari, Kṛṣṇa, Adhokṣaja und Upendra. Adhokṣaja und Puruṣottama sind die vilāsa-Formen Vāsudevas; Upendra und Acyuta sind die vilāsa-Formen Saṅkarṣaṇas, Nṛsiṁha und Janārdana sind die vilāsa-Formen Pradymnas, und Hari und Kṛṣṇa** sind die beiden vilāsa-Formen Aniruddhas.

* Dieser Dāmodara ist nicht zu verwechseln mit dem Dāmodara aus Vraja. Kṛṣṇa erhielt in Vraja den Namen Dāmodara, weil Seine Mutter Ihn mit Stricken fesselte - die Dāmodara-Form des Oktobers ist jedoch eine andere Manifestation.

** Der hier genannte Kṛṣṇa ist von dem ursprünglichen Kṛṣṇa verschieden.

Diese vierundzwanzig Formen nennt man die vilāsa-Manifestationen der prabhāva-(vierarmigen)Form, und sie tragen je nach der Anordnung der Symbole in Ihren Händen, nämlich der Keule, des Feuerrades, der Lotosblüte und des Muschelhornes, verschiedene Namen. Diese vierundzwanzig Formen teilen sich wieder in vilāsa- und vaibhava-Formen. Die bereits erwähnten Formen wie Pradyumna, Trivikrama, Vāmana, Hari und Kṛṣṇa unterscheiden sich ebenfalls in ihrem Aussehen voneinander. Die prabhāva-vilāsa Kṛṣṇas, die aus Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha besteht, erweitert sich in insgesamt vierundzwanzig Formen. Sie alle haben im spirituellen Himmel ihre jeweiligen Vaikuṇṭha-Planeten, die in acht verschiedenen Richtungen liegen. Und obwohl sich jede der Formen ewiglich im spirituellen Himmel befindet, manifestieren sich doch einige von ihnen auch in der materiellen Welt.

Im spirituellen Himmel sind die Planeten, auf denen Nārāyaṇa residiert, ewig. Der höchste Planet heißt Kṛṣṇaloka oder Goloka Vṛndāvana, und dieser Planet besteht aus drei Teilen: Vṛndāvana, Mathurā und Dvārakā. In Vṛndāvana weilt Kṛṣṇa in Seiner ursprünglichen, zweiarmigen Gestalt; in Mathurā befindet Er Sich in Seiner Keṣava-Form und in Dvārakā hält Er Sich als Vāsudeva auf. Er ist aber auch auf unserem Erdenplaneten gegenwärtig. In Indien gibt es den Ort Mathurā, wo die Keṣava-murti verehrt wird, und in Jagannātha Purī, in Orissa, hält sich noch heute eine Puruṣottama-Form auf. In Ānandaraṇya weilt die Form Viṣṇus, und in Māyāpūra, dem Geburtsort Śrī Caitanyas, befindet sich die Hari-Form. Und so gibt es an noch vielen anderen Orten der Erde weitere Formen Kṛṣṇas. Sie sind nicht nur in unserem Universum, sondern auch in allen anderen Universen zu finden. In den vedischen Schriften wird erklärt, daß die Erde aus sieben Inseln besteht, und daß sich auf jeder dieser Inseln solche Formen befinden.

Diese unterschiedlichen Formen Kṛṣṇas sind über die ganze Welt und in allen Universen verbreitet, um den Gottgeweihten Freude zu bereiten. Man sollte jedoch nicht meinen, daß nur in Indien Gottgeweihte geboren werden. - Überall auf der Welt gibt es Gottgeweihte, nur haben sie ihre wahre Identität vergessen. Gott erscheint in verschiedenen Formen - nicht nur zur Freude der Gottgeweihten, sondern auch, um die Dämonen zu vernichten und die Prinzipien des hingebungsvollen Dienens wieder einzuführen. Einige dieser Formen sind Inkarnationen wie z. B. die Viṣṇu-, die Nṛsiṁha- und die Vāmana-Inkarnation.

In der Siddharta-saṁhitā findet man eine Beschreibung der vierundzwanzig Formen Viṣṇus, die nach den unterschiedlich angeordneten Symbolen in ihren Händen verschiedene Namen tragen. Wenn man die verschiedenen Symbole in den Händen der Viṣṇu-murtis beschreibt, sollte man mit der Aufzählung bei der unteren rechten Hand beginnen, dann zur oberen rechten Hand gehen, dann zur oberen linken Hand und zuletzt zur linken Hand. Somit wird Vāsudeva durch Keule, Muschelhorn, Feuerrad und Lotos repräsentiert; Saṅkarṣaṇa durch Keule, Muschelhorn, Lotos und Feuerrad; Pradyumna durch Feuerrad, Muschelhorn, Keule und Lotos, und Aniruddha durch Feuerrad, Keule, Muschelhorn und Lotos. Die zwanzig Formen Nārāyaṇas im spirituellen Himmel werden wie folgt aufgezählt: Hṛṣīkeṣa wird durch Muschelhorn, Feuerrad, Lotos und Keule repräsentiert; Nārāyaṇa durch Muschelhorn, Lotos, Keule und Feuerrad; Mādhava durch Keule, Feuerrad, Muschelhorn und Lotos; Govinda durch Feuerrad, Keule, Lotos und Muschelhorn; Viṣṇumurti durch Keule, Lotos, Muschelhorn und Feuerrad; Madhusūdana durch Feuerrad, Muschelhorn, Lotos und Keule; Trivikrama durch Lotos, Keule, Feuerrad und Muschelhorn; Śrīdhara durch Lotos, Feuerrad, Keule und Muschelhorn; Padmanābha durch Muschelhorn, Lotos, Feuerrad und Keule; Dāmodara durch Lotos, Muschelhorn, Keule und Feuerrad; Puruṣottama durch Feuerrad, Lotos, Muschelhorn und Keule; Acyuta durch Keule, Lotos, Feuerrad und Muschelhorn; Nṛsiṁha durch Feuerrad, Lotos, Keule und Muschelhorn; Janārdana durch Lotos, Feuerrad, Muschelhorn und Keule; Hari durch Muschelhorn, Feuerrad, Lotos und Keule; Kṛṣṇa durch Muschelhorn, Keule, Lotos und Feuerrad; Adhokṣaja durch Lotos, Keule, Muschelhorn und Feuerrad, und Upendra durch Muschelhorn, Keule, Feuerrad und Lotos.

Diese Beschreibung ist ein weiterer Beweis dafür, daß Kṛṣṇa der Höchste Ursprüngliche Persönliche Gott ist. - Er wird auch līla-Purusottama genannt, und Er erscheint in Seiner ursprünglichen Form in Vṛndāvana als Sohn Nandas. Aus dem Hayaṣirṣa-pañcarātra erfahren wir, daß die beiden Purīs, Mathurā Purī und Dvārakā Purī, von neun Formen beschützt werden: von den vier Formen Vāsudeva, Saṅkarṣaṇa, Pradyumna und Aniruddha und von Nārāyaṇa, Nṛsiṁha, Hayagrīva, Varāha und Brahmā. Diese sind verschiedene Manifestationen der prakāṣa- und vilāsa-Formen Śrī Kṛṣṇas.

Śrī Caitanya lehrte Sanātana Gosvāmī auch, daß es verschiedene svaṁṣa-Formen gibt: die svaṁṣa-Formen gliedern Sich in die Saṅkarṣaṇa- und die Inkarnations-Erweiterungen. Unter den Saṅkarṣaṇa-Erweiterungen versteht man die drei puruṣāvatāras: Kāraṇodakaṣāyī Viṣṇu, Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu. Die anderen Erweiterungen, wie die Inkarnationen des Herrn als Fisch, Schildkröte usw., werden »līlāvatāras« genannt.

Es gibt sechs Arten von Inkarnationen: 1. die puruṣāvatāras, 2. die līlāvatāras, 3. die guṇāvatāras, 4. die manvantarāvatāras, 5. die yugāvatāras und 6. die ṣaktyāveṣāvatāras. Bei den sechs vilāsa-Manifestationen Kṛṣṇas gibt es zwei Arten, die nach Alter gegliedert sind. Sie heißen »balya« und »paugaṇḍa«. Die ursprüngliche Form Kṛṣṇa als Sohn Nandas genießt die transzendentalen Spiele in den beiden Kindheitsformen balya und paugaṇḍa.

Diese Beschreibungen deuten darauf hin, daß die Erweiterungen und Inkarnationen Kṛṣṇas kein Ende haben. Śrī Caitanya beschrieb Sanātana nur einige wenige, um ihm eine Vorstellung zu geben, wie der Herr Sich erweitert und auf welche Weise Er Sich der Dinge erfreut. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 3. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt. Dort wird gesagt, daß der Strom der Inkarnationen des Höchsten Herrn, gleich den Wellen des Ozeans, ohne Ende ist.

Kṛṣṇas erste Inkarnationen sind, wie im Śāṣvata Tantra bestätigt wird, die drei puruṣāvatāras Kāraṇodakaṣāyī Viṣṇu* , Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und Kṣirodakaṣāyī Viṣṇu. Kṛṣṇas Energien sind ebenfalls dreifach unterteilt: in die Energie des Denkens, die Energie des Fühlens und die Energie des Handelns. Als der Höchste kontrolliert Er die Energie des Denkens, als Vāsudeva kontrolliert Er die Energie des Fühlens, und als Saṅkarṣaṇa bzw. Balarāma kontrolliert Er die Energie des Handelns. Ohne Denken, Fühlen und Wollen bzw. Handeln wäre die Schöpfung nicht möglich. Sowohl. die spirituelle als auch die materielle Welt sind Manifestationen von Kṛṣṇas Energie des Handelns, die durch Saṅkarṣaṇa bzw. Balarāma repräsentiert wird.

Die spirituelle Welt mit den Vaikuṇṭha-Planeten und Kṛṣṇaloka befindet sich in der Denk-Energie des Höchsten. Obwohl man bei der Schöpfung der ewigen spirituellen Welt eigentlich nicht von einer Schöpfung sprechen kann, existiert die transzendentale Welt in der Denk-Energie des Höchsten Herrn. Diese Denk-Energie wird in der Brahma-saṁhitā im 2. Vers des 5. Kapitels beschrieben. Dort wird gesagt, daß das höchste Reich, Goloka, die Form einer Lotosblume mit Hunderten von Blütenblättern hat. Alles wird durch die Ananta- bzw. Balarāma- bzw. Saṅkarṣaṇa-Form manifestiert. Die materielle kosmische Manifestation und die verschiedenen Universen werden zwar von māyā, der materiellen Energie manifestiert; doch die materielle Natur ist nicht der Ursprung der kosmischen Manifestation. Diese wird vielmehr ursprünglich von den Erweiterungen des Höchsten Herrn mit Hilfe der materiellen Natur geschaffen. Ohne die Oberaufsicht des Höchsten Herrn kann keine Schöpfung stattfinden.

Die Form, welche die materielle Energie lenkt, so daß diese die Schöpfung manifestiert, heißt Saṅkarṣaṇa. Wir verstehen, daß die kosmische Manifestation unter der Kontrolle der Energie des Höchsten Herrn erschaffen wird.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 46. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß Balarāma und Kṛṣṇa der Ursprung aller Lebewesen sind. Diese beiden Persönlichkeiten sind allgegenwärtig. Im 3. Kapitel des Ersten Cantos ist folgende Liste von Inkarnationen aufgeführt: 1. die vier Kumāras, 2. Varāha, 3. Devarṣi Nārada, 4. Nara Nārāyaṇa, 5. Kapila, 6. Dattātreya, 7. Yajña, 8. Ṛṣabha, 9. Pṛthu, 10. Matsya, 11. Kurma, 12. Dhanvantari, 13. Mohinī, 14. Nṛsiṁha, 15. Vāmana, 16. Bhṛgupati, 17. Vyāsadeva, 18. Rāmacandra, 19. Balarāma, 20. Kṛṣṇa, 21. Buddha, 22. Kalki. Fast alle dieser 22 līlāvatāras erscheinen an einem Tag Brahmās. Einen solchen Tag nennt man »kalpa«, und deshalb werden diese Inkarnationen auch »kalpāvatāras« genannt. Im Gegensatz zur Inkarnation Mohinī sind Kapila, Dattātreya, Ṛṣabha, Dhanvantari und Vyāsadeva ewig und daher berühmter als die anderen. Die Inkarnationen Matsya, Kurma, Nara Nārāyaṇa, Varāha, und Baladeva sind Inkarnationen der vaibhava-Form. Auch gibt es drei Inkarnationen der Erscheinungsweisen der materiellen Natur: Viṣṇu, Brahmā* und Śiva. Außerdem gibt es noch vierzehn manvantarāvatāras: 1. Yajña, 2. Vibhu, 3. Satyasena, 4. Hari, 5. Vaikuṇṭha, 6. Ajita, 7. Vāmana, B. Sārvabhauma, 9. Ṛṣabha, 10. Viṣvakṣena, 11. Dharmaṣetu, 12. Sudhāma, 13. Yogeṣvara und 14. Bṛhadbhānu. Von diesen manvantara-Inkarnationen sind Yajña und Vāmana auch līlāvatāras. Die übrigen sind manvantarāvatāras der spielerischen Freude; sie werden auch bhaivāvatāras genannt.

* auch Mahā-Viṣṇu
* Manchmal erscheint der Herr Selbst als Brahmā.

Auch die vier yugāvatāras werden im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben: im Satya-yuga erscheint die Inkarnation Gottes mit weißer Hautfarbe; im Tretā-yuga ist sie rot, im Dvāpara-yuga schwarz und im Kali-yuga ebenfalls schwarz; nur manchmal, in einem besonderen Kali-yuga, erscheint der Höchste in einer goldenen Farbe. Zu den ṣaktyāveṣāvatāras gehören Kapila, Ṛṣabha, Ananta, Brahmā, Satyasena, die Inkarnation des Wissens, Nārada, die Inkarnation der dienenden Hingabe, König Pṛthu, die Inkarnation der Regierungsmacht und Ṛṣabha, die Inkarnation, die die üblen Prinzipien beseitigt.

8. KAPITEL

Caitanya

Die Avatāras

Śrī Caitanya erklärte weiter, daß die Erweiterungen Kṛṣṇas, die in der materiellen Schöpfung erscheinen, »avatāras« oder »Inkarnationen« genannt werden. Unter einem avatāra versteht man eine Inkarnation Gottes, die vom spirituellen Himmel herabsteigt. Im spirituellen Himmel gibt es unzählige Vaikuṇṭha-Planeten, und von diesen Planeten kommen die Erweiterungen des Höchsten Persönlichen Gottes zu uns herunter. Deshalb nennt man sie »avatāras«. »Avatāra« bedeutet wörtlich »herabsteigen«.

Aus der Saṅkarṣaṇa-Erweiterung des Höchsten Persönlichen Gottes geht zunächst die erste Puruṣa-Inkarnation hervor. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam sowohl im 3. als auch im 6. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt. Dort wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott als die erste Puruṣa-Inkarnation, Mahā-Viṣṇu, erscheint, um die materielle Welt zu erschaffen, und daß Er sofort sechzehn elementare Energien manifestiert. Mahā-Viṣṇu beherrscht die Zeit, die Natur, Ursache und Wirkung, den Verstand, das falsche Ich, die fünf Elemente, die drei Erscheinungsweisen der Natur, die Sinne und die universale Form. Er ist völlig unabhängig und der Herr alles Sich-Bewegenden und Sich-Nichtbewegenden in der materiellen Welt.

Wie im Śrīmad-Bhāgavatam im 9. Kapitel des Zweiten Cantos bestätigt wird, reicht der Einfluß der materiellen Natur nicht über den viroja, den Ozean der Ursachen, hinaus. Das bedeutet, daß der Einfluß der Erscheinungsweisen der materiellen Natur nicht auf den Vaikuṇṭha-Planeten existiert. Es gibt dort weder Reinheit noch Leidenschaft, noch Unwissenheit, und auch die materielle Zeit hat dort keinen Einfluß. Auf diesen Planeten leben die ewigen und befreiten Gefährten Kṛṣṇas, und sowohl die Halbgötter als auch die Dämonen verehren sie.

Die materielle Natur hat zwei Aspekte: māyā und pradhāṇa. Māyā ist die direkte Ursache, und pradhāna sind die Elemente der materiellen Manifestationen. Wenn der erste puruṣāvatāra, Mahā-Viṣṇu, Seinen Blick über die materielle Natur wirft, wird die gesamte Materie mit Lebewesen befruchtet, worauf sie sich augenblicklich in Bewegung setzt. Durch Seinen Blick wird ebenfalls das Bewußtsein geschaffen, das auch als mahat-tattva bekannt ist. Die vorherrschende Gottheit des mahat-tattva ist Vāsudeva. Das Bewußtsein teilt sich dann in die drei guṇas, die Erscheinungsweisen der materiellen Natur. Aniruddha kontrolliert das Bewußtsein in der Erscheinungsweise der Reinheit. Das Bewußtsein in der Erscheinungsweise der Leidenschaft bringt Intelligenz hervor und wird von Pradyumna kontrolliert. Er ist auch der Herr der Sinne. Das Bewußtsein in der Erscheinungsweise der Unwissenheit ist die Ursache für die Entstehung des Äthers (des Himmels) und des Hörorgans (des Ohrs). Die kosmische Manifestation ist eine Kombination all dieser Elemente.

Wie unzählige Atome durch die Maschen eines Fliegennetzes schweben, so gehen aus den Poren Mahā-Viṣṇus zahllose Universen hervor. Wenn Er ausatmet, entstehen unzählige Universen, die wieder vernichtet werden, wenn Er einatmet. All Seine Energien sind spirituell - sie haben nichts mit der materiellen Energie zu tun. In der Brahma-saṁhitā wird diese Tatsache im 54. Vers des 5. Kapitels bestätigt. Es heißt dort, daß die vorherrschende Gottheit jedes Universums, Brahmā, so lange lebt, wie Mahā-Viṣṇu ausatmet. Mahā-Viṣṇu ist die ursprüngliche Überseele aller Universen und gleichzeitig der Herr aller Universen.

Die zweite Viṣṇu-Inkarnation, Garbhodakaṣāyī-Viṣṇu, geht in jedes Universum ein und legt Sich auf dem Garbhodaka-Ozean nieder. Aus Seinem Nabel wächst der Stengel einer Lotosblume, auf der Brahmā, das erste Geschöpf, geboren wird. Im Innern des Stengels befinden sich die vierzehn, von Brahmā geschaffenen Planetensysteme.

In jedem Universum weilt Viṣṇu als Erhalter und sorgt für alles Notwendige, und obwohl Er Sich innerhalb des Universums befindet, wird Er nicht vom Einfluß der materiellen Energie berührt. Derselbe Viṣṇu nimmt, wenn die Zeit gekommen ist, die Form Śivas an und vernichtet die kosmische Schöpfung. Diese drei sekundären Inkarnationen, nämlich Brahmā, Viṣṇu und Śiva, sind die vorherrschenden Gottheiten der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur.

Garbhodakaṣāyī Viṣṇu wird auch als die Hiraṇyagarbha-Überseele verehrt, die, wie in den vedischen Hymnen beschrieben wird, Tausende von Köpfen hat. Diese zweite Inkarnation ist der Herr des Universums, und obwohl Er Sich in der materiellen Schöpfung befindet, wird Er doch nicht von ihr beeinflußt.

Die dritte Erweiterung Viṣṇus ist, wie die beiden anderen, eine Inkarnation der Erscheinungsweise der Reinheit. Als Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu ist Er die Überseele aller Lebewesen, und Er residiert auf einem Ozean aus Milch auf Śvetadvīpa, einem spirituellen Planeten in unserem Universum. So beschrieb Śrī Caitanya die puruṣāvatāras. Anschließend ging Er zu den līlāvatāras über, von denen es so viele gibt, daß Er sie unmöglich alle behandeln, sondern nur einige beschreiben konnte wie Matsya, Kurma, Raghunātha, Nṛsiṁha, Vāmana und Varāha.

Das nun Folgende ist eine Beschreibung der qualitativen Inkarnationen Viṣṇus, der guṇāvatāras: Brahmā gehört zwar zu den bedingten Lebewesen, doch er ist sehr mächtig, da er für Kṛṣṇa einen sehr wichtigen Dienst versieht. Ein Lebewesen, das dem Höchsten Herrn in reiner Hingabe dient, kann durch den Einfluß der Erscheinungsweise der Leidenschaft zu Brahmā werden. Brahmā wird direkt von Garbhodakaṣāyī Viṣṇu ermächtigt, und deshalb hat er die Fähigkeit, die zahllosen Manifestationen im Universum zu erschaffen. Eine Beschreibung Brahmās findet sich in der Brahma-saṁhitā im 50. Vers des 5. Kapitels. Dort wird Brahmā mit einem Edelstein verglichen, der erst durch die sich in ihm brechenden Sonnenstrahlen funkelt, und Garbhodakaṣāyī Viṣṇu wird mit der Sonne verglichen. Wenn es in einem kalpa einmal kein Lebewesen gibt, das sich für den Posten des Brahmā eignet, manifestiert Sich Garbhodakaṣāyī Viṣṇu Selbst als Brahmā.

Als Śiva erweitert Er Sich, wenn die Zeit gekommen ist, das brahmānda* zu vernichten. Śiva, der ständig von māyā begleitet wird, hat elf Formen. Er ist kein gewöhnliches Lebewesen, sondern vielmehr in gewisser Weise Kṛṣṇa Selbst. Zur Veranschaulichung dient das Beispiel des Unterschieds zwischen Milch und Yoghurt. Yoghurt ist zwar ein Milchprodukt, kann aber nicht wie Milch benutzt werden. Ebenso ist Śiva zwar eine Erweiterung Kṛṣṇas, aber er kann nicht an Kṛṣṇas Statt handeln, und wir können von Śiva auch nicht die spirituelle Wiederbelebung erhalten, die Kṛṣṇa uns gibt. Der grundlegende Unterschied besteht darin, daß Śiva mit der materiellen Natur verbunden ist, wohingegen Viṣṇu mit der materiellen Natur nicht das geringste zu tun hat. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 18. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß Śiva eine Verbindung der drei Arten des transformierten Bewußtseins ist, d. h. daß er aus baikrik, taijsa und tamasa besteht. Die Viṣṇu-Inkarnation wird in keiner Weise von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur beeinflußt, obwohl Er der Herr der Erscheinungsweise der Reinheit in jedem Universum ist. Viṣṇu ist im Grunde nicht verschieden von Kṛṣṇa, doch ist Kṛṣṇa der eigentliche Ursprung. In den Veden wird gesagt, daß Viṣṇu das Teil und Kṛṣṇa das Ganze ist. Die Brahma-saṁhitā gibt das Beispiel der ursprünglichen Kerze, an der eine zweite entzündet wird: Obwohl beide Kerzen die gleiche Lichtstärke haben, ist doch eine die ursprüngliche. Ebenso verhält es sich auch mit Viṣṇu. Er ist zwar ebenso mächtig wie Kṛṣṇa, doch ist Kṛṣṇa der ursprüngliche Viṣṇu. Brahmā und Śiva sind also gehorsame Diener des Höchsten Herrn, und Viṣṇu ist eine Erweiterung Kṛṣṇas.

* Das Universum

Nachdem Śrī Caitanya die līlāvatāras und guṇāvatāras beschrieben hatte, erklärte Er Sanātana Gosvāmī die manvantarāvatāras, von denen es ebenfalls unzählige gibt. In einem kalpa, d. h. an einem Tag Brahmās, der nach unserer Zeitrechnung 432 000 000 Jahre dauert, erscheinen 14 Manus. Brahmā lebt 100 Jahre. Wenn also an einem seiner Tage 14 Manus erscheinen, dann gibt es in einem Monat 420 Manus und in einem Jahr 5040. Da Brahmā 100 Jahre lang lebt, erscheinen während seines Lebens insgesamt 504 000 Manus. Es gibt unzählige Universen, und deshalb ist es unmöglich zu bestimmen, wie viele Manus es insgesamt gibt.

Jeder Manu trägt einen anderen Namen. Der erste Manu heißt Svāyambhuva; er ist Brahmās Sohn. Der zweite Manu heißt Svārociṣa; er ist der Sohn des Feuergottes. Der dritte Manu heißt Uttama; er ist der Sohn von König Priyābratha. Der vierte Manu heißt Tāmasa; er ist Uttamas Bruder. Der fünfte Manu heißt Raivata; er ist Tāmasas Bruder. Der sechste Manu ist ebenfalls ein Bruder von Tāmasa; er heißt Cākṣuṣa und ist der Sohn von Cākṣu. Der siebte Manu heißt Vaivaṣvata; er ist der Sohn des Sonnengottes und wurde von dessen Frau Cakya geboren. Der achte Manu heißt Sāvarṇi. Der neunte Manu heißt Dakṣa-sāvarṇi; er ist der Sohn von Varuṇa. Der zehnte Manu heißt Brahmā-sāvarṇi; er ist der Sohn von Upṣloka. Vier weitere Manus tragen die Namen Dharma-sāvarṇi, Rudra-sāvarṇi, Deva-sāvarṇi und Indra-sāvarṇi; sie alle sind Söhne Śivas.

Nach der Beschreibung der Manu-Inkarnationen kam der Herr zu den yugāvatāras. Er sagte zu Sanātana: »Es gibt vier yugas oder Zeitalter. Das erste yuga heißt Satya, das zweite Tretā, das dritte Dvāpara und das vierte Kali. In jedem Zeitalter erscheint der Herr in einer anderen Inkarnation, die eine besondere Hautfarbe hat. Im Satya-yūga ist die Hautfarbe der wichtigsten Inkarnation weiß, im Tretā-yuga rot, im Dvāpara-yuga schwarz (Kṛṣṇa), und im Kali-yuga golden (Śrī Caitanya). Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 8. Kapitel des Zehnten Cantos von Gargamuni bestätigt, als er im Hause von Nanda Mahārāja Kṛṣṇas Horoskop erstellte.

Im Satya-yuga ist Meditation der Weg zur Selbstverwirklichung, und diese Methode wurde von der weißen Inkarnation Gottes gelehrt. Diese Inkarnation gab dem Weisen Kardama die Segnung, eine Inkarnation des Persönlichen Gottes als Sohn zu bekommen. Im Satya-yuga meditierte jeder über Kṛṣṇa, und jedes Lebewesen besaß vollkommenes Wissen. Leider versuchen weniger intelligente Menschen, solche Meditationen, die für das gegenwärtige Zeitalter nicht empfohlen sind, auch heute noch zu praktizieren. Der Pfad zur Selbstverwirklichung im Tretā-yuga ist die Darbietung großer Opferungen, und dies wird von der roten Inkarnation Gottes gelehrt. Im Dvāpara-yuga erscheint Kṛṣṇa mit einer schwarzen Hautfarbe in Seiner ursprünglichen Form und bewegt die Menschen dazu, Ihn zu verehren, wie Er es in der Bhagavad-gītā lehrt. Auch im Śrīmad-Bhāgavatam, im 5. Kapitel des Elften Cantos, wird gesagt, daß Kṛṣṇa verehrt werden muß: Om namo bhagavate vāsudevāya. »Ich bringe dem Höchsten Persönlichen Gott, Vāsudeva, Kṛṣṇa, meine demütigen Ehrerbietungen dar.« Die Menschen im Dvāpara-yuga benutzen gewöhnlich diese Hymne, um den Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, zu verehren.

Das nächste Zeitalter ist das Kali-yuga, in dem wir jetzt gerade leben. In diesem Zeitalter lehrt eine Inkarnation des Herrn das Chanten der heiligen Namen Kṛṣṇas. Der Herr erscheint mit goldener Hautfarbe und lehrt die Menschen, Liebe zu Gott durch das Chanten des Namens »Kṛṣṇa« zu erlangen. Kṛṣṇa Selbst verbreitet die Lehre, indem Er chantet, singt und tanzt, während Ihm Tausende von Menschen folgen. Diese besondere Inkarnation des Höchsten Persönlichen Gottes wird im 5. Kapitel des Elften Cantos des Śrīmad-Bhāgavatam vorausgesagt; dort heißt es, daß Sich der Herr im Kali-yuga als ein Gottgeweihter inkarniert, der ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantet. Aber, so wird dort gesagt, Seine Hautfarbe ist nicht wie die von Kṛṣṇa im Dvāpara-yuga. Er predigt Liebe zu Gott durch die saṇkīrtana-Bewegung, und jeder Kluge nimmt diesen Vorgang an zu seiner Selbstverwirklichung. Im Śrīmad-Bhāgavatam, im 3. Kapitel des Zwölften Cantos, wird ebenfalls gesagt, daß die Selbstverwirklichung, die im Satya-yuga durch Meditation, im Tretā-yuga durch die Ausführung gewisser Opferungen und im Dvāpara-yuga durch die Verehrung Śrī Kṛṣṇas im Tempel erreicht werden konnte, im Kali-yuga einfach durch das Chanten der heiligen Namen - Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare - möglich wird. Im Viṣṇu Purāṇa finden wir das gleiche bestätigt: »Im Zeitalter des Kali haben Meditation, Opferdarbringung oder Tempelverehrung keinen Sinn mehr; doch kann man vollkommene Selbsterkenntnis erlangen, indem man einfach Kṛṣṇas heiligen Namen chantet - Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare / Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.«

Als Śrī Caitanya die Inkarnation des Kali-yugas beschrieb, fragte Ihn Sanātana Gosvāmī, der als ehemaliger Minister darin geübt war, die logischen Schlußfolgerungen zu ziehen: »Woran kann man eine Inkarnation erkennen?« Er hatte erkannt, daß Śrī Caitanya, der genau der Beschreibung in den Schriften entsprach, die Inkarnation Kṛṣṇas für das Kali-yuga war, und er wußte auch, daß es in der Zukunft viele falsche Inkarnationen geben werde, die Śrī Caitanya imitieren würden; denn dieser spielte die Rolle eines gewöhnlichen brāhmaṇa, obwohl Seine Geweihten Ihn als Inkarnation erkannten. Sanātana ahnte, daß viele Betrüger kommen würden, und so fragte er den Herrn nach den besonderen Merkmalen einer Inkarnation.

Der Herr antwortete ihm: »Man kann die Inkarnation der verschiedenen Zeitalter anhand der Informationen aus den vedischen Schriften erkennen, und so kann man auch erfahren, wer im gegenwärtigen Zeitalter des Kali die wahre Inkarnation Gottes ist.«

Śrī Caitanya legte besonderes Gewicht darauf, daß man die autoritativen Schriften zu Rate ziehe. Man sollte die Merkmale einer Inkarnation mit den Angaben in den Schriften vergleichen, und nicht nach eigenem Gutdünken jemanden als Inkarnation anerkennen oder ablehnen. Eine Inkarnation des Höchsten Herrn behauptet niemals von sich selbst, eine Inkarnation zu sein. Es ist den Gottgeweihten überlassen festzustellen, wer eine Inkarnation und wer ein Heuchler ist, und dazu sollten sie die maßgeblichen Schriften zu Rate ziehen.

Bei der Beschreibung einer echten Inkarnation gibt es zwei Aspekte: Die Persönlichkeit und die körperlichen Merkmale sind die Hauptaspekte, und die Aktivitäten bilden den Nebenaspekt. Anhand dieser beiden Merkmale kann jeder intelligente Mensch den wirklichen avatāra erkennen. In den Schriften wird außer den körperlichen Merkmalen auch die spirituelle Handlungsweise beschrieben. Am Anfang des Śrīmad-Bhāgavatam werden die Gesichtspunkte zur Identifizierung Kṛṣṇas im 1. Vers des Ersten Cantos sehr genau gegeben. Es tauchen in diesem Vers die zwei Begriffe - »param« und »satyam« - auf, die, wie Śrī Caitanya erklärte, Kṛṣṇa in Seinem Hauptaspekt darstellen. Nebenaspekte sind, daß Er Brahmā das vedische Wissen lehrte, und daß Er Sich als puruṣāvatāra inkarnierte, um die kosmische Manifestation zu erschaffen. Dies sind gelegentliche, zweckbedingte Aspekte.

Man sollte versuchen, die Haupt- und Nebengesichtspunkte eines avatāras zu verstehen und voneinander zu unterscheiden. Wer diesen beiden Gesichtspunkten nicht gerecht wird, kann nicht als Inkarnation anerkannt werden, und deshalb wird ein intelligenter Mensch jede Inkarnation genau überprüfen, bevor er einen Betrüger akzeptiert. Sanātana Gosvāmī wollte beweisen, daß Śrī Caitanya die Inkarnation für dieses Zeitalter ist, doch der Herr gab Sich nur indirekt zu erkennen; Er sagte: »Laß uns über etwas anderes sprechen und mit der Beschreibung des ṣaktyāveṣāvatāras fortfahren.«

Er erklärte also: »Es ist nicht möglich, die ṣaktyāveṣāvatāras zu zählen, doch Ich will einige als Beispiel anführen, um so ihr Wesen zu erläutern. Es gibt zwei Arten von ṣaktyāveṣa-Inkarnationen: die direkten und die indirekten. Wenn der Herr Selbst kommt, wird Er »direkte Inkarnation« oder »ṣaktyāveṣāvatāra« genannt, und wenn Er ein Lebewesen ermächtigt, Ihn zu repräsentieren, nennt man dieses »aveṣāvatāra«, d. h. »indirekte Inkarnation« oder »besonders ermächtigtes Lebewesen«.

Beispiele für aveṣāvatāras sind die vier Kumāras, Nārada, Pṛthu und Paraṣurāma. Ein Beispiel für einen direkten avatāra oder ṣaktyāveṣāvatāra ist die Śeṣa- bzw. Ananta-Inkarnation.

Wenn ein Wesen mit einer bestimmten Eigenschaft oder Fähigkeit des Höchsten Herrn versehen ist, nennt man es aveṣāvatāra. Die vier Kumāras z. B. repräsentieren das Wissen des Höchsten und Nārada die dienende Hingabe an den Höchsten Herrn. Die dienende Hingabe zeigt sich auch in Śrī Caitanya, der als die vollkommene Verkörperung des hingebungsvollen Dienens gilt. In Brahmā ist die Fähigkeit der Schöpfungskraft manifestiert, in Ananta die Macht, alle Planeten zu erhalten, in der Śeṣa-Inkarnation die Kraft, dem Höchsten Herrn zu dienen, in König Pṛthu die Macht, die Lebewesen zu erhalten, und in Paraṣurāma die Macht, die üblen Elemente zu vernichten. Im Zehnten Kapitel der Bhagavad-gītā wird die vibhuti, die besondere Gunst des Höchsten Persönlichen Gottes, beschrieben, und es heißt dort, man solle wissen, daß jedes Lebewesen, das besonders mächtig oder schön erscheint, vom Höchsten Herrn besonders begünstigt ist.

Nachdem Śrī Caitanya die Beschreibung der ṣaktyāveṣa-Inkarnationen beendet hatte, begann Er, über die Jugendlichkeit des Höchsten Herrn zu sprechen. Er sagte: »Śrī Kṛṣṇa sieht immer aus wie ein sechzehnjähriger Knabe, und wenn Er in der materiellen Welt zu erscheinen wünscht, sendet Er zuerst Seine Geweihten als Seinen Vater und Seine Mutter, und erscheint dann als Inkarnation oder kommt persönlich. All Seine nie endenden transzendentalen Spiele, angefangen mit der Vernichtung des Pūtanā-Dämonen, werden in unzähligen Universen offenbart. In jedem Augenblick, in jeder Sekunde, sind Seine verschiedenen Spiele in einem brahmānda zu sehen. Seine transzendentalen Spiele sind wie die Wellen des Ganges, die ohne Ende fließen.« Weil die meisten Menschen nicht verstehen können, wie Kṛṣṇa Seine Spiele ausführt, gab Śrī Caitanya auch das Beispiel der Sonne. Ähnlich wie die Sonne in jeder Sekunde an einem anderen Ort aufgeht, finden die Spiele Kṛṣṇa fortwährend in einem anderen Universum statt.

Śrī Kṛṣṇa blieb 125 Jahre in diesem Universum, und alle Seine Spiele, die während dieser Periode stattfanden, wie Sein Erscheinen, die Spiele Seiner Knabenzeit und Jugend, Seine späteren Taten, bis hin zu den Spielen in Dvārakā, offenbart Er auch in anderen Universen. Sie finden fortwährend in einem der Myriaden von brahmāndas statt und werden deshalb »ewig« genannt. Mit anderen Worten: Wie die Sonne ständig irgendwo am Himmel steht und wir sie je nach unserer Position auf- oder untergehen sehen, so finden auch die Spiele des Herrn fortwährend statt. In unserem Universum können wir Kṛṣṇas Spiele jedoch nur in gewissen Zeitabständen sehen. Wie bereits beschrieben ist Seine Heimat der höchste Planet, Goloka Vṛndāvana, und da Kṛṣṇa absolut ist, ist Seine Umgebung, Sein Name, Sein Ruhm usw. nicht von Ihm verschieden. Und nach Kṛṣṇas Willen wird dieses Goloka Vṛndāvana auch in den materiellen Universen manifestiert.

Obwohl der Herr immer in Seinem höchsten Reich, Goloka Vṛndāvana, weilt, zeigt Er doch in Seiner grundlosen Barmherzigkeit auch in den unzähligen materiellen Universen Seine Spiele. Für dieses Erscheinen sucht sich Kṛṣṇa ganz bestimmte Orte aus und entfaltet dort Seine sechs transzendentalen Füllen.

9. KAPITEL

Caitanya

Die unermeßlichen Füllen Kṛṣṇas

Śrī Caitanya ist ganz besonders barmherzig zu den unschuldigen, einfachen Menschen und wird deshalb auch »Patita-pavana« genannt, »der Erlöser der gefallensten bedingten Seelen«. Auch jemand, der sehr tief gefallen ist, kann in der spirituellen Wissenschaft Fortschritte machen, wenn er unschuldig ist. Sanātana Gosvāmī hatte sein Ansehen in der Gesellschaft verloren, weil er im Dienste der mohammedanischen Regierung stand, und war deshalb aus der brāhmaṇa-Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Aber weil er eine ernsthafte Seele war, segnete ihn Śrī Caitanya mit Seiner besonderen Gnade und schenkte ihm einen wahren Schatz an Informationen über die spirituelle Wissenschaft.

Als nächstes erklärte der Herr die Lage der verschiedenen Planeten im spirituellen Himmel, die Vaikuṇṭha-Planeten genannt werden. Die Planeten und Universen der materiellen Schöpfung haben eine begrenzte Größe; die Vaikuṇṭha-Planeten jedoch sind nicht begrenzt, denn sie sind spirituell. Śrī Caitanya lehrte Sanātana Gosvāmī, daß der Durchmesser jedes einzelnen Vaikuṇṭha-Planeten Millionen und Abermillionen Meilen beträgt. Jeder Planet dehnt sich unbegrenzt aus, und auf jedem leben Wesen, die alle sechs transzendentalen Füllen - Reichtum, Stärke, Wissen, Schönheit, Ruhm und Entsagung - in Vollkommenheit besitzen. Auf jedem dieser transzendentalen Himmelskörper ist der Höchste Persönliche Gott in einem anderen Aspekt gegenwärtig, doch die ursprüngliche ewige Heimat Kṛṣṇas ist der Planet Kṛṣṇaloka, Goloka Vṛndāvana.

Wir wissen von unserem Universum, daß selbst der größte Planet nur einen winzigen Teil des Alls einnimmt. Die Sonne z. B. soll viele Tausende Male größer sein als die Erde, und doch ist sie, im Verhältnis zum ganzen Weltall, nur wie ein Staubkorn. Auch jeder der Vaikuṇṭha-Planeten nimmt, obwohl unbegrenzt groß, nur einen winzigen Fleck am spirituellen Himmel, dem brahmajyoti, ein. In der Brahma-saṁhitā wird dieses brahmajyoti als »niṣklānantaṣeṣa« beschrieben, als »ungeteilt und unbegrenzt und nicht berührt von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur«. Die Vaikuṇṭhas sind wie die Blütenblätter einer Lotosblume, und das Zentrum dieses Lotos ist Kṛṣṇaloka, Goloka Vṛndāvana.

Kṛṣṇa hat Sich im transzendentalen Himmel in unzählige Formen erweitert, die auf den spirituellen Planeten residieren. Selbst Halbgötter wie Brahmā oder Śiva sehen sich außerstande, die Anzahl oder Größe dieser Planeten auch nur annähernd zu schätzen. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 14. Kapitel des Zehnten Cantos bestätigt, wo es heißt: »Niemand kann die Größe der Vaikuṇṭha-Planeten ermessen.« Dort wird auch gesagt, daß es nicht nur für Halbgötter wie Brahmā und Śiva unmöglich ist, die Größe der Vaikuṇṭhalokas zu bestimmen, sondern daß nicht einmal Ananta, die Inkarnation des Herrn in Seinem Aspekt der Stärke, die Macht des Herrn und das Ausmaß der verschiedenen Vaikuṇṭha-Planeten beschreiben kann. Die Gebete Brahmās im 14. Kapitel des Zehnten Cantos besagen das gleiche; dort bekennt Brahmā: »O mein lieber Herr, o Höchster Persönlicher Gott, o Überseele, o Meister aller mystischen Kräfte, niemand kann verstehen, wie Du Dich durch Deine unbegreifliche yoga-māyā Energie erweiterst, die sich über die drei Welten* erstreckt. Die Wissenschaftler und Gelehrten können nicht einmal die Struktur eines einzigen Planeten ermessen. Sie mögen in der Lage sein, die Schneeflocken zu zählen, die vom Himmel fallen, oder gar die Sterne, die am Himmel stehen, doch sie werden niemals verstehen, auf welche Weise Du mit Deinen unzähligen transzendentalen Kräften, Energien und Eigenschaften in diesem Universum erscheinst.«

* Im Universum befinden sich drei Planetensysteme, das untere, mittlere und obere Planetensystem, die auch »die drei Welten« genannt werden.

Brahmā teilte Nārada einst mit: » Keiner der großen Weisen, die vor dir geboren wurden, geschweige denn ich selbst, kann die potentielle Macht und Energie des Höchsten Herrn begreifen. Nicht einmal Ananta, der Tausende von Zungen hat, ist dazu imstande.« Deshalb betete Brahmā: » Herr, Du bist unbegrenzt, und niemand hat je Deine Kräfte ermessen können. Ich glaube, daß selbst Du, o Herr, das Ausmaß Deiner potentiellen Energien nicht kennst, mit denen Du die unzähligen Planeten wie Staubteilchen im Weltall schweben läßt. Die großen vedischen Gelehrten, die nach Dir forschen und zu Beginn glauben, alles sei von Dir verschieden, gelangen schließlich zu der Erkenntnis, daß Du alles bist.«

Als Śrī Kṛṣṇa in diesem Universum erschien, spielte Brahmā Ihm einmal einen Streich, um zu beweisen, daß der kleine Kuhhirte in Vṛndāvana tatsächlich Kṛṣṇa sei. Er stahl alle Kälber und alle Freunde Kṛṣṇas und versteckte sie; doch als er dann nach einer Weile zurückkehrte, um zu sehen, was Kṛṣṇa nun tun würde, sah er, daß Kṛṣṇa immer noch mit denselben Kälbern und Hirtenjungen spielte - Er hatte Sich durch Seine Vaikuṇṭha-Kraft in all die gestohlenen Kälber und Jungen erweitert. Brahmā sah Millionen und Abermillionen Kälber und Hirtenjungen, und er erblickte auch Millionen und Abermillionen Früchte, Lotosblumen, Hirtenstäbe und Hörner. Alle Hirtenjungen waren mit kostbaren Kleidern, Halsketten und Armreifen geschmückt, und niemand konnte ihre genaue Anzahl bestimmen. Dann bemerkte Brahmā plötzlich, wie jeder der Jungen zu einem vierarmigen Nārāyaṇa wurde, zur direkten Viṣṇu-Expansion Kṛṣṇas, und er sah auch, daß unzählige Brahmās aus dem Körper Kṛṣṇas hervorgingen, Ihm ihre Ehrerbietungen erwiesen und in Sekundenschnelle wieder in Ihn zurückkehrten.

Über dieses außergewöhnliche Schauspiel von Staunen überwältigt, betete Brahmā: »Mein lieber Herr, manche Menschen behaupten von sich, Dich zu kennen; doch was mich betrifft, so muß ich gestehen, daß ich nicht das geringste von Dir weiß. Die Kräfte und Fähigkeiten, die Du soeben gezeigt hast, übersteigen die Reichweite meines Geistes und meiner Intelligenz.«

Śrī Caitanya erklärte als nächstes, daß nicht nur Kṛṣṇaloka, sondern auch Kṛṣṇas Reich auf diesem Planeten, Vṛndāvana, unermeßlich ist. Die Größe von Vṛndāvana wird in den Schriften auf 50 km² veranschlagt, und obwohl Vṛndāvana in Indien tatsächlich nur 50 km² groß ist, existieren doch in irgendeinem Teil von Vṛndāvana alle Vaikuṇṭha-Planeten. Die Umgebung des gegenwärtigen Vṛndāvana besteht aus zwölf Wäldern, die eine Fläche von ca. 270 km² bedecken.

Der Herr betonte hiernach noch einmal, daß Kṛṣṇas Fähigkeiten und transzendentalen Füllen unbegrenzt seien. Er beschrieb Sanātana Gosvāmī nur einen kleinen Teil von ihnen, so daß dieser zumindest eine Vorstellung von der Größe Kṛṣṇas bekommen konnte. Während Śrī Caitanya Sanātana Gosvāmī die transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas schilderte, befand Er Sich in tiefer Ekstase, und in diesem transzendentalen Zustand begann Er, folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Dritter Canto, 2. Kapitel) zu zitieren: »Nachdem Kṛṣṇa den Planeten verlassen hatte, sagte Uddhava zu Vidura: Kṛṣṇa ist der Herr aller Halbgötter - auch Brahmā, Śiva und selbst die Viṣṇu-Erweiterung in diesem Universum sind Ihm untergeordnet. Deshalb kommt Ihm niemand gleich oder ist größer als Er, und dazu kommt noch, daß Er alle sechs Füllen in vollendeter Form besitzt. Alle Halbgötter erweisen Ihm ihre respektvollen Ehrerbietungen, und ihre Helme, die mit den Zeichen Seiner Lotosfüße geschmückt sind, glänzen in übernatürlicher Schönheit.«

Wie im 1. Vers des 5. Kapitels der Brahma-saṁhitā festgestellt wird, ist Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott, und niemand kommt Ihm gleich oder ist größer als Er. Und obwohl Brahmā, Śiva und Viṣṇu die Oberhäupter des Universums sind, sind auch sie Diener des Höchsten Herrn, Kṛṣṇa.

Śrī Kṛṣṇa ist die Ursache aller Ursachen, und Er ist auch der Ursprung Mahā-Viṣṇus, der die materielle Schöpfung erschafft, erhält und vernichtet, und aus dem auch Garbhodakaṣāyī Viṣṇu und Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu hervorgehen. Mahā-Viṣṇu wird in der Brahma-saṁhitā beschrieben: »Aus seinem Atem entstehen unzählige Universen, und in jedem dieser Universen gibt es unzählige Viṣṇu-tattvas. Śrī Kṛṣṇa ist der Ursprung all dieser Formen, d. h., sie sind vollkommene Teil-Erweiterungen Kṛṣṇas.«

Aus den offenbarten Schriften verstehen wir, daß Kṛṣṇa an drei transzendentalen Orten lebt: Sein vertraulichster Aufenthaltsort ist Goloka Vṛndāvana; dort lebt Er zusammen mit Seinem Vater, Seiner Mutter, Seinen Freunden und den gopīs und tauscht mit ihnen allen transzendentale Beziehungen aus.

Dort wirkt yoga-māyā als Dienerin im rāsa-līlā-Tanz. Die Einwohner von Vrajabhūmi denken: «Der Herr wird von Seinen winzigen Teilchen mit Ehrfurcht und Zuneigung gepriesen, doch weil Er in besonderer Weise gütig zu uns ist, empfinden wir, die Einwohner von Vṛndāvana, keine Scheu vor Ihm.«

In der Brahma-saṁhitā heißt es im 49. Vers des 5. Kapitels: »Alle Vaikuṇṭha-Planeten im spirituellen Himmel liegen unterhalb des Kṛṣṇaloka-Planeten. Auf Kṛṣṇaloka genießt der Herr in vielfachen Formen transzendentale Glückseligkeit, und alle Reichtümer der Vaikuṇṭhas sind auf dem einen Kṛṣṇa-Planeten vorhanden. Die Gefährten Kṛṣṇas besitzen ebenfalls die sechs transzendentalen Füllen in vollendeter Form. Im Padmollara-handa wird im 57. Vers des 225. Kapitels gesagt, daß die materielle und die spirituelle Energie durch ein Wasser voneinander getrennt sind, das man den Viroja-Fluß nennt. Dieser Fluß entsteht aus dem transzendentalen Schweiß der ersten Puruṣa-Inkarnation. Am anderen Ufer des Viroja liegt die unbegrenzte und allglückselige ewige Natur, der spirituelle Himmel, der auch die transzendentale Welt oder das Reich Gottes genannt wird.

Die spirituellen Planeten heißen »Vaikuṇṭha«, weil es dort keine Klagen und keine Angst gibt, und weil dort alles ewig ist. Die spirituelle Welt besteht aus Dreiviertel der Energie des Höchsten Herrn und die materielle Welt aus einem Viertel Seiner Energie. Niemand kann diese Dreiviertel verstehen, da nicht einmal die materielle Welt, die nur ein Viertel Seiner Energie umfaßt, beschrieben werden kann. Śrī Caitanya versuchte nun, Sanātana Gosvāmī eine Vorstellung vom Ausmaß des einen Viertels der Energie Kṛṣṇas zu vermitteln, und zitierte eine Geschichte aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, wo beschrieben wird, wie Brahmā, das erste Geschöpf im Universum, Kṛṣṇa in Dvārakā besuchte.

Als Brahmā zu Kṛṣṇas Palast kam, sagte er zum Torwächter: »Teile Kṛṣṇa bitte mit, daß Brahmā gekommen ist, Ihn zu sehen.« Der Türhüter ging also in den Palast hinein, doch kam er schon nach kurzer Zeit zurück und sprach: »Kṛṣṇa läßt fragen, welcher Brahmā du bist.« Der Halbgott war über diese Frage höchst verwundert und entgegnete: »Sage Kṛṣṇa bitte, der Brahmā mit den vier Köpfen, der Vater der vier Kumāras, warte darauf, Ihn zu sehen.« Der Torwächter informierte Kṛṣṇa und bat Brahmā dann hereinzukommen. Brahmā brachte den Lotosfüßen Kṛṣṇas seine Ehrerbietungen dar, und Kṛṣṇa, der ihn sehr höflich empfing, fragte ihn, warum er gekommen sei und was er wünsche. Brahmā antwortete: »Ich werde gleich über den Zweck meines Besuches sprechen, doch zuerst möchte ich Dich bitten, einen Zweifel, der mir gekommen ist, zu beseitigen. Du hast mich durch Deinen Türhüter fragen lassen, welcher Brahmā gekommen sei; darf ich fragen, ob es außer mir noch andere Brahmās gibt?« Als Kṛṣṇa das hörte, lächelte Er und rief unverzüglich die Brahmās aus den zahllosen anderen Universen herbei. Der vierköpfige Brahmā sah plötzlich viele Brahmās kommen und Kṛṣṇa ihren Respekt erweisen. Manche hatten zehn Köpfe, andere zwanzig, manche hatten hundert, und einige hatten sogar eine Million Köpfe. Unser vierköpfiger Brahmā konnte die Brahmās, die da kamen, um Kṛṣṇa zu sehen und Ihm ihre Ehrerbietungen darzubringen, nicht einmal zählen. Daraufhin rief Kṛṣṇa auch die anderen Halbgötter aus den vielen Universen herbei, und alle kamen, um dem Herrn ihre Ehrerbietungen zu erweisen.

Als Brahmā dieses wunderbare Schauspiel sah, wurde er unruhig, denn er fühlte sich so unbedeutend wie ein Moskito inmitten einer Herde von Elefanten. Alle Brahmās und Halbgötter erschienen, um den Lotosfüßen Kṛṣṇas ihren Respekt zu erweisen, und so verstand Brahmā, daß niemand die unbegrenzte Macht Kṛṣṇas auch nur erahnen kann.

Als die verschiedenen Halbgötter und Brahmās, deren Helme im Sonnenlicht hell glänzten, versammelt waren, erhob sich ein lautes Brausen, da sie alle dem Herrn ihre Gebete darbrachten; sie sagten: »Lieber Herr, es ist eine große Gnade für uns, von Dir gerufen worden zu sein. Hast Du einen bestimmten Auftrag für uns? Wir werden ihn unverzüglich ausführen.« Śrī Kṛṣṇa antwortete: »Es gibt nichts Besonderes für euch zu tun. Ich wollte euch nur sehen. Bitte nehmt Meinen Segen entgegen, und fürchtet euch nicht vor den Dämonen.«

»Durch Deine Gnade ist alles in bester Ordnung«, erwiderten die Halbgötter, »zur Zeit gibt es keine Störungen, denn Deine Inkarnation hat alle unerwünschten Elemente beseitigt.« Kṛṣṇa wünschte allen Brahmās Lebewohl, und nachdem sie sich ehrerbietig vor Ihm verneigt hatten, kehrten sie in ihre jeweiligen Universen zurück.

Als der vierköpfige Brahmā das gesehen hatte, fiel er augenblicklich Kṛṣṇa zu Füßen und sagte: »Alles, was ich zuvor von Dir dachte, ist unsinnig. Sollen andere behaupten, sie würden Dich vollkommen kennen, doch was mich betrifft, so ist es mir unmöglich, Deine Größe auch nur zu ahnen.

Du befindest Dich jenseits meiner Vorstellungskraft, außerhalb meines Begriffsvermögens.«

Kṛṣṇa informierte den vierköpfigen Brahmā daraufhin: »Dieses Universum, in dem du dich befindest, hat nur einen Durchmesser von ca. 9 000 000 000 Meilen, doch es gibt noch viele Millionen und Milliarden anderer Universen, die weitaus größer sind als dieses. Für all diese Universen sind auch Brahmās von entsprechender Größe und Macht erforderlich; nicht nur vierköpfige.« Kṛṣṇa informierte Brahmā weiter: »Die gesamte materielle Schöpfung bildet nur ein Viertel Meiner schöpferischen Kraft; die spirituelle Welt ist eine Manifestation der übrigen Dreiviertel Meiner Energie.«

Der vierköpfige Brahmā verabschiedete sich daraufhin von Kṛṣṇa, nachdem er Ihm noch einmal seine Ehrerbietungen dargebracht hatte. Er konnte nun die unermeßliche Macht Kṛṣṇas ein wenig ahnen. Der Herr ist auch als Tradhyeṣa bekannt. Dieser Name bezieht sich auf Seine hauptsächlichen Aufenthaltsorte Gokula, Mathurā und Dvārakā. Diese drei Orte sind völlig transzendental, und Śrī Kṛṣṇa ist dort ewiglich gegenwärtig. Er weilt immer in Seiner inneren Energie; Er ist der Herr aller Energien, und Er besitzt alle sechs transzendentalen Füllen in Vollkommenheit. Weil Kṛṣṇa der Herr aller transzendentalen Füllen ist, wird Er in allen vedischen Schriften als der Höchste Persönliche Gott gepriesen.

Śrī Caitanya sang dann ein schönes Lied über Kṛṣṇa: »Die Spiele Kṛṣṇas gleichen den Taten eines gewöhnlichen Menschen, und deshalb gleicht auch Seine Form der eines Menschen. Der Mensch ist jedoch nur Abbild der ewigen ursprünglichen Gestalt Kṛṣṇas. Kṛṣṇa ist wie ein Kuhhirtenjunge gekleidet; Er hält eine Flöte in der Hand und ist, ganz wie ein gewöhnlicher Junge, immer zum Spielen aufgelegt.«

Der Herr wollte Sanātana Gosvāmī als nächstes die Aspekte der Schönheit Kṛṣṇas erklären. Er sagte, daß ein jeder, der die Schönheit Kṛṣṇas verstehe, gleichsam in einen Ozean aus Nektar eintauche. Eine der Energien Kṛṣṇas wird yoga-māyā genannt; sie ist transzendental und befindet sich jenseits der materiellen Energie, doch Kṛṣṇa zeigt Seine transzendentale Macht sogar in der materiellen Welt, wenn Er erscheint, um Seine vertrauten Geweihten zu erfreuen. Kṛṣṇas Eigenschaften sind so anziehend, daß sogar Er Selbst manchmal den Wunsch hat, Sich zu verstehen - wie Er dasteht, mit Geschmeiden und Blumengirlanden geschmückt, der Körper dreifach geschwungen, mit Augenbrauen, die sich ständig bewegen, und Augen, die so schön sind, daß alle gopīs von ihnen bezaubert werden. Sein transzendentales Reich liegt im obersten Teil des spirituellen Himmels, und dort, wo man Ihn mit »Madana-mohana« anspricht, lebt Er zusammen mit Seinen ewigen Gefährtinnen, den gopīs und den Glücksgöttinnen.

Kṛṣṇa entfaltet unzählige Spiele, wie z. B. Seine Spiele als Vāsudeva und Saṅkarṣaṇa. In der materiellen Welt erscheint Er zuerst als die erste Puruṣa-Inkarnation, als der Schöpfer der materiellen Welt. Außerdem erscheint Er als Fisch- oder Schildkröten-Inkarnation, die Manifestationen Seiner Energien sind, und als Brahmā und Śiva, die Inkarnationen der materiellen Erscheinungsweisen. Auch entfaltet Er Seine Spiele als König Pṛthu, eine ermächtigte Inkarnation, und auch Seine Erweiterung als Überseele und als unpersönliches Brahman sind für Ihn göttliches Spiel. Der Herr manifestiert Sich in unzähligen Spielen, doch Seine wichtigsten finden in der menschenähnlichen Gestalt statt, wenn Er in Vṛndāvana als Hirtenjunge umhertollt und mit den gopīs tanzt, auf dem Schlachtfeld von Kurukṣetra Seite an Seite mit den Pāṇḍavas kämpft und in Mathurā und Dvārakā als König residiert. Schon wenn Er Seine Spiele in Gokula, Mathurā und Dvārakā nur zum Teil manifestiert, wird das ganze Universum mit Liebe zu Gott überflutet, denn jeder wird von Kṛṣṇas wunderbaren Eigenschaften angezogen.

Seine innere Energie ist nicht einmal im Königreich Gottes auf den Vaikuṇṭha-Planeten manifestiert; doch entfaltet Er sie manchmal sogar im materiellen Universum, wenn Er in Seiner unbegreiflichen Gnade aus Seinem persönlichen Reich herabkommt. Kṛṣṇa ist so wundervoll und anziehend, daß Er von Seiner eigenen Schönheit bezaubert wird, was ein weiterer Beweis dafür ist, daß Er ungeheure und unbegreifliche Kräfte in Sich birgt. Was Seine Schmuckstücke betrifft, so scheint es, daß nicht sie Ihn verschönern, sondern daß sie vielmehr selbst verschönt werden, wenn sie Seinen Körper bedecken. Er erscheint stets in einer dreifach geschwungenen Gestalt und zieht alle Lebewesen und alle Halbgötter an. Seiner Anziehungskraft erliegen selbst die Nārāyaṇa-Formen auf den Vaikuṇṭha-Planeten.

10. KAPITEL

Caitanya

Die Schönheit Kṛṣṇas

Kṛṣṇa wird »Madana-mohana« genannt, weil Er selbst den Liebesgott betört. Er ist Madana-mohana, weil Er den Mädchen von Vraja Seine Gunst erwies und ihre dienende Hingabe entgegennahm. Mit ihnen tanzte der Herr, nachdem Er Amors Stolz besiegt hatte, den rāsa-Tanz als der neue Amor. Er ist Madana-mohana, weil Er die Sinne der Frauen mit Seinen fünf Pfeilen Form, Geschmack, Geruch, Klang und Berührung zu betören weiß. Die Perlen der Halskette, die Kṛṣṇa trägt, sind weiß wie Schwäne, und die Pfauenfeder, die Seinen Kopf schmückt, ist so farbenprächtig wie der Regenbogen. Sein gelbes Gewand gleicht dem Widerschein des Blitzes am Himmel. Kṛṣṇa ist wie eine frische Regenwolke, und die gopīs sind wie die Glöckchen an Seinen Füßen. Wie die Wolke Regen über das Getreide auf den Feldern gießt, so nährt Kṛṣṇa die Herzen der gopīs, wenn Er sie in spielerischer Freude mit dem barmherzigen Regen Seiner transzendentalen Spiele überschüttet. Kṛṣṇa spielt ungezwungen mit Seinen Freunden als Hirtenjunge in Vṛndāvana, und wenn Er Seine Flöte spielt, werden alle Lebewesen, die beweglichen und die unbeweglichen, von Ekstase überwältigt, so daß sie erbeben, und Tränen ihre Augen füllen.

Die innige Liebe ist die erhabenste Seiner verschiedenen Füllen. Er ist der Meister allen Reichtums, aller Stärke, allen Ruhms, aller Schönheit, allen Wissens und aller Entsagung. Von diesen Füllen löst Seine vollkommene Schönheit die vertraute Liebe zu Ihm aus. Allein Kṛṣṇa besitzt diese Schönheit, wohingegen Seine anderen Füllen auch in der Nārāyaṇa-Form vorhanden sind.

Als Śrī Caitanya die Herrlichkeit Kṛṣṇas beschieb, fiel Er in transzendentale Ekstase und ergriff Sanātana Gosvāmīs Hände. Er pries die Mädchen von Vraja, die so glücklich seien, und zitierte einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, aus dem 24. Kapitel des Zehnten Cantos, wo es heißt: »Wieviele Opfer und Bußen müssen die Jungfrauen von Vṛndāvana auf sich genommen haben, da sie den Nektar von Kṛṣṇa trinken dürfen, der alle Schönheit, alle Stärke, aller Reichtum, aller Ruhm und der Mittelpunkt aller körperlichen Anziehung ist.«

Kṛṣṇas Körper, ein Ozean ewiger Jugend, bewegt sich in Wogen der Schönheit, und wenn Seine Flöte erklingt, scheint ein Sturmwind aufzubrausen. Diese Wellen und dieser Wirbelwind bringen die Herzen der gopīs wie trockene Blätter an Bäumen zum Erbeben, und wenn die Blätter zu Kṛṣṇas Lotosfüßen niederfallen, können sie sich nie mehr von dort erheben. Kṛṣṇas Schönheit ist unvergleichlich, denn niemand ist so schön wie Er, oder gar schöner. Kṛṣṇa ist der Ursprung aller Inkarnationen, einschließlich der Form des Nārāyaṇa. Warum sonst würde die Göttin des Glücks, die Nārāyaṇas vertraute Gefährtin ist, das Zusammensein mit Ihm aufgeben und sich Bußen auferlegen, um die Gesellschaft Kṛṣṇas zu gewinnen? - Das ist ein weiterer Beweis für die überaus anziehende Schönheit Kṛṣṇas, des immerwährenden Quells aller Schönheit, aus dem alle anderen schönen Dinge hervorgehen.

Die gopīs sind wie ein Spiegel, in dem sich die Schönheit Kṛṣṇas in jedem Augenblick widerspiegelt und vergrößert. Kṛṣṇa und die gopīs steigern ihre transzendentale Schönheit in jeder Sekunde, so daß zwischen ihnen ständig ein transzendentales Wetteifern stattfindet. Wer lediglich seine vorgeschriebene Pflicht erfüllt, sich Bußen auferlegt, mystischen yoga praktiziert, Wissen ansammelt oder Gebete darbringt, kann Kṛṣṇas Schönheit nicht wahrnehmen. Nur wer sich auf der transzendentalen Ebene der Liebe zu Gott befindet, d. h. Ihm aus reiner Liebe hingegeben dient, kann die transzendentale Schönheit Kṛṣṇas erkennen. Diese Schönheit Kṛṣṇas ist die Essenz aller anderen Qualitäten, und Seine damit zusammenhängenden Eigenschaften sind nur in Goloka Vṛndāvana anzutreffen und sonst nirgendwo. Die Form des Nārāyaṇa ist von Kṛṣṇa vor allem mit Großherzigkeit und Würde versehen; Zärtlichkeit und Zuneigung sind in Ihm nicht vorhanden - sie finden sich nur in Kṛṣṇa.

Śrī Caitanya war in transzendentale Ekstase getaucht, als Er all diese Verse aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zitierte und Sanātana Gosvāmī erklärte. Etwas ausführlicher erläuterte Er den 24. Vers aus dem 9. Kapitel des Neunten Cantos, wo es heißt: »Die gopīs genossen die Schönheit Kṛṣṇas mit ständig wachsender Freude: Sie erfreuten sich an Kṛṣṇas wunderschönem Gesicht, Seinen wunderschönen Ohren mit den Ohrringen, Seiner hohen Stirn und Seinem Lächeln, und während sie sich am Anblick von Kṛṣṇas Schönheit erfreuten, kritisierten sie die Unvollkommenheit Brahmās, des Schöpfers, der schuld hatte, daß sie Kṛṣṇa hin und wieder für einen Augenblick nicht sehen konnten, weil sie mit den Lidern zwinkern mußten.

Der Kāmagāyatrī-mantra beschreibt das Antlitz Kṛṣṇas als den König aller Monde. In der bildlichen Sprache gibt es viele Monde, und in Kṛṣṇa sind sie alle vereinigt - der Mond des Mundes, der Mond der Wangen, die Mondflecken aus Sandelholzpaste und die Halbmonde Seiner Fingerspitzen und der Spitzen Seiner Zehen - so gibt es 24 ½ Monde, und Kṛṣṇa ist die Gesamtheit all dieser verschiedenen Monde.

Die tanzenden Bewegungen von Kṛṣṇas Ohrringen, Seinen Augen und Seinen Augenbrauen wirken auf die Jungfrauen von Vraja ebenfalls sehr anziehend. Gibt es für die Augen etwas Schöneres als Kṛṣṇas Gesicht? Im Grunde reichen zwei Augen nicht aus, Kṛṣṇa genügend zu sehen. Wenn man die Unzulänglichkeiten des Körpers erkennt, wenn es darum geht, Kṛṣṇa zu betrachten, empfindet man großen Kummer. Dieser Schmerz läßt sich ein wenig lindern, wenn man die Intelligenz des Schöpfers kritisiert; der unzufriedene Betrachter von Kṛṣṇas Gesicht klagt dann: »Statt Tausende von Augen habe ich nur zwei, und selbst die werden noch von der Bewegung der Augenlider behindert. Hieran kann man deutlich sehen, daß der Schöpfer dieses Körpers nicht sehr intelligent sein kann. Er ist mit der Kunst der Ekstase nicht vertraut. Er ist nur ein ganz alltäglicher Schöpfer. Er weiß nicht, wie man die Dinge so arrangiert, daß man Kṛṣṇa ununterbrochen sehen kann.« Die Gedanken der gopīs erfreuen sich ständig der Süße von Kṛṣṇas Körper. Er ist der Ozean der Schönheit, und Sein liebliches Antlitz, Sein bezauberndes Lächeln und die Ausstrahlung Seines Körpers wirken immer sehr anziehend auf die gopīs. Im Kṛṣṇa-karṇāmṛta werden diese drei Aspekte als »süß«, »süßer« und » am süßesten« beschrieben. Wenn der reine Gottgeweihte durch den Anblick der Schönheit von Kṛṣṇas Körper, der Schönheit Seines Gesichtes und der Schönheit Seines Lächelns von Ekstase überwältigt wird, verkrampft sich sein Körper oft. Diese transzendentalen Konvulsionen dauern ohne Linderung manchmal an, wie gewöhnliche Krampfanfälle, bei denen man kein Wasser zur Erleichterung trinken darf.

Der Gottgeweihte leidet in der Abwesenheit Kṛṣṇas unter ständig wachsenden Trennungsschmerzen, und er sehnt sich danach, den Nektar Seiner Schönheit zu trinken. Wenn Kṛṣṇas transzendentale Flöte erklingt, durchdringt das starke Verlangen des Gottgeweihten, diese Flöte zu hören, die Schale des Universums und erreicht den spirituellen Himmel, wo der transzendentale Klang der Flöte in die Ohren des Gottgeweihten eingeht. Kṛṣṇas Flöte verklingt in den Ohren der gopīs niemals, sondern läßt vielmehr ihre Ekstase ständig anwachsen. Wenn diese Klänge sie erfüllen, kann kein anderer Ton in ihr Ohr dringen, und im Umgang mit ihren Familien sind sie nicht in der Lage, richtig zu antworten, da all diese herrlichen Töne in ihnen schwingen.

Mit diesen und ähnlichen Beschreibungen erklärte Śrī Caitanya Kṛṣṇas transzendentales Wesen, Seine Erweiterungen, Seine körperliche Ausstrahlung und alles, was mit Ihm in Beziehung steht. Kurzum, Śrī Caitanya erklärte Kṛṣṇas unvergleichliche transzendentale Eigenschaften, und da Kṛṣṇa die Essenz aller Dinge ist, beschrieb Er auch, wie man sich Ihm nähern kann. Er sagte, das hingebungsvolle Dienen für Kṛṣṇa sei der einzige Weg. Das sei die Aussage aller vedischen Schriften. Die Weisen haben dazu erklärt: »Wenn jemand in den vedischen Schriften oder den Purāṇas nach transzendentaler Erkenntnis forscht, wird er bald herausfinden, daß der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, das Ziel aller Verehrung ist, und daß er sich Ihm durch dienende Hingabe nähern kann.

Kṛṣṇa ist die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, und Er ist, wie auch in der Bhagavad-gītā beschrieben wird, stets von Seiner inneren Energie, der svarūpa-ṣakti oder ātma-ṣakti, umgeben. Er erweitert Sich in verschiedene vielfältige Formen; einige von ihnen nennt man »persönliche Formen« und andere »gesonderte Formen«. Auf diese Weise erfreut Er Sich sowohl auf allen spirituellen Planeten als auch in den materiellen Universen.

Die Erweiterungen Seiner abgesonderten Formen nennt man »Lebewesen«, und man klassifiziert sie in zwei Gruppen: Die einen sind ewig befreit und die anderen ewig bedingt. Die ewig befreiten Lebewesen kommen niemals mit der materiellen Natur in Berührung, und sie haben keine Erfahrung vom materiellen Leben. Sie sind ewiglich Kṛṣṇa-bewußt, d. h. in dienender Hingabe dem Herrn ergeben, und werden als die ewigen Gefährten Kṛṣṇas angesehen. Ihre Freude besteht darin, Kṛṣṇa in transzendentaler Liebe zu dienen. Die ewig bedingten Lebewesen hingegen leben ständig von Kṛṣṇas transzendentalem Dienst getrennt und sind deshalb den dreifachen Leiden des materiellen Daseins unterworfen. Weil sie den Wunsch haben, getrennt von Kṛṣṇa zu genießen, schenkt ihnen die materielle Energie zwei Arten des körperlichen Daseins: den grobstofflichen Körper, der sich aus den fünf Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther zusammensetzt, und den feinstofflichen Körper, der aus Geist, Intelligenz und Ego besteht. Da die bedingte Seele von diesen beiden Körpern bedeckt wird, erleidet sie ständig die Qualen des materiellen Daseins, die als die dreifachen Leiden bekannt sind. Außerdem ist sie sechs Feinden ausgesetzt, wie z. B. Lust und Zorn, und so leidet sie an der Krankheit des bedingten Lebens.

Krank und bedingt wandert das Lebewesen durch das Universum. Manchmal hält es sich im höheren Planetensystem auf, und manchmal wandert es durch das niedere Planetensystem. Diese Krankheit kann nur geheilt werden, wenn man einen fachkundigen Arzt, einen echten geistigen Meister, trifft und sich seiner Führung anvertraut. Wenn die bedingte Seele den Unterweisungen eines autorisierten geistigen Meisters mit Vertrauen folgt, wird ihre materielle Krankheit bald geheilt sein, und sie wird Befreiung erlangen. Denn wenn sie sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, kann sie die Gewißheit haben, schon in naher Zukunft zu Kṛṣṇa in die transzendentale Welt zurückzukehren.

Das bedingte Lebewesen sollte sich unbedingt seiner Situation bewußt werden. Wir sollten zum Herrn beten: »Wie lange und wie sehr wird mich leibliches Drängen wie Lust und Zorn noch beherrschen? O Kṛṣṇa, bitte hilf mir, davon frei zu werden.« Als die Meister der bedingten Seele kennen Lust und Zorn kein Erbarmen, so daß die bedingte Seele diesen schlechten Herren ohne Ende dienen muß. Wenn sie jedoch ihr ursprüngliches Bewußtsein, ihr Kṛṣṇa-Bewußtsein, wiedererweckt, hört sie auf, diesen undankbaren Meistern zu dienen, und nähert sich Kṛṣṇa mit aufrichtigem und offenem Herzen, um bei Ihm Zuflucht zu suchen. Dann betet sie zu Kṛṣṇa, daß Er sie in Seinem transzendentalen liebevollen Dienst beschäftigen möge.

In den vedischen Schriften werden manchmal fruchtbringende Tätigkeiten, der Pfad des mystischen yoga oder auch die spekulative Suche nach Erkenntnis gepriesen. Alle diese Methoden gelten als verschiedene Wege zur Selbsterkenntnis, doch obwohl diese Pfade empfohlen werden, wird in jeder Schrift der Pfad der dienenden Hingabe als der erhabenste herausgestellt. Mit anderen Worten: Hingebungsvolles Dienen für Śrī Kṛṣṇa ist der vollkommenste Pfad zur Selbstverwirklichung, und es wird dringend empfohlen, diesem Pfad direkt zu folgen. Materiell einträgliche Tätigkeiten, mystische Meditation und die Entwicklung spekulativen Wissens sind nicht direkte Methoden, sondern nur indirekte Wege, denn keiner von ihnen führt ohne dienende Hingabe zur höchsten Vollkommenheit. Sie alle müssen letzten Endes in den Pfad des hingebungsvollen Dienens einmünden.

 

11. KAPITEL

Caitanya

Der Dienst für den Herrn

Die verschiedenen Pfade zur Selbstverwirklichung können nur dann zum Erfolg führen, wenn sie mit dienender Hingabe verbunden sind. Nārada Muni erklärte dies seinem Schüler Vyāsadeva, als dieser selbst dann noch nicht zufrieden war, nachdem er zahllose Bücher über vedisches Wissen zusammengestellt hatte. Vyāsadeva saß in tiefer Niedergeschlagenheit am Ufer der Sarasvatī, als Nārada Muni zu ihm kam. Als der große Heilige Vyāsa so deprimiert sah, erklärte er ihm, was noch in seinen vielen verschiedenen Büchern fehlte. Er sagte: »Selbst reines Wissen bleibt unvollkommen, wenn es nicht durch transzendentale dienende Hingabe vervollständigt wird - ganz zu schweigen von fruchtbringenden Tätigkeiten. Sie können dem Ausführenden nicht das geringste nützen!«

Es gibt viele Weise, die sich viele Entsagungen und Enthaltsamkeiten auferlegen; es gibt viele Menschen, die für wohltätige Zwecke große Spenden geben; es gibt viele berühmte Männer, Gelehrte und große Denker und auch viele, die in den vedischen Hymnen sehr erfahren sind. All diese Dinge sind gewiß vorteilhaft, doch wenn sie nicht dazu benutzt werden, dienende Hingabe zum Herrn zu erlangen, können sie uns nicht den gewünschten Erfolg bescheren. Deshalb brachte Śukadeva Gosvāmī dem Höchsten Herrn im Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam seine respektvollen Ehrerbietungen dar, denn er wußte, daß der Herr der einzige ist, der diesen Erfolg gewähren kann.

Alle Philosophen und Transzendentalisten bestätigen, daß niemand, dem es an Wissen mangelt, aus der materiellen Verstrickung befreit werden kann. Doch Wissen allein, das nicht mit dienender Hingabe verbunden ist, kann ebensowenig zur Befreiung führen. Mit anderen Worten: Jñāna (Wissen) kann nur dann befreien, wenn es den Pfad zur dienenden Hingabe ebnet, sonst nicht.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird diese Wahrheit von Brahmā bestätigt, der dort sagt: »Mein lieber Herr, hingebungsvolles Dienen für Dich ist der beste und sicherste Weg zur Selbstverwirklichung. Wenn jemand diesen Pfad verläßt und sich mit der Entwicklung von Wissen oder mit Spekulationen befaßt, wird er lediglich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ohne die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Ebenso wie ein Mensch, der leere Spreu drischt, kein Getreide gewinnen kann, können auch jene, die einzig und allein an spekulativem Wissen interessiert sind, das gewünschte Ziel der Selbsterkenntnis nicht erreichen. Das einzige, was sie bekommen, sind Schwierigkeiten.«

In der Bhagavad-gītā wird im 14. Vers des Siebten Kapitels gesagt, daß die materielle Natur sehr mächtig und für ein gewöhnliches Lebewesen unüberwindlich ist. Doch wer sich den Lotosfüßen Kṛṣṇas hingibt, kann den Ozean des materiellen Daseins mit Leichtigkeit überqueren. Die Selbstvergessenheit des Lebewesens - nämlich zu vergessen, daß es der ewige Diener Kṛṣṇas ist - ist der einzige Grund seines Gefangenseins im bedingten Leben und die Ursache seiner Gebundenheit an die materielle Energie. Diese Gebundenheit ist die eigentliche Fessel der bedingten Seele. Es ist sehr schwierig, frei zu werden, solange man noch das Verlangen in sich trägt, die materielle Natur zu beherrschen. Deshalb wird empfohlen, sich an einen geistigen Meister zu wenden und sich von ihm im hingebungsvollen Dienen ausbilden zu lassen; denn nur so kann man den Fesseln der materiellen Natur entkommen und zu Kṛṣṇas Lotosfüßen gelangen.

Die menschliche Gesellschaft ist in vier Klassen gegliedert: in die brāhmaṇas (die Intellektuellen), die kṣatriyas (die Verwalter), die vaiṣyas (die Bauern und Geschäftsleute) und die ṣūdras (die Arbeiter). Diese Klassen gliedern sich weiter in den brahmacārī (den Studierenden), den gṛhasta (den Haushältern), den vānaprastha (den vom Familienleben Zurückgezogenen) und den sannyāsī (den in Entsagung Lebenden). Wenn es jedoch an dienender Hingabe, an Kṛṣṇa-Bewußtsein, mangelt, kann niemand, auch wenn er seine jeweiligen vorgeschriebenen Pflichten gewissenhaft erfüllt, von der materiellen Fessel frei werden. Im Gegenteil, selbst wenn er seinen Pflichten nachkommt, gleitet er aufgrund seines materiellen Bewußtseins hinab zur Hölle. Deshalb muß sich jeder, der seine vorgeschriebenen Pflichten erfüllt, durch hingebungsvolles Dienen dazu erziehen, Kṛṣṇa-bewußt zu handeln, denn nur so kann er von der materiellen Natur frei werden.

In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, den Nārada einst als Grundprinzip für spirituelles Leben gegeben hatte. In ihm heißt es, daß die vier Einteilungen der Gesellschaft und auch die vier Stufen des Lebens aus der gigantischen Form des Herrn erzeugt wurden: Die brāhmaṇas wurden aus dem Mund der universalen Form des Herrn geboren, die kṣatriyas aus den Armen, die vaiṣyas aus dem Leib und die ṣūdras aus den Beinen. Somit befinden sie sich in verschiedenen Erscheinungsweisen der materiellen Natur und weilen innerhalb des virāta-puruṣa (der universalen Form). Wenn man dem Herrn nicht in Hingabe dient, wird man, auch wenn man seine vorgeschriebene Pflicht erfüllt, seiner Stellung in den vier Stufen des Lebens oder den vier Einteilungen nicht gerecht.

Śrī Caitanya sagte dann, die Māyāvādīs, die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre, glaubten zwar, sie seien befreit und eins mit Gott, doch nach der Aussage des Śrīmad-Bhāgavatam seien sie nicht wirklich befreit. Er zitierte dazu einen Vers aus dem 2. Kapitel des Zehnten Cantos, wo es heißt: »Diejenigen, die glauben, durch die Māyāvāda-Philosophie befreit zu sein, sich dem Herrn jedoch nicht in dienender Liebe hingeben, fallen aus Mangel an hingebungsvollem Dienen wieder ins materielle Leben zurück - selbst nachdem sie die strengsten Bußen und Enthaltsamkeiten auf sich genommen haben und vielleicht sogar dem höchsten Ziel ein wenig näher gekommen sind.«

Śrī Caitanya erklärte weiter, Kṛṣṇa sei wie die Sonne, und māyā, die illusionierende materielle Energie, sei wie die Dunkelheit. Deshalb bestehe für jemanden, der sich ständig im Sonnenschein Kṛṣṇas aufhalte, keine Gefahr, durch die Dunkelheit der materiellen Energie getäuscht zu werden. Dies wird in den vier Hauptversen des Śrīmad-Bhāgavatam sehr schön erklärt und wird auch im 5. Kapitel des Zweiten Cantos bestätigt, in dem es heißt: »Die illusionierende Energie, māyā, scheut sich, vor den Herrn zu treten.«

Die Lebewesen werden ständig durch diese illusionierende Energie verwirrt. Im bedingten Zustand erfinden sie viele Wortspielereien und denken, auf diese Weise könnten sie den Banden māyās entkommen; doch in Wirklichkeit kann nur ein Mensch, der sich Kṛṣṇa mit aller Ernsthaftigkeit hingibt, aus der Gewalt der materiellen Energie frei werden - selbst wenn er nur einmal sagt: »Mein lieber Kṛṣṇa, von diesem Tage an gehöre ich Dir.«

Dies wird im Lanka-kāṇḍa des Rāmāyaṇa bestätigt, wo der Herr sagt: »Es ist Meine Pflicht und Mein Gelübde, daß Ich jeden, der sich Mir ohne jeglichen Vorbehalt hingibt, beschützen werde.« Viele Menschen streben nach materiellem Gewinn, nach Erkenntnis, nach Befreiung oder nach mystischen Kräften, doch wenn jemand das Glück hat, zu wirklicher Intelligenz zu gelangen, gibt er all diese Wege auf und wendet sich in aufrichtig dienender Hingabe dem Herrn zu. Das Bhāgavatam bestätigt im 3. Kapitel des Zweiten Cantos, daß sich ein wirklich intelligenter Mensch dem hingebungsvollen Dienen zuwendet - auch wenn er noch voller Verlangen nach materiellem Genuß oder nach Befreiung ist.

Menschen, die aus dem hingebungsvollen Dienst einen materiellen Nutzen ziehen wollen, sind zwar keine reinen Gottgeweihten, aber weil sie sich um hingebungsvolles Dienen bemühen, zählen auch sie zu den vom Glück Begünstigten. Sie wissen vielleicht nicht, daß materieller Gewinn nicht das Ziel des hingebungsvollen Dienens ist, doch weil sie im Dienst des Herrn beschäftigt sind, werden sie allmählich gereinigt und erkennen schließlich das eigentliche Ziel der dienenden Hingabe. Kṛṣṇa sagt, solche Menschen, die im Austausch für ihre hingebungsvollen Dienste mit materiellem Genuß belohnt werden wollen, seien verblendet, denn sie versuchten, Gift zu genießen, statt Liebe zu Gott zu entwickeln. Doch obwohl solche Menschen Kṛṣṇa um etwas Materielles bitten, nimmt Sich Kṛṣṇa, der Allmächtige, ihrer an und befreit sie allmählich von ihrem eigenmächtigen Streben, indem Er sie in Seinem Dienst beschäftigt. Wenn sie diesen Dienst tatsächlich mit Hingabe ausführen, vergessen sie allmählich ihre materiellen Begierden und Wünsche und werden frei von der Verstrickung in die Materie. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird dies im 19. Kapitel des Fünften Cantos wie folgt bestätigt: »Śrī Kṛṣṇa erfüllt alle Wünsche Seiner Geweihten, die in dienender Hingabe zu Ihm kommen; doch Er erfüllt nicht solche Wünsche, die nur neue Leiden mit sich bringen würden. Obwohl manche Gottgeweihte voller materieller Wünsche sind, werden auch sie, wenn sie sich im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigen, allmählich von dem Verlangen nach materiellem Genuß gereinigt und beginnen, nach der Glückseligkeit zu streben, die nur im hingebungsvollen Dienen zu finden ist.«

Im allgemeinen schließt man sich der Gemeinschaft von Gottgeweihten an, um seine Wünsche nach materiellem Genuß zu befriedigen; doch durch den spirituellen Einfluß eines reinen Gottgeweihten verliert man allmählich alle materiellen Verlangen und kostet schon bald den Geschmack der dienenden Hingabe. Es bereitet sehr viel Freude, dem Herrn mit Liebe und Hingabe zu dienen, und so wird der Gottgeweihte schon bald vollständig gereinigt und vergißt alle materiellen Verlangen, wenn er sich mit seiner ganzen Kraft dem transzendentalen liebevollen Dienst für Kṛṣṇa hingibt. Das beste Beispiel hierfür ist Dhruva Mahārāja, der sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigte, weil er von Kṛṣṇa etwas Materielles begehrte. Als der Herr dann als vierarmiger Viṣṇu vor ihm erschien, sagte Dhruva: »Mein lieber Herr, ich habe Dir in großer Enthaltsamkeit und unter strengen Bußen in Hingabe gedient, und deshalb bist Du nun vor mir erschienen. Es ist selbst für große Halbgötter und Weise sehr schwierig, Dich zu sehen, und so bin ich nun durch Deinen Anblick so zufrieden, daß all meine Wünsche erfüllt sind. Ich begehre nichts mehr von Dir. Ich suchte nach zerbrochenem Glas und fand den herrlichsten und kostbarsten Edelstein.«

Das Lebewesen, das durch die 8 400 000 Arten des Lebens wandert, wird im Śrīmad-Bhāgavatam mit einem Stück Holz verglichen, das auf den Wellen eines Flusses treibt. Für das bedingte Lebewesen besteht wenig Aussicht, den Fesseln der materiellen Energie zu entrinnen, doch es sollte nicht verzagen; denn ebenso wie es möglich ist, daß das Stück Holz am Ufer hängenbleibt und zur Ruhe kommt, besteht auch die Möglichkeit, daß die bedingte Seele mit einem reinen Gottgeweihten zusammenkommt und ihre schlummernde Zuneigung zu Kṛṣṇa wiedererweckt. Es gibt verschiedene Arten von Ritualen und Handlungen: Einige führen zu materiellem Genuß und andere zur Befreiung von der materiellen Verunreinigung. Wenn sich ein Lebewesen rituellen Handlungen zuwendet, die sich im Zusammensein mit reinen Gottgeweihten zu reinem hingebungsvollen Dienen entwickeln, reifen in ihm ganz natürlich Liebe und Hingabe zum Höchsten Herrn. Im Śrīmad-Bhāgavatam sagt Mucukunda im 51. Kapitel des Zehnten Cantos: »Mein lieber Herr, manchmal kommt es vor, daß ein Lebewesen, das in der materiellen Welt durch die verschiedenen Arten des Lebens wandert, den Wunsch nach Befreiung entwickelt und mit einem reinen Gottgeweihten in Berührung kommt. Dann endlich wird es aus der Gewalt der materiellen Energie befreit und weiht sein Leben Dir, dem Höchsten Persönlichen Gott.«

Wenn sich eine bedingte Seele Kṛṣṇa hingibt, hilft Kṛṣṇa ihr durch Seine motivlose Gnade auf zweierlei Art: Er unterweist sie von außen durch den geistigen Meister und von innen durch die Überseele. In diesem Zusammenhang findet sich ein schöner Vers im 29. Kapitel des Elften Cantos, in welchem es heißt: »O mein lieber Herr, selbst wenn jemand so lange lebte wie Brahmā, würde seine Zeit nicht ausreichen, Dir seine Dankbarkeit dafür auszudrücken, daß er sich an Dich erinnern durfte. Aus Deiner grundlosen Barmherzigkeit verhütest Du alle für einen Gottgeweihten ungünstigen Umstände und beseitigst alle schlechten Einflüsse, indem Du ihn von außen als der geistige Meister und von innen als die Überseele unterweist.«

Wer mit einem reinen Gottgeweihten zusammenkommt und den Wunsch entwickelt, Kṛṣṇa zu dienen, erhebt sich allmählich zur Stufe der Liebe zu Gott und wird aus der materiellen Energie befreit. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 20. Kapitel des Elften Cantos erklärt, wo der Herr sagt: »Der Pfad der dienenden Hingabe, der zur vollkommenen Stufe der Liebe zu Gott führt, steht jedem offen, der sich zu den Erzählungen Meiner transzendentalen Spiele hingezogen fühlt, ohne von materiellen Tätigkeiten verlockt oder abgestoßen zu werden. Es ist jedoch nicht möglich, diese Stufe der Vollkommenheit zu erreichen, solange man nicht mit der Gnade eines reinen Gottgeweihten, eines mahātma (große Seele), gesegnet wird. Ohne die Barmherzigkeit einer großen Seele kann man nicht einmal aus der Gefangenschaft der materiellen Welt befreit werden, ganz zu schweigen von einer Erhebung auf die Ebene der Liebe zu Gott. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 11. Kapitel des Fünften Cantos bestätigt, wo vom Zusammentreffen des Königs Rahugaṇa mit König Bharata berichtet wird. König Rahugaṇa zeigte sich sehr überrascht, als er sah, welch hohe Stufe der spirituellen Vervollkommnung Bharata Mahārāja in seinem Leben erreicht hatte. Bharata Mahārāja sagte daraufhin: »Mein lieber Rahugaṇa, niemand kann ohne die Gnade einer großen Seele, eines reinen Gottgeweihten, die vollkommene Stufe der dienenden Hingabe erreichen. Niemand kann diesen vollkommenen Zustand erreichen, indem er lediglich den regulierenden Prinzipien der Schriften folgt, in die Lebensstufe der Entsagung eintritt, die vorgeschriebenen Pflichten des Haushälterlebens erfüllt, ein hervorragender Schüler der spirituellen Wissenschaft wird oder um der Erkenntnis willen schwere Bußen und Entsagungen auf sich nimmt.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam, im 5. Kapitel des Siebten Cantos, fragt der atheistische König Hiraṇyakaṣipu seinen Sohn Prahlāda Mahārāja, wie es zu erklären sei, daß er Kṛṣṇa so hingegeben diene, worauf Prahlāda sagte: »Solange man nicht mit dem Staub von den Lotosfüßen reiner Gottgeweihter gesegnet ist, kann man nicht einmal an den Weg der dienenden Hingabe, der die Lösung aller Probleme des materiellen Lebens bedeutet, denken.«

Śrī Caitanya machte Sanātana Gosvāmī darauf aufmerksam, daß in allen Schriften betont werde, wie wichtig die Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten sei. Die Gelegenheit, mit einem reinen Geweihten des Höchsten Herrn zusammenzusein, ist der erste Schritt zur Vollkommenheit. Dies wird auch im Śrīmad-Bhāgavatam im 18. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt, wo es heißt: »Die Möglichkeiten und Segnungen, die man durch das Zusammensein mit einem reinen Gottgeweihten erhält, sind weder mit der Erhebung zu den himmlischen Planeten noch mit der Befreiung aus der materiellen Energie zu vergleichen.«

Śrī Kṛṣṇa gab Arjuna in der Bhagavad-gītā die vertraulichste Unterweisung, als Er im 64. und 65. Vers des Achtzehnten Kapitels sagte: »Mein lieber Arjuna, du bist Mein lieber Freund und Geweihter, und deshalb offenbare Ich dir dieses überaus vertrauliche Wissen: Denke ständig an Mich, und werde Mein Geweihter, verehre Mich ohne Unterlaß, und werde eine Mir hingegebene Seele. Das ist der einzige Weg, auf dem du in Mein Reich gelangen kannst. Ich offenbare dir hiermit den vertraulichsten Teil des Wissens, weil du Mein lieber Freund bist.«

Diese direkte Anweisung von Kṛṣṇa an Arjuna ist wichtiger als jede vedische Vorschrift oder jeder regulierte Dienst. Natürlich gibt es viele vedische Unterweisungen, die uns z. B. rituelle Handlungen, Opferdarbringungen, regulierte Pflichten, Meditation und spekulative Betrachtung vorschreiben. Kṛṣṇas direkte Anweisung, »Gib alles auf, werde Mein Geweihter, und verehre Mich ständig«, sollte jedoch als maßgebend angenommen und erfüllt werden.

Wenn man von der Bedeutsamkeit der direkten Unterweisung des Herrn in der Bhagavad-gītā überzeugt ist, Geschmack am hingebungsvollen Dienen bekommt und schließlich alle anderen Beschäftigungen aufgibt, wird man ohne Zweifel erfolgreich sein. Bestätigend erklärt das Śrīmad-Bhāgavatam, daß man den anderen Wegen zur Selbstverwirklichung nur so lange folgen sollte, wie man noch nicht von der direkten Anweisung des Herrn, Śrī Kṛṣṇa, überzeugt ist. Im Śrīmad-Bhāgavatam und in der Bhagavad-gītā wird unmißverständlich gesagt, daß die direkte Anweisung des Herrn lautet, alles andere aufzugeben und Ihm mit Hingabe zu dienen. Führt man diese Anweisung mit Vertrauen aus, hat man Glauben entwickelt. Glaube bedeutet, fest davon überzeugt zu sein, daß durch den hingebungsvollen Dienst für Kṛṣṇa alle anderen Methoden der Selbstverwirklichung gleichzeitig mitausgeführt werden - auch die regulierenden Prinzipien der rituellen Pflichten, die Opferungen, die Ausübung von yoga und das spekulative Ansammeln von Wissen. All dies ist erfüllt, wenn man davon überzeugt ist, daß das hingebungsvolle Dienen für den Herrn alle anderen Vorgänge einschließt. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird in diesem Zusammenhang im 31. Kapitel des Vierten Cantos gesagt: »Wie die Äste, Zweige, Blätter und Früchte eines Baumes ernährt werden, wenn man die Wurzel begießt, und wie der gesamte Körper versorgt wird, wenn man dem Magen Nahrung zuführt, so werden einfach durch hingebungsvolles Dienen für Kṛṣṇa alle anderen Arten der Verehrung und Methoden der Erkenntnis gleichzeitig mit zur Vollendung gebracht.« Wer von dieser Tatsache fest überzeugt ist und auf den Höchsten Herrn vertraut, kann auf die Stufe des reinen Gottgeweihten erhoben werden.

Die Gottgeweihten kann man je nach dem Grad ihrer Überzeugung in drei Gruppen einteilen: Der erstklassige Gottgeweihte ist mit den vedischen Schriften wohlvertraut und besitzt zugleich die obengenannte feste Überzeugung. Ein solcher erstklassiger Gottgeweihter kann jeden von den Qualen der materiellen Leiden erlösen. Der zweitklassige Gottgeweihte ist zwar fest überzeugt und hat auch einen starken Glauben, doch ist er nicht imstande, aus den offenbarten Schriften zu zitieren. Der drittklassige Gottgeweihte besitzt keinen starken Glauben und kennt auch nicht die Schriften, doch kann er durch die allmähliche Entwicklung der dienenden Hingabe zu einem zweitklassigen oder sogar erstklassigen Gottgeweihten werden.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 2. Kapitel des Elften Cantos gesagt, daß der erstklassige Gottgeweihte den Höchsten Herrn stets im Herzen der Lebewesen sieht. Er sieht daher immer Kṛṣṇa und nichts als Kṛṣṇa. Ein Gottgeweihter, der all sein Vertrauen in den Höchsten Persönlichen Gott setzt, mit den reinen Gottgeweihten Freundschaft schließt, den unschuldigen Menschen freundlich gesinnt ist und jene meidet, die atheistisch oder gegen das gottgeweihte Dienen sind, wird ein zweitklassiger reiner Gottgeweihter genannt. Und ein Mensch, der dem Herrn nach den Anweisungen des geistigen Meisters oder gemäß der Familientradition in Hingabe dient und die göttliche Figur des Herrn im Tempel verehrt, ohne jedoch viel über hingebungsvolles Dienen zu wissen, und ohne erkennen zu können, wer ein Gottgeweihter und wer ein Nichtgottgeweihter ist - solch ein Mensch wird ein drittklassiger reiner Gottgeweihter genannt. Der letztgenannte ist im Grunde noch kein reiner Gottgeweihter. Er hat zwar fast die Stufe der Hingabe erreicht, doch ist er noch nicht allzu standfest.

Die Erklärung hierfür lautet, daß ein Mensch erst dann zu den reinen Gottgeweihten gezählt werden kann, wenn er Liebe zu Gott, Freundschaft gegenüber den Gottgeweihten, Güte gegenüber den Unschuldigen und Zurückhaltung gegenüber den Nicht-Gottgeweihten zeigt. Wenn ein solcher Mensch Fortschritte im hingebungsvollen Dienen macht, kann auch er schließlich erkennen, daß jedes Lebewesen ein Teil des Höchsten ist. Wenn er in jedem Lebewesen die Höchste Person zu sehen vermag, gibt es für ihn keinen Unterschied mehr zwischen Gottgeweihten und Nicht-Gottgeweihten. Er sieht jeden als Diener des Herrn an. Ein reiner Gottgeweihter entwickelt nach und nach alle wertvollen Eigenschaften, während er im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt ist und Kṛṣṇa in Liebe und Hingabe dient. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 18. Kapitel des Fünften Cantos gesagt: »Jeder, der die Stufe der reinen, unverfälschten Hingabe erreicht, entwickelt alle guten Eigenschaften der Halbgötter; doch jemand, der keine reine Hingabe entwickelt, geht zwangsläufig, trotz seiner materiellen Fähigkeiten, in die Irre, da er sich auf der verstandesmäßigen Ebene in Spekulationen verliert.

12. KAPITEL

Caitanya

Der Gottgeweihte

Jeder, der Kṛṣṇa-Bewußtsein praktiziert und dem Herrn in transzendentaler Liebe völlig hingegeben ist, entwickelt zahllose gute Eigenschaften, die göttlich genannt werden, weil auch die Halbgötter diese Qualitäten besitzen. Śrī Caitanya beschrieb Sanātana Gosvāmī jedoch nur die wichtigsten: Ein Gottgeweihter ist zu jedermann freundlich. Er sucht mit niemandem Streit. Er nimmt die Essenz des Lebens und führt ein spirituelles Leben. Er behandelt jeden gleich. Niemand kann an einem Gottgeweihten einen Fehler finden. Sein großherziges Gemüt ist stets frisch und rein und ohne jede materielle Beeinträchtigung. Er ist der Wohltäter aller Lebewesen. Er ist friedvoll und Kṛṣṇa immer hingegeben. Er hat kein materielles Verlangen. Er ist demütig und zielstrebig. Er ist den sechs materiellen Feinden wie Lust und Zorn überlegen. Er ißt nicht mehr als nötig. Er ist stets besonnen. Er ist respektvoll anderen gegenüber, erwartet aber für sich selbst keinen Respekt. Er ist ernsthaft. Er ist gütig. Er ist freundlich. Er ist ein Dichter. Er ist gewissenhaft in der Ausführung seiner Arbeiten, und er ist schweigsam.

Im Śrīmad-Bhāgavatam ist im 25. Kapitel des Dritten Cantos ebenfalls die Beschreibung eines Kṛṣṇa-bewußten Menschen zu finden, der dem Herrn in dienender Liebe hingegeben ist; es heißt dort: »Solch ein Gottgeweihter ist immer tolerant und gütig. Er ist der Freund aller Lebewesen, und er hat keine Feinde. Er ist friedvoll und besitzt alle guten Eigenschaften. Dies sind die Merkmale eines Menschen, der Kṛṣṇa-Bewußtsein praktiziert.«

Im Bhāgavatam wird auch gesagt, daß der Pfad zur Befreiung jedem offen steht, der die Gelegenheit erhält, einer großen Seele, einem mahātma, zu dienen. Diejenigen jedoch, die lieber mit materialistischen Menschen verkehren, beschreiten den Pfad der Dunkelheit. Die Gottgeweihten sind ausgeglichen, friedvoll, niemals zornig und allen Lebewesen freundlich gesinnt. Deshalb wird man schon durch das Zusammensein mit solchen Heiligen ebenfalls zu einem Gottgeweihten. Die Gemeinschaft mit Gottgeweihten ist unbedingt notwendig, um Liebe zu Gott zu entwickeln. Jeder, der mit einem Heiligen in Berührung kommt, kann den Pfad des spirituellen Lebens beschreiten, und wenn man diesem Pfad folgt, ist es sicher, daß man allmählich reines hingebungsvolles Dienen in völligem Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt.

Im Śrīmad-Bhāgavatam, im 2. Kapitel des Elften Cantos, fragt Vasudeva, der Vater Kṛṣṇas, Nārada Muni nach der größten Segnung im Leben. Als Antwort zitierte Nārada Muni einen Auszug aus dem Gespräch der neun Weisen mit König Nimi: »O ihr großen Weisen«, sagte der König, »schon ein Augenblick mit Heiligen wie euch ist das wertvollste Geschenk im Leben. Dieser Augenblick erschließt mir den Pfad zum spirituellen Fortschritt.« Auch im 25. Kapitel des Dritten Cantos finden wir diese Wahrheit bestätigt; dort heißt es: »Die Gemeinschaft mit Heiligen und das Erörtern transzendentaler Themen mit ihnen sind Gelegenheiten, die einen Menschen vom Pfad des hingebungsvollen Dienens überzeugen. Schon bald wird es ein Genuß für sein Ohr und sein Herz sein, von Kṛṣṇa zu hören.« Wenn man versucht, das Wissen, das man von Heiligen oder reinen Gottgeweihten empfangen hat, im eigenen Leben anzuwenden, entwickelt man ganz natürlich zunächst Glauben, dann Zuneigung und schließlich dienende Hingabe.

Der Herr beschrieb Sanātana Gosvāmī als nächstes das Verhalten eines Gottgeweihten. Sein wesentlichstes Merkmal ist, daß er sich immer von nicht-heiligen Menschen fernhält. Und was versteht man unter »nicht-heiligen Menschen«? Gemeint ist das Zusammensein mit denen, die zu sehr den Frauen ergeben und die keine Geweihten Śrī Kṛṣṇas sind. Man muß die Gesellschaft nicht-heiliger Nicht-Gottgeweihter ebenso sorgsam meiden, wie man das Zusammensein mit heiligen Gottgeweihten suchen muß. Die reinen Geweihten Kṛṣṇas achten sehr darauf, sich stets von den nicht-heiligen Nicht-Gottgeweihten fernzuhalten.

Die üblen Folgen nicht-heiliger Gemeinschaft mit Nicht-Gottgeweihten werden im Śrīmad-Bhāgavatam im 31. Kapitel des Dritten Cantos beschrieben. Dort heißt es, daß man einen Menschen, der ein Spielball der Frauen ist, meiden sollte; denn wenn man mit solch einem nicht-heiligen Menschen verkehrt, wird man aller guten Eigenschaften beraubt wie Wahrheitsliebe, Sauberkeit, Güte, Ernsthaftigkeit, Intelligenz, Bescheidenheit, Schönheit, Ruhm, Nachsicht, Beherrschung der Gedanken, Beherrschung der Sinne und alle sonstigen Fähigkeiten und Qualitäten, die einem Gottgeweihten eigen sind. Niemals wird ein Mensch so sehr erniedrigt, wie durch den Umgang mit Männern, die den Frauen verfallen sind. In diesem Zusammenhang zitierte Śrī Caitanya einen Vers aus der Katyayāṇī-saṁhitā: »Man sollte es vorziehen, in einem brennenden Käfig zu sein, als sich in der Gesellschaft von Nicht- Gottgeweihten aufzuhalten.« Es wird sogar geraten, ungläubigen, d. h. dem Höchsten Herrn nicht ergebenen Menschen nicht ins Gesicht zu sehen. Der Herr fordert uns auf, die Gesellschaft Verworfener peinlichst zu vermeiden und ganz beim Höchsten Herrn Kṛṣṇa Zuflucht zu suchen. Die gleiche Anweisung erhält Arjuna auf den letzten Seiten der Bhagavad-gītā von Kṛṣṇa: »Gib alles andere auf und gib dich einfach Mir hin. Ich werde für dich sorgen und dich vor allen sündhaften Reaktionen schützen.«

Der Herr ist sehr gütig, und Er ist dankbar, allmächtig und großherzig. Deshalb ist es unsere Pflicht, Seinen Worten zu glauben. Und wenn wir intelligent sind und genügend Kenntnisse besitzen, werden wir diesem Prinzip ohne Zögern folgen. Im Śrīmad-Bhāgavatam sagt Akrūra im 84. Kapitel des Zehnten Cantos zu Kṛṣṇa: »Wer könnte sich Dir nicht hingeben? Es gibt niemanden, der so gütig, so wahrhaftig, so freundlich und so dankbar ist wie Du. Du bist so vollkommen und vollendet, daß Du vollendet und vollkommen bleibst, auch wenn Du Dich Deinem Geweihten hingibst. Du kannst daher alle Wünsche einer Dir hingegebenen Seele erfüllen und sogar Dich Selbst Deinem Geweihten schenken.«

Jeder, der intelligent genug ist, die Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins zu verstehen, gibt ganz von selbst alles auf und sucht einzig und allein bei Kṛṣṇa Zuflucht. Dazu zitierte Śrī Caitanya folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Dritter Canto, 2. Kapitel): »Uddhava sprach: Wie könnte man bei einem anderen als Kṛṣṇa Zuflucht suchen? Oder gibt es jemanden, der so gütig ist wie Er? Obwohl Bakāsuras Schwester Pūtanā Ihn töten wollte, als Er noch ein Säugling war, indem sie Ihm ihre vergiftete Brust zum Trinken bot, wurde dieses abscheuliche Geschöpf befreit und auf die gleiche Stufe erhoben wie Seine Mutter.«

Zwischen einer ganz und gar hingegebenen Seele und einem Menschen auf der Lebensstufe der Entsagung besteht im Grunde kein wesentlicher Unterschied. Das einzige verschiedene Merkmal liegt darin, daß eine völlig hingegebene Seele in jeder Hinsicht von Kṛṣṇa abhängig ist. Der Vorgang der Hingabe hat sechs Stufen: Als erstes sollte der Gottgeweihte alles annehmen, was die Ausführung seiner Kṛṣṇa-bewußten Pflichten oder die dienende Hingabe fördert. Dann sollte er sich mit Entschlossenheit an diesen Vorgang halten. Als nächstes sollte er alles aufgeben, was bei der Ausführung des hingebungsvollen Dienens hinderlich ist, und alles Nachteilige kompromißlos zurückzuweisen. Als drittes sollte er die feste Überzeugung entwickeln, daß ihm außer Kṛṣṇa niemand Zuflucht gewähren kann, und so sollte er fest darauf vertrauen, daß er stets von Kṛṣṇa beschützt wird. Hierzu ist zu bemerken, daß die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre denken, sie seien in ihrer wirklichen Identität mit Kṛṣṇa oder dem Höchsten eins. Ein Gottgeweihter jedoch zerstört seine Identität nicht, sondern lebt im festen Vertrauen, daß Kṛṣṇa in Seiner Güte ihn in jeder Hinsicht beschützen wird. Der vierte Punkt ist, daß ein Gottgeweihter immer wissen sollte, daß allein Kṛṣṇa sein Erhalter ist. Menschen, die nach materiellen Gütern streben, vertrauen sich im allgemeinen dem Schutz eines Halbgottes an; doch ein Gottgeweihter erwartet nicht, von den Halbgöttern beschützt zu werden. Er ist der festen Überzeugung, daß Kṛṣṇa ihn vor jeder mißlichen Lage bewahren wird. Als nächstes ist sich ein Gottgeweihter stets der Tatsache bewußt, daß seine Wünsche niemals unabhängig von Kṛṣṇa sind. Wenn sie nicht von Kṛṣṇa erfüllt werden, können sie nie in Erfüllung gehen. Und schließlich sollte er sich immer als den Gefallensten betrachten und Kṛṣṇa bitten, ihn in Seine Obhut zu nehmen.

Solch eine hingegebene Seele sollte an einem heiligen Ort wie Vṛndāvana, Mathurā, Dvārakā oder Māyāpūra Zuflucht suchen und sich ganz dem Herrn anvertrauen, indem sie betet: »O Herr, von heute an bin ich Dein. Du kannst mich beschützen oder töten, ganz wie es Dir beliebt.« Wenn ein Gottgeweihter in dieser Weise bei Kṛṣṇa Zuflucht sucht, wird Kṛṣṇa Sich gewiß seiner annehmen und ihm jeden Schutz gewähren. Dies wird auch im Śrīmad-Bhāgavatam im 29. Kapitel des Elften Cantos bestätigt, wo gesagt wird, daß ein Mensch, der im Sterben liegt und beim Höchsten Persönlichen Gott Zuflucht sucht, unsterblich wird und die Gelegenheit erhält, mit dem Höchsten Herrn zusammenzusein und in Seiner Gesellschaft transzendentale Glückseligkeit zu genießen.

Der Herr erklärte Sanātana Gosvāmī als nächstes die verschiedenen Arten und Merkmale des praktischen hingebungsvollen Dienens. Wenn die dienende Hingabe in die Praxis umgesetzt, d. h. mit unseren gegenwärtigen Sinnen ausgeführt wird, nennt man dies »praktisches hingebungsvolles Dienen«. Im Grunde ist das hingebungsvolle Dienen das ewige Leben jedes Lebewesens, doch liegt diese Neigung im bedingten Dasein schlummernd in seinem Herzen. Die Methode, mit der man die schlafende dienende Hingabe wiedererwecken kann, nennt man praktisches hingebungsvolles Dienen. Jedes Lebewesen ist in Wirklichkeit ein Teil des Höchsten Herrn; der Herr wird mit dem Feuer verglichen und das Lebewesen mit den winzigen Funken des Feuers. Durch den Kontakt mit der illusionierenden Energie ist der spirituelle Funke, das Lebewesen, fast erloschen, doch durch praktische dienende Hingabe kann er wieder zum Glühen gebracht werden und seine natürliche, wesenseigene Position einnehmen. Wenn man hingebungsvolles Dienen praktiziert, bedeutet das die Rückkehr zum ursprünglichen, befreiten Zustand. Unter der Führung eines autorisierten geistigen Meisters kann gottgeweihtes Dienen schon mit den gegenwärtigen Sinnen ausgeführt werden.

Die spirituellen Aktivitäten im Kṛṣṇa-Bewußtsein bzw. im hingebungsvollen Dienen beginnen, wenn man das erste Mal von Kṛṣṇa hört. Hören ist für den Fortschritt im Kṛṣṇa-Bewußtsein am wichtigsten. Man sollte sehr begierig sein, ständig mehr über Kṛṣṇa zu hören. Man sollte aufhören, zu spekulieren oder gewinnbringenden Tätigkeiten nachzugehen, und einfach Gott verehren und den Wunsch hegen, Liebe zu Gott zu entwickeln. Diese Liebe zu Gott befindet sich bereits in uns; sie ist ewig, und wir müssen lediglich von Kṛṣṇa hören, um sie wiederzuerwekken. Hören und Chanten sind somit die beiden wichtigsten Aktivitäten im hingebungsvollen Dienen.

Hingebungsvolles Dienen kann entweder reguliert oder spontan, d. h. mit sehr viel Zuneigung ausgeführt werden. Wer noch keine transzendentale Zuneigung für Kṛṣṇa entwickelt hat, sollte sein Leben nach den Anweisungen der Schriften und den Unterweisungen des geistigen Meisters führen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 1. Kapitel des Zweiten Cantos beschrieben, wie Śukadeva Gosvāmī Mahārāja Parīkṣit unterweist: »O Bester der Bhāratas. Es ist die erste Pflicht aller Menschen, die furchtlos werden wollen, über den Höchsten Persönlichen Gott, Hari, zu hören, über Ihn zu chanten und sich stets an Ihn zu erinnern. Man muß ständig an Śrī Viṣṇu denken und darf Ihn nicht für einen einzigen Augenblick vergessen. Er ist der Wesensinhalt aller regulierenden Prinzipien.«

Dieser Vers soll deutlich machen, daß es in den offenbarten Schriften zwar viele Regeln und Regulierungen - Gebote und Verbote - gibt, daß aber die Quintessenz aller Unterweisungen darin besteht, ständig in Gedanken an den Höchsten Herrn versunken zu sein. Sich fortwährend an den Höchsten Persönlichen Gott zu erinnern, ist die wichtigste Aktivität im hingebungsvollen Dienen. Hierfür gibt es keine regulierenden Prinzipien und keine Vorschriften und Verbote.

Jeder, der sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigen will, sollte folgende Prinzipien beachten: 1. Er sollte Zuflucht bei einem autorisierten geistigen Meister suchen, 2. sich von ihm einweihen lassen, 3. ihm dienen, 4. ihm Fragen stellen und von ihm lernen, Gott zu lieben, und 5. dem Beispiel von Heiligen folgen, die dem Herrn in transzendentaler dienender Liebe hingegeben sind. 6. Um Kṛṣṇa zu erfreuen, sollte er darauf vorbereitet sein, alle möglichen Freuden aufzugeben und Leiden auf sich zu nehmen; 7. er sollte an einem Ort leben, wo Kṛṣṇa Seine Spiele offenbarte; 8. er sollte mit dem zufrieden sein, was Kṛṣṇa ihm zur Erhaltung des Körpers gibt, und nicht nach mehr trachten; 9. er sollte an Ekādaṣī, dem elften Tag nach Vollmond und dem elften Tag nach Neumond, fasten. Er kann dann mäßige Mengen einfache Gemüse und Milch (jedoch niemals Getreideprodukte, Reis oder Bohnen) zu sich nehmen und sollte mehr Hare Kṛṣṇa chanten und mehr aus den Schriften lesen. 10. Er sollte den Gottgeweihten, den Kühen und Bäumen wie dem Feigenbaum Respekt erweisen.

Diese zehn Regeln sind für einen Neuling, der auf dem Pfad des gottgeweihten Dienens Fortschritte machen will, äußerst wichtig. Als nächstes sollte er versuchen, im Dienst des Herrn und beim Chanten der heiligen Namen des Herrn Vergehen zu vermeiden.

Es gibt zehn Vergehen beim Chanten der heiligen Namen, die unbedingt vermieden werden sollten. Es ist ein Vergehen, 1. einen Gottgeweihten zu beleidigen oder zu verleumden, 2. zu glauben, daß der Herr und die Halbgötter sich auf der gleichen Ebene befänden, oder zu denken, es gebe viele Götter, 3. die Anweisungen des geistigen Meisters zu mißachten, 4. die Autorität der vedischen Schriften herabzuwürdigen, 5. die heiligen Namen Gottes auszulegen, 6. im Vertrauen auf die Kraft des Chantens zu sündigen, 7. Ungläubige über die Herrlichkeit des heiligen Namens zu unterrichten, 8. das Chanten der heiligen Namen mit materieller Frömmigkeit zu vergleichen, 9. während des Chantens der heiligen Namen unaufmerksam zu sein und 10. trotz des Chantens der heiligen Namen weiter an materiellen Dingen zu haften. 11. Man sollte die Gesellschaft nicht-heiliger Nicht-Gottgeweihter meiden. 12. Man sollte nicht versuchen, viele Schüler um sich zu sammeln. 13. Man sollte sich nicht die Mühe machen, viele verschiedene Bücher oder irgendein besonderes Buch zu studieren. 14. Man sollte es vermeiden, andere Doktrinen zu diskutieren. 15. Man sollte in Gewinn und Verlust Gleichmut bewahren. 16. Man sollte um nichts klagen. 17. Man sollte den Halbgöttern und anderen Schriften gegenüber nicht respektlos sein. 18. Man sollte keinerlei Blasphemie gegen den Höchsten Herrn oder Seine Geweihten dulden. 19. Man sollte gewöhnliche Romane und Geschichten meiden - es gibt jedoch keine Vorschrift, die das Anhören oder Lesen von Nachrichten verbietet. 20. Man sollte keinem Lebewesen, nicht einmal einem kleinen Käfer, Leid zufügen.

Die wichtigsten der obenerwähnten 20 Regeln sind: 1. bei einem echten geistigen Meister Zuflucht zu suchen, 2. von ihm eingeweiht zu werden und 3. ihm zu dienen. Der Vorgang des hingebungsvollen Dienstes besteht aus: 1. Hören, 2. Chanten, 3. Sich-Erinnern, 4. Verehren, 5. Beten, 6. Dienen, 7. ein Diener des Herrn werden, 8. eine freundschaftliche Beziehung zum Herrn aufnehmen, 9. Ihm alles hingeben, 10. vor den transzendentalen Bildgestalten Gottes tanzen, 11. Singen, 12. andere über Kṛṣṇa informieren, 13. Ehrerbietungen erweisen, 14. Aufstehen, um anderen Gottgeweihten Respekt zu erweisen, 15. einen Gottgeweihten, der das Haus bzw. den Tempel verläßt, zur Tür begleiten, 16. den Tempel des Herrn betreten, 17. den Tempel umkreisen, 18. Gebete sprechen, 19. Hymnen singen, 20. saṅkīrtana ausführen, d. h. gemeinsam mit anderen Gottgeweihten die heiligen Namen chanten, 21. den Weihrauch und die Blumen riechen, die dem Herrn geopfert wurden, 22. prasāda essen (Nahrung, die Kṛṣṇa geopfert wurde), 23. an der ārātrika-Zeremonie, der Zeremonie zur Begrüßung des Herrn, teilnehmen, 24. die transzendentale Bildgestalt des Herrn betrachten, 25. dem Herrn wohlschmeckende Speisen opfern, 26. Meditieren, 27. die tulasī-Pflanze begießen, 28. den Vaiṣṇavas, d. h. den fortgeschrittenen Gottgeweihten Respekt erweisen, 29. in Mathurā oder Vṛndāvana leben, 30. das Śrīmad-Bhāgavatam verstehen, 31. sich aufs äußerste für Kṛṣṇa bemühen, 32. auf Kṛṣṇas Gnade vertrauen, 33. die Zeremonien zur Verehrung Kṛṣṇas zusammen mit anderen Gottgeweihten ausführen, 34. sich ohne Vorbehalt hingeben und 35. die verschiedenen Feiertage und Zeremonien begehen.

Zu diesen 35 Punkten kommen weitere vier: 1. den Körper an verschiedenen Stellen mit Sandelholzpaste markieren, um zu zeigen, daß man ein Vaiṣṇava ist; 2. die heiligen Namen des Herrn auf den Körper schreiben; 3. den Körper mit den Blumen und Girlanden schmücken, die dem Herrn geopfert wurden, und 4. caraṇāmṛtam, das Wasser vom Bad der transzendentalen Bildgestalten, trinken. Außer diesen 39 Regeln für das gottgeweihte Dienen sind fünf weitere sehr wichtig: 1. Mit Gottgeweihten zusammensein, 2. den heiligen Namen des Herrn chanten, 3. aus dem Śrīmad-Bhāgavatam hören, 4. an einem heiligen Ort wie Mathurā oder Vṛndāvana leben, und 5. der transzendentalen Bildgestalt des Höchsten Herrn mit großer Hingabe dienen. Diese Regeln werden von Rūpa Gosvāmī in seinem Buch Bhakti-rasāmṛta-sindhu besonders hervorgehoben. Wenn wir zu diesen insgesamt 44 Punkten die 20 vorbereitenden Beschäftigungen zählen, erhalten wir die Gesamtzahl von 64 Faktoren für die Ausführung des hingebungsvollen Dienstes. Befolgt man diese 64 Regeln mit Körper, Geist und Sinnen, so wird die dienende Hingabe allmählich rein werden. Einige der Punkte sind völlig verschieden voneinander, einige sind identisch und andere vermischt.

Da Śrīla Rūpa Gosvāmī empfohlen hat, mit Menschen gleicher Gesinnung zusammen zu leben, war es notwendig, die Internationale Gesellschaft für Kṛṣṇa-Bewußtsein zu gründen; damit ist den Gottgeweihten die Möglichkeit gegeben, zusammen zu leben und gemeinsam Wissen über Kṛṣṇa und das hingebungsvolle Dienen für Ihn zu entwickeln. Der wichtigste Punkt, in diesem Zusammenleben ist das gemeinsame Studieren und Verstehen der Bhagavad-gītā und des Śrīmad-Bhāgavatam. Wenn sich dann Glaube und Hingabe in den neuen Gottgeweihten entwickeln, folgen ganz von selbst die Verehrung der transzendentalen Bildgestalt, das Chanten der heiligen Namen und der Aufenthalt an Orten wie Māyāpūra, Mathurā und Vṛndāvana.

Diese fünf zuletzt genannten Punkte sind äußerst wichtig, denn schon wenn man nur diese fünf Punkte erfüllen kann - man braucht nicht einmal alle zugleich zu befolgen -, kann man die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen. Es ist nicht entscheidend, ob man nur einen oder mehrere Punkte ausführen kann, denn das, was zum Fortschritt auf dem Pfad des hingebungsvollen Dienens führt, ist einzig und allein die völlige Anhaftung an den jeweiligen Dienst für Kṛṣṇa. Es gibt viele Gottgeweihte, die nur einen Punkt erfüllten und so die Vollkommenheit der dienenden Hingabe erreichten, und es gibt viele andere Gottgeweihte, wie z. B. Mahārāja Ambariṣa, die alle diese verschiedenen Punkte zugleich befolgten. Einige Gottgeweihte, die schon durch die Erfüllung eines Punktes die Vollkommenheit im hingebungsvollen Dienen erreichten, sind: Mahārāja, Parīkṣit, der einfach nur von Kṛṣṇa hörte; Śukadeva Gosvāmī, der nur über Kṛṣṇa chantete; Lakṣmī, die nur den Lotosfüßen des Herrn diente; König Pṛthu, der den Herrn nur verehrte; Akrūra, der einfach zum Herrn betete; Hanumān, der Śrī Rāma als Diener gehorchte; Arjuna, der Kṛṣṇas Freund wurde, und Bali Mahārāja, der einfach alles opferte, was er besaß.

Was Mahārāja Ambariṣa betrifft, so befolgte dieser praktisch alle Punkte des hingebungsvollen Dienens: Als erstes richtete er seine Gedanken auf die Lotosfüße Kṛṣṇas; mit seinen Worten beschrieb er die transzendentalen Eigenschaften des Höchsten Herrn; mit seinen Händen wusch er den Tempel des Herrn; mit seinen Ohren hörte er von Kṛṣṇa; mit seinen Augen betrachtete er die transzendentale Bildgestalt Kṛṣṇas; er gebrauchte seinen Tastsinn dazu, die Körper der Gottgeweihten zu berühren, und seinen Geruchsinn, die Blumen zu riechen, die Kṛṣṇa geopfert worden waren; mit seiner Zunge schmeckte er die tulasī-Blätter, die zu Kṛṣṇas Lotosfüßen geopfert worden waren; seine Beine benutzte er, um in Kṛṣṇas Tempel zu gehen, und seinen Kopf, um der transzendentalen Bildgestalt Kṛṣṇas seine Ehrerbietungen darzubringen. Alle Wünsche und Neigungen von Mahārāja Ambariṣa waren somit im hingebungsvollen Dienen für den Herrn beschäftigt, und deshalb ist er das beste Beispiel dafür, wie man alle Arten des hingebungsvollen Dienens zugleich ausführen kann.

Jeder, der dem Herrn in vollem Kṛṣṇa-Bewußtsein mit Liebe und Hingabe dient, ist von allen Verpflichtungen befreit, die er für gewöhnlich gegenüber den Weisen, den Halbgöttern und den Vorvätern hat. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird dies wie folgt bestätigt: »Jeder, der vollständig im Dienst des Herrn aufgeht, ohne an eine andere Pflicht zu denken, ist den Halbgöttern, den Weisen, seinen Verwandten, seinem Nächsten, den Vorvätern und allen anderen Lebewesen nichts mehr schuldig« Wir alle sind schon bei unserer Geburt all den ebengenannten Persönlichkeiten verschuldet und deshalb wird von uns erwartet, daß wir später alle möglichen Riten und Opfer vollziehen, um diese Schuld zu begleichen; doch ein Mensch, der sich ganz und gar Kṛṣṇa hingegeben hat, ist von solchen Verpflichtungen befreit. Obwohl er also diesen Verpflichtungen nicht nachkommt, ist er niemandem mehr etwas schuldig.

Man sollte in diesem Zusammenhang wissen, daß jeder, der alle Pflichten aufgibt und sich einfach Kṛṣṇas transzendentalem Dienst zuwendet, keine Wünsche mehr hat, nicht länger den Folgen sündhafter Handlungen unterworfen ist und auch nicht die Absicht hat, jemals wieder sündig zu handeln. Wenn er dennoch irgendwelche Sünden begeht - nicht willentlich, sondern ohne eigenes Verschulden -gewährt Kṛṣṇa ihm jeden Schutz; so daß er sich nicht durch irgendeinen der Reinigungsvorgänge zu läutern braucht. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 5. Kapitel des Elften Cantos wie folgt bestätigt: »Ein Gottgeweihter, der voll und ganz damit beschäftigt ist, dem Herrn in transzendentaler Liebe hingegeben zu dienen, steht unter dem Schutz der Höchsten Person, und wenn er aus Versehen eine Sünde begeht oder unter gewissen Umständen gezwungen ist, sündig zu handeln, so gewährt ihm Gott, der in seinem Herzen wohnt, allen nur erdenklichen Schutz.«

Spekulatives Wissen und Entsagung sind nicht unbedingt erforderlich, um auf eine höhere Ebene des hingebungsvollen Dienens zu gelangen, und auch die Prinzipien der Gewaltlosigkeit und der Sinnenbeherrschung braucht man sich nicht durch irgendwelche besonderen Methoden anzueignen. Der Gottgeweihte entwickelt diese Eigenschaften auch ohne solche Verfahren, indem er einfach dem Herrn mit Liebe und Hingabe dient. Im Elften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam sagt der Herr, daß es für die, die Ihm wirklich hingegeben dienen, nicht notwendig ist, spekulatives Wissen zu entwickeln oder Entsagung zu üben.

13. KAPITEL

Caitanya

Hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung

Aus schierem Mißverständnis denken einige Transzendentalisten, Wissen und Entsagung seien unerläßlich, wenn man zur Stufe des hingebungsvollen Dienens aufsteigen wolle. Doch dem ist nicht so. Das Ansammeln von Wissen und der Verzicht auf die Früchte des Tuns mögen wohl dazu beitragen, unsere spirituelle Existenz zu erkennen, doch gehören diese Dinge nicht unbedingt zum hingebungsvollen Dienen. Wissen und gewinnbringende Tätigkeiten haben Befreiung und materielle Sinnenbefriedigung zum Ziel und sind deshalb für die Ausführung des hingebungsvollen Dienens wertlos. Erst wenn man von den aus Wissen und fruchtbringenden Aktivitäten resultierenden Handlungen befreit ist, kann man sich dem hingebungsvollen Dienen zuwenden. Ein Geweihter Śrī Kṛṣṇas ist von Natur aus gewaltlos und selbstbeherrscht, und deshalb braucht er keine besondere Anstrengung zu machen, die Eigenschaften zu entwickeln, die durch Wissen und materiell-einträgliche Tätigkeiten erlangt werden.

Uddhava fragte Śrī Kṛṣṇa einmal nach den Regeln und Regulierungen, die in den vedischen Schriften dargelegt sind: »Wie ist es zu erklären, daß die vedischen Hymnen uns einerseits zu materiellem Genuß ermuntern, uns jedoch andererseits alle Illusionen nehmen und uns auffordern, nach Befreiung zu streben?« Diese Schriften wurden zwar vom Höchsten Persönlichen Gott verfaßt, doch anscheinend sind sie voller Widersprüche. Und so fragte Uddhava, wie diese sich widersprechenden Anweisungen der Veden zu verstehen seien.

Als Antwort darauf informierte Śrī Kṛṣṇa ihn über die Vortrefflichkeit des hingebungsvollen Dienens; Er sagte: »Für Menschen, die Mir bereits in Hingabe dienen und ständig an Mich denken, ist Streben nach Wissen und Entsagung weder praktisch noch notwendig.«

Die Erklärung hierfür lautet, daß hingebungsvolles Dienen von allen Pfaden der Erkenntnis unabhängig ist. Die Pfade des Wissens, der Entsagung oder der Meditation mögen am Anfang hilfreich sein, doch sind sie nicht unbedingt erforderlich, um Gott zu dienen. Mit anderen Worten: Hingebungsvolles Dienen kann unabhängig von diesen Pfaden ausgeführt werden. In diesem Zusammenhang gibt es einen Vers im Skanda Purāṇa, in welchem Parbuta Muni zu einem Jäger sagt: »O Jäger, es ist nicht weiter erstaunlich, daß du viele gute Eigenschaften wie Gewaltlosigkeit und andere entwickelt hast, denn wer dem Höchsten Herrn in Hingabe dient, wird es niemals übers Herz bringen, einem anderen Lebewesen ein Leid zuzufügen.«

Nach diesen Ausführungen sagte der Herr zu Sanātana Gosvāmī: »Bisher habe Ich dir nur die dienende Hingabe nach regulierenden Prinzipien dargelegt, doch nun werde Ich dir die dienende Hingabe in transzendentaler Anhaftung erklären.«

Die Einwohner von Vṛndāvana, Vrajabhūmi, geben das beste Beispiel für diese Hingabe, denn sie praktizieren ideales hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung. Solche Hingabe ist ausschließlich in Vrajabhūmi zu finden. Wenn man dienende Hingabe mit Anhaftung an Kṛṣṇa entwickelt, indem man in die Fußstapfen der Einwohner von Vrajabhūmi tritt, nennt man diese Stufe »rāga-marga-bhakti« - »dienende Hingabe mit Anhaftung an den Herrn«. Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu wird dazu gesagt: »Hingebungsvolles Dienen mit ekstatischer Anhaftung, die für den Gottgeweihten ganz natürlich wird, nennt man »rāga« oder »transzendentale Zuneigung«. Den hingebungsvollen Dienst auf der rāga-Stufe bezeichnet man als »rāgātmika (Hingabe)«; tiefe Zuneigung und vollständige Meditation über das Objekt der Liebe sind seine charakteristischen Merkmale. Beispiele für

Gottgeweihte, die sich auf dieser Stufe des hingebungsvollen Dienens befinden, sind die Einwohner von Vrajabhūmi, und jemand, der sich zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt, wenn er von ihrer Zuneigung hört, ist gewiß vom Glück begünstigt. Für einen Menschen, der von der dienenden Hingabe der Einwohner von Vrajabhūmi tief bewegt wird und sich bemüht, ihrem Beispiel zu folgen, gelten die Vorschriften und Regulierungen der offenbarten Schriften nicht mehr. Das ist das Merkmal von rāga-bhakti.

Hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung ist die natürliche Neigung jedes Lebewesens. Ein Mensch, in dem diese natürliche Neigung erweckt worden ist, läßt sich durch kein Argument in seiner Überzeugung beirren, selbst dann nicht, wenn solche Einwände auf den Aussagen der Schriften beruhen. Diese natürliche Neigung wird in den Schriften als das höchste Gut des Lebewesens beschrieben, und deshalb sollte sich jemand, der eine Zuneigung für diese besondere Art des hingebungsvollen Dienstes für den Höchsten Herrn entwickelt hat, nicht aufgrund von Argumenten aus den Schriften davon abbringen lassen. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß es auch sogenannte Gottgeweihte gibt (sie sind als prākṛta-sahajiyās bekannt), die ihren eigenen, aus der Luft gegriffenen Vorstellungen folgen. Sie imitieren Rādhā und Kṛṣṇa, indem sie sexuellen Ausschweifungen frönen; doch ihr sogenanntes »hingebungsvolles Dienen« und ihre »Liebe« sind nicht echt. Die prākṛta-sahajiyās betrügen sich nur selbst und gleiten auf diese Weise in die Hölle hinab.

Hingebungsvolles Dienen in transzendentaler Anhaftung kann auf zweierlei Art ausgeführt werden: äußerlich und innerlich. Beim äußeren Dienen folgt der Gottgeweihte streng den regulierenden Prinzipien - angefangen mit Chanten und Hören und anderen Regulierungen -, während er innerlich ständig an seine Zuneigung für Kṛṣṇa denkt, die ihn dazu bringt, dem Höchsten Herrn zu dienen. Er denkt fortwährend an seinen bestimmten hingebungsvollen Dienst und an das Objekt seiner Anhaftung. Die Anhaftung eines echten Gottgeweihten verletzt jedoch niemals die regulierenden Prinzipien des hingebungsvollen Dienens - ganz im Gegenteil, der echte Gottgeweihte hält sich streng an diese Regeln, denkt aber trotzdem ständig an das Objekt seiner transzendentalen Anhaftung. Alle Einwohner von Vṛndāvana sind Kṛṣṇa sehr lieb. Ein Gottgeweihter, der sich auf der Stufe der Anhaftung befindet, wählt sich daher einen dieser Einwohner aus und folgt in dessen Fußstapfen, um so in seinem eigenen hingebungsvollen Dienst Erfolg zu haben. Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu erklärt Śrīla Rūpa Gosvāmī, daß sich ein reiner Gottgeweihter auf der Stufe der Anhaftung stets an die Aktivitäten eines bestimmten Einwohners von Vraja erinnern solle - auch wenn es ihm selbst nicht möglich sei, in Vrajabhūmi zu leben -, denn auf diese Weise könne er ständig an Vrajabhūmi denken.

Unter solchen überzeugten Gottgeweihten gibt es verschiedene Charaktere: Einige sind Diener, andere Freunde, wieder andere Eltern oder Geliebte. Im hingebungsvollen Dienst mit Anhaftung sollte man einem bestimmten Gottgeweihten aus Vrajabhūmi nachfolgen.

Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es im 25. Kapitel des Dritten Cantos: »Nur diejenigen, die damit zufrieden sind, Meine Geweihten zu sein, sind matparas. Sie betrachten Mich als ihre Seele, ihren Freund, ihren Sohn, ihren Meister, ihren Gönner, ihren Gott und ihr höchstes Ziel. Solche Gottgeweihte sind frei vom Einfluß der Zeit. Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu erweist der Autor all jenen Menschen seine respektvollen Ehrerbietungen, die immer an Kṛṣṇa denken - entweder als ihren Sohn, Gönner, Bruder, Vater, Freund oder in irgendeiner ähnlichen Beziehung. Jeder, der die Prinzipien des hingebungsvollen Dienens in Anhaftung befolgt und sich einen bestimmten Gottgeweihten aus Vrajabhūmi zum Vorbild nimmt und ihm nachfolgt, erreicht mit Sicherheit die Stufe der höchsten und vollkommensten Liebe zu Gott.

Es gibt zwei Merkmale, an denen man erkennen kann, daß der Gottgeweihte Liebe zu Gott entwickelt hat. Sie heißen »rati«, (Anhaftung) und »bhāva« (der Zustand, der der Liebe zu Gott unmittelbar vorangeht). Gottgeweihte, die diese beiden Merkmale besitzen, können Kṛṣṇa leicht erobern.

Nachdem Śrī Caitanya Sanātana Gosvāmī dies alles erklärt hatte, sagte Er, die Beschreibung des hingebungsvollen Dienens in Anhaftung könne endlos weitergeführt werden, und Er versuche lediglich, einige Beispiele für solche dienende Hingabe zu geben.

Śrī Caitanya beschrieb dann das endgültige Ziel des hingebungsvollen Dienens, das von den Gottgeweihten erreicht wird, die die höchste Vollkommenheit erlangen wollen. Wenn die Anhaftung an Kṛṣṇa sehr stark wird, nennt man diesen Zustand » Liebe zu Gott«. Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī pries Śrī Caitanya für dessen erhabene Lehre von der Liebe zu Gott und brachte Ihm seine respektvollen Ehrerbietungen dar. Im Caitanya-caritāmṛta heißt es: » O Höchster Persönlicher Gott, keine Deiner anderen Inkarnationen hat jemals solch reine dienende Hingabe an jeden verschenkt! Du großmütigste Inkarnation Gottes, ich erweise Dir, der Du den Namen Gaura Kṛṣṇa trägst, meine respektvollen Ehrerbietungen. «

Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu vergleicht Śrīla Rūpa Gosvāmī den Zustand der Liebe zu Gott mit dem Sonnenschein, der von der Sonne der Liebe zu Gott ausgeht, und dieser »Sonnenschein« erfüllt das Herz des Gottgeweihten mit immer größerer Liebe. Ein solcher Gottgeweihter ist im Herzen transzendental zu den Erscheinungsweisen der materiellen Natur - sogar zu der der Reinheit. Der Vorgang, durch den das Herz durch den Sonnenschein der Liebe mehr und mehr gereinigt wird, ist als bhāva bekannt. Bhāva ist die bleibende Eigenschaft des Gottgeweihten, und den entscheidenden Punkt für den Fortschritt in bhāva nennt man »das Anfangsstadium der Liebe zu Gott«. Wenn sich das bhāva-Stadium mehr und mehr vertieft, nennen die erfahrenen Gottgeweihten diesen Zustand »Liebe zu Gott«. Im Nārada-pañcarātra heißt es dazu: »Wenn man fest davon überzeugt ist, daß Viṣṇu die einzige Person ist, der alle Liebe und Verehrung gebührt, und daß man niemanden sonst lieben und verehren sollte - auch keinen Halbgott - so bedeutet dies, daß man in seiner Liebe eine enge Verbindung mit Gott erfährt. Dies wird von solch großen Persönlichkeiten wie Bhīṣma, Prahlāda, Uddhava und Nārada bestätigt.«

Wenn jemand aufgrund seiner rechtschaffenen Handlungen, die gewöhnlich die Neigung zum hingebungsvollen Dienen hervorrufen, bei reinen Gottgeweihten Zuflucht sucht, entwickelt er schon nach kurzer Zeit eine Neigung zum Chanten und Hören von Kṛṣṇas Namen. Je mehr und je reiner der Neuling chantet und hört, desto mehr Fortschritte macht er im regulierten hingebungsvollen Dienen für den Höchsten Herrn, und in dem Maße, wie er im regulierten Dienst für den Höchsten Herrn Fortschritte macht, vermindert sich seine Anhaftung an die materielle Welt. Als erstes gewinnt er Vertrauen, das sich immer mehr verstärkt, je mehr er von Kṛṣṇa hört und chantet. Dieses Vertrauen entwickelt sich allmählich zum Geschmack am Kṛṣṇa-Bewußtsein und wird schließlich zur Zuneigung. Wenn die Zuneigung reiner wird, treten bhāva und rati auf. Wenn sich dann die rati (Anhaftung) vergrößert, hat man Liebe zu Gott erreicht, das höchste Ziel des menschlichen Lebens.

Diesen Vorgang faßt Śrīla Rūpa Gosvāmī im Bhakti-rasāmṛta-sindhu folgendermaßen zusammen: »Die erste Voraussetzung, um im hingebungsvollen Dienen Fortschritte zu machen, ist Glaube; durch diesen Glauben sucht man die Gesellschaft reiner Gottgeweihter auf, und durch ihre Gemeinschaft entwickelt man hingebungsvolles Dienen. Wenn man auf diese Stufe gelangt, wird man frei von allen Ängsten und Befürchtungen und gewinnt eine feste Überzeugung, aus der sich als nächstes ein Geschmack am Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt. Schließlich erreicht man die Stufe der Anhaftung, d. h. die Stufe der regulierenden Prinzipien im hingebungsvollen Dienen, und wenn man weitere Fortschritte macht, kommt man zur Stufe der bhāva, der beständigen Liebe. Diese Liebe zu Gott kann noch weiter entwickelt und, wenn sie tief genug ist, sogar zur höchsten Stufe der Liebe zu Gott werden. Im Sanskrit wird diese höchste Stufe »prema« genannt. Das Wort »prema« kann man mit »reine Liebe zu Gott« übersetzen, denn der Gottgeweihte erwartet für diese Liebe nichts zurück. Eigentlich ist das Wort »Liebe« für »prema« nicht so recht zutreffend, denn was wir im allgemeinen unter Liebe verstehen, ist nichts weiter als Lust; prema hingegen ist völlig rein und transzendental, d. h. frei von persönlichen Motiven. Wer die Stufe der prema erreicht hat, ist auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit angelangt. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird diese Feststellung im 25. Kapitel des Dritten Cantos wie folgt bestätigt: »Nur durch die Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten kann man Geschmack am Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickeln, und wenn man dann versucht, in jeder Sekunde Kṛṣṇa-bewußt zu handeln, wird man sehr leicht die Stufen der bhāva und prema erreichen.«

Als nächstes beschrieb Śrī Caitanya die Symptome eines Menschen, der vom bloßen Glauben zur Stufe der bhāva fortgeschritten ist. Er weist folgende Merkmale auf: Er ist niemals erregt, selbst dann nicht, wenn ein Grund dazu besteht. Er verschwendet nicht einmal einen Augenblick seiner Zeit. Er ist stets bestrebt, etwas für Kṛṣṇa zu tun, und wenn er einmal keine Beschäftigung hat, sucht er sich selbst eine Tätigkeit, mit der er den Herrn erfreuen kann. Er lehnt alles ab, was nicht in Beziehung zu Kṛṣṇa steht und erwartet keinen Respekt für sich selbst. Obwohl er sich auf einer sehr hohen Stufe der Verwirklichung befindet, verlangt er niemals danach, von anderen geehrt zu werden. Er ist davon überzeugt, daß er seine Aufgabe erfüllen kann. Er denkt niemals, er mache keinen Fortschritt oder werde das höchste Ziel des Lebens nicht erreichen, nämlich zurück zu Gott, zurück nach Hause zu gehen. Im Gegenteil, er ist fest davon überzeugt, daß er Fortschritte in dieser Richtung macht. Und somit bemüht er sich mit immer größerem Vertrauen, das höchste Ziel des Lebens zu erreichen. Stets ist er eifrig bestrebt, den Herrn zu erfreuen, und von Seiner Herrlichkeit zu hören und zu chanten. Es ist ihm immer eine Freude, die transzendentalen Eigenschaften des Herrn zu beschreiben. Er möchte an Orten wie Mathurā, Vṛndāvana oder Dvārakā leben. All diese Symptome treten bei einem Menschen auf, der die Stufe der bhāva erreicht hat.

Diese Stufe der bhāva wird auch im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben. Als nämlich Mahārāja Parīkṣit, der von einem Brahmanenknaben dazu verwünscht worden war, innerhalb von sieben Tagen an einem Schlangenbiß zu sterben, am Ufer des Ganges saß und auf den Tod wartete, sagte er: »All ihr anwesenden brāhmaṇas und auch Du, Mutter Ganges, sollt wissen, daß ich eine Kṛṣṇa völlig hingegebene Seele bin. Ich hätte nichts dagegen, sofort von der Schlange gebissen zu werden, die der Brahmanenknabe mir geschickt hat; doch ich habe noch einen Wunsch: Bitte fahrt fort, Kṛṣṇas transzendentale Spiele zu preisen.« Solch ein Gottgeweihter ist immer darauf bedacht, seine Zeit nicht mit etwas zu verschwenden, was nicht mit Kṛṣṇa verbunden ist. Er hegt deshalb keine Wünsche, die sich auf fruchtbringende Tätigkeiten, yoga-Meditation oder das Ansammeln von Wissen richten. Er möchte nur über etwas sprechen oder hören, was in Beziehung zu Kṛṣṇa steht. Solche reinen Gottgeweihten beten ständig mit Tränen in den Augen zum Höchsten Herrn und sind stets bemüht, sich an die transzendentalen Spiele des Herrn zu erinnern, während sie Ihm ihre Ehrerbietungen darbringen. Nur so können sie zufrieden sein. Jeder Gottgeweihte, der sich auf diese Weise im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, weiht sein Leben und seinen Körper dem Herrn.

König Bharata, ein reiner Gottgeweihter, nach dem Indien einstmals Bhāratavarṣa genannt wurde, verließ schon in jungen Jahren seine Familie und sein Königreich als verlasse er Kot. Dies sind die Symptome eines Menschen, der bhāva entwickelt hat. Er sieht sich selbst als den nichtswürdigsten aller Menschen an, und seine einzige Freude liegt in der Hoffnung, daß Kṛṣṇa eines Tages so gütig sein wird, ihn in Seinem transzendentalen Dienst zu beschäftigen. Im Padma Purāṇa findet man die Geschichte eines Königs, der, obwohl er als der Beste unter den Menschen galt, bettelnd von Tür zu Tür ging und selbst die Niedrigsten der menschlichen Gesellschaft, die caṇḍālas (Hunde-Esser), anflehte, Kṛṣṇa-bewußt zu werden.

Śrī Sanātana Gosvāmī verfaßte später folgenden Vers: »Ich habe nur wenig Liebe zu Gott, und an mir ist nichts, das mich würdig macht, über hingebungsvolles Dienen zu hören. Auch besitze ich kein Verständnis von der Wissenschaft der dienenden Hingabe, noch verfüge ich überhaupt über irgendwelches Wissen. Weder habe ich in der Vergangenheit rechtschaffen gelebt noch bin ich in einer hohen Familie geboren. Aber, o Liebling der Mädchen von Vraja, ich gebe dennoch nicht die Hoffnung auf, Dich zu erreichen, und diese Hoffnung macht mich ganz verwirrt.« Ein solcher Gottgeweihter wird von einem derartig starken Verlangen tief bewegt und chantet daher ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.«

In diesem Zusammenhang gibt es einen schönen Vers von Śrīla Bilvamaṅgala Ṭhākura, der im Kṛṣṇa-karṇāmṛta sagt: »O Kṛṣṇa, das Spiel Deiner Flöte klingt so lieblich, und die Schönheit Deiner Kindheitsspiele ist einzigartig in dieser Welt. Du weißt, wonach mein Geist begehrt, und auch ich kenne Dich gut. Niemand sonst weiß, wie vertraut unsere Beziehung ist. Meine Augen sehnen sich danach, Dich und Dein Lächeln zu sehen, aber sie vermögen es nicht. Bitte, sage mir, was ich tun soll.« Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu von Śrīla Rūpa Gosvāmī kann man einen ähnlichen Vers finden: »O Govinda! Dieses junge Mädchen hat Tränen in den Augen, und während sie leise vor sich hin weint, singt sie mit süßer Stimme von Deiner Herrlichkeit.« Solche reinen Gottgeweihten möchten ständig Kṛṣṇas glorreiche Taten preisen und an einem Ort leben, wo Kṛṣṇa Seine transzendentalen Spiele offenbarte.

Ein ähnlicher Vers begegnet uns auch im Kṛṣṇa-karṇāmṛta: »Der Körper Kṛṣṇas ist so anmutig und Sein Antlitz so schön - alles an Ihm ist voller Liebreiz und Duft.« Und im Bhakti-rasāmṛta-sindhu heißt es: »O Lotosäugiger, wann werde ich endlich Deinen heiligen Namen ohne Unterlaß chanten und in Ekstase am Ufer der Yamunā tanzen?«

Alle oben angeführten Beschreibungen, die Śrī Caitanya Sanātana Gosvāmī vortrug, schildern Symptome der bhāva-Stufe.

Als nächstes beschrieb der Herr die Symptome, die bei einem Gottgeweihten sichtbar werden, der wirkliche Liebe zu Kṛṣṇa erlangt hat. Er sagte: »Niemand kann einen Menschen begreifen, der Liebe zu Kṛṣṇa entwickelt hat, denn weder seine Worte noch seine Handlungen, noch seine Symptome sind normal. Selbst wenn man sehr gebildet ist, wird es einem äußerst schwerfallen, einen reinen Gottgeweihten im Stadium der Liebe zu Gott zu verstehen. « Dies wird auch im Bhakti-rasāmṛta-sindhu bestätigt.

Einem reinen Gottgeweihten stockt das Herz, wenn er vom Ruhm des Höchsten Herrn singt. Weil er Kṛṣṇa so sehr liebt, zeigt er die Symptome eines Geistesgestörten, wenn er Seinen Namen, Seinen Ruhm oder Seine Spiele preist, und in solchem Zustand lacht er manchmal oder weint oder tanzt, ohne sich im geringsten um seine Umgebung zu kümmern. Und wenn dann seine Liebe zu Gott noch mehr zunimmt, steigern sich auch seine Zuneigung, seine Gefühle und seine Ekstase, bis hin zur mahābhāva oder prema, der höchsten Stufe der hingebungsvollen Liebe. Die Liebe zu Gott kann mit einer Zuckerlösung verglichen werden, die durch den Entzug von Wasser immer konzentrierter wird, bis der Zucker schließlich zu Kandis wird. In diesen verschiedenen Stadien wird der Zucker von Mal zu Mal schmackhafter. Ähnlich erfährt auch ein wirklicher Gottgeweihter in der Liebe zu Gott eine immer größere transzendentale Freude, bis er letzten Endes die höchste Stufe erlangt.

14. KAPITEL

Caitanya

Die Ekstase des Herrn und Seiner Geweihten

Manchmal versuchen Nicht-Gottgeweihte die ekstatischen Symptome der reinen Gottgeweihten nachzuahmen. Eine nähere Erläuterung hierzu findet man im Bhakti-rasāmṛta-sindhu. Menschen, die mit der Wissenschaft des hingebungsvollen Dienens nicht so vertraut sind, lassen sich durch die Zurschaustellung solcher Symptome vielleicht beeindrucken, doch wer die Wissenschaft der dienenden Hingabe kennt, kann solche Symptome nicht als echt gelten lassen. Hierin sind sich alle erfahrenen Gottgeweihten einig.

Nach den verschiedenen Arten und Klassen der Gottgeweihten werden die Beziehungen im hingebungsvollen Dienen in fünf Kategorien unterteilt: 1. die neutrale Beziehung, 2. die Beziehung als Diener, 3. die Beziehung als Freund, 4. die Beziehung als Vater, Mutter, Verwandter oder Lehrer und 5. die Beziehung als Geliebte. In jedem der verschiedenen Aspekte der Liebe zu Gott gibt es einen unterschiedlichen Geschmack und Genuß, doch der Gottgeweihte ist mit der jeweiligen Art der dienenden Hingabe, die er besitzt, zufrieden. Die charakteristischen Symptome eines reinen Gottgeweihten sind Lachen und Weinen; wenn die Gefühlsregung erfreulich ist, lacht er, und wenn die Gefühlsregung unerfreulich ist, weint er.

Über diesen beiden Gefühlsregungen liegt der unveränderliche Zustand der Liebe, sthāyi-bhāva genannt. Diese beständige liebende Haltung vermischt sich manchmal mit verschiedenen Empfindungen, die man vibhāva, anubhāva und vyabhicārī nennt. Vibhāva ist eine besondere Art der Zuneigung zu Kṛṣṇa und läßt sich in zwei weitere Kategorien unterteilen, nämlich ālambana und uddīpana. Im Agni Purāṇa und in anderen maßgeblichen Schriften wird gesagt, daß vibhāva die Ursache für das Anwachsen der Liebe zu Kṛṣṇa ist. Diese Liebe steigert sich schließlich zu ālambana. Die hingebungsvolle Gefühlsregung, die in den Gottgeweihten durch Kṛṣṇas transzendentale Eigenschaften, Seine unvergleichlichen Taten, Sein wunderschönes lächelndes Gesicht, den Wohlgeruch Seines Körpers, den Klang Seiner Flöte, den Ton Seines Muschelhorns, die Linien auf Seinen Fußsohlen, Sein Reich, und durch andere Einzigartigkeiten des hingebungsvollen Dienstes wie Gottgeweihte, bestimmte Feierlichkeiten, tulasī-Blätter und Ekādaṣī hervorgerufen wird, bezeichnet man als ālambana und uddīpana. Wenn sich im Innern des Geweihten ekstatische Gefühle und Emotionen regen, nennt man dies anubhāva. Im Gemütszustand der anubhāva tanzt der Gottgeweihte oder fällt zu Boden, singt laut oder verfällt in Zuckungen, und manchmal verspürt er auch eine starke Sehnsucht nach Kṛṣṇa und seufzt oder atmet schwer - all diese Ekstasen manifestiert er, ohne dabei Rücksicht auf die jeweiligen äußeren Umstände zu nehmen. Diese äußerlichen Symptome, die im Körper des Gottgeweihten auftreten, nennt man udbhāṣvara. Außerdem gibt es 33 vyabhicārī-Symptome. Bei diesen Symptomen handelt es sich hauptsächlich um Worte und verschiedene körperliche Erscheinungen. Wenn sich die körperlichen Merkmale wie Tanzen, Zittern oder Lachen mit den vyabhicārī-Symptomen vermischen, nennt man sie saṁcārī. Wenn sich die bhāva-, anubhāva- und vyabhicārī-Symptome miteinander vermischen, tauchen sie den Gottgeweihten in den Ozean der Unsterblichkeit, den Bhakti-rasāmṛta-sindhu, den Ozean des reinen Nektars der dienenden Hingabe, und wer in diesen Ozean versunken ist, erfährt in seinen brausenden, nektarnen Wogen ständig transzendentale Freude.

Die verschiedenen rasas oder Beziehungen der Gottgeweihten, die in diesen Ozean des bhakti-rasāmṛta tauchen, sind, wie schon einmal erklärt, Neutralität, Dienstwilligkeit, Freundschaft, Elternschaft und vertraute Liebe. Der rasa der innigen Liebe, mit solchen Merkmalen wie den Wunsch, sich schön zu kleiden und zurechtzumachen, um für Kṛṣṇa anziehend zu sein, übertrifft alle anderen rasas. Der rasa des Dienstes steigert sich bis zur Zuneigung, zum Zorn, zur Freundschaft und Anhaftung; der rasa der Freundschaft steigert sich bis zur Zuneigung, zum Zorn, zur Freundschaft, Anhaftung und Hingabe, und beim rasa der elterlichen Liebe steigert sich die Anhaftung bis zur Zuneigung, zum Zorn, zur Freundschaft und zur Hingabe. Besondere rasas der Freundschaft mit dem Höchsten Herrn zeigen sich z. B. bei Kṛṣṇas Freunden wie Subala. Ihre Hingabe steigert sich bis zur bhāva.

Die verschiedenen rasas teilen sich in zwei Arten der Ekstase, und zwar in yoga und viyoga, d. h. in Zusammenkommen und Trennung. In den rasas der Freundschaft und der Elternschaft gibt es viele verschiedene Arten dieser Gefühle.

Im rasa der vertrauten Liebe gibt es zwei Arten von Empfindungen, die »rudha« und »adhirudha« genannt werden. Die Liebe der Königinnen von Dvārakā nennt man »rudha«, und die Liebe der Mädchen von Vraja »adhirudha«. Die höchste Vollkommenheit der adhirudha-Zuneigung in der vertrauten Liebe hat zwei Aspekte. Das Zusammenkommen der Liebenden bezeichnet man als »madana«; werden sie voneinander getrennt, so wird dies »mohana« genannt. In der Ekstase der madana küssen sich die Liebenden, und in der Ekstase der mohana treten die Symptome der udghurna und citrajalpa auf. Auf der citrajalpa-Ebene gibt es insgesamt zehn Unterteilungen. Im Śrīmad-Bhāgavatam gibt es einen Teil, der als Bhramorgītā bekannt ist, und dort werden die verschiedenen Arten der citrajalpa näher beschrieben. Udgahurna ist ein Symptom der Trennung. Ein anderes Symptom, das ein Gottgeweihter in Trennung von Kṛṣṇa zeigt, ist transzendentales Irresein; in dieser Phase glaubt der Geweihte, selbst der Höchste Persönliche Gott zu sein, und ahmt Kṛṣṇa deshalb auf verschiedene Weise nach.

Im liebenden Beisammensein werden zwei Bekleidungsarten getragen, nämlich sambhoga und vipralambha. Im Gegensatz zur vipralambha-Ebene, auf der die Gottgeweihten vier Arten der Kleidung tragen, kann die Bekleidung auf der sambhoga-Ebene nach Belieben ausgesucht werden.

Die Ekstase, die sich vor dem Zusammentreffen in den Liebenden bemerkbar macht, ihre Verzückung, wenn sie zusammenkommen, und ihren Gemütszustand, wenn sie sich nicht getroffen haben, nennt man vipralambha. Diese vipralambha, die auch »das erwartungsvolle Vorstadium der Liebe« genannt wird, dient als nährendes Element für das spätere Zusammentreffen. Wenn der Liebende und die Geliebte sich dann schließlich treffen, einander umarmen und höchste ekstatische Glückseligkeit verspüren, nennt man diesen Gemütszustand »sambhoga«. In unterschiedlichen Situationen ist diese sambhoga-Ekstase auch als 1. saṁkṣipta, 2. saṁkirṇa, 3. saṁpanna und 4. saṁriddhiman bekannt. Diese Symptome treten zuweilen auch in Träumen auf.

Der Zustand vor der eigentlichen Begegnung heißt »purvarāga«. Die Hindernisse, die der Begegnung des Liebenden und der Geliebten im Wege stehen, werden »mana (Zorn)« genannt. Wenn die Liebenden voneinander getrennt sind, nennt man ihr Gefühl »pravāṣa«. Und die Gefühle der Trennung, die unter bestimmten Umständen selbst während des Zusammenseins vorhanden sein können, nennt man »Liebesängste«. Diese Liebesangst wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 90. Kapitel des Zehnten Cantos beschrieben: »Die Prinzessinnen blieben nachts wach, um Kṛṣṇa beim Schlafen zu beobachten, denn sie fürchteten, schon bald wieder von Ihm getrennt zu werden. Dabei erzählten sie sich gegenseitig, wie sehr sie von Kṛṣṇas schönen Augen und Seinem Lächeln bezaubert waren.«

Kṛṣṇa in Vṛndāvana ist der höchste Liebhaber, und Rādhārāṇī ist Seine höchste Geliebte. Da Kṛṣṇa der höchste Liebende ist, besitzt Er 64 Haupteigenschaften, die dem Gottgeweihten, der von ihnen hört, transzendentale Freude bereiten. Die Merkmale Kṛṣṇas werden im Bhakti-rasāmṛta-sindhu folgendermaßen beschrieben:

1. Er besitzt einen wohlgeformten Körper; 2. Sein Körper ist über und über mit glückverheißenden Malen bedeckt; 3. Er ist unbeschreiblich schön; 4. Er ist strahlend; 5. Er ist stark; Er ist immer jugendlich, wie ein sechzehnjähriger Knabe; 7. Er spricht alle Sprachen fließend; 8. Er ist wahrhaftig; 9. Er ist anziehend durch liebliche Worte; 10. Er ist von scharfsinniger Beredsamkeit; 11. Er ist sehr gelehrt; 12. Er ist hochintelligent; 13. Er ist ein Genie; 14. Er ist künstlerisch; 15. Er ist findig; 16. Er ist äußerst geschickt; 17. Er ist dankbar; 18. Er ist fest entschlossen; 19. Er ist in der Beurteilung von Zeit und Umständen erfahren; 20. Er ist ein Kenner der Veden; 21. Er ist rein; 22. Er ist selbstbeherrscht; 23. Er ist beständig; 24. Er ist geduldig; 25. Er ist nachsichtig; 26. Er ist ernsthaft; Er ist in Sich Selbst zufrieden; 28. Er ist ausgeglichen; 29. Er ist großmütig; 30. Er ist religiös; 31. Er ist heldenhaft; 32. Er ist mitfühlend; 33. Er ist respektvoll; 34. Er ist sanft; 35. Er ist weitherzig; 36. Er ist scheu; 37. Er ist der Beschützer der Ihm hingegebenen Seelen; 38. Er ist immer glücklich; 39. Er ist der wohlmeinende Freund Seiner Geweihten; 40. Er ist durch Liebe zu erobern; 41. Er ist ganz und gar glückverheißend; 42. Er ist unvorstellbar mächtig; 43. Er ist hochberühmt; 44. Er ist beliebt; 45. Er ist den Gottgeweihten besonders zugeneigt; 46. Er ist für alle Frauen sehr anziehend; 47. Ihm gebührt alle Verehrung; 48. Er ist die Quelle aller transzendentalen Füllen; 49. Er ist der Höchste und 50. Er ist der Höchste Kontrollierende.

Diese 50 Eigenschaften sind teilweise auch in den Lebewesen zu finden. Wenn ein Mensch seine spirituelle Identität wiedererweckt hat und sich in seiner ursprünglichen Position befindet, können sich bei ihm noch im gleichen Leben alle 50 Eigenschaften manifestieren - doch nur in winzigem Ausmaß. Darüber hinaus besitzt Kṛṣṇa noch fünf weitere transzendentale Eigenschaften, die alle in Viṣṇu, dem Höchsten Herrn, und teilweise auch in Śiva zu finden sind, - jedoch nicht in den Lebewesen: 1. Er befindet Sich immer in Seinem ursprünglichen Zustand; 2. Er ist allwissend; 3. Er ist stets frisch; 4. Er ist ewiglich voller Glückseligkeit und 5. Er besitzt alle mystischen Vollkommenheiten.

Neben den obengenannten fünf transzendentalen Eigenschaften gibt es noch fünf weitere Eigenschaften, die Kṛṣṇa, insbesondere auf den Vaikuṇṭha-Planeten, in der spirituellen Welt entfaltet, wo Er als vierarmiger Nārāyaṇa residiert:

1. Er besitzt unermeßliche Kräfte; 2. aus ihm gehen unzählige Universen hervor; 3. Er ist der ursprüngliche Quell aller Inkarnationen; 4. Er gewährt denen, die Er tötet, Befreiung und 5. Er ist überaus anziehend für alle befreiten Seelen.

Die bisher erwähnten 60 Eigenschaften sind auch in einigen Inkarnationen Gottes sichtbar, doch darüber hinaus hat Kṛṣṇa Selbst noch vier weitere ganz besondere Eigenschaften, die Er mit niemandem teilt:

1. Er offenbart wunderbare transzendentale Spiele; 2. Sein transzendentales Flötenspiel zieht jedes Lebewesen an; 3. Er ist ewig jung, und 4. Er ist von einzigartiger Schönheit.

Śrīmatī Rādhārāṇī, die ewige Gefährtin Śrī Kṛṣṇas, besitzt 25 transzendentale Eigenschaften, mit denen Sie sogar Kṛṣṇa beherrschen kann:

1. Sie ist der Inbegriff der Lieblichkeit; 2. Sie ist ein frisches junges Mädchen; 3. Ihre Augen sind stets in Bewegung; 4. Sie hat immer ein strahlendes Lächeln auf den Lippen; 5. Ihr Körper ist mit allen Glückslinien gezeichnet; 6. selbst Kṛṣṇa wird von dem Duft Ihres Körpers erregt; 7. Sie beherrscht die Kunst, wunderschön zu singen; 8. Sie kann sehr lieblich und betörend reden; 9. Sie weiß Ihre weiblichen Reize zur Geltung zu bringen; 10. Sie ist bescheiden; 11. Sie ist sanft; 12. Sie ist immer barmherzig; 13. Sie ist sehr listig; 14. Sie weiß sich schön zu kleiden; 15. Sie ist immer scheu; 16. Sie ist stets respektvoll; 17. Sie ist stets geduldig; 18. Sie ist sehr ernsthaft; 19. Sie ist zu Kṛṣṇas Freude bestimmt; 20. Sie befindet sich auf der höchsten Stufe der Hingabe; 21. Sie kann allen Gottgeweihten Zuflucht gewähren; 22. Sie ist Höher- und Tieferstehenden gegenüber stets voller Zuneigung; 23. Sie fühlt Sich Ihren Gefährtinnen stets zu Dank verpflichtet; 24. Sie ist die beste von Kṛṣṇas Freundinnen, und 25. Sie beherrscht Kṛṣṇa durch Ihre Liebe.

Kṛṣṇa und Rādhārāṇī besitzen also beide transzendentale Eigenschaften und fühlen Sich deshalb zueinander hingezogen. Und doch ist Rādhārāṇī Kṛṣṇa an transzendentaler Anziehungskraft überlegen. Diese Anziehungskraft Rādhārāṇīs ist das Element, das die vertraute Liebesbeziehung zwischen Ihr und Kṛṣṇa so köstlich macht. Aber auch in den rasas der Diener, der Freunde und der Eltern gibt es transzendentale Genüsse, und sie werden im Bhakti-rasāmṛta-sindhu wie folgt beschrieben: »Menschen, die durch hingebungsvolles Dienen völlig geläutert worden und daher stets freudvoll sind, die ein erhöhtes Bewußtsein haben, die sich sehr zum Studium des Śrīmad-Bhāgavatam hingezogen fühlen, die immer glücklich sind, wenn sie mit Gottgeweihten zusammensein dürfen, die die Lotosfüße Kṛṣṇas zum Ziel ihres Lebens gemacht haben, und denen es große Freude bereitet, dem Höchsten Herrn mit Liebe und Hingabe zu dienen - solche Menschen tragen in ihren reinen Herzen die transzendentale Ekstase der Anhaftung an Kṛṣṇa.« Wenn dieser Zustand durch Liebe zu Kṛṣṇa und transzendentale Erfahrungen bereichert wird, entwickelt er sich allmählich zur reifen Stufe des spirituellen Lebens. Dieser spirituelle Geschmack kann jedoch niemals von Menschen gekostet werden, denen es an Kṛṣṇa-Bewußtsein und damit an dienender Hingabe mangelt.

Dies wird ebenfalls im Bhakti-rasāmṛta-sindhu bestätigt, wo es heißt: »Es ist für den Nicht-Gottgeweihten sehr schwierig, den Wohlgeschmack des hingebungsvollen Dienens zu kosten.

Nur, wer bedingungslos Zuflucht bei den Lotosfüßen Kṛṣṇas gesucht und sein Leben in den Ozean des hingebungsvollen Dienens getaucht hat, kann diesen transzendentalen Genuß erfahren.«

Śrī Caitanya erläuterte somit kurz die transzendentale Stufe und den spirituellen Lebensgenuß, die sich, wie Er sagte, auf der fünften Stufe der Vervollkommnung befinden. Die erste Stufe der Vervollkommnung besteht darin, das zu werden, was man im allgemeinen unter einem religiösen Menschen versteht. Die zweite Stufe ist materieller Reichtum, die dritte Sinnengenuß und die vierte das Streben nach Befreiung. Wer jedoch die fünfte Stufe der Vervollkommnung erreicht hat, befindet sich auf der befreiten Stufe, die auch als Kṛṣṇa-Bewußtsein oder hingebungsvolles Dienen bekannt ist. Die höchste Vollkommenheit solcher dienenden Hingabe im Kṛṣṇa-Bewußtsein bildet die Ekstase, die erfahren wird, wenn man den spirituellen Genuß kostet.

Der Herr berichtete Sanātana Gosvāmī anschließend von Seiner Begegnung mit dessen jüngeren Bruder Rūpa Gosvāmī in Prāyāga und erwähnte dabei auch, daß Er Rūpa Gosvāmī unterwiesen und dazu ermächtigt habe, dieses Wissen zu verkünden. Daraufhin gab Er auch Sanātana Gosvāmī den Auftrag, Bücher über das transzendentale gottgeweihte Dienen zu schreiben und ermächtigte ihn zugleich, die verschiedenen Orte im Bezirk von Mathurā wieder ausfindig zu machen, an denen Kṛṣṇa vor 5000 Jahren Seine Spiele offenbarte. Sanātana wurde außerdem angewiesen, in Vṛndāvana Tempel zu errichten und Bücher über die von Śrī Caitanya Mahāprabhu autorisierten Prinzipien der Vaiṣṇava-Philosophie zu schreiben. Sanātana Gosvāmī erfüllte im Laufe der Zeit all diese Wünsche des Herrn, indem Er in Vṛndāvana den Madana-mohana-Tempel errichtete, und Bücher wie den Hari-bhakti- vilāsa über die Prinzipien der dienenden Hingabe schrieb. Śrī Caitanya lehrte Sanātana Gosvāmī weiterhin, wie man schon in der materiellen Welt in völliger Verbundenheit mit Kṛṣṇa leben kann, und wies ihn darauf hin, daß es wenig Sinn habe, trockene Entsagung zu üben. Er sagte dies, weil Er wußte, daß es gerade in der heutigen Zeit viele Menschen geben würde, die in die Lebensstufe der Entsagung (sannyāsa) eintreten würden, ohne im spirituellen Leben fortgeschritten zu sein. Śrī Caitanya wollte mit dieser Anweisung Sein Mißfallen über die sogenannten sannyāsīs ausdrücken, die nicht das geringste vom Kṛṣṇa-Bewußtsein wissen. Tatsächlich treten heute immer häufiger sogenannte sannyāsīs oder svāmīs auf, die sich schlechter benehmen als gewöhnliche Menschen, aber dennoch behaupten, der Lebensstufe der Entsagung anzugehören. Śrī Caitanya Mahāprabhu mißbilligte solche Heuchler und legte Sanātana Gosvāmī deshalb nahe, in seinen Büchern ausführlich über dieses Thema zu schreiben.

Im Zwölften Kapitel der Bhagavad-gītā wird die Stufe der höchsten Vollkommenheit wie folgt beschrieben: »Ein Gottgeweihter, der kein Lebewesen beneidet, der freundlich, gütig und von aller Anhaftung an materiellen Besitz befreit ist, der sich nicht mit dem Körper identifiziert und in Glück und Leid gleichmütig bleibt, der nachsichtig und stets zufrieden ist und dem Höchsten Herrn fortwährend mit Körper und Geist dient, ist dem Herrn sehr lieb. Solch ein Gottgeweihter fügt keinem Lebewesen ein Leid zu, er wird niemals von materiellem Glück oder Leid berührt und ist nie über etwas Materielles erzürnt oder erfreut. Er ist von niemandem in dieser Welt abhängig. Wer sich dem Höchsten Herrn völlig hingegeben hat, ist geläutert, weise, gerecht, unempfindlich gegenüber Schmerzen und frei von allen materiellen Begehren - solch ein Gottgeweihter ist Śrī Kṛṣṇa ebenfalls sehr lieb.«

Und wer frei ist von materiellem Glück, materiellem Haß, materiellem Klagen und materiellem Streben, wer sich von allen glückverheißenden sowie unglückbringenden Handlungen in der materiellen Welt fernhält und sich ganz im Kṛṣṇa-Bewußtsein hingibt - der ist Śrī Kṛṣṇa sehr lieb. Ein Gottgeweihter, der Freund und Feind gleichgesinnt ist, der durch Wärme und Kälte nicht beeinflußt wird, der an nichts haftet und gleichmütig bleibt, wenn er respektiert oder beleidigt wird, der immer ernst ist, zufrieden in jeder Lebenslage, und keinen festen Wohnort hat und stets im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert ist - der wird von Śrī Kṛṣṇa sehr geliebt.

Selbst wenn man sich nicht auf der oben beschriebenen transzendentalen Ebene befindet, wird man Kṛṣṇa doch bald sehr lieb werden, wenn und sobald man ein solches transzendentales Leben gutheißt und bemüht ist, ebenfalls so zu leben.

Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man im 2. Kapitel des zweiten Cantos einen sehr schönen Vers, in dem gesagt wird, daß der Gottgeweihte immer auf der Gnade des Höchsten Herrn vertrauen soll. Was materielle Bedürfnisse anbelangt, so soll er mit dem zufrieden sein, was er ohne unnötigen Aufwand erhält. Als Śukadeva Gosvāmī dem König Parīkṣit das Bhāgavatam erzählte, wies er ihn darauf hin, daß ein Gottgeweihter niemals einen materialistischen Menschen um Hilfe bitten solle. Vielmehr solle er sich mit einem alten, fortgeworfenen Tuch bekleiden, die Früchte der Bäume essen, das Wasser der Flüsse trinken und in einer Höhle in den Bergen leben. Wenn er nicht imstande sei, all diese Regeln zu befolgen, solle er zumindest erkennen, daß er vollständig vom Höchsten Herrn abhängig sei und verstehen, daß der Höchste Herr bereits jeden mit Nahrung und Obdach versorge, und es deshalb auch nicht versäumen werde, für Seinen Geweihten zu sorgen, der sich Ihm ganz und gar hingegeben habe. In beiden dieser Fälle werde der Gottgeweihte von Kṛṣṇa beschützt, und brauche sich deshalb nicht im geringsten um seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Sanātana Gosvāmī stellte Śrī Caitanya viele Fragen über die verschiedenen Phasen des hingebungsvollen Dienens, und der Herr beantwortete sie alle, indem er fortwährend sehr vertrauliche Stellen aus den maßgeblichen Schriften wie z. B. dem Śrīmad-Bhāgavatam anführte.

Auf die Frage, wo das transzendentale Reich Śrī Kṛṣṇas liege, zitierte der Herr aus der vedischen Schrift Hari-vaṁṣa, in der die Gebete Indras aufgezeichnet sind, die dieser Śrī Kṛṣṇa darbrachte, nachdem er vergeblich versucht hatte, Śrī Kṛṣṇas unvorstellbare Macht herauszufordern. In diesen Gebeten wird gesagt, daß die Vögel und die Piloten zwar am Himmel fliegen können, daß sie aber außerstande sind, die höheren Planetensysteme zu erreichen. Die ersten höheren Planetensysteme beginnen mit der Sonne. Die Sonne befindet sich in der Mitte des Universums, und über ihr liegen noch andere, höhere Planetensysteme, wo Wesen leben, die durch große Opfer und Bußen dorthin erhoben worden sind.

Das gesamte materielle Universum wird devidhāma genannt. Über devidhāma liegt ṣivadhāma, wo Śiva und Seine Frau Pārvatī seit ewigen Zeiten wohnen. Dieses Planetensystem liegt bereits in der spirituellen Welt, in der es unzählige spirituelle Vaikuṇṭha-Planeten gibt. Doch über allen anderen Planeten einschließlich der Vaikuṇṭhas liegt Kṛṣṇas Planet Goloka. Weil Kṛṣṇa Kühe über alles liebt, heißt Sein Reich »Goloka«, »der Planet der Kühe«. Goloka ist größer als alle materiellen und spirituellen Planeten zusammen.

Indra gesteht in seinen Gebeten ein, daß er Goloka nicht einmal verstehen konnte, nachdem er Brahmā gefragt hatte.

Die Geweihten Nārāyaṇas, einer Erweiterung Kṛṣṇas, gehen nach ihrer Befreiung nur zu den Vaikuṇṭha-Planeten, denn selbst für sie ist es unmöglich, den Goloka-Planeten zu betreten. Dieser höchste Planet kann nur von denen erreicht werden, die sich Śrī Kṛṣṇa oder Śrī Kṛṣṇa Caitanya geweiht haben.

Indra sagte in seinen Gebeten: »Lieber Kṛṣṇa, Du bist von Goloka, Deinem spirituellen Reich, in die materielle Welt herabgestiegen; ich bitte Dich, mir alle Vergehen zu verzeihen, die ich in meiner Torheit beging, da ich Dich für einen gewöhnlichen Menschen hielt.«

Die letzte Phase der Spiele Śrī Kṛṣṇas, d. h. Sein Fortgehen aus der materiellen Welt, wird im Śrīmad-Bhāgavatam als mauṣāla-līlā beschrieben: In diesem transzendentalen Spiel tat Kṛṣṇa, als lasse Er Sich von einem Jäger töten. Es gibt noch viele andere unverständlich erscheinende Begebenheiten in Śrī Kṛṣṇas Spielen, wie z. B. die Inkarnation Seiner Haare, die oft völlig falsch ausgelegt werden, doch Śrī Caitanya gab sie alle in ihrer korrekten Interpretation wieder.

Als Er Seine Unterweisung beendet hatte, war Sanātana Gosvāmī so erleuchtet und erfreut, daß Er Śrī Caitanya zu Füßen fiel und sprach: »Ich wurde in einer niedrigen Familie geboren und war immer mit Menschen übelster Gesinnung zusammen. Doch obwohl ich der sündigste aller Sünder bin, warst Du so gütig, mir Dinge zu enthüllen, von denen nicht einmal Brahmā, das größte Wesen, auch nur das geringste weiß. In Deiner unvorstellbaren Gnade hast Du mir die nötige Intelligenz gegeben, Deine Schlußfolgerungen richtig zu verstehen. Aber leider bin ich so tief gefallen, daß ich nicht einmal einen Tropfen aus dem Ozean Deiner Lehren kosten kann. Wenn du deshalb wünscht, daß ich, der ich nur ein Lahmer bin, tanze - so gib mir bitte Deinen Segen und berühre meinen Kopf mit Deinen Lotosfüßen.«

Er bat den Herrn außerdem, so gütig zu sein, Seine Lehren in seinem Herzen heranreifen zu lassen, denn er selbst fühle sich außerstande, diese Wissenschaft aus eigener Kraft heraus zu verkünden. Aus dieser Bitte geht eindeutig hervor, daß ein ācārya, ein geistiger Meister, von höheren Autoritäten ermächtigt werden muß - Belehrungen allein können niemanden zum guru machen. Wenn man nicht vom geistigen Meister gesegnet wird, können seine Unterweisungen keine Früchte tragen. Man sollte sich deshalb um die Gnade des geistigen Meisters bemühen, denn nur so kann man seine Unterweisungen im Innern verwirklichen.

Nachdem Sanātana Gosvāmī Śrī Caitanya so gebeten hatte, berührte dieser Sanātanas Kopf mit Seinen Lotosfüßen und gab ihm den Segen, daß sich all Seine Unterweisungen vollkommen in ihm entwickeln sollten.

Śrī Caitanya hatte Sanātana die höchste Stufe der Liebe zu Gott erklärt, doch wies Er ihn gleichzeitig darauf hin, daß auch die ausführlichste Beschreibung niemals vollständig sein könne.

Jeder, der diese Unterweisungen Śrī Caitanyas an Sanātana Gosvāmī aufmerksam hört oder liest, wird sehr bald Kṛṣṇa-bewußt werden und die Gelegenheit erhalten, dem Herrn in Hingabe zu dienen.

15. KAPITEL

Caitanya

Die Erklärung des ātmārāma-Verses aus dem Śrīmad-Bhāgavatam

Als nächstes erklärte Śrī Caitanya den berühmten ātmārāma-Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (1.7.10):

ātmārāmāṣ ca munayo
nirgranthā apy urukrame
kurvanty ahaitukīṁ bhaktim
ittham-bhūta-guṇo hariḥ

Die allgemeine Bedeutung dieses Verses ist, daß die befreiten Seelen, die völlig in sich selbst zufrieden sind, später einmal Gottgeweihte werden. Dies trifft insbesondere auf die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre zu, die keine Kenntnis vom Höchsten Persönlichen Gott haben. Sie versuchen, im unpersönlichen Brahman Zufriedenheit zu finden, doch Kṛṣṇa ist so anziehend und so mächtig, daß Er selbst den Geist solcher Unpersönlichkeitsanhänger an Sich zieht. Das ist die Bedeutung des ātmārāma-Verses.

Diesen Vers hatte Śrī Caitanya bereits dem großen Vedantisten Sārvabhauma Bhaṭṭācārya erklärt, und der Autor des Caitanya-caritāmṛta, den diese Erklärung tief beeindruckte, pries Śrī Caitanya für Sein außergewöhnliches Wissen. Als nun Sanātana Gosvāmī unterwiesen wurde, erinnerte dieser den Herrn an diese Begebenheit und bat Ihn, indem er Ihm zu Füßen fiel, den ātmārāma-Vers noch einmal so zu erläutern, wie Er es zuvor für Sārvabhauma Bhaṭṭācārya getan hatte.

Śrī Caitanya entgegnete jedoch: »Ich verstehe nicht, warum Sārvabhauma Bhaṭṭācārya Meine Auslegung so sehr schätzt; Ich jedenfalls kann Mich nicht einmal mehr an das erinnern, was Ich ihm damals gesagt habe. Doch weil Du Mich darum bittest, will Ich versuchen, dir zu erzählen, woran Ich Mich, inspiriert durch deine Anwesenheit, erinnern kann.« Aus diesen Worten geht deutlich hervor, daß zwischen dem Sprecher und der Zuhörerschaft eine enge Verbindung besteht. Der Sprecher oder der geistige Meister wird durch die Gegenwart der Zuhörerschaft erleuchtet, denn wenn diese aufmerksam zuhört, wird er angespornt, mehr über transzendentale Themen zu sprechen. Deshalb sagte Śrī Caitanya: »Eigentlich weiß Ich gar nicht, wie man Sanskritverse interpretiert, doch weil deine Gegenwart so erleuchtend ist, werde Ich Mein Bestes versuchen. Der ātmārāma-Vers besteht aus elf Worten: 1. ātmārāma, 2. munayaḥ, 3. nirgrantha, 4. api, 5. ca, 6. urukrama, 7. kurvanti, 8. ahaitukīm, 9. bhaktim, 10. ittham-bhūta-guṇaḥ und 11. hariḥ.« Dann begann der Herr, jeden einzelnen Begriff zu erklären:

»Das Wort »ātma« hat folgende Bedeutungen: 1. Höchste Absolute Wahrheit, 2. Körper, 3. Geist, 4. Bemühung, 5. Intelligenz, 6. Überzeugung und 7. Natur. »Rāma« bedeutet »Freude«. Mit »ātmārāmas« sind also diejenigen gemeint, denen es Freude bereitet, Wissen über die obengenannten sieben Punkte zu erwerben.« Der Herr erklärte daraufhin die verschiedenen Arten von ātmārāmas bzw. Transzendentalisten.

Im allgemeinen bedeutet das Wort »muni« »großer Denker«, doch manchmal bezeichnet es auch sehr ernsthafte Menschen, große Weise, große Asketen, große Mystiker oder große Gelehrte.

»Nirgrantha« bedeutet »von der Knechtschaft der Illusion befreit«. Eine weitere, jedoch völlig andere Bedeutung von »nirgrantha« lautet »ein Mensch, der zu den Unterweisungen der Schriften keine Beziehung hat«.

»Grantha« bedeutet »offenbarte Schriften«. Es gibt viele Unterweisungen, die den Menschen in den Schriften gegeben werden, um ihnen zu helfen, Fortschritte im spirituellen Leben zu machen. Die meisten haben jedoch keinerlei Beziehung zu ihnen und werden daher »nirgrantha« genannt.

»Nir« ist eine Vorsilbe, die drei Bedeutungen hat: 1. keine Verbindung, 2. errichten und 3. verbieten. Es gibt viele Menschen, die töricht, von niedriger Herkunft und von schlechtem Betragen sind und deshalb keinen Zugang zu den offenbarten Schriften haben. Deshalb nennt man sie »nirgrantha«. Weil man »grantha« auch im Sinne von »Reichtümer« und »Ansammeln« verwendet, bedeutet »nirgrantha« auch »jemand, der danach strebt, Reichtümer anzusammeln« oder »jemand, der keine Reichtümer besitzt«.

Das Wort »urukrama« bezeichnet eine mächtige Person. »Krama« wird jedoch auch manchmal im Sinne von »Vorwärtsschreiten« verwandt. »Urukrama« nennt man jemanden, der große Schritte tun kann. Den größten Schritt, der jemals gemacht wurde, tat Śrī Vāmanadeva, als Er mit einem einzigen Schritt das gesamte Universum durchmaß; deshalb meint urukrama den Höchsten Herrn, Vāmanadeva. Zu dieser außergewöhnlichen Tat Śrī Vāmanadevas erklärt das Śrīmad-Bhāgavatam: »Niemand kann die unvorstellbaren Fähigkeiten Śrī Viṣṇus ermessen. Selbst wenn die Wissenschaftler die genaue Anzahl der Atome in der materiellen Welt bestimmen könnten, wären sie doch nicht in der Lage, die verschiedenen Energien des Höchsten Herrn zu zählen. Vāmanadeva war so mächtig, daß Er das gesamte Universum, von Brahmaloka bis hinunter zu Patālaloka, mit einem Mal durchschreiten konnte.«

Die unvorstellbaren Energien des Herrn breiten sich über die gesamte Schöpfung aus. Er ist alldurchdringend, und durch Seine Energie hält Er alle Planetensysteme in ihrer Bahn. Mit Seiner Freudenkraft weilt Er in Seinem Reich Goloka Vṛndāvana; durch Expansion Seiner Macht und Fülle beherrscht Er als Nārāyaṇa alle Vaikuṇṭha-Planeten, und durch Seine materielle Energie erschafft Er unzählige Universen mit unzähligen Planeten. Niemand kann die wunderbaren Aktivitäten des Höchsten Herrn ermessen. - Aus diesem Grund wird Er »urukrama« genannt, was soviel bedeutet wie » der Vollbringer wundervoller Taten«.

Im Viṣva-prakāṣa-Wörterbuch wird das Wort »krama« sowohl mit »geschickte Entfaltung von Energien« als auch mit »einen weiten Schritt nach vorn tun« übersetzt.

Das Wort »kurvanti« bedeutet »für andere arbeiten«. Es gibt ein ähnliches Wort, was soviel bedeutet wie »zum eigenen Sinnengenuß handeln«, doch das Wort »kurvanti« wird nur dann verwandt, wenn man eine Tätigkeit meint, die zur Freude des Höchsten Herrn ausgeführt wird. Deshalb kann dieses Wort nur in Beziehung zum transzendentalen Dienst für den Herrn gebraucht werden.

Das Wort »hetu« bedeutet soviel wie »Grund« oder »Ursache«. Im allgemeinen wenden sich die Menschen aus drei Gründen transzendentalen Aktivitäten zu: entweder sie ersehnen materielles Glück, oder sie streben nach mystischen Kräften, oder sie wollen von den Fesseln der Materie befreit werden. Es gibt unzählige Freuden, nach denen der materialistische Mensch streben kann; der yogī kennt acht Vollkommenheiten in mystischen Kräften, und der jñānī* sehnt sich nach Befreiung, die von fünferlei Art ist. Darüber hinaus gibt es jedoch noch eine transzendentale Stufe, »ahaituka« genannt; wer sie erreicht, ist von allen materiellen Verlangen befreit, und wenn er dem Herrn in diesem reinen Bewußtsein dient, kann er Seinen Segen erlangen. Das Wort »bhakti« hat zehn verschiedene Aspekte. Einer der zehn heißt »sādhana-bhakti«, »vorgeschriebenes hingebungsvolles Dienen«; die anderen neun nennt man »prema-bhakti (Liebe zu Gott)«. Auch wer eine neutrale Beziehung zu Kṛṣṇa hat, kann sich bis zur Stufe der Liebe zu Gott erheben. Ähnlich erreichen die Gottgeweihten, die sich in einer dienenden Beziehung befinden, Liebe zu Gott bis zur Stufe der Zuneigung. Wer eine freundschaftliche Beziehung zum Höchsten Herrn hat, erlangt Liebe zu Gott bis hin zur Brüderlichkeit. Wer den Höchsten Herrn als Vater oder Mutter liebt, kann bis zur Stufe der Emotion gelangen; doch nur, wer eine vertraute Liebesbeziehung zu Kṛṣṇa hat, erreicht die höchste Stufe der Ekstase. Dies sind die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs »bhakti«.

* Der spekulierende Philosoph

Als nächstes erklärte der Herr die verschiedenen Bedeutungen des Begriffes »ittham-bhūta-guṇaḥ«. »Ittham-bhūta« meint »vollkommen transzendental«, oder anders gesagt, einen Zustand, mit dem verglichen selbst die transzendentale Freude des brahmānanda** wie fader Strohgeschmack anmutet. Im Hari-bhakti-sudhodaya heißt es: »Mein lieber Herr, o Höchster Persönlicher Gott, einfach indem wir Dich verstehen oder Dich sehen, erfahren wir eine solche Freude, daß die Freude des brahmānanda alle Anziehung für uns verliert.« Mit anderen Worten: Die Freude, die man empfindet, wenn man Kṛṣṇa so versteht, wie Er ist - nämlich als den alles-anziehenden Quell aller Freuden und den Ursprung aller freudenspendenden rasas, der alle transzendentalen Eigenschaften in Sich birgt - diese Freude führt einen Menschen dazu, sich Ihm zu weihen, und jemand, der sich zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt, kann mit Leichtigkeit alle fruchtbringenden Tätigkeiten, das Streben nach Befreiung und das Verlangen nach Vollkommenheit in der Beherrschung mystischer Kräfte aufgeben. Die Anziehungskraft Kṛṣṇas wird für einen Menschen auf dieser Stufe so intensiv, daß er sich einfach aufgrund dieser Anziehung dem Höchsten Persönlichen Gott hingibt, ohne sich weiter mit einem anderen Weg zur Selbsterkenntnis zu befassen.

** Glücksgefühl, das bei der unpersönlichen Verwirklichung erfahren wird.

»Guṇa« bedeutet »die unbegrenzten transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas« und bezieht sich vor allem auf Seine sac-cid-ānanda-Form. Kṛṣṇa ist in Seinem transzendentalen, glückseligen Wissen und Seiner ewigen Existenz vollkommen, und indem Er Sich Seinem Geweihten, der alle Gedanken auf Ihn gerichtet hat, unterordnet, zeigt Er einen weiteren Aspekt Seiner Vollkommenheit. Gott ist so gütig und barmherzig, daß Er die Hingabe Seines Geweihten erwidert und Sich ihm ebenfalls hingibt. Seine Eigenschaften sind so vortrefflich, daß die Vollkommenheit Seiner Schönheit, der vollkommene Austausch von Liebe zwischen Ihm und Seinen Geweihten und der Geschmack Seiner transzendentalen Eigenschaften durch die verschiedenartigen Manifestationen dieser Eigenschaften viele Transzendentalisten und befreite Seelen anziehen.

Zum Beispiel zog Er Sanaka-kumāra durch den Duft der Ihm geopferten Blumen zu Sich hin und Śukadeva Gosvāmī durch Seine transzendentalen Spiele; die Mädchen von Vṛndāvana bezauberte Er mit Seiner Schönheit, und die Gedanken Rukmiṇīs lenkte Er durch Seine körperliche Erscheinung und Seine unvergleichlichen Eigenschaften auf Sich. Die Göttin des Glücks fesselte Er durch den Klang Seiner Flöte und durch verschiedene andere Merkmale Seines transzendentalen Wesens. Er wirkt auf alle jungen Mädchen äußerst anziehend. Mit Seinen kindlichen Spielen bezaubert Er die älteren Frauen, und in Seiner Erscheinung als Hirtenjunge zieht Er die Zuneigung Seiner Freunde auf Sich. Als Er in Vṛndāvana weilte, fühlten sich sogar die Tiere und Pflanzen zu Ihm hingezogen. Jeder empfand für Kṛṣṇa große Zuneigung.

Das Wort »Hari« hat verschiedene Bedeutungen, von denen zwei besonders wichtig sind. »Hari« meint einmal, daß Kṛṣṇa alle unheilvollen Dinge aus dem Leben eines Gottgeweihten entfernt, und zum anderen, daß Er Seine Geweihten zu Sich hin zieht, indem Er sie mit transzendentaler Liebe zu Ihm segnet. Kṛṣṇa ist so anziehend, daß jeder, der sich an Ihn erinnert, von den vier materiellen Leiden - Geburt, Alter, Krankheit und Tod - befreit wird. Der Herr kümmert Sich ganz besonders um Seine Geweihten und beschützt sie vor den Folgen ihrer früheren Sünden, die ihren Fortschritt im hingebungsvollen Dienen nur behindern würden. Auf diese Weise bereitet Er dem Einfluß der Unwissenheit ein Ende. Und einfach dadurch, daß der Gottgeweihte über den Höchsten Herrn hört, entwickelt er Liebe zu Ihm. Das ist die besondere Gnade des Herrn. Mit anderen Worten: Hari, Kṛṣṇa, nimmt einerseits alles Schlechte von uns, und gibt uns andererseits alles zum Fortschritt Notwendige.

Wenn ein Mensch Liebe zu Gott entwickelt, wird er durch die Anziehungskraft der transzendentalen Eigenschaften des Herrn mit Körper und Geist zu Ihm hingezogen. Das ist das Zeichen der Barmherzigkeit Kṛṣṇas und zeigt deutlich die Besonderheit Seiner Eigenschaften. Er ist so anziehend, daß Seine Geweihten aus reiner Zuneigung zu Ihm alle Wünsche nach Religiosität, wirtschaftlicher Entwicklung, Sinnenfreude oder Erlösung aufgeben. »Api« und »ca« sind Adverbien, die man praktisch in jedem Zusammenhang gebrauchen kann, und es ergibt sich aus dem Gebrauch von »ca« (und) an dieser Stelle, daß die Gesamtkonstruktion des Verses sieben verschiedene Bedeutungen annehmen kann.

Somit stellte der Herr zunächst die Grundbedeutung der elf Punkte im ātmārāma-Vers heraus. Anschließend begann Er, die Bedeutung jedes einzelnen Punktes näher zu erläutern.

Das Wort »Brahman«, so erklärte Er Sanātana, bedeutet »derjenige, der in jeder Hinsicht der Größte ist«. Er besitzt alle Füllen in Vollkommenheit. Niemand kann Seinen Reichtum übertreffen; niemand kann Seine Stärke übertreffen; niemand kann Seinen Ruhm übertreffen; niemand kann Seine Schönheit übertreffen; niemand kann Sein Wissen übertreffen, und niemand kann Seine Entsagtheit übertreffen. Deshalb bedeutet »Brahman« in Wirklichkeit »der Höchste Persönliche Gott Kṛṣṇa«.

Im Viṣṇu Purāṇa wird die Bedeutung des Wortes »Brahman« näher erklärt: »Er ist der Größte, und als der Größte erweitert Er Sich ständig. Deshalb kann sich niemand vorstellen, wie groß Er tatsächlich ist. Die verschiedenen Transzendentalisten erkennen den Höchsten Persönlichen Gott in drei Aspekten, die im Grunde jedoch eins sind, nämlich als Brahman, Paramātma und Bhagavān.« Die Absolute Wahrheit, die Höchste Person, Kṛṣṇa, ist ewig. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß Er bereits vor der Manifestation der kosmischen Welt existierte, daß Er während ihres Bestehens existiert, und daß Er auch nach ihrer Vernichtung weiterhin existiert. Deshalb ist Er die Seele allen Seins. Er ist alldurchdringend; Er ist allwissend, und Er ist die Höchste Person.

In den vedischen Schriften werden drei verschiedene transzendentale Vorgänge erwähnt, durch die man die Höchste Absolute Wahrheit verstehen und die höchste Vollkommenheit erreichen kann: 1. der Vorgang des Wissens, 2. der Vorgang des mystischen yoga und 3. der Vorgang des hingebungsvollen Dienens. Die Anhänger dieser verschiedenen Methoden erkennen die Höchste Wahrheit, den Persönlichen Gott am Ende ihrer Verwirklichung in drei Aspekten: Die Transzendentalisten, die dem Vorgang des Wissens folgen, erkennen Ihn als das unpersönliche Brahman; diejenigen, die yoga praktizieren, erkennen Ihn als Paramātma, die lokalisierte Überseele, und diejenigen, die hingebungsvolles Dienen ausführen, erkennen Ihn als Bhagavān, den Höchsten Persönlichen Gott, Śrī Kṛṣṇa. Mit anderen Worten: Obwohl Brahman ebenso wie Paramātma und Bhagavān »Kṛṣṇa« bedeutet, und nichts anderes, erkennen Ihn die verschiedenen Transzendentalisten oder ātmārāmas entsprechend der Methode, die sie praktizieren, in einem der drei obengenannten Aspekte.

Der hingebungsvolle Dienst besteht aus zwei Stufen. Am Anfang steht vidhi-bhakti, d. h. hingebungsvolles Dienen nach regulierenden Prinzipien, und auf der höchsten Stufe steht rāga-bhakti, hingebungsvolles Dienen in reiner Liebe.

Der Höchste Persönliche Gott ist die Absolute Wahrheit und daher in Sich Selbst vollkommen, und dennoch erweitert Er Sich in unzählige Manifestationen. Diejenigen, die den regulierenden Prinzipien des hingebungsvollen Dienstes folgen, erreichen nach ihrer Befreiung die Vaikuṇṭhas in der spirituellen Welt, während jemand, der den Prinzipien des Dienens in Liebe folgt, in das höchste Reich, Kṛṣṇaloka, gelangt.

Die Transzendentalisten lassen sich in weitere drei Gruppen gliedern: 1. akāma, wer keine materiellen Verlangen mehr hegt, 2. mokṣa-kāma, wer nach der Befreiung von den materiellen Leiden strebt, und 3. sarva-kāma, wer sich materielle Genüsse wünscht. Der intelligente Transzendentalist gibt jedoch alle anderen Wege auf, und beschäftigt sich, auch wenn er noch viele Begehren hat, im hingebungsvollen Dienen für den Herrn. Ohne ein wenig dienende Hingabe zu entwickeln, kann niemand Vollkommenheit in irgendeiner der transzendentalen Aktivitäten erreichen, sei es nun im Streben nach materiellem Gewinn, in der Entwicklung von Wissen oder im mystischen yoga.

Außer hingebungsvollem Dienen sind alle transzendentalen Vorgänge wie die Zitzen am Hals einer Ziege. Am Hals einer Ziege hängen zwar Zitzen, die denen einer Kuh ähneln, doch sie geben keine Milch. Wenn man deshalb die höchste Vollkommenheit erreichen will, muß man Kṛṣṇa in Liebe und Hingabe dienen.

In der Bhagavad-gītā wird im 16. Vers des Siebten Kapitels erklärt, daß es vier Arten frommer Menschen gibt, die sich dem hingebungsvollen Dienen zuwenden. Es sind die Notleidenden, die Neugierigen, diejenigen, die nach materiellem Gewinn streben und die jñānīs, die Weisen. Wenn diese Menschen rechtschaffen gelebt haben, kommen sie zum hingebungsvollen Dienen. Die Notleidenden und die nach materiellem Besitz Trachtenden nennt man »Gottgeweihte mit Wünschen«, wohingegen die anderen beiden, die Neugierigen und die Weisen als »Gottgeweihte, die nach Befreiung streben«, bezeichnet werden. Aber weil sie alle Kṛṣṇa verehren, betrachtet man sie als vom Glück gesegnet, denn im Laufe der Zeit werden sie ihre Wünsche aufgeben und zu reinen Gottgeweihten werden.

Derart gesegnete Gottgeweihte, die mit hingebungsvollem Dienen begonnen haben, können in der Gemeinschaft reiner Geweihter Śrī Kṛṣṇas rasch spirituelle Fortschritte machen, denn wenn man mit reinen Gottgeweihten zusammen ist, wird man sehr bald selbst zu einem reinen Gottgeweihten. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im Zehnten Kapitel des Ersten Cantos bestätigt, wo es heißt: »Ein wahrhaft kluger Mensch ist bestrebt, in der Gesellschaft reiner Gottgeweihter über Śrī Kṛṣṇa und dessen Taten zu hören.« Diese Aktivitäten des Herrn sind so wunderbar, daß er Seine Gesellschaft nicht wieder aufgibt.

Außer der Gemeinschaft reiner Gottgeweihter ist jede andere Gemeinschaft kaitava (Betrug). Das wird im Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam festgestellt, wo unter anderem gesagt wird, daß jedes betrügerische Unterfangen, das für die transzendentale Erkenntnis hinderlich sein könnte, unterlassen werden muß. Mit Hilfe des Śrīmad-Bhāgavatam kann man die Dinge im richtigen Licht sehen, und so wird es einem möglich, die Leiden des materiellen Daseins zu überwinden. Das Śrīmad-Bhāgavatam wurde von Vyāsadeva, dem größten Weisen aller Zeiten, als Ergebnis ausgereifter Erfahrung verfaßt, und deshalb kann man den Höchsten Herrn leicht in seinem Herzen erkennen, wenn man das Śrīmad-Bhāgavatam durch hingebungsvolles Dienen versteht.

Śrī Caitanya erklärte dann, daß projjhitta, der Wunsch nach Befreiung, von einem berühmten Kommentator des Bhāgavatam als das größte Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung des Höchsten Herrn bezeichnet worden sei. Wenn aber jemand trotz aller Hindernisse zu Kṛṣṇa komme und beginne, über Ihn zu hören, zeige Kṛṣṇa Sich dankbar und gewähre ihm in Seiner Güte bei Seinen Lotosfüßen Zuflucht. Solch ein Gottgeweihter oder Transzendentalist vergesse dann alles andere und beschäftige sich voll und ganz im hingebungsvollen Dienen für den Herrn.

Jeder, der sich in dienender Hingabe bzw. im vollen Kṛṣṇa-Bewußtsein dem Herrn zuwendet, wird Ihn mit Sicherheit erreichen. Wenn solch ein Mensch schließlich dem Höchsten Herrn dient, hat er kein Begehren mehr wie etwa der Notleidende und derjenige, der nach materiellem Besitz trachtet. Die Methode des hingebungsvollen Dienens, das Dienen selbst, das Zusammensein mit reinen Gottgeweihten und die grundlose Barmherzigkeit des Herrn - diese Dinge haben eine so wunderbare Wirkung, daß jeder Gottgeweihte, sei er nun eine notleidende Seele, sei er voller Verlangen nach materiellem Besitz, neugierig oder ein Weiser, der Wissen ansammelt, alle bisherigen Tätigkeiten aufgibt und sich voll und gänzlich im Kṛṣṇa-Bewußtsein beschäftigt. Zusammengefaßt bedeutet dies, daß sich künftig jede Bedeutung, die für die Worte des ātmārāma-Verses gebraucht werden kann, einzig auf Kṛṣṇa bezieht.

Bis hierher hatte Śrī Caitanya nur die Einleitung zur Erklärung des ātmārāma-Verses geben, doch dann erklärte Er die eigentliche Bedeutung des Verses: »Es gibt zwei Arten von Transzendentalisten, die den Pfad des Wissens beschreiten. Die einen verehren das unpersönliche Brahman, und die anderen streben nach Befreiung. Die Monisten (die Verehrer des Brahman) teilen sich in drei Gruppen: 1. Neuling, 2. in Gedanken an das Brahman Versunkene und 3. tatsächlich Brahman-Verwirklichte. Der Brahman-Verwirklichte kann jedoch nur dann befreit werden, wenn zu Seiner Verwirklichung hingebungsvolles Dienen hinzukommt.

Jeder, der ganz und gar im hingebungsvollen Dienen für Kṛṣṇa aufgeht, ist bereits eine Brahman-verwirklichte Seele. Der hingebungsvolle Dienst ist so mächtig, daß selbst jemand, der noch das Brahman verehrt, zu Kṛṣṇa hingezogen wird. Wenn er dann die transzendentalen Eigenschaften Śrī Kṛṣṇas mehr und mehr erkennt und von ihnen angezogen wird, wendet er sich mit ganzem Herzen dem hingebungsvollen Dienen zu. Śukadeva Gosvāmī z. B. war vom Beginn seines Lebens an eine befreite Seele. Trotzdem wurde er in seinem späteren Leben von Kṛṣṇas transzendentalen Spielen angezogen und gab sich deshalb Kṛṣṇa hin. Es gibt aber auch Gottgeweihte, die, wie die vier Kumāras, durch die transzendentalen Eigenschaften des Herrn angezogen wurden und auf diese Weise zum hingebungsvollen Dienen kamen. Im Elften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam wird erwähnt, daß die berühmten neun Mystiker, die dort genannt werden, von Geburt an Transzendentalisten waren, weil sie von Brahmā, Śiva und Nārada über Kṛṣṇas transzendentale Eigenschaften hörten.

Manchmal wird man schon von Kṛṣṇa und Seinen transzendentalen Eigenschaften fasziniert, wenn man nur die unvergleichliche Schönheit Seines transzendentalen Körpers sieht; man gibt dann das Verlangen nach Befreiung auf und beginnt, dem Herrn in Liebe und Hingabe zu dienen. In diesem Zustand bereut der Gottgeweihte die Zeit, die er damit vertan hat, sogenanntes Wissen anzusammeln, und wird zu einem reinen Gottgeweihten.

Es gibt zwei Arten von Seelen, die bereits im materiellen Körper Befreiung erlangt haben: die Seele, die durch hingebungsvolles Dienen befreit wurde, und die Seele, die durch die Ansammlung von Wissen zur Befreiung gelangte. Der grundlegende Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß die durch dienende Hingabe befreite Seele aufgrund ihrer Anziehung zu den transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas mehr und mehr Fortschritte macht, wohingegen die spekulierenden Philosophen, die lediglich trockenes Wissen angesammelt haben und nichts mit hingebungsvollem Dienen zu tun haben wollen, wegen ihrer vielen Vergehen wieder ins materielle Leben zurückfallen. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam im Zweiten Kapitel des Zehnten Cantos bestätigt, wo es heißt: »O mein Herr, die Intelligenz derer, die sich für befreit halten, obwohl sie nicht die geringste Hingabe besitzen, ist nicht rein, denn trotzdem sie durch strengste Bußen und Entsagungen bis zur höchsten Stufe der Befreiung aufsteigen, müssen sie doch wieder ins materielle Dasein herabfallen, da sie es versäumt haben, bei Deinen Lotosfüßen Zuflucht zu suchen.« Die Bhagavad-gītā bestätigt diese Tatsache im 54. Vers des Achtzehnten Kapitels mit den Worten: »Wer im Brahman verankert ist, klagt niemals, noch verlangt er danach, irgend etwas zu besitzen. Er ist jedem gleichgesinnt und somit geeignet, reines hingebungsvolles Dienen zu praktizieren.«

Auch Bilvamaṅgala Ṭhākura bestätigt dies. Am Ende seines Lebens sagte er: »Ich war ein Monist und wollte mit dem Höchsten Herrn eins werden, doch dann traf ich diesen frechen kleinen Jungen und wurde Sein ewiger Diener.«

Jeder, der sich nicht zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt, befindet sich noch im Banne māyās; dagegen ist schon jemand, der nur versucht, durch hingebungsvolles Dienen befreit zu werden, aus der Gewalt māyās erlöst. Im Elften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam gibt es viele Beispiele von Gottgeweihten, die einfach dadurch, daß sie dem Höchsten Herrn in Liebe und Hingabe dienten, befreit wurden.

16. KAPITEL

Caitanya

Śrī Caitanya beendet Seine Unterweisung Sanātana Gosvāmīs

Viele Menschen, die befreit werden möchten, praktizieren zu diesem Zweck hingebungsvolles Dienen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 2. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt, daß diejenigen, die ernsthaft nach Befreiung streben, von der Verehrung der Halbgötter ablassen und beginnen, Nārāyaṇa, den Höchsten Persönlichen Gott, zu verehren. Solche Menschen dienen zunächst Nārāyaṇa, doch wenn sie mit reinen Gottgeweihten zusammenkommen, entwickeln auch sie die Neigung, Kṛṣṇa mit Liebe und Hingabe zu verehren, und geben den Wunsch nach Befreiung auf. Im Hari-bhakti-sudhodaya findet man folgenden Vers: »O ihr großen Seelen, obwohl dieses Leben viele Mängel hat, gibt es doch etwas Wunderbares - die Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten. Pflegt stets solche Gemeinschaft, denn wenn ihr mit ihnen zusammen seid, schwindet allmählich euer Verlangen nach Befreiung.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam, Elftes Canto, 2. Kapitel, 35. Vers, wird gesagt, daß alle Menschen nur deshalb so von Angst erfüllt sind, weil sie ihre ewige Beziehung zum Höchsten vergessen und ein materialistisches Bewußtsein entwickelt haben.

Sie stehen unter der Kontrolle der materiellen Energie, und deshalb widmet sich ein Mensch mit genügender Intelligenz mit seiner ganzen Kraft dem hingebungsvollen Dienst für den Höchsten Herrn; denn niemand kann von der materiellen Bedingtheit befreit werden, ohne dem Herrn in Hingabe zu dienen. Wenn man schließlich von der materiellen Verunreinigung frei geworden ist, kann man sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein voll und ganz zuwenden.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 14. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt: »Wenn sich ein Mensch im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, um Wissen zu erlangen, aber nicht den Wunsch entwickelt, Kṛṣṇa zu dienen, bleiben die Mühen, die er auf sich nimmt, seine einzige Errungenschaft. - Sein Leben hat keinen Wert. Jedes Lebewesen ist ein winziges Teil des Höchsten Herrn und hat deshalb die Pflicht, dem Höchsten Ganzen zu dienen. Wenn es dies nicht tut, fällt es in die materielle Welt zurück, und sein Leben war vergebens.

Śrī Caitanya erklärte schließlich, daß jeder der erwähnten sechs Arten von ātmārāmas Kṛṣṇa auf irgendeine Weise in Hingabe dient. Mit anderen Worten: Für jeden wirklichen Transzendentalisten kommt irgendwann einmal die Zeit, da er versteht, daß er Kṛṣṇa mit Liebe und Hingabe dienen muß, und dann wird er völlig Kṛṣṇa-bewußt. Selbst wenn man überaus gelehrt ist oder eine sehr hohe Position einnimmt, kann man dem Herrn seinen Fähigkeiten entsprechend dienen.

Die sechs Arten von Transzendentalisten sind: 1. der Neuling, 2. der in Gedanken an den Höchsten Versunkene, 3. der tatsächlich in der Transzendenz Verankerte, 4. der nach Befreiung Strebende, 5. der tatsächlich Befreite und 6. derjenige, der seine wesenseigene Position verwirklicht hat und dementsprechend handelt. Sie alle nennt man ātmārāma. Wenn ein Mensch die Stufe des ātmārāma erreicht hat, d. h. ein großer Denker im Kṛṣṇa-Bewußtsein wird, beschäftigt er sich mit all seiner Energie im hingebungsvollen Dienen. Den grammatischen Regeln nach gibt es viele ātmārāmas, doch im allgemeinen haben alle ātmārāmas etwas gemeinsam, nämlich die Neigung, den Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, zu verehren.

Auch der Mystiker, der die Überseele in seinem Inneren verehrt, wird ātmārāma genannt. Es gibt zwei Arten dieser ātmārāma-yogīs: den einen nennt man »sagarbha« und den anderen »nigarbha«. Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es im 2. Kapitel des Zweiten Cantos: »Manche yogīs meditieren über den lokalisierten Aspekt Viṣṇus in ihrem Herzen, der in Seinen vier Händen Lotosblume, Feuerrad, Muschelhorn und Keule trägt.« Der yogī, der ständig an den vierarmigen Viṣṇu denkt, entwickelt allmählich hingebungsvolle Ekstase und zeigt bald auch die verschiedenen Symptome dieses Zustandes: Manchmal weint er, manchmal fühlt er Trennungsschmerz usw. So geht er schließlich in transzendentaler Glückseligkeit auf und ist durch diese Glückseligkeit gefangen wie ein Fisch im Netz.

Die sagarbha und nigarbha-yogīs lassen sich in drei Gruppen teilen: die Anfänger, die Fortgeschrittenen und die Vollkommenen. In der Bhagavad-gītā wird dazu folgendes gesagt: »Menschen, die versuchen, sich durch den Pfad des mystischen yoga-Systems zu erheben, nennt man »arurukṣas«. Im arurukṣa-yoga gibt es verschiedene Sitzstellungen, mit deren Hilfe man lernt, den Geist auf ein Objekt zu konzentrieren. Nur durch Meditation und Loslösung kann man ein fortgeschrittener yogī werden, und erst dann, wenn man nicht mehr danach trachtet, für die Befriedigung der Sinne zu arbeiten, wird man allmählich frei und erreicht schließlich die Stufe der Ekstase, die auch »yoga-rudha« genannt wird. Wenn solche mystischen yogīs das Glück haben, mit einem reinen Gottgeweihten in Verbindung zu kommen, werden auch sie zu Geweihten Kṛṣṇas.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 87. Kapitel des Zehnten Cantos über die sagarbha- und nigarbha-yogīs folgendes gesagt: »Die yogīs beginnen ihre Übungen mit der Verehrung des Rumpfes und richten dabei ihr Bewußtsein auf die Eingeweide. Dann lassen sie es allmählich bis zur Brust aufsteigen und konzentrieren sich auf das Herz. Wenn sie ihr Bewußtsein bis zur Schädeldecke erhoben haben, gelten sie als vollkommen und sind nicht länger Geburt und Tod unterworfen.« Begegnen solche yogīs reinen Gottgeweihten, beginnen selbst sie, dem Höchsten in Liebe und Hingabe zu dienen.

Das Wort »urukrama« ist bereits erklärt worden: »Urukrama« bezeichnet den Höchsten Herrn, dem alle ātmārāmas mit Hingabe dienen. Bevor sich diese Transzendentalisten dem hingebungsvollen Dienen zuwenden, nennt man sie »ṣāntas« (friedvolle Gottgeweihte).

»Ātma«, das Selbst, bedeutet manchmal auch »Geist« bzw. »Verstand«. Es gibt viele spekulierende Intellektuelle, die den verschiedenartigsten philosophischen Ideen nachhängen, doch auch sie werden zu Gottgeweihten, wenn sie mit Heiligen zusammenkommen, die sich dem hingebungsvollen Dienst geweiht haben.

Eine andere Bedeutung von »ātma« ist »Bemühung«. Bei allem, was man tut, muß man sich bemühen, und die höchste Bemühung besteht in dem Versuch, die höchste Stufe der Vollkommenheit im hingebungsvollen Dienen zu erreichen. Im Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam wird im 18. Vers des Kapitels dazu aufgefordert, nach dem höchsten Gewinn zu streben, der auf keinem der Planeten in der materiellen Welt erhältlich ist. Das bedeutet, daß materielles Glück und Leid in jedem Planetensystem im Laufe der Zeit zu bekommen sind, doch daß man die höchste Vollkommenheit im hingebungsvollen Dienen nirgendwo ohne Bemühung erlangen kann. Deshalb wird im Nārada Purāṇa gesagt, daß jemand, der den ernsthaften Wunsch hat, die höchste Vollkommenheit im hingebungsvollen Dienen zu erreichen, schon durch seine Bemühung erfolgreich sein kann.

Die höchste Stufe im hingebungsvollen Dienen kann also nicht ohne persönliche Bemühung erreicht werden. Dazu heißt es im 10. Kapitel der Bhagavad-gītā: »Denen, die dem Höchsten Herrn ständig mit Liebe und Hingabe dienen, gibt der Herr die Intelligenz, durch die sie ungehindert im hingebungsvollen Dienen Fortschritte machen können.«

Eine andere Bedeutung von »ātma« ist »Geduld« und »Ausdauer«. Durch Geduld und Ausdauer kann man sehr leicht die höchste Stufe im hingebungsvollen Dienen erreichen.

Das Wort »muni« bedeutet in einigen Fällen auch »Vogel« und »große Hummel«. Eine andere Bedeutung für »nirgrantha« ist » Dummkopf«. Selbst Vögel, Insekten und sogar Dummköpfe beginnen, dem Höchsten Herrn zu dienen, wenn sie mit der Gunst eines reinen Gottgeweihten gesegnet werden. Zum Beispiel wird im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben, wie die Vögel in Vṛndāvana dem Höchsten Herrn dienten und die Bienen Kṛṣṇa und Balarāma auf ihrem Weg zu den Weidegründen folgten. Balarāma sagte bei dieser Gelegenheit zu Kṛṣṇa: »O höchst Vortrefflicher, o Ursprünglicher Persönlicher Gott, sieh nur, wie die Bienen und Hummeln Dir folgen und Dich verehren, indem sie Deinen transzendentalen Ruhm preisen! In Wirklichkeit sind diese Bienen große Weise, die die Gelegenheit nutzen, Dich, die Höchste Seele, zu verehren. Obwohl gewöhnliche Menschen Dich nicht erkennen können, wissen diese Bienen doch, wer Du bist, und deshalb folgen sie Dir und preisen Dich.

O Verehrungswürdiger, sieh nur, wie die Pfaue Dich voller Freude empfangen! Sie sind gerade so wie die Mädchen von Vraja, und auch die Kuckucke in den Zweigen der Bäume begrüßen Dich auf ihre Art. Die Einwohner von Vṛndāvana sind so erhaben, daß jeder von ihnen bereit ist, Dir in seiner Weise zu dienen.«

Im Zehnten Canto heißt es im 11. Vers des 35. Kapitels: »O sieh nur, wie die Kraniche und Schwäne von Kṛṣṇas Herrlichkeit singen! Und während sie im Wasser stehend meditieren, verehren sie den Höchsten Herrn.« Im 4. Kapitel des Zweiten Cantos findet man folgenden Vers: »Selbst Eingeborene und Unzivilisierte wie die Kīrata, Huṇa, Andhra, Puliṇḍa, Pulkāṣa, Abhira, Śumbha, Yāvana, Khaṣa und andere Menschen niederer Lebensformen können gereinigt werden, wenn sie bei Geweihten des Herrn Zuflucht suchen.« Somit erwies Śukadeva Gosvāmī, der Mahārāja Parīkṣit diesen Vers vortrug, Viṣṇu, dem Herrn, im Śrīmad-Bhāgavatam seine respektvollen Ehrerbietungen, dessen Geweihte so viel Wunderbares tun können.

Eine weitere Bedeutung von »dṛti« ist »zu erkennen, daß man erhoben worden ist«. In diesem Zustand fühlt man sich frei von allen Leiden und gelangt somit zur höchsten Stufe des Lebens. Die Gottgeweihten befinden sich ständig in diesem Zustand, und daher sind sie stets freudvoll und ausgefüllt im Dienst für den Herrn beschäftigt. Die Gottgeweihten sind Menschen, die wissen, was wirkliches Glück bedeutet. - Sie sind so glücklich, daß sie sich nicht einmal wünschen, die spirituellen Planeten zu erreichen, und da sie völlig darin aufgehen, dem Herrn in transzendentaler Liebe zu dienen, verlangt es sie nicht nach materiellem Besitz oder materieller Sinnenfreude. In einem Vers der sechs Gosvāmīs heißt es: »Menschen, die ihre rastlosen Sinne im Dienst des Höchsten Herrn beschäftigen, sind friedvoll zu nennen.«

»Ātmārāma« bedeutet also, daß selbst Tiere und Dummköpfe - d. h. jeder - von den transzendentalen Eigenschaften Kṛṣṇas angezogen werden, so daß sie sich Seinem Dienst zuwenden und auf diese Weise befreit werden.

Eine weitere Bedeutung von »ātmārāma« ist »Intelligenz«. Jemand, der besonders intelligent ist, wird »ātmārāma« genannt. Solche ātmārāmas gliedern sich in zwei Gruppen: die gelehrten Weisen und diejenigen, die kein Wissen von den Schriften besitzen. Wenn sie mit einem reinen Gottgeweihten zusammenkommen, kann selbst der ungebildete ātmārāma alles aufgeben und sich in reiner Hingabe dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuwenden.

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß der Herr der Ursprung alles Existierenden ist. Jeder, der wirklich intelligent ist, kann dies einsehen und beginnt deshalb, Ihm zu dienen. Im Zweiten Canto heißt es im 45. Vers des 7. Kapitels: »Abgesehen von den Intelligenten, die vielleicht sogar die Veden studiert haben, können auch weniger intelligente Menschen wie Frauen, Arbeiter, Bergbewohner und sogar die Vögel und Tiere - alle Wesen - die höchste Vollkommenheit im Leben erreichen. In der Bhagavad-gītā wird im 10. Vers des Zehnten Kapitels gesagt, daß Kṛṣṇa einem Menschen, der intelligent genug ist, sich dem Kṛṣṇa-Bewußtsein zuzuwenden, in Erwiderung dafür die transzendentale Intelligenz schenkt, durch die er zum Reich des Höchsten Herrn gelangen kann.

Der Herr erklärte Sanātana Gosvāmī dann, daß die Gemeinschaft mit Gottgeweihten, die Beschäftigung im transzendentalen Dienst für den Herrn, das Verstehen des Śrīmad-Bhāgavatam, das Chanten der heiligen Namen des Herrn, sowie das Wohnen an einem Ort wie Vṛndāvana oder Mathurā sehr wichtig seien, um auf die transzendentale Ebene zu gelangen. Selbst wenn man sich auf nur einen dieser Punkte völlig konzentriert - ganz zu schweigen von allen fünf -, erreicht man bald die Stufe der Liebe zu Gott. Auf jeden Fall sollte jeder, der wirklich intelligent ist, alle persönlichen Begehren aufgeben und sich ganz dem transzendentalen Dienst für Kṛṣṇa zuwenden. Wenn man sich im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, wird man allmählich frei von allen materiellen Wünschen, und, angezogen von den transzendentalen Eigenschaften des Herrn, macht man Kṛṣṇa zum Zentrum seines Lebens.

Eine andere Bedeutung von »ātma« ist »Wesen«. »ātmārāma« bedeutet also auch, daß »jeder seinem Wesen entsprechend genießt«. Das eigentliche Wesen jedoch, d. h. das immerwährende, ewige Wesen des Lebewesens, besteht darin, dem Höchsten Herrn zu dienen. Jeder, der sein wirkliches Wesen erkennt, d. h. verwirklicht, daß er für immer und ewig der Diener des Herrn ist, gibt seine materielle bzw. körperliche Lebensauffassung auf. Das ist der Beweis für wirkliches Wissen. Wenn diejenigen, die nach Erkenntnis streben, das Glück haben, einem reinen Gottgeweihten zu begegnen, beginnen sie ebenfalls, dem Herrn in Hingabe zu dienen. Sogar Weise wie die vier Kumāras, aber auch unwissende Menschen und selbst Tiere können dem Herrn dienen. Das bedeutet, daß jeder, der mit Kṛṣṇas grundloser Gnade gesegnet ist, zur Stufe des Kṛṣṇa-Bewußtseins erhoben werden kann.

Jeder, der von Kṛṣṇas transzendentalen Eigenschaften angezogen wird, beginnt sogleich, dem Höchsten mit Hingabe zu dienen. Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es im 15. Kapitel des Zehnten Cantos: »O Kṛṣṇa, das Land von Vrajabhūmi wurde herrlich durch die Spuren Deiner Füße, und auch die Sträucher sind der Verehrung würdig, da sie von Deinen Händen berührt wurden. Alle Hügel, die Flüsse und die Tiere sind durch Deinen Blick geheiligt, und am verehrungswürdigsten sind die gopīs, da sie von Deinen transzendentalen Armen umfangen wurden.« Die gopīs priesen Vṛndāvana mit folgenden Worten: »Liebe Freundinnen, alle Einwohner von Vrajabhūmi, selbst die Vögel, Bienen und Bäume, sind erfüllt von Jubel, wenn sie sehen, wie Kṛṣṇa in Begleitung Seiner Freunde und Seines Bruders Baladeva zu den Weidegründen zieht, während sie auf ihren Flöten spielen.«

Der Herr erklärte dann, daß »ātma« auch »Körper« bedeutet, und wies Sanātana darauf hin, daß selbst yogīs, die den Körper für das Selbst halten und körperliche Übungen praktizieren, dem Herrn zu dienen beginnen, wenn sie mit reinen Gottgeweihten zusammenkommen. Es gibt viele Menschen, die der Ansicht sind, sie seien mit dem Körper identisch. Aufgrund dieses Irrtums trachten sie nach materiellem Gewinn und vollziehen bestimmte Rituale oder gehen gewöhnlichen weltlichen Tätigkeiten nach; doch wenn sie einem reinen Gottgeweihten begegnen, beginnen auch sie, dem Herrn transzendentale Dienste darzubringen.

Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es im 18. Kapitel des Ersten Cantos: »O Sūta Gosvāmī, in deiner Güte hast du uns den Nektar von den Lotosfüßen Kṛṣṇas zuteil werden lassen, obwohl unsere Körper bereits vom Rauch des fruchtbringenden Opferfeuers geschwärzt sind.« Und im 21. Kapitel des Vierten Cantos wird gesagt: »Der Ganges entspringt zwischen den Zehen der Lotosfüße Kṛṣṇas, und durch ein Bad in seinen Wellen kann jeder - der Weise wie auch der nach materiellem Gewinn Strebende - allen Unrat aus seinem Herzen fortwaschen.«

In gewissem Sinne kann man auch diejenigen, die sich mit dem Körper identifizieren, und die voller materieller Verlangen sind, als »ātmārāmas« bezeichnen, denn wenn sie mit reinen Gottgeweihten zusammenkommen, ist es möglich, daß auch sie ihre materiellen Wünsche aufgeben und im Dienst für den Herrn vollkommen werden. Das beste Beispiel dafür findet sich im Hari-bhakti-sudhodaya; dort sagt Mahārāja Dhruva im 28. Vers des 7. Kapitels: »Mein lieber Herr, ich kam mit der Absicht zu Dir, Dich um ein Königreich zu bitten, aber nun, da ich Dich gefunden habe, der Du Dich jenseits der Vorstellungskraft der großen Weisen und Heiligen befindest, bin ich so glücklich, daß ich keinen Wunsch mehr hege. Ich suchte nach bunten Glasscherben und fand statt dessen Dich, den kostbarsten Edelstein.«

Das Wort »nirgrantha« hat noch eine weitere Bedeutung, nämlich »törichter Jäger« oder »erbärmlicher armer Mann«. Durch die Begegnung mit dem reinen Gottgeweihten Nārada Muni erlangte auch solch ein sündiger Mensch wie ein Jäger die Erlösung und beschäftigte sich im hingebungsvollen Dienen für den Herrn. Die folgende Geschichte erzählt von der Begegnung des Jägers mit Nārada:

Im Wald von Prayāga lebte einmal ein Jäger, der das Glück hatte, den großen Weisen Nārada Muni zu treffen, als dieser gerade von einem Besuch bei Nārāyaṇa von den Vaikuṇṭhas zurückkehrte. Nārada kam nach Prayāga, um dort am Zusammenfluß des Ganges und der Yamunā sein Bad zu nehmen, und während er durch den Wald ging, sah er unversehens vor sich auf dem Boden einen von einem Pfeil durchbohrten, halbtoten Vogel liegen, der jämmerlich schrie. An einer anderen Stelle sah er ein Reh im Todeskampf wild um sich schlagen, ein wenig weiter ein gefangenes Wildschwein, das Todesqualen litt, und dann ein Kaninchen, das sich vor Schmerzen am Boden wand. All dies ging ihm sehr nahe, und so dachte er bei sich: »Wer ist so töricht, solche schweren Sünden auf sich zu laden?« Jeder Gottgeweihte empfindet großes Mitleid mit den leidenden Lebewesen, und ganz besonders natürlich der große Weise Nārada. Der Anblick der armen Tiere stimmt ihn sehr traurig, und als er ein paar Schritte weitergegangen war, erblickte er plötzlich in einiger Entfernung einen Jäger, der mit Pfeil und Bogen bewaffnet auf der Pirsch war. Die Hautfarbe des Jägers war fast schwarz, seine Augen waren stark gerötet, und es schien schon gefährlich zu sein, ihn nur anzuschauen, wie er so dastand mit Bogen und Pfeilen, gleich einem Gefährten Yamarājas - des Todes. Als Nārada ihn so sah, ging er auf ihn zu, und während er durch das Gehölz brach, schreckte er die vom Jäger zu seinen Fallen gelockten Tiere auf, die eilig flohen. Darüber wurde der Jäger sehr erbost und wollte Nārada schon verwünschen, doch der Einfluß des großen Heiligen machte es ihm unmöglich, ein schlechtes Wort über die Lippen zu bringen.

Stattdessen fragte er Nārada sanft: »Mein lieber Herr, warum kommt Ihr zu mir, während ich jage? Habt Ihr Euch verirrt? Durch Euer Kommen habt Ihr alle Tiere verjagt.«

Nārada antwortete: »Es tut mir leid, daß ich dich störe. Ich bin nur gekommen, um nach dem Weg zu fragen. Übrigens habe ich auf dem Weg hierher Wildschweine, Rehe und Kaninchen gesehen, die sich halbtot am Boden wanden. Weißt du, wer das getan hat?«

Der Jäger erwiderte: »Was Ihr gesehen habt, mein Herr, hat seine Richtigkeit; ich selbst habe es getan.«

»Wenn du schon all diese armen Tiere jagst«, fragte Nārada weiter, »warum tötest du sie dann nicht sofort? Du läßt sie halbtot liegen, so daß sie einen qualvollen Tod sterben müssen. Das ist eine große Sünde. Wenn du schon ein Tier töten willst, warum tötest du es dann nicht vollständig? Warum läßt du es angeschossen liegen, bis es unter Qualen stirbt?«

Der Jäger entgegnete: »Mein lieber Herr, mein Name ist Mrigāri, der Feind der Tiere. Mein Vater hat mich gelehrt, die Tiere nur halb zu töten, und es bereitet mir große Freude zu sehen, wie sie zuckend verenden.« Daraufhin sagte Nārada: »Mein lieber Jäger, bitte erfülle mir einen Wunsch.«

Sogleich erklärte sich der Jäger bereit: »O ja, Herr, ich will Euch geben, was immer Euer Herz begehrt. Wenn Ihr ein paar Tierfelle wollt, so kommt nur mit zu meiner Hütte. Ich besitze Felle von Tigern, Rehen und vielen anderen Tieren - was immer Euch gefällt, will ich Euch geben.«

Nārada antwortete jedoch: »Ich möchte keine Felle; mein Wunsch ist ein anderer. Versprich mir bitte, nie wieder ein Tier nur halb zu töten - wann immer du von heute an ein Tier schießt, erlege es bitte ganz, und laß es nicht halbtot liegen.«

Dem Jäger gefiel dies jedoch nicht sonderlich, und so entgegnete er: »O mein Herr, was verlangt Ihr da von mir? Warum wollt Ihr ausgerechnet so etwas? Was ist der Unterschied zwischen halbtot und ganz tot?«

Nārada sagte: »Wenn du ein Tier nur halb tötest, muß es unter großen Qualen verenden, und es ist eine schwere Sünde, einem anderen Lebewesen unnötige Schmerzen zuzufügen. Ein Tier zu töten ist bereits ein großes Vergehen, doch viel schlimmer noch ist es, ein Tier nur zu verletzen und qualvoll sterben zu lassen. Die gleichen Schmerzen, die du jetzt einem Tier zufügst, wirst du selber in einem zukünftigen Leben erleiden müssen.«

Obwohl der Jäger ein sehr sündiger Mensch war, wurde er doch von den Worten eines solch großen Gottgeweihten wie Nārada tief berührt, und er begann, sich vor seinen begangenen Sünden zu fürchten. Skrupellose Menschen haben keinerlei Bedenken, alle möglichen Sünden zu begehen; doch der Jäger war durch die Gegenwart des großen Heiligen bereits ein wenig gereinigt worden, und so begann er sich vor den Folgen seiner Untaten zu fürchten.

Er sagte deshalb: »Mein lieber Herr, ich bin von Kindheit an dazu erzogen worden, Tiere auf diese Weise zu töten. Was soll ich nun tun? Könnt Ihr mir bitte sagen, wie ich vor den Reaktionen, die all die Vergehen und Sünden nach sich ziehen, bewahrt werden kann? Ich vertraue mich ganz Euch an und falle Euch zu Füßen. Bitte rettet mich vor den Folgen meiner Grausamkeiten, und führt mich auf den rechten Pfad!«

Nārada erwiderte: »Nur wenn du bereit bist, meinen Anweisungen zu folgen, werde ich dir sagen, wie du von allen sündhaften Reaktionen frei werden kannst.«

Der Jäger erklärte sich sogleich dazu bereit und versicherte: »Was immer Ihr von mir verlangt, will ich ohne Zögern tun.«

Nārada bat ihn daraufhin, als erstes den Bogen zu zerbrechen - dann würde er ihm Näheres über den Pfad der Befreiung offenbaren.

Der Jäger fragte angstvoll: »Ihr bittet mich, meinen Bogen zu zerbrechen, aber wie soll ich dann für meinen Lebensunterhalt sorgen?«

Nārada erwiderte: »Mache dir darüber keine Gedanken; ich werde schon dafür sorgen, daß du genügend zu essen hast.«

Daraufhin zerbrach der Jäger den Bogen und fiel Nārada zu Füßen. Doch Nārada hieß ihn aufstehen und sagte: »Geh nun zu deiner Hütte, suche alles Geld und Gut zusammen, und verteile dies an die Gottgeweihten und brāhmaṇas. Gehe dann ans Flußufer und baue dort ein kleines, strohgedecktes Haus; säe einen tulasī-Baum in der Nähe; umschreite ihn täglich; iß jeden Tag eines der abgefallenen Blätter, und chante ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare -Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Was deinen Lebensunterhalt betrifft, so werde ich dir alles Notwendige zukommen lassen. Aber du sollst nur soviel annehmen, wie du für dich und deine Frau brauchst.«

Nachdem Nārada geendet hatte, befreite er die halbtoten Tiere, die, erlöst aus ihrer schrecklichen Lage, sofort entflohen, und als der schwarze Jäger dieses Wunder sah, fiel er Nārada erneut zu Füßen und brachte ihm seine demütigen Ehrerbietungen dar.

Nārada entfernte sich dann, und der Jäger begann, die Unterweisungen des Heiligen in die Tat umzusetzen.

Mittlerweile verbreitete sich in den umliegenden Dörfern die Nachricht, daß aus dem Jäger ein Gottgeweihter geworden sei, und so kamen die Dorfbewohner herbei, um den neuen Vaiṣṇava zu sehen. Nach vedischem Brauch ist es üblich, einem Heiligen Früchte und Getreide zu schenken, und als die Dorfbewohner sahen, daß der Jäger ein großer Gottgeweihter geworden war, brachten sie ihm reichlich Reis, Weizen, Gemüse und Früchte. Jeden Tag wurde ihm so viel gebracht, daß nicht weniger als zwanzig Menschen hätten satt werden können, doch der ehemalige Jäger hielt sich an Nāradas Anordnung und nahm nicht mehr an, als er für sich und seine Frau zum Leben brauchte.

Als nach einigen Wochen Nārada mit seinem Freund Parbuta Muni wieder in dieselbe Gegend kam, sagte er: »Hier in der Nähe wohnt einer meiner Schüler; laß uns ihn besuchen gehen und sehen, wie es ihm geht.« Als sich die beiden großen Weisen der Hütte des ehemaligen Jägers näherten und dieser seinen geistigen Meister aus der Ferne kommen sah, ging er den beiden Weisen mit großem Respekt entgegen. Doch beim Gehen bemerkte er plötzlich, daß Ameisen über den Weg liefen und weil er sich vor Nārada und Parbuta verbeugen wollte, räumte er vorher die Ameisen behutsam mit einem Tuch beiseite, um sie nicht zu zerdrücken. Als Nārada dies sah, erinnerte er sich an einen Vers aus dem Skaṇḍa Purāṇa, in dem es heißt: »Ist es nicht wunderbar, daß ein Gottgeweihter niemanden, nicht einmal einer Ameise, Schmerz zufügen will?«

Der Jäger, der früher Freude daran gefunden hatte, Tiere halb zu töten und sie eines qualvollen Todes sterben zu sehen, mochte nun, da er ein großer Gottgeweihter geworden war, nicht einmal eine Ameise verletzen.

Der Jäger empfing die beiden Weisen mit großer Ehrfurcht, bot ihnen einen Platz zum Sitzen an, brachte ihnen Wasser zum Trinken und wusch dann ihre Füße. Nachdem er und seine Frau ihre Häupter mit dem Waschwasser besprenkelt hatten, begannen sie in transzendentaler Ekstase zu tanzen und sangen mit hocherhobenen Händen und flatternden Kleidern »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa. Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«.

Als die beiden Heiligen sahen, wie der ehemalige Jäger und seine Frau in ekstatische Liebe zu Gott getaucht waren, sagte Parbuta Muni zu Nārada: »Du bist wie der Stein der Weisen, denn durch deine Gesellschaft konnte selbst ein grausamer Jäger zu einem großen Gottgeweihten werden.«

Im Skaṇḍa Purāṇa heißt es dazu: »O Devarṣi, Nārada, sei gepriesen, denn durch deine Gnade wurde selbst ein solch niedriges Geschöpf wie ein Jäger zur Stufe der Hingabe erhoben und erlangte transzendentale Liebe zu Kṛṣṇa.«

Nārada fragte den neuen Gottgeweihten: » Habt ihr auch genug zu essen?«
»O ja«, antwortete der ehemalige Jäger, »Ihr schickt so viele Menschen hierher, und sie bringen uns so reichlich Nahrung, daß wir beide nicht alles allein aufessen können.«

Nārada sagte daraufhin: »Das freut mich zu hören. Kümmere dich nicht darum, ob du viel oder wenig bekommst; sei stets zufrieden und verrichte deinen Dienst für Kṛṣṇa weiter mit Liebe und Hingabe.« Und nachdem er so gesprochen hatte, verließ er mit Parbuta Muni den Ort.

Śrī Caitanya erzählte die Geschichte vom Jäger, um Sanātana zu zeigen, daß selbst ein Mensch mit den schlechtesten Voraussetzungen durch die Gnade eines Gottgeweihten beginnen kann, Kṛṣṇa zu dienen.

Dann sagte Er, daß »ātma« noch eine andere Bedeutung habe, nämlich »die mannigfaltigen Formen des Höchsten Persönlichen Gottes.« Im allgemeinen werden sowohl Kṛṣṇa Selbst als auch Seine verschiedenen Erweiterungen als »Höchster Persönlicher Gott« bezeichnet. Deshalb wird jeder, der irgendeiner Form oder Erweiterung des Höchsten Persönlichen Gottes verehrend dient, ātmārāma genannt; alle ātmārāmas dienen dem Herrn entweder nach regulierenden Prinzipien oder in transzendentaler Liebe.

Diese Gottgeweihten werden in drei Kategorien eingeteilt: 1. die vertrauten Gefährten, 2. diejenigen, welche die Vollkommenheit im hingebungsvollen Dienen erreicht haben, und 3. die Neulinge im hingebungsvollen Dienen. Die neuen Gottgeweihten werden wiederum in zwei Untergruppen gegliedert: diejenigen, die bereits ein wenig Liebe für den Herrn entwickelt haben, und jene, die noch keine solche Zuneigung empfinden. Unterscheidet man diese insgesamt vier Arten von Gottgeweihten nach den zwei Arten des hingebungsvollen Dienens in transzendentaler Liebe, so ergeben sich acht Arten von Gottgeweihten. Die vertrauten Gefährten teilen sich in weitere vier Gruppen: die Diener, die Freunde, die Eltern und die Geliebten.

Wie es Gottgeweihte gibt, die durch hingebungsvolles Dienen die Vollkommenheit erreichen, so gibt es auch solche, die seit ewigen Zeiten vollkommen sind. Sowohl auf der Anfänger- als auch auf der Fortgeschrittenen-Stufe im hingebungsvollen Dienen nach regulierenden Prinzipien gibt es sechzehn verschiedene Arten von Gottgeweihten. Die ātmārāmas lassen sich also in zweiunddreißig Gruppen einteilen. Wendet man die Worte »muni«, »nirgrantha«, »ca« und »api« auf diese zweiunddreißig Gruppen an, so ergeben sich insgesamt achtundfünfzig verschiedene Arten von Gottgeweihten. Sie alle können unter dem Oberbegriff »ātmārāma« zusammengefaßt werden.

Der Herr gab somit sechzig verschiedene Bedeutungen des Wortes »ātmārāma«, doch danach begann Er noch einmal und wies Sanātana darauf hin, daß »ātma« auch »Lebewesen« bedeute, womit alle Lebewesen, angefangen mit dem ersten lebenden Geschöpf, Brahmā, bis hinunter zur Ameise gemeint seien. Er zitierte in diesem Zusammenhang einen Vers aus dem 6. Kapitel des Viṣṇu Purāṇa, in dem gesagt wird, daß im Grunde alle Energien des Herrn spirituell sind. Von diesen Energien ist die, welche als die Ursache der Lebewesen verstanden wird, im eigentlichen Sinne spirituell, wohingegen diejenige, die voller Unwissenheit ist und sich in materiellen Aktivitäten manifestiert, als »materielle Natur« bezeichnet wird. In der materiellen Schöpfung gibt es unzählige Lebewesen, und wenn zufällig eines von ihnen mit einem reinen Gottgeweihten zusammenkommt, kann es ebenfalls im transzendentalen Dienst für Kṛṣṇa glücklich werden. Der Herr sagte: »Bis jetzt kannte Ich nur sechzig verschiedene Bedeutungen für das Wort »ātmārāma«, doch weil deine Gesellschaft so erleuchtend ist, ist Mir eine weitere Bedeutung eingefallen.«

Nachdem Sanātana Gosvāmī die verschiedenen Bedeutungen des Wortes »ātmārāma« aus dem Munde des Herrn vernommen hatte, war er von Staunen wie gebannt und fiel Śrī Caitanya ergeben zu Füßen. Er sagte: »Ich weiß genau, daß Du der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, bist, und daß sich aus Deinem Mund die vielen vedischen Schriften manifestieren. Du bist der ursprüngliche Lehrer des Śrīmad-Bhāgavatam, und daher kennst Du die Bedeutung der Bhāgavatam-Verse am besten. Ohne Deine Gnade ist es niemandem möglich, die tieferen Bedeutungen des Śrīmad-Bhāgavatam zu verstehen.«

Darauf erwiderte der Herr: Bitte rühme Mich nicht auf diese Weise. Versuche lieber zu verstehen, wie wunderbar das Śrīmad-Bhāgavatam ist; es ist die Klangrepräsentation des Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, und ist deshalb nicht von Ihm verschieden. Und ebenso wie Kṛṣṇa unbegrenzt ist, so hat auch jedes Wort, ja jeder Buchstabe des Śrīmad-Bhāgavatam unendlich viele Bedeutungen, und durch das Zusammensein mit Gottgeweihten kann man sie alle verstehen. Glaube also nicht, daß Bhāgavatam sei nur eine Sammlung von Geschichten.«

Die Weisen von Naimiṣāraṇya stellten Sūta Gosvāmī sechs Fragen, die dieser im Śrīmad-Bhāgavatam beantwortete. In den vedischen Schriften gibt es einen Vers, in dem Śiva sagt: »Es mag sein, daß ich das Bhāgavatam kenne oder daß Śukadeva oder Vyāsadeva es kennen, doch in jedem Fall läßt sich mit Sicherheit sagen, daß man das Bhāgavatam allein durch gottgeweihtes Dienen und die Hilfe eines Gottgeweihten verstehen kann und nicht durch eigene Intelligenz oder gelehrte Kommentare.«

Eine der Fragen der Weisen von Naimiṣāraṇya lautete: »O Sūta, da nun Śrī Kṛṣṇa, die Absolute Wahrheit, der Meister aller mystischen Kräfte, wieder in Sein höchstes Reich zurückgekehrt ist, sage uns bitte, wer gegenwärtig über die religiösen Prinzipien wacht.«

Sūtas Antwort war: »Nachdem Kṛṣṇa mit allen religiösen Prinzipien in Sein Reich zurückgekehrt ist, weist uns das Śrīmad-Bhāgavatam, das Mahā Purāṇa, als strahlende Sonne den Weg.«

Der Herr sagte dann: »Ich muß verrückt gewesen sein, daß Ich den ātmārāma-Vers auf so viele Arten beschrieb; sei Mir also bitte nicht böse, wenn Ich etwas Närrisches gesagt habe. Doch wisse, daß jemand, der ein Verrückter wird wie Ich, die wirkliche Bedeutung des Śrīmad-Bhāgavatam verstehen kann.«

Sanātana Gosvāmī fiel daraufhin Śrī Caitanya mit gefalteten Händen zu Füßen und betete: »Mein lieber Herr, Du hast mich gebeten, die regulierenden Prinzipien des hingebungsvollen Dienens aufzuschreiben, doch ich glaube nicht, daß ich allein diese Aufgabe bewältigen kann, denn ich gehöre der niedrigsten Kaste an und besitze kein Wissen. Wenn Du mir gütigerweise einige Ratschläge erteilen könntest, wie man ein solches Buch über hingebungsvolles Dienen schreibt, werde ich diese Aufgabe vielleicht meistern können.«

Da segnete ihn der Herr und sprach: »Durch die Gnade Kṛṣṇas wird dir alles, was du schreibst, aus dem Herzen strömen. Trotzdem werde ich dir einige Anweisungen geben. Der erste und wichtigste Punkt ist, daß man einen echten geistigen Meister annimmt. Das ist der Anfang des spirituellen Lebens.«

Dann bat Er Sanātana Gosvāmī, über die Merkmale eines wahren guru und Gottgeweihten zu schreiben. Die Merkmale eines echten geistigen Meisters werden im Padma Purāṇa wie folgt beschrieben: Ein Mensch, der ein qualifizierter brāhmaṇa ist und gleichzeitig alle Merkmale eines Gottgeweihten aufweist, kann der geistige Meister aller Arten von Menschen werden, und er muß geehrt werden wie Gott Selbst. Wer aber nur in einer angesehenen brāhmaṇa-Familie geboren wurde und kein Gottgeweihter ist, kann kein geistiger Meister werden. Man sollte deshalb nicht irrtümlich denken, ein echter geistiger Meister müsse unbedingt in einer sogenannten brāhmaṇa-Familie geboren sein. Ein geistiger Meister ist vielmehr daran zu erkennen, daß er stets wie ein qualifizierter brāhmaṇa handelt. Dies wird im Śrīmad-Bhāgavatam von Nārada bestätigt, der dort über die Merkmale der verschiedenen Klassen der Gesellschaft spricht und zusammenfassend erklärt, daß man die brāhmaṇas, kṣatriyas, vaiṣyas und ṣūdras nach ihren individuellen Eigenschaften bestimmen sollte. Śrīdhara Swami hat in einem Kommentar zu diesem Vers angemerkt, daß man noch lange kein brāhmaṇa ist, nur weil man in einer brāhmaṇa-Familie geboren wurde, sondern daß man die in den ṣāstras beschriebenen Eigenschaften eines brāhmaṇa aufweisen muß. Wir selbst wissen aus praktischer Erfahrung, daß es viele Gottgeweihte in der Nachfolge der Gauḍīya Viṣṇu sampradāya gibt, wie z. B. die beiden großen ācāryas Ṭhākura Narottama und Śyāmānanda Gosvāmī, die nicht in brāhmaṇa-Familien geboren wurden und doch von vielen berühmten brāhmaṇas wie Ganganārāyaṇa Rāmakṛṣṇa als geistige Meister anerkannt wurden.

Es gibt also bestimmte Merkmale eines Gottgeweihten, und sowohl der Schüler als auch der geistige Meister müssen sich gegenseitig prüfen, ob der andere ein echter geistiger Meister bzw. ein echter Schüler ist. Als nächstes sollte der Schüler wissen, daß der Höchste Persönliche Gott das Ziel der Verehrung ist, und er sollte lernen, verschiedene mantras (transzendentale Lieder) zu chanten.

Der Herr wies Sanātana Gosvāmī außerdem an, die Merkmale der Menschen zu beschreiben, die fähig sind, das Chanten des Hare Kṛṣṇa mantra anzunehmen, und bat ihn zu erklären, wie man mantras verstehen und durch rituelle Handlungen zur Vollkommenheit bringen könne. Dann beschrieb der Herr die Einweihung, die morgendlichen Pflichten, die Reinlichkeitsprinzipien wie das tägliche Bad und Zähneputzen, die Prinzipien des Arbeitens, die Morgen- und Abendgebete, die Verehrung des geistigen Meisters; er beschrieb, wie man den Körper mit gopī-candana zeichnet, wie man tulasī-Blätter sammelt, wie man den Altarraum und den Tempel des Herrn säubert und wie man die transzendentale Bildgestalt Kṛṣṇas aufweckt. Er beschrieb verschiedene Methoden der Verehrung des Herrn, nämlich die Verehrung mit fünf Opfergegenständen und die Verehrung mit fünfzig Opfergegenständen. Er erklärte, wie man den Herrn verehrt, indem man Ihm fünfmal am Tag Opferungen und ārātrika darbringt, wie man Ihm Speisen opfert, wie man Ihn zu Bett bringt usw. Es gibt sehr viele Dienste, die man der transzendentalen Bildgestalt darbringen kann. Außerdem empfahl Er, die heiligen Orte zu besuchen, wo verschiedene Tempel des Herrn stehen, in denen die Bildgestalten Gottes aufgestellt sind. Weiterhin sollte man ständig die transzendentalen Namen des Herrn lobpreisen und die verschiedenen Vergehen während der Verehrung vermeiden. Zur Verehrung gehören noch andere Dinge wie Muschelhorn, Wasser, duftende Blumen, Gebete und Hymnen, Umschreitungen des Tempels, Ehrerbietungen, die regulierenden Prinzipien des puroṣarāma, das Essen von Kṛṣṇa-prasāda, das Zurückweisen von Speisen, die Kṛṣṇa nicht geopfert wurden, und das Vermeiden verleumderischer Reden über einen Gottgeweihten. Weiterhin sollte man die Merkmale eines Heiligen kennen und wissen, wie man einen Weisen erfreuen kann; man sollte möglichst wenig mit materialistischen Menschen verkehren und ständig aus dem Śrīmad-Bhāgavatam hören. Auch sollte man die täglichen, die 14-tägigen und die monatlichen Pflichten erfüllen, besondere Festtage wie den Erscheinungstag des Herrn (Janmāṣṭami) feiern und auch andere Festtage wie Ekādaṣī, Vāmana-dvādaṣī, Śrī Rāmanavāmi und Nṛsiṁha Caturdaṣī beachten, an denen gefastet wird. Wenn man diese Fastentage einhält, sollte man auch biddha, das Zusammentreffen von Fastentage mit anderen besonderen Tagen berücksichtigen, denn solche Gelegenheiten sind für den Fortschritt im hingebungsvollen Dienen sehr förderlich. Śrī Caitanya wies Sanātana Gosvāmī weiter an, zur Bestätigung dieser Regeln aus den Purāṇas zu zitieren. Auch erwähnte der Herr, wie man Tempel baut, und sprach mit Sanātana über das allgemeine Betragen und die Merkmale eines Vaiṣṇavas und seine Pflichten und Beschäftigungen. So erklärte Śrī Caitanya in allen Einzelheiten, wie man Bücher über die regulierenden Prinzipien der Vaiṣṇavas schreibt.

Sanātana Gosvāmī, der vom Höchsten Herrn direkt die Anweisung empfing, durch das Verfassen von Büchern den bhakti-Kult zu verbreiten, war ein großer Gottgeweihter. Eine ausführliche Beschreibung seiner Person findet man im Caitanya-candrodaya. Obwohl er der führende Minister in Nawab Hussains Regierung war, legte er, ebenso wie sein Bruder Rūpa Gosvāmī, sein einträgliches Regierungsamt nieder und wurde Bettelmönch, um sein Leben dem Höchsten Herrn zu weihen. Sein Herz war erfüllt von transzendentaler Liebe für den Hirtenjungen von Vṛndāvana, und deshalb war Sanātana Gosvāmī allen Gottgeweihten seiner Zeit sehr lieb.

2. TEIL

17. KAPITEL

Caitanya

Śrī Kṛṣṇa Caitanya, der Ursprüngliche Persönliche Gott

Als Nachfolger von Śrīla Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī bringen wir den Lotosfüßen Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus unsere demütigen Ehrerbietungen dar. Śrī Kṛṣṇa Caitanya ist die einzige Zuflucht für die verlorensten und am tiefsten gefallenen Seelen. Er ist die einzige Hoffnung für diejenigen, denen es gänzlich an spirituellem Wissen mangelt. Hiermit wollen wir versuchen, über Sein großzügiges Geschenk, das gottgeweihte Dienen, zu sprechen.

Der Allmächtige Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa, manifestierte Sich in fünf verschiedenen Kräften. Obgleich Er eins ist, erweiterte Er Sich in fünf Persönlichkeiten, um mit ihnen verschiedene spirituelle Absichten zu erfüllen. Diese verschiedenen Manifestationen sind ewig und voller Glückseligkeit, d. h. genau das Gegenteil von der Auffassung des monotonen Einsseins der Unpersönlichkeitsanhänger. Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, ewiglich zusammen mit Seinen mannigfaltigen Energien existiert. So erschien auch Śrī Kṛṣṇa Caitanya in Begleitung vier verschiedener Energien, und daher sagt man, daß Er Śrī Kṛṣṇa ist, der Sich zusammen mit verschiedenen Energien inkarnierte. Da auf der spirituellen Ebene kein Unterschied zwischen der Energie und dem Ursprung der Energie besteht, gibt es auch keinen Unterschied zwischen Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu und Seinen vier Gefährten Nityānanda Prabhu, Advaita Prabhu, Gadādhara und Śrīvāsa. Diese fünf Manifestationen des Höchsten Herrn als Seine Inkarnation, Seine Erweiterung und Seine spirituellen Energien sind im Grunde nicht voneinander verschieden. Alle fünf sind die eine Absolute Wahrheit. Die Absolute Wahrheit erschien also zu Ihrer eigenen transzendentalen Freude in fünf Aspekten, nämlich in der Gestalt eines vorbildlichen Gottgeweihten, als der geistige Meister des Gottgeweihten, als Seine Inkarnation, als Seine Energie und als reiner Gottgeweihter, um die transzendentalen Empfindungen in der Absoluten Wahrheit kennenzulernen. Von diesen fünf Manifestationen der Absoluten Wahrheit ist Śrī Kṛṣṇa Caitanya der Ursprüngliche Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa; Nityānanda Prabhu ist eine Manifestation Balarāmas, der ersten Erweiterung des Höchsten Herrn, und Advaita Prabhu ist eine Manifestation Mahā-Viṣṇus, der ersten puruṣa-Inkarnation des Höchsten. Diese drei transzendentalen Persönlichkeiten sind Viṣṇu-tattva, die Höchste Absolute Wahrheit. Śrīvāsa, die vierte Persönlichkeit, repräsentiert den reinen Gottgeweihten, und Gadādhara ist die Repräsentation der inneren Energie des Höchsten Herrn, die den Gottgeweihten hilft, Fortschritte im reinen hingebungsvollen Dienen zu machen. Obwohl auch Gadādhara und Śrīvāsa zum Viṣṇu-tattva gehören, sind sie Repräsentanten verschiedener Energien des Höchsten Herrn. Mit anderen Worten: Obgleich sie sich nicht vom Ursprung der Energie unterscheiden, haben sie dennoch verschiedene Formen angenommen, um die Glückseligkeit der transzendentalen Beziehungen zu kosten. Unter hingebungsvollem Dienen versteht man den Austausch von liebevollen Beziehungen zwischen dem Verehrten und dem Verehrer. Ohne solch einen Austausch transzendentaler Empfindungen wäre hingebungsvolles Dienen undenkbar.

In der Kathopaniṣad wird festgestellt, daß der Höchste Herr das höchste Lebewesen unter allen Lebewesen ist. Es gibt unzählig viele Lebewesen, doch eines von ihnen ist das höchste, der Absolute Höchste Persönliche Gott. Der Unterschied zwischen diesem einen Lebewesen und allen anderen besteht darin, daß das höchste Lebewesen die anderen erhält und ihr Herr ist. Śrī Kṛṣṇa Caitanya ist mit diesem höchsten Lebewesen identisch. Dennoch erschien Er in der materiellen Welt, um die unzähligen gefallenen Seelen zurück nach Hause, in das Reich Gottes, zu holen. Der einzige Grund für Sein Erscheinen vor rund 500 Jahren bestand darin, die in allen Veden bestätigte Tatsache zu verkünden, daß es einen Höchsten Persönlichen Gott gibt, der die unzähligen Lebewesen beherrscht und erhält. Die Māyāvādīs, die Unpersönlichkeitsphilosophen, können diese ewige Wahrheit nicht verstehen, und so erschien Śrī Caitanya, um sie und alle anderen Menschen an ihre Beziehung zum Höchsten zu erinnern.

In der Bhagavad-gītā gibt Śrī Kṛṣṇa die eindeutige Unterweisung, alle anderen Tätigkeiten aufzugeben und Ihm allein mit Hingabe zu dienen; doch nach Seinem Fortgehen wurde diese Aussage von Menschen mit geringer Intelligenz falsch ausgelegt. Das führte dazu, daß unwissende Menschen, die von der Māyāvāda-Philosophie beeinflußt wurden, ihre wirkliche Beziehung zur Absoluten Wahrheit mißverstanden. Aus diesem Grunde erschien der Höchste Herr noch einmal, als Śrī Caitanya Mahāprabhu, um die gefallenen Seelen erneut zu lehren, wie sie sich Śrī Kṛṣṇa nähern können. In der Bhagavad-gītā fordert Śrī Kṛṣṇa uns auf, die Welt der materiellen Anhaftung aufzugeben und Ihn zu verehren. Als Śrī Caitanya predigte Er das gleiche, und daher ist ein reiner Geweihter Kṛṣṇas jemand, der Śrī Caitanyas Philosophie folgt. Śrī Kṛṣṇa gibt in der Bhagavad-gītā die klare Anweisung, »Verehre Mich, den Absoluten Gott«, und doch mißverstanden Ihn die Māyāvādī-Philosophen und behaupteten, jeder sei mit »Absoluter Gott« gemeint. Daher wiederholte Śrī Kṛṣṇa in der Gestalt des Gottgeweihten, als Śrī Caitanya, noch einmal Seine Aufforderung und sagte: »Man sollte niemals von sich behaupten, Kṛṣṇa gleich zu sein, sondern statt dessen Ihn, den Höchsten Persönlichen Gott verehren.«

Es ist ein großer Fehler zu denken, Śrī Caitanya sei eine bedingte Seele; Er ist vielmehr die Höchste Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, Śrī Kṛṣṇa Selbst. Śrīla Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī erklärte daher im Caitanya-caritāmṛta: »Kṛṣṇa ist nun in Seinen fünf Manifestationen anwesend.« Solange man sich jedoch nicht auf der Ebene der absoluten Reinheit befindet, fällt es einem sehr schwer zu erkennen, daß Śrī Caitanya mit dem Höchsten Persönlichen Gott identisch ist. Um Śrī Caitanya verstehen zu können, muß man Seinen direkten Schülern, den sechs Gosvāmīs folgen und sich dabei ganz besonders an Śrīla Jīva Gosvāmī halten.

Das Erstaunlichste aber an Śrī Caitanya ist, daß Er Selbst niemals sagte, Er sei Kṛṣṇa. Ganz im Gegenteil - jedesmal, wenn fortgeschrittene Gottgeweihte Seine wirkliche Identität erkannten und Ihn als Śrī Kṛṣṇa ansprachen, wehrte Er Sich entschieden dagegen und hielt Sich manchmal sogar die Ohren zu, um zu zeigen, daß niemand als der Höchste Herr angeredet werden dürfe. Auf diese Weise lehrte Er die Māyāvāda-Philosophen, daß ein gewöhnlicher Sterblicher niemals von sich behaupten solle, er sei der Höchste Herr. Auch sollten die Anhänger eines solchen Schurken nicht so dumm sein, jemanden als den Höchsten Persönlichen Gott anzuerkennen, ohne ihn vorher anhand der Schriften und im Hinblick auf sein Tun geprüft zu haben. Das Wunderbare an Śrī Caitanya Mahāprabhu ist, daß Er, obgleich Er Selbst der Höchste Persönliche Gott ist, als Gottgeweihter erschien, um alle bedingten Seelen zu lehren, wie sie hingebungsvolles Dienen praktizieren können. Daher sollte jeder, der mit dem gottgeweihten Dienen beginnen möchte, dem Beispiel Śrī Caitanyas folgen, um von Ihm zu lernen, wie man Śrī Kṛṣṇa durch hingebungsvolles Dienen erreichen kann. Der Höchste Herr Selbst also lehrt die bedingten Seelen als Caitanya Mahāprabhu, wie sie sich Ihm durch hingebungsvolles Dienen nähern können.

Bei einem analytischen Studium der fünf Manifestationen des Höchsten Herrn kommt man zu folgendem Schluß: Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu ist der Höchste Persönliche Gott Selbst; Nityānanda Prabhu ist eine direkte Erweiterung der selben Höchsten Absoluten Wahrheit, und Śrī Advaita Prabhu, der ebenfalls zur Kategorie des Höchsten Persönlichen Gottes gehört, ist Śrī Caitanya und Nityānanda Prabhu untergeordnet. Der Höchste Persönliche Gott wie auch Seine direkte und Seine untergeordnete Erweiterung werden von der Verkörperung der inneren Energie und von der Verkörperung der am Rande verlaufenden Energie - Gadādhara und Śrīvāsa - verehrt.

Die Manifestation der inneren Energie, Gadādhara, repräsentiert den reinen Gottgeweihten, und die Manifestation der am Rande verlaufenden Energie, Śrīvāsa, repräsentiert den vertrauten Gottgeweihten. Diese beiden Inkarnationen verehren die beiden anderen Manifestationen; doch sowohl die beiden Manifestationen der verehrenden Kategorie als auch die beiden Manifestationen der verehrten Kategorie dienen in transzendentaler Liebe Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu, dem Höchsten Persönlichen Gott.

Um den Unterschied zwischen den reinen Gottgeweihten und den vertrauten Gottgeweihten zu verstehen, muß man wissen, daß die verschiedenen göttlichen Energien dem Herrn in unterschiedlichen transzendentalen Beziehungen dienen, nämlich in vertraulicher Liebe, als Vater oder Mutter, als Freund, als Diener oder in einer neutralen Beziehung. Die inneren Kräfte des Höchsten Herrn, d. h. die vertrauten Geweihten, die eine innige Liebesbeziehung zu Ihm haben, sind, ganz unvoreingenommen betrachtet, die besten Gottgeweihten. Doch auch die reinen Gottgeweihten, die ebenfalls die innige Liebesbeziehung mit der Höchsten Absoluten Wahrheit ersehnen, werden zu den engsten Geweihten Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus gezählt. Andere reine Gottgeweihte, die mehr Śrī Nityānanda Prabhu und Advaita Prabhu zugeneigt sind, fühlen sich zu anderen transzendentalen Beziehungen hingezogen, wie z.B. der Beziehung als Vater oder Mutter, als Freund oder als Diener des Herrn. Wenn solche Gottgeweihte jedoch mehr und mehr von Śrī Caitanya angezogen werden, werden auch sie zu vertrauten Geweihten, die eine enge Liebesbeziehung zum Höchsten Herrn haben. In diesem Zusammenhang gibt es ein sehr schönes Lied von einem großen Gottgeweihten und ācārya, der ein enger Schüler von Śrīla Kṛṣṇadāsa Kavirāja und den sechs Gosvāmīs war. Sein Name ist Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura, und er sang: »Wann endlich wird ein transzendentales Beben meinen Körper durchlaufen, wenn ich den Namen »Gaurānga« höre? Wann endlich werden beim Singen der heiligen Namen des Herrn Tränen der Liebe meine Augen überfluten, und wann wird Nityānanda Prabhu mich mit Seiner Barmherzigkeit segnen, so daß alle Verlangen nach materiellem Genuß bedeutungslos für mich werden? Wann werde ich materielle Sinnenfreude aufgeben und rein werden? Wann werde ich das transzendentale Land von Vṛndāvana sehen können? Wann werde ich die Entschlossenheit aufbringen, dem Beispiel der sechs Gosvāmīs zu folgen, und wann werde ich die innige Liebe zwischen Rādhā und Kṛṣṇa verstehen können?« Aus diesem Gebet geht eindeutig hervor, daß niemand versuchen sollte, die innige Liebe zwischen Rādhā und Kṛṣṇa zu verstehen, ohne den Fußstapfen der sechs Gosvāmīs zu folgen.

Die saṅkīrtana-Bewegung ist ein transzendentales Spiel des Herrn, der als Śrī Kṛṣṇa Caitanya erschien, um das Chanten der heiligen Namen in der materiellen Welt zu verbreiten und reine Liebe zu Gott zu predigen. An der saṅkīrtana-Bewegung Śrī Kṛṣṇa Caitanyas beteiligen sich Nityānanda und Advaita als Seine Erweiterungen und Gadādhara und Śrīvāsa als Seine innere und Seine mittlere Energie.

Die Lebewesen gehören zur mittleren Energie, denn sie haben sowohl die Neigung, sich Kṛṣṇa hinzugeben, als auch die Tendenz zu versuchen, vom Herrn unabhängig zu sein und durch den Wunsch, die materielle Welt zu genießen, verunreinigt zu werden. Sowie das Lebewesen von dem Verlangen nach materiellem Genuß beherrscht wird, und sich in die materielle Welt verstrickt, ist es den dreifachen materiellen Leiden ausgesetzt. Wie aber kann es nun vor diesem leidvollen Zustand bewahrt werden? Die Antwort lautet: So wie ein Same in der Erde, der von Wasser überschwemmt wird, nicht heranreifen kann, so kann auch das Verlangen nach materiellem Genuß, das stets wie ein Same im Herzen der bedingten Seele vorhanden ist, nicht zu einem völlig bedingten materiellen Leben heranreifen, wenn es von der Flut transzendentaler Aktivitäten überschwemmt wird, die in Liebe zu Gott verrichtet werden. Die bedingten Lebewesen in der materiellen Welt, ganz besonders aber jene, die im gegenwärtigen Zeitalter des Kali leben, werden von der Flut der Liebe zu Gott überschwemmt, die von Śrī Caitanya und Seinen Gefährten hervorgerufen wurde.

Hierzu gibt es einen treffenden Vers, von Śrīla Prabodhānanda Sarasvatī, der in seinem Buch Caitanya-candrāmṛta schreibt, daß die materialistischen Menschen übermäßig darum bemüht sind, für ihre Familien zu sorgen, und daß die mystischen yogīs und die Philosophen unter großen Opfern und Bußen versuchen, durch Meditieren und Spekulieren von den Leiden des materiellen Lebens frei zu werden, daß aber diejenigen, die die höchste transzendentale Glückseligkeit in der saṅkīrtana-Bewegung Śrī Caitanya Mahāprabhus gefunden haben, sich nicht länger für bloßes Familienglück oder philosophische Spekulationen interessieren.

Menschen, die der Ansicht sind, die Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes und das gottgeweihte Dienen seien von der materiellen Natur verunreinigt, werden »Māyāvādīs« genannt. Aufgrund ihrer unvollkommenen Spekulationen behaupten solche unwissenden Narren, das unpersönliche Brahman sei die einzige Wahrheit in der kosmischen Manifestation, und der Höchste Persönliche Gott sei nur ein Produkt māyās, der illusionierenden Energie. So glauben sie auch, alle Inkarnationen des Höchsten Herrn seien von der materiellen Natur verunreinigt, und die materiellen Körper des Lebewesens und die Wechselwirkungen der Materie, die diese Körper beeinflussen, seien materielle Manifestationen. All diese falschen Vorstellungen führen sie zu dem Schluß, daß Befreiung bedeute, die Individualität bzw. das reine Lebewesen zu vernichten. Mit anderen Worten: Sie denken, das Lebewesen werde nach seiner Befreiung eins mit dem unpersönlichen Brahman.

Nach der Theorie der Māyāvāda-Philosophen stehen der Höchste Persönliche Gott, das Reich des Höchsten und die Gottgeweihten unter dem Bann māyās und sind daher den materiellen Bedingungen ausgesetzt. Ähnlich wie die Māyāvādīs glauben auch die karmis, die nach materiellem Gewinn Strebenden, das transzendentale Wesen des Höchsten Persönlichen Gottes, Sein transzendentales Reich, das hingebungsvolle Dienen und die Gottgeweihten existierten nur in der Vorstellungswelt einiger Naiver. Wieder eine andere Art von Unwissenden, nämlich die Agnostiker, sind der Ansicht, man könne über die Transzendenz nicht sprechen, und die Atheisten schließlich denken, sie könnten die Transzendenz kritisieren. Śrī Kṛṣṇa Caitanya wollte Sich aller Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Ungläubigen annehmen und sie in die Flut der Liebe zu Gott tauchen. Dazu mußte Er jedoch als erstes ihren Respekt gewinnen, und mit dieser Absicht trat Er schließlich mit 25 Jahren in die Lebensstufe der Entsagung ein.

Zu der Zeit, als Er nur im Rahmen Seiner Familie die saṅkīrtana-Bewegung verbreitete, hatten Ihn viele Māyāvādīs und sannyāsīs nicht ernst genommen, doch nachdem Er ebenfalls in die Lebensstufe der Entsagung eingetreten war, schlossen sich viele dieser sannyāsīs Seiner saṅkīrtana-Bewegung an. Selbst die spekulierenden Philosophen, die Atheisten, die karmis und die Kritiker ehrten Ihn als sannyāsī und wurden schließlich durch Ihn erlöst. Der Herr war so gütig, daß Er sie alle annahm und ihnen das Wichtigste im Leben schenkte: Liebe zu Gott.

Um Seine Mission zu erfüllen und die bedingten Seelen mit Liebe zu Gott zu segnen, fand Śrī Caitanya viele Methoden, um auch all diejenigen zu gewinnen, die nicht an der Liebe zu Gott interessiert waren. Nachdem Er in die Lebensstufe der Entsagung eingetreten war, wurden also auch all diejenigen, die sich früher gegen Gott gewandt hatten, Seine Schüler und Anhänger. Selbst Menschen, die nicht nach den vedischen Prinzipien lebten, nahmen Śrī Caitanya als den höchsten Lehrer an.

Nur die Māyāvāda-sannyāsīs von Benares mieden Śrī Caitanyas Barmherzigkeit. Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī beschrieb ihre hoffnungslose Lage wie folgt: »Die Māyāvādī-Philosophen von Benares waren nicht sehr intelligent, denn sie wollten alles durch direkte Sinneswahrnehmung verstehen. Ihr ganzes Wissen beruhte daher nur auf durch materielle Sinneswahrnehmung gewonnenen Schlußfolgerungen. Die Vielfalt der Absoluten Wahrheit ist völlig transzendental zur materiellen Vielfalt, doch diese Philosophen vertreten die Ansicht, es gebe in der Transzendenz keine Mannigfaltigkeit; alles, was Vielfalt besitze, sei māyā

Zur Zeit Śrī Caitanyas gab es noch eine andere Gruppe von Māyāvāda-Philosophen, die in Saranātha lebte. Saranātha ist ein Ort in der Nähe von Benares, wo die buddhistischen Philosophen ansässig waren. Auch heute noch gibt es dort viele stūpas (Tempel) der Buddhisten und Māyāvādīs. Die Māyāvāda-Philosophen von Saranātha unterscheiden sich von den anderen Unpersönlichkeitsphilosophen, die glauben, das unpersönliche Brahman sei die Absolute Wahrheit, insofern, als es nach ihrer Meinung überhaupt keine spirituelle Existenz gibt.

Sowohl die Māyāvāda-Philosophen von Benares, als auch die Māyāvādīs von Saranātha stehen unter dem Einfluß der materiellen Natur, denn beide kennen sie nicht die wirkliche Natur der Absoluten Transzendenz. Obwohl die Philosophen von Benares oberflächlich den vedischen Prinzipien folgen und sich als Transzendentalisten bezeichnen, wollen sie nicht anerkennen, daß es spirituelle Vielfalt gibt. Sie wissen nichts vom hingebungsvollen Dienen und werden daher als »Nicht-Gottgeweihte« bezeichnet, d.h. als Menschen, die gegen das hingebungsvolle Dienen für Śrī Kṛṣṇa sind. Die Unpersönlichkeitsphilosophen spekulieren über den Höchsten Persönlichen Gott und Seine Geweihten, wobei sie sich jedoch immer innerhalb der Grenzen ihrer direkten Sinneswahrnehmung bewegen. Aber der Herr, Seine Geweihten und das hingebungsvolle Dienen können niemals durch direkte Sinneswahrnehmung verstanden werden.

Den Māyāvādī-Philosophen von Benares war, genau wie allen anderen Unpersönlichkeitsanhängern, die Existenz spiritueller Vielfalt unbekannt, und daher begannen sie, den Herrn zu kritisieren, als dieser die saṅkīrtana-Bewegung verbreitete. Sie wunderten sich sehr über Śrī Caitanyas Verhalten, denn da Er von Keṣava Bhāratī, einem Mitglied der Māyāvāda-Schule, als sannyāsī eingeweiht worden war, gehörte Er eigentlich auch zu den Māyāvādī-sannyāsīs. Daher konnten sie es kaum fassen, daß Śrī Caitanya ständig chantete und tanzte, doch niemals den Vedānta las oder hörte, wie es für einen sannyāsī Pflicht ist. Die Māyāvādī-Philosophen schätzen den Vedānta sehr hoch ein, doch leider interpretieren sie diese Schrift nach ihrem eigenen Gutdünken.

Sie begannen also Śrī Kṛṣṇa Caitanya zu kritisieren und warfen Ihm vor, Er verhalte Sich nicht wie ein sannyāsī, sondern führe Sich wie ein sentimentaler Schwärmer auf. Als der Herr von diesen Beschuldigungen erfuhr, zeigte Er Sich jedoch nicht im geringsten betroffen, sondern lächelte nur. Er vermied auch weiterhin die Gesellschaft der Māyāvāda-sannyāsīs und widmete Sich voll und ganz Seiner saṅkīrtana-Bewegung.

18. KAPITEL

Caitanya


Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī

Den Māyāvādī-sannyāsīs ist es strikt verboten, zu singen, zu tanzen oder auf Musikinstrumenten zu spielen. Sie bezeichnen diese Tätigkeiten als große Sünden. Von einem Māyāvādī-sannyāsī wird erwartet, daß er seine ganze Zeit dem Studium des Vedānta-sūtra widmet. Als nun die Māyāvādīs von Benares sahen, daß Śrī Kṛṣṇa Caitanya immerzu sang, tanzte, die mṛdanga-Trommel spielte und fortwährend »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantete, kamen sie zu dem Schluß, daß dieser sannyāsī keinerlei Erziehung besaß und aus Sentimentalität Anhänger in die Irre führte.

Śaṅkarācārya, der führende Philosoph der Māyāvādīs, sagte einmal, ein sannyāsī solle ausschließlich den Vedānta studieren, und seine Zeit nicht mit Singen und Tanzen vergeuden; doch weder studierte Śrī Caitanya den Vedānta noch hörte Er auf, zu singen und zu tanzen. Deshalb kritisierten Ihn die sannyāsīs von Benares und auch deren Anhänger auf immer üblere Weise. Als dem Herrn von Seinen Schülern davon berichtet wurde, lächelte Er nur und machte Sich auf den Weg nach Mathurā und Vṛndāvana. Auf der Rückreise von Mathurā nach Jagannātha Purī schließlich besuchte Er wieder Benares. Diesmal wohnte Er im Haus von Candraṣekhara, der als ṣūdra angesehen wurde, da er ein Beamter war. Doch Śrī Caitanya kümmerte Sich nicht darum und wählte dessen Haus als Quartier, um zu zeigen, daß Er keinen Unterschied zwischen einem brāhmaṇa und einem ṣūdra machte, sondern daß Er jeden annahm, der Śrī Kṛṣṇa hingegeben war. Für gewöhnlich sollte ein sannyāsī nur im Hause eines brāhmaṇa wohnen oder essen, doch Caitanya Mahāprabhu hatte als der unabhängige Höchste Persönliche Gott völlige Entscheidungsfreiheit, und so beschloß Er, im Haus Candraṣekharas zu wohnen.

In jenen Tagen hatten die brāhmaṇas ihren Einfluß mißbraucht und ein Gesetz erlassen, nach dem jeder, der nicht in einer brāhmaṇa-Familie geboren war, als ṣūdra anzusehen war. Nach diesem Gesetz wurden sogar die kṣatriyas und vaiṣyas als ṣūdras bezeichnet. Die vaiṣyas sind die Nachkommen von brāhmaṇa-Vätern und ṣūdra-Müttern, und sie wurden deshalb ebenfalls »ṣūdras« genannt. Aus diesem Grund wurde auch Candraṣekhara, obgleich er in einer vaiṣya-Familie geboren war, in Benares als ṣūdra angesehen. Śrī Caitanya achtete jedoch nicht darauf, sondern wohnte, solange Er Sich in Benares aufhielt, im Hause Candraṣekharas und speiste bei Tapana Miṣra, einem anderen Gottgeweihten.

Während dieser Zeit kam auch Sanātana Gosvāmī zu Śrī Caitanya, und lernte innerhalb der zwei Monate, in denen der Herr ihn fortwährend unterwies, die Prinzipien und den Vorgang des hingebungsvollen Dienens. (Die Unterweisungen, die er während dieser Zeit von Śrī Caitanya empfing, wurden bereits im ersten Teil dieses Buches ausführlich behandelt.) Zum Schluß Seiner Belehrungen ermächtigte der Herr Sanātana Gosvāmī, die Prinzipien des hingebungsvollen Dienens und die Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam zu verbreiten.

Während Sich Śrī Caitanya in Benares aufhielt, litten Tapana Miṣra und Candraṣekhara sehr unter der heftigen Kritik, die gegen den Herrn erhoben wurde, und so wandten sie sich eines Tages an Caitanya Mahāprabhu und baten Ihn, die Māyāvādīs zu besuchen, um mit ihnen zu sprechen, damit die üblen Reden über Ihn, die zu hören für sie nicht länger erträglich seien, ein Ende hätten.

Während sie dem Herrn ihre Bitte vortrugen, trat ein brāhmaṇa zu ihnen und lud Śrī Caitanya ein, bei ihm zu essen, wie auch alle anderen sannyāsīs der Stadt es tun würden. Nur Śrī Caitanya, so sagte er, sei noch nicht von ihm eingeladen worden, und daher wolle er nun das Versäumte nachholen. Der brāhmaṇa wußte, daß Śrī Caitanya Mahāprabhu die Māyāvādīs im allgemeinen mied, und daher fiel er dem Herrn zu Füßen und flehte Ihn an: »Obwohl mir bekannt ist, daß Du für gewöhnlich keine Einladungen annimmst, bitte ich Dich dennoch, so gütig zu sein und in meinem Haus zusammen mit den anderen sannyāsīs prasāda zu Dir zu nehmen. Das wäre mir eine ganz besondere Ehre!«

Die Einladung des brāhmaṇa war eine günstige Gelegenheit für Śrī Caitanya Mahāprabhu, den Konflikt mit den Māyāvāda-sannyāsīs zu bereinigen, und so sagte Er bereitwillig zu. All dies geschah nach dem höchsten Willen des Herrn, denn obgleich der brāhmaṇa eigentlich genau wußte, daß Śrī Caitanya grundsätzlich keine Einladungen annahm, war er dennoch gekommen, um Ihn zu bitten, sein Gast zu sein.

Als Śrī Caitanya am nächsten Tag zum Hause des brāhmaṇa kam, waren die Māyāvādī-sannyāsīs bereits alle versammelt. Er brachte ihnen, wie es der Brauch vorschreibt, als erstes Seine Ehrerbietungen dar und begab Sich dann in die Waschecke, um Sich die Füße zu waschen. Danach ging Er jedoch nicht zu den Māyāvādī-sannyāsīs hinüber, sondern setzte Sich demütig an dem Platz nieder, wo das Waschwasser stand. Während Er Sich so im Hintergrund hielt, bemerkten die Māyāvādī-sannyāsīs mit Verwunderung, daß eine leuchtende Ausstrahlung von Seinem Körper ausging. Sie fühlten sich in unerklärlicher Weise zu Ihm hingezogen und standen auf, um Ihm Ehre zu erweisen. Prakāṣānanda Sarasvatī, ihr Führer, sprach Śrī Caitanya mit großem Respekt an und bat Ihn, Sich zu ihnen zu setzen. Er sagte: »Lieber Herr, warum setzt Du Dich an diesen unreinen Ort? Bitte komm doch herüber und ehre uns mit Deiner Gesellschaft.«

Śrī Kṛṣṇa Caitanya antwortete ihm jedoch: »Verzeiht, aber Ich bin nur ein sannyāsī niederen Ranges; Ich bin es nicht wert, mit euch zusammen zu sitzen. Es ist daher besser, wenn ich hier bleibe.«

Prakāṣānanda überraschte es, solche bescheidenen Worte von einem so berühmten Mann zu hören. Er nahm den Herrn bei der Hand und bat Ihn noch einmal, doch bitte vorn, bei den anderen sannyāsīs Platz zu nehmen. Śrī Caitanya gab schließlich nach, und als Er dann vor ihnen saß, fragte Ihn Prakāṣānanda Sarasvatī: »Wenn ich mich nicht irre, ist Dein Name Śrī Kṛṣṇa Caitanya, und ich weiß auch, daß Du zur Śaṅkara-Ordnung gehörst wie wir, denn Du wurdest von Keṣava Bhāratī eingeweiht, der der Śaṅkara-sampradāya angehört.«

Bei der Śaṅkara-Sekte gibt es zehn verschiedene Namen für die unterschiedlichen sannyāsīs. Die Titel tīrtha, āṣrama und sarasvatī bezeichnen die Erleuchtetsten und Gelehrtesten unter ihnen. Als Vaiṣṇava war Śrī Caitanya ganz natürlich demütig und bescheiden; deshalb wollte Er Prakāṣānanda, der den Titel Sarasvatī trug, den besseren Platz überlassen. Nach den Prinzipien Śaṅkaras wird ein Schüler der Bhāratī-Schule vor dem sannyāsa »Caitanya«, danach aber »Bhāratī« genannt; doch obwohl Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu bereits in die Lebensstufe der Entsagung eingetreten war, behielt Er Seinen brahmacārī-Namen auch weiterhin bei.

Prakāṣānanda Sarasvatī fragte dann: »Mein Herr, Du gehörst zur Śaṅkara-Ordnung und lebst schon seit einiger Zeit hier in Benares; warum also verkehrst Du nicht mit uns? Was ist der Grund für Deine ablehnende Haltung? Und eigentlich solltest Du als sannyāsī Deine ganze Zeit dem Studium des Vedānta widmen, doch statt dessen sehen wir Dich auf den Straßen singen und tanzen. - Warum dies alles? So etwas tun nur gefühlsbetonte und sentimentale Menschen; doch Du bist ein durchaus qualifizierter sannyāsī. Warum studierst Du also nicht den Vedānta? Deine Ausstrahlung läßt Dich erscheinen wie der Höchste Persönliche Gott Nārāyaṇa, doch Dein Verhalten spricht nicht für Dich. Bitte erkläre uns den Grund für Deine seltsame Lebensweise.«

Śrī Caitanya antwortete: »Ihr müßt wissen, daß Mein geistiger Meister Mich einen großen Dummkopf hieß und Mich daher gewissermaßen bestrafte, indem er Mir verbot, den Vedānta zu lesen; er sagte, aufgrund Meiner Dummheit hätte Ich kein Recht dazu. Doch er war so gütig und lehrte Mich statt dessen das Chanten von Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare. Mein geistiger Meister erklärte Mir dazu: »Bitte chante immer diesen Hare-Kṛṣṇa-mantra, dann wirst Du in jeder Hinsicht vollkommen werden.«

In Wirklichkeit war Śrī Kṛṣṇa Caitanya natürlich kein Dummkopf, und Er kannte auch durchaus die Prinzipien des Vedānta. An Seinem Beispiel wollte Er lediglich der modernen Gesellschaft klarmachen, daß unwissende Menschen, die keinerlei Opfer und Bußen auf sich nehmen und den Vedānta nur zum Zeitvertreib studieren wollen, besser ihre Hände von dieser Schrift lassen sollten. Śrī Caitanya sagt im zweiten Vers Seines Śikṣāṣṭakam: »Man kann den heiligen Namen des Herrn in aller Demut chanten, sich niedriger dünkend als das Stroh in der Gasse, duldsamer als ein Baum, frei von allem falschen Geltungsbewußtsein und immer bereit, anderen Ehre zu erweisen. In solcher Geisteshaltung kann man die Vedānta-Philosophie bzw. die heiligen Namen Gottes ohne Unterlaß chanten.« Auch wollte Er die Menschen lehren, daß ein ernsthafter Schüler der transzendentalen Wissenschaft die Unterweisungen seines geistigen Meisters genau befolgen muß. In den Augen Seines geistigen Meisters war Śrī Caitanya ein Narr, und daher unterwies dieser Ihn, Sich nicht mit dem Studium des Vedānta zu befassen, sondern statt dessen den Hare-Kṛṣṇa-mantra zu chanten. Śrī Kṛṣṇa Caitanya gehorchte Seinem geistigen Meister widerspruchlos und machte auf diese Weise den Māyāvādīs klar, daß die Worte des geistigen Meisters genau befolgt werden müssen, denn nur so kann man die Vollkommenheit erreichen.

Den Vedānta wirklich zu verstehen bedeutet, Kṛṣṇa und seine ewige Beziehung zu Ihm zu erkennen. Vedaiṣ ca sarvair aham eva vedyo: »Das Ziel aller Veden ist es, Mich zu erkennen.« Wer Kṛṣṇa kennt, kennt alles und dient Ihm ständig in transzendentaler Liebe. Der Herr bestätigt dies in der Bhagavad-gītā: »Ich bin der Ursprung der spirituellen und der materiellen Welt. Alles geht von Mir aus. Die Weisen, die dies wissen, dienen Mir in Hingabe und verehren Mich von ganzem Herzen.« (Bg. 10.8)

Das Lebewesen ist der ewige Diener Kṛṣṇas und daher auf ewig mit Ihm verbunden. Wenn es sich jedoch nicht im Dienst des Höchsten beschäftigt, wenn es also nicht Kṛṣṇa-bewußt ist, bleibt alles Studieren des Vedānta nutzlos. Solange man nicht das Kṛṣṇa-Bewußtsein versteht, und solange man sich nicht im transzendentalen hingebungsvollen Dienen für Śrī Kṛṣṇa beschäftigt, erfüllt man nicht die Grundvoraussetzungen, die notwendig sind, um den Vedānta zu studieren und letztlich den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen.

Wer die Vedānta-Philosophie studieren möchte, sollte dem Beispiel Śrī Caitanyas folgen. Wer jedoch auf seine sogenannte Bildung stolz ist, kann nicht demütig sein und wird daher auch niemals bei einem geistigen Meister Zuflucht suchen. Er wird vielmehr denken, er benötige keinen guru und könne statt dessen durch eigene Anstrengungen die höchste Vollkommenheit erreichen. Toren dieser Art sind natürlich nicht in der Lage, den Vedānta zu studieren. Diejenigen, die unter dem Einfluß der materiellen Energie stehen, versuchen, ihren eigenen Weg zu gehen, statt den Anweisungen der guru paramparā (der Nachfolge der geistigen Meister) zu folgen, und verlassen somit den Bereich des Vedānta-Studiums. Ein autorisierter geistiger Meister ist dazu verpflichtet, solche intellektuellen Spekulanten zu verurteilen. Wenn der geistige Meister seinen Schüler einen Dummkopf nennt, so entspricht dies völlig den Tatsachen, denn jemand, der die Wissenschaft von Gott nicht kennt, kann nicht als gelehrt angesehen werden. Manchmal zeigt sich diese Dummheit daran, daß solche Unwissenden einen Menschen als guru annehmen, der nicht die geringsten spirituellen Kenntnisse besitzt.

Es ist ganz einfach unsere Pflicht, den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen, dessen Lotosfüße von allen Veden verehrt werden, und jeder, der den Höchsten Persönlichen Gott nicht erkannt hat, aber dennoch auf sein falsches Verständnis vom Vedānta-sūtra stolz ist, ist einfach ein Narr. Die Versuche weltlicher Gelehrter, mit Hilfe von akademischem Wissen den Vedānta zu verstehen, sind nur ein weiteres Zeichen von Torheit. Wer nicht begriffen hat, daß die kosmische Welt nichts weiter ist als eine Manifestation der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur, befindet sich im Dämmerzustand der Illusion, gefangen von der Dualität der materiellen Welt. Jeder, der das Wissen des Vedānta verwirklicht hat, dient dem Höchsten Herrn, der die gesamte kosmische Manifestation erhält und versorgt. Wer nicht transzendental zum Dienst für das Begrenzte geworden ist, kann auch die unbegrenzte Philosophie des Vedānta nicht verwirklicht haben. Wenn man noch gewinnbringenden Tätigkeiten nachgeht oder sich mit intellektuellen Spekulationen befaßt, kann man zwar das theoretische Wissen des Vedānta-sūtra studieren und möglicherweise sogar darüber lehren, doch man kann in diesem Zustand niemals die Ebene der vollkommenen Befreiung erreichen; auf der man die ewige, transzendentale, höchste Klangschwingung »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma, Rāma, Hare Hare« versteht. Mit anderen Worten: Wer die Vollkommenheit im Chanten des transzendentalen Hare-Kṛṣṇa-mantras erreicht hat, braucht nicht mehr die Philosophie des Vedānta zu studieren.

Wer nicht weiß, daß die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa« mit dem Höchsten identisch ist, aber versucht, ein Māyāvāda-Philosoph und Kenner der Philosophie des Vedānta-sūtra zu werden, ist nach den Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas ein ausgesprochener Narr. Der Versuch, das Vedānta-sūtra auf dem aufsteigenden Weg der Erkenntnis zu verstehen, ist ebenfalls ein Zeichen von Unverstand. Wem es jedoch gelungen ist, einen Geschmack am Chanten der transzendentalen Klangschwingung des Hare-Kṛṣṇa-mantras zu entwickeln, hat bereits die Essenz des Vedānta erfaßt. In diesem Zusammenhang gibt es zwei treffende Verse im Śrīmad-Bhāgavatam; der erste Vers besagt, daß ein Mensch, der die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantet, selbst wenn er von geringer Herkunft ist, als Heiliger anzusehen ist, da er bereits alle Arten von Entsagungen und Bußen auf sich genommen, alle Opfer durchgeführt und alle Vedānta-sūtras studiert haben muß. Im zweiten Vers wird gesagt, daß ein Mensch, der die beiden Silben »Ha-re« chantet, praktisch alle Veden (Ṛk, Atharva, Sāma und Yajuḥ) studiert hat.

Es gibt jedoch auch viele sogenannte Gottgeweihte, die der Ansicht sind, der Vedānta sei nur für eine bestimmte Gruppe von Gelehrten, und nicht für Gottgeweihte, bestimmt. Sie verkennen, daß die reinen Gottgeweihten in Wirklichkeit die Einzigen sind, die das Vedānta-sūtra verstehen können. Alle großen ācāryas der vier Vaiṣṇava-sampradāyas haben Kommentare zum Vedānta-sūtra verfaßt, doch die sogenannten Gottgeweihten, die als prākṛta-sahajiyā bekannt sind, vermeiden es peinlichst, ihre Schriften zu studieren, denn sie halten in ihrer Verblendung fälschlich auch die reinen Gottgeweihten und Vaiṣṇava-ācāryas für intellektuelle Spekulanten oder nach materiellem Gewinn Strebende. Als Folge dieses Irrtums werden sie letzten Endes zu Māyāvādīs und verlassen den transzendentalen Dienst für den Höchsten Herrn.

Wer nur ein akademisches Verständnis vom Vedānta-sūtra besitzt, kann nicht die Bedeutung der transzendentalen Klangschwingung von Hare Kṛṣṇa verstehen. Menschen, die sich in akademisches Wissen verloren haben, sind ganz gewöhnliche bedingte Seelen, die, da sie sich auf ihr beschränktes Begriffsvermögen verlassen, ständig verwirrt sind und kein rechtes Verständnis von »ich« und »mein« besitzen. Daher sind sie außerstande, ihre Gedanken von der materiellen Energie zu lösen und sich auf einer höheren Ebene zu bewegen. Sowie man die Stufe des transzendentalen Wissens erlangt, wird man von der Dualität der materiellen Welt frei und beschäftigt sich im liebevollen Dienst für den Höchsten Herrn. Solches transzendentale gottgeweihte Dienen ist das einzige Mittel, durch das man von allen materiellen Tätigkeiten unabhängig werden kann. Wer von einem echten geistigen Meister eingeweiht worden ist und beginnt, »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten, wird nach und nach von der materiellen Vorstellung des »ich« und »mein« befreit und gewinnt Anziehung zum transzendentalen liebevollen Dienen für den Herrn in einer der fünf Beziehungen. Nur wenn man verwirklicht hat, daß es keinen Unterschied zwischen dem Höchsten und Seinem Namen gibt, kann man fest im Kṛṣṇa-Bewußtsein verankert sein. Dann legt man auch keinen Wert mehr auf Dinge, wie die Sprache des Vedānta auf ihren grammatikalischen Aufbau hin zu untersuchen. Auf dieser Stufe interessiert sich der Gottgeweihte nur noch für die Bedeutung des Hare-Kṛṣṇa-mantras: »O Rādha, o Kṛṣṇa, bitte beschäftigt mich im hingebungsvollen Dienen.«

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte Prakāṣānanda Sarasvatī all dies und sagte dann, Er habe lediglich die Worte Seines geistigen Meisters wiederholt. Er machte Prakāṣānanda Sarasvatī außerdem darauf aufmerksam, daß Sein geistiger Meister Ihm gesagt habe, der wirkliche Kommentar zum Vedānta-sūtra sei das Śrīmad-Bhāgavatam, was auch der Verfasser des Vedānta-sūtra, Śrīla Vyāsadeva, selbst im Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt.

Wenn der Schüler verwirklicht hat, daß zwischen dem heiligen Namen und dem Herrn Selbst kein Unterschied besteht, hat er die Vollkommenheit erreicht. Wer sich nicht der Führung eines geistigen Meisters, der sich auf dieser vollkommenen Stufe befindet, anvertraut, kann kein wirkliches Verständnis vom Höchsten erlangen; zudem ist die Absolute Wahrheit nur durch Dienen und durch Hingabe zu erkennen. Śrī Caitanya erklärte den Māyāvādī-sannyāsīs, daß das aufrichtige Aussprechen des Namens »Kṛṣṇa« bzw. das vergehenlose Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantras jede bedingte Seele augenblicklich von der materiellen Verunreinigung befreien könne. Im gegenwärtigen Zeitalter des Kali gibt es keine andere Möglichkeit, befreit zu werden, als durch das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras. In den Veden wird gesagt, daß die Essenz aller Schriften im Chanten der heiligen Namen Kṛṣṇas »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« liegt.

Śrī Caitanya Mahāprabhu zitierte dann einen Vers aus dem Bṛhan-nāradīya Purāṇa, den Ihn Sein geistiger Meister gelehrt hatte, um Ihn von dieser wichtigen Tatsache zu überzeugen:

harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva nāsty eva gatir anyathā

»Chantet die heiligen Namen Gottes, chantet die heiligen Namen Gottes, chantet die heiligen Namen Gottes, denn im Zeitalter des Zankes und der Heuchelei gibt es keinen anderen Weg, keinen anderen Weg, keinen anderen Weg, der zur Befreiung führt.« (Bn. 38.126)

In den drei anderen Zeitaltern, Satya-, Tretā- und Dvāpara-yuga, war es selbstverständlich und ehrenvoll, transzendentale Erkenntnis durch die Nachfolge der geistigen Meister zu empfangen. Heutzutage jedoch haben die Menschen durch den Einfluß des Kali-Zeitalters jegliches Interesse an der Nachfolge der geistigen Meister verloren und versuchen statt dessen, mit Hilfe von Argumentation und Logik ihre eigenen Wege zu fabrizieren. Doch die Veden billigen solche Vorgänge nicht, bei denen man durch das Entwickeln von Thesen versucht, die Absolute Wahrheit zu begreifen. Die Absolute Wahrheit muß Sich von der absoluten Ebene aus offenbaren, d. h., Sie kann nicht durch den spekulativen Vorgang verstanden werden. Der heilige Name des Herrn ist eine transzendentale Klangschwingung und kommt von der transzendentalen Ebene, aus dem höchsten Reich Kṛṣṇas, zu uns herab. Und weil kein Unterschied zwischen Kṛṣṇa und Seinem Namen besteht, ist der heilige Name ebenso rein, vollkommen und befreiend wie Kṛṣṇa Selbst. Die akademischen Gelehrten haben mit all ihrer Logik und ihren Argumenten keinen Zugang zum Geheimnis der transzendentalen Natur des heiligen Namens. Der einzige Weg, das transzendentale Wesen der Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa, Hare Krṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu verstehen ist das vertrauensvolle und ständige Chanten dieser Namen. Wer mit Geduld und Vertrauen chantet, wird allmählich von der irrtümlichen Identifizierung mit dem grob- und feinstofflichen Körper frei.

In diesem Zeitalter der logischen Argumentation und der Meinungsverschiedenheiten ist das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras die einzige Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, und weil allein diese transzendentale Klangschwingung die bedingte Seele befreien kann, ist sie die Essenz des Vedānta-sūtra. In der materiellen Welt besteht ein Unterschied zwischen dem Namen, der Gestalt, den Eigenschaften, den Gefühlen und den Handlungen einer Person und der Person selbst; doch die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa« kennt keine solche Begrenzungen, denn sie kommt direkt aus der spirituellen Welt. In der spirituellen Welt besteht kein Unterschied zwischen dem Namen einer Person und der Person, die den Namen trägt. Solche Unterschiede gibt es nur in der materiellen Welt. Die Māyāvāda-Philosophen können dies nicht verstehen und sind daher außerstande, die transzendentale Klangschwingung von »Hare Kṛṣṇa« auszusprechen.

Śrī Caitanya fuhr fort: »Auf Anweisung Meines geistigen Meisters hin chante Ich ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Dabei gerate Ich manchmal so in Ekstase, daß Ich Mich nicht mehr zurückhalten kann und anfange, wie ein Wahnsinniger zu tanzen, zu lachen, zu weinen und zu singen. Als Mich dies zuerst sehr verwunderte, und Ich dachte, Ich sei durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« verrückt geworden, ging Ich zu Meinem geistigen Meister und fragte ihn, was mit Mir geschehen sei.«

Im Nārada-pañcarātra wird gesagt, daß alle vedischen Rituale, mantras und Erkenntnisse in den acht Wörtern »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare« enthalten sind. In der Kali-santaraṇa Upaniṣad heißt es, daß die sechzehn Wörter „Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« ganz besonders dazu geeignet sind, dem verunreinigenden Einfluß des Kali-yugas entgegenzuwirken. Um sich vor dem negativen Einfluß des gegenwärtigen Zeitalters zu retten, gibt es also keine andere Möglichkeit, als Hare Kṛṣṇa zu chanten.

Śrī Caitanya berichtete weiter: Als Mein geistiger Meister sah, wie es um Mich stand, sagte er: »Es ist die transzendentale Eigenschaft des heiligen Namens, jeden in spirituelle Ekstase zu versetzen. Jeder, der aufrichtig die heiligen Namen chantet, wird schon bald auf die Ebene der Liebe zu Gott erhoben und wie verrückt nach Ihm werden. Diese ekstatische Liebe zu Gott ist die Vollkommenheit des menschlichen Lebens. Die meisten Menschen streben nach Vollkommenheit auf den Gebieten der Religiosität, wirtschaftlichen Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung; doch die Liebe zu Gott steht über all diesen sogenannten Vollkommenheiten des Lebens.«

Der Vorgang, Liebe zu Gott zu entwickeln, ist im Grunde einfach: Der geistige Meister chantet »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«, und die transzendentale Klangschwingung dringt in das Ohr des Schülers ein. Wenn der Schüler dann dem Beispiel des geistigen Meisters folgt und den heiligen Namen mit dem gleichen Respekt wie dieser chantet, wird der transzendentale Name durch sein aufrichtiges Chanten verehrt. Sobald der heilige Name von dem Gottgeweihten verehrt wird, entfaltet Er Seine Herrlichkeit im Herzen des Geweihten, und wenn dieser die Vollkommenheit im Chanten erreicht, kann er selbst geistiger Meister werden und alle Menschen in der materiellen Welt befreien. Das Chanten des heiligen Namens ist so mächtig, daß Er allmählich Seine Erhabenheit über alles andere in der materiellen Welt durchsetzt. Wenn ein Gottgeweihter den Hare-Kṛṣṇa-mantra aufrichtig chantet, erreicht er bald die Ebene der Transzendenz, und oft lacht und weint und tanzt er in Ekstase.

Manchmal legen weniger intelligente Menschen der Verbreitung des Hare-Kṛṣṇa-mantras Hindernisse in den Weg, doch ein Gottgeweihter, der fest in der Liebe zu Kṛṣṇa verankert ist, läßt sich nicht davon abhalten, den heiligen Namen zum Nutzen aller Anwesenden laut zu chanten. Folglich wird allmählich die ganze Welt in das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« eingeweiht. Das Chanten und Hören der heiligen Namen Gottes ermöglichen es der bedingten Seele, sich wieder an die Form und die Eigenschaften Śrī Kṛṣṇas zu erinnern.

19. KAPITEL

Caitanya

Das Ziel des Vedānta

Wenn man versteht, daß der Name Kṛṣṇa und die Person Kṛṣṇa miteinander identisch sind, entwickelt man eine transzendentale und ekstatische Zuneigung zum Höchsten Persönlichen Gott; diese Zuneigung wird bhāva genannt. Wer die Stufe der bhāva erreicht hat, wird nicht mehr vom unreinen Einfluß der materiellen Natur berührt. Er erfreut sich statt dessen fortwährend transzendentaler Glückseligkeit. Wenn sich die bhāva intensiviert, wird sie »Liebe zu Gott« genannt.

Śrī Caitanya erklärte Prakāṣānanda Sarasvatī, daß der heilige Name auf jeden, der ihn chante, einen ganz besonderen Einfluß ausübe, durch den der Chantende sehr bald auf die Stufe der Liebe zu Gott erhoben werde. Diese Liebe zu Gott ist die größte Notwendigkeit im menschlichen Leben. Im Vergleich zur Liebe zu Gott sind alle anderen Notwendigkeiten der menschlichen Gesellschaft im Bereich von Religiosität, wirtschaftlicher Entwicklung, Sinnenbefriedigung und Befreiung höchst unbedeutend. Wer in die Welt der vergänglichen Bezeichnungen versunken ist, strebt entweder nach Sinnenfreude oder nach Befreiung; beides hat jedoch Anfang und Ende. Die Liebe zu Gott dagegen ist die ewige Natur der Seele; sie ist unwandelbar, ohne Anfang und ohne Ende. Daher sind die vergängliche Sinnenfreude oder das Verlangen nach Befreiung nicht mit der transzendentalen Liebe zu Gott vergleichbar. Die Liebe zu Gott wird die fünfte Dimension, d.h. das höchste aller Ziele im Leben genannt. Im Vergleich zu dem Ozean der transzendentalen Freude, die man aus der Liebe zu Gott erfährt, ist die Freude, die man aus der unpersönlichen Brahman-Erkenntnis gewinnt, nicht einmal so groß wie ein Wassertropfen.

Śrī Caitanyas geistiger Meister sah mit Freude die Ekstase, die der Herr beim Chanten der heiligen Namen erfuhr, und er erklärte Ihm, daß es die Essenz aller vedischer Schriften sei, Liebe zu Gott zu erreichen. Er sagte, der Herr sei einer der Glücklichsten, da Er eine solch hohe Stufe der Liebe zu Gott erreicht habe. Jeder, der eine derartige transzendentale Liebe zu Gott entwickelt hat, sehnt sich mit ganzem Herzen danach, direkt mit dem Herrn zusammenzusein. In dieser transzendentalen Sehnsucht lacht er manchmal, weint, singt oder tanzt er wie ein Verrückter oder läuft ziellos hin und her.

Auch zeigen sich am Körper eines Menschen, der in Liebe zu Gott versunken ist, Symptome von Ekstase wie Tränenausbrüche, Wechsel der Hautfarbe, Verrücktheit, Sprachlosigkeit, Stolz, Begeisterung und Freundlichkeit, und oft beginnt ein solcher Gottgeweihter zu tanzen. Dieses Tanzen taucht ihn tief in den Nektar-Ozean der Liebe zu Kṛṣṇa. Īṣvara Purī sagte daher zu seinem Schüler: »Es ist außerordentlich beglückend für mich, daß Du eine so hohe Stufe der Liebe zu Gott erreicht hast, und daher bin ich Dir sehr dankbar.«

Ein Vater wird sehr zufrieden, wenn er sieht, daß sein Sohn eine höhere Position erreicht als er selbst. Ebenso freut sich der geistige Meister, wenn er sieht, daß sein Schüler Fortschritte macht, mehr darüber als über seinen eigenen Fortschritt. Īṣvara Purī segnete den Herrn also voller Freude und trug Ihm auf: »Singe, tanze, und verbreite die saṅkīrtana-Bewegung überall; befreie die Menschen aus ihrer Unwissenheit, indem Du ihnen von Kṛṣṇa erzählst!«

Īṣvara Purī lehrte Śrī Caitanya bei dieser Gelegenheit einen schönen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Elfter Canto, 2. Kapitel): »Wer Śrī Kṛṣṇa fortwährend dient, indem er den heiligen Namen des Herrn chantet, entwickelt eine solch starke transzendentale Anhaftung an das Chanten, daß er, selbst ohne es zu merken, sanftmütig im Herzen wird. Auf dieser Stufe zeigt er viele Symptome transzendentaler Ekstase, so daß er manchmal lacht, weint, singt oder tanzt - nicht sehr künstlerisch, sondern eher wie ein Verrückter.« Śrī Caitanya sagte weiter zu Prakāṣānanda Sarasvatī: »Ich habe völliges Vertrauen in die Worte Meines geistigen Meisters, und daher chante Ich ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Ich weiß selbst nicht, wie es dazu kam, daß Ich wie toll geworden bin; der Name »Kṛṣṇa« hat ganz von allein diese Ekstase in Mir ausgelöst. Die transzendentale Freude, die man beim Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« erfährt, ist wie ein Ozean, und im Vergleich zu diesem Ozean sind alle anderen Freuden, selbst die Freude, die man aus der unpersönlichen Erkenntnis der Absoluten Wahrheit gewinnt, wie das seichte Wasser im Straßengraben.«

Aus den Worten Śrī Caitanyas geht eindeutig hervor, daß man niemals den ersehnten Erfolg beim Chanten der Namen Kṛṣṇas erreichen kann, wenn man nicht auf die Worte des geistigen Meisters vertraut, sondern versucht, unabhängig von ihm zu handeln. In den vedischen Schriften wird gesagt, daß nur dem die wahre Bedeutung der transzendentalen Schriften offenbart wird, der unerschütterliches Vertrauen in den Höchsten Herrn und ebenso großes Vertrauen in seinen geistigen Meister hat. Śrī Caitanya glaubte fest an die Worte Seines geistigen Meisters und vernachlässigte niemals dessen Anweisung, die saṅkīrtana-Bewegung zu verbreiten. Daher begeisterte die transzendentale Energie des heiligen Namens Ihn immer mehr für das Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mahā-mantras.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte Prakāṣānanda Sarasvatī, daß die meisten Menschen im heutigen Zeitalter jegliche spirituelle Intelligenz verloren haben. Wenn solche Menschen von Śaṅkarācāryas Māyāvāda- bzw. Unpersönlichkeitsphilosophie hören, ohne vorher den vertraulichsten Teil des Vedānta-sūtra verstanden zu haben, wird ihre natürliche Neigung, dem Höchsten gehorsam zu sein, vernichtet. Ehrfurcht vor dem Höchsten Ursprung alles Existierenden ist ganz natürlich, doch durch die Unpersönlichkeitslehre wird diese natürliche Neigung ausgelöscht. Aus diesem Grund hatte Īṣvara Purī Śrī Caitanya angewiesen, lieber nicht den Śārīraka-bhāṣya-Kommentar zum Vedānta-sūtra zu studieren, da die falschen Interpretationen Śaṅkarācāryas schon bei vielen Menschen großen Schaden angerichtet hätten. Der gewöhnliche Mensch besitzt nicht mehr die notwendige Intelligenz, aus den Wortspielereien Śaṅkarācāryas klug zu werden. Es wird daher empfohlen, den mahā-mantra »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten. Im Zeitalter des Kali, der Zeit des Streites und der Heuchelei, gibt es außer dem Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras keine andere Möglichkeit, selbstverwirklicht zu werden.

Als Śrī Caitanya geendet hatte, waren die Māyāvādī-sannyāsīs von den Argumenten und Erklärungen des Herrn sichtlich beeindruckt. »Lieber Herr«, sagten sie freundlich, »alles was Du gesagt hast, ist wahr. Ein Mensch, der Liebe zu Gott entwickelt hat, befindet sich zweifellos in einer sehr glücklichen Lage, und Du kannst Dich gewiß glücklich schätzen, daß Du eine so hohe Stufe der Verwirklichung erreichen konntest. Doch was hast Du gegen das Vedānta-sūtra einzuwenden, daß Du Deine Pflicht als sannyāsī versäumst und diese essentielle Schrift nicht studierst?«

Die Māyāvādī-Philosophen verstehen unter »Vedānta« den Śārīraka-Kommentar Śaṅkarācāyas; mit »Vedānta« und »Upaniṣaden« meinen sie daher »nach dem Kommentar Śaṅkarācāryas.« Nach Śaṅkarācāryas Tod wurde Sadānanda Yogī der führende Māyāvādī-Philosoph, und er verkündete, daß der Vedānta und die Upaniṣaden nur durch den Kommentar Śaṅkarācāryas zu verstehen seien. Das ist jedoch nicht richtig, denn es gibt zur Vedānta-Philosophie und zu den Upaniṣaden auch viele Kommentare von Vaiṣṇava-ācāryas, die dem Kommentar Śaṅkaras in vieler Hinsicht vorzuziehen sind. Doch die Māyāvādī-Philosophen, die der Schule Śaṅkarācāryas angehören, messen diesen Schriften der Vaiṣṇavas keinerlei Bedeutung bei.

Die Vaiṣṇava-ācāryas teilen sich in vier Gruppen, die entweder viṣiṣṭādvaita-, dvaidādvaita-, ṣuddhādvaita- oder acintya-bhedābheda-Philosophie vertreten. Sie alle haben vortreffliche Kommentare zum Vedānta-sūtra geschrieben, die aber von den törichten Māyāvādī-Philosophen nicht anerkannt werden. Die Māyāvādīs unterscheiden zwischen Kṛṣṇa, Kṛṣṇas Körper und Kṛṣṇas Namen und halten daher nichts von der Verehrung der Höchsten Person, wie es die Vaiṣṇavas tun.

Als sie nun Śrī Caitanya fragten, warum Er nicht den Vedānta studiere, erwiderte Er: »Um diese Frage richtig zu beantworten, möchte Ich, wenn ihr nichts dagegen habt, etwas ausführlicher werden. Nur fürchte Ich, daß Ich euch damit kränken könnte.« Alle Māyāvādīs beteuerten sofort: »Wir freuen uns, von Dir hören zu dürfen, denn Du hast starke Ähnlichkeit mit Nārāyaṇa und sprichst außerdem so wunderbar, daß es uns große Freude bereitet, Deinen Worten zu lauschen. Wir sind dankbar, daß wir

Dich sehen und von Dir hören dürfen. Daher werden wir Dir aufmerksam zuhören und alles, was du sagst, vorurteilslos annehmen.«

Daraufhin begann der Herr das Vedānta-sūtra auf die richtige Weise zu erläutern; Er sagte: »Das Vedānta-sūtra wurde vom Höchsten Herrn Selbst gesprochen, der in Seiner Inkarnation als Vyāsadeva diese bedeutende philosophische Abhandlung zusammenfaßte. Da Vyāsadeva eine Inkarnation des Höchsten Herrn ist, kann Er nicht mit einem gewöhnlichen Menschen verglichen werden, der, wie jede bedingte Seele, mit vier Unvollkommenheiten behaftet ist: 1) Fehler zu begehen, 2) falsche Vorstellungen zu haben, 3) die Neigung zu besitzen, andere zu betrügen, und 4) begrenzte Sinne zu haben. Wenn wir von einer Inkarnation Gottes sprechen, so müssen wir wissen, daß sie transzendental zu den obengenannten Unvollkommenheiten des bedingten Lebewesens ist. Aus diesem Grunde muß alles, was von Vyāsadeva geschrieben und gesprochen wurde, als vollkommen angesehen werden. Die Upaniṣaden und das Vedānta-sūtra befassen sich mit dem gleichen Thema wie Vyāsadeva, nämlich der Absoluten Wahrheit. Wenn wir die wichtigen Aussagen des Vedānta-sūtra und der Upaniṣaden ohne Interpretation annehmen, werden wir ein tiefes Verständnis von der Absoluten Wahrheit bekommen. Śaṅkarācāryas Kommentar hingegen enthält nur indirekte Formulierungen und ist deshalb für den gewöhnlichen Menschen äußerst gefährlich; jeder nämlich, der beginnt, die Upaniṣaden auf eine indirekte und irreführende Weise zu verstehen, wird praktisch der Möglichkeit beraubt, spirituelle Verwirklichung zu erlangen.«

Nach den Aussagen des Skaṇḍa Purāṇa und des Vāyu Purāṇa bedeutet »sūtra« eine kompakte Folge von Worten, die völlig frei von Fehlern und Irrtümern ist und deren Bedeutungen und Inhalte von unermeßlicher spiritueller Kraft sind. Mit »Vedānta« ist das Ende des vedischen Wissens gemeint. Mit anderen Worten: Jede Schrift, die sich mit dem Ziel aller Veden befaßt, wird Vedānta genannt. Die Bhagavad-gītā z. B. zählt auch zum Vedānta, denn in ihr sagt der Herr, daß Er das Ziel aller vedischen Schriften ist (Bg. 15.15). Ebenso wird auch das Śrīmad-Bhāgavatam als Vedānta angesehen, denn sein einziges Thema ist Śrī Kṛṣṇa.

Die Transzendenz kann mit Hilfe von drei Arten des Wissens verwirklicht werden, die unter den Oberbegriff »prasthāna-trai« fallen. Wissen, das von den vedischen Schriften wie den Upaniṣaden bestätigt wird, gilt als ṣruti-prasthāna, und Wissen, das aus maßgeblichen Büchern bezogen wird, die sich ebenfalls mit der Absoluten Wahrheit befassen, und die von befreiten Seelen wie Vyāsadeva geschrieben wurden, wird »nāya-prasthāna« genannt. Zu diesen Büchern zählt man z. B. die Bhagavad-gītā, das Mahābhārata und die Purāṇas (ganz besonders das Śrīmad-Bhāgavatam, das Mahā Purāṇa).

Die Veden gingen ursprünglich aus dem Atem Nārāyaṇas hervor, und Vyāsadeva, der eine Inkarnation der Energie Nārāyaṇas ist, faßte später das Vedānta-sūtra zusammen. In Śaṅkaras Kommentar taucht jedoch fälschlich der Name Apāntartamā Ṛṣi auf, von dem ebenfalls behauptet wird, er habe die Aphorismen des Vedānta geschrieben.

In den ersten beiden Kapiteln des Vedānta-sūtra wird die Beziehung des Lebewesens zum Höchsten Herrn erklärt, und im 3. Kapitel der Vorgang des gottgeweihten Dienens. Das 4. Kapitel handelt vom Ergebnis des gottgeweihten Dienens.

Das Śrīmad-Bhāgavatam ist der natürliche Kommentar zum Vedānta-sūtra. Alle großen ācāryas der vier Vaiṣṇava-Gemeinschaften, nämlich Rāmānujācārya, Madhvācārya, Viṣṇu Svāmī und Nimbarka Svāmī haben Kommentare zum Vedānta-sūtra verfaßt, wobei sie den im Śrīmad-Bhāgavatam dargelegten Prinzipien folgten. Darüber hinaus gibt es noch viele Bücher, die von den Nachfolgern der ācāryas geschrieben wurden, und die sich ebenfalls auf die Prinzipien des Śrīmad-Bhāgavatam stützen. Śaṅkarācāryas Kommentar zum Vedānta-sūtra, der als Śārīraka-bhāṣya bekannt ist, wird von den Anhängern der Unpersönlichkeitslehre sehr geschätzt; doch seine Interpretationen, die von einem materialistischen Standpunkt ausgehen, widersprechen völlig der transzendentalen Philosophie des hingebungsvollen Dienens für den Herrn. Aus diesem Grunde sagte Śrī Caitanya, daß der direkte Kommentar zu den Upaniṣaden und dem Vedānta-sūtra den einzigen Weg zum wirklichen spirituellen Verständnis bilde, und daß jeder, der dem Śārīraka-bhāṣya-Kommentar Śaṅkarācāryas, und nicht dem direkten Pfad, folge, verloren sei.

Śrī Kṛṣṇa Caitanya erklärte weiter, daß Śaṅkarācārya eine Inkarnation Śivas gewesen sei, der zu den großen Gottgeweihten, den mahājanas der Bhāgavata-Lehre zähle. Es gibt zwölf bedeutende Autoritäten im hingebungsvollen Dienen, die mahājanas, und Śiva ist eine von ihnen. - Doch warum lehrte er dann die Māyāvāda-Philosophie? Im Padma Purāṇa finden wir eine Erklärung hierfür, die von Śiva selbst gegeben wird; er sagt: »Die Māyāvāda-Philosophie ist in Wirklichkeit nichts anderes als verschleierter Buddhismus.« Mit anderen Worten: In der Philosophie der Unpersönlichkeitsanhänger wird mit kleinen Abweichungen noch einmal die buddhistische Lehre vom »Nichts« wiederholt. Im Gegensatz zu den Buddhisten behaupten die Māyāvādīs jedoch, ihre Lehre beruhe auf den Schlußfolgerungen der Veden. Śiva erklärt im Padma Purāṇa weiter, daß er im Zeitalter des Kali als brāhmaṇa-Junge die Māyāvāda-Philosophie verkündet, um die Atheisten in die Irre zu führen, und sagt dann: »In Wirklichkeit hat der Höchste Persönliche Gott einen transzendentalen Körper, doch ich beschreibe den Höchsten als unpersönlich. Und auch das Vedānta-sūtra erkläre ich im Sinne der Māyāvāda-Philosophie.«

Im Śiva Purāṇa sagt der Höchste Herr persönlich zu diesem Thema: »Am Anfang des Dvāpara-yuga wird es auf Meine Anweisung hin viele Weise geben, die die Menschen mit der Māyāvāda-Philosophie verwirren werden.« Im Padma Purāṇa erklärt Śiva der Bhāgavatī Devi: »Ich verkünde von Zeit zu Zeit die Māyāvāda-Philosophie, um diejenigen zu verwirren, die unter dem Einfluß der Erscheinungsweise der Unwissenheit stehen. Doch auch Menschen, die sich in der Erscheinungsweise der Reinheit befinden, fallen herunter, wenn sie dieser Philosophie Gehör schenken. In meiner Lehre behaupte ich, das Lebewesen und der Höchste Herr seien eins.«

Sadānanda Yogīndra, einer der größten Māyāvādī-ācāryas schrieb in Seinem Buch Vedānta-sāra folgendes: »Die Absolute Wahrheit, die aus Ewigkeit, Wissen und Glückseligkeit besteht, ist das Brahman. Unwissenheit und all das, was aus Unwissenheit hervorgeht, ist Nicht-Brahman, denn alles, was von den drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur geschaffen wird, unterscheidet sich von der Höchsten Ursache. Unwissenheit zeigt sich sowohl individuell als auch kollektiv. Die kollektive Unwissenheit bezeichnet man als »visuddhasatva-pradhāna«. Wenn sich diese visuddhasatva-pradhāna in der materiellen Natur manifestiert, nennt man sie »der Höchste Herr«, und dieser Höchste Herr wiederum manifestiert ebenfalls alle möglichen Arten von Unwissenheit. Daher ist Er auch als Sarvajana bekannt.« Die Māyāvādīs behaupten also, auch der Herr sei ein Produkt der materiellen Natur, und die Lebewesen befänden sich auf der tiefsten Stufe der Unwissenheit. Diese These bildet den Kern ihrer Philosophie.

Wenn wir jedoch die wirkliche Bedeutung der Upaniṣaden, ohne falsche Interpretation, vernehmen, werden wir schon sehr bald erkennen, daß der Höchste Gott eine Person mit unbegrenzter Macht ist. In der Bṛhad-ārṇyak Upaniṣad z. B. wird gesagt, daß der Höchste Persönliche Gott der Ursprung alles Existierenden ist, und daß Er mannigfache verschiedene Energien besitzt; es heißt dort: »Der Höchste Persönliche Gott ist transzendental zur kosmischen Manifestation, die unter der Aufsicht der ewigen Zeit und der materiellen Energie geschaffen wurde. Er ist der Ursprung aller Religiosität; Er ist der höchste Befreier, und Er birgt alle Füllen in Sich. Ich habe nur einen Wunsch - den Höchsten Persönlichen Gott zu verstehen, der so freigiebig wie die Sonne Seine verschiedenen Energien überall hin verbreitet, während Er Selbst Sich jenseits der Wolke der kosmischen Manifestation befindet. Er ist der Meister aller Meister und der Erhabenste aller Erhabenen. Er ist als der Höchste Herr bekannt, der Persönliche Gott, und Seine mannigfaltigen Energien und Kräfte wirken überall und sind alldurchdringend.«

Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß Viṣṇu die höchste Person ist, und daß sich alle Heiligen danach sehnen, Seine Lotosfüße zu sehen. In der Aitariya Upaniṣad wird erklärt, daß der Herr so mächtig ist, daß Er nur einen Blick über die materielle Natur zu werfen brauchte, um die gesamte kosmische Manifestation zu erschaffen. Das gleiche wird auch in der Praṣna Upaniṣad bestätigt.

Wenn in manchen vedischen Schriften wie z. B. der Apandi-pada gesagt wird, daß der Herr formlos ist, so soll dies lediglich darauf hinweisen, daß der Herr keinen materiellen Körper und deshalb auch keine materielle Form hat. Der Herr besitzt einen ganz und gar spirituellen Körper, eine völlig transzendentale Gestalt. Die Māyāvādī-Philosophen können die transzendentale Persönlichkeit des Höchsten Herrn nicht verstehen, und erklären deshalb in ihrer Unwissenheit, der Höchste Gott sei unpersönlich. Doch der Herr Selbst, Sein Name, Seine Gestalt, Seine Eigenschaften, Seine Gefährten, Sein Reich und alles, was sonst noch zu ihm gehört, befinden sich in der transzendentalen Welt. Wie könnte Er also ein Produkt der materiellen Natur sein? Alles in Verbindung zum Höchsten Herrn ist ewig, glückselig und voller Wissen.

Śaṅkarācārya verbreitete die Māyāvāda-Philosophie nur, um die Atheisten zu verwirren. In Wirklichkeit meinte er niemals, daß der Höchste Herr, der Persönliche Gott, unpersönlich bzw. ohne Körper und formlos sei. Intelligente Menschen sollten es daher vermeiden, Vorträgen über die Māyāvāda-Philosophie beizuwohnen. Wir sollten uns eindeutig dessen bewußt sein, daß der Höchste Persönliche Gott Śrī Viṣṇu niemals unpersönlich ist. Er ist eine völlig transzendentale Person, und in Seiner Energie ruht die gesamte kosmische Manifestation. Die Māyāvādī-Philosophen wollen nicht anerkennen, daß der Herr Energien besitzt, obwohl alle vedischen Schriften zahlreiche Beispiele für die unterschiedlichen Manifestationen der Energien des Herrn anführen. Viṣṇu ist also keinesfalls eine Manifestation der materiellen Natur, sondern vielmehr ist die materielle Natur eine Manifestation der Energien Viṣṇus. Die Māyāvādīs propagieren in ihrer Unwissenheit genau das Gegenteil. Sie glauben, Viṣṇu sei ein Produkt der materiellen Natur. Wenn dies der Fall wäre, müßte Er zu den vielen Halbgöttern gezählt werden - und wer Viṣṇu mit den Halbgöttern auf eine Stufe stellt, befindet sich in finsterster Unwissenheit. In der Bhagavad-gītā wird die hoffnungslose Lage solcher irregeführten Spekulanten erklärt; Kṛṣṇa sagt dort: »Meine materielle Energie ist so mächtig, daß es sogar für den größten Gelehrten unmöglich ist, ihrem Bann zu entkommen.«

20. KAPITEL

Caitanya

Die Māyāvādī-Philosophen werden überzeugt

Aus den vedischen Schriften erfahren wir, daß Śrī Kṛṣṇa oder Viṣṇu nicht zur materiellen, sondern zur spirituellen Welt gehört. Jeder, der Ihn als einen Halbgott der materiellen Welt bezeichnet, macht sich eines großen Vergehens schuldig, denn er beleidigt damit den Höchsten. Śrī Viṣṇu kann weder mit den groben Sinnen noch durch intellektuelles Spekulieren erkannt werden. Zwischen Seinem Körper und Seiner Seele besteht kein Unterschied, wie es bei einer Person in der materiellen Welt der Fall ist.

Weil das Lebewesen von höherer Natur ist, genießt es die qualitätsmäßig niedere Materie. Es kann jedoch niemals Viṣṇu genießen, denn der Höchste Herr hat nicht das geringste mit der materiellen Energie zu tun. Niemand sollte denken, er könne den Höchsten Persönlichen Gott zum Gegenstand seiner Spekulationen machen und Ihn genießen. Vielmehr ist es allein Viṣṇu vorbehalten, »Genießer« zu sein - alles Erschaffene, auch die Lebewesen, ist zu Seiner Freude bestimmt. Wenn jemand dennoch versucht, Viṣṇu auszubeuten, lädt er das denkbar größte Vergehen auf sich, denn die größte Blasphemie besteht darin, zu glauben, Viṣṇu und die Lebewesen befänden sich auf der gleichen Ebene.

Die Höchste Absolute Wahrheit, der Persönliche Gott, kann mit einem Feuer verglichen werden, von dem die individuellen Lebewesen wie Funken ausgehen. Der Höchste Herr und die Lebewesen sind zwar von gleicher Qualität, doch Viṣṇu ist unbegrenzt, wohingegen die Lebewesen winzig klein sind. Weil die winzigen Lebewesen ursprünglich von der unendlich großen spirituellen Person ausgehen, haben sie in ihrer wesenseigenen Position als unendlich kleine spirituelle Seelen nicht das geringste mit Materie zu tun.

Die Lebewesen sind nicht annähernd so groß wie Nārāyaṇa, Viṣṇu, der Sich jenseits der materiellen Welt befindet. Selbst Śaṅkarācārya bestätigte, daß Nārāyaṇa transzendental zur materiellen Schöpfung ist. Weder Viṣṇu noch die Lebewesen gehören also zur materiellen Welt.

Aufgrund der unbegrenzten Wünsche des Höchsten Persönlichen Gottes gibt es die spirituelle Welt, und aufgrund der begrenzten Verlangen der Lebewesen existiert die materielle Welt. Wenn die Lebewesen ihr Verlangen nach materiellem Genuß erfüllen, werden sie als jīva ṣakti »bedingte Seelen« bezeichnet; doch wenn sie sich den Wünschen des Unbegrenzten anpassen, werden sie »befreite Seelen« genannt.

Man mag sich vielleicht fragen, warum die kleinen begrenzten Teilchen des spirituellen Ganzen überhaupt erschaffen wurden. Die Antwort lautet: Dies zeigt die Vollkommenheit der Höchsten Absoluten Wahrheit, die sowohl unbegrenzt als auch begrenzt ist. Wäre Er nur unbegrenzt, aber nicht begrenzt, könnte Er nicht vollkommen sein. Der unbegrenzte Teil ist der Höchste Absolute Persönliche Gott, und die begrenzten Teilchen sind die Lebewesen. Damit wäre beantwortet, warum Gott die Lebewesen schuf: Der Unbegrenzte muß notwendigerweise auch winzig kleine Teilchen haben. Sie sind untrennbare Teile der Höchsten Seele.

Weil die Lebewesen winzige individuelle Teile des Höchsten sind, kann zwischen ihnen und dem Höchsten ein Austausch von Gefühlen stattfinden. Gäbe es keine winzig kleinen Lebewesen, so wäre der Höchste Herr inaktiv, was bedeuten würde, daß es im spirituellen Leben keine Mannigfaltigkeit gäbe; denn wie es ohne Untertanen keinen König geben könnte, so könnte es ohne Lebewesen keinen Höchsten Gott geben. Das Wort »Herr« verlöre seine Bedeutung, wenn es niemanden gäbe, den Er »beherrschen« könnte. Dazu ist es wichtig zu verstehen, daß die Lebewesen Erweiterungen der Energie des Höchsten Herrn sind, und daß der Höchste Herr, Śrī Kṛṣṇa, der Ursprung dieser Energie ist. In allen vedischen Schriften, wie z. B. der Bhagavad-gītā und im Viṣṇu Purāṇa, gibt es zahllose Textstellen, die darauf hinweisen, daß die Energie und der Energie-Ursprung voneinander verschieden sind.

In der Bhagavad-gītā wird im 5. Vers des Siebten Kapitels eindeutig gesagt, daß die materielle Welt aus den fünf grobstofflichen Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther und den drei feinstofflichen Elementen Geist, Intelligenz und falsches Ich besteht. Die gesamte materielle Natur setzt sich aus diesen acht Elementen der niederen Energie zusammen, die auch māyā (Illusion) genannt wird. Doch über diesen acht Elementen der niederen Natur, der aparā prakṛti, gibt es noch eine andere, höhere Natur, die als parā prakṛti bezeichnet wird. Diese parā prakṛti bilden die Lebewesen, die überall in der materiellen Welt existieren. Der Höchste Herr ist als die Absolute Wahrheit der Ursprung aller Energien - sowohl der höheren als auch der niederen. Wenn die höhere Energie zeitweilig manifestiert oder vom Schatten der Illusion bedeckt wird, nennt man sie māyā-ṣakti. Die gesamte kosmische Manifestation ist ein Produkt dieser māyā-ṣakti.

In ihrer wesenseigenen Position sind die Lebewesen transzendental zur niederen Energie und leben ein reines, spirituelles Leben mit einer reinen Identität und reinen Gedanken. Im ursprünglichen Zustand befinden sich der Geist, die Intelligenz und die Identität des Lebewesens außerhalb des Einflußbereiches der materiellen Welt; doch wenn das Lebewesen durch sein Verlangen, über Materie zu herrschen, die materielle Welt betritt, werden sein reiner Geist, seine reine Intelligenz und sein spiritueller Körper von der materiellen Energie überdeckt. Sowie der Schleier der materiellen bzw. niederen Energie wieder entfernt ist, ist das Lebewesen befreit; wenn es befreit ist, besitzt es kein falsches Ich mehr, und sein wirkliches Ich kommt zum Vorschein. Törichte Spekulanten denken, das Lebewesen verliere bei der Befreiung seine Identität, doch dies ist ein gewaltiger Irrtum. Weil das Lebewesen ewiglich ein individuelles Teil des Herrn ist, erlangt es vielmehr bei der Befreiung seine ursprüngliche Identität wieder als ewiges Bestandteil des Höchsten. Aham brahmāsmi - »Ich bin nicht der Körper, ich bin Brahman« - bedeutet keinesfalls, daß man bei der Befreiung seine Identität verliert. Im bedingten Leben identifiziert sich das Lebewesen mit Materie, doch bei seiner Befreiung wird es verstehen, daß es nicht aus Materie besteht, sondern aus spiritueller Energie, daß es Seele ist, Teil des unbegrenzten Ganzen. Kṛṣṇa-bewußt zu werden, d. h. das ursprüngliche Bewußtsein wiederzuerlangen und im liebevollen transzendentalen Dienst für Śrī Kṛṣṇa tätig zu sein, ist wirkliche Befreiung. Im Viṣṇu Purāṇa wird im 7. Vers des 6. Kapitels unmißverständlich gesagt: »Die Energien des Höchsten Herrn manifestieren sich als parā, kṣetrajña und avidya.« Die parā-Energie ist die direkte Energie des Höchsten Herrn; unter der kṣetrajña-Energie versteht man die Lebewesen, und die avidya-Energie manifestiert sich als materielle Welt bzw. māyā. Die materielle Energie wird avidya (Unwissenheit) genannt, weil ein Lebewesen unter ihrem Einfluß seine eigentliche Identität und seine Beziehung zum Höchsten Herrn vergißt. Das Lebewesen, auch jīva genannt, bildet ebenfalls eine der Energien des Höchsten Herrn und ist als solches ein kleines Bestandteil des Höchsten. Wer also den Fehler begeht, die winzige jīva mit dem unbegrenzten Höchsten gleichzusetzen, und versucht, diesen Irrtum damit zu begründen, daß beide Brahman, d. h. spirituell seien, stiftet nur Verwirrung.

Die Māyāvādī-Philosophen müssen, wenn sie von einem gelehrten Vaiṣṇava gefragt werden, weshalb die Lebewesen in die materielle Welt verstrickt worden seien, wenn sie doch angeblich Gott-gleich seien, die Antwort schuldig bleiben. Sie sagen zwar, das Lebewesen sei aufgrund von Unwissenheit bedingt, doch können sie nicht erklären, wie der Höchste von dieser Unwissenheit befleckt worden sein soll. Die wirkliche Antwort lautet: »Die Lebewesen sind nur winzig klein, und keineswegs unbegrenzt, obgleich sie dieselben Eigenschaften wie der Höchste haben. Wären sie unbegrenzt, könnten sie niemals von Unwissenheit bedeckt werden, doch weil sie nur winzig klein sind, kann eine andere Energie sie bedecken. Den Unverstand und die Unwissenheit der Māyāvādī-Philosophen kann man daran erkennen, daß sie versuchen zu erklären, das Unbegrenzte werde von Unwissenheit bedeckt. Mit dieser Behauptung begehen sie übelste Blasphemie.

Obwohl Śaṅkarācārya versuchte, mit seiner Māyāvāda-Philosophie die Wahrheit über den Höchsten Herrn zu verschleiern, führte er doch nur den Befehl des Höchsten Herrn aus, denn seine Lehre war eine zeitgegebene Notwendigkeit - keineswegs eine bleibende Wahrheit.

Im Vedānta-sūtra wird von Anfang an zwischen der Energie und dem Ursprung der Energie unterschieden. Der erste Aphorismus erklärt eindeutig, daß die Höchste Absolute Wahrheit der Ursprung aller Erweiterungen ist. Śaṅkarācārya behauptete unverfroren, die Höchste Absolute Wahrheit könne nicht unverändert bleiben, weil alle Dinge Umwandlungen der Absoluten Wahrheit seien. Doch diese Schlußfolgerung ist nicht richtig, denn es ist eine ewige Tatsache, daß die Höchste Absolute Wahrheit stets unverändert bleibt - obwohl unzählige Energien von Ihm ausgehen. Śaṅkarācāryas Theorie, nach der die gesamte Manifestation nur Illusion ist, muß daher als falsch bezeichnet werden. Rāmānujācārya erklärte zu diesem Punkt: »Die Unpersönlichkeitsphilosophen argumentieren, daß, wenn es vor der Schöpfung der materiellen Welt nur Ihn, die Absolute Wahrheit gab, nur dadurch die vielen Lebewesen aus Ihm hervorgegangen sein könnten, daß Er Sich Selbst umwandelte. Wie sonst könnte Er, der Er doch allein war, all die Lebewesen erschaffen haben?« Zu dieser Streitfrage erklären die Upaniṣaden, daß alles von Ihm, der Absoluten Wahrheit, manifestiert wurde, daß alles von Ihm erhalten wird, daß nach der Vernichtung alles wieder in Ihn zurückkehrt, und daß Er, eben weil Er absolut ist, dennoch stets der Gleiche bleibt. Aus dieser Aussage der Upaniṣaden geht eindeutig hervor, daß die Lebewesen bei ihrer Befreiung in die Höchste Existenz eingehen, ohne ihre ursprüngliche Identität zu verlieren oder aufzuhören, aktiv zu sein.

Wir sollten niemals vergessen, daß der Höchste Herr der mächtigste Schöpfer ist. Auch die winzigen Lebewesen haben gewisse schöpferische Fähigkeiten, die nach der Befreiung nicht etwa verlorengehen, sondern im Gegenteil erst dann wirklich zur Entfaltung kommen. Wenn das Lebewesen schon im bedingten Zustand existent und aktiv ist, wie könnte es dann jemals in seinem befreiten Zustand ins Nichts eingehen, wie es die Māyāvādīs behaupten? Das Eingehen in den Höchsten muß so verstanden werden wie das Fliegen eines Vogels in den Wipfel eines Baumes, das Eintreten eines Tieres in den Wald oder das Verschwinden eines Flugzeugs am Himmel. Das Lebewesen verliert also niemals seine spirituelle Individualität.

In seinem Kommentar zum 1. Kapitel des Vedānta-sūtra versucht Śaṅkarācārya unberechtigterweise aufzuzeigen, das Brahman bzw. die Höchste Absolute Wahrheit sei unpersönlich. In ähnlicher Weise versuchte er später sehr geschickt, aus der »Lehre von Ursprung und Produkt« eine »Lehre von der Umwandlung« zu machen. Doch in Wirklichkeit verändert oder wandelt Er, die Höchste Absolute Person, Sich niemals. Er läßt vielmehr durch Seine unvorstellbare Macht alle Manifestationen als Produkte Seiner Energien entstehen. Um die Lehre von der Umwandlung zu rechtfertigen, führt Śaṅkarācārya das Beispiel vom rohen Holz an, aus dem ein Stuhl angefertigt wird. Nach seiner Erklärung muß die Absolute Wahrheit Sich umwandeln, um etwas zu erzeugen, so wie das Holz verwandelt wird, damit ein Stuhl entsteht. Im gleichen Sinne gebraucht Śaṅkara das Beispiel von der Milch, die sich in Yoghurt umwandelt. Wir können zwar tatsächlich feststellen, daß die Lebewesen und die kosmische Manifestation nicht von der Absoluten Wahrheit verschieden sind, wenn wir in diesem Sinne die Dinge betrachten, doch sind diese beiden Beispiele im Grunde nicht zutreffend, da sie sich auf Relatives beziehen. - Warum aber sollte die Höchste Person, die doch absolut ist, Sich wandeln müssen, um etwas zu erzeugen? Die vedischen Schriften erklären deshalb, daß die Absolute Wahrheit mannigfache Energien besitzt; die Lebewesen und die kosmische Manifestation bilden nur einen kleinen Teil dieser Energien. Da Energien niemals vom Energieursprung getrennt werden können, sind auch die Erweiterungen der Energien des Höchsten Absoluten, d. h. die Lebewesen und die kosmische Manifestation, als Teile der Absoluten Wahrheit zu betrachten. Keinem vernünftigen Menschen wird es schwerfallen, diese Schlußfolgerungen über die Absolute Wahrheit und die relativen Wahrheiten anzunehmen.

Die Höchste Absolute Wahrheit besitzt unvorstellbare Energien, und durch diese mächtigen Energien wurde auch die kosmische Manifestation geschaffen. Mit anderen Worten: Die Höchste Absolute Wahrheit ist die Grundsubstanz, aus der die Lebewesen und die kosmische Manifestation als Produkte hervorgegangen sind. In der Taittiriya Upaniṣad heißt es dazu: yato va imāni bhūtāni jayande, was unmißverständlich darauf hinweist, daß die ursprüngliche Absolute Wahrheit die Gesamtheit aller Bestandteile enthält, und daß die materielle Welt und alle Lebewesen aus diesen Bestandteilen entstanden sind.

Weniger intelligente Menschen, die das Prinzip von der Ursache und den Produkten nicht begreifen können, verstehen auch nicht, daß die kosmische Manifestation und die Lebewesen zur gleichen Zeit eins mit und doch verschieden von der Absoluten Wahrheit sein können. Wenn man dann, ohne diese Wahrheit zu verstehen, zu dem Schluß kommt, daß die kosmische Manifestation und die Lebewesen Trug sind, indem man sich, wie Śaṅkarācārya, auf Beispiele wie die Verwechslung eines Seils mit einer Schlange oder glänzenden Perlmutts mit Gold beruft, betrügt man sich selbst und andere. Diese Beispiele, die man in der Māṇḍūkya Upaniṣad findet, werden in ganz anderen Zusammenhängen gebraucht und sind folgendermaßen zu verstehen: Das Lebewesen ist seiner ursprünglichen Beschaffenheit nach reine spirituelle Seele, doch wenn es sich mit dem materiellen Körper identifiziert, gleicht es einem, der ein Seil mit einer Schlange oder Perlmutt mit Gold verwechselt. In Wirklichkeit ist das Lebewesen nicht mit dem Körper identisch; hält man sich dennoch für den Körper, so wird man auch der These zustimmen, daß alles eine Umwandlung des ursprünglichen Zustands ist. Diese falsche Vorstellung stellt zweifellos eine Verunreinigung dar, der praktisch jede bedingte Seele unterliegt.

Das bedingte Leben ist ein krankhafter Zustand, denn eigentlich wandeln sich weder das Lebewesen noch die ursprüngliche Ursache der kosmischen Manifestation. Diese Irrtümer und falschen Argumente können deshalb nur einen Menschen überwältigen, der die unvorstellbaren Energien und Aktivitäten des Höchsten vergessen hat.

Selbst in der materiellen Welt gibt es viele Beispiele für die Unzulänglichkeit der Lehre von der Umwandlung des ursprünglichen Zustandes. Die Sonne z. B. erzeugt schon seit unvordenklichen Zeiten unbegrenzte Energien, und es entstehen viele Produkte aus ihren Strahlen, wie z. B. Bäume und Pflanzen, aber dennoch verändert sich ihre Konstitution niemals. Wenn schon die Sonne, die nur aus materieller Energie besteht, ihren ursprünglichen Zustand beibehalten kann, obwohl so viel Energie von ihr ausgeht, ist es nicht schwierig zu verstehen, daß auch Er, die Höchste Absolute Wahrheit, Sich niemals verändert, obgleich Er durch Seine unvorstellbare Energie unzählige Produkte erzeugt. Die vedischen Schriften berichten uns vom Stein der Weisen, der einfach durch Berührung Eisen in Gold verwandelt. Schon ein einziger Stein kann unbegrenzte Mengen Gold erzeugen, ohne sich jemals dabei zu verändern. Nicht nur diese Beispiele, sondern auch viele Belege aus den Schriften zeigen deutlich, wie sehr sich die Māyāvādī-Philosophen mit ihrer Theorie irren, nach der die kosmische Manifestation und die Lebewesen Trug oder Illusion sind.

Kein vernünftiger Mensch wird also behaupten, die Absolute Wahrheit habe etwas mit Unwissenheit oder Illusion zu tun, denn Er ist ja in jeder Hinsicht absolut und kann Sich deshalb nie ändern, geschweige denn in Illusion oder gar Unwissenheit geraten. Die Höchste Absolute Wahrheit ist stets transzendental und läßt Sich durch keine materielle Vorstellung erfassen. Es sollte deshalb nicht schwerfallen zu verstehen, daß die Höchste Absolute Wahrheit unvorstellbar mächtige Energien besitzt und stets unverändert bleibt.

In der Śvetāṣvatara Upaniṣad wird gesagt, daß der Höchste Absolute Persönliche Gott von unzähligen und unvorstellbaren Energien erfüllt ist wie kein Zweiter. Wenn man jedoch die unvorstellbaren Energien für das Höchste hält, kann man leicht denken, die Höchste Absolute Wahrheit sei unpersönlich. Diesem Trugschluß kann nur ein Lebewesen unterliegen, das sich in einem höchst krankhaften Zustand befindet. Auch im Śrīmad-Bhāgavatam und in der Brahma-saṁhitā wird mehrfach bestätigt, daß der Höchste Ātma, der Herr, unvorstellbare und unzählige Energien besitzt.

In der Absoluten Wahrheit kann es keine Unwissenheit geben, denn Unwissenheit und Wissen sind Begriffe, die nur in der Welt der Dualität zu finden sind - im Absoluten jedoch kann es nicht die geringste Spur von Unwissenheit geben. Daher ist es eine große Dummheit zu glauben, die Absolute Wahrheit werde von Unwissenheit bedeckt. Wie könnte die Absolute Wahrheit als absolut bezeichnet werden, wenn Unwissenheit Sie bedecken könnte? Man kann für die Dualität der materiellen Welt nur dann eine Erklärung finden, wenn man die unvorstellbaren Energien des Absoluten anerkennt. Mit anderen Worten: Die unermeßlichen Energien des Absoluten sind die Ursache für die Dualität. Durch Seine unvorstellbare Energie schafft die Absolute Wahrheit, ohne Sich auch nur im geringsten zu verändern, die gesamte kosmische Manifestation und die Lebewesen. Er gleicht in dieser Hinsicht dem Stein der Weisen, der unbegrenzte Mengen Gold produzieren kann, ohne sich zu wandeln. Da die Absolute Wahrheit über solch unvorstellbare Energie verfügt, ist es nur töricht, zu glauben, Er könnte von Unwissenheit überwältigt werden. Selbst die Mannigfaltigkeit, die in Ihm existiert, ist ein Ergebnis dieser unvorstellbaren Energie, und somit gibt es keinen Zweifel daran, daß die kosmische Manifestation ein Produkt der unermeßlichen Energie des Höchsten ist. Und wenn wir erkennen, daß der Höchste Herr diese unvergleichliche Energie besitzt, gibt es für uns keine Dualität mehr.

Die Energie, die vom Höchsten Herrn ausgeht, ist ebenso Realität wie der Höchste Herr Selbst. Es ist also völlig falsch zu glauben, der Höchste Herr müsse Sich Selbst wandeln, um Seine höchste Energie zu manifestieren. In diesem Zusammenhang läßt sich noch einmal das Beispiel vom Stein der Weisen anführen, der unverändert bleibt, obwohl er unbegrenzte Mengen Gold erzeugt. Die Weisen bezeichnen daher den Höchsten als »das allem Existierenden zugrundeliegende Element« oder »als die Ursache der kosmischen Manifestation«.

Das Beispiel des Mannes, der ein Seil mit einer Schlange verwechselt, findet auch hier seine Anwendung: Wenn man ein Seil für eine Schlange hält, ist dies ein Beweis dafür, daß man weiß, wie eine Schlange aussieht. Wie sonst könnte man das Seil mit einer Schlange verwechseln? Daher ist der Gedanke an eine Schlange an sich nicht falsch. Falsch ist lediglich, daß man das Seil für eine Schlange hält. Wenn jemand fest davon überzeugt ist, daß das Seil vor ihm eine Schlange ist, befindet er sich in Unwissenheit. Doch die Vorstellung, daß es eine Schlange gibt, ist an sich keine Unwissenheit. Ein anderes Beispiel mag dies verdeutlichen. Wenn man z. B. glaubt, das Wasser in der Fata Morgana sei wirkliches Wasser, ist das ein Irrtum; doch das bedeutet nicht, daß es kein Wasser gibt. Wasser ist Wirklichkeit, doch der Gedanke, es gebe Wasser in der Wüste, ist eine Täuschung. Ebenso ist auch die kosmische Manifestation keineswegs falsch, wie Śaṅkarācārya behauptet. Nichts in der materiellen Welt ist falsch. Jeder, der die Māyāvāda-Theorie akzeptiert und glaubt, die materielle Manifestation sei unwirklich, zeigt damit, daß er sich in größter Unwissenheit befindet. Im Gegensatz zu solchen Unwissenden erkennen die Vaiṣṇava-Philosophen, daß die kosmische Manifestation ein Produkt der unvorstellbaren Energie des Herrn ist.

Das wichtigste Wort in den Veden, das Wort »A. U. M.« bzw. »om«, genannt praṇāva omkāra, ist die Klangrepräsentation des Höchsten Herrn. Deshalb ist das omkāra als die erhabenste Klangschwingung anzusehen. Śaṅkarācārya jedoch verkündete fälschlich, tat tvam asi sei die höchste Klangschwingung der Veden. Omkāra ist die Quelle aller Energien des Höchsten Herrn, und somit unterlag Śaṅkarācārya einem großen Irrtum, als er behauptete, tat tvam asi sei die erhabenste Klangschwingung. Das tat tvam asi ist nämlich nur zweitrangig, denn es ist nur eine teilhafte Repräsentation der Veden. In der Bhagavad-gītā betont der Höchste Herr ganz besonders die Wichtigkeit des omkāra, und auch im Atharva-veda und in der Māṇḍūkya Upaniṣad wird auf das omkāra besonders hingewiesen. Ebenso mißt Śrīla Jīva Gosvāmī dieser erhabenen Klangschwingung in seiner Bhāgavata-sandharbha große Bedeutung bei. Er erklärt dort: »Das omkāra ist die vertraulichste Klangrepräsentation des Höchsten Herrn.« Die Klangrepräsentation oder der Name des Höchsten Herrn sind mit Ihm Selbst identisch. Wenn man daher ständig Klangschwingungen wie »om« oder »Hare Kṛṣṇa. Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantet, kann man von der Verunreinigung durch die materielle Welt befreit werden. Im Nārada-pañcarātra wird dazu gesagt, daß der Höchste auf der Zunge einer bedingten Seele tanzt, die solche transzendentalen Klangschwingungen chantet, und in der Māṇḍūkya Upaniṣad wird erklärt, daß die spirituelle Sicht dann ihre Vollkommenheit erreicht, wenn man omkāra hinzufügt. In der spirituellen Welt, oder wenn man mit spirituellen Augen sieht, gibt es nichts außer dem omkāra bzw. om, dem Repräsentanten des Herrn. Doch unglücklicherweise lehnte Śaṅkarācārya dieses »om« als das wichtigste Wort ab und erklärte völlig unbegründet tat tvam asi zur erhabensten Klangschwingung der Veden. An dem Umstand, daß er soviel Wert auf das zweitrangige Wort »tat tvam asi« legte, und dabei das wichtigste Wort »omkāra« außer acht ließ, wird deutlich, daß er seine indirekte Interpretation der direkten Interpretation der Schriften vorzog.

21. KAPITEL

Caitanya

Weitere Gespräche mit Prakāṣānanda Sarasvatī

Śrīpāda Śaṅkarācārya entstellte das Kṛṣṇa-Bewußtsein, das im Puruṣa Vedānta beschrieben wird, indem er statt der direkten Interpretation seine eigene Auslegung propagierte. Eigentlich war er nicht dazu berechtigt, denn solange man nicht alle Aussagen des Vedānta-sūtra als für sich selbst sprechend anerkennt, sollte man gar nicht erst versuchen, den Vedānta zu studieren. Die Verse des Vedānta-sūtra nach eigenem Gutdünken auszulegen ist der schlechteste Dienst, den man den in sich selbst vollkommenen Veden erweisen kann.

Das praṇāva omkāra wird als die Klanginkarnation des Höchsten Persönlichen Gottes angesehen und ist als solche ewig, unbegrenzt, transzendental und unzerstörbar. Es, das omkāra, hat keinen Anfang; vielmehr ist Es der Anfang, die Mitte und das Ende alles Existierenden. Wenn man dies verwirklicht hat, erlangt man Unsterblichkeit. Man sollte außerdem wissen, daß Sich das omkāra als die Repräsentation des Höchsten in jedem Herzen befindet. Jeder, der daher versteht, daß omkāra und Viṣṇu eins sind und alles durchdringen, hat niemals Grund zum Klagen, sondern hat die Möglichkeit, selbst wenn er bis dahin ein ṣūdra war, die Vollkommenheit des Lebens zu erreichen.

Das omkāra hat zwar keine materielle Form, doch erweiterte Es Sich ständig ins Unendliche und besitzt daher eine unbegrenzte Form. Wenn man das omkāra versteht, kann man von der Dualität der materiellen Welt befreit und im absoluten Wissen verankert werden. Daher ist das omkāra die segensreichste Repräsentation des Höchsten Herrn.

Man sollte nicht so töricht sein, diese Beschreibung der Upaniṣaden falsch zu interpretieren und zu denken, das omkāra, die Klangrepräsentation des Herrn, befinde Sich nur deshalb in der materiellen Welt, weil der Höchste Gott unfähig sei, persönlich in Seiner ursprünglichen Gestalt unter uns zu erscheinen. Durch diese falsche Interpretation zieht man das omkāra auf die materielle Ebene herab, was leicht zu der Ansicht verleitet, die Lobpreisung des omkāra sei eine maßlose Übertreibung. In Wirklichkeit ist das omkāra ebenso gut wie jede andere Inkarnation des Höchsten Herrn.

Der Herr erscheint in unzähligen Inkarnationen, von denen das omkāra Seine Klanginkarnation ist. Dies wird in der Bhagavad-gītā im 25. Vers des Zehnten Kapitels bestätigt, wo der Höchste Herr sagt: »Von den Silben bin Ich das omkāra«. Das bedeutet, daß das omkāra von Kṛṣṇa nicht verschieden ist. Die Unpersönlichkeitsanhänger machen den Fehler, dem omkāra mehr Bedeutung beizumessen als dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa; doch in Wirklichkeit ist jede Inkarnation, die den Höchsten Herrn repräsentiert, nicht von Ihm verschieden. Eine solche Inkarnation oder Repräsentation ist im absoluten Sinne ebenso gut wie der Höchste Herr Selbst. Das omkāra ist daher die endgültige Repräsentation aller Veden. Die vedischen mantras bzw. Hymnen besitzen nur deshalb transzendentale Kraft, weil sie das omkāra enthalten.

Die Vaiṣṇavas interpretieren das omkāra (A. U. M.) auf folgende Weise: Der Buchstabe »A« weist auf Kṛṣṇā, den Höchsten Persönlichen Gott, hin; der Buchstabe »U« bedeutet Kṛṣṇas ewige Gefährtin, Śrīmatī Rādhārāṇī, und der Buchstabe »M« bezieht sich auf den ewigen Diener des Höchsten Herrn, das Lebewesen. Śaṅkarācārya hielt das omkāra nicht für so wichtig, doch es ist eine Tatsache, daß überall in den Veden, im Rāmāyaṇa, in den Purāṇas und im Mahābhārata wiederholt das om zu finden ist. Mit dieser transzendentalen Klangschwingung wird in allen vedischen Schriften die Herrlichkeit des Höchsten Persönlichen Gottes gepriesen.

Śrī Caitanya verurteilte also entschieden den Versuch Śaṅkarācāryas, den Vedānta indirekt auszulegen, und gab dann Seine direkten Erklärungen ab, die die anwesenden sannyāsīs überaus begeisterten. Nachdem sie die direkte Interpretation des Vedānta-sūtra von Śrī Caitanya vernommen hatten, stand einer der sannyāsīs auf und sagte: » O Śrīpāda Caitanya, Du hast vollkommen recht, wenn Du die indirekten Interpretationen des omkāra ablehnst. Glücklich sind diejenigen, die Deine Erklärungen als die einzig richtigen erkennen. Im Grunde wissen wir alle, daß die Interpretationen Śaṅkaras künstlich sind und lediglich auf seinen eigenen Vorstellungen beruhen, doch weil wir uns der Māyāvādī Sekte zugehörig fühlten, nahmen wir die Erklärungen Śaṅkarācāryas vorbehaltlos als richtig hin. Wir würden uns glücklich schätzen, wenn Du gütigerweise die direkte Interpretation des Vedānta-sūtra weiter fortführen würdest.«

Daraufhin begann Śrī Caitanya, jeden einzelnen Aphorismus des Vedānta-sūtra in seiner wirklichen Bedeutung zu erklären. Dabei gab Er auch eine genaue Definition des Wortes »Brahman«; Er sagte: »Brahman« bedeutet »das Größte«, und mit dem Größten ist der Höchste Persönliche Gott gemeint. Der Größte muß alle sechs transzendentalen Füllen in Sich bergen, und so ist der Höchste Persönliche Gott die Quelle allen Reichtums, allen Ruhms, aller Kraft, aller Schönheit, allen Wissens und aller Entsagung. Als Śrī Kṛṣṇa persönlich auf der Erde gegenwärtig war, entfaltete Er alle diese sechs Füllen. Niemand war reicher als Śrī Kṛṣṇa, und niemand war gelehrter, schöner, stärker, berühmter oder entsagungsvoller als Er. Die Höchste Person, Śrī Kṛṣṇa, ist das Höchste Brahman. Dies wird auch von Arjuna im Zehnten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt, wo er den Herrn als paraṁ brahma, das Höchste Brahman, anspricht. Weil Śrī Kṛṣṇa der paraṁ brahma ist, ist Er die Höchste Absolute Wahrheit, Paratattva. Gleichzeitig sind Sein Reichtum, Sein Ruhm, Seine Kraft, Seine Schönheit, Sein Wissen und Seine Entsagung ohne jede Spur von materieller Verunreinigung. Alle spirituellen und transzendentalen Themen der vedischen Verse und Hymnen beziehen sich eindeutig auf den Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa. Immer wenn das Wort »brahma« in den Veden gebraucht wird, ist also Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, gemeint. Der intelligente Leser ersetzt daher jedesmal das Wort »brahma« durch »Kṛṣṇa«.

Der Höchste Persönliche Gott ist transzendental zu den materiellen Erscheinungsweisen der Natur, und Er besitzt unzählige spirituelle Eigenschaften. Wenn man dennoch behauptet, der Höchste sei unpersönlich, leugnet man damit die Manifestation Seiner spirituellen Energien. Der Höchste Persönliche Gott besitzt zahllose spirituelle Energien; wer also nur die unpersönliche Entfaltung Seiner Energie anerkennt, erkennt Ihn, die Absolute Wahrheit, nicht in Seiner ganzen Fülle an. Wenn man die Absolute Wahrheit vollkommen erkennen will, muß man auch die spirituelle Mannigfaltigkeit miteinbeziehen, die transzendental zu den materiellen Erscheinungsweisen der Natur ist. Die unpersönliche Philosophie ist unvollkommen, denn sie vermeidet es sorgsam, sich mit dem Höchsten Herrn zu befassen.

In allen vedischen Schriften wird einstimmig erklärt, daß man den Höchsten Persönlichen Gott nur durch hingebungsvolles Dienen erkennen kann. Hingebungsvolles Dienen für den Höchsten Herrn beginnt, wenn man von Ihm hört. Es gibt insgesamt neun verschiedene Aktivitäten im gottgeweihten Dienen, von denen Hören die wichtigste ist; danach folgen Chanten, sich an den Herrn erinnern, Ihm dienen, Ihn verehren, Ihm Gebete darbringen, Ihm gehorchen, mit Ihm Freundschaft schließen und Ihm alles hingeben. Auf diese Weise kann man die höchste Vollkommenheit erreichen und den Höchsten Persönlichen Gott verstehen. Die obengenannten neun Vorgänge nennt man abhidheya - die Ausführung des hingebungsvollen Leben.

Die Praxis hat gezeigt, daß jeder, der einmal Kṛṣṇa-Bewußtsein entwickelt hat, nie wieder ein anderes Bewußtsein annehmen will. Die Bewegung für Kṛṣṇa-Bewußtsein gibt jedem die Möglichkeit, seine schlafende Liebe zu Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, wiederzuentwickeln. Die Erweckung der Liebe zu Gott wird auch als das höchste Interesse des Menschen bezeichnet. Jeder, der sich im transzendentalen Dienens im bedingten hingebungsvollen Dienen beschäftigt, kann seine ewige liebevolle Beziehung zu Śrī Kṛṣṇa verwirklichen, und sowie er dann Empfindungen transzendentaler Liebe mit Kṛṣṇa austauscht, wird der Höchste allmählich sein persönlicher Freund. Auf dieser Stufe kann sich der Gottgeweihte seines ewigen und glückseligen Lebens erfreuen. Die einzige Aufgabe des Vedānta-sūtra ist es, die Menschen zu lehren, ihre verlorene Beziehung zum Höchsten Herrn wiederherzustellen, sich im hingebungsvollen Dienen zu beschäftigen und schließlich das höchste Ziel des Lebens, Liebe zu Gott, zu erreichen. Das Vedānta-sūtra lehrt ausschließlich diese drei Prinzipien des transzendentalen Lebens.

Nachdem Śrī Kṛṣṇa Caitanya auf direkte Weise jeden Vers des Vedānta-sūtra erklärt hatte, erhob sich der fortgeschrittenste Schüler Prakāṣānanda Sarasvatīs und pries Śrī Caitanya als den Höchsten Persönlichen Gott Nārāyaṇa. Er bewunderte die Kommentare des Herrn sehr und sagte daher vor allen anderen sannyāsīs: »Deine Erklärungen zu den Upaniṣaden und dem Vedānta-sūtra sind so wunderbar, daß wir ganz vergessen, daß wir zur Māyāvādī-Sekte gehören. Wir müssen zugeben, daß Śaṅkarācāryas Auslegungen imaginär sind. Wir haben diese irreführenden Erklärungen nur aufgrund sektiererischer Überlegungen akzeptiert, doch in Wirklichkeit stellten uns seine Spekulationen niemals so recht zufrieden. Deine Erklärungen jedoch haben uns die Augen geöffnet. Wir erkennen jetzt, daß es nicht genügt, nur in die Lebensstufe des sannyāsa einzutreten, um von der materiellen Verstrickung befreit zu werden. Am meisten aber müssen wir Dir dafür dankbar sein, daß Du uns die Bedeutung des Verses »harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam« deutlich machtest. »Es gibt keine andere Möglichkeit, selbstverwirklicht zu werden, als durch hingebungsvolles Dienen.« Niemand kann aus der Gewalt der materiellen Natur befreit werden, ohne sich im hingebungsvollen Dienen zu beschäftigen. In diesem Zeitalter ist es uns besonders leicht gemacht, denn schon allein durch das Chanten von »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« kann man die höchste Vollkommenheit erreichen.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 14. Kapitel des Zehnten Cantos erklärt, daß ein Mensch, der den Pfad des hingebungsvollen Dienens verläßt und sich statt dessen abplagt, um Wissen zu erlangen, als einziges Ergebnis seiner Anstrengungen die Schwierigkeiten erntet, die er auf sich nehmen muß, um den Unterschied zwischen materieller und spiritueller Natur zu verstehen. Solch ein Mensch wird mit jemandem verglichen, der versucht, Reis aus bereits leergedroschenen Hülsen zu gewinnen - er strengt sich vergeblich an. Daher wird auch in diesem Vers des Śrīmad-Bhāgavatam gesagt, daß jemand, der den hingebungsvollen Dienst für den Herrn aufgibt und sich irrtümlich für befreit hält, niemals die wirkliche Befreiung erreicht. Im Gegenteil, selbst wenn er unter großen Anstrengungen und mit Hilfe strenger Bußen und Opfer das brahmajyoti erreicht, muß er doch wieder auf die materielle Ebene zurückfallen, weil er nicht Zuflucht bei den Lotosfüßen des Höchsten Herrn gesucht hat.

Das Höchste Brahman kann nicht unpersönlich sein, denn wie könnte Es sonst die sechs transzendentalen Füllen besitzen? In allen Veden und Purāṇas wird bestätigt, daß der Höchste Persönliche Gott voller spiritueller Energien ist. Unwissende Menschen jedoch glauben nicht an die Energien des Höchsten und verspotten daher Seine transzendentalen Spiele und Taten. Sie bezeichnen statt dessen den transzendentalen Körper Śrī Kṛṣṇas als eine Schöpfung der materiellen Natur und begehen somit das größte Vergehen, das man sich denken kann. Wir jedoch sollten die Erklärungen Śrī Caitanyas akzeptieren, die Er den Māyāvādī-sannyāsīs vortrug.

Die individuelle Persönlichkeit der Höchsten Absoluten Wahrheit wird im Śrīmad-Bhāgavatam im 9. Kapitel des Dritten Cantos beschrieben, wo es heißt: »O mein Höchster Herr, Deine transzendentale Gestalt, die ich nun mit eigenen Augen vor mir sehe, besteht aus unwandelbarer spiritueller Freude, und sie ist nicht im geringsten von den materiellen Erscheinungsweisen verunreinigt. Von dieser Form, die die vollkommene Manifestation der Absoluten Wahrheit ist, geht eine leuchtende Ausstrahlung aus. O Überseele in allen Herzen, Schöpfer der kosmischen Manifestation, ich will mich Dir nun hingeben! O Kṛṣṇa, o segensreiches Universum, Du bist in Deiner ursprünglichen Gestalt erschienen, damit wir bedingten Seelen Dich verehren können. Wir erkennen Dich entweder in der Meditation oder bei der direkten Verehrung. Törichte Menschen, die stark von der materiellen Natur verunreinigt sind, wissen die Bedeutung Deiner transzendentalen Gestalt nicht zu schätzen und gleiten so zur Hölle hinab.«

Diese Aussage wird ebenfalls in der Bhagavad-gītā im 11. Vers des Neunten Kapitels bestätigt, wo Kṛṣṇa sagt: »Nur die Unwissenden verspotten mich, wenn Ich in einer menschlichen Form erscheine. Sie kennen nicht Mein transzendentales Wesen und wissen nicht, daß Ich der Besitzer, der Erhalter und der Herr der gesamten Schöpfung bin.« Im 19. und 20. Vers des Sechzehnten Kapitels wird bestätigt, daß solche dämonischen Menschen zur Hölle gehen: »Die Mißgünstigen und Boshaften, die Mich und Meine Geweihten beneiden, und die die Niedrigsten unter den Menschen sind, werden von Mir in den Ozean der materiellen Existenz in die dämonischen Arten des Lebens geworfen. Weil solche Menschen immer wieder in dämonischen Lebensformen geboren werden, können sie sich Mir niemals nähern. Allmählich sinken sie in die abscheulichsten Formen des Daseins hinab.«

Im Vedānta-sūtra wird vom ersten Vers an das Prinzip von Ursprung und Produkt (parinamavada) gelehrt, doch Śaṅkarācārya versuchte absichtlich, diese Tatsache zu verbergen, um statt dessen seine Theorie von der Umwandlung des ursprünglichen Zustandes propagieren zu können, die als vivartavata bekannt ist. Er besaß sogar die Dreistigkeit, zu behaupten, Vyāsadeva sei ein Fehler unterlaufen, als er erklärte, die Absolute Wahrheit sei eine spirituelle Persönlichkeit. In Wirklichkeit jedoch ist Śaṅkara derjenige, der sich im Irrtum befindet, denn alle vedischen Schriften, einschließlich der Purāṇas, stimmen darin überein, daß der Höchste Herr das persönliche Zentrum der spirituellen Energie und Mannigfaltigkeit ist. Doch weil die Māyāvādī-Philosophen trotz ihrer eigenen Unzulänglichkeit von Stolz verblendet sind, können sie nicht die Mannigfaltigkeit der spirituellen Energie einsehen. Sie haben statt dessen die falsche Vorstellung, die spirituelle Mannigfaltigkeit unterscheide sich nicht von der Dualität in der materiellen Welt. Und da sie völlig von dieser imaginären Annahme in die Irre geführt sind, verhöhnen sie die transzendentalen Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes. Solche Narren sind niemals imstande, die spirituellen Aktivitäten des Höchsten zu begreifen, und halten Ihn daher für eine Schöpfung der materiellen Natur. Dies ist eines der größten Vergehen, die ein Mensch begehen kann. Śrī Caitanya erklärte aus diesem Grund unmißverständlich: »Kṛṣṇas transzendentale Gestalt ist sac-cid-ānanda vigraha - ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit -, und Er ist ständig in Seine transzendentalen Spiele vertieft, die voller spiritueller Vielfalt sind.«

Der Lieblingsschüler Prakāṣānandas faßte die Erklärungen Śrī Caitanyas mit folgenden Worten zusammen: »Wir hatten den Pfad, der zur spirituellen Verwirklichung führt, verlassen und ergingen uns statt dessen in unsinnigen Erörterungen. Die Māyāvādī-Philosophen, die ernsthaft darum bemüht sind, befreit zu werden, sollten sich im hingebungsvollen Dienst für Kṛṣṇa beschäftigen, statt ihre Zeit mit sinnlosem Gerede zu vergeuden. Wir geben zu, daß die Kommentare Śaṅkarācāryas die wahre Bedeutung der vedischen Schriften entstellen. Einzig und allein die Erklärungen Śrī Caitanyas sind annehmbar, denn alle anderen Interpretationen sind völlig nutzlos.«

Nachdem Prakāṣānandas Lieblingsschüler seinen Irrtum eingestanden hatte, begann er »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten, und als Prakāṣānanda Sarasvatī dies sah, bekannte auch er, daß Śaṅkarācāryas Interpretationen des Vedānta-sūtra nicht dessen wahre Bedeutungen wiedergaben. Er sagte: »Śaṅkarācārya wollte die Lehre vom Einssein bestätigen, und daher blieb ihm nichts anderes übrig, als den Vedānta auf falsche Weise zu interpretieren. Denn hätte er den Höchsten Persönlichen Gott anerkannt, so hätte er seiner eigenen Lehre widersprochen; daher versuchte er, durch irreführende Wortspielereien die wahre Bedeutung des Vedānta-sūtra zu verschleiern. Jeder Autor, der wie Śaṅkarācārya seine eigenen Ansichten zum besten geben will, muß die Aussage des Vedānta-sūtra durch falsche Interpretation verschleiern.

Es ist ein Vergehen, über die vedischen Schriften zu spekulieren. Dennoch versuchten sich Śaṅkara und noch viele andere materialistische Philosophen wie Kapila, Jaimini, Gautama, Aṣṭavakra und Patañjali darin, ihre eigenen philosophischen Auslegungen der Veden zu fabrizieren. Der Logiker Jaimini und seine Anhänger z. B. ließen das eigentliche Ziel der Veden, nämlich gottgeweihtes Dienen, völlig außer acht und versuchten statt dessen zu beweisen, daß die Absolute Wahrheit der materiellen Welt untergeordnet ist. Nach ihrer Meinung sollten wir nur unsere materiellen Pflichten so gut wir können befolgen. Dadurch würde Gott - so glauben sie - so sehr mit uns zufrieden sein, daß Er uns jeden Wunsch erfüllen würde.

Im Gegensatz zu Jaimini versuchte der Atheist Kapila zu verbreiten, daß es keinen Gott gebe, der diese materielle Welt geschaffen habe. Um seine Theorie zu beweisen, analysierte Kapila die materiellen Elemente und ihre mannigfachen Kombinationen und behauptete dann, sie seien die Ursache der Schöpfung.

Auch Gautama und Kanada maßen den materiellen Elementen große Bedeutung bei und versuchten zu beweisen, daß die Atomenergie der Ursprung der Schöpfung ist. Wieder andere Unpersönlichkeitsanhänger und Monisten wie Aṣṭavakra behaupteten, die unpersönliche Ausstrahlung Kṛṣṇas, das brahmajyoti, sei das Höchste. Patañjali schließlich, eine der größten Autoritäten auf dem Gebiet des yoga, bemühte sich, durch Meditation eine imaginäre Form des Höchsten Herrn wahrzunehmen.

Zu all diesen Philosophien läßt sich zusammenfassend sagen, daß die jeweiligen materialistischen Philosophen mit ihnen lediglich den Versuch unternommen haben, den Höchsten Persönlichen Gott auszuklammern, um so ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Doch der große Weise Vyāsadeva, eine Inkarnation Gottes, studierte all diese philosophischen Spekulationen genau und verfaßte als Antwort das Vedānta-sūtra. Im Vedānta-sūtra werden einfach nur die ewige Beziehung der Lebewesen zum Höchsten Persönlichen Gott behandelt, das daraus resultierende hingebungsvolle Dienen und das Erreichen der ursprünglichen Liebe zu Gott. Zu Beginn des Vedānta-sūtra steht der Vers »janmādy asya yataḥ«, den Vyāsadeva auch an den Anfang des Śrīmad-Bhāgavatam setzte, und der besagt, daß die höchste Ursache alles Existierenden eine bewußte, transzendentale Person ist.

Die Unpersönlichkeitsanhänger erklären zwar, die unpersönliche Ausstrahlung des Höchsten Herrn, das brahmajyoti, befinde sich jenseits der materiellen Natur, doch das hindert sie nicht zu behaupten, der Höchste Persönliche Gott, der Ursprung dieser Ausstrahlung, sei von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur verunreinigt. Das Vedānta-sūtra dagegen beweist eindeutig, daß der Höchste nicht nur transzendental zu den materiellen Erscheinungsweisen ist, sondern daß Er auch unzählige transzendentale Eigenschaften und Energien besitzt. Die materialistischen Spekulanten haben eins gemeinsam: Alle leugnen sie die Existenz des Höchsten Herrn, Śrī Viṣṇu, denn es ist ihnen vor allem daran gelegen, ihre eigenen Theorien aufzustellen, um so die Bewunderung der unschuldigen Menge zu ernten. Die Unglücklichen, die sich von diesen atheistischen Philosophen faszinieren lassen, werden durch sie so sehr verwirrt, daß sie niemals das wirkliche Wesen der Absoluten Wahrheit verstehen können. Es wird ihnen hiermit dennoch geraten, dem Beispiel der großen Seelen, den mahājanas zu folgen. Aus dem Śrīmad-Bhāgavatam erfahren wir, daß es zwölf mahājanas gibt: 1) Brahmā, 2) Śiva, 3) Nārada, 4) Vaivasvata Manu, 5) Kapila (nicht der Atheist, sondern der ursprüngliche Kapila, eine Inkarnation Kṛṣṇas), 6) die Kumāras, 7) Prahlāda, 8) Bhīṣma, 9) Janaka, 10) Bali, 11) Śukadeva Gosvāmī und 12) Yamarāja.

Im Mahābhārata wird erklärt, daß es keinen Sinn hat, über die Absolute Wahrheit zu argumentieren, denn es gibt zu viele verschiedene philosophische Ansichten, und jeder der Philosophen beharrt auf seinem eigenen Standpunkt, ohne eine andere Auffassung gelten zu lassen. Wenn man daher die wirkliche Bedeutung der religiösen Prinzipien verstehen will, was durch die unterschiedlichen Philosophen recht schwierig geworden ist, sollte man dem Beispiel der mahājanas, der großen Seelen folgen, die oben aufgezählt sind. Nur so kann man das gewünschte Ziel erreichen.

Die Lehren Śrī Caitanyas sind wie Nektar, und sie beinhalten alles, was der ernsthafte Schüler benötigt, um Fortschritte im spirituellen Leben zu machen; jeder, der die Vollkommenheit erlangen will, soll ihnen folgen.

22. KAPITEL

Caitanya

Prakāṣānanda Sarasvatī gibt sich hin

Nachdem die Māyāvādī-sannyāsīs Anhänger Śrī Caitanya Mahāprabhus geworden waren, pflegten viele Gelehrte und viele empfängliche Menschen nach Benares zu kommen, um Śrī Caitanya kennenzulernen. Natürlich konnten sie Ihn nicht alle in Seinem Haus besuchen, und so stellten sie sich in langen Reihen am Wegesrand auf, um Śrī Caitanya wenigstens sehen zu können, wenn Er in die Tempel von Viṣvanātha und Bindhu-mādhava ging. Als Er wieder einmal in Begleitung Seiner Gefährten Candraṣekhara Ācārya, Paramānanda, Tapana Miṣra, Sanātana Gosvāmī und anderer die Tempel besuchte, sang Er:

hari haraya namaḥ kṛṣṇa yādavāya namaḥ
gopāla govinda rāma ṣrī madhusūdana

Und während Er chantete und tanzte, versammelten sich Tausende von Menschen um Ihn und stimmten laut in Seinen Gesang ein, worauf sich die transzendentalen Schwingungen zu einem tönenden Brausen vereinigten. Der kīrtana war so gewaltig, daß Prakāṣānanda Sarasvatī, der in der Nähe weilte, neugierig mit Seinen Schülern herbeikam, und sowie er den strahlendschönen Herrn, der auch als »Gaurasundara« bekannt ist, und dessen Gefährten voller Ekstase tanzen sah, schloß er sich ihnen an und begann ebenfalls zu singen: »Hari! Hari!« Die Einwohner von Benares waren außer sich vor Begeisterung, als sie Śrī Caitanya so in Ekstase sahen; doch sobald der Herr die Māyāvādī-sannyāsīs bemerkte, hielt Er in Seiner immer größer werdenden Ekstase inne und hörte auf zu tanzen. Sofort warf sich Prakāṣānanda Ihm zu Füßen, doch Śrī Caitanya richtete ihn auf und sagte: »Du bist der geistige Meister der gesamten Welt, der jagat-guru, und Ich bin nicht einmal einem deiner Schüler ebenbürtig. Du solltest deshalb nicht einen Unwürdigen wie Mich verehren, der es nicht wert ist, der Schüler deines Schülers zu werden. Du bist wie das Höchste Brahman, und wenn Ich es zulasse, daß du Mir zu Füßen fällst, lade Ich ein großes Vergehen auf Mich. Obwohl du keine Unterschiede machst, da du über jeglicher Dualität stehst, solltest du dennoch, um den Menschen ein Beispiel zu geben, nicht so etwas tun.

Prakāṣānanda antwortete: »Ich habe früher viel Schlechtes über Dich gesagt, und daher falle ich Dir nun zu Füßen, um mich von den sündhaften Reaktionen zu befreien.« Dann zitierte er einen Vers aus den vedischen Schriften, in dem gesagt wird, daß selbst eine befreite Seele wieder ein Opfer der materiellen Verunreinigung wird, wenn sie ein Vergehen gegen den Höchsten Herrn begeht. Und aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (Zehntes Canto, 34. Kapitel) führte er eine Stelle an, wo beschrieben wird, wie Nanda Mahārāja von einer Schlange angegriffen wurde, die in ihrem früheren Leben ein Halbgott mit Namen Vidyādhara gewesen war. Als Kṛṣṇa herbeikam, um Seinen Vater zu retten, und die Schlange mit Seinen Lotosfüßen berührte, wurde diese von allen sündhaften Reaktionen befreit und nahm wieder ihren ehemaligen Körper an. Als Śrī Caitanya hörte, daß Er mit Kṛṣṇa gleichgesetzt wurde, protestierte Er bescheiden - Er wollte damit zeigen, daß niemand ein gewöhnliches Lebewesen mit dem Höchsten Herrn auf eine Stufe stellen soll. Obgleich Er Selbst der Höchste Persönliche Gott ist, wehrte Er Sich dennoch entschieden gegen diese Gleichsetzung, um uns zu lehren, daß niemand mit dem Höchsten Herrn verglichen werden darf, denn dies ist ein großes Vergehen. Śrī Caitanya wies immer wieder darauf hin, daß Viṣṇu, der Höchste Persönliche Gott, unbegrenzt groß ist, wohingegen die Lebewesen, ganz gleich wie bedeutend sie nach materiellen Gesichtspunkten auch sein mögen, immer winzig klein sind. Um diese Aussage zu belegen, zitierte Er einen Vers aus dem Vaiṣṇava-tantra des Padma Purāṇa, in dem erklärt wird: »Wer den Höchsten Herrn mit einem gewöhnlichen Lebewesen vergleicht - und sei es auch mit einem der großen Halbgötter wie Brahmā oder Śiva -, muß als Atheist angesehen werden.«

Prakāṣānanda entgegnete jedoch: »Ich weiß, daß Du der Höchste Persönliche Gott, Kṛṣṇa, bist; doch selbst wenn wir annehmen, daß Du nur ein großer Gottgeweihter bist, bist Du immer noch von uns zu verehren, denn Du übertriffst uns alle an Gelehrtheit und Erkenntnis. Als wir Dich beleidigten, begingen wir das denkbar größte Vergehen, und daher bitten wir Dich um Verzeihung.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 14. Kapitel des Sechsten Cantos erklärt, daß der Gottgeweihte der Vollkommenste aller Transzendentalisten ist; es heißt dort: »Es gibt viele befreite und vollkommene Seelen, doch die Geweihten des Höchsten Persönlichen Gottes übertreffen sie alle. Solche Gottgeweihten sind immer ruhig und ausgeglichen, und sie sind so selten, daß man selbst unter Millionen von Menschen vielleicht nur einen von ihnen findet.«

Prakāṣānanda zitierte dann einen Vers aus dem 4. Kapitel des Zehnten Cantos, der besagt, daß man Reichtum, Ruhm, Religiosität, Lebensdauer, den Segen höherer Autoritäten, und alles, was man sonst noch besitzen mag, verliert, wenn man einen Gottgeweihten beleidigt.

Anschließend führte er noch einen Vers aus dem 5. Kapitel des Siebten Cantos an, der darauf hinweist, daß alle Leiden einer bedingten Seele augenblicklich verschwinden, wenn sie die Lotosfüße des Höchsten Herrn berührt. Doch die Gelegenheit, die Lotosfüße des Höchsten Herrn zu berühren, kann man nur dann erhalten, wenn man mit dem Staub von den Lotosfüßen eines reinen Gottgeweihten gesegnet wird. Mit anderen Worten: Niemand kann ein reiner Gottgeweihter werden, ohne von einem anderen reinen Geweihten des Herrn gesegnet worden zu sein.

Endlich sagte Prakāṣānanda: »Bitte, o Herr, gewähre mir Zuflucht bei Deinen Lotosfüßen, denn nun möchte ich ein Gottgeweihter werden.«

Daraufhin setzten sich Prakāṣānanda Sarasvatī und Śrī Kṛṣṇa Caitanya zusammen, und Prakāṣānanda sagte: »Alles, was Du sagtest, um die Widersprüche in der Māyāvāda-Philosophie aufzuzeigen, findet unsere Zustimmung, denn wir wissen, daß die Kommentare der Māyāvādī-Philosophen voller Irrtümer sind. Besonders gefährlich sind Śaṅkarācāryas Kommentare zum Vedānta-sūtra, die nur auf Spekulation und Einbildung beruhen. Du aber hast die Verse des Vedānta-sūtra und der Upaniṣaden nicht nach eigenem Gutdünken ausgelegt, sondern ihre wirkliche Bedeutung erklärt, und diese Erklärungen haben uns begeistert. Du besitzt alle Macht des Höchsten, denn niemand außer dem Höchsten Persönlichen Gott hätte solche Erklärungen abgeben können. - Bitte sei daher so gütig und erkläre den Vedānta weiter, so daß ich noch mehr durch Deine erleuchtenden Worte gesegnet werde.«

Śrī Caitanya wehrte Sich abermals dagegen, von Prakāṣānanda »Höchster Herr« genannt zu werden, und erwiderte: »Lieber Herr, Ich bin nur ein gewöhnlicher Sterblicher, und deshalb ist es Mir nicht möglich, die wirkliche Bedeutung des Vedānta-sūtra zu erkennen. Kein gewöhnliches Lebewesen kann den Vedānta mit Hilfe seines weltlichen Wissens interpretieren. Doch Vyāsadeva, der eine Inkarnation Nārāyaṇas ist, kennt die wahre Bedeutung dieses großen Werkes. Um zu verhindern, daß skrupellose Menschen durch ihre falschen Interpretationen andere in die Irre führen, schrieb er vorsorglich in Form des Śrīmad-Bhāgavatam seinen eigenen Kommentar zum Vedānta-sūtra. Wenn der Verfasser selbst den Sinn seines Werkes erklärt, muß man diese Erklärung als maßgebend betrachten, denn niemand kann die wirkliche Absicht eines Autors verstehen, solange dieser nicht selbst eine Erklärung zu seinem Buch abgibt. Aus diesem Grund sollte man das Vedānta-sūtra durch den Kommentar des Verfassers verstehen -das Śrīmad-Bhāgavatam.

Praṇāva oder omkāra ist die göttliche Substanz der Veden. Omkāra wird im Gāyatrī-mantra und in vier besonderen Versen des Śrīmad-Bhāgavatam näher erklärt. Diese Verse wurden zuerst Brahmā offenbart; Brahmā verkündete sie dann Nārada, der sie seinerseits an Vyāsadeva weitergab. Auf diese Weise wurde das Śrīmad-Bhāgavatam durch eine lange Nachfolge von geistigen Meistern überliefert, damit nicht jeder beliebige Dummkopf seinen eigenen Kommentar zum Vedānta abgeben und andere in die Irre führen kann Śrīla Vyāsadeva schrieb das Bhāgavatam auf Anweisung Nārada Munis nieder, um

152 die Aphorismen des Vedānta genauer zu erklären. Daher muß jeder, der das Vedānta-sūtra verstehen will, als erstes das Śrīmad-Bhāgavatam sorgfältig studieren, das die Essenz allen vedischen Wissens darstellt. Vyāsadeva hatte nämlich die Essenz der Upaniṣaden im Vedānta-sūtra zusammengefaßt, und die Essenz des Vedānta-sūtra wiederum ist das Śrīmad-Bhāgavatam. Somit kann man all das, was in den Upaniṣaden und im Vedānta-sūtra erklärt wird, direkt und unmißverständlich im Śrīmad-Bhāgavatam wiederfinden.

In der Īṣopaniṣad z. B. gibt es einen Vers, der die gleiche Bedeutung hat wie ein Vers aus dem 1. Kapitel des Achten Cantos im Śrīmad-Bhāgavatam. Es heißt dort: »Alles, was man in der kosmischen Manifestation sieht, ist die Energie des Höchsten Herrn, die nicht von Ihm verschieden ist. Er kontrolliert alle Lebewesen, und Er ist der Freund und Erhalter eines jeden. Wir sollten von der Barmherzigkeit Gottes und den Dingen, die für uns vorgesehen sind, leben, und nicht das Eigentum eines anderen für uns in Anspruch nehmen. Wenn man diese einfachen Regeln befolgt, kann man glücklich und in Frieden leben.

Die Upaniṣaden und der Vedānta haben also das gleiche Ziel wie das Śrīmad-Bhāgavatam. Wenn man das Bhāgavatam sorgfältig studiert, wird man für alle Inhalte der Upaniṣaden und des Vedānta-sūtra eine genaue Erklärung finden. Das Śrīmad-Bhāgavatam befaßt sich mit den gleichen Hauptthemen, die auch im Vedānta-sūtra behandelt werden: 1) Wie man seine ewige Beziehung zum Höchsten Herrn wiederaufnehmen kann. 2) Wie man entsprechend dieser Beziehung handelt, und 3) wie man daraus den größten Nutzen erfahren kann. Diese Themen bilden die Grundlage des Bhāgavatam. Śrī Kṛṣṇa Selbst erklärt dazu: »Ich bin das höchste Zentrum aller Lebewesen, zu dem ein jedes seine individuelle Beziehung hat, und Ich bin das höchste Wissen. Der Vorgang durch den man Mich erreichen kann, wird abhidheya genannt, und durch abhidheya kann man die höchste Vollkommenheit des Lebens, Liebe zu Gott, erreichen.

Dann erläuterte Śrī Caitanya in kurzen Worten die vier wichtigsten Verse des Bhāgavatam. Er sagte: »Niemand kann den Höchsten Herrn von sich aus verstehen, und erst recht nicht Seine transzendentalen Eigenschaften, Seine transzendentalen Spiele oder Seine sechs unbegrenzten Füllen. Diese Dinge sind weder durch intellektuelle Spekulationen noch durch akademische Bildung zu erfassen, sondern, wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, nur durch die Gnade des Höchsten Herrn.

Der Herr existierte bereits vor der materiellen Schöpfung; daher gingen die Bestandteile der materiellen Welt, die Natur und die Lebewesen, aus Ihm hervor und werden nach ihrer Vernichtung wieder in Ihn zurückkehren. Die gesamte Schöpfung wird von Ihm erhalten, und jede Manifestation, die wir sehen, ist nur eine Umwandlung Seiner äußeren Energie. Wenn der Höchste Herr die äußere Energie wieder in Sich zurückzieht, geht alles Existierende in Ihn ein. Im ersten der vier wichtigsten Verse des Bhāgavatam sagt der Höchste Persönliche Gott dreimal »aham« (Ich), um zu betonen, daß Er alle sechs transzendentalen Füllen besitzt. Wer die spirituelle Gestalt und das Wesen des Höchsten Herrn nicht anerkennen kann oder gar glaubt, Er habe überhaupt keine Form, wird damit eines Besseren belehrt.

Neben der äußeren und der mittleren Energie, d. h. der kosmischen Welt, den Lebewesen und den relativen Energien, besitzt der Herr auch eine innere Energie, die im Gegensatz zur äußeren Energie nicht durch die drei guṇas* manifestiert wird.

* Die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur - sattva (Reinheit), rajo (Leidenschaft) und tama (Unwissenheit).

Wer die wesenseigene Position der Lebewesen in der spirituellen Welt versteht, verfügt über vedyam, vollkommenes Wissen. Man kann den Höchsten Herrn nicht dadurch erkennen, daß man sich lediglich mit der materiellen Welt und den bedingten Seelen befaßt. Doch jeder, der in vollkommenem Wissen gründet, ist frei vom Einfluß der äußeren Energie und kennt daher keine Unwissenheit mehr.

Erst wenn man vom Bann der äußeren Energie befreit ist, kann man das wirkliche Wesen des Höchsten Herrn verstehen. Das hingebungsvolle Dienen für den Höchsten Herrn ist das einzige Mittel, Ihn zu erreichen; jeder kann hingebungsvolles Dienen praktizieren - ganz gleich in welchem Land, in welcher Atmosphäre und unter welchen Umständen. Hingebungsvolles Dienen steht über den vier Prinzipien der Religiosität und sogar über Befreiung. Schon im Anfangsstadium ist es transzendental zur höchsten Form der Befreiung.

Jeder, ungeachtet seiner Kaste, Rasse, Hautfarbe, Nationalität oder Abstammung, sollte sich daher an einen geistigen Meister wenden, um sich von diesem im hingebungsvollen Dienen unterrichten zu lassen. Der eigentliche Sinn unseres Lebens besteht darin, unsere schlafende Liebe zu Gott zu erwecken; denn daran mangelt es uns allen am meisten. Auf welche Weise diese Liebe zu Gott entwickelt werden kann, wird eingehend im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben, wo nicht nur theoretisches Wissen gegeben wird, sondern auch bereits verwirklichtes, also praktisches. Vollkommenes Wissen erlangt man, wenn man die Lehren des geistigen Meisters verwirklicht.

23. KAPITEL

Caitanya

Das Śrīmad-Bhāgavatam

Unter »Wissen« versteht man »Informationen aus den Schriften«, und »Wissenschaft« bedeutet die »praktische Verwirklichung dieses Wissens«. Mit anderen Worten: Wissen, das man unter der kundigen Führung des autorisierten geistigen Meisters aus den Schriften empfängt und verwirklicht, ist wissenschaftliches Wissen; wenn man dieses Wissen jedoch durch intellektuelle Spekulationen interpretiert, wird es relativ. Indem man die Informationen aus den Schriften wissenschaftlich versteht, d. h. unter der Anleitung des geistigen Meisters praktisch verwirklicht, bekommt man ein echtes Verständnis von den Aspekten des Höchsten Persönlichen Gottes. Die transzendentale Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes unterscheidet sich von allen materiellen Manifestationen und wird deshalb auch nicht von den Vorgängen in der materiellen Welt beeinflußt. Dies ist für eine bedingte Seele so schwer zu begreifen, daß jeder, der die spirituelle Gestalt des Höchsten Herrn nicht wissenschaftlich versteht, unweigerlich zu einem Unpersönlichkeitsanhänger wird. Wer unter dem Einfluß der materiellen Energie steht, kann die spirituelle Gestalt des Höchsten Herrn nicht erkennen, und solange man nicht die transzendentale Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes erkennt, kann man Gott auch nicht wirklich lieben. Solange man nicht versteht, daß der Herr eine transzendentale Gestalt hat, ist die sogenannte Liebe zu Gott unecht, und man ist der Vollkommenheit des menschlichen Lebens noch fern. Die Geweihten des Höchsten Herrn jedoch sehen, ähnlich wie man die fünf grobstofflichen Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther sowohl in den Körpern der Lebewesen als auch außerhalb erkennen kann, den Höchsten Persönlichen Gott sowohl innerhalb als auch außerhalb der kosmischen Manifestation.

Die reinen Gottgeweihten sind sich völlig bewußt, daß es ihre Pflicht ist, dem Höchsten Persönlichen Gott zu dienen, und daß sie alles, was es gibt, in ihren Dienst für den Herrn miteinbeziehen können. Weil ein Gottgeweihter vom Höchsten im Innersten seines Herzens gesegnet worden ist, kann er den Herrn überall sehen. Das Śrīmad-Bhāgavatam beschreibt diese enge Beziehung zwischen dem Gottgeweihten und dem Herrn im 2. Kapitel des Elften Cantos wie folgt: »Einen Gottgeweihten, dessen Herz mit dem Seil der Liebe fest an die Lotosfüße des Höchsten Herrn gebunden ist, verläßt der Herr niemals - selbst dann nicht, wenn sich der Geweihte nicht bewußt an den Höchsten erinnert. Solch ein Mensch wird ein erstklassiger Gottgeweihter genannt.« Im Bhāgavata-tasumkuṇḍa wird hierfür das Beispiel der Mädchen von Vṛndāvana gegeben: Die gopīs hatten sich versammelt, um mit Kṛṣṇa zu tanzen. Doch plötzlich verschwand Kṛṣṇa aus ihrer Mitte, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als Seinen heiligen Namen zu chanten. Sie wurden vor Trennungsschmerz wie verrückt und begannen, die Blumen und Bäume im Wald zu fragen, ob sie Kṛṣṇa gesehen hätten.

Im Śrīmad-Bhāgavatam werden, wie bereits erwähnt, drei Themen behandelt: 1) unsere ewige Beziehung zum Höchsten Herrn; 2) der Vorgang, durch den wir zu Ihm gelangen können, und 3) die höchste Stufe der Verwirklichung, Liebe zu Gott. Śrī Caitanya erklärte deshalb Prakāṣānanda als nächstes das zweite Thema des Bhāgavatam, indem Er ihm genau darlegte, wie man den Höchsten Herrn durch hingebungsvolles Dienen erreichen kann. Dazu zitierte der Herr einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam im 14. Kapitel des Elften Cantos, wo Kṛṣṇa sagt: »Nur durch hingebungsvolles Dienen, das mit Vertrauen und Liebe ausgeführt wird, bin Ich zu erreichen und allein hingebungsvolles Dienen reinigt das Herz des Gottgeweihten und erhebt ihn zur höchsten Stufe der Vollkommenheit.« Wenn der Gottgeweihte diese höchste Stufe, Liebe zu Gott, erreicht hat, zeigt er alle transzendentalen Qualitäten - selbst wenn er in einer niedrigen Familie wie der von caṇḍālas (Hunde-Essern) geboren wurde. Die Symptome werden im 3. Kapitel des Elften Cantos wie folgt beschrieben: »Sowie die Gottgeweihten, die dem Herrn mit Liebe und Hingabe dienen, über den Höchsten sprechen, der ihre Herzen von allen sündhaften Reaktionen reinigt, werden sie von Ekstase überwältigt. Wenn sie in diesem Zustand den heiligen Namen des Herrn chanten, geschieht es manchmal daß sie aus spontaner Zuneigung für den Höchsten Herrn lachen, tanzen oder singen, ohne sich dabei um ihre Umgebung zu kümmern.«

Wir sollten verstehen, daß das Śrīmad-Bhāgavatam der echte Kommentar zum Vedānta ist, und daß beide Werke vom gleichen Verfasser stammen. Im Guru Purāṇa wird diese Tatsache ebenfalls bestätigt: »Das Śrīmad-Bhāgavatam ist der echte Kommentar zum Vedānta-sūtra und die Fortsetzung des Mahābhārata. Es ist die Erklärung des Gāyatrī-mantras und die Essenz allen vedischen Wissens. Dieses großartige Werk besteht aus 18 000 Versen, und es ist die Erläuterung aller vedischen Schriften.« Vor rund 5000 Jahren fragten die Weisen im Wald von Naimiṣāraṇya Sūta Gosvāmī nach der Essenz der vedischen Schriften, und als Antwort trug ihnen der Heilige das Śrīmad-Bhāgavatam vor. Im 13. Kapitel des Zwölften Cantos bestätigt das Bhāgavatam selbst daß seine Verse die Essenz allen vedischen Wissens bilden und daß jemand, der mit dieser Schrift in Berührung kommt, keinen Geschmack mehr am Studium anderer Schriften findet. Als erstes werden im Bhāgavatam die Bedeutung und der Sinn des Gāyatrī-mantras erklärt - Śrīla Vyāsadeva sagt nämlich: »Ich bringe Vāsudeva, der Höchsten Absoluten Wahrheit meine Ehrerbietungen dar.« Dieser erste Vers bezieht sich also eindeutig auf die Höchste Absolute Wahrheit, die im Śrīmad-Bhāgavatam als der Ursprung der kosmischen Manifestation beschrieben wird. Wenn im Bhāgavatam vom Höchsten Persönlichen Gott, Vāsudeva, gesprochen wird, so ist damit Śrī Kṛṣṇa, der göttliche Sohn Vasudevas und Devakīs gemeint. Diese Tatsache wird in einem späteren Vers noch deutlicher zum Ausdruck gebracht, wo der Autor direkt erklärt, daß Śrī Kṛṣṇa der Ursprüngliche Persönliche Gott ist, und daß alle Inkarnationen entweder Seine direkten oder indirekten vollständigen Teile oder Teile der vollständigen Teile sind. Śrīla Jīva Gosvāmī behandelt diese Tatsache eingehender in seiner Kṛṣṇa-sandarbha, und Brahmā, das erste Lebewesen im Universum, erklärt die Wahrheit über Kṛṣṇa in allen Einzelheiten in der Brahma-saṁhitā. Auch in der Sāma-veda Upaniṣad wird gesagt, daß Śrī Kṛṣṇa der göttliche Sohn Devakīs ist.

Im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam wird somit festgestellt, daß Vāsudeva der urerste Herr ist, doch der Name, der auf die Absolute Höchste Person ganz besonders zutrifft, ist »Kṛṣṇa«, denn »Kṛṣṇa« bedeutet » der Alles-Anziehende«. In der Bhagavad-gītā sagt der Herr mehrmals, daß Er der Ursprüngliche Höchste Persönliche Gott ist, und Arjuna bestätigt dies anhand der maßgeblichen Aussagen großer Weiser wie Nārada, Asita, Devala und Vyāsa. Auch im Padma purāṇa wird erklärt, daß der Name »Kṛṣṇa« der wichtigste von den unzähligen Namen des Herrn ist. Der Name »Vāsudeva« im 1. Vers des Śrīmad Bhāgavatam weist allein auf Kṛṣṇa, den göttlichen Sohn Vasudevas und

Devakīs hin, denn Vāsudeva ist eine vollständige Erweiterung des Höchsten Persönlichen Gottes und die verschiedenen Formen des Herrn sind von Vāsudeva nicht verschieden. Alle paramahaṁsas, d. h. die Vollkommensten der Gottgeweihten auf der Lebensstufe der Entsagung, meditieren über Śrī Kṛṣṇa, denn Er ist die Ursache aller Ursachen.

Śrī Caitanya Mahāprabhu bezeichnete das Bhāgavata Purāṇa (Śrīmad-Bhāgavatam) als »das makellose Purāṇa«, da es ausschließlich vom Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa handelt. Schon die Entstehungsgeschichte des Śrīmad-Bhāgavatam ist außerordentlich: Es wurde von Śrīla Vyāsadeva zusammengestellt, nachdem dieser unter der Führung seines geistigen Meisters Nārada Muni alles transzendentale Wissen erfahren und verwirklicht hatte. Vyāsadeva hatte zuvor bereits alle vedischen Schriften wie die vier Veden, die Purāṇas, die Upaniṣaden, das Vedānta-sūtra und das Mahābhārata verfaßt. Trotzdem war er in seinem Innersten immer noch nicht zufrieden, und so gab ihm Nārada Muni, als dieser seine Unzufriedenheit bemerkte, den Rat, die transzendentalen Spiele und Taten des Höchsten Herrn, Śrī Kṛṣṇa, niederzuschreiben. Die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas werden im Zehnten Canto des Bhāgavatam ausführlich beschrieben. Daher gilt dieser Canto als die Essenz des gesamten Werkes, und um ihn verstehen zu können, ist es notwendig, vorher die ersten neun Cantos sorgfältig zu studieren. Im allgemeinen ist jeder Mensch, in dem sich ab und zu ein philosophischer Gedanke regt, begierig zu wissen, was der Ursprung der Dinge ist, die er um sich herum wahrnimmt. Wenn wir z. B. den Nachthimmel betrachten und die vielen Sterne sehen, so fragen wir uns sicherlich, wie weit sie wohl entfernt sind, wie sie beschaffen sein mögen, ob Leben auf ihnen existiert usw. Es ist nur natürlich für einen Menschen, diese Fragen zu stellen, denn er besitzt ja ein weitaus höher entwickeltes Bewußtsein als ein Tier. Das Bhāgavatam beantwortet diese Frage nach der Ursache aller Dinge, indem es eindeutig erklärt, daß Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Herr, der Ursprung der Schöpfung ist. Er ist nicht nur der Schöpfer der materiellen Welt, sondern auch ihr Erhalter und Zerstörer. Die gesamte manifestierte kosmische Natur wird zu einem gewissen Zeitpunkt durch den Willen des Herrn geschaffen, sie wird eine bestimmte Zeitlang erhalten und schließlich durch Seinen Willen wieder vernichtet. Es gibt viele Atheisten, die aufgrund ihres geringen Wissens die Existenz eines Schöpfers und Erhalters bestreiten. Den modernen Wissenschaftlern ist es gelungen, Satelliten herzustellen, die mit gewissen technischen Vorrichtungen in den Weltraum geschossen werden und dort für eine gewisse Zeit unter der Kontrolle des Wissenschaftlers fliegen können, der sich weit entfernt irgendwo auf der Erde befindet. Die unzähligen Universen mit ihren vielen Planeten sind mit riesigen Satelliten vergleichbar, die sich unter der Aufsicht des Höchsten Persönlichen Gottes bewegen.

In der Kaṭha Upaniṣad wird gesagt, daß die Absolute Wahrheit, der Persönliche Gott, die höchste aller Persönlichkeiten ist. - In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß alle Lebewesen, angefangen vom ersten Geschöpf im Universum, Brahmā, bis hinunter zur kleinsten Ameise Individuen sind. Über Brahmā stehen noch viele andere solcher individuellen Lebewesen, und auch der Höchste Persönliche Gott ist ein lebendes Individuum. Dieses höchste Lebewesen besitzt auch die höchste Intelligenz und die unvorstellbarsten und verschiedenartigsten Energien. Wenn schon die Intelligenz des Menschen einen Satelliten hervorbringen kann, können wir uns leicht vorstellen, daß eine weitaus überlegenere Intelligenz ohne Schwierigkeiten Dinge schaffen kann, die die Schöpfungen des menschlichen Geistes bei weitem übertreffen. Jeder, der auch nur ein wenig Vernunft besitzt, wird diesem Argument ohne weiteres beipflichten, und nur ein materialistischer Starrkopf wird sich dagegen sträuben.

Śrīla Vyāsadeva jedenfalls erklärte, daß Parameṣvara, der Höchste Kontrollierende, diese höchste Intelligenz ist, und deshalb bringt Er Ihm bereits zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam seine demütigen Ehrerbietungen dar. Wie auch in der Bhagavad-gītā und in allen übrigen vedischen Schriften einstimmig bestätigt wird, ist mit »Parameṣvara« Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott gemeint. So erklärt der Höchste Herr in der Bhagavad-gītā Selbst, daß es keine Wahrheit über Ihm gibt.

Skrupellose Menschen lesen ohne Scheu sofort den Zehnten Canto, wobei sie ganz besonders an den fünf Kapiteln interessiert sind, in denen der rāsa-Tanz des Höchsten Herrn beschrieben wird, obgleich dieser Teil des Śrīmad-Bhāgavatam den vertraulichsten Teil des gesamten Werkes darstellt. Solange man jedoch nicht durch ein sorgfältiges Studium der vorhergehenden Kapitel transzendentales Wissen über den Herrn erlangt hat, wird man mit Sicherheit die verehrungswürdigen transzendentalen Spiele des Herrn, insbesondere den rāsa-Tanz und den liebevollen Austausch mit den gopīs, falsch auffassen. Diese Themen sind sehr vertraulich und spirituell, und nur befreite Seelen, die, wie schon erwähnt, die Stufe der paramahaṁsas erreicht haben, können diesen Teil des Śrīmad-Bhāgavatam verstehen. Śrīla Vyāsadeva gibt uns mit dem Śrīmad-Bhāgavatam die Möglichkeit, allmähliche Fortschritte in der spirituellen Verwirklichung zu machen, so daß auch wir später den Nektar der transzendentalen Spiele des Herrn kosten können. Aus diesem Grund chantet Er zu Beginn des Śrīmad-Bhāgavatam den Gāyatrī-mantra. Dieser mantra ist für die spirituell fortgeschrittenen Menschen bestimmt. Wenn man gelernt hat, den Gāyatrī-mantra vollendet zu chanten, kann man in das transzendentale Reich des Herrn eingehen. Zuvor ist es jedoch unbedingt notwendig, die brahmanischen Eigenschaften zu entwickeln, d.h. völlig rein zu werden. Nur so kann man die Stufe erreichen, auf der man den Herrn, Seinen Namen, Seinen Ruhm, Seine Eigenschaften usw. kennenlernt. Das Śrīmad-Bhāgavatam ist die Beschreibung der svarūpa, der Gestalt des Herrn, die durch Seine innere Energie manifestiert wird. Diese Energie ist, wie ihr Name bereits sagt, von der äußeren Energie, die die kosmische Welt erschafft, gänzlich verschieden. Śrīla Vyāsadeva unterscheidet daher im 1. Vers des Ersten Kapitels unmißverständlich zwischen diesen beiden Energien. In diesem Vers bezeichnet Er die gesamte Manifestation der inneren Energie als transzendentale Wirklichkeit, wohingegen Er die äußere, in Form der materiellen Welt manifestierte Energie mit einer Fata Morgana vergleicht, die illusionär und zeitweilig ist. In einer Fata Morgana gibt es kein Wasser, sondern nur ein Abbild davon; ebenso scheint die manifestierte kosmische Schöpfung Wirklichkeit zu sein, doch die wahre Realität, von der diese Welt nur eine pervertierte Reflexion ist, ist die spirituelle Welt. Die Absolute Wahrheit ist von spiritueller und nicht von materieller Natur.

Die kosmische Schöpfung ist aus den Wechselwirkungen der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur entstanden, und all die vergänglichen Manifestationen, wie z. B. die 8 400 000 Formen des Lebens, zu denen selbst die Formen der Halbgötter wie Brahmā, Indra und Candra gehören, sind dazu da, der bedingten Seele eine Spiegelung der Realität vorzutäuschen. In der manifestierten materiellen Welt gibt es nur relative, d. h. scheinbare, voneinander abhängige Wirklichkeiten, die pervertierte Reflexionen der wahren Realitäten in der spirituellen Welt sind, wo der Höchste Persönliche Gott ewig in Seinem transzendentalen Reich weilt.

Der Architekt eines kompliziert angelegten Gebäudes ist zwar nicht persönlich am Bau beteiligt, doch kennt er als einziger jede Ecke und jeden Winkel des Hauses, weil der gesamte Bau unter seiner Leitung stattfand. Ebenso ist Sich auch der Höchste Persönliche Gott, der höchste Architekt der kosmischen Manifestation, aller Gegebenheiten in Seiner Schöpfung bewußt, obwohl der ausführende Techniker ein anderer gewesen ist. Von Brahmā bis hinunter zur unbedeutenden Ameise ist niemand in der kosmischen Schöpfung unabhängig, denn der Höchste Herr ist alldurchdringend und allgegenwärtig. Die materiellen Elemente und auch die spirituellen Funken, die Lebewesen, gehen allein von Ihm aus; alles in der materiellen Welt Existierende entsteht aus der Wechselwirkung, in der die materielle Energie mit der spirituellen Energie, der Absoluten Wahrheit, dem Höchsten Persönlichen Gott Śrī Kṛṣṇa (Vāsudeva), steht.

Ein Chemiker mag glauben, er stelle in seinem Laboratorium selbständig Wasser her, indem er Wasserstoff und Sauerstoff miteinander vermischt, doch in Wirklichkeit handelt er unter der Führung des Höchsten Herrn, und die Materialien, die er dabei verwendet, sind ihm vom Höchsten zur Verfügung gestellt worden. An diesem Beispiel wird deutlich, daß Sich der Herr direkt und indirekt über alles in Seiner Schöpfung bewußt ist. Er kennt jedes einzelne Atom und ist doch zugleich ganz und gar unabhängig. Er gleicht einer Goldmine, und die verschiedenartigen Schöpfungen im Kosmos sind wie Goldringe und Halsketten, die aus dem Gold der Mine hergestellt sind. Der Goldring und die goldene Halskette sind zwar der Qualität nach eins mit dem Gold in der Mine, doch quantitätsmäßig besteht ein großer Unterschied zwischen ihnen. Die Philosophie von der Absoluten Wahrheit lehrt vor allem, daß der Höchste gleichzeitig eins mit und verschieden von allem ist. Nichts ist mit der Absoluten Wahrheit identisch, doch zugleich kann auch nichts unabhängig von Ihm existieren.

Alle bedingten Seelen, von Brahmā, dem Schöpfer des Universums, bis hinunter zur unbedeutenden Ameise, erschaffen etwas, doch keiner von ihnen ist vom Höchsten Herrn unabhängig. Nur der Materialist glaubt in seiner Vermessenheit, es gebe außer ihm keinen Schöpfer. Dieser Irrtum wird māyā, Illusion, genannt. Weil der törichte Materialist immer auf sein erbärmliches Wissen angewiesen ist und niemals die Grenzen seiner unvollkommenen Sinne überschreiten kann, denkt er, Materie nehme automatisch, ohne eine bewußte Ursache, Form an. Doch diese Vorstellung wird von dem völlig in der Transzendenz gründenden Śrīla Vyāsadeva im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam widerlegt, der diese maßgebliche Schrift verfaßte, nachdem er die spirituelle Vollkommenheit erlangt hatte. Da das Vollkommene Ganze bzw. die Absolute Wahrheit der Ursprung alles Existierenden ist, kann nichts unabhängig von Ihm sein. Jede Handlung und Reaktion, die mit unserem Körper zusammenhängt, wird von uns wahrgenommen, und ähnlich verhält es sich auch mit der Absoluten Wahrheit, denn da das gesamte Universum der Körper des Absoluten Ganzen ist kann dem Absoluten nichts unbekannt sein.

Im ṣruti-mantra wird ebenfalls gesagt, daß das Absolute Ganze, das Brahman, der endgültige Ursprung alles Existierenden ist. Alles geht von Ihm aus, alles wird von Ihm erhalten, und alles geht am Ende wieder in Ihn ein. So lautet das Gesetz der Natur. Im smṛti-mantra wird das gleiche bestätigt; es heißt dort, daß die Absolute Wahrheit, das Brahman, die Quelle ist, von der alles Existierende am Anfang von Brahmās Leben ausgeht, und in die am Ende seines Lebens alle Manifestationen zurückkehren. Die materialistischen Wissenschaftler glauben herausgefunden zu haben, daß die Sonne der endgültige Ursprung aller Planetensysteme ist, doch auf die Frage, welchen Ursprung die Sonne hat, wissen sie keine Antwort. Im Śrīmad-Bhāgavatam jedoch ist eine genaue Beschreibung der endgültigen Ursache aller Ursachen zu finden. Es wird dort nämlich, wie in allen anderen vedischen Schriften, erklärt, daß Brahmā der Schöpfer des Universums ist; doch auch er, so heißt es dort, mußte erst meditieren, bevor er die Fähigkeit zu schöpfen erhielt. Daher ist weder Brahmā noch die Sonne der eigentliche Ursprung der Schöpfung. Man mag sich nun fragen: Wenn Brahmā das erste Lebewesen im Universum war und es zu jener Zeit kein anderes Lebewesen gab, von wem erhielt er dann die Eingebung zum Schöpfen? Als Antwort darauf wird im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam gesagt, daß Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, Brahmā, dem untergeordneten Schöpfer, das vedische Wissen eingab, so daß dieser mit der Schöpfung beginnen konnte. Hiermit erklärt sich das erwähnte Beispiel von dem alles überwachenden Architekten. Śrī Kṛṣṇa, der Absolute Höchste Persönliche Gott, ist also die kontrollierende Intelligenz hinter allen schaffenden Halbgöttern. In der Bhagavad-gītā bestätigt Śrī Kṛṣṇa persönlich, daß die schöpfende Energie, prakṛti, d. h. die gesamte materielle Natur, unter Seiner Führung aktiv ist. Śrīla Vyāsadeva verehrt daher weder Brahmā noch die Sonne, sondern den Höchsten Herrn, Kṛṣṇa, der sowohl Brahmā als auch die Sonne lenkt.

Im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam sind die Sanskritworte »abhijñaḥ-sva-rāṭ« von besonderer Bedeutung. Diese beiden Worte unterscheiden den Herrn von allen anderen Lebewesen. Kein Lebewesen außer dem Höchsten Herrn, dem Absoluten Persönlichen Gott, ist abhijñaḥ (allwissend) oder sva-rāṭ (unabhängig), denn sie alle müssen ihr Wissen von höheren Autoritäten erfahren. Sogar Brahmā, das erste Lebewesen in der materiellen Welt, mußte über den Höchsten Herrn meditieren und sich von Ihm unterweisen lassen, um erschaffen zu können. Wenn nicht einmal Brahmā auch nur das kleinste Ding erschaffen konnte, ohne das dazu notwendige Wissen vom Höchsten Herrn zu erhalten, wie sollte dies dann den materialistischen Wissenschaftlern möglich sein, die doch in jeder Hinsicht abhängig sind? Jagadīṣa Candra Bose, Isaac Newton und Albert Einstein z. B. mögen auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sehr stolz gewesen sein, doch auch sie waren in so vieler Hinsicht vom Höchsten Herrn abhängig, denn die zweifellos sehr findigen Gehirne dieser Herren wurden mit Sicherheit nicht von einem menschlichen Wesen geschaffen. Wenn Gehirne wie die von Albert Einstein oder Isaac Newton von Menschen hergestellt werden könnten, würde man gewiß viele solcher Gehirne produzieren, statt sich damit zu begnügen, die Intelligenz einiger Wissenschaftler zu loben. Selbst diese berühmten Gelehrten waren außerstande, ein Gehirn wie das ihre zu schaffen - ganz zu schweigen also von anderen, dümmeren Atheisten, die die Autorität des Herrn herausfordern.

Auch die Māyāvādī , die sich einbilden, selbst Gott zu sein, sind nicht abhijñaḥ oder sva-rāṭ, allwissend oder unabhängig. Die Māyāvādī-Monisten nehmen zwar strenge Bußen und Opfer auf sich, um Wissen zu entwickeln und letztlich eins mit dem Herrn zu werden, doch fast immer werden sie letzten Endes von einem reichen Anhänger abhängig, der sie mit den notwendigen Mitteln versorgt, mit denen sie ihre großen Tempel und Moscheen unterhalten. Atheisten wie Rāvaṇa und Hiraṇyakaṣipu mußten schwere Bußen auf sich nehmen, bevor sie es wagen konnten, die Autorität des Herrn herauszufordern; doch als der Herr dann vor ihnen als grausamer Tod erschien, waren sie völlig hilflos und mußten ihr Leben lassen. Ein ähnliches Los erwartet die heutigen Atheisten, die es wagen, den Herrn zu verlachen. Die Weltgeschichte pflegt sich zu wiederholen, und alles was in der Vergangenheit war, wird, wenn es notwendig ist, immer wieder geschehen. Wenn die Autorität des Herrn mißachtet wird, werden die Gesetze der Natur dieses Vergehen vergelten.

Alle ṣruti-mantras bestätigen, daß der Höchste Persönliche Gott vollkommen ist. So wird in diesen mantras z. B. gesagt, daß der Höchste Herr nur, indem Er über die Materie blickte, die Lebewesen erschuf. Der Höchste Herr befruchtete also die materielle Natur mit Seinen Teilchen, den spirituellen Funken, wodurch die schaffenden Energien in Bewegung gesetzt wurden und viele wundervolle Schöpfungen manifestierten. Einer unserer atheistischen Freunde argumentierte einmal, Gott besitze, wenn er existiere, im Grunde nicht mehr Fähigkeiten als ein Uhrmacher. Wir mußten unserem atheistischen Freund jedoch erwidern, daß Gott ein weitaus größerer Schöpfer ist, da Er z. B. Maschinen in zweifacher Ausführung, mit männlichen und weiblichen Formen schaffen kann, die so vollkommen sind, daß sie wiederum ähnliche Maschinen schaffen können, ohne dafür Gottes Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Wäre der Mensch fähig, solche Maschinen zu produzieren, die imstande sind, unzählige neue Maschinen zu schaffen, ohne daß sich der ursprüngliche Hersteller darum kümmern muß, käme der Mensch Gott natürlich an Intelligenz nahe. Doch dies ist nicht möglich, da jede der unvollkommenen Maschinen des Menschen einzeln von einem Mechaniker zusammengebaut werden muß. Ein anderer Name Gottes ist daher »Asmaurdha«, was bedeutet, daß Ihm niemand gleichkommt oder Ihn überragt.

Es gibt immer jemanden, der ebenso intelligent oder sogar noch intelligenter ist als wir selbst. Kein Lebewesen kann von sich behaupten, unübertrefflich zu sein. Diese Tatsache wird ebenfalls in den ṣruti-mantras bestätigt, wo gesagt wird, daß vor der Schöpfung des materiellen Universums nur der Absolute Persönliche Gott und niemand sonst existierte. Dem Höchsten Persönlichen Gott, dem Herrn über die Schöpfung, müssen alle Lebewesen gehorchen. Das bedeutet, daß jeder, der von der Verstrickung der materiellen Welt befreit werden will, sich Ihm hingeben muß, was auch im letzten Kapitel der Bhagavad-gītā bestätigt wird.

Jeder, der sich nicht den Lotosfüßen des Höchsten Persönlichen Gottes hingibt, wird, selbst wenn er noch so intelligent ist, verwirrt bleiben. Nur dann, wenn sich die einsichtigen Menschen den Lotosfüßen Vāsudevas hingeben und völlig erkennen, daß Er die Ursache aller Ursachen ist, können sie, wie in der Bhagavad-gītā bestätigt wird, zu mahātmas, zu großen Seelen werden. Solche mahātmas sind sehr selten, doch nur sie können den Höchsten Herrn, den Absoluten Persönlichen Gott, die ursprüngliche Ursache aller Schöpfungen, verstehen. Er ist parama, die endgültige Wahrheit, denn alle anderen Wahrheiten sind als relative Wahrheiten von Ihm abhängig, und weil alle Lebewesen ihr Wissen von Ihm erhalten, ist Er Sich über alles bewußt und befindet Sich, im Gegensatz zu einem Menschen, der nur über relatives Wissen verfügt, niemals in Illusion.

Einige Māyāvādī-Gelehrte behaupten, das Śrīmad-Bhāgavatam sei nicht von Śrīla Vyāsadeva zusammengestellt worden, sondern von einem gewissen Bopadeva, einem Schriftsteller der neueren Zeit. Um dieses nichtige Argument zu widerlegen, weist Śrīla Śrīdhara Svāmī, der große Kommentator des Bhāgavatam darauf hin, daß es bereits in den ältesten Purāṇas viele Stellen gibt, die sich auf das Bhāgavatam beziehen. Der erste ṣloka (Vers) im Śrīmad-Bhāgavatam beginnt mit dem Gāyatrī-mantra, der auch im Matsya Purāṇa, dem ältesten Purāṇa erwähnt wird. In diesem Purāṇa wird darauf hingewiesen, daß es viele spirituelle Unterweisungen gibt, die, wie das Bhāgavatam, mit dem Gāyatrī-mantra beginnen, und es heißt dort auch, daß die Geschichte Vitrāsuras im Gāyatrī-mantra enthalten ist. Es gibt auch in anderen Purāṇas Hinweise auf das Bhāgavatam, in denen festgestellt wird, das diese Schrift aus 18 000 ṣlokas besteht, die in insgesamt zwölf Cantos zusammengefaßt sind. Jeder, der dieses großartige Werk am Vollmondtag verschenkt, erreicht die höchste Vollkommenheit, indem er zurück nach Hause, zurück zu Gott, geht. Das Padma Purāṇa bezieht sich ebenfalls in einem Gespräch zwischen Gautama und Mahārāja Ambarīṣa auf das Bhāgavatam. Gautama empfiehlt dem König bei einem Gespräch, das Śrīmad-Bhāgavatam zu lesen, damit er von der Fessel der Materie befreit werden könne. Damit wäre also die unantastbare Autorität des Śrīmad-Bhāgavatam erwiesen. In den letzten fünfhundert Jahren schrieben viele große Gelehrte und ācāryas, wie z. B. Jīva Gosvāmī, Sanātana Gosvāmī und Viṣvanātha Cakravartī Ṭhākura, einzigartige Kommentare zum Bhāgavatam, die von ihrem tiefen Wissen zeugen. Wirklich Ernsthafte täten gut daran, diese Kommentare sorgfältig zu studieren, um so ein wirkliches Verständnis von der transzendentalen Botschaft des Bhāgavatam zu gewinnen.

Śrīla Viṣvanātha Cakravartī Ṭhākura befaßte sich besonders mit der ursprünglichen, transzendentalen Sexualität (adi-rasa), die frei ist von aller weltlicher Unreinheit. Die materielle Welt beruht auf dem Prinzip der Sexualität, und gerade in der heutigen menschlichen Zivilisation ist Sex das Zentrum allen Denkens und Handelns, wie wir es überall beobachten können. Sexualität ist daher keinesfalls unwirklich, sondern existiert vielmehr in ihrer wirklichen, reinen Form in der spirituellen Welt. Materielle Sexualität ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine pervertierte Reflexion der ursprünglichen sexuellen Freude. Die ursprüngliche, reine Sexualität existiert in der Absoluten Wahrheit, und deshalb kann die Absolute Wahrheit nicht unpersönlich sein, denn etwas Unpersönliches kann nichts mit reiner Sexualität zu tun haben. Die unpersönliche, monistische Philosophie fordert indirekt zur verabscheuenswerten weltlichen Sexualität auf, da sie zu sehr den unpersönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit betont. Durch die unpersönliche Auffassung bedenkenlos geworden halten viele Menschen, denen es an spirituellem Wissen mangelt, die unreine Form der Sexualität für das einzige Ziel des Lebens. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen der Sexualität im krankhaften materiellen Zustand und der Sexualität im spirituellen Leben auf der transzendentalen Ebene. Das Śrīmad-Bhāgavatam kann den unvoreingenommenen Leser zu dieser höchsten transzendentalen Stufe erheben, die weit über den drei materiellen Aktivitäten steht - sowohl über gewinnbringenden Tätigkeiten als auch über spekulativem Philosophieren, als auch über der Verehrung der herrschenden Halbgötter, die in den Veden erwähnt werden. Das Śrīmad-Bhāgavatam ist die Verkörperung des hingebungsvollen Dienens für den Höchsten Persönlichen Gott, Śrī Kṛṣṇa. Daher übertrifft es alle anderen vedischen Schriften.

Unter Religiosität versteht man im allgemeinen vier Dinge: 1) fromme Handlungen, 2) wirtschaftliche Entwicklung, 3) die Befriedigung der Sinne und 4) die Befreiung von der materiellen Bedingtheit. Ein religiöses Leben unterscheidet sich wesentlich von einem irreligiösen Barbarendasein, und deshalb beginnt das menschliche Leben im Grunde erst dann, wenn man ein religiöses Leben führt. Die vier Prinzipien des tierischen Lebens - Essen, Schlafen, Sich-Paaren und Sich-Verteidigen sind sowohl den Tieren als auch den menschlichen Wesen gemein. Somit ist Religion das einzige, was den Menschen vom Tier unterscheidet, oder anders gesagt: Ohne Religion ist die menschliche Gesellschaft nicht besser als eine Gesellschaft von Tieren. Aus diesem Grund gibt es in jeder wirklichen menschlichen Gesellschaft irgendeine Form der Religion, die darauf hinzielt, die ewige Beziehung des Lebewesens zu Gott wiederherzustellen.

Die Mitglieder der niedrigen Zivilisationsformen wetteifern ständig miteinander in ihrem Bemühen, die materielle Natur zu beherrschen bzw. ihre Sinne zu befriedigen. Es ist also nicht verwunderlich, daß sich viele Menschen, getrieben von dem Verlangen nach Sinnenfreude, der Religiosität zuwenden und nur deshalb fromm handeln, weil sie sich davon materiellen Gewinn versprechen. Wenn sich ihnen eine Möglichkeit bietet, ihr Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen, legen sie ihre sogenannte Religiosität ohne zu zögern ab. Dies ist gerade in der heutigen Zivilisation zu beobachten, wo alle ökonomischen Bedürfnisse anscheinend besser auf andere Art als ausgerechnet durch Religiosität erfüllt werden können, was zur Folge hat, daß niemand mehr an Religion interessiert ist. Die Kirchen, Moscheen und Tempel stehen praktisch leer, und die Menschen zeigen weitaus größeres Interesse an Fabriken, Geschäften und Kinos als an den religiösen Stätten ihrer Vorväter. Dies weist eindeutig darauf hin, daß Religiosität im allgemeinen nur zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung gepflegt wird: die wirtschaftliche Entwicklung wiederum ist Voraussetzung für die Möglichkeiten zum Sinnengenuß, und wenn man dann schließlich im Versuch, die Sinne zu befriedigen, gescheitert ist, entsteht der Wunsch nach Befreiung, wobei man eins mit dem Höchsten werden will. Hieraus läßt sich deutlich ersehen, daß auch der Wunsch nach Befreiung letztlich nur auf das Verlangen nach Sinnenbefriedigung zurückzuführen ist.

Die Veden beschreiben, wie sich die obenerwähnten vier Aktivitäten regulieren lassen, denn durch die Regulierung dieser Prinzipien wird verhindert, daß sich die Mitglieder der Gesellschaft in einem übersteigerten Kampf um Sinnenfreude ergehen. Das Śrīmad-Bhāgavatam jedoch ist transzendental zu allem, was mit materieller Sinnenfreude zusammenhängt. Es ist völlig rein und kann daher nur von Gottgeweihten verstanden werden, die ebenfalls rein sind und über dem Wettstreit um Sinnengenuß stehen. In der materiellen Welt herrscht durch das Verlangen nach sinnlicher Befriedigung ständig Rivalität zwischen Tieren, Menschen, Gemeinschaften und selbst Nationen, doch die Gottgeweihten werden davon nicht berührt. Die Gottgeweihten denken nicht daran, mit den Materialisten zu kämpfen, denn sie befinden sich auf dem Rückweg zum Reich Gottes, wo alles ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit ist. Solche Transzendentalisten sind frei von allem Neid und deshalb rein im Herzen. In der materiellen Welt ist jeder auf seinen Nächsten neidisch, und aufgrund dessen wird in allen Teilen der Erde der gleiche erbarmungslose Konkurrenzkampf ausgefochten. Die Transzendentalisten oder Gottgeweihten dagegen sind nicht nur frei von allem materiellen Neid, sondern sie sind auch allen Lebewesen gütig gesinnt. Ihr Bemühen geht dahin, eine streitlose Gesellschaft mit Gott im Zentrum zu errichten.

Die sozialistische Vorstellung von einer wettstreitlosen Gesellschaft ist utopisch, denn auch in einem sozialistischen Staat gibt es Wettstreit, nämlich den Machtkampf um die Position des Führers. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß das Verlangen nach Sinnenfreude im materialistischen Leben nicht zu vermeiden ist, was sowohl durch die Handlungsweise der Menschen als auch durch die Aussage der Veden bestätigt wird.

Wie bereits erwähnt wurde, sind die Veden in drei Teile gegliedert: Der erste Teil befaßt sich mit den gewinnbringenden Handlungen, durch die man zu höheren Planeten erhoben werden kann; im zweiten Teil wird die Verehrung der verschiedenen Halbgötter beschrieben, durch die man das gleiche Ziel erreicht, und der letzte Teil schließlich erläutert, wie man den unpersönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit verwirklicht und mit Ihm eins werden kann. Die Erkenntnis des unpersönlichen Brahman-Aspektes ist jedoch nicht die endgültige Verwirklichung der Absoluten Wahrheit, denn über diesem unpersönlichen Aspekt steht der Überseelen- oder Paramātma-Aspekt, und die höchste Stufe ist die Erkenntnis des persönlichen Bhagavān-Aspektes, d. h. die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes. Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man eine genaue Beschreibung des persönlichen Aspektes der Absoluten Wahrheit, der sich völlig vom unpersönlichen Aspekt unterscheidet. Somit behandelt das Bhāgavatam viel wichtigere Themen als die Spekulation der Unpersönlichkeitsanhänger, und aus diesem Grund befindet es sich auf einer viel höheren Ebene als der jñāna-kāṇḍa-Teil, der karma-kāṇḍa-Teil und sogar der upaṣana-kāṇḍa-Teil der Veden, denn es empfiehlt, den Höchsten Persönlichen Gott, Śrī Kṛṣṇa, den göttlichen Sohn Vasudevas, zu verehren. Im karma-kāṇḍa-Teil der Veden werden die Menschen zum Wettkampf um einen Platz auf den himmlischen Planeten angespornt, da man dort seine Sinne tausendmal besser genießen kann als auf der Erde. Der Pfad des jñāna-kāṇḍa und der des upaṣana-kāṇḍa empfehlen ähnliches, doch das Śrīmad-Bhāgavatam ist über all dies erhaben, denn es hat die Höchste Wahrheit, die Substanz und Wurzel allen vedischen Wissens, zum Ziel. Mit Hilfe des Śrīmad-Bhāgavatam können wir also, mit anderen Worten, sowohl die Substanz als auch die untergeordneten relativen Wahrheiten in ihrer wirklichen Perspektive erkennen. Die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, ist die Substanz, und alle Erweiterungen, die von Ihm ausgehen, sind relative Wahrheiten in Form von verschiedenen Energien. Die Lebewesen sind mit diesen Energien verbunden, und daher sind sie im Grunde von der Substanz, Kṛṣṇa, nicht verschieden; doch zur gleichen Zeit unterscheiden sie sich vom Höchsten. Diese beiden Aussagen widersprechen sich, auch wenn es so scheint, nicht im geringsten, doch weil sie für uns so schwer zu verstehen sind, erklärt das Bhāgavatam die hohe Philosophie des Vedānta-sūtra, nach der alles zur gleichen Zeit eins mit und dennoch verschieden von der Absoluten Wahrheit ist, auf sehr ausführliche und verständliche Weise.

Jeder, der mit diesem erhabenen Wissen vertraut ist, zieht großen Nutzen daraus. Die Auffassung der Māyāvādīs dagegen, nach der die unpersönliche Energie das Absolute ist, führt die Menschen lediglich in die Irre. Daher wird jemand, der die Wahrheit wirklich versteht, viel zufriedener als die Unpersönlichkeitsanhänger, die sich mit den unvollkommenen Philosophien des Monismus oder des Dualismus begnügen. Das Verständnis vom Höchsten ist sogar so segensreich, daß jeder, der es entwickelt, von den dreifachen Leiden des materiellen Daseins befreit wird. Diese dreifachen Leiden sind 1. Leiden, die ihre Ursache im eigenen Körper und Geist haben, 2. Leiden, die uns von anderen Lebewesen zugefügt werden und 3. Leiden, die durch höhere Gewalt entstehen, wie z. B. Schicksalsschläge oder Naturkatastrophen.

Das Śrīmad-Bhāgavatam beginnt an dem Punkt, wo sich das Lebewesen der Absoluten Person hingibt und sich völlig bewußt ist, daß es mit dem Absoluten eins ist, jedoch zugleich auch versteht, daß es in seiner wesenseigenen Identität der ewige Diener des Höchsten Herrn ist. Im materiellen Bewußtsein hält sich das Lebewesen fälschlich für den Herrn über alles, was es erblicken kann, und wird aus diesem Grunde ständig von den dreifachen Leiden heimgesucht. Doch sowie es sich gemäß seiner eigentlichen Identität im transzendentalen hingebungsvollen Dienen beschäftigt, wird es von diesen Leiden befreit. Im materiellen Bewußtsein vergißt das Lebewesen, daß es der ewige Diener des Herrn ist, und wird durch die falsche Vorstellung, selbst der Höchste zu sein, gezwungen, den relativen Energien der Materie zu dienen. Doch sobald es sich seiner spirituellen Identität bewußt wird und sich im transzendentalen Dienst des Herrn beschäftigt, wird es von den materiellen Leiden befreit.

Das Śrīmad-Bhāgavatam ist der persönliche Kommentar des Verfassers des Vedānta zum Vedānta-sūtra, den er erst schreiben konnte, nachdem er durch die Gnade Nārada Munis die Absolute Wahrheit auf höchster Ebene verwirklicht hatte. Śrīla Vyāsadeva ist eine Inkarnation Nārāyaṇas, des Persönlichen Gottes. Daher steht seine Autorität außer Zweifel. Er verfaßte auch alle anderen vedischen Schriften, und daher entspricht es der Wahrheit, wenn er sagt, daß das Śrīmad-Bhāgavatam als das wichtigste Seiner Werke zu betrachten sei. In den anderen Purāṇas werden verschiedene Methoden der Halbgötterverehrung beschrieben, doch das Bhāgavatam handelt einzig und allein vom Höchsten Persönlichen Gott, der mit einem Körper verglichen wird, zu dem die Halbgötter wie die verschiedenen Körperteile gehören. Man braucht demnach die Halbgötter nicht gesondert zu verehren, wenn man dem Höchsten Herrn dient.

Śrī Caitanya Mahāprabhu bezeichnete das Śrīmad-Bhāgavatam als das »makellose Purāṇa«, das alle anderen Purāṇas übertrifft. Die transzendentale Botschaft dieses großen Werkes kann nur durch ergebenes Hören verstanden werden. Eine herausfordernde Haltung kann niemandem helfen, diese erhabene Botschaft zu empfangen, geschweige denn sie zu verwirklichen. Aus diesem Grund wird im ersten Vers des Śrīmad-Bhāgavatam darauf hingewiesen, daß man begierig sein muß zu hören. Diese Qualifikation bildet die wichtigste Voraussetzung für den Empfang transzendentalen Wissens.

Doch unglücklicherweise sind die meisten Menschen nicht daran interessiert, der Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam geduldig zuzuhören. Obwohl dieser Vorgang sehr einfach ist, scheint seine Durchführung doch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden zu sein. Diejenigen nämlich, die vom Unglück verfolgt werden, finden zwar immer genügend Zeit, über soziale, politische oder andere weltliche Themen zu hören, doch wenn man sie einlädt, an einer Versammlung von Gottgeweihten teilzunehmen, die zusammengekommen sind, um aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zu hören, werden sich solche armseligen Geschöpfe entweder weigern oder gerade den Teil hören wollen, den sie nicht im geringsten verstehen können. Skrupellose Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, das Śrīmad-Bhāgavatam vorzutragen, nutzen diesen unglücklichen Umstand aus, um in den vertraulichsten transzendentalen Spielen des Herrn zu schwelgen, die sich aus ihrem Mund wie gewöhnliche Liebesgeschichten anhören. Das Hören aus dem Śrīmad-Bhāgavatam sollte jedoch mit dem Ersten Canto beginnen, und man sollte erst dann einen neuen Vers empfangen, wenn man den vorhergehenden verstanden hat. Diejenigen, die qualifiziert sind, das Bhāgavatam zu verstehen, werden im Ersten Canto im 2. Vers des 1. Kapitels beschrieben; dort heißt es, daß man nur, nachdem man viele fromme Taten ausgeführt hat, die Notwendigkeit erkennt, aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zu hören, daß jedoch ein wirklich intelligenter Mensch auch so auf die Worte Śrīla Vyāsadevas vertraut und aufmerksam der Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam Gehör schenkt, um schließlich den Höchsten Persönlichen Gott zu erkennen. Sowie man sich bereit erklärt, der Botschaft des Śrīmad-Bhāgavatam geduldig zuzuhören, kann man, ohne die in den Veden vorgeschriebenen Reinigungsvorgänge durchzuführen, direkt die Stufe des paramahaṁsa erreichen. Die Weisen von Naimiṣāraṇya erklärten Sūta Gosvāmī, ihr Wunsch, das Śrīmad-Bhāgavatam zu verstehen, werde immer größer, je länger sie ihm zuhörten, und so wurden sie es niemals müde, Sūtas Worten zu lauschen, als er ihnen von Kṛṣṇa erzählte; denn Menschen, die wirkliche Zuneigung für Kṛṣṇa entwickelt haben, wollen nicht aufhören, mehr und mehr über die Herrlichkeit des Herrn zu erfahren.

Śrī Caitanya gab Prakāṣānanda daher folgenden Rat: »Lies ständig im Śrīmad-Bhāgavatam und versuche, jeden einzelnen Vers zu verstehen; nur so wirst du auch den Vedānta begreifen können. Du sagtest, dir sei viel daran gelegen, das Vedānta-sūtra zu studieren, doch wird dir das Vedānta-sūtra für immer ein Geheimnis bleiben, wenn du nicht zuvor das Śrīmad-Bhāgavatam verstehst.« Auch riet Er Prakāṣānanda Sarasvatī, ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« zu chanten. »Wenn du diese Anweisung befolgst«, fuhr Er fort, »wirst du schon bald befreit sein und danach das höchste Ziel des Lebens, Liebe zu Gott, erreichen.«

Der Herr zitierte daraufhin einige Verse aus den maßgeblichen Schriften wie dem Śrīmad-Bhāgavatam, der Śrīmad-Bhagavad-gītā und dem Nṛṣiṁha-tapaṇi. Aus der Bhagavad-gītā führte Er den 54. Vers des Achtzehnten Kapitels an, wo Śrī Kṛṣṇa sagt, daß jeder, der selbstverwirklicht ist, da er seine Identität mit dem Brahman erkannt hat, glücklich wird und sich um nichts mehr bemüht und um nichts mehr klagt. Solch ein Mensch sieht alle Lebewesen mit gleichen Augen und wird zu einem reinen Gottgeweihten. Ähnlich wird auch in der Nṛṣiṁha-tapaṇi gesagt, daß nur ein wirklich befreiter Mensch die transzendentalen Spiele des Höchsten Herrn verstehen kann und daraufhin mit hingebungsvollem Dienen für den Herrn beginnt. Śrī Caitanya zitierte auch einen Vers aus dem Zweiten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam. Dort sagt Śukadeva Gosvāmī: »Obgleich ich die Befreiung erlangt hatte und völlig frei vom Einfluß māyās war, fühlte ich mich zu den transzendentalen Spielen Śrī Kṛṣṇas hingezogen.« Aus diesem Grund studierte auch er das Śrīmad-Bhāgavatam.

Der Herr zitierte als nächstes einen Vers aus dem 15. Kapitel des Dritten Cantos, der beschreibt, wie die vier Kumāras Kṛṣṇa-bewußt wurden: Als die vier Brüder einmal den Tempel des Herrn besuchten, wurden sie unwiderstehlich vom Duft der Blumen und tulasī-Blätter angezogen, die den Lotosfüßen des Herrn zusammen mit Sandelholzpaste geopfert waren, und weil sie vom transzendentalen Duft ganz bezaubert wurden, verspürten sie augenblicklich eine starke Anziehung zum hingebungsvollen Dienen für den Herrn, obwohl sie bereits befreit waren. Selbst die befreiten Seelen, die nicht mehr vom Einfluß der materiellen Natur berührt werden, fühlen sich, wie im 7. Kapitel des Ersten Cantos bestätigt wird, zum hingebungsvollen Dienen für den Herrn hingezogen. Gott ist so anziehend. - Deshalb trägt Er den Namen Kṛṣṇa.

Als Śrī Kṛṣṇa Caitanya mit Prakāṣānanda Sarasvatī über das Śrīmad-Bhāgavatam sprach, erwähnte ihr Gastgeber, der brāhmaṇa aus Mahārāṣṭra, daß der Herr für den ātmārāma-Vers einmal vierundsechzig verschiedene Interpretationen gegeben habe. Als die sannyāsīs dies hörten, wollten sie natürlich unbedingt wissen, welche Versionen der Herr für den ātmārāma-ṣloka kannte, und so erklärte Śrī Caitanya diesen Vers noch einmal in der gleichen Weise wie Er ihn zuvor Sanātana Gosvāmī erklärt hatte. Als die Anwesenden die unfaßbare Erklärung des ātmārāma-ṣloka hörten, wunderten sie sich und stimmten darin überein, daß Śrī Caitanya niemand anderes sei als Śrī Kṛṣṇa Selbst.

24. KAPITEL

Caitanya

Gespräche mit Sārvabhauma Bhaṭṭācārya

Als Śrī Caitanya in Jagannātha Purī mit Sārvabhauma Bhaṭṭācārya zusammentraf, wollte Bhaṭṭācārya, als der größte Logiker seiner Zeit, den Herrn in den Lehren des Vedānta-sūtra unterweisen. Er befand sich etwa im Alter von Śrī Caitanyas Vater, und da er eine Art von väterlicher Zuneigung für den jungen sannyāsī empfand, nahm er sich des Herrn an und bat Ihn, Ihm das Vedānta-sūtra erklären zu dürfen; denn ohne das Verständnis des Vedānta-sūtra, so sagte er, werde es für Śrī Caitanya sehr schwer sein, sein ganzes Leben hindurch sannyāsī zu bleiben. Der Herr war mit dem Vorschlag einverstanden, und so setzten sie sich in den Tempel von Jagannātha, wo Bhaṭṭācārya sieben Tage lang ununterbrochen zu dem Herrn sprach. Ohne ein Wort zu sagen, hörte Śrī Caitanya seinen Erklärungen zu, bis Sein Schweigen Sārvabhauma Bhaṭṭācārya schließlich am achten Tag gar zu seltsam schien und er sagte: »Du hörst jetzt schon seit einer Woche aus dem Vedānta-sūtra von mir, und doch hast Du bisher noch keine einzige Frage gestellt und Dich weder positiv noch negativ zu meiner Interpretation geäußert; daher frage ich mich langsam, ob Du mich überhaupt verstehst. «

Der Herr erwiderte: »Ich bin ein Dummkopf und habe den Vedānta nie studiert, doch weil du Mich gebeten hast zuzuhören, versuche Ich deine Worte zu verstehen. Du sagtest, es sei die Pflicht eines jeden sannyāsī, das Vedānta-sūtra zu kennen, und deshalb sitze Ich hier und höre dir zu; mit deinen Interpretationen weiß Ich jedoch nichts anzufangen. «

Der Herr wollte damit sagen, daß es im Māyāvādī-sampradāya viele sogenannte sannyāsīs gibt, die im Grunde nicht sehr intelligent sind und oft nicht einmal die Schriften gelesen haben, die aber der Form halber das Vedānta-sūtra von ihrem geistigen Meister hören, obgleich sie kein Wort davon verstehen können. Śrī Caitanya, der natürlich die volle Bedeutung des Vedānta kannte, tat nur deshalb so, als könnte Er die Erklärungen Bhaṭṭācāryas nicht begreifen, weil Er mit den Interpretationen der Māyāvādī-Philosophen nicht einverstanden war. Als Bhaṭṭācārya vernahm, daß der Herr seine Erklärungen angeblich nicht verstehen konnte, sagte er: »Wenn Du mir nicht folgen kannst, warum fragst Du dann nicht einfach, sondern bleibst stillschweigend sitzen? Mir scheint, Du hast etwas zu meinen Erklärungen zu sagen!«

Darauf antwortete ihm der Herr: »Zum Vedānta-sūtra bzw. zur Bedeutung des Vedānta selbst habe Ich keine Fragen, doch deine Auslegung bleibt Mir unverständlich. Die Bedeutung der ursprünglichen Aphorismen ist an sich nicht schwer zu verstehen, doch die Art und Weise, wie du sie Mir erklärst, scheint Mir ihre eigentliche Bedeutung zu verzerren. Du gibst nicht die direkte Bedeutung des Vedānta wieder, sondern erfindest eine eigene unvollkommene Interpretation, wodurch du den wirklichen Sinn verschleierst. Ich glaube, du mißbrauchst den Vedānta nur dazu, deine eigene Lehre zu propagieren.

Wie in der Mukti-Upaniṣad gesagt wird, gibt es insgesamt 108 Upaniṣaden, von denen die folgenden elf am bedeutendsten sind:

Īṣopaniṣad, Kenopaniṣad, Kaṭhopaniṣad, Praṣnopaniṣad, Muṇḍakopaniṣad, Māṇḍūkyopaniṣad, Taittirīyopaniṣad, Aitareyopaniṣad, Chāndakyopaniṣad, Bṛhad-āranyakopaniṣad, Brahmopaniṣad.

In diesen 108 Upaniṣaden ist alles Wissen über die Absolute Wahrheit enthalten. Manchmal werden wir gefragt, warum wir gerade auf 108 Gebetsperlen chanten - der Grund dafür ist, daß es 108 Upaniṣaden gibt. Eine andere Erklärung der Vaiṣṇava-Transzendentalisten lautet, daß Kṛṣṇa im rāsa-Tanz mit 108 gopīs tanzte.

Śrī Caitanya wandte Sich also entschieden gegen die falschen Interpretationen der Upaniṣaden, womit Er Sārvabhaumas Erklärungen, die nicht die direkten Bedeutungen der Upaniṣaden wiedergaben, ablehnte. Die direkte Erklärung wird abhidhā-vṛtti genannt, und die indirekte lakṣaṇā-vṛtti oder guṇa vṛtti. Die letztere ist wertlos, da sie niemanden zu einem wirklichen Verständnis verhelfen kann.

Es gibt vier Wege des Verstehens: 1. das direkte Verstehen, 2. das hypothetische Verstehen, 3. das historische Verstehen und 4. das Verstehen durch Hören. Von diesen ist der Weg des Hörens der wirksamste, d. h., wirkliches Wissen kann dann erlangt werden, wenn man aus den vedischen Schriften hört, die als Klangrepräsentation der Absoluten Wahrheit gelten. Alle großen Weisen bestätigen, daß es das einfachste und beste ist, durch Hören zu lernen.

Kot und Knochen werden in den vedischen Schriften als unrein beschrieben, doch zur gleichen Zeit wird dort gesagt, daß der Dung der Kuh und das Gehäuse der Muschel vollkommen rein sind. Das scheint ein Widerspruch zu sein, aber weil diese Aussagen von den vedischen Schriften gemacht werden, sind sie als wahr anerkannt. Unsere weltlichen Einwände, die wir gegen diese Feststellung erheben mögen, können nichts an den Tatsachen ändern. Wer dennoch versucht, die Aussagen durch indirekte Interpretation oder mit Hilfe von Hypothesen zu begreifen, fordert die Autorität der Veden nur unnötig heraus. Mit anderen Worten: Niemand kann die vedischen Erklärungen vermöge unvollkommener Spekulationen verstehen; nur wenn man sie so akzeptiert, wie sie sind, kann man ihr Verständnis erlangen. Andernfalls leugnet man die Autorität der Veden und nimmt sich dadurch selbst die Möglichkeit, wahres Wissen zu erreichen.

Śrī Caitanya sagte, daß Menschen, die versuchen, die vedischen Aussagen zu interpretieren, nicht sehr intelligent seien, denn sie führten sich und ihre Anhänger mit ihren falschen Auslegungen lediglich in die Irre. In Indien gibt es eine Gruppe von Philosophen, die als Aryasamaji bekannt sind, und die von sich behaupten, sie würden nur die ursprünglichen Veden und keine anderen vedischen Schriften akzeptieren. Doch in Wirklichkeit sind sie nur an ihren eigenen Interpretationen interessiert, und deshalb warnte uns Śrī Caitanya davor, ihre Spekulationen zu akzeptieren, die nicht im geringsten mit den vedischen Prinzipien zu vereinbaren sind. Śrī Caitanya führte in diesem Zusammenhang ein Beispiel an, bei dem Er die Aussagen der Upaniṣaden mit dem Sonnenlicht verglich. Er sagte: »Im Sonnenlicht kann man alle Dinge klar und deutlich erkennen. Ebenso sind auch die Aussagen der Veden klar und deutlich zu verstehen; doch die Māyāvādī-Philosophen verbergen dieses Sonnenlicht mit der Wolke ihrer falschen Interpretationen.«

Śrī Caitanya erklärte weiter, daß alle Upaniṣaden auf die Absolute Wahrheit, das Brahman, hinzielen. Das Wort »Brahman« bedeutet das »Größte«, und wenn wir vom Größten sprechen, beziehen wir uns natürlich auf den Höchsten Persönlichen Gott, den Ursprung alles Existierenden. Würde das Größte nicht alle sechs Füllen in sich bergen, könnte es nicht als solches bezeichnet werden. Daraus geht eindeutig hervor, daß mit dem Größten, in dem alle sechs Füllen ruhen, der Höchste Persönliche Gott gemeint ist. Mit anderen Worten: Das Höchste Brahman ist der Höchste Persönliche Gott.

Auch in der Bhagavad-gītā wird Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, als das Höchste Brahman akzeptiert. Der unpersönliche Brahman-Aspekt und der lokalisierte Überseelen-Aspekt sind im persönlichen Aspekt der Absoluten Wahrheit enthalten.

Wenn wir vom Höchsten Persönlichen Gott sprechen, fügen wir im allgemeinen das Wort »Śrī« hinzu. »Śrī« bedeutet, daß Er über alle sechs Füllen verfügt, bzw. ewiglich eine Person ist. Wäre der Höchste keine Person, könnte Er auch keine Füllen besitzen. Wenn die Höchste Absolute Wahrheit daher manchmal als unpersönlich beschrieben wird, so bedeutet dies lediglich, daß Er keine Person von dieser Welt ist. Um den transzendentalen Körper Gottes von materiellen Körpern zu unterscheiden, bezeichnen ihn manche Philosophen als »im materiellen Sinne unpersönlich«. Damit wollen sie sagen, daß die Höchste Wahrheit keine materielle Person ist, sondern eine spirituelle Persönlichkeit mit spirituellen Eigenschaften. In der Śvetāṣvatara Upaniṣad wird im 19. Vers des Dritten Kapitels erklärt, daß die Absolute Wahrheit keine materiellen Hände und Füße hat, sondern spirituelle Hände, mit denen Er alles annimmt, was wir Ihm opfern. Der Höchste hat keine materiellen Ohren, doch Er kann alles hören. Er hat vollkommene Sinne und kennt daher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er kennt alles, doch niemand kennt Ihn, denn Er befindet Sich jenseits der Reichweite der materiellen Sinne. Er ist der Ursprung aller Inkarnationen und Manifestationen Gottes; Er ist der Höchste, der Erhabene, der Absolute Persönliche Gott.

Es gibt viele vedische Hymnen, die uns zu verstehen geben, daß die Höchste Wahrheit eine Person ist, doch weisen sie alle gleichzeitig darauf hin, daß man Ihn keinesfalls mit einer Person der materiellen Welt vergleichen darf. Im Hayaṣirṣa-pañcarātra wird in einem Vers folgendes erklärt: » Die Upaniṣaden beschreiben das Höchste Brahman zuerst in Seinem unpersönlichen Aspekt, doch letzten Endes akzeptieren sie alle, daß die Höchste Wahrheit eine Person ist und Gestalt hat.« Diese Aussage wird im 15. mantra der Īṣopaniṣad bestätigt, in dem darauf hingewiesen wird, daß sich jeder im hingebungsvollen Dienen für den Höchsten Persönlichen Gott beschäftigen soll:

hiraṇmayena pātreṇa satyasyāpihitani mūkham
tat tvaṁ pūṣann apāvṛṇu satya-dharmāya dṛṣṭaye

» O mein Herr, Du bist der Erhalter des gesamten Universums. Jeder ist von Deiner Barmherzigkeit abhängig, und deshalb ist hingebungsvolles Dienen für Dich die einzig wahre Religion. Aus diesem Grunde bin ich ständig bemüht, Dir in Liebe und Hingabe zu dienen, und hoffe, daß Du mich erhältst und mich immer mehr in Deinem transzendentalen Dienst beschäftigst. Du bist der Höchste Persönliche Gott, und Deine Gestalt ist sac-cid-ānanda - ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit. Die Ausstrahlung, die von Dir ausgeht, ist wie der Sonnenschein über die gesamte Schöpfung verbreitet. Deine transzendentale Gestalt wird, wie die Sonne, die von gleißenden Strahlen umgeben wird, vom leuchtenden brahmajyoti umhüllt. Bitte entferne diese gleißende Ausstrahlung, damit ich Dich in Deiner ursprünglichen Form sehen kann.«

In diesem Vers der Īṣopaniṣad wird gesagt, daß sich die ewig-glückselige Gestalt des Höchsten Herrn in der gleißenden Ausstrahlung des brahmajyoti befindet. Das brahmajyoti geht vom Körper des Höchsten aus, und daher ist Er der Ursprung des brahmajyoti. Wie in der Bhagavad-gītā und auch im Hayaṣirṣa-pañcarātra bestätigt wird, geht das ursprüngliche Brahman von der Höchsten Persönlichkeit aus. Wie wir weiter aus dem 15. mantra der Īṣopaniṣad ersehen können, ist die Höchste Absolute Wahrheit sowohl unpersönlich als auch ewige Person; doch der persönliche Aspekt ist wichtiger als der unpersönliche.

In einem mantra der Taittirīya Upaniṣad heißt es: yato va imāṇi bhūtāṇi.»Die gesamte kosmische Manifestation geht von der Höchsten Absoluten Wahrheit aus und ruht zugleich in Ihr.« Die Absolute Wahrheit ist der ablative, kausale und lokative Vollbringer. Diese Symptome sind eindeutig Merkmale einer Persönlichkeit, und deshalb muß die Absolute Wahrheit eine Person sein. Weil Er die Absolute Wahrheit, der ablative Kontrollierende der kosmischen Manifestation ist, muß Er denken, fühlen und wollen können. Ohne diese drei psychischen Symptome hätte die kosmische Manifestation nicht so wunderbar entworfen und arrangiert werden können. Außerdem ist der Höchste kausal, d. h., Er ist der ursprüngliche Designer der kosmischen Manifestation, und Er ist lokativ, weil alles in Seiner Energie ruht. Dies sind Symptome, die eindeutig auf eine Persönlichkeit hinweisen.

In der Chāndogya Upaniṣad wird gesagt: »Wenn Sich der Höchste Persönliche Gott erweitern will, erschafft Er die materielle Natur.« In der Taittirīya Upaniṣad wird das gleiche noch einmal in anderen Worten bestätigt: »Der Herr blickte über die materielle Natur und bewirkte dadurch die kosmische Manifestation.« Vor diesem Zeitpunkt gab es die kosmische Manifestation noch nicht, und deshalb kann der Blick des Höchsten Herrn nicht materiell sein. Weil Sein Körper vor der materiellen Schöpfung existierte, kann auch Sein Körper nicht materiell sein. Sein Denken, Fühlen und Wollen sind ebenfalls transzendental. Mit anderen Worten: Der Geist, mit dem der Herr denkt, fühlt und will, und auch die Augen, mit denen Er über die materielle Natur blickt, müssen transzendental sein. Da Seine Sinne bereits vor der materiellen Schöpfung existierten, hat Er einen transzendentalen Körper, einen transzendentalen Geist und ein transzendentales Denken, Fühlen und Wollen. Diese Feststellung ist die Essenz aller vedischen Schriften. In den Upaniṣaden findet man immer wieder das Wort »Brahman«. Im Śrīmad-Bhāgavatam werden dieses Brahman, der Paramātma und Bhagavān, der Höchste Persönliche Gott, zusammen als die Absolute Wahrheit bezeichnet, d. h., die Brahman-Erkenntnis und die Erkenntnis des Paramātma sind nur verschiedene Stufen auf der Leiter der transzendentalen Verwirklichung. Die oberste Sprosse oder die endgültige Verwirklichung ist die Erkenntnis des Höchsten Persönlichen Gottes. Zu dieser Schlußfolgerung gelangen alle vedischen Schriften. Aufgrund der Autorität der vedischen Schriften wird der Höchste Herr, Śrī Kṛṣṇa, von allen großen Transzendentalisten als das endgültige Ziel der Brahman-Verwirklichung anerkannt und auch die Bhagavad-gītā bestätigt, daß sich keine Wahrheit über Kṛṣṇa befindet. Madhvācārya, ein berühmter ācārya im Brahma-sampradāya (in der Nachfolge von geistigen Meistern, die von Brahmā ausgeht), erklärt in seinem Kommentar zum Vedānta-sūtra, daß man mit Hilfe der autorisierten Schriften alles erkennen kann, wie es ist. Zur Bestätigung zitiert er einen Vers aus dem Bhobiṣya-Purāṇa, in dem gesagt wird, daß der Ṛk-, Sāma- und Atharva-veda, das Mahābhārata, das Pañcarātra und der ursprüngliche Rāmāyaṇa stichhaltige vedische Schriften sind, die die Unwissenheit beseitigen können. Darüber hinaus zählen auch die Purāṇas, die von den Vaiṣṇavas ebenfalls als Autorität anerkannt werden, zu den maßgeblichen vedischen Schriften. Alles, was in diesen Werken gesagt wird, sollte man ohne Einwände als endgültige Wahrheit akzeptieren, und in all diesen Schriften wird einstimmig erklärt, daß Śrī Kṛṣṇa der Höchste Persönliche Gott ist.

25. KAPITEL

Caitanya

Persönliche und unpersönliche Verwirklichung

Die Purāṇas sind als Ergänzung zu den vedischen Schriften verfaßt worden, weil manchmal das, was in den ursprünglichen Veden behandelt wird, zu schwierig ist, um von gewöhnlichen Menschen verstanden zu werden. Sie ermöglichen es jedem, auch die schwierigsten Themen zu verstehen, da sie das komplizierte Wissen der Veden auf leichtverständliche Weise in Form von Geschichten und historischen Ereignissen erklären. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 14. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß Nanda Mahārāja und die übrigen Kuhhirten und Dorfbewohner vom Glück gesegnet waren, da Sich das Höchste Brahman, der Persönliche Gott, als ihr kleiner Freund mit ihnen Seiner ewigen transzendentalen Spiele erfreute. In der Śvetāṣvatara-Upaniṣad heißt es in einem mantra (āpaṇipādo jāvaṇo gṛhita), daß das Höchste Brahman gehen und alle Dinge die Ihm geopfert werden, annehmen kann, obwohl Er keine materiellen Hände und Füße hat. Diese Worte weisen eindeutig darauf hin, daß Er transzendentale Gliedmaßen haben muß, und daß Er aus diesem Grund nicht unpersönlich sein kann. Menschen, die die vedischen Prinzipien nicht verstehen können, sehen nur die unpersönlichen, materiellen Aspekte der Höchsten Absoluten Wahrheit und behaupten daher, Er sei unpersönlich und ohne Energie. Obwohl die vedischen Schriften dies nicht bestätigen, sondern vielmehr erklären, daß der Höchste Absolute unzählige Energien besitzt, versuchen die Māyāvādīs, entgegen aller Vernunft, ihre eigene Meinung durchzusetzen, nach der die Absolute Wahrheit energielos ist. Wir können jedoch aus den eindeutigen Aussagen der vedischen Schriften deutlich ersehen, daß die Absolute Wahrheit in Wirklichkeit stets voller unzähliger Energien, und deshalb ewig eine Person ist.

Im Viṣṇu-Purāṇa wird gesagt, daß das Lebewesen aus spiritueller Energie besteht. Obgleich es ein kleines Teil des Höchsten Herrn und daher voller Wissen ist, kann es sich dennoch in die materielle Welt verstricken und ist dann gezwungen, alle aus dem materiellen Dasein resultierenden Leiden zu ertragen. Je nachdem, wie sehr das Lebewesen in die materielle Natur verstrickt ist, befindet es sich in verschiedenen Lebensumständen, in denen es entweder leidet oder die Gelegenheit hat, materielles Glück zu genießen. Die ursprüngliche Energie des Höchsten Herrn, zu der auch die Lebewesen gehören, ist spirituell und unterscheidet sich daher nicht vom Höchsten Persönlichen Gott. Doch weil das Lebewesen nur ein winziger Funke dieser Energie ist, und sich als solcher entweder zur höheren, spirituellen Energie, oder zur niederen, materiellen Energie hingezogen fühlt, wird es die am Rande verlaufende Energie genannt. Sowie das Lebewesen den Wunsch entwickelt, getrennt von Kṛṣṇa zu genießen und die materielle Natur zu beherrschen, kommt es mit der materiellen Natur in Berührung und verstrickt sich so sehr darin, daß es völlig seine spirituelle Identität als Seele vergißt, sich statt dessen mit der materiellen Energie identifiziert und somit dem Angriff der dreifachen Leiden ausgesetzt ist. Wenn solch eine bedingte Seele jedoch wieder von der materiellen Verunreinigung frei geworden ist, verwirklicht sie auf der spirituellen Ebene ihre wesenseigene Position.

Die vedischen Anweisungen fordern jeden Menschen dazu auf, seine wesenseigene Position, den Höchsten Herrn, die materielle Energie und ihre Beziehung zueinander zu erkennen. Als erstes sollte man seine Bemühungen darauf richten, die wirkliche Position des Höchsten Herrn, des Persönlichen Gottes, zu verstehen. Der Höchste Herr besitzt einen ewigen, glückseligen und allwissenden Körper, und auch Seine spirituelle Energie entfaltet sich in Form von Ewigkeit, Glückseligkeit und Wissen. In Seinem Glückseligkeits-Aspekt manifestiert Er Seine Freudenenergie; in Seinem Ewigkeits-Aspekt ist Er die Ursache allen Seins, und in Seinem Allwissenheits-Aspekt ist Er das höchste Wissen. Das heißt mit anderen Worten: Die höchste Persönlichkeit, Śrī Kṛṣṇa, ist der ewige Ursprung allen Wissens, aller Freude und der Ewigkeit. Śrī Kṛṣṇa manifestiert Sich in drei verschiedenen Energien: Der inneren Energie, der am Rande verlaufenden Energie und der äußeren Energie. Zu Seiner inneren Energie gehört Er Selbst, Sein transzendentales Reich, Seine spirituellen Gefährten und alles, was sonst noch direkt mit Ihm verbunden ist; durch Seine mittlere Energie manifestiert Er Sich als die Lebewesen, und durch Seine äußere Energie schafft Er die materielle Manifestation. Jede der unzähligen Manifestationen, sowohl in der materiellen als auch in der spirituellen Welt, beruht auf den Ewigkeits-, den Freuden- und den Wissensenergien des Höchsten Herrn.

Der Höchste Herr besitzt sechs Füllen, an denen Er Sich in Seinen transzendentalen Spielen erfreut, und daher kann niemand behaupten, Er sei form- und energielos. Wer dennoch solche irreführenden Thesen vertritt, widerspricht den Veden, die eindeutig erklären, daß der Höchste Persönliche Gott der Ursprung aller Energien ist.

Das Lebewesen ist die am Rande verlaufende oder mittlere Energie des Herrn, doch weil es winzig klein ist, kann es von der äußeren Energie überwältigt und zu einer bedingten Seele werden. Wenn es jedoch wieder unter den Einfluß der spirituellen Energie gelangt, kann es Liebe zu Gott entwickeln.

In der Muṇḍakopaniṣad werden der Höchste und das Lebewesen mit zwei Vögeln verglichen, die gemeinsam auf einem Baum sitzen. Der eine Vogel versucht unter großer Angst, die Früchte des Baumes zu genießen, während ihn der andere dabei beobachtet. Sobald der Vogel, der die Früchte verzehrt, sich dem anderen Vogel zuwendet, wird er frei von allen Ängsten. Dieses Beispiel soll die Position des winzigen Lebewesens erläutern: Solange es den Höchsten Persönlichen Gott vergißt und versucht, getrennt von Ihm die Materie zu genießen, ist es den dreifachen materiellen Leiden ausgesetzt. Doch sobald es sich dem Herrn wieder zuwendet, d. h. Sein Geweihter wird, kann es von allen Ängsten und Leiden des materiellen Daseins befreit werden. Das Lebewesen ist von Natur aus dem Höchsten Herrn immer untergeordnet. Der Höchste ist stets der Meister aller Energien, und das Lebewesen befindet sich zu allen Zeiten unter dem Einfluß dieser Energien. Obwohl es dem Wesen nach eins ist mit dem Höchsten Herrn, kann es den Wunsch entwickeln, über die materielle Natur zu herrschen; doch weil es immer winzig klein bleibt, geschieht es ihm, daß es statt dessen von der materiellen Natur beherrscht wird. Diese unheilbringende Tendenz macht das Lebewesen zur mittleren Energie. Weil für das Lebewesen die Gefahr besteht, unter die Kontrolle der materiellen Natur zu geraten, ist es illusorisch zu denken, es könne jemals mit dem Höchsten Herrn eins bzw. selbst Gott werden. Wenn sich die kleine Seele auf der gleichen Ebene wie der Höchste Herr befände, könnte sie niemals von der materiellen Natur beherrscht werden.

In der Bhagavad-gītā wird das Lebewesen als eine der Energien des Höchsten Herrn beschrieben. Obwohl es richtig ist, daß die Energie niemals von ihrem Ursprung getrennt werden kann, bleibt sie doch immer die Energie und kann deshalb niemals selbst zum Ursprung der Energie werden. Mit anderen Worten: Das Lebewesen ist gleichzeitig eins mit und dennoch verschieden vom Höchsten Herrn. Im Siebten Kapitel der Bhagavad-gītā stehen zwei in diesem Zusammenhang sehr wichtige Verse. Dort wird nämlich im 4. Vers gesagt, daß Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Geist, Intelligenz und falsches Ich die acht Elemente der materiellen Energie bilden; doch schon im 5. Vers des gleichen Kapitels wird darauf hingewiesen, daß diese Energie nur von niederer Qualität ist, das Lebewesen dagegen genau wie Kṛṣṇa von qualitätsmäßig höherer, spiritueller Energie.

Alle vedischen Schriften bestätigen, daß der Höchste Persönliche Gott eine ewige, glückselige und allwissende Gestalt hat, die nicht im geringsten von der materiellen Natur berührt wird. Die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre behaupten jedoch, die Transzendenz sei genau das Gegenteil der materiellen Welt. Aufgrund dieser Annahme schließen sie, Transzendenz müsse formlos sein, da vielfältige Formen ein charakteristisches Merkmal für die materielle Welt seien. Sie wissen nicht, daß, wie die Veden sagen, die transzendentale Welt voller spiritueller Formen ist, die sich jenseits der materiellen Natur befinden und nicht im geringsten mit den Formen in der materiellen Welt zu vergleichen sind. Deshalb muß jeder, der sich weigert, die spirituelle Gestalt des Höchsten Herrn anzuerkennen, zu den Atheisten gezählt werden. Buddha z. B. akzeptierte die Veden nicht und wurde deshalb von den Anhängern der Veden als Atheist angesehen. Obwohl die MāyāvādīPhilosophen vorgeben, den vedischen Prinzipien zu folgen, leugnen sie die Existenz des Höchsten Persönlichen Gottes und predigen im Grunde indirekt die buddhistische bzw. atheistische Philosophie. Ihre Philosophie ist sogar noch niedriger einzustufen als die buddhistische Philosophie, die direkt die Autorität der Veden abstreitet, denn die Māyāvādī-Philosophie erhebt den Anspruch, Vedānta-Philosophie zu sein, und ist daher noch gefährlicher als der Buddhismus oder unverhohlener Atheismus.

Das Vedānta-sūtra wurde von Vyāsadeva zum Wohl aller Lebewesen verfaßt, um ihnen damit zu helfen, die Philosophie des bhakti-yoga zu verstehen. Unglücklicherweise aber haben die Māyāvādīs mit ihren Kommentaren, wie z. B. dem ṣarīraka-bhāṣya die Aussagen des Vedānta-sūtra verzerrt. In diesem Kommentar der Māyāvādīs wird die Existenz der spirituellen und transzendentalen Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes geleugnet und das Höchste Brahman auf die Ebene des individuellen Brahman, des winzigen Lebewesens, heruntergezogen. Dazu wird sowohl dem Höchsten Herrn als auch dem Lebewesen ihre spirituelle Individualität abgesprochen, obwohl im Vedānta-sūtra eindeutig gesagt wird, das der Höchste Herr das Höchste Wesen ist, und daß es unzählige, ihm untergeordnete Lebewesen gibt. Daher ist es sehr gefährlich, sich mit Kommentaren der Māyāvādīs zu befassen. Die große Gefahr dabei ist, daß man zu der falschen Annahme gelangt, das winzige Lebewesen sei eins mit dem allmächtigen Höchsten Herrn. Und solange man diese falsche Vorstellung hegt, kann man unmöglich seine ursprüngliche Position, d. h. seine ewige, wesenseigene Aktivität im bhakti-yoga erkennen. Mit anderen Worten: Die Māyāvādī-Philosophie hat der Menschheit den denkbar schlechtesten Dienst erwiesen, indem sie die unpersönliche Auffassung vom Absoluten propagierte. Ihre Philosophen betrügen uns um die wirkliche Botschaft des Vedānta-sūtra.

Das Vedānta-sūtra stellt mehrfach fest, daß die kosmische Manifestation eine Entfaltung der Energien des Höchsten Herrn ist. Schon im ersten Vers (janmādy asya) wird gesagt, daß das Höchste Brahman der Ursprung alles Existierenden ist. Alles geht von Ihm aus, wird von Ihm erhalten und am Ende von Ihm vernichtet. Die Absolute Wahrheit ist also die Ursache von Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der materiellen Welt, doch Sie ist keinesfalls formlos. Wenn z. B. ein Apfelbaum Früchte hervorbringt, bedeutet dies nicht, daß er seine Form verliert; denn obwohl der Baum jedes Jahr Hunderte und Tausende von Früchten erzeugt, behält er dennoch seine Identität. Die Frucht wächst heran, bleibt für eine Zeit bestehen, fällt dann vom Baum und vergeht schließlich; doch das heißt noch lange nicht, daß auch der Baum in seine Bestandteile zerfällt und sich mit der Erde vermischt. Das Vedānta-sūtra betont deswegen von Anfang an, daß es sowohl einen Ursprung als auch Produkte dieses Ursprungs gibt.

Die Schöpfung, Erhaltung und Auflösung der materiellen Welt geschieht durch die unermeßlichen Energien Kṛṣṇas. Die kosmische Manifestation ist ein Produkt dieser Energien, obwohl der Herr Selbst und die Energien des Herrn untrennbar und nicht voneinander verschieden sind. So wie der Stein der Weisen, obwohl er unbegrenzt große Mengen Eisen in Gold verwandelt, stets unverändert bleibt, so wandelt sich auch die ewige transzendentale Gestalt des Herrn niemals, obwohl die gewaltige kosmische Manifestation von Ihm ausgeht.

Die Māyāvādīs scheuen sich nicht, die Worte Vyāsadevas im Vedānta-sūtra falsch auszulegen und unverfroren zu behaupten, der Höchste transformiere Sich, und die kosmische Manifestation sei also eine Umwandlung der Absoluten Wahrheit, die nach ihrer Theorie keine gesonderte Existenz besitzt. Diese These stimmt jedoch in keiner Weise mit der Botschaft des Vedānta-sūtra überein. Die Māyāvādī-Philosophen sagen, die materielle Natur und ihre Veränderungen seien falsch, doch sie ist keinesfalls falsch, sondern nur vergänglich. Die Philosophen der Unpersönlichkeitslehre behaupten, nur die Absolute Wahrheit sei real und die Manifestation dieser Welt sei irreal; doch das ist nicht richtig.

Die materielle Welt ist nicht falsch - sie ist vielmehr eine relative Wahrheit und daher zeitweilig. Das omkāra bzw. praṇāva ist das wichtigste Wort in den vedischen Hymnen. Es ist die Klang-Inkarnation des Höchsten Herrn, und aus dem oṁ gingen ursprünglich alle vedischen Hymnen und die materielle Welt hervor. Die weitverbreitete Meinung, das Wort »tat tvam asi« sei noch wichtiger, ist nicht richtig, denn es erklärt nur die wesenseigene Position des Lebewesens. »Tat tvam asi« bedeutet, daß das Lebewesen ein spirituelles Teilchen des Höchsten Spirituellen Ganzen ist, doch dies ist nicht die Hauptaussage des Vedānta-sūtra bzw. der vedischen Schriften.

Die falschen Auslegungen der Māyāvādīs sind atheistisch, denn diese wollen nicht die ewige transzendentale Form des Höchsten Herrn anerkennen. Aus diesem Grunde ist es ihnen nicht möglich, sich im hingebungsvollen Dienen zu beschäftigen, so daß sie dazu verurteilt sind, für immer ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein und ohne hingebungsvolles Dienen ihr Dasein zu fristen. Einem reinen Gottgeweihten würde es niemals in den Sinn kommen, die Philosophie der Māyāvādīs als einen ernstzunehmenden Pfad zur spirituellen Verwirklichung zu betrachten. Die Māyāvādī-Philosophen treiben in der Atmosphäre der Moral und Unmoral der materiellen Welt umher und befinden sich ständig in dem Konflikt, die materiellen Freuden und Leiden entweder anzunehmen oder abzulehnen. Sie machen den Fehler, Nicht-Spirituelles, also Materielles, für spirituell zu halten, und haben die spirituelle, ewige Gestalt des Höchsten Persönlichen Gottes, Seinen Namen, Seine Eigenschaften, Seine Spiele und Sein transzendentales Reich vergessen. Sie sehen die transzendentalen Spiele, den Namen, die Gestalt und die Eigenschaften des Höchsten Herrn als ein Produkt der materiellen Natur an und sind somit für alle Zeiten den materiellen Leiden ausgesetzt, da sie stets von materiellen Leiden oder Freuden in Anspruch genommen werden. Die reinen Gottgeweihten haben mit den Māyāvādīs nichts gemeinsam, denn sie wissen, daß die unpersönliche Lehre keine Repräsentation von Ewigkeit, Glückseligkeit und Wissen sein kann. Da die Māyāvādī-Philosophen nur ein sehr unvollkommenes Wissen über die Befreiung haben und unter dem Einfluß des Materialismus stehen, verachten sie Ewigkeit, Wissen und Glückseligkeit. Diese Einstellung zeugt von ihrer Uneinsichtigkeit, denn sie haben eine Abneigung gegen das gottgeweihte Dienen, da sie das Ziel nicht verstehen können. Ihre Wortspielereien, mit denen sie zu beweisen versuchen, daß das Wissen, das Ziel des Wissens und der Wissende eins sind, zeigen eindeutig, daß ihre Intelligenz nicht sehr weit reicht.

Die Lehre von »Ursprung und Produkt« ist die autorisierte Erklärung des Vedānta-sūtra. Sie macht deutlich, daß der Herr unzählige unbegrenzte Energien besitzt, mit deren Hilfe Er unendliche voneinander verschiedene Produkte schafft. Alles steht unter Seiner Kontrolle, und daher wird Er »der Höchste Kontrollierende« oder »der Höchste Persönliche Gott« genannt, der Sich in unzähligen Energien und Erweiterungen manifestiert.

26. KAPITEL

Caitanya

Sārvabhauma Bhaṭṭācārya ist überzeugt

Nach den Unpersönlichkeitsphilosophen und den Anhängern des »Nichts« besteht die spirituelle Welt aus »Seligkeit in sinnloser Ewigkeit«. Die Philosophen des »Nichts« behaupten, letzten Endes sei alles sinnlos, wohingegen die Unpersönlichkeitsanhänger glauben, die höhere Welt bestehe lediglich aus Wissen, und es gebe dort keinerlei Aktivität. Beide Auffassungen zeugen von der geringen Intelligenz ihrer Anhänger, denn diese wollen mit ihren unvollkommenen Spekulationen in den vollkommenen Bereich der spirituellen Welt eindringen. Nachdem der Anhänger der Unpersönlichkeitslehre die schmerzliche Erfahrung gemacht hat, daß materielle Handlungen nur Leid mit sich bringen, zieht er den Schluß, daß es im spirituellen Leben keinerlei Aktivität geben könne. Die spirituellen Aktivitäten im hingebungsvollen Dienen sind und bleiben ihm für immer ein Rätsel.

Die Vaiṣṇava-Philosophen jedoch wissen sehr gut, daß die Absolute Wahrheit, der Höchste Persönliche Gott, niemals unpersönlich oder ein »Nichts« sein kann, denn Er besitzt unzählige Energien. Kṛṣṇa ist so unvorstellbar mächtig, daß Er imstande ist, Sich vielfach zu erweitern und zahllose Energien zu manifestieren und immer noch der gleiche Absolute Höchste Persönliche Gott zu bleiben. Er behält zu allen Zeiten Seine transzendentale Position, obwohl Er Sich zugleich in vielfache Formen erweitert und durch Seine unzähligen mannigfaltigen Energien überall gegenwärtig ist.

Auf diese Weise zeigte Śrī Kṛṣṇa Caitanya die vielen Defekte in der Māyāvāda-Philosophie auf, und obschon Bhaṭṭācārya anfangs versuchte, seinen Standpunkt mit Wortspielereien und sogenannter Logik zu behaupten, gelang es Śrī Caitanya doch, alle seine Argumente zu widerlegen und zu beweisen, daß das letztliche Ziel der vedischen Schriften darin besteht, uns drei Dinge zu ermöglichen: 1) das Erkennen unserer Beziehung zur Höchsten Absoluten Wahrheit, 2) das Handeln gemäß dieser Erkenntnis, und 3) das Erreichen der höchsten Vollkommenheit des Lebens, Liebe zu Gott. Wer etwas anderes als diese Ziele propagiert, wird, so erklärte der Herr dem Bhaṭṭācārya, die Vollkommenheit niemals erreichen, sondern vielmehr ein Opfer seiner falschen Vorstellungen bleiben.

Śrī Caitanya zitierte als nächstes einige Verse aus den Purāṇas, mit denen Er belegte, daß Śaṅkarācārya vom Höchsten Persönlichen Gott den direkten Befehl erhalten hatte, die Māyāvāda-Philosophie zu verbreiten. Er führte zunächst einen Vers aus dem Padma Purāṇa an, in dem gesagt wird, daß der Herr Śiva den Auftrag gab, irreführende Interpretationen der vedischen Schriften zu verkünden und somit die Menschen von der eigentlichen Bedeutung der Veden abzulenken. Der Herr sprach: »Versuche die Menschen zu Atheisten zu machen, indem du sie mit erfundenen Interpretationen verwirrst, so daß sie die religiösen Prinzipien vernachlässigen und uneingeschränkt immer mehr Kinder zeugen.« Im gleichen Padma Purāṇa erklärt Śiva seiner Frau Pārvatī, daß er im Zeitalter des Kali als brāhmaṇa erscheinen werde, um unvollkommene Kommentare zu den Veden zu verbreiten, die als Māyāvāda-Philosophie bekannt werden würden, und die in Wirklichkeit nur eine Abwandlung der atheistischen Philosophie Buddhas seien.

Nachdem Bhaṭṭācārya die Ausführungen Śrī Caitanyas zur Māyāvāda-Philosophie vernommen hatte, wußte er, daß er sich geschlagen geben mußte, und blieb deshalb lange Zeit, ohne auch nur ein Wort entgegnen zu können, regungslos sitzen. Doch Śrī Caitanya ermutigte ihn: »Mein lieber Bhaṭṭācārya, lasse dich von diesen Erklärungen nicht aus der Fassung bringen. Bitte glaube Mir, daß hingebungsvolles Dienen für den Höchsten Herrn die höchste Stufe der Vollkommenheit ist.

Hingebungsvolles Dienen ist so anziehend, daß selbst Menschen, die bereits befreit sind, durch die unvorstellbare Macht des Höchsten zu Gottgeweihten werden.« Es gibt in den vedischen Schriften viele Beispiele dafür: Im Śrīmad-Bhāgavatam z. B. wird im 7. Kapitel des Ersten Cantos im berühmten ātmārāma-Vers gesagt, daß sogar selbstverwirklichte Seelen, die von aller materiellen Anhaftung frei sind, zum hingebungsvollen Dienen angezogen werden, wenn sie von Śrī Kṛṣṇas transzendentalen Spielen hören. Daß dies möglich ist, läßt sich nur damit erklären, daß der Höchste Persönliche Gott der Besitzer unzähliger allanziehender und völlig transzendentaler Eigenschaften ist.

Jedes Lebewesen versteht, wenn sein Bewußtsein rein geworden ist, daß es der ewige Diener des Höchsten Herrn ist, und nur im Bann der Illusion hält es sich für den grob- und feinstofflichen Körper. Diese falsche Vorstellung bildet die Grundlage für die Lehre von der Veränderung des ursprünglichen Zustandes. Das winzige Teil des Höchsten, die spirituelle Seele, ist der falschen, körperlichen Lebensauffassung nicht für immer unterworfen, denn die Bedeckung des Lebewesens, der grob- und feinstoffliche Körper nämlich, ist keineswegs seine ewige Gestalt, sondern wechselt, solange es nicht von seiner illusionären Existenz befreit ist. Solange es sich jedoch mit Körper und Geist identifiziert, befindet es sich zweifellos in einem veränderten Zustand, denn es lebt für diese Zeit nicht im spirituellen Reich, sondern in der materiellen Welt. Die Māyāvādī-Philosophen machen sich leider diese Lehre von der Veränderung des ursprünglichen Zustandes zunutze und behaupten, das Lebewesen halte sich manchmal irrtümlich für ein winziges Teil des Höchsten, obwohl es in Wirklichkeit selbst der Höchste sei. Diese Lehre ist jedoch so widersinnig, daß sie für keinen vernünftigen Menschen annehmbar ist.

Sārvabhauma Bhaṭṭācārya bat Śrī Caitanya schließlich, den berühmten ātmārāma-Vers zu erklären, worauf ihm der Herr entgegnete, daß Er diesen Vers erst dann erklären wolle, wenn Bhaṭṭācārya zuvor seine Interpretation abgegeben hätte. Darauf begann Bhaṭṭācārya, den ātmārāma-Vers mit Hilfe von Logik und Grammatik auf neun Arten zu interpretieren. Als er geendet hatte, lobte der Herr seine große Gelehrtheit und sagte dann: »Mein lieber Bhaṭṭācārya, Mir ist zwar bekannt, daß du gleichsam die Gelehrsamkeit in Person bist, an Scharfsinn dem großen Bṛhaspati gleich, und daß du es verstehst, jeden beliebigen Teil der ṣāstras wortgewandt zu erklären, doch all deine Interpretationen beruhen mehr oder weniger auf akademischer Bildung. Du scheinst nicht zu wissen, daß es noch eine andere Art der Erklärung gibt.«

Und so begann Śrī Caitanya, den ātmārāma-Vers auf Seine Weise zu erläutern, indem Er ihn zunächst in seine analytischen Bestandteile zerlegte: 1) ātmārāmāḥ, 2) ca, 3) munayaḥ, 4) nirgranthāḥ, 5) api, 6) urukrame, 7) kurvanti, 8) ahaitukīm, 9) bhaktim, 10) ittham-bhūta, 11) guṇaḥ und 12) hariḥ. Wie wir bereits wissen, hatte der Herr auch Sanātana Gosvāmī diesen Vers ausführlich erklärt.1 Bei Seiner Interpretation ließ Śrī Caitanya die neun Versionen Bhaṭṭācāryas völlig außer acht und erklärte den Vers statt dessen anhand seiner zwölf Bestandteile, wobei Er für jeden einzelnen Begriff erst die Grundbedeutung und dann vier, zuweilen auch fünf weitere Bedeutungen definierte. Auf diese Weise gelang es Ihm, den ātmārāma-Vers auf einundsechzig verschiedene Arten zu erklären. Zusammenfassend sagte Er dann: »Der Höchste Persönliche Gott verfügt über unermeßliche Energien und unendlich viele transzendentale Eigenschaften. Sie sind unvorstellbar, und alle Vorgänge zur Selbstverwirklichung befassen sich mit diesen unvorstellbaren Eigenschaften, um sie wenigstens zu einem gewissen Teil verständlich zu machen. Die Gottgeweihten jedoch erkennen die unergründliche Macht des Höchsten Herrn einfach an, denn sie wissen, daß es unmöglich ist, den Höchsten zu begreifen. Selbst befreite Seelen wie die Kumāras und Śukadeva Gosvāmī fühlten sich zu den transzendentalen Eigenschaften des Höchsten Herrn hingezogen.«

1 Vgl. 3. Kapitel, »Die Unterweisung Sanātana Gosvāmīs«

Als Bhaṭṭācārya voller Bewunderung die Erklärungen Śrī Caitanyas vernahm, erkannte er, daß Caitanya Mahāprabhu niemand anderes als Kṛṣṇa Selbst sein konnte. Zugleich wurde Ihm auch klar, wie unbedeutend er selbst war, und so fiel er dem Herrn zu Füßen und sagte: »In meiner Unwissenheit hielt ich Dich für einen gewöhnlichen Menschen; ich habe daher große Schuld auf mich geladen. Bitte verzeih mir, und segne mich mit Deiner grundlosen Barmherzigkeit!« Śrī Caitanya freute Sich sehr, den großen Gelehrten so demütig zu sehen, und in Seiner grundlosen Güte offenbarte Er ihm erst Seine vierarmige und dann Seine sechsarmige Form. Als Sārvabhauma nun diese transzendentalen Formen erblickte, fiel er dem Herrn wiederholt zu Füßen und begann Ihn mit selbst verfaßten Gebeten zu preisen. Er war ohne Zweifel ein großer Gelehrter, und so war er, nachdem er die Barmherzigkeit des Höchsten Herrn empfangen hatte, befähigt, die Taten und Kräfte des Höchsten in einer für alle Menschen verständlichen Weise zu beschreiben. So konnte er z. B. auch über den Nutzen sprechen, den man erfährt, wenn man den mahā-mantra chantet: »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Es wird gesagt, daß Sārvabhauma Bhaṭṭācārya auf der Stelle einhundert Verse verfaßte, in denen er die transzendentalen Taten des Herrn pries. Diese Verse sind so vollendet, daß nicht einmal Bṛhaspati, der größte Dichter auf den himmlischen Planeten, solche Kunstwerke hätte ersinnen können. Dem Herrn gefielen die Gebete Bhaṭṭācāryas sehr, und in Seiner Freude umarmte Er ihn. Als Er Sārvabhauma berührte, wurde dieser von Ekstase überwältigt und verlor fast das Bewußtsein. Er weinte, zitterte, bebte, schwitzte und tanzte, sang und warf sich immer wieder vor den Lotosfüßen Śrī Caitanyas zu Boden. Sein Schwager Gopīnāthācārya und die anderen Geweihten waren erstaunt, Bhaṭṭācārya in diesem Zustand zu sehen, denn sie konnten es kaum fassen, daß er nun zu einem reinen Gottgeweihten geworden war.

Gopīnāthācārya wandte sich nach der wunderbaren Wandlung seines Schwagers an Śrī Caitanya und sprach Ihm seine Dankbarkeit aus; er sagte: »Mein lieber Herr, nur durch Deine Barmherzigkeit ist Bhaṭṭācārya von einem hartherzigen Menschen zu einem großen Gottgeweihten geworden.« Doch Caitanya Mahāprabhu entgegnete: »Nur durch die Gnade eines wirklichen Gottgeweihten kann selbst ein Mensch, der hart ist wie ein Stein, zu einem milden, blumengleichen Geweihten werden. «

Gopīnāthācārya hatte sich nämlich ernsthaft gewünscht, daß sein Schwager ein Gottgeweihter werden würde. Ihm war deshalb viel daran gelegen, daß der Herr Sārvabhauma mit Seiner Barmherzigkeit segnete, und daher war er glücklich, als er sah, daß sein Wunsch in Erfüllung gegangen war. An dieser Begebenheit kann man sehen, daß ein Geweihter des Herrn sogar noch barmherziger ist als der Herr Selbst. Wenn ein Gottgeweihter jemandem seine Barmherzigkeit erweisen will, erfüllt der Herr ihm diesen Wunsch in solcher Weise, daß der derart Begünstigte schließlich durch die Gnade des Höchsten auch zu einem Gottgeweihten wird.

Śrī Caitanya beruhigte Bhaṭṭācārya schließlich und bat ihn, nach Hause zu gehen; doch der Gelehrte begann erneut, den Herrn zu preisen, und sagte: »Du bist aus der spirituellen Welt gekommen, um alle gefallenen Seelen zu erretten, und dies ist auch nicht weiter schwierig für Dich; aber es ist trotzdem erstaunlich, daß Du selbst einen so hartherzigen Menschen wie mich bekehren konntest. Ich bin ein scharfsinniger Logiker und erfahrener Grammatiker, der die Veden genau kennt; ich bin hart wie Eisen, und dennoch ist Dein Einfluß so stark, daß Du mein eisernes Herz schmelzen konntest.« Der Herr kehrte nach diesem Treffen zu Seinem Quartier zurück, und Sārvabhauma Bhaṭṭācārya ließ Ihm noch am selben Tag durch Gopīnāthācārya verschiedene prasāda-Zubereitungen aus dem Jagannātha-Tempel bringen.

Am nächsten Morgen besuchte Śrī Caitanya schon in der Frühe den Jagannātha-Tempel, um an der maṅgala-ārātrika-Zeremonie teilzunehmen. Als Er den Tempel betrat, hängten Ihm die Priester sogleich eine Blumengirlande der transzendentalen Bildgestalt Gottes um den Hals und boten Ihm prasāda an, das der Herr mit Freuden annahm. Gleich nach der Zeremonie ging Er mit dem prasāda und den Blumen zum Hause Bhaṭṭācāryas, um Seinem Geweihten die Geschenke zu bringen. Obwohl es noch sehr früh war, lag Sārvabhauma schon wach, denn er ahnte, daß der Herr zu ihm kommen würde. Als er dann den Herrn an der Tür klopfen hörte, erhob er sich rasch von seinem Lager und öffnete, laut »Kṛṣṇa! Kṛṣṇa!« rufend, eilig die Tür. Als Sārvabhauma Śrī Caitanya vor sich sah, war er vor Freude fast außer sich und hieß Ihn herzlich willkommen. Der Herr bot ihm sogleich das prasāda an, das Er aus dem Tempel Jagannāthas mitgebracht hatte, und Sārvabhauma Bhaṭṭācārya, der die Gaben voller Freude entgegennahm, begann unverzüglich, die geopferten Speisen zu verzehren - er nahm sich nicht einmal Zeit, vorher sein Bad zu nehmen, seine Morgenpflichten zu erfüllen oder seine Zähne zu reinigen. Tatsächlich war Sārvabhauma zu diesem Zeitpunkt bereits von allen Verunreinigungen der materiellen Anhaftung befreit, und während er das prasāda aß, zitierte er folgenden Vers aus dem Padma Purāṇa: »Selbst prasāda, das alt und trocken ist oder aus einem weit entfernten Tempel gebracht wurde, sollte man sofort, ohne an Regeln und Pflichten zu denken, zu sich nehmen.« In den ṣāstras wird also vorgeschrieben, daß man prasāda gleich nachdem man es empfangen hat und ohne Rücksicht auf Zeit und Ort essen soll - das ist eine Anweisung des Höchsten Persönlichen Gottes. Ungeopferte Nahrung kann man nicht zu jeder Zeit und in jedem Zustand essen, doch bei prasāda, Kṛṣṇa geopferten Speisen, gibt es keine solchen Unterschiede, und man kann es ohne Rücksicht auf Zeit, Ort und Umstände zu sich nehmen; prasāda ist immer transzendental.

Śrī Caitanya freute Sich daher sehr, als Er sah, daß Bhaṭṭācārya, der früher alle Regeln und Regulierungen aufs peinlichste befolgt hatte, jetzt das prasāda aß, ohne sich länger um diese Unterweisungen zu kümmern. In Seiner Freude umarmte Er Bhaṭṭācārya einige Male, woraufhin beide in transzendentaler Ekstase zu springen und zu tanzen begannen. Śrī Caitanya erklärte, Seine Mission in Jagannātha Purī sei nun erfüllt, da Er einen Menschen wie Sārvabhauma Bhaṭṭācārya von Kṛṣṇa habe überzeugen können.

Der Herr sagte weiter: »Nun kann Ich gewiß sein, Vaikuṇṭha zu erreichen«, denn das Leben eines Gottgeweihten ist erfolgreich, wenn er einen anderen zu einem reinen Gottgeweihten macht. Gelingt ihm dies, wird er mit Sicherheit in die spirituelle Welt zurückkehren. Der Herr freute Sich so sehr über Bhaṭṭācārya, daß Er ihn immer wieder segnete; dann fuhr Er fort: »Mein lieber Bhaṭṭācārya, da du nun ein reiner Gottgeweihter geworden bist, ist Kṛṣṇa gewiß sehr zufrieden mit dir. Du bist nun von der Illusion befreit, mit dem materiellen Körper identisch zu sein, und damit auch von jeglicher Verstrickung in die materielle Natur; deshalb kannst du jetzt endlich zurück nach Hause gehen, zurück zu Gott.« Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es im 7. Kapitel des Zweiten Cantos: »Jeder, der Zuflucht bei den Lotosfüßen des Höchsten Herrn sucht, erlangt mit Sicherheit die Barmherzigkeit des Höchsten, der grenzenlos ist. Mit Seinem Einverständnis kann eine solche, Ihm hingegebene Seele den Ozean der Unwissenheit überqueren. Wer sich jedoch irrtümlich mit dem materiellen Körper identifiziert, kann nicht die Zuneigung und die grundlose Barmherzigkeit des Höchsten Persönlichen Gottes erlangen.«

Von dem Tag an, da der Herr Sārvabhauma Bhaṭṭācārya zu einem reinen Gottgeweihten gemacht hatte, interpretierte dieser die vedischen Schriften nie mehr, ohne den Pfad des hingebungsvollen Dienens zu berücksichtigen, und Gopīnāthācārya freute sich so sehr über die Bekehrung seines Schwagers, daß er lange in Ekstase tanzte und »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantete.

Am nächsten Tag ging Bhaṭṭācārya, nachdem er schon früh morgens den Jagannātha-Tempel besucht hatte, zu Śrī Caitanya, warf sich dem Herrn zu Füßen und entschuldigte sich für seine früheren Vergehen. Er bat den Herrn bei dieser Gelegenheit, etwas über hingebungsvolles Dienen zu sagen, woraufhin ihm Caitanya Mahāprabhu folgenden Vers vortrug:

harer nāma harer nāma harer nāmaiva kevalam
kalau nāsty eva nāsty eva nāsty eva gatir anyathā

»Im Zeitalter des Kali, der Zeit des Zankes und der Heuchelei, gibt es keinen anderen Weg, der zur Selbstverwirklichung führt, als das Chanten der heiligen Namen Gottes.« Der Herr erläuterte diesen Vers näher, und als Gopīnāthācārya, der auch anwesend war, sah, wie sein Schwager mehr und mehr in Ekstase geriet, sagte er: »Lieber Bhaṭṭācārya, vor einiger Zeit sagte ich einmal zu dir, daß du alles über hingebungsvolles Dienen verstehen könntest, wenn du mit der Barmherzigkeit des Herrn gesegnet werden würdest. Heute nun erfüllt sich meine Prophezeiung.«

Sārvabhauma Bhaṭṭācārya brachte daraufhin auch Gopīnāthācārya seine Ehrerbietungen dar und erwiderte: »Mein lieber Schwager, allein durch deine Gnade bin ich mit der Barmherzigkeit des Höchsten Persönlichen Gottes gesegnet worden.« Die Barmherzigkeit Kṛṣṇas kann nur durch die Gnade eines reinen Gottgeweihten erlangt werden, und so wurde auch Bhaṭṭācārya nur deshalb mit Śrī Caitanyas Barmherzigkeit gesegnet, weil dies Gopīnāthācāryas sehnlichster Wunsch gewesen war.

»Mein lieber Schwager«, fuhr Bhaṭṭācārya fort, »du bist schon lange ein großer Geweihter des Herrn, wohingegen ich durch meine sogenannte akademische Bildung völlig verblendet war; daher konnte ich die Barmherzigkeit des Herrn nur durch Deine Hilfe erhalten.« Der Herr freute Sich, als Er diese Worte aus Bhaṭṭācāryas Mund vernahm und umarmte ihn zur Bestätigung. Auf Bitten Śrī Caitanyas hin machte sich dann Bhaṭṭācārya zusammen mit Jagadānanda und Dāmodara, zwei vertrauten Gefährten des Herrn, auf den Weg zum Jagannātha-Tempel. Nachdem sie sich einige Zeit dort aufgehalten und reichlich prasāda erhalten hatten, kehrten sie nach Hause zurück, und Bhaṭṭācārya schickte seinen Diener mit dem prasāda zu Caitanya Mahāprabhu und bat außerdem Jagadānanda, dem Herrn zwei Verse zu übergeben, die er auf ein Palmblatt geschrieben hatte. Als Śrī Caitanya diese beiden Verse erhielt und las, riß Er das Blatt sofort in Stücke, denn Er liebte es nicht, von anderen gepriesen zu werden; doch Mukunda Datta hatte die Verse wohlweislich vorher abgeschrieben, so daß uns ihr Inhalt bekannt ist. Sie lauten: 1) » Ich gebe mich dem Höchsten Persönlichen Gott hin, der als Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu erschienen ist. Er ist der Ozean der Barmherzigkeit, und Er ist aus der spirituellen Welt gekommen, um uns Loslösung von der Materie, transzendentales Wissen und hingebungsvolles Dienen zu lehren.« 2) »Als der Herr sah, daß das gottgeweihte Dienen im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten war, erschien Er als Śrī Kṛṣṇa Caitanya, um die Prinzipien des hingebungsvollen Dienens wieder einzuführen. Wir alle sollten uns daher Seinen Lotosfüßen hingeben und von Ihm lernen, wie man Kṛṣṇa in Liebe und Hingabe dient.«

Diese beiden wichtigen Verse werden von den großen ācāryas als kostbare Juwelen angesehen, und Sārvabhauma Bhaṭṭācārya ist durch sie zu einem der berühmtesten Gottgeweihten geworden. Sārvabhauma hatte von nun an nur noch den Wunsch, dem Herrn in Hingabe zu dienen. Sein einziges Interesse bestand darin, ununterbrochen an Śrī Caitanya zu denken, und diese Meditation wurde zusammen mit dem Chanten des Hare-Kṛṣṇa-mantras zum Hauptinhalt seines Lebens.

Als er wieder einmal den Herrn besuchte, trug er Ihm folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam vor, der im 14. Kapitel des Zehnten Cantos zu finden ist: »Wer mit Gedanken, Worten und Taten dem Höchsten Herrn in Hingabe dient, wird, selbst wenn er aufgrund vergangener Sünden ein leidvolles Leben führt, die Befreiung erlangen.« Nachdem Sārvabhauma diesen Vers zitiert hatte, fragte der Herr ihn verwundert, warum er das Wort »mukti«, das dort für Befreiung gebraucht wird, durch das Wort »bhakti« (hingebungsvolles Dienen) ersetzt habe. Sārvabhauma Bhaṭṭācārya antwortete: » Mukti ist nicht so wertvoll wie bhakti, und daher wird mukti von den reinen Gottgeweihten als eine Art Bestrafung angesehen. Außerdem kann jemand, der den transzendentalen Höchsten Persönlichen Gott nicht anerkennt, auch niemals die Absolute Wahrheit erkennen. Wer das transzendentale Wesen von Kṛṣṇas Körper nicht versteht, wird ein Feind des Herrn und verachtet oder bekämpft Ihn. Wenn ein solcher Feind vom Herrn persönlich getötet wird, geht er in die Brahman-Ausstrahlung des Höchsten ein, doch diese mukti (Befreiung) verabscheuen die Gottgeweihten. Es gibt fünf Arten der Befreiung: 1) auf dem gleichen Planeten wie der Herr zu leben, 2) mit dem Herrn persönlich zusammenzusein, 3) einen transzendentalen Körper wie der Herr zu haben, 4) die gleichen Reichtümer wie der Höchste zu besitzen, und 5) mit dem Herrn eins zu werden. Der Gottgeweihte jedoch hat nur den einen Wunsch, im transzendentalen Dienst für den Herrn beschäftigt sein zu dürfen, und interessiert sich daher nicht für die oben genannten Befreiungsarten. Besonders zuwider ist ihm die Vorstellung, mit dem Herrn eins zu werden und dabei seine individuelle Identität zu verlieren - lieber würde er in der Hölle leben. Es kann jedoch durchaus vorkommen, daß ein Gottgeweihter eine der vier anderen Befreiungsarten anstrebt, da er dabei immer noch im hingebungsvollen Dienen für den Herrn beschäftigt sein kann. Es gibt zwei Wege, um in die Transzendenz einzugehen: 1) mit der unpersönlichen Brahman-Ausstrahlung zu verschmelzen und 2) mit dem Höchsten Persönlichen Gott Selbst eins zu werden. Die zuletzt genannte Art der Befreiung wird von dem Gottgeweihten noch heftiger abgelehnt als die erste, denn er möchte nichts anderes, als dem Höchsten Herrn ständig in transzendentaler Liebe dienen.

Als Śrī Caitanya die Begründung Bhaṭṭācāryas für die Änderung des Wortes »mukti« hörte, entgegnete Er: »Das Wort »mukti« hat noch eine andere Bedeutung, die du außer acht gelassen hast. »Muktipāda« bezieht sich direkt auf den Höchsten Persönlichen Gott. Es bedeutet nämlich erstens, daß sich unzählige befreite Seelen im hingebungsvollen Dienen für Kṛṣṇa beschäftigen, und zweitens, daß Kṛṣṇa das endgültige Ziel der Befreiung ist. In beiden Fällen ist es also Kṛṣṇa, der als das letztliche Ziel bezeichnet wird.« Sārvabhauma ließ sich jedoch nicht von seiner Meinung abbringen, und entgegnete: »Trotzdem ziehe ich das Wort »bhakti« immer noch vor, denn »mukti« bedeutet in erster Linie »eins mit dem Höchsten zu werden«, und jedesmal, wenn ich das Wort »mukti« höre, werde ich an diese Bedeutung erinnert. Deshalb hasse ich es, dieses Wort auszusprechen, wohingegen es mir große Freude bereitet, das Wort »bhakti« zu hören.« Bei dieser Antwort lachte Śrī Caitanya auf und umarmte Bhaṭṭācārya mit großer Zuneigung. Der gleiche Bhaṭṭācārya, der früher mit Begeisterung über Māyāvāda-Philosophie gesprochen hatte, war nun ein so ernsthafter Gottgeweihter geworden, daß es für ihn unerträglich war, das Wort »mukti« auch nur in den Mund zu nehmen. Dies war nur durch die grundlose Barmherzigkeit Śrī Caitanyas möglich, der durch Seine Gnade gleich einem Stein der Weisen, Eisen in Gold umwandeln kann. Bald bemerkten auch die anderen Einwohner von Jagannātha Purī, daß eine große Veränderung in Bhaṭṭācārya stattgefunden hatte, und ihnen war klar, daß dies nur durch die unvorstellbare Macht Śrī Caitanyas möglich gewesen war. Sie waren sich darüber einig, daß Śrī Caitanya niemand anderes sein konnte als Kṛṣṇa Selbst.

27. KAPITEL

Caitanya

Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya

Der Autor des Caitanya-caritāmṛta, Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī, vergleicht Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu mit einem Ozean transzendentalen Wissens und Rāmānanda Rāya mit einer Wolke, die aus diesem Ozean aufgestiegen ist. Rāmānanda Rāya war ein fortgeschrittener Gelehrter in der Wissenschaft des hingebungsvollen Dienens, und durch die Barmherzigkeit Śrī Kṛṣṇa Caitanyas empfing er, gleich einer Wolke, die ihr Wasser aus dem Ozean erhält, alle transzendentalen Erkenntnisse von Ihm. Wie eine Wolke, die über dem Ozean entsteht, wieder zum Ozean zurückkehrt, nachdem sie ihr Wasser überall auf dem Land verteilt hat, so hatte Rāmānanda Rāya durch die Gnade Śrī Caitanyas sehr vertrauliches Wissen über das hingebungsvolle Dienen empfangen und kehrte später, nachdem er sich vom Regierungsdienst zurückgezogen hatte, zu Śrī Caitanya zurück.

Als der Herr durch den südlichen Teil Indiens reiste, besuchte er auch den Tempel von Jiayar-Nṛsiṁha, der sich noch heute, nur acht Kilometer von der Eisenbahnstation Bisakhapattan entfernt, an einem Ort namens Singachalam befindet. Dieser Tempel steht auf einem Hügel und überragt alle anderen Tempel der Umgebung. Noch heute kann man dort viele kunstvolle Skultpuren bewundern, und weil dieser Tempel so berühmt ist, ist er auch sehr wohlhabend. Im Jiayar-Nṛsiṁha-kṣetra gibt es eine Inschrift, die besagt, daß vor langer Zeit der König von Vijynagar den ganzen Tempel mit Gold verzieren und sogar den Körper der transzendentalen Bildgestalt Nṛsiṁhas* vergolden ließ. In der Nähe des Tempels, der von Priestern des Rāmānujācārya-Ordens verwaltet wird, wurden einige kleinere Gebäude errichtet, um Besuchern kostenfreie Unterkunft zu gewähren.

* Inkarnation Kṛṣṇas

Als Śrī Caitanya den Jiayar-Nṛsiṁha-kṣetra besuchte, pries Er die transzendentale Bildgestalt Nṛsiṁhas, indem Er folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam zitierte: »Śrī Nṛsiṁha ist unerbittlich gegenüber den Dämonen und Nicht-Gottgeweihten, doch Er ist sehr gütig zu den hingegebenen Seelen wie dem Gottgeweihten Prahlāda.« Śrī Nṛsiṁha, eine Inkarnation des Höchsten, in einer Gestalt, die halb einem Löwen, halb einem Menschen gleicht, erschien; als Prahlāda, ein noch sehr junger Geweihter des Herrn, von seinem dämonischen Vater Hiraṇyakaṣipu mit dem Tode bedroht wurde. Gleich einem Löwen, der zwar für andere Tiere sehr gefährlich ist, doch mit seinen Jungen zärtlich spielt, war auch Nṛsiṁha, der den Dämonen Hiraṇyakaṣipu wütend in Stücke riß, Seinem Gottgeweihten, Prahlāda, sehr zugeneigt und beschützte ihn vor allen Gefahren.

Als der Herr Seinen Besuch im Tempel von Jiayar-Nṛsiṁha beendet hatte, wanderte Er weiter nach Süden und erreichte schließlich das Ufer der Godavarī. Der Fluß erinnerte Ihn sofort an die Yamunā in Vṛndāvana, und von Ekstase ergriffen hielt Er die anmutigen Bäume am Ufer für den Wald von Vṛndāvana. Nachdem Śrī Caitanya Sein Bad genommen hatte, setzte Er Sich am Ufer nieder und chantete »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.« Kurz darauf sah Er den Gouverneur der Provinz, Śrī Rāmānanda Rāya, in Begleitung seiner Gefolgsleute, vieler brāhmaṇas und einer Musikkapelle sich dem Ufer des Flusses nähern. Der Herr hatte sich bereits bei Sārvabhauma Bhaṭṭācārya nach Rāmānanda Rāya erkundigt, und Bhaṭṭācārya hatte Ihm bei dieser Gelegenheit vorgeschlagen, Sich mit dem Gouverneur in Kabur zu treffen. Als Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya sah, wollte Er ihm schon zur Begrüßung entgegengehen, doch dann erinnerte Er Sich daran, daß Er zu den sannyāsīs gehörte, denen es im allgemeinen untersagt ist, mit Politikern zu verkehren, und so hielt Er sich zurück. Rāmānanda Rāya jedoch, der ein großer Gottgeweihter war, fühlte sich sofort zu Śrī Caitanya hingezogen, und so ging er zu dem jungen sannyāsī, um Ihn aus der Nähe zu betrachten. Als Rāmānanda Rāya Śrī Caitanya erreichte, warf er sich langausgestreckt vor dem Herrn zu Boden und brachte Ihm seine Ehrerbietungen dar; Śrī Caitanya empfing ihn, indem Er »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare« chantete, und als sich Rāmānanda Rāya erhob und seinen Namen nannte, umarmte ihn Caitanya, worauf beide in Ekstase zu weinen begannen. Die brāhmaṇas, die Rāmānanda Rāya begleiteten, waren sehr verwundert, als sie sahen, wie der sannyāsī und der Gouverneur bei ihrer Umarmung von transzendentaler Ekstase überwältigt wurden. Sie befolgten strikt die vedischen Rituale und konnten daher nicht im geringsten die Symptome der Hingabe verstehen, die die Beiden zeigten. Es überraschte sie vielmehr, daß ein so großer sannyāsī einen kṣatriya berührte, und noch erstaunlicher war es für sie, daß Rāmānanda Rāya, der Gouverneur und praktisch König jener Provinz war, weinte, nur weil er einen sannyāsī berührte. Während sich die brāhmaṇas über das wundersame Verhalten ihres Herrn die Köpfe zerbrachen, erkannte Śrī Caitanya ihre Verwirrung, und so zügelte Er Sich.

Sie setzten sich also gemeinsam nieder, und der Herr sagte zu Seinem Freund: »Sārvabhauma Bhaṭṭācārya pries Dich stets, wenn ich ihn traf und bat Mich vor allem, dich zu besuchen.« Rāmānanda Rāya entgegnete: »Sārvabhauma betrachtet mich als einen seiner Geweihten, und daher war er so gütig, mich Dir zu empfehlen.« Rāmānanda Rāya freute sich sehr, daß der Herr nicht gezögert hatte, ihn zu berühren, obgleich er ein reicher Mann war. Ein König oder ein Gouverneur, d. h. ein Politiker, denkt im allgemeinen ständig an Politik und Finanzen, und daher sollen sannyāsīs solche Menschen meiden. Doch Śrī Caitanya wußte, daß Rāmānanda Rāya ein großer Gottgeweihter war, und deshalb hatte Er ihn mit Freude begrüßt. Rāmānanda Rāya aber erstaunte das Verhalten des Herrn, und so zitierte er einen Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, in dem gesagt wird, daß die großen Weisen und Heiligen manchmal im Hause eines weltlichen Mannes erscheinen, doch nur, um ihn mit ihrer Barmherzigkeit zu segnen.

Aus Śrī Caitanyas Verhalten gegenüber Rāmānanda Rāya geht deutlich hervor, daß der letztere im spirituellen Wissen und in der spirituellen Lebensweise weit fortgeschritten gewesen sein mußte, obwohl er nicht in einer Familie von brāhmaṇas geboren war. Aus diesem Grunde gebührte ihm weitaus mehr Respekt als jemandem, der zufällig in einer Familie von brāhmaṇas zur Welt gekommen ist. Rāmānanda Rāya betrachtete sich zwar in seiner Bescheidenheit als ṣūdra, doch Śrī Caitanya wußte, daß er sich in Wirklichkeit auf der höchsten Stufe der transzendentalen Hingabe befand. Der Gottgeweihte stellt sich niemals selbst in den Vordergrund, aber der Herr ist immer bestrebt, den Ruhm Seiner Geweihten zu verbreiten.

Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya sprachen bei diesem ersten Treffen nur kurz miteinander und beschlossen dann, noch am gleichen Abend erneut zusammenzukommen. Kurz nachdem Śrī Caitanya Sein abendliches Bad genommen hatte, kam Rāmānanda Rāya zusammen mit seinem Diener zu Ihm. Er brachte dem Herrn sogleich seine Ehrerbietungen dar und setzte sich dann nieder; doch bevor er Śrī Caitanya eine Frage über den Fortschritt im hingebungsvollen Dienen stellen konnte, bat der Herr ihn, einige Verse aus den Schriften zu zitieren, in denen etwas über das endgültige Ziel des Lebens erklärt werde.

Rāmānanda Rāya antwortete, ohne lange zu überlegen: »Jeder, der gewissenhaft seine vorgeschriebene Pflicht erfüllt, wird allmählich einen Geschmack am Gottesbewußtsein entwickeln.« Dann zitierte er einen Vers aus dem Viṣṇu Purāṇa, wo gesagt wird, daß man den Höchsten Herrn nur verehren kann, wenn man seinen vorgeschriebenen Pflichten nachkommt, denn das menschliche Leben ist eigens dazu bestimmt, daß man seine Beziehung zum Höchsten Herrn versteht und dementsprechend handelt. »Jeder Mensch«, so erklärte er, »kann beginnen, dem Herrn zu dienen, indem er einfach seine vorgeschriebenen Pflichten erfüllt. Um dies zu ermöglichen, ist die menschliche Gesellschaft in vier varṇas (Klassen) eingeteilt: 1) die intelligente Klasse, d. h. die Priester und Gelehrten (brāhmaṇas); 2) die verwaltende Klasse (kṣatriyas); 3) die Handel und Landwirtschaft betreibende Klasse (vaiṣyas); und 4) die Arbeiter und Handwerker (ṣūdras). Für jede dieser Einteilungen gibt es bestimmte Regeln, Regulierungen und Pflichten. Im Achtzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā werden in den Versen 42-44 die Pflichten der vier varṇas näher erklärt. Zugleich muß sich die Gesellschaft auch nach den vier āṣramas richten, die für den spirituellen Fortschritt bestimmt sind. Unter āṣramas versteht man die verschiedenen Phasen im Leben eines Menschen. Vom 5. bis zum 25. Lebensjahr sollte er als brahmacārī (Lernender) leben, vom 25. bis zum 50. Lebensjahr als gṛhasta (Haushälter); mit 50 Jahren sollte er sich vom Familienleben zurückziehen (vānaprastha) und mit 60 Jahren in die Stufe der Entsagung eintreten (sannyāsa). Jede menschliche Gesellschaft, die als zivilisiert gelten will, muß diesem System des varṇāṣrama folgen.«

Rāmānanda Rāya sagte weiter: »Die Menschen, die strikt den Regeln und Vorschriften dieser acht Einteilungen folgen, haben bereits die Vollkommenheit erreicht, denn sie erfreuen mit ihrem Tun den Höchsten Herrn. Wer dagegen diese Prinzipien mißachtet, vergibt leichtfertig die Chance, die ihm die menschliche Form des Lebens bietet; dies führt dazu, daß er auf bestem Wege in die Hölle hinabgleitet. Es ist im Grunde jedoch ganz einfach, das Ziel des menschlichen Lebens zu erreichen, wenn man nach den vorgeschriebenen Regeln handelt, und durch das Befolgen der regulierenden Prinzipien, die sich nach Geburt, Umgang und Erziehung richten, kann sich der wirkliche Charakter eines Menschen entwickeln. Die Einteilung der Gesellschaft ist so beschaffen, daß Menschen der unterschiedlichsten Charaktere die Möglichkeit haben, ein reguliertes Leben nach den Schriften zu führen, so daß sie gemeinsam in Frieden leben und dabei spirituellen Fortschritt machen können.

Die vier gesellschaftlichen Gruppen unterscheiden sich folgendermaßen: 1) die brāhmaṇas haben es sich zum Ziel des Lebens gemacht, die Absolute Wahrheit, den Persönlichen Gott, zu erkennen, und studieren deshalb die offenbarten Schriften wie die Veden und Upaniṣaden; 2) die kṣatriyas haben die Aufgabe, den Staat zu verwalten und die Bürger zu beschützen; 3) die vaiṣyas bebauen das Land, züchten Kühe, treiben Handel und machen Geschäfte, und 4) die ṣūdras, die über keine besondere Intelligenz oder Bildung verfügen, sind damit zufrieden, den anderen varṇas alle möglichen Dienste zu leisten. Wenn man mit Vertrauen seine vorgeschriebenen Pflichten erfüllt, wird man mit Sicherheit Fortschritte machen. Deshalb ist ein reguliertes Leben der sicherste Weg zur Vollkommenheit.« Rāmānanda Rāya vergaß bei seiner Antwort jedoch ganz, daß ein reguliertes Leben erst dann vollkommen wird, wenn es im hingebungsvollen Dienst für den Herrn gipfelt. Andernfalls ist es reine Zeitverschwendung. Als Śrī Caitanya die Erklärungen Rāmānandas vernommen hatte, entgegnete Er, daß all diese Regeln und Vorschriften lediglich Äußerlichkeiten seien. Damit forderte Er ihn indirekt auf, über etwas Höheres zu sprechen. Die formelle Ausübung von Ritualen oder religiösen Opferhandlungen hat wenig Sinn, solange man nicht die Stufe des hingebungsvollen Dienens erreicht. Viṣṇu ist nämlich nicht zufrieden, wenn man nur Rituale und Opfer vollzieht. Er ist erst dann wirklich erfreut, wenn ein Mensch beginnt, sich im hingebungsvollen Dienen zu beschäftigen.

Um seine Erklärung zu rechtfertigen, zitierte Rāmānanda Rāya einen Vers aus der Bhagavad-gītā, in dem Śrī Kṛṣṇa sagt, daß der Mensch die höchste Vollkommenheit des Lebens erreichen kann, wenn er den Höchsten Herrn, den Ursprung alles Existierenden, durch die Erfüllung der vorgeschriebenen Pflichten verehrt. Diese Vollkommenheit im Befolgen der vorgeschriebenen Pflichten ist jedoch gottgeweihtes Dienen. Große Gottgeweihte wie Bodhyana, Janaka, Dramida, Guhadeva, Karpardi und Bharuchi folgten diesem Pfad, der in allen vedischen Schriften empfohlen wird. Deshalb erklärte Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya, daß die bloße Pflichterfüllung nicht ausreiche, sondern die Pflichten nur äußerliche Hilfsmittel seien. Das heißt mit anderen Worten: Ein Mensch mit einer materialistischen Lebensauffassung kann niemals die höchste Vollkommenheit erreichen - selbst, wenn er alle Vorschriften und Rituale genau befolgt.

28. KAPITEL

Caitanya

Die Erhabenheit des hingebungsvollen Dienens

Śrī Caitanya lehnte den Vers, den Rāmānanda Rāya aus dem Viṣṇu Purāṇa zitiert hatte, vor allem deshalb ab, um Seine ablehnende Haltung gegenüber den sogenannten karma-mīmāṁsā-Philosophen deutlich zu machen. Die karma-mīmāṁsā-Philosophen glauben nämlich, Gott sei von guten oder schlechten Handeln der Menschen abhängig. Ihrer Ansicht nach ist Gott verpflichtet, einen frommen Menschen, der nach bestem Vermögen seine Pflicht tut, zu belohnen, und daher behaupten sie zuweilen auch, der Vers, den Rāmānanda Rāya anführte, sei ein Beweis dafür, daß Viṣṇu, der Höchste Herr, nicht unabhängig sei. Nach ihrer Vorstellung ist ein solcher »abhängiger Höchster Gott« Seinen Verehrern untergeordnet, die Ihn nach Belieben als persönlich oder unpersönlich betrachten können. Die meisten von ihnen ziehen den unpersönlichen Aspekt vor.

Śrī Caitanya verabscheute diese unpersönliche Auffassung von der Absoluten Wahrheit und ließ deshalb die Erklärung Rāmānanda Rāyas nicht gelten. Er sprach also: »Bitte sage mir, ob du noch ein höheres Verständnis von der Höchsten Absoluten Wahrheit kennst.« Rāmānanda Rāya entgegnete darauf, es sei besser, die Ergebnisse der gewinnbringenden Handlungen aufzugeben, als lediglich seine vorgeschriebenen Pflichten zu erfüllen. Rāmānanda Rāya glaubte zu wissen, worauf Śrī Caitanya hinaus wollte, und zitierte deshalb den 27. Vers aus dem Neunten Kapitel der Śrīmad-Bhagavad-gītā, in dem der Höchste sagt: »O Sohn Kuntīs, alles, was du tust, alles, was du ißt, alles, was du opferst und fortgibst, sowie alle Bußen, die du dir auferlegst, sollten Mir als Opfer dargebracht werden.« Im Śrīmad-Bhāgavatam findet man im 2. Kapitel des Elften Cantos einen ähnlichen Vers, wo gesagt wird, daß man die Ergebnisse aller Taten, die man mit Körper, Worten, Geist, Sinnen, Intelligenz und der Seele entsprechend der Erscheinungsweisen, unter deren Einfluß man steht, verrichtet, dem Höchsten Persönlichen Gott Nārāyaṇa hingeben soll.

Doch Śrī Caitanya lehnte auch diese Antwort Rāmānanda Rāyas ab, und forderte ihn erneut auf: »Wenn du noch etwas Höheres weißt, sag es Mir bitte.« Die Anweisungen in der Bhagavad-gītā und im Śrīmad-Bhāgavatam, die uns nahelegen, alles zur Freude des Höchsten Persönlichen Gottes zu tun, befinden sich zwar auf einer weitaus höheren Stufe als die unpersönliche Auffassung vom Höchsten Herrn oder die Vorstellung, der Herr sei unseren Handlungen untergeordnet, jedoch wird auch in ihnen noch wenig von wirklicher Hingabe erwähnt. Solange der um materiellen Gewinn Bemühte keine geeigneten Unterweisungen erhält, die ihn von der irrtümlichen Identifizierung mit dem materiellen Körper befreien, muß er weiterhin in der materiellen Welt bleiben. In den oben erwähnten Versen wird ihm lediglich geraten, dem Höchsten Herrn die Ergebnisse seiner Arbeit hinzugeben; doch weil er damit immer noch nicht weiß, wie er der materiellen Verstrickung entkommen kann, wies Śrī Caitanya auch diesen Vorschlag zurück.

Rāmānanda Rāya sagte als nächstes, man solle alle Pflichten aufgeben und sich durch Entsagung zur transzendentalen Ebene erheben. Mit anderen Worten: Er schlug vor, sich vom weltlichen Leben gänzlich zurückzuziehen. Und um diese Aussage zu stützen, verwies er auf einen Vers im 11. Kapitel des Elften Cantos im Śrīmad-Bhāgavatam, wo der Herr sagt: »In den religiösen Schriften beschreibe und erkläre Ich die verschiedenen Rituale und Opferhandlungen, mit deren Hilfe man im hingebungsvollen Dienen verankert werden kann. Mir mit Liebe und Hingabe zu dienen bildet die höchste Vollkommenheit der Religiosität.« Und in der Bhagavad-gītā erklärt der Höchste im 66. Vers des Achtzehnten Kapitels: »Gib alle Arten von Religion auf und gib dich einfach Mir hin. Ich werde dich von allen sündhaften Reaktionen befreien. Fürchte Dich nicht. « Doch auch diese Antwort wurde von Śrī Caitanya nicht als das höchste Ziel des Menschen anerkannt, denn Entsagung allein ist nicht ausreichend. Man muß sich vielmehr einer positiven Beschäftigung zuwenden. Ohne in positiver Weise tätig zu sein, kann niemand die höchste Vollkommenheit erreichen. Im allgemeinen gibt es zwei Arten von Philosophen, die sich in Entsagung üben. Die ersten haben das Ziel, das sogenannte nirvāṇa zu erreichen, und die zweiten wollen in die unpersönliche Brahman-Ausstrahlung eingehen. Beide können sich nicht vorstellen, daß es noch etwas Höheres als ihre Ziele gibt, wie z. B. die unzähligen spirituellen Vaikuṇṭha-Planeten und die spirituellen Aktivitäten. Śrī Caitanya verwarf also auch diesen dritten Vorschlag.

Rāmānanda Rāya zitierte daraufhin den 54. Vers aus dem Achtzehnten Kapitel der Bhagavad-gītā, in dem der Herr sagt: »Wenn ein Mensch wirkliches Wissen erlangt und verwirklicht, daß er dem Wesen nach eins mit dem Brahman ist, wird er glückselig und frei von Klagen und Wünschen. Sowie er dann die höchste Stufe der Brahman-Verwirklichung erreicht, sieht er alle Lebewesen als spirituelle Teile des Höchsten und gelangt schließlich zur Ebene des hingebungsvollen Dienens.« Wie wir wissen, hatte Rāmānanda als erstes empfohlen, hingebungsvolles Dienen zu praktizieren und dabei auf die Früchte der Arbeit zu verzichten, doch hatte der Herr Sich nicht damit zufrieden gegeben. Deshalb fiel Rāmānanda Rāya nunmehr ein, daß es besser sei, hingebungsvolles Dienen in völligem Wissen und auf der Grundlage vollständiger spiritueller Erkenntnis zu praktizieren. Doch Śrī Caitanya lehnte auch dieses als Antwort ab, indem Er erklärte, daß selbst jemand, der in Brahman-Erkenntnis gründe und auf die Ergebnisse seines Tuns verzichte, immer noch nicht die spirituelle Welt und die spirituellen Aktivitäten verwirklicht habe. Obwohl ein Mensch, der das Brahman erkannt hat, von der materiellen Verunreinigung befreit ist, kann er doch noch nicht völlig rein sein, solange er keine spirituellen Aktivitäten ausführt. Die Brahman-Erkenntnis befindet sich immer noch auf der intellektuellen Ebene und ist daher nur künstlich. Das reine Lebewesen kann nicht als befreit betrachtet werden, solange es sich nicht seiner wesenseigenen Position bewußt ist und sich nicht in spirituellen Aktivitäten beschäftigt. Wenn es über das unpersönliche Absolute oder das sogenannte »Nichts« meditiert, kann es nicht in sein ewiges Leben voller Glückseligkeit und Wissen zurückkehren.

Solange ein Mensch nicht völlig selbstverwirklicht ist, wird er sich immer von anderen daran hindern lassen, sich aller materieller Gedanken zu entledigen. Selbst den Anhängern der Unpersönlichkeitslehre fällt es sehr schwer, den Geist durch künstliche Meditation zu »leeren«. Es ist also durchaus nicht leicht, von allen materiellen Vorstellungen frei zu werden. In der Bhagavad-gītā wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß es für diejenigen, die sich mit dem »Nichts« oder dem unpersönlichen Aspekt des Absoluten befassen, äußerst schwierig ist, spirituelle Fortschritte zu machen, und daß sie am Ende nicht die vollkommene Befreiung erlangen. Aus diesem Grund also lehnte Śrī Caitanya auch diesen Vorschlag ab.

Rāmānanda Rāya sagte schließlich, hingebungsvolles Dienen ohne jegliches Bestreben, Wissen zu entwickeln oder intellektuelle Spekulationen anzustellen, bilde die höchste Stufe der Vollkommenheit. Dazu zitierte er einen Vers aus dem 14. Kapitel des Zehnten Cantos des Śrīmad-Bhāgavatam, wo Brahmā zum Höchsten Persönlichen Gott sagt: »Mein lieber Herr, man sollte alle monistischen Spekulationen und alles Streben nach Wissen aufgeben und sich statt dessen dem spirituellen Leben im hingebungsvollen Dienen zuwenden, indem man von einem selbstverwirklichten Gottgeweihten über Deine transzendentalen Spiele hört. Wenn man sich bemüht, spirituelle Fortschritte zu machen, indem man diesen beiden Prinzipien folgt und immer ein rechtschaffenes Leben führt, kann man Dich erobern, obwohl Du eigentlich unbezwingbar bist.« Dieser Antwort stimmte Śrī Caitanya freudig zu und sagte: »Ja, du hast recht. Im gegenwärtigen Zeitalter kann man weder durch Entsagung noch durch materiell motiviertes Gottdienen, noch durch Verzicht auf die Ergebnisse im vermischten Gottdienen, noch durch die Entwicklung von Wissen wirkliche spirituelle Erkenntnis erlangen. Weil die Menschen in der heutigen Zeit nicht sehr fortgeschritten, sondern in den meisten Fällen sogar sehr tief gefallen sind, und weil ihre Lebenszeit nicht ausreicht, durch einen allmählichen Vorgang auf eine höhere Ebene zu gelangen, ist es das beste, sie in ihrer jeweiligen Position zu lassen und ihnen die Gelegenheit zu geben, über die transzendentalen Taten und Spiele des Herrn zu hören, die in der Bhagavad-gītā und im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben werden. Die Menschen sollten diese Botschaften jedoch nur von selbstverwirklichten Seelen hören. Auf diese Weise können sie in ihren jeweiligen Positionen bleiben und dennoch ohne weiteres spirituelle Fortschritte machen, so daß sie sich schließlich dem Höchsten Persönlichen Gott völlig hingeben und Ihm dienen.«

Śrī Caitanya stimmte Rāmānanda Rāyas letzter Antwort zwar zu, doch bat Er ihn, noch einen Schritt weiter zu gehen und das hingebungsvolle Dienen auf der fortgeschrittenen Stufe zu beschreiben. Śrī Caitanya gab Rāmānanda Rāya somit die Möglichkeit, nacheinander alle Stufen des spirituellen Lebens genau zu erklären. Rāmānanda Rāya hatte mit den Prinzipien des varṇāṣrama-dharma begonnen, war dann zum Verzicht auf die Ergebnisse der fruchtbringenden Werke übergegangen und hatte schließlich empfohlen, spirituelles Wissen zu erstreben. Śrī Caitanya hatte jedoch all diese Vorgänge abgelehnt, denn bei der Ausführung von reinem hingebungsvollen Dienen sind sie nur von geringem Nutzen. Künstliche Methoden, die einen nicht zur Selbstverwirklichung führen, kann man nicht als reines hingebungsvolles Dienen bezeichnen. Wirkliches reines hingebungsvolles Dienen unterscheidet sich von allen anderen transzendentalen Vorgängen, denn auf dieser höchsten Stufe der transzendentalen Aktivitäten gibt es keine materiellen Verlangen, keine gewinnbringenden Handlungen und keine Spekulationen mehr. Jeder, der die höchste Vollkommenheit erreicht hat, beschäftigt sich ganz einfach mit Liebe im reinen hingebungsvollen Dienen. Rāmānanda Rāya wußte, woran Śrī Caitanya dachte, als Er ihn bat, noch weiter als bis zum hingebungsvollen Dienen zu gehen, und sagte daher, reine Liebe zu Gott sei die höchste Vollkommenheit. Es gibt einen sehr schönen Vers im Padya-vali, der von Rāmānanda Rāya gedichtet wurde und der sich genau auf diese Wahrheit bezieht; er lautet: »Wenn jemand hungrig ist, kann er nur durch Essen und Trinken sein Verlangen stillen, und deshalb ist er erst wirklich erfreut, wenn man ihm etwas Eßbares anbietet. Ebenso gibt es viele Methoden, den Höchsten Herrn zu verehren, doch erst wenn sie von reiner Hingabe durchdrungen sind, können sie zu einer Quelle transzendentalen Glücks werden.« In einem anderen Vers schreibt Rāmānanda Rāya: »Es ist durchaus möglich, daß man selbst nach vielen Millionen von Geburten und Toden noch kein Verlangen nach hingebungsvollem Dienen entwickelt hat, doch wenn man dann auf irgendeine Weise den Wunsch verspürt, dem Herrn mit Hingabe zu dienen, wird dieser Wunsch in der Gemeinschaft eines reinen Gottgeweihten so stark, daß er alles andere bedeutungslos werden läßt. Man sollte sich daher mit allen Mitteln bemühen, ein starkes Verlangen danach zu entwickeln, im hingebungsvollen Dienen beschäftigt zu sein.« Rāmānanda Rāya erklärte in seinen Versen also sowohl das Vorstadium - die regulierenden Prinzipien - als auch die vollkommene Liebe zu Gott. Zu eben dieser höchsten Stufe der Liebe zu Gott hatte Śrī Caitanya ihn erheben wollen, damit er von dieser Ebene aus sprechen könne. Die weiteren Gespräche zwischen Rāmānanda Rāya und Śrī Caitanya hatten daher nur noch die Liebe zu Gott zum Thema.

Wenn die Liebe zu Gott sich zu persönlicher Zuneigung steigert, bezeichnet man sie als premā-bhakti. Vor dieser Stufe haben der Höchste Herr und der Gottgeweihte noch keine besondere Beziehung zueinander, doch wenn sich diese premā-bhakti entwickelt, entstehen aus ihr die verschiedenen Beziehungen zum Höchsten Herrn. Die erste Beziehung wird dāsya-rasa genannt. In dieser Beziehung ist der Höchste Herr der Meister und der Gottgeweihte der Diener. Als Śrī Caitanya diesen Erklärungen zustimmte, erläuterte Rāmānanda Rāya die Beziehung zwischen dem Diener und dem Meister etwas ausführlicher. Dazu erzählte er eine Geschichte aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (5. Kapitel, Neunter Canto), in der beschrieben wird, wie Durvāsā Muni, ein mächtiger mystischer yogī, der sich für sehr fortgeschritten hielt, Mahārāja Ambarīṣa um dessen Ruhm als der größte Gottgeweihte seiner Zeit beneidete und deshalb versuchte, ihn zu vernichten. Doch stürzte ihn dieses Vergehen ins eigene Verderben, und er wurde schließlich durch den sudarṣana-cakra, eine Waffe des Herrn, bezwungen. Der yogī gestand seinen Fehler ein und sagte: »Für die reinen Gottgeweihten, die liebevoll im transzendentalen Dienst für den Herrn beschäftigt sind, ist nichts unmöglich, denn sie sind die Diener des Höchsten Persönlichen Gottes, dessen Name schon mächtig genug ist, Befreiung zu gewähren.«

Śrīla Yamunācārya schrieb in seinem Buch Strotraratna folgenden schönen Vers: »Mein lieber Herr, Menschen, die Dir nicht dienen wollen, sind hilflos. Sie handeln auf eigene Gefahr, und ohne die Hilfe einer höheren Macht. Ich sehne daher die Zeit herbei, da ich völlig in Deinem transzendentalen liebevollen Dienst beschäftigt sein werde und kein Verlangen mehr nach materieller Sinnenfreude und intellektuellen Gedankenspielereien habe. Nur wenn ich Dir mit Hingabe diene, werde ich die Freude wirklichen spirituellen Lebens erfahren können.«

Als der Herr diese Worte Rāmānanda Rāyas vernommen hatte, bat Er ihn, trotzdem noch einen Schritt weiter zu gehen.

29. KAPITEL

Caitanya

Die transzendentale Beziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa

Als Caitanya die Ausführungen Rāmānanda Rāyas bestätigte und ihn aufforderte, noch weiter zu gehen, sagte dieser, die freundschaftliche Beziehung zu Śrī Kṛṣṇa befinde sich auf einer noch höheren Stufe als die Beziehung als Diener des Höchsten, denn wenn die freundschaftliche Beziehung enger und liebevoller werde, lasse das Gefühl der Ehrfurcht und Scheu, das im Bewußtsein über die erhabene Stellung des Höchsten Persönlichen Gottes vorherrsche, allmählich nach, so daß Vertrauen entstehen könne. Dieses Vertrauen wird Freundschaft genannt. In der freundschaftlichen Beziehung herrscht eine Art Gleichheit zwischen Kṛṣṇa und Seinen Geweihten.

In diesem Zusammenhang führte Rāmānanda einen treffenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam an, der im 12. Kapitel des Zehnten Cantos zu finden ist. Dort beschreibt Śukadeva Gosvāmī, wie Sich Kṛṣṇa, vom Spielen mit den Kälbern müde geworden, auf einer Waldlichtung niederließ und gemeinsam mit seinen Freunden zu Mittag aß. »Alle Hirtenjungen«, so heißt es im Bhāgavatam, »die mit Kṛṣṇa in den Wald gingen, hatten eine transzendentale freundschaftliche Beziehung zum Höchsten Persönlichen Gott, der von den großen Weisen als das unpersönliche Brahman, von den Gottgeweihten als die Höchste Person und von den Unwissenden als ein gewöhnlicher Mensch angesehen wird.« Als Śrī Caitanya dies hörte, lobte Er das tiefe Verständnis Rāmānanda Rāyas, doch bat Er ihn, trotzdem zu versuchen, noch weiter zu gehen. Rāmānanda Rāya erklärte daraufhin, daß sich die elterliche Beziehung, bei der Kṛṣṇa der Sohn und der Gottgeweihte der Vater oder die Mutter Kṛṣṇas sei, auf einer noch viel höheren Ebene befinde. Die freundschaftliche Beziehung kann sich also zu einer elterlichen Beziehung entwickeln, wenn die Liebe des Gottgeweihten zunimmt.

Rāmānanda Rāya führte in diesem Zusammenhang einen Vers aus dem 8. Kapitel des Zehnten Cantos an, in dem König Parīkṣit Śukadeva Gosvāmī fragt: »Kannst du mir sagen, welche und wie viele unvorstellbar fromme Taten Yaṣodā ausgeführt hat, daß der Höchste Persönliche Gott sie mit »Mutter« anredete und von ihrer Brust trank?« Als nächstes zitierte Rāmānanda Rāya einen Vers aus dem 9. Kapitel des Zehnten Cantos, in dem es heißt: »Yaṣodā, die Frau des Kuhhirten Nanda Mahārāja, wurde vom Höchsten Persönlichen Gott mit einer solch großen Gnade gesegnet, wie sie nicht einmal Brahmā, dem ersten Lebewesen, noch Śiva, noch der Glücksgöttin Lakṣmī zuteil wurde, die immer an der Brust Śrī Viṣṇus weilt.

Śrī Caitanya bat Rāmānanda Rāya nunmehr, die Ebene der innigen Liebe zu Kṛṣṇa zu beschreiben. Rāmānanda Rāya, der erkannte, worauf der Herr hinaus wollte, antwortete: »Die innige Liebe zu Kṛṣṇa ist die höchste Stufe der Existenz. Mit anderen Worten: Diese intime Beziehung zu Kṛṣṇa bildet den Höhepunkt der Entwicklung des Gottverständnisses. Der allmähliche Entwicklungsvorgang beginnt mit dem gewöhnlichen Verständnis vom Höchsten Persönlichen Gott, wird dann zur dienenden Beziehung, entwickelt sich zur Freundschaft, dann zur elterlichen Beziehung und in manchen Fällen schließlich zur höchsten Stufe, der Stufe der vertrauten Liebesbeziehung zum Höchsten. »Hierzu trug Rāmānanda einen anschaulichen Vers aus dem 47. Kapitel des Zehnten Cantos vor, in dem es heißt, daß selbst die Glücksgöttin, die im spirituellen Reich von Vaikuṇṭha immer an der Brust des Herrn ruht, niemals die transzendentale Ekstase erfährt, wie sie Kṛṣṇa und die gopīs beim rāsa-Tanz erfahren. Rāmānanda Rāya erklärte weiter, wie man allmählich reine Liebe zu Kṛṣṇa entwickeln kann. Er sagte, daß sich jeder, der mit dem Höchsten Persönlichen Gott in einer der fünf transzendentalen Beziehungen verbunden sei, in seiner wesenseigenen Position befinde und daher völlig zufrieden sei, und so gebe es im Grunde keinen

Unterschied zwischen den einzelnen Beziehungen, da sie sich alle auf der absoluten spirituellen Ebene befänden, doch lasse sich zugleich sagen, daß die neutrale Beziehung die Anfangsstufe darstelle, die sich zur dienenden Beziehung entwickle, dann zur Freundschaft, dann zur elterlichen Liebe und schließlich zur innigen Liebe. Für jeden ist seine individuelle Beziehung zum Höchsten Herrn die für ihn schönste Beziehung, doch wenn wir die verschiedenen Nuancen der transzendentalen Empfindungen vergleichend untersuchen, werden wir feststellen, daß die brahma-bhūta-Stufe, die neutrale Beziehung zum Höchsten Herrn, die niedrigste Ebene bildet. Wenn man den Herrn als Meister und sich selbst als Seinen Diener sieht, befindet man sich auf einer qualitativ besseren Stufe; die freundschaftliche Beziehung befindet sich noch darüber, dann folgt die elterliche Liebe, und die höchste Beziehung ist die innige Liebe zum Höchsten Herrn.

Jemand, der selbstverwirklicht ist und sich als ewiger Diener des Herrn sieht, hat zweifellos die transzendentale Ebene erreicht; doch wenn diese Zuneigung für den Herrn stärker wird, entwickelt sich daraus Freundschaft, elterliche Liebe und auf der erhabensten Stufe eine innige Liebesbeziehung. In diesem Zusammenhang zitierte Rāmānanda Rāya einen Vers aus dem Bhakti-rasāmṛta-sindhu, in dem gesagt wird, daß die spirituelle Liebe für den Herrn in jeder der fünf Beziehungen völlig transzendental ist, und daß jeder Gottgeweihte an seiner individuellen Beziehung zu Kṛṣṇa mehr Freude findet als an allen anderen.

Eine solche transzendentale Beziehung zum Höchsten Herrn richtet sich jedoch nicht nach den Einbildungen eines Pseudo-Gottgeweihten. Dazu erklärte Rūpa Gosvāmī im Bhakti-rasāmṛta-sindhu, daß hingebungsvolles Dienen, das unter Mißachtung der in den Veden vorgeschriebenen Prinzipien ausgeführt wird, nicht gutgeheißen werden kann. Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī bemerkte hierzu einmal, daß die professionellen geistigen Meister, die professionellen Bhāgavatam-Sprecher, die professionellen Kīrtangruppen und die Menschen, die nach ihren eigenen Vorstellungen hingebungsvolles Dienen praktizieren, unter allen Umständen gemieden werden müssen. Es gibt viele Menschen, die sich auf eine dieser Arten ihren Lebensunterhalt verdienen. Auch die Mitglieder der sogenannten Gosvāmī-Kaste, die von sich behaupten, Nachfolger der sechs Gosvāmīs zu sein, die sogenannten Gottgeweihten, die sich ihre eigenen Gesänge über Śrī Caitanya zusammendichten, die professionellen Priester und die bezahlten Sprecher des Bhāgavatam, sind nicht als autorisiert zu akzeptieren. Wer die Prinzipien des Pañcarātra nicht befolgt, die Unpersönlichkeitslehre vertritt oder der Sexualität verfallen ist, kann niemals mit einem Menschen verglichen werden, der sein Leben Kṛṣṇa geweiht hat. Ein reiner Gottgeweihter, der Kṛṣṇa unentwegt in Liebe und Hingabe dient, ist bereit, alles für den Dienst des Herrn zu opfern. Alle, die ihr Leben dem geistigen Meister und Śrī Caitanya bzw. Kṛṣṇa hingegeben haben, und entweder als unverheiratete brahmacārīs dem geistigen Meister dienen, als gṛhastas die Prinzipien des Haushälterlebens befolgen oder sich als sannyāsīs an das Vorbild Śrī Caitanyas halten, beschäftigen sich völlig im hingebungsvollen Dienen und können daher niemals mit den professionellen Pseudo-Gottgeweihten auf eine Stufe gestellt werden.

Wenn man von aller materiellen Verunreinigung befreit ist, kann man in jeder der fünf Beziehungen transzendentale Glückseligkeit erfahren. Unglücklicherweise wissen Menschen, die nicht mit dieser transzendentalen Wissenschaft vertraut sind, die verschiedenartigen Beziehungen zum Höchsten Herrn nicht zu schätzen und halten sie für māyā, Illusion. Doch der Autor des Caitanya-caritāmṛta hat diese Beziehungen an einem einfachen Beispiel erläutert: »Die fünf groben materiellen Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther gehen in umgekehrter Reihenfolge auseinander hervor. Im Äther z. B. ist die Eigenschaft Klang enthalten. Die Luft trägt Äther (Klang) und Berührung; im Feuer gibt es Äther (Klang), Luft (Berührung) und Form; beim Wasser kommt als vierte Eigenschaft Geschmack hinzu, und die Erde besitzt insgesamt fünf Eigenschaften, nämlich Klang, Berührung, Form, Geschmack und Geruch. Wie in der Erde alle vier Eigenschaften der anderen Elemente vorhanden sind, so sind auch in der innigen Liebesbeziehung zu Kṛṣṇa die Merkmale aller anderen Beziehungen enthalten. Deshalb ist die innige Liebe tatsächlich die höchste Stufe der Liebe zu Gott.

Ein Vers im 82. Kapitel des Zehnten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam lautet: »Hingebungsvolles Dienen für den Höchsten Persönlichen Gott ist das Leben und die Seele eines jeden Lebewesens.« Als der Herr einmal mit den Mädchen von Vraja sprach, erklärte Er ihnen, daß ihre Liebe zu Ihm, dem Höchsten Persönlichen Gott, der einzige Grund dafür sei, daß sie die Möglichkeit erhielten, mit Ihm zusammenzusein. Kṛṣṇa nimmt von Seinen Geweihten die verschiedensten Dienste entgegen und erwidert ihre Liebe je nach ihren Wünschen. Für jemanden, der Sein Diener sein möchte, nimmt Er die Rolle des vollkommenen Meisters an; für einen Gottgeweihten, der den Wunsch hat, Ihn als Sohn zu haben, spielt Er die Rolle des vollkommenen Sohnes, und wenn eine hingegebene Seele Ihm in inniger Liebe dienen will, spielt Er die Rolle des vollkommenen Gemahls oder Geliebten. Doch wie Kṛṣṇa Selbst erklärte, ist Seine vertraute Liebesbeziehung zu den Mädchen von Vraja die höchste Ebene der Transzendenz. Im 32. Kapitel des Zehnten Cantos sagt Kṛṣṇa zu den gopīs: »Eure Liebesbeziehung zu Mir ist völlig transzendental, ja, eure Liebe zu Mir ist so einzigartig, daß es Mir unmöglich erscheint, sie jemals in gleichem Maße zu erwidern. Ihr habt alle Anhaftung an materiellen Genuß aufgegeben und nur noch Meine Gegenwart gesucht. Ich fühle Mich außerstande, Mich für eure Liebe erkenntlich zu zeigen, und so muß Ich euch bitten, mit eurer eigenen Hingabe zufrieden zu sein.«

Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī erklärte einmal, daß es eine gewisse Gruppe von Menschen gebe, die behaupten, jeder könne den Höchsten Herrn nach seinen eigenen Vorstellungen verehren und werde auf diese Weise dennoch den Höchsten erreichen. Ihrer Ansicht nach ist es völlig gleichgültig, ob man versucht, sich dem Höchsten Persönlichen Gott durch gewinnbringende Tätigkeiten, durch Spekulieren, durch Meditation oder durch das Aufsichnehmen von Bußen zu nähern, denn, so behaupten sie, durch jede dieser Methoden könne man die höchste Vollkommenheit erreichen. Oft hört man von ihnen in diesem Zusammenhang den Ausspruch, »Alle Wege führen zum gleichen Ziel.« Ebenso könne man, wie sie sagen, die Absolute Wahrheit auch als die Göttin Kālī oder Durgā, als Śiva, als Ganges, als Rāma, Hari oder Brahmā, kurz, als alles, was auf die Absolute Wahrheit hinweise, verehren, denn letzten Endes sei alles eins. Häufig führen sie auch das Beispiel des Mannes an, der verschiedene Namen hat und auf jeden einzelnen antwortet.

Solche Erklärungen mögen in den Ohren törichter Menschen angenehm klingen, doch sie beweisen im Grunde nur, wie wenig diese Unwissenden über transzendentales Leben wissen. Wer, von materiellen Wünschen getrieben, lediglich die Halbgötter verehrt, kann unmöglich den Höchsten Persönlichen Gott erreichen. Wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, muß er sich mit einem vergänglichen, materiellen Ergebnis begnügen. Es heißt dort: »Wer den Höchsten Persönlichen Gott nicht direkt verehrt, kann auch nicht durch die Verehrung der Halbgötter Seine Gemeinschaft erreichen.« Das Ergebnis von hingebungsvollem Dienen, das im vollkommenen Kṛṣṇa-Bewußtsein ausgeführt wird, ist nicht mit dem Ergebnis zu vergleichen, das man durch die Verehrung der Halbgötter, durch gewinnbringendes Handeln oder durch intellektuelle Spekulationen erhält.

30. KAPITEL

Caitanya

Reine Liebe zu Kṛṣṇa

Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen gewöhnlichen religiösen Vorgängen und gottgeweihtem Dienen. Wenn man nur religiöse Rituale vollzieht, kann man vielleicht materiellen Reichtum, wirtschaftlichen Fortschritt, Sinnenfreude oder Befreiung erlangen, doch das Ergebnis von hingebungsvollem Dienen ist ein völlig anderes. Hingebungsvolles Dienen verliert niemals seine transzendentale Frische, und die Freude, die man dabei erfährt, wächst ständig. Die mächtige jagathari-Energie, die auch als Kontrollierende der materiellen Welt oder mahā-māyā bezeichnet wird, die Halbgötter und alle anderen Manifestationen der materiellen Energie sind nichts als eine schattenhafte Reflexion der unermeßlichen Füllen des Höchsten Herrn. Die Halbgötter sind Diener des Herrn und verwalten die materielle Schöpfung. In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, daß sich die mächtige Oberaufseherin der materiellen Manifestation, Durgā, wie ein Schatten des Herrn bewegt, daß die Sonne wie Sein Auge ist und Brahmā wie eine Reflexion Seiner Ausstrahlung. Letztlich sind alle Halbgötter und sogar die äußere Energie, Durgā-devi, im Dienst des Höchsten Herrn beschäftigt.

In der spirituellen Welt wirkt eine andere Energie, - die spirituelle, höhere bzw. innere Energie, auch yoga-māyā genannt. Sie wird von Kṛṣṇa direkt kontrolliert. Wenn sich das Lebewesen statt von mahā- māyā von yoga-māyā leiten läßt, wird es allmählich, und ohne irgendeine materielle Ursache, zu einem Geweihten Śrī Kṛṣṇas. Wenn es jedoch nur nach materiellem Genuß und materiellen Gütern begehrt, vertraut es sich der materiellen Energie, mahā-māyā, oder den Halbgöttern an. Aus dem Śrīmad-Bhāgavatam erfahren wir, daß die gopīs zur spirituellen Energie yoga-māyā beteten, weil sie sich Kṛṣṇa als ihren Gemahl wünschten, und in der sapta-sati wird beschrieben, wie König Suratha und ein Kaufmann namens Sarnadi mahā-māyā verehrten, um materiellen Reichtum zu gewinnen. An diesen Beispielen wird der große Unterschied zwischen yoga-māyā und mahā-māyā deutlich.

Weil Sich der Höchste Herr auf der Absoluten Ebene befindet, besteht zwischen Seinem Namen und Ihm Selbst kein Unterschied. Er hat unzählige Namen wie Paramātma (die Überseele), Brahman (das Höchste Absolute), Śriṣṭikarta (der Schöpfer), Nārāyaṇa (der transzendentale Herr), Rukmiṇī-ramaṇa (der Ehemann Rukmiṇīs), Gopīnātha (der Geliebte der gopīs) und Kṛṣṇa (der Alles-Anziehende). All diese Namen bezeichnen verschiedene Aspekte des Höchsten Gottes. So unterscheidet Sich der Herr z.B. in Seinem Aspekt als Schöpfer alles Existierenden von Seinem Nārāyaṇa-Aspekt.

Solange man den Höchsten Persönlichen Gott nur als den Schöpfer sieht, kann man nicht Sein wirkliches Wesen erkennen, denn die materielle Schöpfung ist nur eine Manifestation Seiner äußeren Energie. Und wenn man den Höchsten Herrn nur als unpersönliches Brahman sieht, kann man nicht die sechs Füllen des Höchsten verstehen. Deshalb bildet auch die Erkenntnis des Brahman-Aspekts keine vollständige Erkenntnis. Die Erkenntnis der Überseele befindet sich ebenfalls noch nicht auf der höchsten Stufe des spirituellen Wissens, denn das alldurchdringende Wesen des Höchsten ist nur ein Teil Seiner gesamten Qualitäten. Die höchste transzendentale Erkenntnis ist die Verwirklichung Kṛṣṇas, denn Kṛṣṇa ist der Ursprung aller anderen Gottesaspekte. Nicht einmal ein Geweihter Nārāyaṇas in Vaikuṇṭha kann das transzendentale Wesen der Beziehungen zu Kṛṣṇa in Goloka Vṛndāvana verstehen. Und die Geweihten Śrī Kṛṣṇas haben auch gar kein Verlangen, Nārāyaṇa zu dienen, denn der Dienst für Kṛṣṇa ist so anziehend, daß sie sich zu keiner anderen Form des Herrn hingezogen fühlen und Ihn auch nicht bei anderen Namen nennen. Die gopīs in Vṛndāvana z. B. würden Kṛṣṇa niemals »Rukmiṇī-ramaṇa« nennen, denn sie denken nicht gern daran, daß Kṛṣṇa auch der Gemahl Rukmiṇīs ist. Vielmehr wird Kṛṣṇa in Vṛndāvana mit »Rādhā-Kṛṣṇa« angesprochen, was soviel bedeutet, wie »Kṛṣṇa, das Eigentum Rādhārāṇīs«. Obwohl im Grunde zwischen dem Gemahl Rukmiṇīs und Rādhās Kṛṣṇa kein Unterschied besteht, sind sie im spirituellen Sinne nicht auf der gleichen Ebene, und die verschiedenen Namen bezeichnen verschiedene Aspekte der gleichen transzendentalen Persönlichkeit. Differenziert man nicht zwischen Rukmiṇī-ramaṇa und Rādhā-ramaṇa und den anderen Namen und Aspekten des Höchsten, so macht man sich einer Inkorrektheit schuldig, die technisch »rasa-bhāsa« genannt wird. Die erfahrenen Gottgeweihten lehnen eine solche Vermischung der verschiedenen Aspekte und Namen des Höchsten Persönlichen Gottes ab, denn es widerspricht den Erkenntnissen des reinen hingebungsvollen Dienens, die unterschiedlichen Empfindungen in den transzendentalen Beziehungen außer acht zu lassen. Auch sollte man sich, wenn man von Kṛṣṇas verschiedenen Aspekten und Namen hört, vor dem Irrtum hüten, es handle sich hierbei um mehrere Götter.

Obgleich Śrī Kṛṣṇa, der Höchste Persönliche Gott, bereits in anderen Aspekten von einzigartiger Vortrefflichkeit und Schönheit ist, ist Er doch als Gopī-jana-vallabha (als Geliebter der gopīs) für die Gottgeweihten am anziehendsten. Die Gottgeweihten, die eine innige Liebesbeziehung zu Ihm haben, können sich bei keinem anderen Aspekt des Herrn mehr an Seiner Schönheit erfreuen als bei dieser Form. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 33. Kapitel des Zehnten Canto gesagt: »Obwohl Kṛṣṇa als der Sohn Devakīs von einzigartiger Lieblichkeit ist, scheint Er doch in der Gemeinschaft der gopīs noch schöner zu sein, so daß Er in ihrer Mitte einem funkelnden Juwel gleicht, der in eine goldene Halskette gefaßt ist.«

Śrī Caitanya stimmte den Erklärungen Rāmānanda Rāyas zu, daß die innige Liebesbeziehung zum Höchsten Herrn die höchste Stufe der Selbstverwirklichung darstelle, doch bat Er ihn gleichzeitig, trotzdem noch weiterzugehen. Ein wenig erstaunt, denn es war das erste Mal, daß er gebeten wurde, eine Erklärung über Kṛṣṇa abzugeben, die über dessen Beziehung zu den gopīs hinausging, sagte Rāmānanda Rāya schließlich: »Zweifellos haben alle Mädchen von Vraja ein sehr inniges Verhältnis zu Kṛṣṇa, doch die liebevolle Beziehung Rādhārāṇīs zu Kṛṣṇa ist die höchste und vollkommenste Stufe der Gottesliebe.« Ein gewöhnlicher Mensch kann weder die Ekstase der Liebe zwischen Rādhā und Kṛṣṇa noch das Wesen der transzendentalen Beziehung zwischen Kṛṣṇa und den gopīs verstehen. Doch wer aufrichtig versucht, dem Beispiel der gopīs zu folgen, kann selbst auf die Stufe ihrer Liebe zu Kṛṣṇa gelangen. Jeder, der die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen will, sollte daher als Diener der gopīs von ihnen lernen.

Śrī Caitanya entfaltete manchmal die Gemütsverfassung Rādhārāṇīs, als diese von Kṛṣṇa aus Dvārakā fortgeschickt wurde; doch einem gewöhnlichen Sterblichen ist es nicht möglich, solche transzendentale Liebe zu empfinden, und er sollte auch nicht versuchen, diese hohe Stufe der Liebe zu Gott nachzuahmen. Wenn jedoch jemand den aufrichtigen Wunsch verspürt, an dieser Liebe teilzuhaben, sollte er dem Beispiel der gopīs folgen.

Im Padma Purāṇa wird gesagt, daß Kṛṣṇa Rādhārāṇī sehr liebt, und daß deshalb auch der Rādhā-kuṇḍa, der Badeplatz Rādhārāṇīs, Kṛṣṇa sehr lieb ist. Rādhārāṇī ist die einzige gopī, die Kṛṣṇa mehr liebt als alle anderen. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 30. Kapitel des Zehnten Cantos festgestellt, daß Rādhārāṇī und die gopīs dem Herrn in völliger Liebe vollkommen dienen, und daß Kṛṣṇa so sehr an ihnen hängt, daß Er niemals von ihnen fortgehen oder die Gesellschaft Rādhārāṇīs verlassen möchte.

Als Śrī Caitanya von der Liebe zwischen Rādhā und Kṛṣṇa hörte, bat Er Rāmānanda Rāya, noch mehr darüber zu berichten. Er sagte zu Rāmānanda: »Es bereitet Mir große Freude, von dir über die Liebe zwischen Kṛṣṇa und den gopīs zu hören, denn deine Worte sind wie reiner Nektar.« Und zur Bestätigung der einzigartigen Stellung Rādhārāṇīs sagte Śrī Caitanya: »Als Kṛṣṇa einmal mit den gopīs tanzte, bedauerte Er, daß Er Rādhārāṇī in Gegenwart all der anderen gopīs keine besondere Aufmerksamkeit schenken konnte, und so führte er Sie aus der Mitte der Tanzenden fort.«

Rāmānanda Rāya sagte daraufhin: »Ja, laß uns nun über die transzendentalen Liebesspiele von Rādhā und Kṛṣṇa meditieren, die mit nichts in der materiellen Welt vergleichbar sind: Einmal verließ Śrīmatī Rādhārāṇī ganz plötzlich den rāsa-Tanz, da Sie ärgerlich geworden war, weil Kṛṣṇa Ihr nicht Seine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Als Kṛṣṇa Ihre Abwesenheit bemerkte, wurde Er sehr traurig, denn der rāsa-Tanz hatte für Ihn ohne Rādhārāṇī keine Bedeutung; deshalb machte Er Sich sogleich auf die Suche nach Ihr. Verzweifelt lief Er am Ufer der Yamunā entlang und durchstreifte dann, als Er sie dort nicht finden konnte, das Walddickicht von Vṛndāvana, während Er klagend Ihren Namen rief.« Rāmānanda Rāya sagte, daß man den erhabensten Nektar der Liebesbeziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa kosten könne, wenn man über diese beiden Verse des Śrīmad-Bhāgavatam spreche.

Obwohl es viele andere wunderschöne gopīs gab, mit denen Kṛṣṇa tanzen konnte, bevorzugte Er dennoch Rādhārāṇī. Kṛṣṇa tanzte im rāsa-Tanz zwar mit jeder einzelnen gopī, aber Er war ganz besonders für Rādhārāṇī da. Rādhārāṇī jedoch war nicht immer so recht mit Kṛṣṇas Verhalten zufrieden; der Grund hierfür wird in der Ujjala-nilmoni angegeben: »Liebesangelegenheiten gleichen den Bewegungen einer Schlange, denn unter den jungen Liebenden gibt es zwei Gemütsstimmungen: grundlose und begründete.« Als Rādhārāṇī also, aus Verärgerung darüber, daß Sie nicht besonders beachtet wurde, den Tanzplatz verließ, tat es Kṛṣṇa sehr leid, denn der rāsa-Tanz war nur durch die Anwesenheit Rādhārāṇīs vollkommen. Kṛṣṇa fand, daß die Atmosphäre des Tanzes durch Rādhās Fortgehen gestört sei, und verließ deshalb ebenfalls den Tanzplatz, um Sie zu suchen. Nachdem Kṛṣṇa an vielen Stellen erfolglos gesucht hatte, wurde Er sehr bekümmert. Daran erkennen wir, daß der Herr Seine Freuden-Energie nicht allein inmitten der gopīs genießen konnte, sondern nur zusammen mit Rādhārāṇī.

Als Rāmānanda Rāya die transzendentale Liebe zwischen Rādhārāṇī und Kṛṣṇa beschrieb, bekannte Śrī Caitanya: »Alle Meine Fragen stellte Ich dir im Grunde nur, weil ich durch deine Erklärungen die transzendentale Liebesbeziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa verstehen wollte, und deine ausführlichen Beschreibungen haben Mir tatsächlich große Freude bereitet. Du hast Mir zuletzt begreiflich gemacht, daß die höchste Stufe transzendentaler Liebe die Beziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa ist, doch möchte Ich dich nun noch bitten, Mir die transzendentalen Merkmale Rādhārāṇīs und Kṛṣṇas zu erklären. Beschreibe Mir bitte auch den Austausch Ihrer Gefühle und das Wesen Ihrer Liebe. Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du Mir all diese spirituellen Geheimnisse mitteilen würdest, denn Ich weiß, daß außer Dir niemand über solche vertrauten Themen sprechen kann.«

Rāmānanda Rāya entgegnete mit aller Demut: »Im Grunde weiß ich nichts über diese Dinge, doch versuche ich Dir, so gut es geht, zu sagen, was Du hören möchtest. Ich weiß, daß Du Kṛṣṇa Selbst bist, doch seltsamerweise scheinst Du es zu genießen, aus meinem Mund von Kṛṣṇa zu hören. Ich kann Dich also nur bitten, meine fehlerhaften Erklärungen zu entschuldigen, und Dir versichern, daß ich mein Bestes versuche, das zu sagen, was Du mir eingibst.«

Śrī Caitanya erwiderte jedoch sogleich: »Ich bin nur ein gewöhnlicher Māyāvādī-sannyāsī, der nicht das geringste von den transzendentalen Aspekten des hingebungsvollen Dienens weiß. Durch die Gnade Sārvabhauma Bhaṭṭācāryas ist Mein Geist ein wenig geläutert worden, so daß Ich nun versuche, das Wesen des hingebungsvollen Dienens für Kṛṣṇa zu verstehen. Sārvabhauma empfahl Mir, dich aufzusuchen, um von dir über Kṛṣṇa zu hören. Er sagte Mir, du seist der Einzige, der wirklich etwas über die Liebe zu Kṛṣṇa wisse. So bin Ich also nun zu dir gekommen, und bitte dich, nicht zu zögern, Mir alle Geheimnisse über Rādhā und Kṛṣṇa zu offenbaren.«

Der Herr nahm also, um durch Sein Beispiel zu lehren, gegenüber Rāmānanda Rāya eine untergeordnete Position ein. Śrī Caitanyas Verhalten ist von größter Wichtigkeit, denn jeder, der ernsthaft darum bemüht ist, das transzendentale Wesen Kṛṣṇas zu verstehen, sollte sich in ergebener Haltung an einen Menschen wenden, der Kṛṣṇa-bewußt ist. Man sollte nicht auf Herkunft, Reichtum, Erziehung oder Schönheit stolz sein oder gar versuchen, mit solchen materiellen Qualitäten einen fortgeschrittenen Gottgeweihten für sich einzunehmen. Wer zu einem fortgeschrittenen Gottgeweihten mit der Absicht geht, ihn zu beeindrucken, macht sich von der transzendentalen Wissenschaft des Kṛṣṇa- Bewußtseins völlig falsche Vorstellungen. Man sollte sich einem Kṛṣṇa-bewußten Menschen in Demut nähern und ihm ernsthafte Fragen stellen, ihn aber niemals herausfordern. Wenn man nämlich zu einem erleuchteten Gottgeweihten geht, um ihn herauszufordern, kann man nichts von ihm lernen. Ein provozierender und hochnäsiger Mensch wird aus der Gesellschaft eines Kṛṣṇa-bewußten Menschen keinerlei Nutzen ziehen können und deshalb weiter der materialistischen Lebensauffassung verhaftet bleiben. Obwohl Śrī Caitanya in einer brāhmaṇa-Familie geboren war und Sich auf der höchsten Stufe des sannyāsa befand, zeigte Er durch Sein Beispiel, das selbst die höchstgestellte Persönlichkeit nicht zögern sollte, sich von einem Gottgeweihten wie Rāmānanda Rāya unterweisen zu lassen, obgleich dieser vom sozialen Standpunkt aus gesehen nur ein kṣatriya und Haushälter war.

Śrī Caitanya machte somit deutlich, daß sich ein ernsthafter Schüler nicht darum kümmert, ob sein geistiger Meister aus einer angesehenen brāhmaṇa-Familie oder einer kṣatriya-Familie stammt. Es ist ihm gleichgültig, ob er ein großer sannyāsī oder nur ein brahmacārī ist oder sich auf irgendeiner anderen Lebensstufe befindet. Jeder, der es versteht, die Wissenschaft von Kṛṣṇa zu lehren, ist guru.

31. KAPITEL

Caitanya

Die höchste Vollkommenheit

Jeder, der mit der Wissenschaft von Kṛṣṇa vertraut ist, kann ein echter geistiger Meister und Lehrer dieser erhabenen Wissenschaft werden, ganz gleich, wo er geboren wurde, und in welcher Position er sich befindet. Mit anderen Worten: Ob ein Mensch geistiger Meister werden kann, hängt nur davon ab, inwieweit er mit der Wissenschaft von Kṛṣṇa, dem Kṛṣṇa-Bewußtsein, vertraut ist. - Eine besondere Stellung innerhalb der Gesellschaft oder eine hohe Abstammung sind nicht ausschlaggebend. Diese Lehre Śrī Caitanyas steht in völliger Übereinstimmung mit den vedischen Anweisungen, und so ist es zu verstehen, daß z. B. Śrī Rasikānanda, ein großer ācārya, Śrī Śyāmānanda, der nicht in einer brāhmaṇa-Familie geboren war, als geistigen Meister annahm, und daß sogar ein Jäger mit Namen Dharma der geistige Meister von vielen Schülern wurde. Im Mahābhārata und im Śrīmad-Bhāgavatam (Siebter Canto, 11. Kapitel) stehen eindeutige Anweisungen, die besagen, daß man einen Menschen nicht nach Seiner Herkunft als brāhmaṇa, kṣatriya, vaiṣya oder ṣūdra einstufen sollte, sondern nach seiner Qualifikation. Und sollte er andere Eigenschaften aufweisen, als man aufgrund seiner Geburt von ihm erwartet, so muß er tatsächlich nach diesen Eigenschaften beurteilt werden. Wer z. B. in einer Familie von brāhmaṇas geboren wurde, doch die Eigenschaften eines ṣūdra zeigt, muß auch als ṣūdra betrachtet werden. Auf der anderen Seite muß natürlich auch ein Mensch, der in einer ṣūdra-Familie geboren wurde, doch die Merkmale eines brāhmaṇa aufweist, als brāhmaṇa eingestuft werden. Alle Unterweisungen der ṣāstras, die Aussagen der großen Weisen und Autoritäten und ihr praktisches Beispiel bestätigen, daß ein echter geistiger Meister nicht unbedingt aus einer brāhmaṇa-Familie zu stammen braucht. Die einzige Qualifikation, die er aufweisen muß, besteht, wie gesagt, darin, daß er die Wissenschaft von Kṛṣṇa kennt. Erfüllt er diese Voraussetzung, ist er als geistiger Meister anzuerkennen. So lautet die Schlußfolgerung, zu der Śrī Caitanya Mahāprabhu in Seinen Gesprächen mit Rāmānanda Rāya gelangte.

Im Hari-bhakti-vilāsa heißt es in diesem Zusammenhang: »Wenn man zwischen einem autorisierten geistigen Meister aus einer Familie von brāhmaṇas und einem aus einer Familie von ṣūdras die Wahl hat, sollte man sich für den geistigen Meister aus der brāhmaṇa-Familie entscheiden.« Doch diese Aussage ist lediglich ein Zugeständnis zur Einteilung der Gesellschaft - im spirituellen Sinne hat sie keine Gültigkeit. Der Vers richtet sich daher nur an diejenigen, die der sozialen Ordnung mehr Bedeutung beimessen als der spirituellen, und nicht an jene, die ernsthaft bemüht sind, Fortschritte im spirituellen Leben zu machen. Für diese lehrte Śrī Caitanya Mahāprabhu, daß jeder, der mit der Wissenschaft von Kṛṣṇa vertraut ist, ungeachtet seiner sozialen Stellung als geistiger Meister anerkannt werden muß.

Im Padma-Purāṇa gibt es viele Textstellen, die Śrī Caitanya recht geben; eine lautet z. B.: »Ein erleuchteter, im spirituellen Leben fortgeschrittener Geweihter des Herrn ist in jedem Fall als erstklassiger Transzendentalist zu betrachten und muß daher als geistiger Meister anerkannt werden. Wer jedoch kein Geweihter des Herrn ist, kann niemals, auch wenn er eine noch so angesehene Persönlichkeit ist oder aus einer brāhmaṇa-Familie stammt, geistiger Meister werden. Der Sohn eines brāhmaṇa mag vielleicht alle in den vedischen Schriften vorgeschriebenen Rituale kennen, doch solange er kein reiner Gottgeweihter ist, kann er auch kein geistiger Meister sein. In allen ṣāstras wird als wesentliche Qualifikation eines geistigen Meisters angegeben, daß er die Wissenschaft von Kṛṣṇa verstanden haben muß. Śrī Caitanya bat Rāmānanda Rāya also, ihn weiter mit der Wissenschaft vom Höchsten Herrn zu erleuchten und nicht zu zögern, über die transzendentalen Geschichten von Rādhā und Kṛṣṇa zu sprechen, nur weil Er ein sannyāsī auf der Lebensstufe der Entsagung sei. Rāmānanda Rāya entgegnete darauf in aller Demut: »Da Du mich bittest, Dir von den transzendentalen Spielen des Göttlichen Paares zu berichten, will ich Deinen Wunsch nach bestem Vermögen erfüllen, denn ich sage, was immer Du von mir zu hören begehrst. Ich bin wie eine Marionette in Deinen Händen, und Du bist wie der Puppenspieler. Mein einziger Wunsch ist es, nach Deinem Willen zu sprechen, und meine Zunge soll ein Saiteninstrument sein, auf dem Du spielst.« Rāmānanda Rāya gab somit nur die Worte wieder, die Śrī Caitanya von ihm erwartete.

Er begann also, von Kṛṣṇa, dem Höchsten Persönlichen Gott, als der Quelle aller Inkarnationen und der Ursache aller Ursachen zu sprechen. Es existieren in der materiellen Welt unzählige Universen, und in der transzendentalen Welt gibt es unzählige Vaikuṇṭha-Planeten, auf denen die zahllosen Inkarnationen und Erweiterungen des Herrn residieren. All diese gewaltigen Manifestationen haben ihren Ursprung in Kṛṣṇa, dessen transzendentaler Körper ewig, allglückselig und allwissend ist. Er ist bei den Gottgeweihten als der Sohn Nanda Mahārājas bekannt und lebt auf dem höchsten Planeten im spirituellen Himmel, Goloka Vṛndāvana. Außerdem birgt Er alle sechs Füllen in Sich - nämlich allen Reichtum, alle Kraft, alle Schönheit, allen Ruhm, alles Wissen und alle Entsagung.

In der Brahma-saṁhitā wird im 1. Vers des Fünften Kapitels bestätigt, daß Kṛṣṇa, der Höchste Herr, die Ursache aller Ursachen ist, und daß Seine transzendentale Gestalt sac-cid-ānanda ist - ewiges Sein, ewiges Wissen und ewige Glückseligkeit. Kṛṣṇa hat keinen Ursprung; vielmehr ist Er der Ursprung alles Existierenden. Er ist die höchste Ursache aller Ursachen; Er hält Sich immer in Vṛndāvana auf und ist so anziehend wie ein Liebesgott. Weiter wird in der Brahma-saṁhitā eine ausführliche Beschreibung von Vṛndāvana gegeben: »Das transzendentale Land von Vṛndāvana ist ewig und spirituell, und dort leben unzählige Glücksgöttinnen als gopīs, die alle zu Kṛṣṇa, ihrem einzigen Geliebten, eine vertraute Liebesbeziehung haben. In jenem spirituellen Land wachsen Bäume, kalpa-vṛkṣas genannt, die jeden Wunsch erfüllen können. Das Land selbst besteht aus dem Stein der Weisen, das Wasser ist Nektar, jedes Wort ist Gesang und jeder Schritt ein Tanz, und überall kann man den wunderschönen Klang von Kṛṣṇas Flöte vernehmen. Alles, was dort existiert, strahlt aus sich selbst heraus - ähnlich wie die Sonne in der materiellen Welt.

Die menschliche Form des Lebens ist einzig als Voraussetzung bestimmt, dieses transzendentale Land von Vṛndāvana kennenzulernen, und deshalb wird sich der Glückliche Wissen über das Reich von Vṛndāvana und seine Bewohner aneignen.

In diesem Reich übergießen die surabhi-Kühe das Land mit ihrer Milch, und da die Bewohner nicht einmal einen Augenblick verschwenden, gibt es dort weder Vergangenheit noch Gegenwart, noch Zukunft.

In Indien existiert eine Erweiterung von Vṛndāvana, dem Höchsten Reich Śrī Kṛṣṇas, und fortgeschrittene Gottgeweihte verehren dieses Land von Vṛndāvana wie das Vṛndāvana in der spirituellen Welt, da sie wissen, daß im Grunde kein Unterschied zwischen den beiden besteht. Niemand kann Vṛndāvana jedoch richtig würdigen, ohne mit dem spirituellen Wissen des Kṛṣṇa-Bewußtseins erleuchtet zu sein. Vṛndāvana sieht, mit gewöhnlichen Augen betrachtet, genau so aus wie jeder andere Landstrich, doch in den Augen der fortgeschrittenen Gottgeweihten ist es dem ursprünglichen Vṛndāvana gleich, Śrīla Narottama dāsa Ṭhākura, ein großer Heiliger und ācārya, schrieb einmal in einem Lied: »Wann werde ich endlich von allen unreinen Gedanken frei sein und Vṛndāvana sehen, wie es wirklich ist? Und wann werde ich die Schriften verstehen, die die Gosvāmīs schrieben, so daß ich die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa begreifen kann?«

Die Liebesbeziehungen zwischen Kṛṣṇa und den gopīs sind natürlich völlig transzendental. Sie mögen zwar in den Augen eines materialistischen Menschen wie gewöhnliche Liebesbeziehungen erscheinen, doch in Wirklichkeit liegen Abgründe zwischen den transzendentalen Empfindungen in Vṛndāvana und den Lustgefühlen in der materiellen Welt. Die Lust in der materiellen Welt wird für kurze Zeit erweckt und verschwindet dann wieder nach ihrer sogenannten Befriedigung; doch in der spirituellen Welt ist die Liebe zwischen Kṛṣṇa und den gopīs ewig und steigert sich mit jedem Augenblick. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Liebe in der transzendentalen Welt und der sogenannten Liebe, der Lust, in der materiellen Welt. Die Lust, die aus dem Körper entsteht, ist vergänglich wie der Körper selbst; doch die Liebe in der spirituellen Welt befindet sich auf der spirituellen Ebene, und weil die spirituelle Seele ewig ist, ist auch die spirituelle Liebe ewig. Aus diesem Grund wird Kṛṣṇa auch »der ewig jugendliche Liebesgott« genannt.

Śrī Kṛṣṇa wird durch das Chanten des kāma-gāyatrī-mantras verehrt, der die letzte Zeile des Gāyatrī-mantras bildet. In den vedischen Schriften wird folgende Erläuterung zum Gāyatrī-mantra gegeben: »Unter dem Gāyatrī-mantra versteht man die Klangschwingung, die einen von intellektueller Spekulation befreien kann.« Der kāma-gāyatrī-mantra besteht aus vierundzwanzigeinhalb Silben und hat folgenden Wortlaut: »Klīṁ kāmadevāya vidmahe puṣpabānāya dhīmahi tan no 'nangaḥ pracodayāt.« Wenn ein Schüler im Chanten des HareKṛṣṇa-mantras fortgeschritten ist, wird er von seinem geistigen Meister in das Chanten des Gāyatrī-mantras eingeweiht. Mit anderen Worten: Sowie der geistige Meister sieht, daß einer seiner Schüler Fortschritte im spirituellen Wissen gemacht hat, gibt er ihm den Gāyatrī-mantra und unterzieht ihn der saṁskāra-Zeremonie (der Umwandlung in einen vollkommenen brāhmaṇa). Doch im Grunde genügt schon das Chanten des Hare Kṛṣṇa-mantras völlig, einen Menschen zur spirituellen Ebene zu erheben.

In der Brahma-saṁhitā wird eine sehr vertrauliche Information über Kṛṣṇas Flöte gegeben: »Als Kṛṣṇa auf Seiner Flöte zu spielen begann, drangen diese Klänge als der vedische mantra »oṁ« in das Ohr Brahmās. Dieses oṁ besteht aus den drei Lauten A, U und M, die unsere Beziehung zum Höchsten Herrn ausdrücken. Das oṁ bezieht sich auf die Vorgänge, mit deren Hilfe wir die höchste Vollkommenheit der Gottesliebe erreichen und unsere ursprüngliche liebevolle Beziehung zu Kṛṣṇa auf der spirituellen Ebene wiederaufnehmen können. Als Brahmā die Klänge von Kṛṣṇas Flöte hörte, faßte er sie sogleich in Worte, und so entstand der Gāyatrī-mantra. Brahmā, das höchste und erste Lebewesen in der materiellen Welt, wurde somit durch die Töne aus Kṛṣṇas Flöte als Erster zum brāhmaṇa geweiht. Diese Aussage der Brahma-saṁhitā wird auch von Śrīla Jīva Gosvāmī bestätigt: »Nachdem der Höchste Herr durch Sein Flötenspiel Brahmā den Gāyatrī-mantra offenbart hatte, war dieser mit dem gesamten vedischen Wissen erleuchtet. Er war Kṛṣṇa sehr dankbar für diese Segnung, durch die er zum ursprünglichen geistigen Meister aller Lebewesen im Universum wurde.« In der Brahma-saṁhitā wird weiter erklärt, daß das Wort »klīṁ«, welches zum Gāyatrī-mantra hinzugefügt wird, den Samen des kāmagāyatrī-mantras, d. h. den transzendentalen Samen der Liebe zu Gott bildet. Das Objekt dieser Liebe ist Kṛṣṇa, der ewig jugendliche Liebesgott, der durch das Chanten des mantras »klīṁ« verehrt wird. In der Gopal-tapaṇi Upaniṣad wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß man, wenn von Kṛṣṇa als Liebesgott die Rede ist, nicht den Fehler machen sollte, Ihn mit einem Liebesgott der materiellen Welt zu verwechseln. Wie wir bereits erklärt haben, weilt Kṛṣṇa ewiglich in Seinem spirituellen Reich Vṛndāvana, und daher hat auch das Wort »Liebesgott« eine spirituelle Bedeutung. Man sollte also nicht fälschlich denken, der materielle Liebesgott und Kṛṣṇa seien identisch. Unter weltlicher Liebe, die durch den weltlichen Liebesgott Amor verkörpert wird, versteht man die Zuneigung zu einem materiellen Körper, der aus Fleisch, Blut, Kot usw. besteht, doch die spirituelle Liebe ist die Zuneigung zwischen der Überseele und der individuellen Seele.

Lust und Sexualität gibt es auch im spirituellen Leben, doch weil die spirituelle Seele im bedingten Zustand in einen materiellen Körper eingeschlossen ist, wird dieser ehemals spirituelle Trieb durch die Materie in verzerrter, pervertierter Form zum Ausdruck gebracht. Wer mit der Wissenschaft des Kṛṣṇa-Bewußtseins vertraut ist, versteht, daß die Neigung zu Sexualität auf der materiellen Ebene zu verabscheuen ist, wohingegen die spirituelle Sexualität durchaus wünschenswert ist.

Es gibt zwei Arten von spiritueller Sexualität: Die erste entspricht dem wesenseigenen Zustand des Selbst, und die zweite richtet sich nach dem Objekt der Zuneigung. Wenn man das materielle Leben durchschaut hat, aber noch nicht völlig frei ist von der materiellen Verunreinigung, kann man noch nicht im transzendentalen Reich von Vṛndāvana leben, obwohl man schon ein gewisses Verständnis vom spirituellen Leben haben mag. Erst wenn man von jeglichem körperlichen Drang nach Sexualität frei wird, weilt man tatsächlich im höchsten Reich von Vṛndāvana, und erst dann kann man den kāma-gāyatrī-mantra richtig chanten.

Rāmānanda Rāya erklärte als nächstes, daß Kṛṣṇa sowohl für Männer als auch für Frauen, sowohl für die sich bewegenden als auch für die sich nicht bewegenden Geschöpfe - kurz, für alle Lebewesen - anziehend ist. Aus diesem Grund wird Er »der transzendentale Liebesgott« genannt. Um diese Aussage zu belegen, zitierte Rāmānanda Rāya einen Vers aus dem 32. Kapitel des Zehnten Cantos, in dem es heißt, daß der Herr einem Liebesgott glich, als Er vor den Mädchen von Vraja erschien und lächelnd auf Seiner Flöte spielte.

Die verschiedenen Gottgeweihten haben unterschiedliche Beziehungen zum Höchsten Herrn. Jede dieser Beziehungen zum Herrn ist jedoch so gut wie jede andere, denn immer ist Kṛṣṇa das Zentrum der Liebe. Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu gibt es hierzu einen wunderschönen Vers, der wie folgt lautet: »Kṛṣṇa ist der Quell aller Freude, und Seine spirituelle Ausstrahlung übt eine starke Anziehungskraft auf die gopīs aus, besonders auf Tarakā, Śyāmā, Palī und Lalitā. Am meisten aber liebt Ihn Rādhārāṇī, die führende gopī.« Wenn die Gottgeweihten über die transzendentalen Spiele Kṛṣṇas sprechen, preisen sie nicht nur Kṛṣṇa allein, sondern auch die gopīs. Denn jeder, der sich zu Kṛṣṇa hingezogen fühlt und mit Ihm in einer der transzendentalen Beziehungen Gefühle der Liebe austauscht, ist verehrenswert. Kṛṣṇa ist so schön, so transzendental und so anziehend, daß Er Sich manchmal sogar zu Sich Selbst hingezogen fühlt. In der Gītā-govinda findet man hierzu einen sehr schönen Vers: »Meine liebe Freundin, sieh nur wie Kṛṣṇa zu dieser Frühlingszeit Seine transzendentalen Spiele genießt, indem Er die unvergleichliche Schönheit Seines Körpers noch mehr vergrößert! Gleich dem sanften Mond liebkost Er mit Seinen köstlichen Händen die Körper der gopīs und umarmt sie auf verschiedenste Weise. Kṛṣṇa ist so bezaubernd, daß Sich nicht nur Nārāyaṇa, sondern auch Lakṣmī, die Glücksgöttin, die immer an der Seite des Herrn von Vaikuṇṭha weilt, zu Ihm hingezogen fühlt.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam gibt es in diesem Zusammenhang einen treffenden Vers, in dem Mahā-Viṣṇu zu Kṛṣṇa und Arjuna sagt: »Lieber Kṛṣṇa und lieber Arjuna, nur um Euch zu sehen, habe ich die Söhne des brāhmaṇa entführt.«

Die Vorgeschichte hierzu ist folgende: Arjuna hatte geschworen, die Söhne eines brāhmaṇa aus Dvārakā zurückzubringen, die gleich nach ihrer Geburt auf mysteriöse Weise verschwunden waren. Als jedoch alle Bemühungen erfolglos blieben, hatte Kṛṣṇa schließlich Mitleid mit Seinem Freund und begab Sich persönlich mit ihm zu Mahā-Viṣṇu, der ihnen auch tatsächlich sofort die Söhne des brāhmaṇa übergab, die gesund und munter waren. Als Mahā-Viṣṇu die gestohlenen Kinder auslieferte, sagte Er zu den Beiden: »Ihr seid in dieser Welt erschienen, um die religiösen Prinzipien zu erhalten und die Dämonen zu vernichten. - Weil Ich das wußte, habe Ich diese List angewandt.« Selbst Mahā-Viṣṇu fühlte Sich also zu Kṛṣṇa hingezogen, denn Er hatte die Söhne des brāhmaṇa nur entführt, um auch einmal die Gelegenheit zu erhalten, Kṛṣṇa zu sehen. Im 16. Kapitel des Zehnten Cantos findet man ebenfalls einen sehr schönen Vers, der hier angeführt werden kann: »Nachdem die dämonische Schlange Kāliya von Kṛṣṇa besiegt worden war, sagten Kāliyas Frauen zu Kṛṣṇa: »Lieber Herr, wir können uns schwerlich vorstellen, warum diese zutiefst gefallene Schlange die Gunst erhielt, von Deinen Lotosfüßen getreten zu werden, denn selbst die Glücksgöttin mußte jahrelang strenge Bußen auf sich nehmen, um sie berühren zu dürfen.«

In der Lalita-mādhava wird im 20. Vers des Achten Kapitels beschrieben, wie Sich Kṛṣṇa zu Seiner eigenen Schönheit hingezogen fühlte. Als Kṛṣṇa einmal ein Bild von Sich sah, seufzte Er: »Wie unbeschreiblich schön dieser Jüngling ist! Ich fühle Mich genau so stark zu ihm hingezogen wie Rādhika.« Kṛṣṇa war also ebenso sehr wie Rādhārāṇī von Seinem Bild angezogen.

So schilderte Rāmānanda Rāya zusammenfassend Kṛṣṇas unvergleichliche Schönheit. Als nächstes sprach er über Kṛṣṇas spirituelle Energie, deren erhabenste Manifestation Rādhārāṇī ist. Kṛṣṇa verfügt über unzählige Energien, von denen drei am wichtigsten sind: 1) die innere Energie, 2) die äußere Energie und 3) die mittlere Energie, die Lebewesen. Dies wird auch im 6. Kapitel des Viṣṇu Purāṇa bestätigt, wo es heißt: Viṣṇus Energie ist spirituell und manifestiert sich in drei Hauptformen. Wenn sie von Unwissenheit überdeckt wird, bezeichnet man sie als »materielle Energie«. Da Kṛṣṇas Körper aus Ewigkeit, Glückseligkeit und Wissen besteht, ist auch Seine spirituelle Energie in drei Formen manifestiert. Sein Glückseligkeits-Aspekt manifestiert die freudengebende Kraft, Sein Ewigkeits-Aspekt die alles-erhaltende Energie und Sein Wissens-Aspekt die spirituelle Vollkommenheit. Im 12. Kapitel des Viṣṇu Purāṇa wird gesagt: »Die Freuden-Energie Kṛṣṇas bereitet dem Höchsten Herrn transzendentale Glückseligkeit.« Wenn Sich Kṛṣṇa daher erfreuen will, entfaltet Er Seine als hlādinī- ṣakti bekannte spirituelle Energie.

Kṛṣṇa genießt in Seiner spirituellen Gestalt Seine spirituelle Energie. - Dieses Prinzip bildet die Grundlage für die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa. Ihr göttlicher Liebesaustausch kann jedoch nur von erleuchteten Gottgeweihten verstanden werden, und deshalb sollte man nicht den Fehler begehen, die Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa und ihre Liebesbeziehung mit gewöhnlichen Maßstäben zu messen, denn das würde leicht dazu führen, daß man sie für materiell und weltlich hält.

Wenn sich die Freuden-Energie konzentriert, wird sie »mahā-bhāva« genannt. Diese mahā-bhāva personifiziert sich in Śrīmatī Rādhārāṇī, der ewigen Gefährtin Śrī Kṛṣṇas. Ihre Persönlichkeit wird von Śrīla Rūpa Gosvāmī in seinem Buch Ujjala-nilmoni näher beschrieben. Dort heißt es im 2. Vers des Zweiten Kapitels: »Candrāvalī und Rādhārāṇī wetteifern um Kṛṣṇas Liebe; doch Rādhārāṇī ist eindeutig die bessere von beiden; Sie ist die mahā-bhāva svarūpa.« Hier wird gesagt, daß Śrīmatī Rādhārāṇī im Unterschied zu allen anderen gopīs die mahā-bhāva svarūpa, d. h. die Verkörperung der mahā-bhāva ist, welche völlig von der Freuden-Energie durchdrungen ist. Da Rādhārāṇī die Verkörperung der höchsten Liebe zu Kṛṣṇa ist, verehrt man Rādhārāṇī überall als die vertrauteste Geliebte Kṛṣṇas, und Ihr Name wird immer zusammen mit dem Namen Kṛṣṇas genannt - »Rādhā-Kṛṣṇa«.

In der Brahma-saṁhitā wird dies ebenfalls bestätigt; es heißt dort nämlich: »Kṛṣṇa erweitert Sich in der spirituellen Welt durch Seine Freuden-Energie, und weil Er absolut ist, sind Seine Energien nicht verschieden von Ihm. Obwohl Er ständig persönlich die Gemeinschaft mit den Erweiterungen Seiner Freuden-Energie genießt, ist Er zur gleichen Zeit alldurchdringend.« Daher bringt Brahmā Ihm, Govinda, der Ursache aller Ursachen, seine respektvollen Ehrerbietungen dar.

So wie Kṛṣṇa der Inbegriff der höchsten spirituellen Vollkommenheit ist, so ist Rādhārāṇī der Inbegriff der höchsten spirituellen Freuden-Energie, deren Bestimmung darin liegt, Kṛṣṇa zu erfreuen. Und da Kṛṣṇa unbegrenzt ist, ist auch Rādhārāṇī unbegrenzt, und auch die Freude, die Sie Ihm schenkt. Wenn Kṛṣṇa Rādhārāṇī sieht, freut Er Sich in höchstem Maße, und sowie Rādhārāṇī Kṛṣṇas Freude bemerkt, verschönert Sie Sich noch mehr, so daß Kṛṣṇa noch stärker von Ihr angezogen wird. Weil Kṛṣṇa außerstande war, Rādhārāṇīs Freuden-Energie zu ermessen, nahm Er Ihre Rolle an, um Sie ein wenig zu begreifen. Diese Verbindung von Rādhā und Kṛṣṇa ist Śrī Caitanya Mahāprabhu.

»Aus diesem Grund«, so sagte Rāmānanda Rāya, »ist Rādhārāṇī der höchste Inbegriff der Freuden-Energie Kṛṣṇas.« Sie erweitert Sich in verschiedene Formen wie Lalitā, Viṣākhā und anderer vertrauter Gefährtinnen. Śrīla Rūpa Gosvāmī beschreibt in der Ujjala-nilmoni auch die transzendentalen Merkmale von Śrīmatī Rādhārāṇī, die wie folgt lauten: Rādhārāṇīs Körper ist eine Entfaltung transzendentaler Freude. Er ist mit Blumen geschmückt, von Wohlgeruch umgeben und völlig von Liebe zu Kṛṣṇa durchdrungen. Dieser transzendentale Körper nimmt dreimal Geburt: Zuerst im Wasser der Barmherzigkeit, dann im Wasser der Schönheit und schließlich im Wasser der jugendlichen Ausstrahlung. Nach dieser dreifachen Geburt wird er in strahlende Gewänder gekleidet, mit Kṛṣṇas persönlicher Schönheit als Kosmetikum geschmückt, und nachdem Rādhārāṇīs Schönheit somit die höchste Vollendung erreicht hat, verschönert Sie Sich immer noch durch die Ornamente der spirituellen Ekstase wie Zittern, Weinen, Bewegungslosigkeit aus transzendentaler Freude, Stillstand aller Körperfunktionen, Schweißausbruch, Brechen der Stimme, rasender Herzschlag, Verrücktheit und Taumel.

Weiterhin treten bei Ihr zuweilen auch neun Symptome der »verschönernden Freuden-Energie« auf. Fünf dieser Symptome werden durch Ihre überaus schöne Gestalt hervorgerufen, die mit Blumengirlanden bekränzt ist. Ihre geduldige Ruhe wird mit einem Kleid aus Tüchern verglichen, die mit Kampfer gereinigt wurden; der Knoten in Ihrem Haar weist auf Ihre heftige Sehnsucht nach Kṛṣṇa hin, und das tilaka-Zeichen auf Ihrer Stirn bedeutet transzendentales Glück. Rādhārāṇī hört ununterbrochen Kṛṣṇas Namen und Kṛṣṇas Ruhm. So wie die Lippen rötlich gefärbt sind, wenn man Betelnüsse gekaut hat, so sind die Augenlider Rādhārāṇīs aufgrund ihrer starken Zuneigung für Kṛṣṇa schwarz getönt, als habe die Natur sich mit Rādhā und Kṛṣṇa einen freundlichen Scherz erlaubt. Ihr Lächeln erinnert an den Geschmack von Kampfer, und wenn Sie Sich in dem Raum der lieblichen Düfte auf dem Bett des Stolzes niederläßt, bewegt sich die Blumengirlande der Sehnsucht aus Trennung von Kṛṣṇa auf Ihrem Körper hin und her. Ihre Brust ist dabei mit der Bluse des Ärgers bedeckt, der von Ihrer ekstatischen Zuneigung zu Kṛṣṇa hervorgerufen wird. Rādhārāṇī besitzt ein besonderes Saiteninstrument, als Zeichen, daß Sie die beste aller Freundinnen Kṛṣṇas ist. Wenn Sie mit Ihm zusammen ist, liebt Sie es, Ihre Hand auf Seine anmutige Schulter zu legen. Obwohl Sie so viele transzendentale Eigenschaften besitzt, ist Sie ständig darum bemüht, Kṛṣṇa zu dienen.

Śrīmatī Rādhārāṇīs Schönheit erhöht sich außerdem durch suddipta-sattvika-Empfindungen, die sich manchmal in Form von Klagen und ein anderes Mal in Form von Beschwichtigung zeigen. Suddipta-sattvikaGefühle sind Emotionen, die den Liebenden überwältigen, ohne daß er ihnen Einhalt gebieten kann. All diese Formen transzendentaler Ekstase sind Symptome Ihres Körpers. Rādhārāṇī erfährt auch zuweilen eine Emotion, die kilakiñcita genannt wird. Diese kilakiñcita-Emotion äußert sich auf zwanzig verschiedene Arten und tritt zum Teil im Körper, teils im Geist und teils in der Handlungsweise auf. Die körperlichen Emotionen äußern sich in Rādhārāṇīs Haltung und in Ihren Bewegungen; die Emotionen Ihres Geistes kommen in der Entfaltung Ihrer Schönheit, in Ihrer Ausstrahlung, in Ihrer Hautfärbung, in Ihren Gefühlsäußerungen, in Ihren Worten, in Ihrer Großherzigkeit und in Ihrer Geduld zum Ausdruck. Unter gewohnheitsmäßigen Emotionen versteht man Spiele, Genuß, Vorbereitung und Vergessen.

Śrīmatī Rādhārāṇīs Stirn ist mit dem glückverheißenden tilaka geschmückt, und sie trägt ein Medaillon aus premvaicittya um den Hals. Premvaicittya nennt man das Symptom, das bei Liebenden auftritt, wenn sie sich treffen, doch zur gleichen Zeit befürchten, wieder voneinander getrennt zu werden.

Śrīmatī Rādhārāṇī, die fünfzehn Tage jünger ist als Kṛṣṇa, spricht und meditiert ständig über Ihre Spiele mit Kṛṣṇa. Mit Ihren süßen Worten bietet Sie Kṛṣṇa ständig eine Art von Berauschung an, und stets ist Sie bereit, Ihm jeglichen Wunsch zu erfüllen. Mit anderen Worten: Sie ist die Erfüllerin aller Verlangen des Herrn, und somit besitzt Sie übernatürliche und ganz und gar ungewöhnliche Eigenschaften. In der Govinda-lilāmṛta findet man hierzu einem sehr schönen Vers:

Wer erweckt Kṛṣṇas Zuneigung? Die Antwort lautet: Śrīmatī Rādhika. Und wer ist Kṛṣṇa am liebsten? Die Antwort lautet: Es ist ganz allein Śrīmatī Rādhārāṇī. Strahlendes Haar, tränengefüllte Augen und Festigkeit der Brust - dies sind persönliche Merkmale Śrīmatī Rādhikas. Sie besitzt alle guten Qualitäten, und daher kann nur Sie, und niemand sonst, alle Wünsche Kṛṣṇas erfüllen.

Sottabhama, eine der vortrefflichsten gopīs, wetteifert zwar mit Śrīmatī Rādhārāṇī um Kṛṣṇas Gunst, doch auch sie sehnt sich danach, es Rādhārāṇī gleichzutun. Śrīmatī Rādhārāṇī ist in allem, was sie tut, so kunstfertig, daß alle Mädchen von Vraja zu Ihr kommen, um von Ihr zu lernen. Sie ist so bezaubernd schön, daß sich selbst Lakṣmī, die Glücksgöttin, und Pārvatī, die Frau Śivas, wünschen, wie Sie zu werden. Selbst Arundhutī, die als die keuscheste Frau im Universum gilt, möchte von Rādhārāṇī lernen, was wirkliche Keuschheit ist. Die Vortrefflichkeit Ihrer zahllosen transzendentalen Eigenschaften ist so einzigartig, daß sie nicht einmal von Śrī Kṛṣṇa ermessen werden können, geschweige denn von einem gewöhnlichen Lebewesen.

Nachdem Śrī Kṛṣṇa Caitanya von Rāmānanda Rāya über Śrīmatī Rādhārāṇīs und Kṛṣṇas transzendentale Eigenschaften gehört hatte, wollte Er auch etwas über den Liebesaustausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa erfahren. Kṛṣṇa wurde von Rāmānanda Rāya als Dhīra-lalita beschrieben, da Er Sich stets mit Rādhārāṇī an transzendentalen Liebesspielen erfreut. Unter Dhīra-lalita versteht man jemanden, der jugendlich, immer zu zwanglosen Scherzen aufgelegt und schlau ist und sich stets bemüht, seine Freundin zu erfreuen. Kṛṣṇa vergnügt Sich ständig mit Rādhārāṇī in den Hainen von Vṛndāvana in lustvollen Liebeständeleien und genießt vollkommen Seine Neigung zur spirituellen Sexualität.

Im Bhakti-rasāmṛta-sindhu heißt es in einem sehr schönen Vers über die Liebesspiele von Rādhā und Kṛṣṇa: »Kṛṣṇa sprach so unverblümt und offen über sexuellen Freuden, daß Śrīmatī Rādhika nicht anders konnte, als schamhaft Ihre Augen schließen. Sogleich nahm Er die Gelegenheit wahr und malte schnell einige Bilder auf Ihre Brüste, die den Freundinnen Rādhārāṇīs später manchen Anlaß zu Scherzen gaben. Kṛṣṇa ging stets solchen lustvollen Vergnügungen nach und erfreute Sich so Seiner frühen Jugend.«

Nachdem Śrī Caitanya diese Beschreibungen vernommen hatte, sagte Er: »Mein lieber Rāmānanda, alles, was du über die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa erklärt hast, trifft völlig zu, doch es muß noch etwas geben, das du noch nicht erwähnt hast. Bitte verschweige es Mir nicht!«

Rāmānanda Rāya erwiderte Ihm darauf: »Es fällt mir offen gesagt sehr schwer, etwas zu sagen, was über all diese Themen hinausgeht, doch mir ist noch eine weitere Empfindung bekannt, die »prema-vilāsa« genannt wird. Ich will versuchen, Dir diese premā-vilāsa zu beschreiben, doch bin ich mir nicht sicher, ob Du mit meinen Erklärungen einverstanden sein wirst: Bei der premā-vilāsa-Erfahrung gibt es zwei emotionale Ereignisse, nämlich Trennung und Zusammentreffen. Das transzendentale Trennungsgefühl ist so heftig, daß diese Emotion noch ekstatischer ist als das Gefühl beim Zusammentreffen.« Wie diese Beschreibung deutlich zeigt, hatte Rāmānanda Rāya tatsächlich ein sehr hohes Verständnis von den überaus vertraulichen Beziehungen zwischen Rādhā und Kṛṣṇa, und so hatte er ein wunderbares Gedicht verfaßt, das er dem Herrn nun vortrug:

»Bevor Sich die beiden Liebenden treffen, rufen Sie durch den Austausch Ihrer transzendentalen Liebesäußerungen eine Gemütsbewegung hervor, die »rāga« (Anziehung) genannt wird. Hierzu sagte Rādhārāṇī einmal: »Die Anziehung und Zuneigung zwischen Uns hat nun ihren Höhepunkt erreicht und kann nicht mehr größer werden. Ganz gleich, wer oder was die Ursache ist - diese Zuneigung hat Uns eins werden lassen. Nun da die Zeit der Trennung gekommen ist, kann Ich Mich nicht mehr daran erinnern, wie diese Liebe zwischen Dir und Mir entstanden ist. Es gab keinen besonderen Anlaß für diese Zuneigung. - Die einzige Ursache war Unser Zusammentreffen und Unsere Blicke, mit denen Wir Uns Unsere Gefühle füreinander mitteilten.« Dieser Austausch von Gefühlen zwischen Rādhārāṇī und Kṛṣṇa ist sehr schwer zu verstehen, solange man nicht die Ebene der absoluten spirituellen Reinheit erreicht hat. Selbst diejenigen, die sich auf der Ebene der materiellen Reinheit befinden, können diesen Austausch nicht begreifen. Man muß also auch die materielle Reinheit transzendieren, um diese spirituelle Liebe verstehen zu können, denn der Gefühlsaustausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa kann mit nichts in der materiellen Welt verglichen werden. Selbst die größten weltlichen Philosophen sind außerstande, in die Geheimnisse dieser transzendentalen Liebe einzudringen. Handlungen und Gefühle in der materiellen Welt werden entweder vom grobstofflichen Körper oder vom feinstofflichen Geist genossen, doch der liebevolle Austausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa befindet sich jenseits des materiellen Sinnengenusses und der intellektuellen Spekulation. Diese ganz und gar transzendentale Angelegenheit kann man ausschließlich mit gereinigten Sinnen verstehen, d. h. wenn man von allen materiellen Illusionen frei geworden ist. Die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre, die nichts von spirituellen Sinnen wissen, können nur innerhalb der Grenzen ihrer materiellen Sinne denken und sind daher völlig außerstande, den spirituellen Austausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa oder überhaupt spirituell-sinnliches Tun zu begreifen. Menschen, die sich lediglich mit experimentellem Wissen befassen, kennen nichts anderes, als ihre stumpfen materiellen Sinne zu befriedigen - sei es durch grobe körperliche Tätigkeiten oder durch intellektuelle Spekulationen. Alles, was von Körper und Geist geschaffen wird, ist unvollkommen und vergänglich. Spirituelle Handlungen dagegen sind vollkommen und ewig freudvoll. Die reine Liebe auf der transzendentalen Ebene bildet die Vollkommenheit der Reinheit, denn sie ist völlig frei von aller materieller Lust und daher ganz und gar spirituell. Die Zuneigung zu materiellen Dingen ist vergänglich und leidbringend, und deshalb ist die unreine Sexualität in der materiellen Welt Illusion, doch in der spirituellen Welt gibt es solche Unzulänglichkeit nicht. Leid in der materiellen Welt bedeutet, bei dem Versuch, die Sinne zu befriedigen, enttäuscht zu werden, aber dieses Leid kann keinesfalls mit dem spirituellen Trennungsschmerz verglichen werden. Eine Trennung in der transzendentalen Welt hat, im Gegensatz zu einer Trennung in der materiellen Welt, nichts mit Unzulänglichkeit oder Enttäuschung zu tun.«

Als Rāmānanda geendet hatte, bestätigte Śrī Caitanya, daß die spirituellen Trennungsgefühle die höchste Ebene des liebevollen Austausches bilden und sagte dann: »Nur durch deine Gnade konnte Ich von dieser höchsten Stufe der transzendentalen Liebe erfahren, doch Ich weiß auch, daß man sich nicht auf diese Ebene erheben kann, ohne spirituelle Vorgänge zu praktizieren. Sei also bitte so gütig und erkläre Mir, was Ich tun muß, um auf diese transzendentale Stufe zu gelangen.«

Rāmānanda Rāya antwortete: »Es wird mir kaum möglich sein, Dich diese Dinge zu lehren, da Du schon alles weißt, doch werde ich versuchen, das zu sagen, was Du von mir hören willst. Denn letztlich geschieht alles nach Deinem Willen, gegen den sich niemand stellen kann. Es scheint zwar so, als spräche ich zu Dir, doch in Wirklichkeit bist Du es, der aus Mir spricht, und somit bist Du sowohl der Sprecher als auch der Zuhörer. Doch nun will ich ganz nach Deinem Willen über die Bemühungen reden, die man unternehmen muß, um die höchste Ebene der Transzendenz zu erreichen.« Rāmānanda Rāya erklärte also: »Die transzendentalen Liebesangelegenheiten zwischen Rādhā und Kṛṣṇa sind sehr vertraulich. Sie können nicht einmal von den Gottgeweihten verstanden werden, die eine dienende, eine freundschaftliche oder eine elterliche Beziehung zum Höchsten Herrn haben. Dieses vertrauliche Thema kann man nur auf der Ebene der gopīs verstehen, denn die Liebesspiele von Rādhā und Kṛṣṇa entstehen aus ihren Empfindungen und Emotionen. Ohne die Gemeinschaft der Mädchen von Vraja kann daher niemand den transzendentalen Austausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa verstehen. Mit anderen Worten: Die vertraulichen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa sind durch die Gnade der gopīs möglich geworden, und daher können diese Spiele auch nur durch die Gnade der gopīs verstanden werden. Es ist also unbedingt notwendig, ihrem Beispiel zu folgen. Erst wenn man dies verwirklicht, kann man in das Geheimnis der vertraulichen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa eindringen; eine andere Möglichkeit gibt es nicht. In der Govinda-lilāmṛta wird dies wie folgt bestätigt: »Obwohl der glückselige Austausch von Liebesgefühlen zwischen Rādhā und Kṛṣṇa unendlich und unbegrenzt ist, kann er nur von den Mädchen in Vraja und ihren Nachfolgern verstanden werden.« So wie niemand die unzähligen spirituellen Energien des Herrn ohne dessen gütige Hilfe ergründen kann, so kann auch niemand die transzendentalen Liebesbeziehungen zwischen Rādhā und Kṛṣṇa ohne die Gnade der Mädchen von Vraja begreifen. Die Gefährtinnen Rādhārāṇīs werden nach ṣaktis (persönliche Freundinnen) und mañjāris (nahestehende Dienerinnen) unterschieden. Es ist sehr schwierig, das Verhalten der gopīs gegenüber Kṛṣṇa zu erklären, denn sie haben nicht den Wunsch, mit Ihm persönlich zusammenzusein oder Ihn zu genießen, sondern sind immer bemüht, Rādhārāṇī dabei zu helfen, Kṛṣṇa zu erfreuen. Ihre Zuneigung für Kṛṣṇa und Rādhārāṇī ist so rein, daß sie die größte transzendentale Freude und Zufriedenheit erfahren, wenn sie Rādhā und Kṛṣṇa zusammen sehen. In der Govinda-lilāmṛta gibt es in diesem Zusammenhang einige herrliche Verse, in denen es heißt: »Rādhārāṇī gleicht einer Schlingpflanze, die den Baum Kṛṣṇa mit ihren Armen umfängt: Die Mädchen von Vraja, die Gefährtinnen Rādhārāṇīs, sind wie ihre Blätter und Blüten, und wenn die Pflanze den Baum umarmt, nehmen natürlich auch die Blätter und Blüten an der Umarmung teil.« Wenn Rādhārāṇī und Kṛṣṇa also miteinander genießen, erfahren die Mädchen von Vraja dabei mehr Freude als Rādhārāṇī Selbst. Und Rādhārāṇī wiederum mag Ihre Freundinnen so gern, daß sie besondere Treffen zwischen ihnen und Kṛṣṇa arrangiert, obwohl die gopīs dies niemals erwarten. Rādhārāṇī versucht dann mit allen erdenklichen transzendentalen Kunstgriffen, Ihre Freundinnen mit Kṛṣṇa zusammenzubringen, und gelingt Ihr dies, so freut Sie Sich mehr darüber, als wenn Sie Selbst mit dem Herrn zusammenkäme. Und wenn Kṛṣṇa Seinerseits sieht, daß Rādhārāṇī und Ihre Gefährtinnen Seine Gesellschaft so sehr lieben, nimmt Seine Zufriedenheit mehr und mehr zu. Dieser Austausch von Liebesbezeigungen hat nicht das geringste mit materieller Lust zu tun, doch weil diese reine, spirituelle Liebe gewisse Ähnlichkeiten mit der Beziehung zwischen Mann und Frau in der materiellen Welt aufweist, wird sie von den Gottgeweihten manchmal auch »transzendentale Lust« genannt.

Im Gautamiya-tantra werden die Treffen Rādhārāṇīs mit Kṛṣṇa und ihre Beziehung zu Ihm folgendermaßen erklärt: »Lust bedeutet, die eigenen Sinne befriedigen zu wollen, doch Rādhārāṇī und die gopīs hegen nicht das geringste Verlangen nach persönlicher Befriedigung. Ihr einziger Wunsch ist es, Kṛṣṇa zu erfreuen.« Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 31. Kapitel des Zehnten Cantos das gleiche bestätigt, wo die gopīs sagen: »O lieber Kṛṣṇa, nun wanderst du mit Deinen bloßen Lotosfüßen, mit denen Du manchmal unsere Brüste berührtest, durch den Wald. Wenn wir Deine Füße auf unseren Brüsten fühlten, dachten wir oft, sie seien viel zu hart für Deine zarten Fußsohlen, doch nun streifst Du im Wald umher und wirst dabei gewiß über viele Steine und Dornen laufen müssen. Wir sind wirklich sehr besorgt um Dich, und wenn wir daran denken, daß Dir die spitzen Steine Schmerzen bereiten, leiden wir große Qualen, denn Du bist unser Leben und unsere Seele.« Diese Gefühle der Mädchen von Vraja zeugen von der höchsten Ebene des Kṛṣṇa-Bewußtseins, und jeder, der sich aufrichtig Kṛṣṇa-Bewußtsein wünscht, kann die gleiche Stufe erreichen wie die gopīs.

Durch die ständige und gewissenhafte Ausübung des hingebungsvollen Dienens kann man die gleiche bedingungslose Hingabe erreichen wie die gopīs. Die Zuneigung der gopīs wird rāgānuga genannt, was »bedingungslose Liebe zu Kṛṣṇa« bedeutet, und jemand, der diese Stufe erreicht hat, ist nicht mehr an die vedischen Regeln und Vorschriften gebunden.

Die Gottgeweihten in der transzendentalen Welt haben unterschiedliche persönliche Beziehungen zum Herrn: Raktaka und Bhadraka z. B. sind ebenso wie Śrīdāmā und Subala enge Freunde von Kṛṣṇa, und andere wie Nanda Mahārāja und Mutter Yaṣodā sind Seine Eltern. Wer in das höchste Reich Kṛṣṇas zurückkehren will, sollte sich einen dieser transzendentalen Diener zum Vorbild nehmen und sich so mit Entschlossenheit im hingebungsvollen Dienen beschäftigen. Auf diese Weise wird er ohne Zweifel das höchste Ziel, nämlich transzendentale Liebe zu Kṛṣṇa, erreichen. Mit anderen Worten: Jeder Gottgeweihte, der dem Beispiel eines dieser ewigen Diener folgt, kann, nachdem er so die Vollkommenheit erlangt hat, die gleiche Position wie sein Vorbild einnehmen.

Die Weisen von Daṇḍakāraṇya z. B., die in den Upaniṣaden, im Bhāgavatam und in der ṣruti erwähnt werden, strebten danach, die gleiche Stufe wie die gopīs zu erreichen und folgten daher ihrem Beispiel. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird dies im 86. Kapitel des Zehnten Cantos bestätigt: Viele Weise praktizieren prāṇāyāma, d. h., sie versetzen sich in Trance, indem sie Atmung, Sinne und Gedanken durch mystischen yoga unter Kontrolle bringen, und versuchen auf diese Weise, in das Brahman einzugehen oder mit dem Höchsten eins zu werden. Doch die unbelehrbaren Atheisten, die die Existenz Gottes bekämpfen, können auch ohne diese Anstrengungen das gleiche Ziel erreichen, denn wenn sie von einer Inkarnation des Höchsten Persönlichen Gottes getötet werden, gehen auch sie in das Brahman ein oder werden eins mit der Energie des Höchsten Herrn. Die Mädchen von Vṛndāvana jedoch verehren Śrī Kṛṣṇa mit Liebe und Hingabe, da sie von Ihm wie von einer Schlange gebissen wurden. Kṛṣṇa wird mit einer Schlange verglichen, weil Seine Gestalt dreifach geschwungen ist, und Sein liebevoller Biß, der die gopīs mit transzendentaler Hingabe zu Ihm erfüllte, gilt als die größte Segnung. Liebe zu Kṛṣṇa bildet die höchste Stufe der Vollkommenheit, und daher befinden sich die gopīs in einer viel besseren Lage, als die mystischen yogīs und die Māyāvādīs, die in das unpersönliche Brahman, die leuchtende Ausstrahlung Kṛṣṇas, eingehen wollen. Aus diesem Grund folgten die Weisen von Daṇḍakāraṇya dem Beispiel der Mädchen von Vraja. Um auf ihre Stufe zu gelangen ist es nämlich unbedingt notwendig, seine Handlungsweise nach den Prinzipien auszurichten, die die gopīs durch ihr Verhalten festlegten. Im Śrīmad-Bhāgavatam heißt es dazu im 9. Kapitel des Zehnten Cantos: »Śrī Kṛṣṇa, der Sohn Yaṣodās, kann nicht von Menschen erreicht werden, die ihren eigenen Spekulationen nachhängen. Die Gottgeweihten jedoch, die Ihm hingegeben und mit Liebe dienen, können mit Leichtigkeit zu Ihm gelangen.« Leider gibt es in Indien einige Sekten von Pseudo-Gottgeweihten, die von sich behaupten, Nachfolger Śrī Caitanya Mahāprabhus zu sein, und die sich wie die gopīs kleiden. Solche Maskeraden, die niedrigen Motiven entspringen, werden von wirklichen Gottgeweihten niemals gebilligt, denn das Verkleiden des äußeren, materiellen Körpers ist ein Zeichen von Verblendung, die ihre Ursache in der falschen Vorstellung hat, der Körper sei mit dem Selbst (der Seele) identisch. Die besagten Pseudo-Gottgeweihten glauben, die spirituellen Körper von Kṛṣṇa, Rādhārāṇī und den gopīs seien von materieller Natur, doch das ist ein Irrtum. - Alles in der transzendentalen Welt ist sac-cid-ānanda, ewig, voller Erkenntnis und voller Glückseligkeit. Folglich sind auch die Körper der gopīs, ihre Gewänder, ihr Schmuck und ihr Tun ganz und gar spirituell, d. h., sie haben nichts mit der materiellen Welt zu tun. Die Mädchen von Vṛndāvana sind auch nicht zur Freude gewöhnlicher Sterblicher bestimmt; vielmehr ist es ihre Bestimmung, die Zuneigung des Höchsten, Alles-Anziehenden auf sich zu lenken. »Kṛṣṇa« bedeutet »der Alles-Anziehende«, aber die Mädchen von Vraja sind sogar für Kṛṣṇa anziehend, und daher können sie natürlich nicht zur materiellen Welt gehören.

Wer aber die falsche Auffassung vertritt, der materielle Körper sei ebenso vollkommen wie der spirituelle Körper, und ihn als transzendental verehrt, indem er die gopīs nachahmt, bekennt sich damit indirekt zur Māyāvāda-Philosophie. Die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre empfehlen einen Verehrungsvorgang, der allgemein als »ahaṁ grahapasana« bekannt ist; dabei wird der eigene Körper als das Höchste verehrt. Mit dieser Absicht verkleiden sich die Māyāvādīs manchmal auch als gopīs. Solche Pseudo-Transzendentalisten können jedoch nicht als Gottgeweihte angesehen werden.

Śrīla Jīva Gosvāmī, der als direkter Schüler Śrī Caitanya Mahāprabhus der authentischste ācārya der Gauḍīya-sampradāya ist, hat solches Nachahmen zu Recht aufs Schärfste verurteilt, denn wenn man eine echte transzendentale Verwirklichung erfahren will, muß man zwar dem Beispiel der Gefährten des Herrn folgen, doch darf man nicht versuchen, sie zu imitieren. Die autorisierten Prinzipien der Vaiṣṇavas empfehlen also, daß man sich einen bestimmten Gottgeweihten zum Vorbild nimmt und ihm nachfolgt, doch zugleich warnen sie auch eindringlich davor, sich selbst für einen dieser vertrauten Gefährten Śrī Kṛṣṇas zu halten.

Śrī Rāmānanda Rāya riet daher, die Geisteshaltung der Mädchen von Vraja anzunehmen. Im Caitanya-caritāmṛta wird ebenfalls unmißverständlich gesagt, daß man zwar die Empfindungen der gopīs entwickeln soll, daß es aber keinen Sinn hat, ihr Äußeres zu imitieren. Es ist völlig unsinnig, nur seine Kleider zu wechseln; man sollte vielmehr ständig über die Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa in der transzendentalen Welt meditieren, d. h. vierundzwanzig Stunden am Tag an das Göttliche Paar denken, und Ihnen nach bestem Vermögen dienen. Diese Haltung entspricht der eines Gottgeweihten, der sich ständig bemüht, dem Beispiel der Gefährtinnen Rādhārāṇīs zu folgen. Tut er dies mit Vertrauen und Entschlossenheit, kann er letzten Endes die Vollkommenheit erreichen und nach Goloka Vṛndāvana, dem transzendentalen Reich Śrī Kṛṣṇas, gelangen. Diese Haltung, dem Beispiel der gopīs zu folgen, wird als siddha-deha bezeichnet. Siddha-deha bezieht sich auf den reinen spirituellen Körper, der sich jenseits der Sinne, des Geistes und der Intelligenz befindet, d. h. die reine Seele. Der spirituelle Körper ist eigens dazu bestimmt, dem Herrn zu dienen. Niemand kann Kṛṣṇa als Gefährte dienen, ohne Seine spirituelle, reine Identität wiedergewonnen zu haben. Diese ist völlig frei von allen materiellen Verunreinigungen. In der Bhagavad-gītā wird festgestellt, daß die bedingte Seele nur durch Ihr materiell-verunreinigtes Bewußtsein gezwungen ist, von Körper zu Körper zu wandern. Wenn sie zur Zeit des Todes an etwas Materielles denkt, wird sie in einen dementsprechenden materiellen Körper gesetzt, doch wenn sie ihre reine spirituelle Identität wiedererlangt hat und beim Tod an die spirituellen, liebevollen Dienste denkt, die sie während ihres Lebens dem Höchsten Herrn dargebracht hat, wird sie in die spirituelle Welt erhoben, um sich dort Kṛṣṇas Gefährten anzuschließen. Mit anderen Worten: Um in das transzendentale Reich gelangen zu können, muß man ständig über Kṛṣṇa und Seine Gefährten meditieren. Doch niemand kann nur noch über Kṛṣṇa und Seine Geweihten im spirituellen Reich meditieren, d. h. stets in Gedanken in sie versunken sein, ohne sich seiner reinen spirituellen Identität bewußt zu sein. Daher sagte Rāmānanda Rāya, daß jemand, der seine siddha-deha noch nicht wiedergewonnen habe, auch kein Gefährte der gopīs werden oder dem Höchsten Persönlichen Gott Kṛṣṇa und Seiner ewigen Gespielin Rādhārāṇī direkt dienen könne. Um diese Aussage zu belegen, zitierte er folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam, der im 47. Kapitel des Zehnten Cantos steht: »Weder die Glücksgöttin Lakṣmī, noch die Feen des himmlischen Königreiches sind so gesegnet wie die Mädchen von Vrajabhūmi, ganz zu schweigen also von anderen.«

Śrī Caitanya freute Sich sehr, als Er diese Worte von Rāmānanda Rāya hörte, und umarmte ihn. Dann begannen beide aus transzendentaler Erkenntnis vor Ekstase zu weinen, und die ganze Nacht hindurch sprachen sie noch über die transzendentalen Spiele von Rādhārāṇī und Kṛṣṇa. Am Morgen trennten sie sich schließlich, und Rāmānanda Rāya kehrte zu seiner Residenz zurück, während der Herr an den Fluß hinunterging und Sein Bad nahm.

Bei ihrem Abschied fiel Rāmānanda Rāya Śrī Caitanya zu Füßen und betete: »Mein lieber Herr, Du bist zu mir gekommen, um mich aus dem Sumpf der Unwissenheit zu befreien, und so möchte ich Dich bitten, wenigstens noch zehn Tage hier zu verweilen und meinen Geist von aller materiellen Unreinheit zu befreien, denn außer Dir gibt es niemanden, der transzendentale Liebe zu Gott verschenkt.« Der Herr entgegnete: »Ich bin in Wirklichkeit nur deshalb hierher gekommen, weil ich Mich durch deine Schilderungen der transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa läutern lassen wollte. Ich schätze Mich überaus glücklich, dich getroffen zu haben, denn du bist der Einzige, der Einblick in solche vertraulichen Themen gewähren kann. Ich kenne niemanden außer dir, der den vertrauten Liebesaustausch zwischen Rādhā und Kṛṣṇa verstanden hat. Du bittest Mich, zehn Tage lang hierzubleiben, doch Ich möchte am liebsten den Rest Meines Lebens mit dir verbringen. Bitte komm daher nach Jagannātha Purī, so daß wir bis an das Ende Meines Lebens zusammenbleiben können und Ich die Gelegenheit habe, in Meinen letzten Tagen ein Verständnis von Rādhā und Kṛṣṇa zu entwickeln.«

32. KAPITEL

Caitanya

Schlußfolgerung

Rāmānanda Rāya suchte den Herrn am Abend des nächsten Tages erneut auf, um weiter mit Ihm über die transzendentale Beziehung zwischen Rādhā und Kṛṣṇa zu sprechen. Im Verlauf des Gesprächs fragte ihn Śrī Caitanya: »Was ist die höchste Form der Erziehung?« Rāmānanda antwortete: »Die Wissenschaft von Kṛṣṇa ist die höchste und beste Erziehung.« Materielle Erziehung bedeutet zu lernen, wie man seine Sinne am besten befriedigen kann, doch durch spirituelle Erziehung lernt man die Wissenschaft von Kṛṣṇa und wie man Ihn erfreut. Im Śrīmad-Bhāgavatam (Vierter Canto, 29. Kapitel, 47. Vers) wird gesagt, daß das Tun, das den Höchsten Persönlichen Gott zufriedenstellt, die höchste Form des Tuns ist, und daß das Wissen, das einen Menschen völlig Kṛṣṇa-bewußt macht, das höchste Wissen darstellt.

Als Prahlāda Mahārāja seine Schulkameraden über den Sinn des Lebens belehrte, erklärte er ihnen, daß das höchste spirituelle Wissen darin bestehe, über den Herrn zu hören und zu chanten, sich an Ihn zu erinnern, Ihn zu verehren, zu Ihm zu beten, Ihm zu dienen, Freundschaft mit Ihm zu schließen und Ihm alles zu opfern.

Als nächstes fragte Śrī Caitanya: »Was ist der höchste Maßstab für Ruhm?« Rāmānanda Rāya antwortete, ohne zu zögern: »Wenn ein Mensch für sein Kṛṣṇa-Bewußtsein berühmt ist, ist er der berühmteste Mensch der Welt.« Mit anderen Worten: Wenn jemand völlig Kṛṣṇa-bewußt ist, kennt sein Ruhm keine Grenzen. - Der Ruhm eines Gottgeweihten ist unvergänglich.

In der materiellen Welt strebt jeder Mensch nach drei Dingen: 1) Er möchte seinen Namen verewigen 2) er möchte, daß sein Ruhm über die ganze Welt verbreitet wird, und 3) er möchte aus seinem Tun Profit schlagen. Doch niemand ist sich dessen bewußt, daß sich ein guter Name, Ruhm und materieller Reichtum nur auf den vergänglichen Körper beziehen und vergehen, wenn der Körper stirbt. Nur aufgrund von Unwissenheit jagt jeder hinter diesen Trugbildern her. Jemand, der wegen materieller Kriterien berühmt ist oder als ein philosophisch hochstehender Mensch bekannt wird, ohne etwas vom Höchsten Spirituellen Wesen, Śrī Viṣṇu, zu wissen, verdient kein Lob. Man ist erst dann wirklich berühmt, wenn man Kṛṣṇa-bewußt ist.

Im Śrīmad-Bhāgavatam werden zwölf wirklich berühmte Persönlichkeiten genannt, von denen jeder eine Autorität im hingebungsvollen Dienen ist: Brahmā, Nārada, Śiva, Kapila, Manu, Prahlāda, Janaka, Bhīṣma, Śukadeva Gosvāmī, Bali Mahārāja, Yamarāja und die vier Kumāras. Diese Persönlichkeiten sind alle große Gottgeweihte, und deshalb spricht man ewiglich von ihnen.

Im Garuḍa Purāṇa findet man folgenden Vers: »Im Zeitalter des Kali wird so selten jemand ein Gottgeweihter, daß jemand eher ein Halbgott wie Brahmā oder Śiva wird als ein Geweihter des Herrn. Wie rühmenswert ist also jemand, der sich dem Herrn hingibt!« Mahārāja Yudhiṣṭhira sagte in diesem Zusammenhang: »Wenn jemand nach vielen Geburten zu der Erkenntnis kommt, daß er der ewige Diener Vāsudevas ist, erlangt er wirklichen Ruhm und die Fähigkeit, jeden von der Illusion zu befreien.« Die Bhagavad-gītā erklärt hierzu: »Jeder, der einsieht, daß Vāsudeva alles ist, und sich Ihm hingibt, muß als weise angesehen werden. (Bg. 7.19) Im Agni-Purāṇa gibt es einen Vers mit folgender Aussage: »Die Geweihten des Höchsten Herrn erwartet Befreiung und ein transzendentales Leben.« Im Bṛhan-Naradīya Purāṇa wird gesagt: »Selbst so große Persönlichkeiten wie Brahmā und andere bekannte Halbgötter können nicht ermessen, wie wertvoll ein Geweihter des Höchsten Persönlichen Gottes ist.« Und im Garuḍa Purāṇa heißt es: »Unter vielen Tausenden von brāhmaṇas gibt es vielleicht einen, der dafür berühmt ist, sehr erfahren in der Durchführung von Opferzeremonien zu sein; unter Tausenden solcher brāhmaṇas mag einer sein, der alle anderen an Ruhm übertrifft, weil er sich sehr gut im Vedānta-sūtra auskennt; von all diesen Vedānta-Gelehrten ist ein Geweihter Śrī Viṣṇus am rühmenswertesten, und von vielen solcher Gottgeweihten kann nur derjenige, der stetig ist und sich durch nichts beirren läßt, in das Reich Gottes, d. h. in die transzendentale Welt gelangen.« Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 13. Kapitel des Dritten Cantos gesagt, daß es zwar viele Gelehrte gibt, die eingehend die Veden studieren, daß aber jemand, der ständig in seinem Herzen an den Höchsten Persönlichen Gott denkt, weit fortgeschrittener ist als der Beste von ihnen. In der Nārāyaṇīya heißt es, daß selbst ein Brahmā, der kein Geweihter des Herrn ist, keine Bedeutung hat, wohingegen selbst die kleinste Ameise berühmt ist, wenn sie ihr Leben Gott geweiht hat.

Śrī Caitanya stellte Rāmānanda Rāya daraufhin die nächste Frage: »Was ist das höchste Gut?« Rāmānanda Rāya erwiderte: »Wenn jemand Liebe für Rādhā und Kṛṣṇa empfindet, so kann er den wertvollsten Juwel sein eigen nennen. Wer jedoch am Genuß der materiellen Sinne oder am materiellen Besitz haftet, hat niemals Zugang zu diesem Schatz. Wer Kṛṣṇa-bewußt wird, d. h. auf die spirituelle Ebene erhoben wird, kann verstehen, daß es nichts Kostbareres gibt, als die Liebe zu Rādhā und Kṛṣṇa.« Im Śrīmad-Bhāgavatam wird beschrieben, wie Dhruva Mahārāja nach dem Höchsten Herrn suchte, um Ihn um das Königreich seines Vaters zu bitten; doch als Sich Kṛṣṇa ihm schließlich offenbarte, sagte er: »Lieber Herr, da ich Dich nun vor mir sehe, bin ich völlig zufrieden und begehre nichts mehr.« Auch in der Bhagavad-gītā wird gesagt, daß jemand, der beim Höchsten Persönlichen Gott Zuflucht sucht und die höchste Stufe der Liebe zu Gott erreicht, nichts mehr begehrt. Obwohl solche reinen Geweihten alles vom Höchsten Persönlichen Gott erhalten können, bitten sie Ihn niemals um irgendetwas.

Als Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya nach dem leidvollsten Zustand fragte, antwortete Ihm dieser: »Keine Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten zu haben ist das Schmerzlichste, was es gibt.« Mit anderen Worten: Dort wo keine Gottgeweihten sind, wird das Zusammenleben mit anderen Menschen zur Hölle. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 30. Kapitel des Dritten Cantos erklärt, daß jemand zu bedauern ist, der nur mit Gesellschaft, Freunden und Familie - also ohne Kṛṣṇa-Bewußtsein und ohne Gottgeweihte - glücklich zu werden versucht.

Śrī Caitanyas nächste Frage lautete: »Welche von den vielen sogenannten befreiten Seelen sind nun wirklich befreit?« Rāmānanda erwiderte, daß diejenigen, die von transzendentaler Liebe zu Rādhā und Kṛṣṇa erfüllt seien, als die Besten unter den befreiten Seelen angesehen werden müßten. Im Fünften Canto des Śrīmad-Bhāgavatam wird gesagt, daß die Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten noch erstrebenswerter ist als das Leben selbst, und daß man ohne die Gottgeweihten nicht einmal eine Sekunde lang glücklich sein kann. Weiterhin heißt es im 6. Kapitel des Sechsten Cantos: »Ein Geweihter Nārāyaṇas ist so selten, daß man großes Glück hat, wenn man unter Millionen und Abermillionen von Menschen einen findet.«

Caitanya Mahāprabhu fragte dann: »Es gibt viele berühmte Lieder, doch welches hältst du für das beste?« Rāmānanda Rāya antwortete: »Ein Lied, das die Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa beschreibt, ist unvergleichlich. Für die bedingte Seele ist Sexualität das ein und alles, und so haben fast alle weltlichen Dichtungen die Liebe zwischen Mann und Frau zum Thema. Weil sich die Menschen so sehr zu solcher Literatur hingezogen fühlen, erscheint Kṛṣṇa in der materiellen Welt und offenbart Seine liebevollen transzendentalen Spiele mit den gopīs. Es gibt eine Vielzahl literarischer Werke über Seine Spiele mit den gopīs, und jeder, der sich in diese Erzählungen vertieft, kann einen Geschmack davon bekommen, was wirkliches Glück bedeutet. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 33. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß der Herr Seine Spiele in Vṛndāvana offenbarte, um uns zu zeigen, wie man wirklich mit Ihm im transzendentalen Dasein zusammenlebt. Jeder intelligente Mensch, der sich bemüht, die Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa zu verstehen, ist wirklich glücklich zu nennen, denn die Lieder und Geschichten, die von diesen Spielen berichten, sind von höchster transzendentaler Qualität.

Die nächste Frage Śrī Caitanyas lautete: »Was ist am segensreichsten in dieser Welt - was ist das glücklichste Ereignis?« Rāmānanda erklärte, daß nichts so segensreich sei, wie die Gesellschaft von reinen Gottgeweihten, und daß einem nichts Besseres widerfahren könne, als die Begegnung mit einem reinen Geweihten des Herrn.

Dann fragte der Herr: »Woran sollte man ständig denken?« Rāmānanda gab zur Antwort, daß man sich in Gedanken ständig mit Kṛṣṇas Spielen beschäftigen sollte. Es gibt unzählige solcher transzendentalen Spiele, die größtenteils in den vedischen Schriften beschrieben werden, und sich unentwegt an diese Spiele zu erinnern bedeutet die höchste Ekstase. Im Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt Śukadeva Gosvāmī im 2. Kapitel des Zweiten Cantos, daß man stets an den Höchsten Persönlichen Gott denken soll, was bedeutet, auch ständig Seinen Namen, Seinen Ruhm und Seine Herrlichkeit zu hören und zu chanten.

Śrī Caitanya fragte weiter: »Was ist die beste Art der Meditation?« Rāmānanda antwortete: »Ständig über die Lotosfüße von Rādhā und Kṛṣṇa zu meditieren ist zweifellos die Vollkommenheit der Meditation. Das Śrīmad-Bhāgavatam bestätigt diese Aussage im 2. Kapitel des Ersten Cantos, wo es heißt: »Es ist ganz allein der Höchste Persönliche Gott, der Beschützer der Ihm Hingegebenen, dessen Narben wir ständig chanten, über den wir immer meditieren, und den wir unentwegt verehren sollen.

Śrī Caitanya fragte als nächstes: »Wo soll ein Mensch leben, der alle materiellen Freuden aufgegeben hat?« Rāmānanda Rāya antwortete: »Er soll in Vṛndāvana leben, wo Kṛṣṇa Seine transzendentalen Spiele offenbarte.«

Im Śrīmad-Bhāgavatam sagt Uddhava im 14. Kapitel des Zehnten Cantos etwas Ähnliches: »Es ist das beste, in Vṛndāvana zu leben- und wenn auch nur als Grashalm oder Käfer-, denn Kṛṣṇa verläßt Vṛndāvana niemals, und bei Ihm weilen die gopīs und verehren den Höchsten Herrn, der das endgültige Ziel allen vedischen Wissens ist.«

Śrī Caitanyas nächste Frage lautete: »Worüber soll man hören?« »Über die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa« erwiderte Rāmānanda Rāya. »Wenn man von der richtigen Quelle über diese Spiele hört, wird man mit Sicherheit befreit.« Doch manchmal geschieht es, daß einige Menschen nicht von einer selbstverwirklichten Seele hören und daher in die Irre geführt werden. Im Śrīmad-Bhāgavatam wird im 30. Kapitel des Zehnten Cantos gesagt, daß jeder, der von Kṛṣṇas Spielen mit den gopīs hört, die höchste Stufe des hingebungsvollen Dienens erreicht und von der materiellen Lust befreit wird, die in den Herzen aller bedingten Seelen brennt. Mit anderen Worten: Wenn man über die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa hört, wird man als erstes frei von materieller Lust. Bei wem dies nicht eintritt, der sollte nicht weiter von diesen vertraulichen Spielen hören. Solange wir nicht von der richtigen Quelle hören, erhalten wir mit Sicherheit eine falsche Darstellung der Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa, so daß wir sie unweigerlich auf die Ebene gewöhnlicher Beziehungen zwischen Mann und Frau herabziehen.

Als Śrī Caitanya daraufhin fragte, was das eigentliche Ziel aller Verehrung sei, antwortete Rāmānanda Rāya sogleich: » Es ist das transzendentale Paar Śrī Śrī Rādhā und Kṛṣṇa!«

Es gibt viele Objekte, die verehrt werden, wie z. B. das brahmajyoti, das die Anhänger der Unpersönlichkeitsphilosophie anstreben. Als Ergebnis ihrer Verehrung werden sie jedoch jeglicher Aktivität beraubt und im nächsten Leben gezwungen, in den Körper eines Baumes oder eines anderen sich nicht bewegenden Lebewesens einzugehen. Diejenigen, die das »Nichts« verehren, erwartet das gleiche Schicksal. Und wer nach bhukti (materiellem Genuß) strebt und die Halbgötter verehrt, gelangt zu den höheren Planeten, wo er in einem himmlischen Körper materielle Freuden genießen kann.

Śrī Caitanya fragte dann: »Welches Schicksal erwartet die nach materiellem Glück Strebenden, und was geschieht mit denen, die von der materiellen Bedingtheit befreit werden wollen?« Rāmānanda Rāya entgegnete: »Die einen gehen zu den Planeten der Halbgötter und haben dort Teil an himmlischen Freuden; die anderen werden inaktiv wie die Bäume.« Er sagte weiter: »Die unglücklichen, in Spekulationen verlorenen Unpersönlichkeitsphilosophen, die keinen Geschmack am Kṛṣṇa-Bewußtsein oder am spirituellen Leben finden, sind wie Krähen, denen es großes Vergnügen bereitet, die bittere margosa-Frucht zu fressen, wohingegen die Gottgeweihten, die Rādhā und Kṛṣṇa über alles lieben, Kuckucken gleichen, die sich am köstlichen Samen der Mango erfreuen.« Rāmānanda Rāya gab dieses Beispiel, weil die Geweihten von Rādhā und Kṛṣṇa die glücklichsten Menschen der Welt sind. Intellektuelle Spekulationen, die mit der bitteren margosa-Frucht verglichen werden, sind völlig ungenießbar, und nur krähengleiche Philosophen beschäftigen sich mit ihnen. Mango-Samen dagegen sind sehr köstlich, und daher verglich Rāmānanda die Gottgeweihten, die Rādhā und Kṛṣṇa in transzendentaler Liebe dienen, mit Kuckucken, die sich an Mango-Samen erfreuen.

Rāmānanda Rāya und Caitanya Mahāprabhu sprachen die ganze Nacht hindurch miteinander; manchmal sprangen sie auf und begannen zu singen und zu tanzen, und dann wieder saßen sie einfach nur da und weinten in Ekstase. Als schließlich der Tag anbrach, kehrte Rāmānanda Rāya zu seinem Palast zurück. Schon am gleichen Abend jedoch suchte er den Herrn erneut auf, und nachdem sie einige Zeit über Kṛṣṇa gesprochen hatten, fiel er Śrī Caitanya zu Füßen und betete: »Lieber Herr, Du bist sehr gütig, da Du mir die Wissenschaft von Rādhā und Kṛṣṇa, Ihre liebevollen Spiele beim rāsa-Tanz und Ihre anderen transzendentalen Aktivitäten offenbart hast. - Ich hätte niemals gedacht, daß es mir einmal möglich sein würde, über diese Dinge zu sprechen. Doch in Deiner Barmherzigkeit warst Du so gütig, mich zu erleuchten, wie einst Brahmā, dem Du das vedische Wissen verkündetest.« Brahmā wurde von Kṛṣṇa durch das Herz erleuchtet, denn auf diese Weise erteilt Kṛṣṇa als die Überseele Unterweisungen. Man kann Ihn zwar nicht mit den groben materiellen Sinnen wahrnehmen, doch spricht Er, wie in der Bhagavad-gītā erklärt wird, von innen her, aus dem Herzen, mit dem Gottgeweihten. Jedem, der sich aufrichtig und mit Entschlossenheit im hingebungsvollen Dienen beschäftigt, gibt der Herr von innen her Anweisungen, und leitet ihn auf solche Weise, daß er schließlich das höchste Ziel des Lebens erreicht. Als Brahmā geboren wurde, gab es niemanden außer dem Herrn, der ihm Unterweisungen geben konnte. Die vedischen Schriften erklären daher, daß der Höchste Persönliche Gott Brahmā durch das Herz mit dem vedischen Wissen erleuchtete. Śukadeva Gosvāmī bestätigt diese Tatsache im Śrīmad-Bhāgavatam (Zweiter Canto, 4. Kapitel), wo er sagt, daß der Höchste Herr den Gāyatrī-mantra zum ersten Mal dem Herzen Brahmās offenbarte. Im selben Kapitel bringt Śukadeva Gosvāmī dem Herrn auch Gebete dar, in denen er Ihn bittet, ihn die rechten Worte finden zu lassen, um Mahārāja Parīkṣit das Śrīmad-Bhāgavatam vorzutragen.

Der 1. Vers im Ersten Canto des Śrīmad-Bhāgavatam beschreibt Śrī Kṛṣṇa, den Sohn Vasudevas, als die Höchste Absolute Wahrheit. Śrīla Vyāsadeva, der Autor des Bhāgavatam, sagt dort: »Ich bringe Vāsudeva, dem Höchsten Persönlichen Gott, der die Ursache, der Erhalter und der Zerstörer der kosmischen Schöpfung ist, meine respektvollen Ehrerbietungen dar.« Wenn wir ernsthaft versuchen, die Höchste Wahrheit zu verstehen, werden wir erkennen, daß der Höchste Sich sowohl direkt wie auch indirekt über alles bewußt ist. Er ist die höchste Persönlichkeit, die völlig unabhängig ist, und Er allein war es, der Brahmā als Überseele erleuchtete. Selbst die größten Gelehrten geraten bei dem Versuch, den Herrn zu erfassen, in Verwirrung, denn die gesamte kosmische Manifestation ruht in Ihm. Obwohl die materielle Welt nur eine zeitweilige Schöpfung aus Erde, Wasser, Feuer, Luft usw. ist, scheint sie durch Seinen Willen Wirklichkeit zu sein. Er allein ist es, in dem nicht nur die spirituelle Welt, sondern auch die materielle Manifestation und die Lebewesen - alles Existierende - ruhen. Daher ist Er die Höchste Wahrheit.

Als die Nacht schon weit fortgeschritten war, hielt Rāmānanda Rāya plötzlich inne und sagte: »Lieber Herr, erst sah ich Dich als sannyāsī, dann als Kuhhirtenjunge, und nun sehe ich sogar eine goldene Puppe vor Dir, die Deine Haut golden erscheinen läßt. Aber zur gleichen Zeit behältst Du auch die schwärzliche Hautfarbe des Hirten. Würdest Du mir bitte erklären, wie diese Phänomene zu verstehen sind?« Śrī Caitanya wich dieser Frage jedoch aus und erklärte nur: »Es ist ein Merkmal der weit fortgeschrittenen Gottgeweihten, Kṛṣṇa in allem zu sehen. Mit anderen Worten: Sie sehen nie die äußere Hülle, sondern immer nur Kṛṣṇa.« Dies wird auch im Śrīmad-Bhāgavatam im 2. Kapitel des Elften Cantos bestätigt, wo es heißt: »Ein Mensch, der im hingebungsvollen Dienen weit fortgeschritten ist, sieht Kṛṣṇa, die Seele aller Seelen, überall.« Einem ähnlichen Vers begegnet man im 35. Kapitel des Zehnten Cantos: »Alle Sträucher und Bäume von Vṛndāvana, die voller Blüten und Früchte hingen, verneigten sich in ekstatischer Liebe vor Kṛṣṇa, der Seele ihrer Seelen.« Śrī Caitanya sagte also: »Weil du bereits die höchste Stufe der Gotteserkenntnis erreicht hast, siehst du Rādhā und Kṛṣṇa in allem.«

Doch Rāmānanda wollte sich nicht mit Śrī Caitanyas Antwort zufrieden geben und entgegnete Ihm: »Lieber Herr, bitte versuche nicht, Dich zu verstecken. Ich weiß, daß Du die Hautfarbe und das Gemüt Śrīmatī Rādhārāṇīs angenommen hast, um Dich Selbst mit Ihren Augen zu sehen und Dich auf diese Weise zu verstehen. Das ist der Hauptgrund für Dein Erscheinen; doch gleichzeitig verschenkst Du an die ganze Welt reine Liebe zu Kṛṣṇa, und so bist Du auch zu mir gekommen, um mich zu befreien. Ich flehe Dich daher inständig an, nicht zu versuchen, mich zu täuschen.«

Als Śrī Caitanya diese Worte hörte, war Er so erfreut, daß Er Rāmānanda Rāya lächelnd Seine wirkliche Form zeigte, in der Sich Śrīmatī Rādhārāṇī und Śrī Kṛṣṇa vereinigt hatten. Mit anderen Worten: Der Herr erweiterte Sich vor den Augen Seines Geweihten in zwei Formen, nämlich Rādhā und Kṛṣṇa, die nach einiger Zeit wieder eins wurden. Diese Offenbarung, die Rāmānanda Rāya als erstem gezeigt wurde, ist ein eindeutiger Beweis dafür, daß Śrī Caitanya Kṛṣṇa Selbst ist, der das Wesen Śrīmatī Rādhārāṇīs annahm. Wer so glücklich ist, Śrī Caitanyas Erscheinen und die Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa in Vṛndāvana als gleichbedeutend zu verstehen, kann durch die Gnade Rūpa Gosvāmīs die wirkliche Identität Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus erkennen.

Sowie Rāmānanda Rāya diese einzigartige Gestalt erblickte, fiel er ohnmächtig zu Boden. Doch der Herr erweckte ihn sogleich wieder, indem Er ihn einfach berührte. Als Rāmānanda zu sich gekommen war, bemerkte er zu seiner Überraschung, daß Śrī Caitanya nun wieder im Gewand des Bettelmönchs vor ihm stand. Der Herr umarmte ihn und sagte dann, nachdem sich Rāmānanda Rāya etwas beruhigt hatte: »Niemandem außer dir habe Ich Mich bis jetzt in dieser Gestalt offenbart. Du weißt, warum Ich erschienen bin, und deshalb hattest du das Recht, auch diesen Aspekt Meiner Persönlichkeit zu sehen. Mein lieber Rāmānanda, Ich bin der gleiche Kṛṣṇa, der auch als der Sohn Nanda Mahārājas bekannt ist. Du mußt wissen, daß Ich durch die Verbindung mit Śrīmatī Rādhārāṇī, die niemand außer Mir je berührte, als Gaura Puruṣa erschienen bin. Sie hat Mich mit Ihrer Ausstrahlung, Ihren Worten und Ihren Gedanken beeinflußt, so daß Ich nun versuche, den transzendentalen Geschmack der Liebe, die Sie für Mich empfindet, zu kosten.«

Es ist also ein großer Fehler, Śrī Kṛṣṇa Caitanya von Kṛṣṇa zu trennen. Kṛṣṇa wie auch Śrī Caitanya ist der Ursprüngliche Höchste Persönliche Gott. In Seiner Form als Śrī Kṛṣṇa ist Er der Höchste Genießende, und in Seiner Form als Śrī Caitanya ist Er der Höchste Genossene. Niemand kann anziehender sein als Śrī Kṛṣṇa, und außer Ihm kann sich niemand am Inbegriff aller Hingabe, Śrīmatī Rādhārāṇī, erfreuen. Selbst Seinen direkten Erweiterungen fehlt diese Eigenschaft. In der Govinda-Beschreibung des Caitanya-caritāmṛta wird gesagt, daß Śrīmatī Rādhārāṇī die Einzige ist, die Śrī Kṛṣṇa mit transzendentaler Freude erfüllen kann. Aus diesem Grunde zieht Kṛṣṇa Rādhārāṇī allen anderen gopīs vor.

Der Herr fuhr fort: »Bitte glaube mir, daß Ich nichts vor dir verberge; selbst wenn Ich es wollte, wäre es Mir unmöglich, denn du bist ein solch fortgeschrittener Gottgeweihter, daß dir das Geheimnis Meines Erscheinens nicht verborgen bleiben könnte. Ich muß dich jedoch bitten, dieses Geheimnis für dich zu behalten, und es nicht jedem mitzuteilen, denn was Ich dir eben offenbart habe, kann kein materialistischer Mensch verstehen. Sprich also mit niemandem darüber; man würde Mich nur auslachen und für verrückt erklären. Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya sprachen zehn Nächte lang über die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa, und die Themen, die sie dabei austauschten, befanden sich auf der höchsten Stufe der Liebe zu Kṛṣṇa. In den letzten Kapiteln wurden einige Ausschnitte aus ihrem Gespräch wiedergegeben, doch der größte Teil ist nicht zu beschreiben.

Im Caitanya-caritāmṛta wird für dieses transzendentale Gespräch ein treffender Vergleich aus der Metallkunde gegeben. Bei dieser Wissenschaft werden nacheinander Kupfer, Bronze, Silber, Gold und schließlich der Stein der Weisen studiert; ebenso wurde auch das Gespräch zwischen Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya auf immer höheren Ebenen geführt. Die einleitenden Worte werden mit Kupfer verglichen, die darauffolgenden mit Bronze usw. Das letzte Stadium dieser Gespräche endlich wird als »der Stein der Weisen« bezeichnet. Es ist jedoch unerläßlich, zunächst einmal den Unterschied zwischen Kupfer und Bronze zu verstehen, bevor man beginnt, höhere Metalle wie Silber und Gold zu studieren. Wenn man also wirklich bemüht ist, immer weiter Fortschritte zu machen, kann man im Laufe der Zeit auch die vertraulichsten Themen erfassen.

Am nächsten Tag bat Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya, Ihm zu erlauben, nach Jagannātha Purī zurückzukehren. Dabei sagte Er: »Bitte folge Mir so schnell wie möglich, so daß wir für den Rest unseres Lebens über Rādhā und Kṛṣṇa sprechen können.« Dann trafen sie sich ein letztes Mal am Flußufer, dort, wo ein Tempel mit einer Bildgestalt Hanumāns steht. Nachdem der Herr Sich den Tempel angeschaut hatte, machte Er Sich auf den Weg nach Purī. Als Er nach Kabur kam, suchten Ihn viele Menschen auf, die alle durch Seine Gnade zu Gottgeweihten wurden.

Nachdem Śrī Caitanya Rāmānanda Rāya verlassen hatte, wurde dieser von heftigem Trennungsschmerz überwältigt, und so legte er schon nach kurzer Zeit sein hohes Regierungsamt nieder und zog nach Jagannātha Purī. Die Gespräche zwischen Śrī Caitanya und Rāmānanda Rāya bilden die Essenz des hingebungsvollen Dienens, und jeder, der sich näher mit ihnen befaßt, kann die transzendentalen Spiele von Rādhā und Kṛṣṇa und die vertrauliche Rolle Śrī Caitanyas verstehen. Und wenn man so glücklich ist und sein Vertrauen in diese Gespräche setzt, findet man sogar Einlaß in die transzendentale Gemeinschaft von Rādhā und Kṛṣṇa.

Caitanya

Erklärung der wichtigsten Sanskritwörter und Eigennamen

A

Ācārya - geistiger Meister, der durch sein eigenes Beispiel lehrt.

Acintya - unbegreiflich.

Acintya-bhedābheda tattva - Śrī Kṛṣṇa Caitanyas Lehre, nach der die Absolute Wahrheit »unvorstellbar gleichzeitig eins und verschieden ist«, d. h. sowohl persönlich als auch unpersönlich.

Acyuta - (wörtl. einer, der niemals herunterfällt) unfehlbar, eine Eigenschaft Kṛṣṇas.

Advaita - nicht verschieden (auf den Herrn bezogen weist es darauf hin, daß zwischen Seinem Körper und Ihm Selbst kein Unterschied besteht).

Advaitācārya - einer der vier vertrauten Gefährten Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhus; eine Inkarnation Mahā-Viṣṇus.

Ānanda - transzendentale Glückseligkeit.

Anubhāva - Stufe der Gottesliebe, auf der körperliche Ekstase sichtbar werden.

Arjuna - einer der fünf Pāṇḍavas, ein Freund Kṛṣṇas; Kṛṣṇa offenbarte ihm die Bhagavad-gītā vor der Schlacht von Kurukṣetra.

Ātma - das Selbst (bezieht sich manchmal auf den Körper, den Geist, die Seele oder die Sinne).

Avatāra - (wörtl. jemand, der herabsteigt) eine Inkarnation des Herrn, die mit einer ganz bestimmten Botschaft, die in den Schriften beschrieben wird, von der spirituellen Welt in die materielle Welt herabsteigt.

Avyakta - unmanifestiert.

B

Bhagavān - (bhaga - Fülle + vān - besitzen) der Besitzer aller Füllen - Reichtum, Kraft, Ruhm, Schönheit, Wissen und Entsagung; ein Beiname der Höchsten Person.

Bhagavad-gītā - Essenz der vedischen Schriften; von Kṛṣṇa zu Arjuna gesprochen vor der Schlacht von Kurukṣetra.

Bhakta - ein Gottgeweihter; jemand, der sich Kṛṣṇa hingibt.

Bhakti - Liebe zu Gott; Dienen mit gereinigten Sinnen für die Zufriedenstellung der Sinne Kṛṣṇas. Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja Prabhupāda - der geistige Meister von Seiner Göttlichen Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda.

Bhaktivinoda Ṭhākura - ein geistiger Meister in der guru paramparā; der Vater von Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja Prabhupāda.

Bhakti-yoga - die Methode, bhakti, reines, hingebungsvolles Dienen zu entwickeln, das frei von Sinnenbefriedigung oder philosophischer Spekulation ist.

Bhāva - die erste Stufe der transzendentalen Liebe zu Gott.

Bilvamaṅgala Ṭhākura - großer Vaiṣṇava-ācārya.

Brahmā - das erste erschaffene Lebewesen.

Brahmacārī - ein Schüler, der sich unter der Aufsicht eines echten geistigen Meisters befindet und im Zölibat lebt.

Brahmajyoti - (brahma - spirituell + jyoti - Licht) die unpersönliche Ausstrahlung, die vom Körper Kṛṣṇas ausgeht.

Brahman - 1. die winzig kleine Seele, 2. der alldurchdringende unpersönliche Aspekt Kṛṣṇas; 3. der Höchste Persönliche Gott; 4. die gesamte materielle Substanz.

Brāhmaṇa - nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die intelligente Gruppe der Menschen.

Brahmānanda - Glücksgefühl, das im brahmajyoti erfahren wird.

Brahma-saṁhitā - eine sehr alte Sanskritschrift mit den Gebeten Brahmās zu Govinda, die von Śrī Kṛṣṇa Caitanya in einem Tempel in Südindien wiederentdeckt wurde.

C

Caitanya-caritāmṛta - die autoritative Schrift von Kṛṣṇadāsa Kavirāja, die die Lehre und das Leben Śrī Kṛṣṇa Caitanyas beschreibt.

Caitanya Mahāprabhu - eine Inkarnation Kṛṣṇas, die im 15. Jahrhundert in Navadvīpa, Bengalen, erschien. Er führte das gemeinsame Chanten des Hare Kṛṣṇa-mahā-mantras ein, und Sein Leben war das vollkommenste Beispiel dafür, wie man die Lehren der Bhagavad-gītā praktizieren kann.

Caṇḍālas - Hunde-Esser, die niedrigste Gruppe der Menschen.

Caraṇāmṛta - wohlriechendes Wasser, mit dem die Bildgestalten Gottes im Tempel gebadet wurden.

D

Dāsya - die Beziehung zum Herrn als Diener.

Devakī - die Mutter Śrī Kṛṣṇas. Wenn Kṛṣṇa in der materiellen Welt erscheint, sendet Er einige Seiner Geweihten voraus, die die Rolle Seines Vaters, Seiner Mutter usw. spielen.

Dvāpara-yuga - das dritte Zeitalter im Kreislauf eines mahā-yugas. Es dauert 864 000 Jahre. Dvārakā - Festungsstadt Kṛṣṇas im Meer.

E

Ekādaṣī - ein besonderer Tag, der dazu dient, sich mehr an Kṛṣṇa zu erinnern, indem man fastet und von den Herrlichkeiten des Herrn hört und sie lobpreist. Die Gottgeweihten feiern diesen Tag zweimal im Monat.

G

Gadādhara - einer der vertrauten Gefährten Śrī Caitanyas.

Ganges - der heilige Fluß, der den Lotosfüßen Viṣṇus entspringt und durch das gesamte Universum fließt. Es wird empfohlen, im Ganges zu baden, um sich zu läutern.

Garbhodakaṣāyī Viṣṇu - die Viṣṇu-Erweiterung des Höchsten Herrn, die in jedes Universum eingeht, um dort Mannigfaltigkeit zu erschaffen.

Gāyatrī - eine transzendentale Klangschwingung, die von den wahrhaft qualifizierten Zweitgeborenen

(brāhmaṇas) zur spirituellen Verwirklichung gechantet wird.

Goloka - ein Name für Kṛṣṇas Planeten.

Gopī - (wörtl. »Kuhhirtenmädchen«) Gottgeweihte in der Beziehung als vertraute Geliebte zum Herrn. Gopīnātha Miṣra - der Bruder Sārvabhauma Bhaṭṭācāryas.

Gosvāmī - (go - Sinne + svāmī - Meister) Meister der Sinne.

Govinda - »einer, der das Land, die Kühe und die Sinne erfreut«, ein Name Kṛṣṇas.

Gṛhasta - Haushälter. Ein Mann, der Gottes-bewußt und zu gleicher Zeit verheiratet ist und eine Familie im Kṛṣṇa-Bewußtsein aufzieht.

Guṇa - eine materielle Erscheinungsweise. Es gibt drei Erscheinungsweisen: Unwissenheit, Leidenschaft und Reinheit.

Guṇāvatāras - die drei Inkarnationen, die die drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur kontrollieren. Brahmā kontrolliert die Leidenschaft, Viṣṇu die Reinheit und Śiva die Unwissenheit. Guru - der geistige Meister.

H

Hlādinī - die innere Energie Kṛṣṇas, Seine Freuden-Energie.

Hanumān - ein berühmter Gottgeweihter in der Gestalt eines Affen, der dem Höchsten Herrn in Seiner Inkarnation als Rāmacandra diente und Ihm dabei half, den Dämonen Rāvaṇa zu besiegen.

Hare Kṛṣṇa Mantra - Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare - der mahā-mantra, der Gesang der Befreiung. Kṛṣṇa und Rāma sind Namen des Herrn und Hare richtet sich an die innere Energie des Herrn. Das Chanten dieser Namen wird besonders für das gegenwärtige Zeitalter empfohlen.

Hari-bhakti-vilāsa - Buch von Sanātana Gosvāmī.

Haribol - (Hari- Name Kṛṣṇas + bol- singen) Jubelruf, auffordernder Ausruf: Singt den Namen Kṛṣṇas, Hari!

Haridāsa Ṭhākura - ein großer Gottgeweihter, der von Śrī Kṛṣṇa Caitanya zum nāmācārya (ein Lehrer, der das Chanten des heiligen Namens lehrt) ernannt wurde.

Hṛṣīkeṣa - »der Meister aller Sinne«, ein Name Kṛṣṇas.

I

Īṣvara - Kontrollierender. Kṛṣṇa ist parameṣvara, der Höchste Kontrollierende.

J

Jagannātha Miṣra - der Vater Śrī Caitanyas.

Jagannātha Purī - Stadt in Südindien; der Hauptaufenthaltsort Śrī Caitanyas.

Jīva (jīvātmā)- die Seele, das winzig kleine Lebewesen.

Jñāna - Wissen. Materielles jñāna geht nicht über die Grenzen des materiellen Körpers hinaus. Transzendentales jñāna unterscheidet zwischen Materie und spiritueller Natur. Vollkommenes jñāna ist das Wissen vom Körper, von der Seele und vom Höchsten Herrn.

Jñāna-kāṇḍa - der Teil der Veden, der das forschende Spekulieren über die Wahrheit beinhaltet. Jñāna-yoga - der Vorgang, durch den man sich hauptsächlich durch Forschung mit dem Höchsten verbindet. Er wird von einem Menschen praktiziert, der immer noch an gedanklichen Spekulationen haftet.

Jñānī - jemand, der damit beschäftigt ist, sein Wissen zu erweitern (besonders durch philosophische Spekulation). Wenn ein jñānī die Vollkommenheit erreicht, gibt er sich Kṛṣṇa hin.

K

Kali-yuga - das Zeitalter des Streites; das vierte und letzte Zeitalter im Kreislauf eines mahā-yugas. Es ist das Zeitalter, in dem wir jetzt leben. Es währt 432 000 Jahre, von denen 5000 Jahre bereits vergangen sind.

Kalpa - ein Tag in der Zeitrechnung Brahmās.

Kapila - eine Inkarnation Kṛṣṇas, die im Satya-yuga als der Sohn Devahūtis und Kardama Munis erschien und die sāṅkhya-Philosophie der Hingabe aufstellte. (Es gibt auch einen Atheisten namens Kapila, der aber keine Inkarnation des Herrn ist.)

Kāraṇodakaṣāyī Viṣṇu (Mahā-Viṣṇu) - die Erweiterung Śrī Kṛṣṇas, von der alle materiellen Universen ausgehen.

Karma - 1. materielle Handlungen, die nach den Regulierungen der Schriften ausgeführt werden; 2. die Handlungen, die mit der Entwicklung des materiellen Körpers zusammenhängen; 3. jede materielle Handlung, die eine Reaktion nach sich zieht; 4. die materielle Reaktion, die man aufgrund fruchtbringender Aktivitäten erhält.

Karma-yoga - 1. Handlungen im hingebungsvollen Dienen; 2. Handlungen eines Mannes, der weiß, daß Kṛṣṇa das Ziel des Lebens ist, der sich aber von den Früchten seiner Aktivitäten nicht lösen kann.

Keṣava Bhāratī - weiht Śrī Caitanya zum sannyāsī.

Kīrtana - die Ruhmpreisung Śrī Kṛṣṇas.

Kṛṣṇa - (wörtl. » der Alles-Anziehende«) der ursprüngliche Name des Höchsten Herrn in Seiner ursprünglichen transzendentalen Gestalt; die Höchste Göttliche Person, der Sprecher der Bhagavad-gītā.

Kṛṣṇadāsa Kavirāja Gosvāmī - der Verfasser des Caitanya-caritāmṛta.

Kṛṣṇaloka - der Planet in der spirituellen Welt, auf dem Kṛṣṇa weilt.

Kṣatriya - nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die verwaltende Klasse.

Kṣetrajña - (kṣetra - Feld oder Körper + jña - wissend) jemand, der sich des Körpers bewußt ist. Sowohl die Seele als auch die Überseele sind kṣetrajña, denn die individuelle Seele ist sich ihres eigenen Körpers bewußt, und die Überseele ist sich der Körper aller Lebewesen bewußt.

Kṣīrodakaṣāyī Viṣṇu - Die Viṣṇu-Erweiterung des Höchsten Herrn, die in jedes Atom und zwischen jedes Atom des Universums und in das Herz jedes Lebewesens eingeht. Sie wird auch die Überseele genannt.

Kumāras - die vier bedeutenden Weisen und Söhne Brahmās, die Anhänger des Unpersönlichen waren, doch später große Geweihte des Herrn und bedeutende Autoritäten im hingebungsvollen Dienen wurden.

L

Lakṣmī - die Göttin des Glücks, die Gefährtin des Höchsten Herrn.

Lakṣmī-devī - die erste Frau Śrī Caitanyas.

Līlā - transzendentales Spiel Kṛṣṇas.

Līlāvatāras - Inkarnationen Kṛṣṇas wie Matsya, Kṛṣṇa, Rāma und Nṛsiṁha, die in der materiellen Welt erscheinen, um die spirituellen Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes zu offenbaren. Loka - Planet.

M

Madana-mohana - (wörtl. » anziehender als tausend Liebesgötter«), ein Name Kṛṣṇas. Madhūrya-rasa - die Beziehung zum Höchsten als vertraute Geliebte.

Mahābhārata - ein großes Epos, das von Vyāsadeva aufgezeichnet wurde und die Abenteuer der Pāṇḍavas beschreibt. Die Bhagavad-gītā ist ein Teil des Mahābhārata.

Mahābhāva - höchste Ekstase der Gottesliebe, Stufe der gopīs.

Mahā-mantra - der große Gesang der Befreiung: »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare.«

Mahat-tattva - die gesamte materielle Energie.

Mahā-Viṣṇu - siehe Kāraṇodakaṣāyī Viṣṇu.

Mantra (man - Geist + tra - Befreiung) eine reine Klangschwingung, die den Geist von seinen materiellen Neigungen reinigt.

Manu - ein verwaltender Halbgott, der Vater der Menschheit.

Manvantarāvatāras - die Manu-Inkarnationen; an einem Tag Brahmās erscheinen vierzehn von ihnen.

Māyā - ( - nicht + - dieses) Illusion; eine Energie Kṛṣṇas, die die Lebewesen verwirrt, so daß sie den Höchsten Herrn vergessen.

Māyāpura - Erscheinungsort Śrī Caitanyas.

Māyāvādī - die Unpersönlichkeitsanhänger oder Anhänger der Lehre vom Nichts. Sie vertreten die Auffassung, daß Gott formlos und unpersönlich ist.

Mukti - Befreiung, Freisein vom materiellen Bewußtsein. Mukunda - »derjenige, der Befreiung gewährt«, ein Name Kṛṣṇas. Muni - ein Weiser bzw. eine selbstverwirklichte Seele.

N

Nadia - Stadtteil von Māyāpura, in dem Śrī Caitanya erschien.

Nanda Mahārāja - der Pflegevater Śrī Kṛṣṇas.

Nārada Muni - ein großer Geweihter des Höchsten Herrn, der in jeden beliebigen Teil der spirituellen oder materiellen Welt reisen kann, um die Herrlichkeiten des Herrn zu verbreiten.

Nimāi - Name Śrī Caitanyas vor Seiner Weihung zum sannyāsī.

Nityānanda Prabhu - einer der vertrautesten Gefährten Śrī Caitanya, eine Inkarnation Balarāmas. Nirguṇa - (nir - ohne + guṇa - Eigenschaft) ohne Eigenschaften (wenn es sich auf Gott bezieht, bedeutet

nirguṇa, ohne materielle Eigenschaften).

Nṛsiṁha - eine Inkarnation Kṛṣṇas in einer Halb-Menschen-, Halb-Löwengestalt.

O

omkāra - oṁ, die transzendentale Silbe, die Kṛṣṇa repräsentiert und zur Erlangung des Höchsten von Transzendentalisten gechantet wird, wenn sie Opfer darbringen, Spenden geben und sich Bußen auferlegen.

om tat sat - die brāhmaṇas verwenden diese drei transzendentalen Silben, während sie Opfer darbringen oder vedische Hymnen chanten, um auf diese Weise den Höchsten zufriedenzustellen. Diese drei Silben weisen auf die Absolute Wahrheit, den Höchsten Persönlichen Gott hin.

P

Paramahaṁsa - die höchste Gruppe der selbstverwirklichten Transzendentalisten.

Paramātmā - die Überseele; der lokalisierte Aspekt des Höchsten Herrn im Herzen aller Lebewesen.

Paramparā - die Nachfolge der geistigen Meister, durch die das spirituelle Wissen überliefert wird.

Parā-prakṛti - die höhere, spirituelle Energie des Höchsten Herrn.

Patañjali - eine große Autorität des aṣṭāṅga-yoga-Systems und der Verfasser des Yoga-sūtra.

Prahlāda Mahārāja - ein großer Geweihter des Herrn. Sein atheistischer Vater trachtete ihm nach dem Leben, doch der Herr beschützte ihn.

Prakāṣānanda Sarasvatī - Führer der Māyāvādī-sannyāsīs von Benares.

Prākṛta-sahajiyās - Pseudo-Gottgeweihte, welche Rādhā und Kṛṣṇa, die gopīs und den rāsa-Tanz nachahmen.

Prakṛti - Natur (wörtl. das, was beherrscht wird). Es gibt zwei prakṛtis - aparā prakṛti, die materielle Natur, und parā prakṛti, die spirituelle Natur (die Lebewesen) -, die beide vom Höchsten Persönlichen Gott beherrscht werden.

Praṇāva omkāra - siehe omkāra.

Prasāda - zu Kṛṣṇa geopferte Speise, die durch die Opferung spirituell wird und somit das Lebewesen läutern kann.

Premā - reine Liebe zu Gott, die am höchsten vervollkommnete Stufe des Lebens.

Purāṇas - die achtzehn sehr alten Bücher, die die Geschichte unseres und anderer Planeten beinhalten. Puruṣam - der höchste Genießende.

Puruṣāvatāras - die ursprünglichen Viṣṇu-Erweiterungen Śrī Kṛṣṇas, die die Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung der materiellen Welt bewirken.

R

Rajo-guṇa - die Erscheinungsweise der Leidenschaft in der materiellen Natur.

Rāma - 1. der Name der Absoluten Wahrheit als die Quelle unendlicher Freude für die Transzendentalisten; 2. die Inkarnation des Höchsten Herrn als vollkommener König (Rāmacandra).

Rāmānanda Rāya - großer Geweihter Śrī Caitanyas.

Rasa - die Beziehung zwischen dem Herrn und den Lebewesen. Es gibt fünf grundlegende Arten: die neutrale Beziehung (ṣānta-rasa), die Beziehung als Diener (dāsya-rasa), als Freund (sākhya-rasa), als Elternteil (vātsalya-rasa) und als vertraute Geliebte (mādhurya-rasa).

Rasābhāsa - unvereinbare Vermischung von rasas.

Rūpa Gosvāmī - das Oberhaupt der sechs großen geistigen Meister aus Vṛndāvana, die von Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu ermächtigt wurden, die Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins niederzuschreiben und zu verbreiten.

S

Sac-cid-ānanda vigraha - (sat - ewiges Sein + cit - Wissen + ānanda - Glückseligkeit; vigraha - Gestalt) die ewige Gestalt des Höchsten Herrn, die voller Glückseligkeit und Wissen ist; oder, die ewige transzendentale Gestalt des Lebewesens.

Śacī-devi - die Mutter Śrī Caitanyas.

Sādhana-bhakti - hingebungsvolles Dienen nach regulierenden Prinzipien.

Sākhya-rasa - die Beziehung zum Höchsten als Freund.

Samādhi - Trance, Versenkung in des Gottesbewußtsein.

Sanātana Gosvāmī - einer der sechs großen geistigen Meister aus Vṛndāvana, die von Śrī Kṛṣṇa Caitanya Mahāprabhu ermächtigt wurden, die Philosophie des Kṛṣṇa-Bewußtseins niederzuschreiben und zu verbreiten.

Śaṅkarācārya - eine Inkarnation Śivas, die im 8. Jahrhundert erschien, um die Unpersönlichkeitsphilosophie zu verkünden, mit dem Ziel, den Buddhismus aus Indien zu vertreiben und die Autorität der Veden wiederherzustellen.

Sāṅkhya - 1. der yoga - Vorgang der Hingabe, der von Kapila im Śrīmad-Bhāgavatam beschrieben wird; 2. das analytische Verstehen des Körpers und der Seele.

Saṅkīrtana-yajña - das Opfer, das für das Zeitalter des Kali vorgeschrieben ist, nämlich das gemeinsame Chanten des Namens, des Ruhmes und der Spiele des Höchsten Persönlichen Gottes.

Sannyāsa - die Lebensstufe der Entsagung, auf der man alle Familienbeziehungen aufgegeben hat und alle Aktivitäten vollständig Kṛṣṇa geweiht werden.

Śānta-rasa - passive, neutrale Beziehung zum Höchsten.

Sārvabhauma Bhaṭṭācārya - Gelehrter in Jagannātha Purī; wurde ein Geweihter Śrī Caitanyas.

Śāstras - die offenbarten Schriften.

Sattva - die Erscheinungsweise der Reinheit in der materiellen Natur.

Satya-yuga - das erste der vier Zeitalter eines mahā-yugas. Das Satya-yuga wird durch Tugend, Weisheit und Religion gekennzeichnet und währt 1 728 000 Jahre.

Sītā - die Gefährtin Rāmacandras, einer Inkarnation Kṛṣṇas.

Śiva - der Halbgott, der für die Erscheinungsweise der Unwissenheit und die Zerstörung des materiellen Universums verantwortlich ist.

Smṛti - die Schriften, die von Lebewesen unter transzendentaler Anleitung zusammengestellt wurden. Śrīmad-Bhāgavatam - die Schrift, die von Vyāsadeva verfaßt wurde, um die Spiele Kṛṣṇas zu beschreiben und zu erklären.

Śruti - die Schriften, die direkt von Gott empfangen wurden.

Śūdra - nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die dienstleistende Klasse der Menschen.

Śukadeva Gosvāmī - ein großer Gottgeweihter, der König Parīkṣit das Śrīmad-Bhāgavatam vortrug, als der König nur noch sieben Tage zu leben hatte.

Surabhi - die Kühe in Kṛṣṇaloka. Sie können unbegrenzte Mengen Milch geben.

Svāmī - jemand, der Geist und Sinne kontrollieren kann.

Svarūpa - (sva - eigene + rūpa - Gestalt) Dienen; die ewige Beziehung des Lebewesens zum Herrn, die wirkliche Gestalt der Seele.

Svarūpa-dāmodara - einer der engen Gefährten Śrī Caitanyas in Jagannātha Purī.

Svarūpa-siddhi - die Vollkommenheit der wesenseigenen Position.

Śyāmasundara - (ṣyama - schwarz + sundara - wunderschön) ein Name der ursprünglichen Gestalt Śrī Kṛṣṇas.

T

Tamo-guṇa - die Erscheinungsweise der Unwissenheit in der materiellen Natur.

Tapasyā - das freiwillige Aufsichnehmen von Unbequemlichkeiten, um Fortschritt in spirituellem Leben zu machen.

Tilaka - Zeichen der Vaiṣṇavas an verschiedenen Stellen des Körpers.

Tretā-yuga - das zweite Zeitalter im Kreislauf eines mahā-yugas. Es währt 1 296 000 Jahre.

Tulasī - eine große Gottgeweihte in der Gestalt einer Pflanze. Diese Pflanze ist dem Herrn sehr lieb, und ihre Blätter werden Seinen Lotosfüßen geopfert.

U

Upaniṣaden - der philosophische Teil der Veden, wie zum Beispiel Īṣa Upaniṣad, Kaṭha Upaniṣad usw. Es gibt 108 Upaniṣaden.

V

Vaikuṇṭhas - (wörtl. ohne Angst) die ewigen Planeten im spirituellen Himmel.

Vaiṣṇava - ein Geweihter des Höchsten Herrn Viṣṇu bzw. Kṛṣṇa.

Vaiṣya - nach dem System der vier sozialen und spirituellen Einteilungen die Kaufleute und Bauern. Vallabha Bhaṭṭa - der jüngere Bruder Rūpa Gosvāmīs.

Vānaprastha - das zurückgezogene Leben, bei dem man sein Heim verläßt und von einem heiligen Ort zum anderen reist, um sich auf die Lebensstufe der Entsagung vorzubereiten.

Varāha - die Inkarnation Kṛṣṇas als riesiger Eber.

Vasudeva - der Vater Kṛṣṇas.

Vāsudeva - 1. Śrī Kṛṣṇa, »der Sohn Vasudevas«; 2. der Zustand transzendentaler Reinheit, durch den man die materiellen Erscheinungsweisen der Natur überwinden und den Höchsten Herrn verstehen kann.

Vātsalya-rasa - die Beziehung zum Höchsten als Vater, Mutter, Verwandter oder Lehrer Vedānta-sūtra (Brahmā-sūtra) - eine philosophische Abhandlung, die von Vyāsadeva geschrieben wurde, um die Schlußfolgerung aller Veden zu geben.

Veden - die vier vedischen Schriften (Ṛg-, Yayur-, Sāma- und Atharva-veda) und ihre Ergänzungen wie die Upaniṣaden, die Purāṇas, das Mahābhārata, das Vedānta-sūtra usw.

Vibhāva - die Stufe, von der aus sich ekstatische Liebe zu Gott entwickelt.

Viṣṇu - der alldurchdringende Persönliche Gott (eine vollständige Erweiterung Kṛṣṇas), der vor der Schöpfung in jedes materielle Universum eingeht.

Viṣṇu-priyā - die zweite Frau Śrī Caitanyas.

Viṣṇu-tattva - ursprüngliche Viṣṇu-Erweiterung Kṛṣṇas; es gibt Ihrer unzählige.

Viṣvarūpa - der ältere Bruder Śrī Caitanyas.

Vṛndāvana - der Ort, an dem Kṛṣṇa Seine transzendentalen Spiele offenbarte, als Er vor 5000 Jahren auf der Erde erschien.

Vyāsadeva - der bedeutendste Philosoph aller Zeiten. Er war eine Inkarnation Viṣṇus und zu literarischer Tätigkeit ermächtigt; er stellte die Veden, die Upaniṣaden, die Purāṇas, das Mahābhārata, das Vedānta sūtra usw. zusammen.

Y

Yajña - Opfer.

Yajñeṣvara - »Herr des Opfers«, ein Name Kṛṣṇas.

Yamarāja - der Halbgott, der die sündigen Lebewesen nach dem Tode bestraft.

Yamunācārya - ein bedeutender geistiger Meister in der Śrī-sampradāya.

Yaṣodā - Kṛṣṇas Pflegemutter.

Yoga - der Vorgang, das Bewußtsein des winzig kleinen Lebewesens mit dem höchsten Lebewesen, Kṛṣṇa, zu verbinden.

Yogeṣvara - »der Meister aller mystischen Kräfte«, ein Name Kṛṣṇas.

Yuga - eines der vier Zeitalter, die sich in ihrer Dauer voneinander unterscheiden und sich wie Jahreszeiten abwechseln. Siehe auch Satya-yuga, Tretā-yuga, Dvāpara-yuga und Kali-yuga.

Yugāvatāras - die Inkarnationen des Herrn, die in jedem einzelnen der vier verschiedenen Zeitalter erscheinen, um die geeignete Form der spirituellen Verwirklichung für das jeweilige Zeitalter zu lehren.

 

Ende von
Die Lehren Śrī Kṛṣṇa Caitanyas