Die Geschichte vom törichten Jäger

Aus dem Buch: "Die Lehren Śrī Kṛṣṇna Caitanyas" (16.Kapitel)

Im Wald von Prayāga lebte einmal ein Jäger (Mrigari), der das Glück hatte, den großen Weisen Nārada Muni zu treffen, als dieser gerade von einem Besuch bei Nārāyaṇa von den Vaikuṇṭhas zurückkehrte. Nārada kam nach Prayāga, um dort am Zusammenfluß des Ganges und der Yamunā sein Bad zu nehmen, und während er durch den Wald ging, sah er unversehens vor sich auf dem Boden einen von einem Pfeil durchbohrten, halbtoten Vogel liegen, der jämmerlich schrie. An einer anderen Stelle sah er ein Reh im Todeskampf wild um sich schlagen, ein wenig weiter ein gefangenes Wildschwein, das Todesqualen litt, und dann ein Kaninchen, das sich vor Schmerzen am Boden wand. All dies ging ihm sehr nahe, und so dachte er bei sich: »Wer ist so töricht, solche schweren Sünden auf sich zu laden?« Jeder Gottgeweihte empfindet großes Mitleid mit den leidenden Lebewesen, und ganz besonders natürlich der große Weise Nārada.

MrigariDer Anblick der armen Tiere stimmt ihn sehr traurig, und als er ein paar Schritte weitergegangen war, erblickte er plötzlich in einiger Entfernung einen Jäger, der mit Pfeil und Bogen bewaffnet auf der Pirsch war. Die Hautfarbe des Jägers war fast schwarz, seine Augen waren stark gerötet, und es schien schon gefährlich zu sein, ihn nur anzuschauen, wie er so dastand mit Bogen und Pfeilen, gleich einem Gefährten Yamarājas - des Todes. Als Nārada ihn so sah, ging er auf ihn zu, und während er durch das Gehölz brach, schreckte er die vom Jäger zu seinen Fallen gelockten Tiere auf, die eilig flohen. Darüber wurde der Jäger sehr erbost und wollte Nārada schon verwünschen, doch der Einfluß des großen Heiligen machte es ihm unmöglich, ein schlechtes Wort über die Lippen zu bringen.

Stattdessen fragte er Nārada sanft: »Mein lieber Herr, warum kommt Ihr zu mir, während ich jage? Habt Ihr Euch verirrt? Durch Euer Kommen habt Ihr alle Tiere verjagt.«

Nārada antwortete: »Es tut mir leid, daß ich dich störe. Ich bin nur gekommen, um nach dem Weg zu fragen. Übrigens habe ich auf dem Weg hierher Wildschweine, Rehe und Kaninchen gesehen, die sich halbtot am Boden wanden. Weißt du, wer das getan hat?«

Der Jäger erwiderte: »Was Ihr gesehen habt, mein Herr, hat seine Richtigkeit; ich selbst habe es getan.«

»Wenn du schon all diese armen Tiere jagst«, fragte Nārada weiter, »warum tötest du sie dann nicht sofort? Du läßt sie halbtot liegen, so daß sie einen qualvollen Tod sterben müssen. Das ist eine große Sünde. Wenn du schon ein Tier töten willst, warum tötest du es dann nicht vollständig? Warum läßt du es angeschossen liegen, bis es unter Qualen stirbt?«

Der Jäger entgegnete: »Mein lieber Herr, mein Name ist Mrigāri, der Feind der Tiere. Mein Vater hat mich gelehrt, die Tiere nur halb zu töten, und es bereitet mir große Freude zu sehen, wie sie zuckend verenden.« Daraufhin sagte Nārada: »Mein lieber Jäger, bitte erfülle mir einen Wunsch.«

Sogleich erklärte sich der Jäger bereit: »O ja, Herr, ich will Euch geben, was immer Euer Herz begehrt. Wenn Ihr ein paar Tierfelle wollt, so kommt nur mit zu meiner Hütte. Ich besitze Felle von Tigern, Rehen und vielen anderen Tieren - was immer Euch gefällt, will ich Euch geben.«

Nārada antwortete jedoch: »Ich möchte keine Felle; mein Wunsch ist ein anderer. Versprich mir bitte, nie wieder ein Tier nur halb zu töten - wann immer du von heute an ein Tier schießt, erlege es bitte ganz, und laß es nicht halbtot liegen.«

Dem Jäger gefiel dies jedoch nicht sonderlich, und so entgegnete er: »O mein Herr, was verlangt Ihr da von mir? Warum wollt Ihr ausgerechnet so etwas? Was ist der Unterschied zwischen halbtot und ganz tot?«

Nārada sagte: »Wenn du ein Tier nur halb tötest, muß es unter großen Qualen verenden, und es ist eine schwere Sünde, einem anderen Lebewesen unnötige Schmerzen zuzufügen. Ein Tier zu töten ist bereits ein großes Vergehen, doch viel schlimmer noch ist es, ein Tier nur zu verletzen und qualvoll sterben zu lassen. Die gleichen Schmerzen, die du jetzt einem Tier zufügst, wirst du selber in einem zukünftigen Leben erleiden müssen.«

Obwohl der Jäger ein sehr sündiger Mensch war, wurde er doch von den Worten eines solch großen Gottgeweihten wie Nārada tief berührt, und er begann, sich vor seinen begangenen Sünden zu fürchten. Skrupellose Menschen haben keinerlei Bedenken, alle möglichen Sünden zu begehen; doch der Jäger war durch die Gegenwart des großen Heiligen bereits ein wenig gereinigt worden, und so begann er sich vor den Folgen seiner Untaten zu fürchten.

Er sagte deshalb: »Mein lieber Herr, ich bin von Kindheit an dazu erzogen worden, Tiere auf diese Weise zu töten. Was soll ich nun tun? Könnt Ihr mir bitte sagen, wie ich vor den Reaktionen, die all die Vergehen und Sünden nach sich ziehen, bewahrt werden kann? Ich vertraue mich ganz Euch an und falle Euch zu Füßen. Bitte rettet mich vor den Folgen meiner Grausamkeiten, und führt mich auf den rechten Pfad!«

Nārada erwiderte: »Nur wenn du bereit bist, meinen Anweisungen zu folgen, werde ich dir sagen, wie du von allen sündhaften Reaktionen frei werden kannst.«

Der Jäger erklärte sich sogleich dazu bereit und versicherte: »Was immer Ihr von mir verlangt, will ich ohne Zögern tun.«

Nārada bat ihn daraufhin, als erstes den Bogen zu zerbrechen - dann würde er ihm Näheres über den Pfad der Befreiung offenbaren.

Der Jäger fragte angstvoll: »Ihr bittet mich, meinen Bogen zu zerbrechen, aber wie soll ich dann für meinen Lebensunterhalt sorgen?«

Nārada erwiderte: »Mache dir darüber keine Gedanken; ich werde schon dafür sorgen, daß du genügend zu essen hast.«

Daraufhin zerbrach der Jäger den Bogen und fiel Nārada zu Füßen. Doch Nārada hieß ihn aufstehen und sagte: »Geh nun zu deiner Hütte, suche alles Geld und Gut zusammen, und verteile dies an die Gottgeweihten und brāhmaṇas. Gehe dann ans Flußufer und baue dort ein kleines, strohgedecktes Haus; säe einen tulasī-Baum in der Nähe; umschreite ihn täglich; iß jeden Tag eines der abgefallenen Blätter, und chante ständig »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa, Hare Hare -Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«. Was deinen Lebensunterhalt betrifft, so werde ich dir alles Notwendige zukommen lassen. Aber du sollst nur soviel annehmen, wie du für dich und deine Frau brauchst.«

Nachdem Nārada geendet hatte, befreite er die halbtoten Tiere, die, erlöst aus ihrer schrecklichen Lage, sofort entflohen, und als der schwarze Jäger dieses Wunder sah, fiel er Nārada erneut zu Füßen und brachte ihm seine demütigen Ehrerbietungen dar.

Nārada entfernte sich dann, und der Jäger begann, die Unterweisungen des Heiligen in die Tat umzusetzen.

Mittlerweile verbreitete sich in den umliegenden Dörfern die Nachricht, daß aus dem Jäger ein Gottgeweihter geworden sei, und so kamen die Dorfbewohner herbei, um den neuen Vaiṣṇava zu sehen. Nach vedischem Brauch ist es üblich, einem Heiligen Früchte und Getreide zu schenken, und als die Dorfbewohner sahen, daß der Jäger ein großer Gottgeweihter geworden war, brachten sie ihm reichlich Reis, Weizen, Gemüse und Früchte. Jeden Tag wurde ihm so viel gebracht, daß nicht weniger als zwanzig Menschen hätten satt werden können, doch der ehemalige Jäger hielt sich an Nāradas Anordnung und nahm nicht mehr an, als er für sich und seine Frau zum Leben brauchte.

Als nach einigen Wochen Nārada mit seinem Freund Parbuta Muni wieder in dieselbe Gegend kam, sagte er: »Hier in der Nähe wohnt einer meiner Schüler; laß uns ihn besuchen gehen und sehen, wie es ihm geht.« Als sich die beiden großen Weisen der Hütte des ehemaligen Jägers näherten und dieser seinen geistigen Meister aus der Ferne kommen sah, ging er den beiden Weisen mit großem Respekt entgegen. Doch beim Gehen bemerkte er plötzlich, daß Ameisen über den Weg liefen und weil er sich vor Nārada und Parbuta verbeugen wollte, räumte er vorher die Ameisen behutsam mit einem Tuch beiseite, um sie nicht zu zerdrücken. Als Nārada dies sah, erinnerte er sich an einen Vers aus dem Skaṇḍa Purāṇa, in dem es heißt: »Ist es nicht wunderbar, daß ein Gottgeweihter niemanden, nicht einmal einer Ameise, Schmerz zufügen will?«

Der Jäger, der früher Freude daran gefunden hatte, Tiere halb zu töten und sie eines qualvollen Todes sterben zu sehen, mochte nun, da er ein großer Gottgeweihter geworden war, nicht einmal eine Ameise verletzen.

Der Jäger empfing die beiden Weisen mit großer Ehrfurcht, bot ihnen einen Platz zum Sitzen an, brachte ihnen Wasser zum Trinken und wusch dann ihre Füße. Nachdem er und seine Frau ihre Häupter mit dem Waschwasser besprenkelt hatten, begannen sie in transzendentaler Ekstase zu tanzen und sangen mit hocherhobenen Händen und flatternden Kleidern »Hare Kṛṣṇa, Hare Kṛṣṇa, Kṛṣṇa Kṛṣṇa. Hare Hare - Hare Rāma, Hare Rāma, Rāma Rāma, Hare Hare«.

Als die beiden Heiligen sahen, wie der ehemalige Jäger und seine Frau in ekstatische Liebe zu Gott getaucht waren, sagte Parbuta Muni zu Nārada: »Du bist wie der Stein der Weisen, denn durch deine Gesellschaft konnte selbst ein grausamer Jäger zu einem großen Gottgeweihten werden.«

Im Skaṇḍa Purāṇa heißt es dazu: »O Devarṣi, Nārada, sei gepriesen, denn durch deine Gnade wurde selbst ein solch niedriges Geschöpf wie ein Jäger zur Stufe der Hingabe erhoben und erlangte transzendentale Liebe zu Kṛṣṇa.«

Nārada fragte den neuen Gottgeweihten: » Habt ihr auch genug zu essen?«
»O ja«, antwortete der ehemalige Jäger, »Ihr schickt so viele Menschen hierher, und sie bringen uns so reichlich Nahrung, daß wir beide nicht alles allein aufessen können.«

Nārada sagte daraufhin: »Das freut mich zu hören. Kümmere dich nicht darum, ob du viel oder wenig bekommst; sei stets zufrieden und verrichte deinen Dienst für Kṛṣṇa weiter mit Liebe und Hingabe.« Und nachdem er so gesprochen hatte, verließ er mit Parbuta Muni den Ort.

Śrī Caitanya erzählte die Geschichte vom Jäger, um Sanātana zu zeigen, daß selbst ein Mensch mit den schlechtesten Voraussetzungen durch die Gnade eines Gottgeweihten beginnen kann, Kṛṣṇa zu dienen.

In diesem Zusammenhang gibt es einen Vers im Skanda Purāṇa, in welchem Parbuta Muni zu einem Jäger sagt: »O Jäger, es ist nicht weiter erstaunlich, daß du viele gute Eigenschaften wie Gewaltlosigkeit und andere entwickelt hast, denn wer dem Höchsten Herrn in Hingabe dient, wird es niemals übers Herz bringen, einem anderen Lebewesen ein Leid zuzufügen.«

Durch die Begegnung mit dem reinen Gottgeweihten Nārada Muni erlangte auch solch ein sündiger Mensch wie ein Jäger die Erlösung und beschäftigte sich im hingebungsvollen Dienen für den Herrn.

(Auszug "Die Lehren Śrī Kṛṣṇna Chaitanyas" - eine Abhandlung über spirituelles Leben von Seiner Göttlichen Gnade A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupāda.)